The Project Gutenberg EBook of Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen., by Friedrich Gerstäcker This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen. Gesammelte Erzählungen. Author: Friedrich Gerstäcker Release Date: June 22, 2014 [EBook #46073] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK INSELWELT. ZWEITER BAND. *** Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.
Zweiter Band.
Australische Skizzen.
Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1860.
Frau Marie Kinder
zu Batavia
widmet diese kleinen Skizzen
in freundschaftlicher Hochachtung und Verehrung
der Verfasser.
I. Buschtreiben. | |
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Seite | |
1. John Mulligan | 1 |
2. Die Flucht | 82 |
3. Gentleman John | 105 |
4. Die Känguruh-Insel | 173 |
II. Bilder aus den Australischen Goldminen. | |
1. John Newman | 279 |
2. Im Australischen Busch | 360 |
In früheren Jahren war Australien nichts, als eine Verbrecher-Colonie, und immer neue Schiffsladungen voll Missethäter wurden von England aus hinübergeschickt. Zugleich aber gingen auch einzelne freie Ansiedler mit in das ferne Land, die sich, unbekümmert um das rohe Gesindel umher, bleibend da niederließen und Ackerbau oder meist Viehzucht trieben. Ihr Leben dort verlief aber nicht so glatt und einförmig, wie das jetzt wohl der Fall ist, wo sie sich um wenig mehr, als ihre Felder und Heerden, zu kümmern haben.
Auch die Polizei – obgleich sie in Australien selbst heute noch nicht ruhen darf – hatte mehr zu thun, als die unsrige – wenn ich auch nicht sagen will, daß sie sich mehr beschäftigte – und die kühnsten und unternehmendsten Leute wurden ihr eingereiht. Es galt aber auch damals nicht nur nächtlichen und scheuen Dieben aufzulauern, sondern oft den entsprungenen und zur Verzweiflung getriebenen Sträflingen draußen im Freien zu begegnen, und in dem weiten, wilden Lande gehörte dazu nicht allein eine zähe Ausdauer, sondern auch ein fester Muth, der vor keiner Gefahr zurückbebte.
Die Polizei war deshalb auch – und ist es dort bis auf den heutigen Tag – militairisch organisirt, und die Polizeiofficiere hatten vollkommen freie Hand, nach eigenem Gutdünken mit hinreichender Mannschaft oft gar nicht unbedeutende Streifzüge zu unternehmen. Man mußte sie eben von leeren Förmlichkeiten entbinden, um ihr freie Hand zu lassen, dem Augenblicke nach zu handeln; denn wie häufig kam es gerade vor, daß der Augenblick eben erfordert wurde, einen entscheidenden Streich gegen irgend eine der im Walde zerstreuten Banden entflohener Verbrecher zu unternehmen.
Unter diesen Polizeileuten zeichnete sich besonders ein gewisser Tolmer aus, der noch jetzt im Adelaide-District lebt und thätig ist. Nicht allein keck jeder Gefahr entgegengehend, die sich ihm in den Weg stellte, hatte er auch in dem Buschleben mit Schwarzen und Verbrechern eine Menge werthvolle Erfahrungen gesammelt, und wo ein schwieriges Unternehmen ausgeführt werden sollte, wo irgend ein verzweifelter Bursche verschwunden blieb und nun durch neue Verbrechen dafür sorgte, daß sein Andenken nicht ganz erlosch, da wurde gewöhnlich der damalige Polizeisergeant Tolmer abgeschickt, ihn aufzuspüren. Wenn es irgend möglich war, führte der seinen Auftrag aus.
In Adelaide, oder wenigstens in der Nachbarschaft, hatte ich das Vergnügen, mit Mr. Tolmer bekannt zu werden, und die nachfolgenden Skizzen eines abenteuerlichen Zuges, den er einmal nach einer unsern dem australischen Festlande liegenden Insel unternahm, und der ihn zum Lieutenant beförderte, habe ich aus seinem eigenen Munde. – Ich will versuchen, es so treu als möglich wiederzugeben.
Schon vor längerer Zeit waren ein paar lebenslänglich verurtheilte Deportirte aus dem Gefängnisse ausgebrochen und in den »Busch« geflohen. Anstatt aber allein darin umherzuwandern, wo sie sich gewöhnlich nicht lange halten konnten, ging das Gerücht, sie hätten sich einem Stamme der Schwarzen angeschlossen und hälfen diesem, die benachbarten und in ihrem Bereiche liegenden Stationen belästigen.
Berittene Polizei wurde augenblicklich dorthin beordert, und es gelang dieser auch, den bezeichneten Stamm Eingeborener aufzufinden und zu zerstreuen, aber von den weißen, sogenannten Buschrähndschern[1] fand sich keiner bei ihnen vor. Die Burschen hatten sich jedenfalls, als sie merkten, daß ihr Aufenthalt bei den Schwarzen nicht mehr gesichert war, irgend wo anders hingewandt, und ein volles Jahr lang blieb jeder Versuch, sie wieder aufzufinden, vergeblich.
Tolmer hielt sich nach dieser Zeit wieder in Adelaide auf und hatte eben wieder einen Transport von Flüchtlingen eingebracht, die sich eine Weile in den Dickichten der Hindmarsh-Sümpfe umhergetrieben. Die früher entsprungenen Verbrecher waren schon fast vergessen worden, da man nicht anders glaubte, als daß sie Mittel und Wege gefunden hätten, mit einem Boot in See zu gehen, um vielleicht nach Neuseeland hinüberzufahren oder auch ein unterwegs getroffenes Schiff anzurufen. Einzelne waren schon auf diese Art entkommen.
Tolmer glaubte übrigens nicht daran. Wenn er auch keinen bestimmten Platz wußte, wo er sie suchen sollte, konnte er den Gedanken nicht aufgeben, sie noch auf australischem Boden zu wissen, und unterließ in der ganzen Zeit nicht, die sorgfältigsten Nachforschungen anzustellen, wenn diese auch fortwährend erfolglos blieben.
So saß er eines Abends in dem am häufigsten besuchten Hotel in Adelaide bei einer Flasche Ale. Mehrere Stationshalter aus der Nachbarschaft, die in die Stadt gekommen waren, theils neue Weidegründe zu belegen, theils Vieh und Pferde zu verkaufen, saßen mit im Zimmer, und das Gespräch drehte sich um das Land im Inneren, die muthmaßliche Nutzbarkeit und Besiedelung desselben, die jetzige Bevölkerung und – wie das in Australien damals nicht ausbleiben konnte – um das Recht der Regierung, noch weitere Sträflinge herüberzuschicken. Schon damals nämlich strebten die australischen Colonieen danach – was sie auch später erreichten – daß das System, Verbrecher von England herüberzusenden, aufgegeben und Australien eine wirkliche Colonie von freien Einwanderern würde. Das pro und contra wurde dann, sowie das Gespräch einmal auszweigte, auf das Lebhafteste debattirt, denn es gab eine Menge von Ansiedlern, denen die Sträflingsarbeit sehr bequem und einträglich war und die sie nicht missen wollten. Diejenigen, die das Sträflingssystem bekämpften, führten dann nicht mit Unrecht zu ihrem Gunsten an, welche Massen schlechten, nichtsnutzigen Gesindels sich, in entlassenen oder halb begnadigten Verbrechern, über das ganze weite Land verbreiteten und nicht allein die Sicherheit der ehrlichen freien Bewohner gefährdeten, sondern auch dem unbemittelten Einwanderer eine schwere und kaum zu bekämpfende Concurrenz bereiteten. Nur von dem freien Einwanderer hatte deshalb Australien einmal zu hoffen, daß es ein mächtiges und reiches Land werden könne.
Unter den Gästen befand sich auch ein Stationshalter von der südlich vom Adelaide-District liegenden Känguruh-Insel, die damals erst seit sehr kurzer Zeit von den Engländern wirklich in Besitz genommen war. Auch nur Einzelne hatten sich dort drüben niedergelassen, und zwar nur in der Hoffnung, daß die ziemlich ausgedehnte Insel einmal später größere Bedeutung erlangen solle, wodurch ihre dort angelegten Besitzungen auch an Werth und Wichtigkeit gewinnen würden.
Dieser eiferte besonders gegen das Verbrecher-System, trotzdem daß es ihnen in der Schafschur, wie er gern eingestand, willkommene Arbeiter lieferte. Jetzt aber sei man, wie er behauptete, selbst auf diesem entlegenen und durch einen Seearm von den eigentlichen Verbrecherstationen getrennten Theile der Colonie doch nicht sicher, solchem Gesindel jeden Augenblick im Busche zu begegnen, und er gehe immer mit Sorge und Angst von Hause fort, daß einmal während seiner Abwesenheit irgend etwas vorfallen könne, was die Sicherheit der Seinen gefährde.
Tolmer, als Regierungsbeamter, hatte sich nicht in das Gespräch gemischt und nur schweigend den verschiedenen Bemerkungen und Ansichten gelauscht; als sich aber die übrigen Gäste nach und nach verloren und die Unterhaltung auch schon lange auf andere gleichgültige Gegenstände übergewechselt war, setzte er sich zu dem Ansiedler von der Känguruh-Insel und unterhielt sich auf das Lebhafteste mit ihm über die dortigen Aussichten späterer Cultur, über Weiden und Ackerbau und – die Möglichkeit, Arbeiter zu den verschiedenen und nöthigen Verrichtungen zu bekommen. Eine directe Frage über das, was ihm eigentlich am Herzen lag, that er aber nicht, und zwar aus Gründen, die wirklich nur ein Australier begreifen würde.
Der Mann sah vollkommen anständig aus und Tolmer bezweifelte keinen Augenblick, daß er ein Stationseigenthümer von jenem Eiland sei, aber – sie befanden sich in Australien und Tolmer hatte schon zu oft erfahren, daß man Niemandem, was seine frühere Existenz betraf, trauen dürfe, besonders nicht in der damaligen Zeit. Die dem äußeren Anscheine nach anständigsten Leute waren oft als »Deportirte« herübergekommen, und wenn sie auch später nicht mit den »Buschrähndschern« gemeinsame Sache machten, hüteten sie sich doch wohl, dieselben zu verrathen – theils vielleicht aus Mitgefühl, theils vielleicht auch wohl aus Furcht vor einer möglichen Rache derselben.
Der Mann hatte allerdings mit dem größten Eifer gegen das fortgesetzte System gesprochen, verbrecherische und gezwungene Ansiedler nach Australien zu bringen, das aber stellte noch gar nicht fest, daß er nicht in näherer Beziehung zu diesen stand, wie er jetzt vielleicht eingestehen mochte. War das aber wirklich der Fall, so konnte eine unbewacht hingeworfene Frage mehr verderben, wie sich leicht wieder gut machen ließ, und war es nicht so, nun, so hatte er eben nichts verdorben oder versäumt.
In der Unterhaltung und durch geschickte Fragen bekam er übrigens doch heraus, daß sich gerade in der Nachbarschaft von »Mr. Lindsay's« Station einige Individuen aufhielten, die von der Jagd und vom Fischfang lebten und keine feste Ansiedelung ihr eigen nannten, und über diese etwas Näheres zu erfahren, war er jetzt fest entschlossen. Das aber mußte auf andere Art geschehen, als durch einfache Fragen.
Tolmer hatte in Adelaide einen Polizeisoldaten Borris, auf den er sich in jeder Hinsicht verlassen konnte. Borris war noch ein junger Mann, aber in seinem Fach, dem er schon seit sechs Jahren vorstand, ausgezeichnet und außerdem erst seit ganz kurzer Zeit von Sidney hierher versetzt, also jenen Verbrechern noch vollständig unbekannt.
Sein Plan war bald gemacht. Borris sollte als gewöhnlicher »Bündelmann«[2] nach der Känguruh-Insel hinübergehen und dort als Schäfer oder Hüttenwächter oder was immer, Beschäftigung bei Mr. Lindsay, und wenn das nicht anginge, ganz in der Nachbarschaft suchen. Dort blieb es ihm dann selber überlassen, alle möglichen und nützlichen Erkundigungen über seine Nachbarschaft einzuziehen, und wußte er, was er wissen wollte, so konnte er wieder nach Adelaide herüberkommen und selber Bericht abstatten. Tolmer warnte ihn aber besonders davor, einen Brief zu schreiben, wenn sich nicht eine ganz günstige Gelegenheit fand ihn zu befördern. Das Schreiben an und für sich war überdies schon gefährlich, denn wurde er dabei von irgend Jemandem gesehen, so mußte Verdacht gegen ihn rege werden. Ein ordentlicher und richtiger »Bündelmann« kann nie mehr schreiben, als höchstens seinen Namen – und selbst den nicht immer.
Borris war übrigens klug und gewitzt genug, um in dieser Hinsicht vollständiges Vertrauen zu verdienen. Er wußte, was man von ihm verlangte, und das genügte; das Weitere besorgte er schon selber.
Mr. Lindsay blieb noch einige Tage in Adelaide; die Zeit benutzte Borris, seine nöthigen Einrichtungen zu treffen, und schiffte sich dann, mit einem ticket of leave, das ihm Tolmer ausfertigen ließ, versehen, nach seinem Bestimmungsorte ein. Mit einem solchen ticket wurde er von allen Ansiedlern geduldet und bei der Menschenclasse, unter der er sich besonders umsehen sollte, galt es als vollständiger Freipaß, ihm unbedingt zu vertrauen – war er doch Einer der Ihrigen.
Borris war somit spurlos von Adelaide verschwunden, denn drüben auf der Insel nannte er sich, der Verabredung gemäß, Jack, und Monat nach Monat verging, ohne daß Tolmer wieder etwas von ihm gehört hätte. War ihm am Ende gar ein Unglück zugestoßen? – Hatte er sich verrathen oder ihn Jemand doch erkannt? – Tolmer wurde schon unruhig und dachte daran, einen zweiten Boten hinüberzusenden, um Gewißheit über das Schicksal des ersten zu bekommen. Das war aber nicht nöthig.
Eines Morgens trat Borris, in seiner Buschtracht, wie er eben ankam, in des sehr erfreuten Tolmer Zimmer, und die Beiden blieben dort mehrere Stunden eingeschlossen in eifrigem Gespräch.
Das Resultat seiner Entdeckungsreise war auch insofern ein günstiges, daß er die Gewißheit brachte, daß auf der Insel eine Anzahl verdächtiger Individuen lebte. Ob es nun gerade jene Verbrecher waren, deren Spur Tolmer schon so lange vergebens verfolgt, war schwer zu bestimmen. Die Beschreibung des Einen von ihnen, der einen gewissen Einfluß auf die Uebrigen auszuüben schien, paßte aber ziemlich genau auf den Verwegensten der Flüchtlinge, einen gewissen John Mulligan, dem man damals besonders auf der Spur gewesen, und hielt sich dieser jetzt dort drüben versteckt, so hatte er auch seine Genossen sicher in der Nähe. Jedenfalls war es der Mühe werth, jene Gesellen aufzuheben und zur Rechenschaft zu ziehen, denn sie brandschatzten in neuerer Zeit wieder die Stationshalter, tödteten von den Heerden, was sie für ihren eigenen Bedarf brauchten, ohne sich viel um irgend ein Eigenthumsrecht zu kümmern, und hatten sogar neulich einen Einbruch auf einer Station versucht – allerdings ohne Wissen und, wie Borris behauptete, gegen den Willen ihres Führers, der kluger Weise Alles vermied, was die Aufmerksamkeit der Regierung auf sie lenken konnte.
Tolmer selber war damals noch nie auf Känguruh-Eiland gewesen und kannte das Terrain gar nicht; Borris beschrieb es ihm dabei als diesen, außer den Gesetzen lebenden Menschen außerordentlich günstig, so daß es große Schwierigkeiten haben möchte, sie wirklich einzufangen, wenn sie vorher gewarnt wären. Die größte Vorsicht blieb deshalb noch immer nöthig. Darnach handelte Tolmer.
Mit einem Regierungscutter durften sie nicht hinüberfahren und drüben anlegen; die Kunde davon würde sich blitzesschnell über die ganze Insel verbreitet haben. In Adelaide lag aber gerade ein kleiner Schooner, der neuseeländischen Flachs von Aukland geholt hatte und den man recht gut für eine solche Fahrt bekommen konnte. Der Gouverneur gab auch augenblicklich seine Erlaubniß dazu und bewilligte die nöthigen Mittel, und drei Tage später segelte der Schooner mit Mr. Tolmer und zehn Leuten, auf die er sich vollständig verlassen konnte, an Bord. Diese hatte er theils als Bündelleute, theils als Matrosen gekleidet und alle weiteren Pläne aufgeschoben, bis er an Ort und Stelle selber das Terrain kennen gelernt hätte.
Der Schooner ging in Ballast, angeblich Wolle von drüben abzuholen und nach irgend einem der australischen Haupt-Stapelplätze, Sidney, Adelaide oder Melbourne, hinüberzuschaffen.
Borris hatte übrigens seinen hiesigen Aufenthalt vortrefflich angewandt, sich mit allen Schlichwegen im benachbarten Busche genau bekannt zu machen. Von Lindsay dabei nur mit dessen Erlaubniß auf Urlaub fortgegangen, konnte es natürlich nicht auffallen, daß er diese Gelegenheit benutzt, mit diesem Schooner zu seiner Station zurückzukehren. Er trat auch, so wie das kleine Fahrzeug landete, augenblicklich wieder in seine Stelle ein und verabredete sich nur vorher mit Tolmer, diesen wieder an Bord zu sprechen, wobei er sorgen wolle, daß Mr. Lindsay ebenfalls hinüberkäme.
Borris hatte Lindsay, ohne sich selber dabei zu verrathen, als einen durchaus rechtlichen und thätigen Mann kennen gelernt, von dem sie nicht zu fürchten brauchten, daß er sie verrathen würde. Besser blieb es aber immer, daß er so spät wie irgend möglich in ihren Plan eingeweiht wurde, und die Zeit war jetzt gekommen.
Der Schooner ankerte gerade der Stelle gegenüber, an der Lindsay's Station lag, und Tolmer, ebenfalls in Matrosenkleidung und mit glatt rasirtem Gesicht, um sich so viel als möglich unkenntlich zu machen, fuhr an Land, ließ sich bei Mr. Lindsay melden und frug an, ob der Gentleman seine Wolle vielleicht auf dem Schooner nach Adelaide verladen möchte.
Lindsay, der ihn nicht mehr kannte, nahm ihn mit in das Haus, und hier entdeckte sich ihm Tolmer, erklärte ihm, daß er gedenke, die Insel von allem Gesindel zu befreien, und bat ihn um seine Hülfe.
Der Squatter schien erst keine rechte Lust zu haben, darauf einzugehen, denn mißlang der Versuch, und wurde es bekannt, daß er die Polizei unterstützt hatte, so durfte er sich darauf verlassen, daß die Buschrähndscher sich an ihm rächten. Tolmer aber überredete ihn leicht, diese unnöthige Besorgniß schwinden zu lassen, und Lindsay versprach wenigstens, ihn gegen Abend auf seinem Schooner zu besuchen, dort – vollkommen sicher vor jedem Horcher – alles Weitere zu besprechen. Borris wollte er dann mitbringen.
Das geschah. Lindsay hatte ein eigenes Boot und ließ sich von Borris hinüberrudern, angeblich, etwas Tabak und einige andere Kleinigkeiten zu kaufen, die im Busch gebraucht wurden. Von seinen Leuten gehörte allerdings keiner mit zu den Buschrähndschern, oder würde sich ihnen angeschlossen haben. Sie Alle wußten aber, wo jene lagerten, und hätten sie nur den geringsten Verdacht geschöpft, daß das kleine Handelsfahrzeug da draußen von Polizei bemannt sei, so wären die »mates« im Busch augenblicklich gewarnt worden.
Das Nähere, was jetzt Tolmer über die hier versteckten Verbrecher erfuhr, war, daß sie nicht mehr zusammen in einem Trupp wohnten, sondern sich vor etwa acht Tagen in Folge eines Zankes getrennt hätten. Mulligan – Lindsay kannte den Namen genau – hauste in einer kleinen Rindenhütte, etwa vier oder fünf englische Meilen von Lindsay's Station entfernt, und die Uebrigen, wie Lindsay meinte und auch Borris bestätigte, »buschten« es – d. h. sie hatten ihr Lager bei dem schönen Wetter mitten im Busch und unfern von einem kleinen Bach aufgeschlagen, da sie noch unentschieden sein mochten, welcher Richtung sie sich zuwenden sollten.
Borris wußte nur von fünfen, Lindsay behauptete aber, daß es im Ganzen sieben wären, John Mulligan mit zweien seiner Anhänger in der Rindenhütte und die vier Anderen, die draußen im Walde lagerten. Diese Trennung der Schaar mußte ihrem Plan nur förderlich sein, denn sieben entschlossene und zur Verzweiflung getriebene Menschen konnten einem so kleinen Trupp Polizei schon einen gefährlichen Widerstand entgegensetzen, noch dazu, da sie Alle gut bewaffnet waren. In zwei verschiedenen Trupps ließen sie sich aber weit leichter bewältigen, und die Männer beschlossen, am nächsten Morgen vor allen Dingen der Rindenhütte einen Besuch abzustatten, um gleich im Anfang den gefährlichsten von ihnen, John Mulligan, unschädlich zu machen.
Zu diesem Zweck mußte der Schooner aber wieder vor Tag unter Segel gehen, damit die Besatzung nicht in Sicht der Station zu landen brauchte. Lindsay bezeichnete ihnen weiter gen Osten ein kleines Vorgebirge, wo sie wieder beilegen konnten. Dort befanden sie sich nur höchstens anderthalb englische Meilen von John Mulligans Hütte, und Borris sollte sie an der Stelle erwarten, während Lindsay zu Pferde sie später im Busch selber traf. Je früher sie dabei aufbrachen, desto besser, denn um so viel sicherer durften sie erwarten, die Hüttenbewohner noch Alle zu Hause zu finden.
Nachdem dies verabredet war, fuhr Lindsay wieder mit Borris an's Land zurück.
Am nächsten Morgen war der Schooner von seinem Landungsplatz verschwunden, ohne daß irgend Jemand Notiz davon genommen hätte. Derartige Fahrzeuge kamen oft an die Küste und hielten sich nie länger an einem Orte auf, als sie hoffen durften, ein Geschäft zu machen.
Borris hatte noch am Abend von Lindsay zum Schein einen Auftrag bekommen, mit einem Brief nach einer benachbarten Station hinüber zu gehen, und Mr. Lindsay ließ sich, wie er das gewöhnlich that, Morgens in aller Frühe sein Pferd satteln und ritt in den Busch. Dem Koch[3] sagte er, daß er zum Frühstück zurück sein werde.
Genau nach der Verabredung hatte Tolmer auch gehandelt, traf mit Borris an der besprochenen Stelle zusammen und schlug sich dann rasch mit seiner kleinen, bis an die Zähne bewaffneten Schaar in den Busch, wo ihnen Mr. Lindsay begegnete.
Nach kurzem Marsch erreichten sie die Gegend, in welcher die Hütte stand. Zu weiterer Führung wollte sich aber der Squatter nicht verstehen.
»Ihr wißt nicht,« sagte er, »was für ein verzweifelter Mensch dieser Mulligan ist, und fangt Ihr ihn nicht, so fahrt Ihr nachher wieder ruhig nach Adelaide hinüber, und wir haben die Geschichte hier auszubaden. Ich kann auch mein Pferd hier nicht anbinden, und nähme ich es mit, hörten sie uns schon von Weitem. Dort gleich hinter jenem Dickicht liegt die Hütte – ich selber will nach Cooley's Station hinüberreiten – Ihr wißt, wo das ist, Borris. Habt Ihr den Mulligan, so kommt und laßt mich's wissen« – und damit wandte er sein Pferd und hielt langsam quer durch den Busch der Richtung zu, wo er die Straße wieder erreichen mußte.
Tolmer murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen durch. Fest entschlossen aber, das einmal Begonnene auch durchzuführen, ob mit oder ohne fremde Hülfe, gab er seiner kleinen Schaar die nöthigen Befehle, und rückte jetzt langsam und vorsichtig mit ihnen weiter, bis sie in Sicht der Hütte kamen.
Diese, wie tausend ähnliche im Busch, bestand nur aus einem leichten Gestell von Pfosten, mit Latten übernagelt, und mit breiten Stücken Rinde des Stringybark-Baumes gedeckt. Eben solche Rindentafeln bildeten die Wände, und rauh genug sah solch ein Wohnhaus aus. Im Busch werden aber keine Ansprüche an Bequemlichkeit gemacht; Schutz gegen Wind und Wetter gewährte sie, und was weiter konnte man hier von einer Wohnung verlangen?
Sie lag dabei mitten im Dickicht drin, und war von dem benachbarten Stationshalter erbaut worden, einem Schäfer Unterkommen zu bieten. Die Schafe vermehrten sich aber nicht so rasch, wie der Stationshalter geglaubt. Die Hütte wurde nicht benutzt, und John Mulligan, der sie auf seinen Streifzügen durch den Busch entdeckte, fand sie passend, ihm zum Aufenthalt zu dienen – wenigstens eine Zeit lang dort zu leben.
Tolmer war vorangekrochen, vor allen Dingen die Gelegenheit zu erspähen, und ein Blick auf die Hütte verrieth ihm, daß sie ihren Weg hierher nicht umsonst genommen hatten. Zwischen den Rindenstücken, die das Dach bildeten, wirbelte der blaue Rauch hervor, und die Insassen mußten also daheim sein.
Rasch war jetzt seine Disposition getroffen, und die kleine Schaar so vertheilt, daß aus der Hütte Niemand mehr entkommen konnte, ohne wenigstens ihrem Kreuzfeuer ausgesetzt zu sein. So vorsichtig aber schlichen sie an, daß sie von denen in der Hütte nicht einmal bemerkt wurden, und wie sie erst die Thür besetzt und die übrigen Wände umstellt hielten, wußten sie sich ihrer Beute sicher.
Tolmer selber spähte jetzt durch einen schmalen Ritz der einen Seitenwand, konnte aber nur eine Person im Innern erkennen. Es war das ein Mann der vor dem Kamin auf einer dort liegenden wollenen Decke saß und sich gerade jetzt eine kleine Thonpfeife stopfte. Außerdem schien er auch das Frühstück zu bewachen, denn eine Theekanne stand auf den Kohlen, und die zusammengescharrte Asche verrieth, daß ein »Damper«[4] darunter backe.
Sonst war die Hütte leer – das kleine enge Gemach ließ sich leicht genug überschauen, da in der einen Wand zwei große Rindenstücken fehlten, und der leere Raum als Fenster diente. War das nun Mulligan? Hatten ihn seine beiden andern Gefährten auch verlassen, und war er hier allein zurückgeblieben? Jedenfalls mußten sie sich seiner so rasch als möglich bemächtigen, und Tolmer sah sich jetzt nur noch nach Waffen um. Er konnte nichts erkennen als eine einzelne Muskete, die in der Ecke lehnte.
Der Mann am Feuer war dabei so in seine Pfeife vertieft, daß er keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr hatte. Der Thür drehte er gerade den Rücken zu, und da diese halb geöffnet stand, glitten Tolmer, Borris und einer ihrer Leute hinein und warfen sich – zu verhindern, daß der Ueberfallene nach der Muskete springen könne – plötzlich und geräuschlos auf den Buschrähndscher.
»Na, zum Donnerwetter,« rief dieser, der gar nicht Miene machte, emporzuspringen, »Ihr werdet mir die Pfeife zerbrechen. Prächtiges Stück Arbeit nachher, und keine andere wieder zu kriegen in dem verdammten Busch.«
»Hallo, der nimmt's kaltblütig,« lachte Borris.
»Bindet ihm nur die Arme auf den Rücken,« sagte Tolmer ruhig, »wenn er glaubt, daß er uns sicher machen will, irrt er sich.«
»Nur nicht ängstlich, old cove« lachte der Mann, in dem sich der Matrose nicht leicht verkennen ließ. »Halt da, mate,[5] schnürt mir die Arme nicht in Stücken.«
»Und was zum Henker machst Du hier, Camerad?« sagte Tolmer, der mit seinem Fang nicht besonders zufrieden schien, denn der Mann betrug sich nicht wie ein ertappter Verbrecher, und das Gesicht war ihm vollkommen fremd.
»Was ich mache?« sagte der Seemann vollkommen kaltblütig. »Ich passe auf, daß der blutige, steinharte Damper da in der Asche nicht zum Teufel geht, und hätte jetzt meine Pfeife geraucht, wenn Ihr nicht wie die Wilden über Einen hergefallen wäret. Steck sie mir einmal Einer von Euch in's Gesicht, und lege eine Kohle darauf.«
»Wie heißt Ihr?« fragte Tolmer, während ihm Borris lachend willfahrte, und der Gefangene indessen an der Pfeife zog.
»Bill – dank' Euch, Mate,« lautete die Antwort. »Weshalb zum Henker, habt Ihr mir die Finnen hinten festgeschnürt? Mit den Füßen kann ich den Damper nicht aus der Asche nehmen.«
»Was treibt Ihr hier im Busch?« frug aber Tolmer weiter, ohne seinen Einwand zu berücksichtigen.
»Verdammt wenig,« brummte der Bursche, »koche, wie Ihr seht – Hutkeeper, glaub' ich, nennen's die Burschen hier im Land.«
»Das ist keiner von den »Birds«,« flüsterte Borris seinem Vorgesetzten in's Ohr.
»Ich glaub' es auch nicht,« sagte dieser eben so leise zurück, und setzte dann laut hinzu: »Wer wohnt hier noch mit Euch?«
»Zwei Andere.«
»Und wo sind die jetzt?«
»Ausgegangen, ein Wallobi zu schießen – wenn sie das nicht bekommen können, bringen sie ein Schaf mit.«
»So? – Haben sie eine eigene Heerde?«
Der Matrose lachte und sah still vor sich nieder.
»Wie lange seid Ihr schon auf der Insel?« fuhr Tolmer fort.
»Drei Wochen,« lautete die Antwort.
»Und wo kommt Ihr her?«
»Hm,« brummte der Mann, der hier nicht recht mit der Sprache heraus mochte, »gehört Ihr zur Wasserpolizei?«
»Nein.«
»Gut, dann geht's Euch nichts an.«
»Von einem Schiff weggelaufen?« fragte Tolmer.
Der Matrose schwieg und zog an seiner Pfeife.
»Hört einmal, Camerad,« sagte Tolmer, der jetzt keinen Augenblick mehr zweifelte, daß er es blos mit einem weggelaufenen Matrosen zu thun hatte. »Seid Ihr nur einem Schiff ausgekniffen, so hab' ich damit allerdings nichts zu thun, und es wird Euch nichts geschehen, aber wir müssen die beiden andern Burschen fangen. Wollt Ihr uns dabei helfen? Denn ich kann mir nicht denken, daß Ihr mit den Verbrechern weiteren Verkehr gehabt habt.«
»Mit gebundenen Armen soll ich Euch helfen.«
Tolmer löste ohne weitere Antwort seine Bande, und Bill fühlte seine Arme kaum frei, als er vor allen Dingen seine Pfeife etwas fester stopfte.
»Daß es mit den Beiden nicht ganz richtig sei,« sagte er dabei, ohne seine Stellung zu verändern, »hab' ich mir etwa gedacht. – Hol' sie der Henker, ich bin froh, daß ich mit guter Manier von ihnen fortkomme.«
»Wie bald können sie zurück sein?«
»Jeden Augenblick. Das Beste ist dann, Ihr stellt Euch hier im Innern der Hütte auf, denn ich weiß nicht, von welcher Seite sie kommen.«
»Ist die Muskete Euer?«
»Nein – sie gehört dem Einen – John nennt er sich.«
»John Mulligan?«
»Was weiß ich, wie sein ganzer Name ist; John genügt, um ihn zum Essen zu rufen.«
»Da kommt Einer!« flüsterte in diesem Augenblicke Borris rasch, der indessen schon an die verschiedenen Theile der Hütte Wachen gestellt hatte. Die Rinde war an unzähligen Stellen gesprungen, und man konnte überall hindurch sehen.
»Ist das John?« frug Tolmer, der dem Matrosen winkte, den Ankommenden zu beobachten. Dieser schüttelte den Kopf.
»Nein,« sagte er, »das ist der lahme Tom – hat richtig ein Schaf erwischt – wird sich unendlich freuen, wenn er hier so angenehme Gesellschaft findet.«
»Und wo ist der Andere?«
»Weiß nicht – sind Beide zusammen fortgegangen.«
»Bst – er kommt – ruhig jetzt!« warnte Tolmer, und schweigend sammelten sich die Polizeileute im Innern der Hütte an beiden Seiten des Eingangs, auf den der Buschrähndscher, ohne Ahnung dessen, was ihn erwartete, langsam zuschritt.
Er war in die gewöhnliche rauhe Buschtracht gekleidet, jetzt aber in seinen Bewegungen gehindert, da er das schon geschlachtete Schaf auf den Schultern trug und dabei mit der rechten Hand seine Muskete festhielt.
»Holla, Bill!« rief er, indem er, dicht vor der Thür, mit dem einen Fuß dagegen trat. »Zum Teufel auch, mach Einem den Deckel auf – oder schläft die Canaille schon wieder?«
Tolmer sagte kein Wort, aber wie er dem Matrosen winkte, die Thür zu öffnen, zeigte er ihm ein gespanntes Pistol als Warnung, was ihm selber drohe, wenn er sie verrathen wolle. Bill dachte aber an nichts Derartiges, denn, selber ein ehrlicher Kerl, hätte er schon lange die Gesellschaft dieser Burschen, die ihn gewissermaßen als Diener behandelten, gemieden, wenn er nur gewußt, wohin er sich wenden solle. Jetzt, da es sich herausstellte, daß seine bisherigen Gefährten das wirklich waren, wofür er sie seit den letzten Tagen heimlich gehalten, wäre er der Letzte gewesen, mit ihnen »in einen Topf zu springen«. Ruhig öffnete er deshalb die Thür für den »lahmen Tom«, wie der Buschrähndscher von seinen Cameraden genannt wurde, weil er ein klein wenig hinkte.
»Da hier,« sagte dieser, noch vor der Thür – »nimm mir einmal das Schaf ab – na, wird's bald? Soll ich's etwa noch eine Stunde auf dem Buckel haben?«
Tolmer winkte dem Matrosen, den Ankommenden in die Hütte zu rufen, denn war sein Camerad in der Nähe, so wurde er durch einen Lärm vor der Hütte gewarnt.
»So kommt doch herein damit,« sagte Bill, »oder habt Ihr Angst, daß Ihr den Fußboden schmutzig macht?«
»Damit man nachher die Decken im Blute herumschmiert, nicht wahr?« sagte der Buschrähndscher, der schon lange die Geduld verloren hatte. »Hölle und Verdammniß, da holt's Euch selber,« und mit einem Ruck warf er das Schaf vom Rücken ab auf den Boden nieder. Jetzt war aber auch keine Zeit mehr zu verlieren, und ehe er nur seine Muskete ordentlich fassen konnte, stand Tolmer draußen neben ihm, packte ihn um den Leib und schleuderte ihn zu Boden.
»Hülfe, John! Teu–,« er sagte nicht mehr, denn Borris hatte ihm mit großer Geschicklichkeit ein Tuch in den Mund geschoben, jeden weiteren Aufschrei zu ersticken – aber zu spät. Tolmer's rasch umherschweifender Blick erkannte eine dunkle Gestalt in den Büschen, die, wie sie erschienen, eben so auch wieder verschwand, und ärgerlich mit dem Fuße den Boden stampfend, rief er aus:
»Das haben wir schlau gemacht – da geht der Hauptfuchs zum Teufel, und jetzt können wir den ganzen Busch von einem Ende zum andern umdrehen, ehe wir ihn wiederfinden.«
»Habt Ihr ihn gesehen?« rief Borris rasch.
»Wie eine Erscheinung, gerade hinter jener Kasuarine,« sagte Tolmer. »Aber nehmt den Vogel wenigstens einmal in die Hütte herein, daß wir sehen, was wir aus ihm herausbringen können.«
Das geschah. Der »lahme Tom« machte aber, wenn sie auf seine Hülfe gerechnet hatten, ihre Hoffnung zu schanden, denn er beantwortete keine ihrer Fragen.
»Hol' Euch der Böse,« knirschte er in die Zähne, als man ihm das Tuch wieder aus dem Munde nahm. »Ihr seid Alle über Einen hergefallen, wie ein Rudel feiger Dingo's über ein einzelnes Schaf, das ich war – jetzt macht mit mir, was Ihr wollt, aber laßt mich ungeschoren, denn verdammt will ich sein, wenn ich Euch auf weitere Sprünge helfe.«
Aus dem Burschen war in der That nichts weiter herauszubringen und Tolmer schickte ihn, in Handschellen und von zweien seiner Leute bewacht, zu dem Schooner hinunter. Die ihn trausportirten, sollten dann so rasch als möglich wieder zurück zu der Rindenhütte kommen, hier die weiteren Anordnungen zu hören.
Tolmer fürchtete, daß durch die Flucht Mulligan's ihr ganzer Plan vereitelt sei, und dieser wahrscheinlich den anderen Trupp augenblicklich vor ihnen warnen würde. Dem aber widersprach Borris.
»Haben sich die beiden Parteien miteinander gezankt,« sagte dieser, »so wird Mulligan weit eher glauben, daß ihn jene verrathen hätten, um ihn los zu werden, und sich dann wohl hüten, selber an ihr Feuer zu laufen. War er das aber, den Ihr im Busche gesehen habt, und ich zweifle keinen Augenblick daran, so fürcht' ich, ist es ein hoffnungsloses Unternehmen, ihn mit so wenigen Leuten auf der großen Insel einzufangen. Von den Stationshaltern dürfen wir nicht die geringste Hülfe erwarten, das haben wir an Lindsay gesehen. Trotzdem daß er selber viel Geld geben würde, die Schufte aus dem Wege zu haben, will er doch sein eigenes Haus nicht der Gefahr aussetzen, von ihnen in Brand gesteckt zu werden. Und wo sollen wir den schlauen Gesellen jetzt suchen? Am Ende wär' es am besten, wir legten ihm hier in der Hütte eine Falle; jedenfalls hat er seine Munition und seine Decke hier und ohne Beides kann er nicht lange im Busche aushalten.«
»Da können wir lange warten,« lachte Tolmer, »ehe der alte Fuchs wieder daran denkt, hier zu Bau zu kriechen. Wo er sich die jetzige Munition verschafft hat, bekommt er auch mehr, und ebenso eine wollene Decke. Uebrigens haben wir noch eine Weile Zeit, den Ort hier zu untersuchen, und Bill kann uns vielleicht sagen, ob er weiß, wo die Munition versteckt ist.«
Es verstand sich von selber, daß der Verbrecher nicht ein so werthvolles Ding, wie Pulver ist, würde frei und offen liegen lassen. Bill wußte aber nichts davon. John Mulligan hatte sich wohl gehütet ihn zum Vertrauten zu machen, und eine Nachsuchung in der Hütte blieb ebenfalls erfolglos.
Indessen waren die Leute hungrig geworden und Einer von ihnen holte jetzt das Schaf in die Hütte, ihr Frühstück damit zu bereiten. Der Damper war unter der Zeit ebenfalls gebacken, und mit Thee und Zucker, was sie in der Hütte vorfanden, hielten sie ein vortreffliches Mahl. Auch die beiden mit dem Gefangenen zum Schooner geschickten Polizeileute kamen zurück und ein ordentlicher Kriegsrath wurde jetzt gehalten, ob sie sich, die ganze Sache als verfehlt betrachtend, wieder einschiffen oder erst noch einen Versuch machen sollten, den anderen Trupp von vier Mann aufzuheben.
Fast Alle entschieden sich für das Letztere, Tolmer aber wollte auch nichts versäumen, jenen Mulligan in ihre Gewalt zu bekommen, und da es doch möglich war, daß er sich noch in der Nähe aufhielt, um die Hütte wieder aufzusuchen, sollten zwei Mann von seinen Leuten hier versteckt bleiben, und den Flüchtigen todt oder lebendig in ihre Gewalt zu bekommen suchen. Bill, der Matrose, erbot sich allerdings, mit aufzupassen, Tolmer aber wollte das nicht riskiren, denn er war nicht gewöhnt, einem Fremden gleich nach der ersten Stunde Bekanntschaft zu trauen. Dagegen konnte ihnen der handfeste Seemann von trefflichem Nutzen bei dem Fang der Uebrigen sein, indem er seine kleine Schaar ja ohnedem noch durch die Wache in der Rindenhütte schwächen mußte.
Nach Lindsay's Beschreibung kannte Borris ganz genau die Stelle, wo jene Buschrähndscher lagerten, aber es blieb unmöglich, sie am Tage dort zu überraschen. Erstlich war es kaum glaublich, daß sie überhaupt bei hellem Tageslicht ihren Lagerplatz einhalten würden, und dann hätte der Trupp auch keinesfalls ungesehen an sie anschleichen können. Würden sie aber bemerkt, so kam es jedenfalls zu einem Kampf auf Leben und Tod, den Tolmer, so lange es anging, vermeiden wollte. Blieb ihm keine andere Wahl, gut, so mußte selbst das versucht werden.
Damit im Reinen, hielten sie sich in der Hütte, bis sich die Sonne gegen den Horizont neigte, denn sie waren sicher, daß die mit John Mulligan verfeindeten Buschrähndscher nicht hierher kommen würden, und draußen hätten sie ihnen leicht zu früh begegnen können. Nur ein Bote wurde hinüber nach Cooley's Station geschickt, Mr. Lindsay von dem bisherigen Resultat in Kenntniß zu setzen, denn Tolmer wußte nicht, ob er seine Hülfe vielleicht morgen in Anspruch nehmen müsse. Lindsay war aber schon wieder nach Hause geritten, und der zu ihm gesandte Polizist mochte ihm dahin nicht folgen, um keinen unnöthigen Verdacht zu erregen.
Borris, mit dem Busch vollkommen vertraut, führte zur bestimmten Zeit die kleine Schaar sicher der Gegend zu, in der er das Lager der Verbrecher wußte. In der Nachbarschaft desselben angelangt, blieb ihnen aber nichts weiter übrig, als erst den vollen Einbruch der Nacht abzuwarten; dann schlichen sie vorsichtig dem Lager der Sträflinge zu, bis sie in Sicht von deren Feuer kamen.
Es war aber immer noch nicht dunkel genug, und Tolmer ließ seinen kleinen Trupp in einem Dickicht versteckt, vorher selber den Platz einmal zu recognosciren.
Auf Händen und Füßen, jeden Strauch und Baumstamm benutzend, die ihn decken konnten, kroch er näher und näher zu dem Feuer, und da er auch die Vorsicht gebraucht hatte, den Wind zu beachten, im Fall sie Hunde bei sich haben sollten, kam er bald nahe genug, die sich um die Gluth her bewegenden Gestalten deutlich zu erkennen. – Es waren aber mehr als vier Männer, die sich dort gelagert hatten, denn von da aus, wo er sich befand, konnte er klar und deutlich fünf Personen unterscheiden, die bald ausgestreckt am Feuer lagen, bald aufstanden und um die Flammen herumgingen. War Mulligan doch zu ihnen gestoßen, sie zu warnen? – Aber dann wären sie keinesfalls an ihrem alten Lagerplatz geblieben, und wer konnte der Fünfte sein?
»Mit gefangen, mit gehangen,« murmelte aber Tolmer vor sich hin, und fest entschlossen, sich die schon halb im Netz sitzende Beute nicht wieder entgehen zu lassen, kroch er zu den Seinen zurück und theilte ihnen den Plan mit, den er sich in der Schnelle entworfen hatte.
Die Dämmerung ist in Australien außerordentlich kurz, und fast unmittelbar nach der sinkenden Sonne tritt auch die Nacht ein. Die Polizeileute brauchten deshalb nicht lange im Hinterhalt zu liegen, und Tolmer verließ jetzt seine genau instruirte Mannschaft, das beschlossene Wagniß auszuführen.
Er umschlich das Lager in einem weiten Bogen, bis er es zwischen sich und die Seinen brachte, ging dann noch eine Strecke in den Busch hinein, von den Buschrähndschern fort, und ließ dort den in Australien gebräuchlichen und von den Schwarzen angenommenen Waldruf: »Ku-ih! – Ku-ih!« erschallen.
Im Anfang war Alles ruhig, und Niemand antwortete ihm, endlich aber, nachdem die Buschrähndscher wahrscheinlich mit einander berathen hatten, daß Jemand, der so laut im Wald herumschrie, ihnen schwerlich gefährlich sein könne, antwortete Einer von ihnen mit dem gleichen Laut, und Tolmer brach jetzt, so viel Geräusch als irgend möglich machend, durch die Büsche dem Lagerplatz zu.
Diesen erreichte er bald und fand hier die kleine Schaar von Verbrechern, die Musketen im Anschlag, seiner harrend am Feuer.
»Holla,« redete ihn Einer von ihnen an, »was habt Ihr denn da bei Nacht und Nebel im Wald herumzuschreien?«
»Gott sei Dank,« sagte Tolmer, wie er nun den freien Platz erreichte, »da sind doch wenigstens Menschen mit einem vernünftigen Feuer. Ich glaubte schon, ich müßte die Nacht draußen allein unter einem Baume liegen bleiben. – Wie geht's mit einander?«
»Hm, gut,« antwortete der Eine von der Schaar – »aber wo kommt Ihr her?«
»Von dem Nordufer,« sagte Tolmer, auf alle Fragen vollkommen vorbereitet, »und wollte nach Cooley's Station, habe aber den Weg verfehlt und bin in den verdammten Känguruhdornen beinah umgekommen. Wie weit ist's noch bis dahin, und führt ein Weg hin?«
»Verwünscht wenig, was Ihr von einem Weg bis dahin finden werdet,« brummte ein Anderer. »Wenn Ihr nicht nach den Sternen marschirt, könnt Ihr Euch ein Jahr lang im Busch herumdrehen.«
»Wie weit habe ich wenigstens bis zum Strande?« frug Tolmer wieder, der mit raschem Blick die Schaar überflogen hatte und sich jetzt mit dem Rücken zum Feuer stellte, daß sein Gesicht nicht zu hell beleuchtet wurde. Er fühlte sich doch nicht so recht sicher, ob ihn nicht Einer oder der Andere von den Burschen kannte. Ebenso hatte er schon bemerkt, daß es nur vier Weiße und ein Schwarzer waren, den sie irgendwo aufgelesen hatten.
»Bis zum Ufer,« sagte der Erste wieder, »mag es etwa drei Miles sein, wenn Ihr in gerader Richtung ausschreiten könnt.«
»Am Strande führt ein Weg hin, nicht wahr?«
»Ja; aber Ihr seid doch nicht mitten durch die Insel gekommen?«
»Da wundert's mich, daß Ihr noch einen Fetzen Zeug auf dem Leibe habt,« sagte der Buschrähndscher, der von dem einzelnen Manne keine Gefahr fürchtete und sein Gewehr neben sich wieder an den Baum lehnte.
»Wenn Ihr nichts dagegen habt,« meinte Tolmer, indem er seinem Beispiele folgte und seine Doppelflinte ebenfalls abnahm und neben die des Burschen stellte, »so ruhe ich mich hier bei Euch erst ein wenig aus. Kann man für Geld und gute Worte einen Becher Thee und ein Stück Damper bekommen?«
»Für Geld nicht, für gute Worte ja,« sagte der Buschrähndscher, der den Gast aber noch immer aufmerksam betrachtete. »Ihr seid ein Seemann, wie?«
»Ein Stück von einem,« lachte Tolmer.
»Irgend wo ausgekniffen, he?«
»Mit französischem Urlaub, ja; von einem Handels-Schooner, der hier anlegte. Hol' der Teufel das Wergzupfen an Bord! Findet sich denn wohl einmal Gelegenheit, von hier nach dem festen Lande hinüberzukommen?«
»Möglich,« sagte der Buschrähndscher, »habe mich noch verwünscht wenig darum gekümmert.«
»Damper ist fertig,« brummte jetzt Einer der Anderen, der das Kochgeschäft besorgte. Der, mit dem Tolmer bis jetzt gesprochen, wandte sich wieder zu ihm und sagte:
»Setzt Euch zum Feuer nieder und eßt mit, was wir haben.«
»Dank' Euch,« meinte Tolmer, »werde mir das nicht zwei Mal sagen lassen. Wetter noch eins, ich habe den Rheumatismus in den Rücken gekriegt, und gräßliche Schmerzen; vielleicht daß es die Hitze wieder herauszieht. Mit Euerer Erlaubniß,« und mit den Worten kauerte er sich ohne Weiteres beim Feuer nieder, aber so, daß er demselben den Rücken zudrehte und die bei Seite gestellten Gewehre dabei im Auge behielt. Es war ihm aber auch nicht entgangen, daß der Schwarze, der etwas abseits vom Feuer saß, ein paar Mal schon aufmerksam auf irgend ein Geräusch wurde und den Kopf dann jedes Mal horchend emporhob. Glücklicher Weise nahm aber das gerade fertig gewordene Abendbrod die Aufmerksamkeit der Buschrähndscher für den Augenblick in Anspruch, und Alle setzten sich zum Feuer, den Wortführer ausgenommen, der zu dem Gewehre seines Gastes ging, es ohne viele Umstände in die Höhe nahm und genau betrachtete.
»Hm, ein hübsches Stück,« sagte er dabei, »wie seid Ihr dazu gekommen, Mate, wenn Euch die Frage nicht etwa genirt? Matrosen führen sonst nicht so leicht solche Flinten.«
»Ich habe es einmal billig von einem Franzosen gekauft,« sagte Tolmer gleichgültig, »weiß aber jetzt nicht recht, was ich damit anfangen soll, denn ich bin kein besonderer Schütze. Wenn ich das halbwegs dafür wiederbekomme, was es mich gekostet hat, schlag' ich's los.«
»Und wie viel war das?«
»Dreißig Schilling, ein Spottgeld für die Flinte, aber Geld kann man hier im Busche eher gebrauchen, wie ein Gewehr.«
»Für den Preis nehm' ich's Euch ab,« sagte der Buschrähndscher schnell, »das ist ein Handel.«
»Meinetwegen.«
»Und Ihr nehmt Noten dagegen von den Squattern in der Nachbarschaft?«
»Noten? – was ist das?«
»Nun, Anweisungen, so gut, wie baar Geld. Jeder nimmt sie Euch ab.« Er blinzte dabei seinen Cameraden hinter dem Rücken des Fremden zu, und diese lachten still und höhnisch vor sich hin. Tolmer that aber, als ob er es nicht bemerke, sondern sagte treuherzig:
»Wenn sie so gut wie baar Geld sind, wär' ich ein Narr, wenn ich was dawider hätte. Gott sei Dank, jetzt brauch' ich doch das alte Schießeisen nicht mehr mit herumzuschleppen. Heute im Busch hatt' ich zwei oder drei Mal gar nicht so übel Lust, es in das erste beste Wasserloch zu werfen.«
»Das wäre Schade drum gewesen,« meinte der Buschrähndscher, indem er die Flinte zu den übrigen lehnte und sich jetzt selber mit zum Feuer setzte. Er war vortrefflicher Laune. – »Wißt Ihr wohl, Mate,« fuhr er nach einer Weile fort, indem er sich ein großes Stück Damper und Schaffleisch auf die Kniee nahm, »daß mir Euer Gesicht verdammt bekannt vorkommt, und ich habe mir schon die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, wo ich Euch einmal gesehen haben könnte?«
»Hier noch nicht,« sagte Tolmer, ruhig von dem Damper zulangend und sich dem Feuer zukehrend. Dieses brannte jetzt ziemlich düster und der Hut, den er trug, beschattete sein Gesicht ebenfalls. »Drüben am Lande könnt's aber gewesen sein; freilich auch nicht in den letzten Jahren. Früher war ich oft drüben.«
»Das wäre möglich!« nickte Jener. »Habt Ihr Euere Passage nach Australien bezahlt?«
»Werde nicht so dumm sein,« lachte der vermeintliche Matrose. »Wo sich's die Regierung so viel kosten läßt, tüchtige Ansiedler herüber zu bekommen, soll man ihr nicht in's Handwerk pfuschen.«
»Gescheidter Gedanke, Mate, verdammt gescheidter Gedanke,« schmunzelte der Buschrähndscher; »aber was zum Henker hat denn die Schwarzhaut da zu horchen? – na, was gibt's, Schneeball?«
Tolmer's Herz schlug, daß es ihm die Brust zu zersprengen drohte. Er wußte, daß seine Leute jetzt dicht am Lager waren, und jedenfalls hatte der schwarze Bursche mit seinen viel schärferen Sinnen etwas von ihnen gehört oder gesehen.
»Me, make a light, flourbag,«[6] sagte der Eingeborene in seinem englisch sein sollenden Dialekte.
Tolmer stand langsam auf und trat zum Feuer, um es ein wenig zusammenzustoßen. Er stand jetzt nur zwei Schritte von den Gewehren.
»So? – Du hast was Weißes gesehen?« sagte der Buschrähndscher, mit den Augen der Richtung folgend, nach der der Arm des Schwarzen deutete.
»Ich werde einmal hinschießen,« sagte jetzt Tolmer, und mit den Worten drehte er sich um, griff sein Gewehr auf und spannte zugleich geräuschlos die Hähne.
»Bah, mach' keinen Unsinn, Mate,« sagte aber der Buschrähndscher, der keine Ahnung hatte, daß ihnen hier Gefahr drohen könne. »Wer weiß, was der Bursche gesehen hat.«
»Vielleicht war's ein Opossum,« meinte Tolmer.
»Möglich,« sagte der Andere, »setzt Euer Gewehr hin.«
»Habt Ihr schon gehört, wie man ein Opossum lockt?« frug Tolmer jetzt. – Er war todtenbleich geworden, denn er wußte, daß der nächste Augenblick der entscheidende sein mußte.
»Ein Opossum? – Was zum Donnerwetter hat denn nur der schwarze Bursche? Etwas muß im Winde sein,« und unwillkürlich machte er einen Schritt den Gewehren zu, während der Eingeborene seine Lanze aufgriff und scheu und vorsichtig vom Feuer zurückglitt.
»Ich will's Euch zeigen, Mate,« sagte Tolmer, und in dem Moment gellte ein schriller Pfiff durch den Wald.
»Verrath!« schrie der Buschrähndscher und sprang nach den Gewehren.
»Wer sich bewegt, ist eine Leiche!« rief Tolmer mit Donnerstimme, die eigene Waffe an den Backen reißend, und von allen Seiten sprangen die Seinen auch schon herbei, während die Buschrähndscher, förmlich überrumpelt, im ersten Schrecken nicht wußten, ob sie fliehen oder sich vertheidigen sollten.
Tolmer, so viel wie möglich unnöthiges Blutvergießen zu vermeiden, schoß nicht, und nur als der Anführer der Schaar an ihm vorbeifuhr, um seine Waffe aufzugreifen, hielt er ihm sein Bein vor und der Buschrähndscher stürzte wie im Fluge nach vorn, alle vier Gewehre mit sich zu Boden reißend. Im nächsten Augenblicke saß ihm aber schon Borris auf dem Nacken, und während diesen der Matrose unterstützte, den wüthend um sich Schlagenden zu binden und unschädlich zu machen, fanden sich die anderen drei von Bewaffneten umstellt und jede Flucht abgeschnitten. – Was auch hätten sie im Busche ohne Gewehre anfangen wollen?
Der Schwarze war gleich bei dem ersten Anprall der Polizei – vielleicht auch schon vorher – spurlos im Busche verschwunden.
Zehn Minuten später staken die Buschrähndscher in Handschellen. Es war aber zu gewagt, sie in dunkler Nacht durch den Busch zu transportiren, wo doch Einer oder der Andere Gelegenheit gefunden hätte, zu entkommen. Tolmer beschloß also, die Nacht dort mit ausgestellten Wachen im Lager zu bleiben und die Gefangenen erst am nächsten Morgen hinüber zum Schooner zu transportiren.
»Jetzt weiß ich auch, Mate, wo ich Euer blutiges Gesicht schon einmal gesehen habe,« zischte der alte Buschrähndscher durch die zusammengebissenen Zähne, als er eine Stunde später neben seinen Cameraden und unter einer Aufsicht, die jeder Flucht spottete, am Feuer lag.
»Denk's auch, Tomlins,« lachte Tolmer, »ich hatte aber gleich vom Anfange an ein besseres Gedächtniß. Weil ich jetzt keinen Bart trage, seid Ihr irr geworden.«
»Hol' Euch der Teufel,« brummte der Gefangene und warf sich auf die andere Seite.
Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch war die kleine Truppe marschfertig und erreichte etwa dritthalb Stunden später den Schooner, in dem die Gefangenen einquartiert wurden. Tolmer aber, jetzt fest entschlossen, sein Aeußerstes zu versuchen, auch den noch flüchtigen Mulligan wieder einzubringen, wollte sich doch nicht der Gefahr aussetzen, daß bei einem längeren Aufenthalte an der Insel die bisher gemachten Gefangenen vielleicht Gelegenheit fänden, ihre Freiheit wieder zu erlangen.
Derartige Menschen, mit Nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen, hatten sich schon aus schwierigeren Lagen befreit, und er befahl dem Schooner deshalb, mit zwei von seinen Leuten als Wache an Bord, ohne Weiteres wieder unter Segel zu gehen und diese kostbare Ladung erst einmal an das County-Gefängniß abzuliefern. Dann sollte er ohne Zögern wieder umkehren, sie selber abzuholen oder vor Anker zu bleiben, bis sie an Bord kämen.
Tolmer behielt, nachdem er zwei von seinen Leuten der Schoonermannschaft beigegeben, noch, mit Borris, sieben Mann und den Matrosen. Der Seemann hatte sich freilich mit auf dem Schooner einschiffen wollen, Tolmer war aber viel zu vorsichtig, das zuzugeben, denn er wußte nicht, ob er vielleicht mit ein oder dem anderen der Gefangenen schon früher Bekanntschaft gemacht hätte, und wollte sich nicht muthwillig selber einen Helfershelfer für die Schaar in das Fahrzeug setzen. Mit ihnen versprach er ihm aber freie Passage nach Adelaide, wenn er sie dahin begleiten wolle.
Nun galt es vor allen Dingen, den jetzigen Aufenthaltsort John Mulligan's herauszubekommen, und das schien viel schwerer, als es Tolmer im Anfange erwartet hatte.
Mulligan war mit allen Schlichwegen der Insel genau bekannt, und Lindsay, an den er sich wieder wandte, versicherte ihm von vornherein, daß es ein verzweifeltes und völlig nutzloses Unternehmen sei, dem kecken und verwegenen Burschen auf diese Weise nachzustellen. Er schien es dabei nicht einmal gern zu sehen, daß ihn Tolmer auf seiner Station besuchte, denn wie leicht konnte Mulligan das durch irgend einen seiner eigenen Leute erfahren und dann, in dem Glauben, der Stationshalter stecke mit der Polizei unter einer Decke, Rache an ihm nehmen.
Tolmer sah bald, daß mit dem Manne nichts anzufangen war, und doch gewöhnt fast stets auf eigene Hand zu handeln, schrak er auch vor einer solchen Aufgabe nicht zurück.
So viel schien gewiß, daß Mulligan, nachdem sie die übrige Bande glücklich überlistet, keine weiteren Begleiter mehr hatte, auf deren Hülfe er sich verlassen konnte.
In seine alte Hütte war er übrigens nicht wieder zurückgekehrt, und Tolmer, um seine beiden Wachen nicht länger dort unnütz zu verwenden, ließ das Nest in Brand stecken. Hatte der Buschrähndscher dann noch irgend etwas darin versteckt oder vergraben, so sollte es ihm wenigstens schwer werden, es wiederzufinden.
Außerdem entwarf Tolmer einen anderen Plan. Er schickte nämlich seine Mannschaft als Bündelleute vereinzelt auf alle Stationen in der Nachbarschaft, sich dort zu zerstreuen und selber auf den verschiedenen Stellen die Nachricht zu verbreiten, daß die Polizei gelandet wäre und die Buschrähndscher aufgehoben hätte. Während sie sich natürlich unter die Arbeiter mischten, erfuhren sie dann vielleicht, ob der flüchtige Verbrecher wohl irgendwo gesehen worden.
Am zweiten Tage hatten sich aber Alle wieder in der Nähe der verbrannten Hütte einzufinden, um gemeinschaftlich zu operiren.
Der Plan mochte ganz gut sein, erwies sich aber als erfolglos. Allerdings brachten die Leute von drei, vier verschiedenen Seiten die Nachricht mit, Mulligan sei dort in der Nähe gesehen worden. Die wahrscheinlichsten dieser Stellen wurden auch untersucht, doch ohne den geringsten Erfolg. Nicht einmal die Spur des Flüchtigen fand man, und es blieb jetzt außerordentlich schwer, zu sagen, ob sich der Buschrähndscher nach dem Osten oder Westen der großen Insel gewandt habe.
Borris selber war dafür, nach dem festen Lande zurückzukehren und lieber wieder hierher zu kommen, wenn Mulligan auf's Neue irgendwo einen bestimmten Aufenthalt genommen. Tolmer aber, starr wie immer den einmal gefaßten Plan im Auge, wollte davon nichts hören und gedachte einen anderen Versuch zu machen.
Er theilte seine Leute in zwei Trupps – den einen von fünf Mann unter Borris' Führung schickte er nach Osten zu und die anderen, wie den Matrosen, der sich freiwillig erboten hatte ihnen beizustehen, behielt er bei sich, um damit nach Westen hin die Insel abzusuchen. In vier Tagen spätestens sollten Alle wieder am Schooner zusammentreffen, und hatten sie den Flüchtigen dann nicht eingefangen, so wollten sie die Jagd für dies Mal aufgeben.
Borris schüttelte den Kopf zu dem ganzen Unternehmen, denn er kannte besser wie sein Vorgesetzter, das Innere der Insel und die Schwierigkeit, darin von einer Stelle zur andern zu gelangen. Tolmer aber, Feuer und Flamme für den jetzt entworfenen Plan, ließ keine Einrede gelten, und die beiden Parteien trennten sich noch an demselben Morgen.
Einem schmalen Kuhpfade folgend, wanderte Tolmer mit seinen Leuten ab, gerieth aber bald in ein so furchtbares Dickicht von jenen nichtswürdigen Känguruhdornen, von denen das ganze Innere der Insel überwuchert war, daß sie sich nur mit Mühe und Noth einen Weg seitwärts hindurch und mehr der Küste zu brechen konnten. Was sollten sie auch in einem solchen Dickicht, in dem Mulligan selber nicht fortkonnte, sich also auch wohl hüten würde es zu betreten.
Ziemlich erschöpft und ohne den ganzen Tag ein lebendes Wesen angetroffen zu haben, erreichten sie Abends einen kleinen Bach und lagerten dort, und Tolmer sah jetzt die Unmöglichkeit ein, das eigentliche Innere des Busches, wie er beabsichtigt hatte, abzusuchen. Es blieb ihm nichts übrig, als sich auf die besiedelten oder doch wenigstens zugänglichen Theile der Küste zu beschränken.
Gegen Morgen hörten sie einen Hund bellen; schon am letzten Abend hatten sie Schafspuren gefunden und es ließ sich erwarten, daß sie wenigstens nach der Richtung und in der Nähe des Trinkwassers eine Schäferhütte finden würden. Darin hatten sie sich auch nicht geirrt. Als sie nach rasch eingenommenem Frühstück dorthin aufbrachen, fanden sie mitten im Busch, aber an einer von Dornen vollkommen freien Stelle, eine kleine Rindenhütte liegen, und Tolmer ließ seine Leute noch zurück, erst selber allein den Platz zu recognosciren.
Der Schäfer war mit seiner Heerde schon vor einer Stunde ausgezogen, den Hutkeeper oder Hüttenwächter fand Tolmer aber gerade beschäftigt, die gewöhnlichen Damper zu backen, und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein.
»Holla, Mate,« sagte er nach einer Weile, als er am Feuer saß und den für ihn rasch warmgestellten Becher Thee trank, »Ihr seid ja hier außerordentlich fleißig mit Brodbacken. Da stehen, wie ich sehe, zwei große fertige Damper, hier unter der Asche liegt auch noch einer und Ihr rührt schon wieder frische an. Macht Ihr sie zum Verkauf?«
»Ja, schön zum Verkauf,« sagte der eben nicht besonders appetitlich aussehende Bursche mit einem Kernfluche, »ein prächtiger Platz wär' das hier im Busche zum Verkauf, wo man das ganze gesegnete Jahr keinen blanken Schilling zu sehen bekommt. Die Käufer, die hierher kommen, soll überhaupt der Teufel holen, sobald er Lust hat, und wenn meine Zeit um ist, will ich verbrannt werden, wenn ich nur eine Stunde länger in den blutigen Dornen sitzen bleibe.«
»Es treibt sich hier viel Gesindel im Busche herum, wie?« warf Tolmer hin.
Der Hutkeeper sah ihn mißtrauisch von der Seite an und meinte dann:
»O, Gott bewahre; es sind lauter Gentlemen und noch dazu Menschen, wie die Kinder; was sie sehen, wollen sie haben.«
»Seid Ihr kürzlich belästigt worden?« frug Tolmer, der nicht mit Unrecht glaubte, daß er von dem Hutkeeper für nichts Besseres, als eben auch für einen Buschrähndscher gehalten würde.
»Ich will Euch was sagen, Fremder,« meinte da der Bursche, indem er sich von seiner Arbeit aufrichtete und die mehlbedeckten Fäuste zur Seite von sich hielt, »es ist ein altes Gesetz, im Busche sich – das Maul nicht zu verbrennen – an heißen Blechbechern mein' ich – Ihr versteht mich schon.«
»Nichts für ungut, Freund.«
»Bitte, bemüht Euch nicht,« meinte der Hutkeeper trocken. »Es könnte sein, daß morgen Jemand käme und nach Euch früge, und dann wär's Euch auch vielleicht angenehm, wenn ich ein kurzes Gedächtniß hätte.«
Tolmer lachte. Mit der Politik derartiger Buschleute aber vollkommen vertraut, kannte er recht gut die Triebfedern, die ihn zum Schweigen brachten, und er lenkte das Gespräch auf etwas Anderes, um erst einmal herauszubekommen, mit wem er es hier zu thun habe. War es ein früherer Sträfling, dann ließ sich freilich nicht viel von ihm erwarten, doch sah er ihm zu jung dafür aus und vorsichtige Fragen konnten das bald aufklären. Tolmer hatte sich auch nicht in seinem Manne geirrt. Jim Riddle war erst vor zwei Jahren mit einem Auswandererschiffe als freier Mann nach Australien gekommen, hier sein »Glück zu machen« – nicht »Damper für alles blutige Gesindel im Busche zu backen«, wie er hinzusetzte, und schien das ganze Land schon so satt zu haben, daß er je eher je lieber wieder nach Alt-England zurückgekehrt wäre, wenn er eben gewußt hätte, womit.
Einmal darüber im Reinen nahm Tolmer keinen Anstand länger, dem Hutkeeper zu sagen, wer er selber sei und weshalb er auf die Insel gekommen wäre – diese nämlich von der Plage herumstreifenden Gesindels zu befreien. Er rief dann seine Leute herbei, die der Hutkeeper aber immer noch mißtrauisch betrachtete, denn sie sahen ihm nicht aus wie Polizei, und erst als ihm Tolmer seine Vollmacht vorlegte, die das große Regierungssiegel trug, wurde er überzeugt.
»Dann ist's recht,« sagte er, mit einem kräftigen Hiebe die rechte geballte Faust in die linke schlagend, daß der Mehlbrei überall umherspritzte, »dann hab' ich nichts dagegen, und ich gönne Euch die Gesellschaft des unheimlichen Burschen, der hier seit zwei Tagen herumkriecht, von ganzem Herzen.«
Und nun erzählte er mit einfachen und kurzen Worten, daß vorgestern ein Mann, dessen Beschreibung Tolmer keinen Zweifel ließ, Mulligan sei damit gemeint, zu ihm in die Hütte gekommen wäre, und Essen und Tabak verlangt hätte. Der Fremde trug eine Muskete und sah wild und zerfetzt genug aus. Jim Riddle gab ihm beides, um ihn nur loszuwerden. Gestern aber war er wieder gekommen, sich neuen Vorrath zu holen, und hatte ihm mit allem Möglichen gedroht, wenn er an irgend Jemand durch eine Sylbe verrathe, daß er bei ihm gewesen. Ja, noch mehr, er verlangte von dem Hutkeeper, der selber keine Waffen hatte sich zu widersetzen, daß er ihm von jetzt an, die nächsten Tage wenigstens, einen besonderen Damper backe, und ihm denselben mit Fleisch und Thee nicht weit von dort in den Busch bringe. Er mußte selber mit ihm gehen, daß er ihm die Stelle zeigen konnte.
Wahrscheinlich wollte sich der Buschrähndscher nicht wieder der Gefahr aussetzen, an eine fremde Hütte anzulaufen, in der recht gut Feinde versteckt sein konnten; wußte er ja doch jetzt, daß ihm die Polizei auf der Fährte war.
Jim Riddle hatte natürlich den verzweifelten Menschen gefürchtet, dessen Haß und Rache er sich hier nicht allein und hülflos aussetzen mochte. Mit der Polizei zum Schutz war er aber froh, solch einen lästigen Brodverzehrer los zu werden und vielleicht unschädlich gemacht zu sehen, und zeigte sich jetzt augenblicklich bereit, Tolmer zu der Stelle hinzuführen, an der er die bestimmten Lebensmittel für den Buschrähndscher verbergen sollte.
Rasch hatte er alles Nöthige zusammengepackt und wanderte jetzt mit den Polizeileuten in den Busch hinein, etwa vier- oder fünfhundert Schritt von der Hütte, wo eine kleine Lichtung lag. Es standen dort nur wenige Bäume, dicht daran grenzte aber ein Dickicht, und der Platz war in sofern vortrefflich ausgesucht, als der Flüchtling, von den Büschen gedeckt, unbemerkt herankommen und leicht übersehen konnte, ob ihm in der Nähe irgend eine Gefahr drohe.
Tolmer beschloß ohne Weiteres auf ihn zu warten, denn es war augenscheinlich, daß der Buschrähndscher hier in der Nähe keine andere Stelle hatte, an der er Nahrungsmittel zu bekommen wußte. Er ließ deshalb die Speisen so hinstellen, daß sie der Anschleichende von Weitem sehen konnte, und verbarg dann seine Leute dem Dickicht gegenüber hinter Bäumen und eingesteckten Büschen, so gut das irgend gehen wollte. Außerdem gab er ihnen bestimmte Ordre, den Flüchtling erst vollständig herauszulassen und nur im äußersten Nothfall auf ihn zu schießen, da er ihn lebendig zu fangen wünschte.
Er selbst legte sich hinter die Wurzel eines umgestürzten Gumbaumes, der Stelle gerade gegenüber, die er für den wahrscheinlichsten Wechsel des Räubers hielt, und erwartete nun geduldig dessen Nahen.
Der Hutkeeper war wieder in die Hütte zurückgeschickt, und sehr zufrieden mit der Aussicht, von einer Nachbarschaft befreit zu werden, die ihm mit der Zeit nur verderblich werden mußte.
Es mochte etwa eine Stunde vergangen sein; er hatte sein Brodbacken lange beendigt, die Laibe auf dem an der Wand stehenden Tisch aufgestellt, seine Hütte nothdürftig ein wenig ausgekehrt, und lag jetzt auf einer alten wollenen Decke behaglich ausgestreckt am Feuer, das langweilige Buschleben in Australien verwünschend, als er draußen vor der Hütte einen Schritt hörte.
»Haben sie ihn schon?« dachte er bei sich, als er rasch den Kopf der Thür zudrehte – draußen stand Jemand, aber er öffnete nicht. »Wer ist da?« rief der junge Bursche, von seiner Decke emporspringend, aber er sollte nicht lange in Zweifel gelassen werden, denn schon im nächsten Augenblick ging die Thür auf und – der Buschrähndscher stand auf der Schwelle.
»Hallo, Jim, wie geht's?« sagte der Mann, indem er einen gierigen Blick nach dem Brod hinüber warf – »habt wieder einen hübschen Vorrath eingelegt. Das ist recht – wollte nur noch einmal nachfragen, ob Ihr meinen Wunsch nicht vergessen hättet, da die Luft noch rein ist – schaute nur erst einmal durch die Ritzen, ob Ihr allein wäret.«
»Wer soll einen hier in dem blutigen Busch besuchen?« sagte der junge Bursch, der fühlte, daß er erblaßt sein mußte, und sich rasch zum Feuer niederbog, seine Bewegung zu verbergen.
»Nun,« lachte der Buschrähndscher, »gelt ich nicht als Besuch? Aber das ist brav – rückt den Theetopf zum Feuer, und laßt mich 'was Warmes haben. Ich bin so ein wenig in Eile und möchte wieder fort.«
Er war wieder zur Thür gegangen, neben der er seine Muskete an die Wand lehnte, und sah durch die Spalten derselben in's Freie.
»Doppelte Portionen?« sagte Jim, der sich indessen wieder gesammelt hatte. »Erst laßt Ihr Euch Euer Essen in den Busch tragen, weil's Euch nicht gefällig ist, es hier zu verzehren, und dann kommt Ihr auch noch hierher um eine andere Mahlzeit. Zum Henker auch, Mate, Ihr wißt doch eben so gut wie ich, daß wir hier im Busch nicht aus dem großen Sack leben, sondern vom Master unsere bestimmten Rationen bekommen, mit denen wir haushalten müssen. Sind die verzehrt, wo hernehmen und nicht stehlen?«
»Nur nicht hitzig, Mate,« sagte der Buschrähndscher, während er sich ruhig an den Tisch setzte, ein Stück von dem frischen Damper abschnitt und sich den Teller herüberzog, auf dem noch einige Scheiben kaltes Hammelfleisch lagen. »Ihr habt doch nicht heute schon das Brod hinausgeschafft?«
»Gewiß hab' ich,« sagte der Hutkeeper. »Es liegt an der Stelle, die Ihr mir gestern angegeben, und Fleisch dazu und ein Becher Thee.«
»Hm,« meinte der Buschrähndscher, mit vollen Backen dabei kauend – »das mit dem Thee ist unbequem. Da, füllt mir einmal das kleine Säckchen mit trockenem Thee – einen Becher hab' ich selbst, und will ihn mir dann lieber draußen kochen. Hier ist auch ein Beutel für Zucker, bin gerade jetzt ein wenig knapp mit Provisionen.«
»Und die Provisionen draußen?« frug Jim Riddle, der unschlüssig die ihm überreichten kleinen Leinwandsäcke in der Hand behielt.
»Die nehme ich auf dem Rückweg mit,« sagte Mulligan vollkommen kaltblütig, »macht Euch keine Sorge deshalb, Mate, gegessen wird's und ich weiß, Ihr gebt's gern, wenn Ihr auch jetzt ein verdammt albernes Gesicht dazu schneidet. Aber eilt Euch ein wenig, ich habe weder Lust noch Zeit, mich hier eine Stunde zu Euch herzusetzen.«
Jim wußte wirklich nicht gleich, was er thun sollte. Draußen lagen die Polizeileute auf der Lauer und hier saß der Bursche bei ihm in der Hütte so behaglich und daheim, als ob er der Stations-Eigenthümer wäre und nur eben einmal, auf Besuch, seine Heerden revidiren wolle. Böse durfte er ihn aber auch nicht machen, und wenn er ihm jetzt das Verlangte gab, was that's? ging er doch dann hinaus, sich die anderen Lebensmittel abzuholen, und mußte dann jedenfalls der Polizei in die Hände fallen – nachher bekam er Alles wieder. Zeit war's aber in der That, daß dem frechen Gesellen das Handwerk einmal gelegt würde.
Der Buschrähndscher blieb indessen nicht ruhig am Tische sitzen, sondern warf immer dann und wann einmal wieder einen Blick hinaus, ob die Luft noch rein sei, beendete aber nichtsdestoweniger in aller Ruhe seine Mahlzeit und erst, als Jim ihm das Verlangte in die Leinwandbeutel gegeben hatte, sagte er:
»So, dank' Euch Mate, und zum Beweis, daß ich es gut mit Euch meine, noch eine Warnung. Es sind nämlich von drüben eine Anzahl von Spionen herübergekommen, die sich hier um lauter Sachen bekümmern, die sie nichts angehen. Wenn sie hier zu Euch kommen sollten, versteht Ihr mich, so wißt Ihr nicht, daß ich auf der Welt bin. Soll ich Euch deutlicher sagen, was ich meine?«
»Dank' Euch, das thut's,« entgegnete mürrisch der junge Bursch.
»Es freut mich, daß Ihr so rasch begreift,« sagte Mulligan. »Ihr seid gefällig gegen mich gewesen, und es wäre mir unangenehm, wenn ich Euch ein Leides thun müßte. Fangen thun sie mich doch nicht, und wenn sie die Insel wieder verlassen haben, sind wir Beide immer noch zusammen.«
Er war wieder aufgestanden, steckte das Erhaltene ohne Weiteres vorn in sein Buschhemd, nahm seine Muskete auf und trat in die Thür.
»Merkwürdig schwüle Luft heute,« sagte er, indem er erst nach dem Himmel hinauf und dann auf den Hutkeeper sah. »Ihr seid auch verdammt still heute, Mate. Ich glaube beinahe, Ihr seid krank, denn Ihr seht käseweiß im Gesicht aus.«
»Ich? – mir fehlt nichts,« erwiderte der Hutkeeper, der um Alles in der Welt den Buschrähndscher nicht mochte merken lassen, was in ihm vorging.
»Ich will Euch was sagen, Mate,« bemerkte dieser nach einer kleinen Weile, in der er ihn scharf und mißtrauisch beobachtet hatte, »ein kurzer Spaziergang wird Euch gut thun. Wie wär's, wenn Ihr mich ein Stück begleitetet, nur bis dorthin, wo das Essen liegt?«
»Ich kann die Hütte nicht verlassen,« rief der junge Bursch, unwillkürlich drehte er sich aber nach dem Buschrähndscher um – hatte dieser Verdacht geschöpft?
John Mulligan fing den Blick auf und fühlte im Nu, daß hier nicht Alles in Ordnung sei. Gewohnt aber, jeder Gefahr kaltblütig zu begegnen, und neu gestärkt von der tüchtigen Mahlzeit, die er gehalten, ließ er sich nichts merken, sondern sagte nur gleichgültig:
»Ich weiß jetzt wahrhaftig gar nicht mehr, welchen Platz ich Euch für die Provisionen bestimmt hatte. Zeigt mir nur die Stelle; die Verantwortlichkeit, Euere Hütte verlassen zu haben, nehm' ich auf mich.«
»Ihr habt gut auf Euch nehmen,« brummte Jim.
»Weshalb ist es Euch denn auf einmal so fatal, mit mir zu gehen, he?« frug da der Buschrähndscher, ihn scharf fixirend.
»Fatal? – gar nicht,« sagte Jim, anscheinend gleichgültig, denn er durfte den Menschen nicht mißtrauisch machen. »Meinetwegen, wenn Euch ein Gefalle damit geschieht. Aber dann kommt auch, daß ich bald wieder zurück sein kann.«
»Erwartet Ihr Besuch?«
»Ja, den Schäfer und seinen Hund,« brummte Jim, »das ist der ganze blutige Besuch, den man hier in der Wildniß erwarten kann.« Und mit den Worten seinen alten Strohhut aufgreifend, schritt er der Thür zu, den Buschrähndscher, wie er es verlangte, zu begleiten.
Jim hatte dabei aber auch seinen eigenen Plan entworfen. Die Sache war zu einer Krisis gediehen, und in wenigen Minuten wußte der Räuber, daß er von ihm verrathen worden. Jetzt galt es deshalb, ihn unschädlich zu machen, und selber von derber Körperkraft, wenn auch John Mulligan im Einzelkampfe vielleicht nicht gewachsen, wollte er jedenfalls das Seinige dazu beitragen, ihn fest zu bekommen. Dicht neben dem Buschrähndscher schritt er deshalb hin, sobald sie den im Hinterhalte liegenden Polizeileuten nahe genug kämen, ihn zu fassen. So lange, bis er Hülfe bekam, wußte er recht gut, daß er ihn halten konnte. John Mulligan hatte aber einmal Verdacht geschöpft und war nicht so leicht überlistet. Wie sie deshalb ein Stück vom Hause fort sich dem Busche näherten, sagte er.
»Wißt Ihr was, Mate, geht Ihr voran. Ihr kennt den Weg besser.«
»Und Ihr mit dem geladenen Gewehre hinterdrein?« entgegnete der Hutkeeper, dem der Vorschlag nicht im Mindesten gefiel.
»Ich thu' Euch nichts, habt keine Angst,« lachte der Buschrähndscher, aber jetzt schon mit vorsichtig gedämpfter Stimme. »Ihr seid ja mein Freund, versteht Ihr, und bis ich nicht Beweise vom Gegentheil erhalte, habt Ihr nichts zu fürchten. – Nun? – wird's bald?«
Jim Riddle mochte sich nicht widersetzen, denn sie waren noch zu weit von Hülfe entfernt. Mürrisch steckte er deshalb die Hände in die Taschen und schlenderte voraus. Aufmerksam aber spähte er dabei überall umher, ob er noch keinen der ausgelegten Posten erkennen könne – sie mußten jetzt in deren Nähe sein.
John Mulligan gebrauchte indessen ebenfalls seine Augen, denn das ganze Benehmen seines Führers fiel ihm auf. Er konnte aber nirgends etwas Verdächtiges oder Außergewöhnliches erkennen – und doch lag einer der Polizisten jetzt kaum etwa funfzig Schritt von ihm entfernt auf dem Bauche, horchte den nahenden Schritten und wunderte sich, wer in aller Welt von der Richtung her zu ihnen kommen könne.
Jim Riddle sah jetzt den umgestürzten Gumbaum, an dessen Wurzel er den Anführer der Polizei versteckt wußte. Weiter durfte er nicht vor dem geladenen Gewehre des gefährlichen Burschen an die Fremden herangehen, denn wer wußte, ob er ihn nicht gerade aus Wuth und Rache am allerersten niedergeschossen hätte. Er blieb stehen und sich halb trotzig, halb mürrisch gegen den Buschrähndscher wendend, sagte er:
»Da, dort drüben ist der Platz; jetzt könnt Ihr ihn allein finden; überhaupt denk' ich, daß Ihr im Busche besser Bescheid wißt, wie ich.«
»Das könnte sein, mein Bursche,« flüsterte der Buschrähndscher, die Worte aber, die er sprach, selber nicht beachtend. Sein Blick hing an einem Gumbusche, der so nicht gewachsen war, wie er da halb umgefallen stand, und dicht daneben lag ein dunkler Fleck, aus dem er ebenfalls nicht klug werden konnte. So nur den Arm gegen den Hutkeeper ausstreckend, ohne sein Auge von dem verdächtigen Gegenstande abzuwenden, fuhr er fort: »Halt, bleibt einen Augenblick hier, Jimmy. Seht einmal, was ist das dort drüben, Camerad?«
Jim Riddle warf einen Blick dort hinüber. Der Buschrähndscher hatte Verdacht geschöpft, und das war vielleicht der letzte ihm gegebene Moment, den Verbrecher zu fassen und sich selbst vor seiner Rache zu schützen.
»Wo?« fragte er und trat dicht an den Räuber heran.
»Dort drü–«
Er beendete seine Worte nicht, denn Jim, im Triebe der Selbsterhaltung, warf sich auf ihn, ergriff mit der einen Hand die Muskete, mit dem anderen Arme umschlang er den von ihm Abprallenden und stieß dazu ein gellendes Hülfegeschrei aus.
Tolmer hatte indessen von da, wo er lag, die Beiden kommen sehen und ahnte leicht den Zusammenhang, war aber auch nicht im Stande, irgend etwas Anderes zu thun, als still und regungslos liegen zu bleiben. Er wußte recht gut, daß der Buschrähndscher augenblicklich einen Hinterhalt vermuthen würde, so wie er das Geringste sich bewegen sähe, und seine einzige Aussicht auf Erfolg war, ihn so nahe als irgend möglich herankommen zu lassen. Einmal erst nur an den Außenposten vorbei, und er konnte ihnen doch nicht mehr entgehen.
Der schlaue Buschrähndscher ließ sich aber nicht so leicht überlisten, und nur erst der drohende und verzweifelte Angriff des Hutkeeper's schien alle seine Vorsicht unnütz gemacht zu haben.
Bei dem Hülfeschreien desselben sprangen nämlich die versteckten Polizeisoldaten fast zugleich aus ihrem Hinterhalte in die Höhe. Tolmer selbst lief, was er laufen konnte, der Stelle zu, wo Jim Riddle sich an den Buschrähndscher angeklammert hatte und dieser ihn vergebens von seinen Füßen und auf die Erde zu bringen suchte. Dem Sträfling lag vor allen Dingen daran, sein Gewehr frei zu bekommen, und in der ersten Ueberraschung des Angriffs hatte er nicht einmal die von allen Seiten auftauchenden Feinde bemerkt. Ein einziger Blick auf die herbeispringenden Gestalten genügte aber, ihm die ganze Gefahr seiner Lage zu verrathen, und mit einem wilden Fluge den Hutkeeper mit der Faust gegen die Stirn schlagend, daß dieser halb betäubt in seinem Griffe nachließ, gelang es ihm wenigstens, sich von dem ihn umklammernden Arme für einen Augenblick frei zu machen – aber das Gewehr ließ Jim nicht los.
Wieder führte der Buschrähndscher einen wilden Hieb nach den Schläfen des jungen Burschen, der ihm hätte verderblich werden können. Jim aber verstand genug von der edeln Kunst der »Selbstvertheidigung«, den Schlag zu pariren, und rechts und links sprangen jetzt die Feinde herbei, ihm den Weg nach beiden Seiten abzuschneiden. Er mußte fliehen, und während er die Muskete losließ und Jim, der mit aller Kraft daran zog, hinten überstürzte, sprang der Buschrähndscher schräg ab den nächsten Bäumen zu, die er in wenigen Sätzen erreichte und nun zwischen sich und seinen Verfolgern behielt, um vor ihren Kugeln geschützt zu sein.
»Feuer!« schrie Tolmer, der für einen erfolgreichen Schrotschuß noch zu weit entfernt war, »Feuer!«
Die Polizeisoldaten hatten bis jetzt nicht schießen dürfen, da sie eben so leicht den Buschrähndscher, wie den Hutkeeper treffen konnten. Jetzt, da sie Beide getrennt sahen, sprangen sie zur Seite, freies Ziel auf den Flüchtigen zu bekommen, und zwei oder drei Kugeln knallten hinter ihm drein. Einmal war es, als ob er getroffen wäre. Er »zeichnete«, wie die Jäger sagen, aber es war nur ein Moment; im nächsten Augenblicke warf er sich in ein dickes Gebüsch, das ihn vollständig verbarg, und alles weitere Suchen dort nach ihm blieb erfolglos. Er war und blieb verschwunden.
Wohl hatte ihn Jim, da er ihm die Waffe entrissen, für den Augenblick unschädlich gemacht, aber wie leicht konnte sich der verwegene Mensch eine andere Flinte verschaffen, und daß er dann an dem armen Teufel von Hutkeeper Rache nehmen würde, war gewiß. Jim Riddle stand auch, wie er das Resultat erfuhr, rathlos und sich hinter dem Ohr kratzend neben dem erbeuteten Gewehr und meinte:
»Na ja, da haben wir die Geschichte, gerade wie ich's mir gedacht. Ich sollt' Euch die Kastanien aus dem Feuer holen und verbrenne mir die Pfoten dabei, und jetzt sitz' ich da und kann mich freuen. Gehangen will ich aber werden, wenn ich eine einzige blutige Stunde in dem Neste hier noch allein sitzen bleibe, daß mich der Hallunke eines Morgens an meinem eigenen Feuer über den Haufen schießt, wie ein Opossum, und entweder laßt Ihr mir Wache hier, bis Ihr ihn fest habt, oder ich bin mit von der Partie und fahre nach Adelaide hinüber.«
Jim Riddle beharrte auch auf seinem Vorsatz, und da Tolmer selbst einsah, daß es gut sein würde, die Hütte bewacht zu halten, da Mulligan, wenn sie ihn wirklich nicht fänden, recht gut hierher zurückkommen könne, sich zu rächen, so beschloß er, einen Mann hier zu lassen. Sehr erwünscht kam ihm dabei das Anerbieten des Matrosen, bei dem Hutkeeper auszuhalten, bis sie ihn wieder abholen würden. Der Seemann hatte das Herumkriechen im Busche schon lange satt bekommen und die Ruhe war ihm ganz erwünscht. Durch das Gewehr des Buschrähndschers waren sie auch bewaffnet; Tolmer ließ ihnen Pulver und Blei dazu da und ging dann mit seinem kleinen Trupp ernstlich daran, die Verfolgung des Flüchtlings mit allen Kräften aufzunehmen.
Eine Strecke konnten sie ihn dort, wo er in die Dornen hineingebrochen war, spüren und an den grünen Stachelblättern fanden sie sogar an zwei Stellen ein paar Tropfen Blut, aber nichts weiter. So wie er den mehr offenen Wald erreicht hatte, war auf dem harten Boden kein Eindruck mehr zu erkennen und vergebens suchten sie den Busch bis zur völligen Dunkelheit nach allen Richtungen hin ab.
Todesmüde lagerte die kleine Schaar endlich an einem Wasserloche, das sie mitten in einem Dickicht fanden, und zehrte von den mitgebrachten Provisionen, am nächsten Morgen die Jagd von Neuem aufzunehmen. Aber auch der nächste Tag brachte kein besseres Resultat und Tolmer behielt jetzt nur die Hoffnung, daß sie den Buschrähndscher vielleicht dem anderen Trupp unter Borris in die Hände trieben. Mulligan konnte natürlich nicht wissen, daß er zwei Parteien auf seinen Fersen habe.
Die Leute bekamen den entsetzlichen Busch an dem Tage herzlich satt und Einer oder der Andere versuchte schon die Andeutung, daß der Schooner wahrscheinlich jetzt von Adelaide zurück sein und auf sie warten würde. Tolmer blieb aber unerbittlich und wollte von dem Schooner und einem Aufgeben seines Planes nichts wissen.
Am dritten Tage Morgens passirten sie, einem kleinen Buschpfade folgend, der nach der Küste zuführte, wieder ein Wasserloch, und hier fanden sie die ersten Spuren des flüchtigen Sträflings wieder. Er hatte dort getrunken. Deutlich konnten sie am Rande der Pfütze die Eindrücke seiner Kniee und Hände erkennen, und dicht daneben lag ein kleiner blutbenetzter baumwollener Lappen. Er war also jedenfalls, wenn auch nur leicht, von einer der ihm nachgesandten Kugeln verwundet worden, und wenn sie ihn jetzt ohne Gewehr wieder antrafen, konnte er ihnen kaum mehr entgehen.
So sehr sie das ermuthigte, in ihren Nachforschungen nicht zu ermatten, so sehr fühlte sich Tolmer selber bald gehindert, die Verfolgung mit dem alten Eifer fortzusetzen. Er hatte nämlich am Morgen in einen scharfen Dorn getreten, und wenn er es auch im Anfange nicht besonders achtete, verschlimmerte sich die Wunde durch die Anstrengung und den Staub mit jeder Stunde dermaßen, daß er zuletzt kaum noch von der Stelle konnte.
In dem Pfade, den sie jetzt verfolgten, hatten sie noch mehrmals des Buschrähndschers Fußspur gefunden, und Tolmer hinkte, auf den Arm eines seiner Leute gestützt, mit, so gut er konnte, bis sie endlich in Sicht der Küste kamen und hier eine kleine, ordentlich von Stämmen hergerichtete Hütte, eine Art Blockhaus, fanden. Sie war allerdings nicht bewohnt; Tolmer konnte aber nicht mehr weiter, und wie er von seinen danach ausgeschickten Leuten hörte, daß Mulligan's Spur hier und da im Sande zu erkennen sei und der Sträfling sich jedenfalls, um den bösen Dornen des Inneren zu entgehen, hierher gewandt habe, seine Flucht desto rascher nach einem entfernteren Theile der Insel fortsetzen zu können, beschloß er, hier ein paar Stunden zu rasten und seine Leute allein nach ihm auszuschicken.
Hatten sie bis Nachmittag um drei Uhr nichts weiter von ihm gefunden, so sollte Einer von ihnen dem Strande folgen, um Borris und die Uebrigen anzutreffen und herbeizuholen, und die Anderen zu ihm zurückkehren.
Die Leute wollten Tolmer mit dem bösen Fuße nicht allein lassen, er schickte sie aber fort. Wasser floß in der Nähe und er konnte die Zeit dann benutzen, seinen Fuß ordentlich auszuwaschen und zu verbinden. – Er hatte sich aber zu viel zugemuthet. Als er in die Hütte trat und seine Decke dort auf ein leeres Bettgestell warf, überkam ihn eine ganz ungewohnte Schwäche; der Kopf schwindelte ihm und er behielt eben noch Zeit, seine Flinte an die Wand zu lehnen und sich auf der Decke auszustrecken – dann vergingen ihm die Sinne und er fiel in einen bewußtlosen Zustand, der mehrere Stunden gedauert haben mußte.
Wie er wieder zu sich kam, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und er ging jetzt ernstlich daran, nach seinem Fuß zu sehen und ihn zu verbinden. Dann wollte er sich einen Becher Thee kochen, aber er fühlte sich noch zu matt, legte sich deshalb wieder auf das Lager und sah träumend zu dem Dach der Hütte hinauf, bis ihm die Augenlider zusanken und er in einen leichten, stärkenden Schlaf fiel. Bei seinem Erwachen stand ihm eine Ueberraschung bevor.
Es war ihm, als ob er seinen Namen aussprechen höre, und wie er, die Augen halb geöffnet, unwillkürlich und ohne den Kopf zu wenden, einen Blick nach der Thür warf, erkannte er dort die Gestalt eines Mannes, die den Eingang verdunkelte.
Das Herz hörte ihm auf zu schlagen, aber der nächste Augenblick rief ihn auch schon wieder zu voller Thätigkeit.
»Mr. Tolmer,« sagte die Stimme, und während er sich jetzt ganz langsam, keinen Schreck zu verrathen, emporrichtete, sah er den Buschrähndscher John Mulligan in der Thür stehen, seine eigene scharf geladene Doppelflinte in der Hand, die Hähne gespannt und die Läufe auf ihn gerichtet. Er hatte leichtsinniger Weise, als er sich wieder auf's Bett warf, die Waffe neben der Thür stehen lassen, und sein Leben war in diesem Augenblick in den Händen des Verbrechers und hing an dem Druck seines Zeigefingers.
»So, Mulligan,« sagte Tolmer, mit voller Geistesgegenwart die Gefahr überschauend, in der er sich befand, indem er die Beine von dem Bettgestell herunterließ, ohne jedoch aufzustehen – »haben wir Euch endlich? Den langen Marsch im Busch hättet Ihr Euch und uns ersparen können, denn das Ihr nicht fortkämt, sobald wir nur erst einmal auf Eurer warmen Fährte waren, mußtet Ihr wissen.«
»Ihr habt mich?« sagte der Flüchtling, indem ein hämisches Lächeln über seine bleichen Züge flog, »wäre nicht übel. Ihr seid in meiner Gewalt, Tolmer, und was hindert mich, mit einem Fingerdruck Euch Alles abzuzahlen, was Ihr mir schon in diesem Leben angethan?«
»Die Furcht vor dem Galgen, Mulligan,« sagte Tolmer, ohne eine Miene zu verziehen, »obgleich Ihr dem doch schwerlich entlaufen werdet. Aber habt Ihr mich wirklich für so blödsinnig gehalten, Euch ein geladenes Gewehr dort an die Thür zu stellen, und mich in die andere Ecke auf's Bett zu legen? Die List war plump genug, aber sie ist doch geglückt.«
»Was meint Ihr damit?« rief der Buschrähndscher, das Gewehr fester packend und einen scheuen Blick zurück über die Schulter werfend.
»Was ich damit meine?« sagte Tolmer ruhig, indem er ein Bein über das andere legte, »daß Ihr umstellt seid, und ich hier nur auf dieser Pfeife einen einzigen Pfiff zu thun brauche, um meine neun Mann da zu haben. Fort könnt Ihr nicht mehr. Herein haben sie Euch gelassen, hinaus kommt Ihr nicht, und ich hatte mich doch nicht geirrt, als ich mir dachte, Ihr würdet der Lockung nicht widerstehen können, ein Gewehr auf einen schlafenden Menschen anzulegen.«
»Mr. Tolmer,« sagte Mulligan finster, »Ihr werdet Euch erinnern, daß ich Euch geweckt habe. Es lag in meiner Macht, Euch eine Kugel durch's Hirn zu schießen.«
»Aus dem leeren Gewehr?« lachte Tolmer. »Es stecken nur Zündhütchen darauf, daß es besser aussieht. Aber hört mich, Mulligan,« fuhr er plötzlich, als der Buschrähndscher das Gewehr mißtrauisch betrachtete und nicht übel Lust zu haben schien, den Ladestock herauszuziehen, ernster und mit einem mehr theilnehmenden Ton fort: »Noch sind wir unter uns. So viel ich weiß, ist Euch bis jetzt kein ernsteres Vergehen zur Last gelegt worden, als die gelegentliche Erpressung von Provisionen, die mit der Noth entschuldigt werden kann. Ihr habt noch kein Blut vergossen, und wenn auch wieder eingefangen als Buschrähndscher, steht Eure Sache noch immer nicht so schlimm. Ein oder zwei Jahr geschärfte Ueberwachung ist wahrscheinlich die Strafe, die Ihr bekommen werdet, und ich werde Euch durch meine Aussagen nicht tiefer hineinreiten. Stellt einmal das Gewehr an die Wand; ich mag nicht mit Euch reden, so lange Ihr eine Flinte in der Hand habt, wenn sie auch nicht geladen ist.«
Mulligan sah ihn an und zögerte.
»Soll ich das Zeichen geben?« frug Tolmer, »daß meine Leute Euch mit der Waffe in der Hand ertappen?«
»Sie haben Recht, Mr. Tolmer,« sagte der Mann, dem die Ruhe des Polizeioffiziers imponirte. Der, den er vor wenigen Minuten noch in seiner Gewalt geglaubt, mußte wirklich Hülfe in seiner unmittelbaren Nähe haben, er wäre sonst wenigstens vor seinem Erscheinen erschreckt, oder hätte sich in anderer Weise verrathen – und mit den Worten lehnte er das Gewehr an die Wand, Tolmer aber brachte jetzt seine Hand langsam unter den Rock, der Brusttasche zu, wo er ein geladenes Pistol stecken hatte. Jetzt fühlte er sich sicher, denn er war im Stande, dieses zu ziehen und abzudrücken, ehe der Buschrähndscher das Gewehr wieder aufgreifen konnte.
»So – ich sehe, Ihr seid vernünftig,« sagte er ruhig, ohne jedoch die Waffe hervorzuziehen oder im Mindesten zu verrathen, daß er sich nicht vollkommen sicher fühle, »aber Ihr seht bleich und elend aus, Mulligan. War denn das nun der Mühe werth, daß Ihr Eurer Strafe entsprangt, nur um ein solches Hundeleben im Busch zu führen?«
»Es ist ein Hundeleben,« knirschte der Mann leise vor sich hin, »und ein Hund möcht's nicht länger führen. Gehetzt wie ein Dingo,[7] von den Cameraden verrathen, fortwährend nur auf der Wacht, das elende Leben in Sicherheit zu bringen. Ich will's auch nicht länger führen; nehmen Sie mich mit nach der Colonie hinüber; Mr. Tolmer. Ich habe das wilde Treiben satt und übersatt.«
»Jetzt sprecht Ihr wie ein vernünftiger Mensch,« sagte Tolmer, von seinem Bett aufstehend. Er vergaß fast, daß er einen wunden Fuß hatte, in solcher Aufregung befand er sich, sein Gewehr nur erst wieder einmal in Händen zu haben. Wer stand ihm dafür, daß den Buschrähndscher nicht in der nächsten Minute schon seine Unterwerfung gereute? »Ihr sollt auch unterwegs ordentlich behandelt werden – wenn Ihr mir nämlich versprecht, Euch auch ordentlich zu betragen.«
Er ging dicht zu ihm heran und stand jetzt neben seiner Waffe, ohne sie aber zu berühren. Zeigte er auch nur die geringste Furcht, so wußte er, daß der Mann, mit dem er es hier zu thun hatte, seinen Vortheil rasch genug benutzen würde. Außerdem konnte er nicht einmal hart auf seinen Fuß auftreten, und wäre deshalb in einem Handgemenge augenblicklich unterlegen. Nicht ein Laut rührte sich draußen; seine Leute waren vielleicht noch meilenweit entfernt.
»Aber die – Anderen sind noch draußen im Busch,« sagte der Sträfling endlich nach einigem Zögern.
»Keiner mehr, Mulligan,« erwiderte Tolmer ruhig, »wir haben sie Alle.«
»Alle?« rief Mulligan erstaunt aus.
»Alle mit einander – d. h. fünf und den Matrosen, der noch bei Euch war – ich weiß nicht, ob noch mehr im Busch herum liegen.«
»Nicht mehr wie die,« sagte kopfschüttelnd der Sträfling, »es müßten denn ganz kürzlich frische herüber gekommen sein, die ich noch nicht gesehen hätte.«
»Also habt Ihr mir weiter nichts zu sagen,« frug jetzt Tolmer, indem er die Pfeife in die Hand nahm, als ob er das Zeichen geben wolle, »und kann ich meine Leute jetzt rufen?«
»Nichts weiter, Mr. Tolmer,« sagte Mulligan fast demüthig, »aber Sie werden mir bezeugen, daß ich nicht das geringste Böse gegen Sie im Sinne gehabt.«
»Darauf gebe ich Euch mein Wort,« versprach ihm der Polizeimann, indem er jetzt langsam den Arm nach dem Gewehr ausstreckte und es an sich nahm. Ein Blick auf das Schloß versicherte ihn, daß die Zündhütchen noch darauf und zum Gebrauch bereit seien, und jetzt erst, als er ein paar Schritte von dem Flüchtling sich entfernte und das Gewehr gegen ihn hielt, war es, als ob eine Centnerlast von seinem Herzen gewälzt wäre. Er holte aus voller Brust Athem und sagte dann, während ihn Mulligan erstaunt betrachtete:
»Jetzt seid so gut, Mate, und geht einmal dort in die Ecke des Hauses – dort hinüber, meine ich, ein Stück von der Thür fort.«
Der Buschrähndscher zögerte – eine Ahnung, daß er sich habe überlisten lassen, schien in ihm aufzusteigen.
»Geht dort in die Ecke, John,« sagte Tolmer, aber mit fester Stimme, »ich möchte Euch nicht gern ein Leides thun, aber ich muß es, wenn Ihr die geringste Bewegung zur Flucht oder zum Widerstande macht.«
»Teufel,« zischte der Buschrähndscher leise vor sich hin, »so war das Alles nicht wahr, was Ihr mir da gesagt?«
»Kein Wort davon, John,« lachte Tolmer, das Gewehr fest dabei im Anschlag, »nur das Versprechen, das ich Euch gegeben, halt' ich. Was ich zu Eueren Gunsten aussagen kann, soll geschehen.«
»Und Ihre Leute?«
»Suchen Euch draußen am Strande oder in den Känguruhdornen, Gott weiß, wo – aber sie kommen hierher zurück, und bis dahin muß ich freilich Posten bei Euch stehen.«
Der Buschrähndscher drehte sich ab, ging in die Ecke, setzte sich auf den Boden nieder und drückte sein Gesicht in Scham und Ingrimm auf die Kniee.
Tolmer dauerte der arme Teufel, und er sagte freundlich:
»Seid guten Muthes, John, die Sache kann noch besser werden, wie Ihr jetzt glaubt. Wenn Ihr Euch vollkommen ruhig verhaltet, bis meine Leute kommen, und nicht den geringsten Widerstand leistet, will ich annehmen, daß Ihr Alles gewußt und Euch mir freiwillig gestellt habt. Ihr werdet verstehen, daß Euch das beim Gouverneur hoch angerechnet würde.«
»Und wollten Sie das wirklich thun, Mr. Tolmer?« sagte Mulligan, rasch den Kopf hebend.
»Ich habe es Euch freiwillig zugesagt.«
»Dank Ihnen, Sir,« sagte der Mann aus vollem Herzen, »Menschenkräfte hätten's auch nicht länger ausgehalten. Seit zwei Tagen habe ich keinen Bissen, einen Trunk Wasser ausgenommen, über die Lippen gebracht, und mit einem Streifschuß an der Schulter, gestern den ganzen Tag im Wundfieber durch die Dornen brechen müssen. Das Gefängniß selber ist eine Wohlthat gegen ein solches Dasein.«
»Aber warum habt Ihr Euch nicht lange wieder gestellt?«
»Die Freiheit,« stöhnte der Mann, »die Freiheit! Ihr, die Ihr da draußen noch nie hinter den Eisenstäben gesessen, noch nie gehört habt, wie es klingt, wenn die Riegel hinter Einem zugeschoben werden, wißt gar nicht, was es ist, ein freier Mensch zu sein.«
Er sank mit den Worten wieder in seine frühere Stellung zurück, und Tolmer, der sich jetzt ziemlich sicher fühlte, daß er für den Augenblick keinen weiteren Fluchtversuch von seinem Gefangenen zu fürchten habe, ging an das Bettgestell, nahm das Brod und Fleisch, das er noch dort liegen hatte, und brachte es Mulligan.
Im Anfang wollte er es nicht anrühren; aber nicht lange konnte er es neben sich liegen sehen. Sein kräftiger und jetzt bis zum Tod erschöpfter Körper forderte Nahrung, und wie er nur einmal den ersten Bissen gekostet, schlang er das Uebrige rasch und gierig hinunter.
Eine volle Stunde mußte Tolmer noch warten, ehe die Seinen von ihrem natürlich erfolglosen Streifzug zurückkehrten. Sie hatten aber dabei ihre übrigen Gefährten getroffen, die eben im Begriff gewesen waren, den Schooner, als den ihnen von Tolmer selber bezeichneten Sammelplatz, wieder aufzusuchen.
Borris war übrigens nicht wenig erstaunt, John Mulligan in Tolmer's Gesellschaft zu finden, und das Unwahrscheinlichste von Allem war ihm, daß sich der Buschrähndscher freiwillig gestellt haben sollte. Tolmer aber erklärte es in Mulligan's Gegenwart, und als er noch die Wunde des Gefangenen hatte sehen lassen und indessen von der nächsten Station ein Pferd für ihn selber herbeigeholt war, denn mit seinem wunden Fuß hätte er die Strecke nicht mehr marschiren können, setzte sich der kleine Zug in Bewegung.
Ein nach Jim Riddle's Hütte geschickter Bote holte indessen den Matrosen von dort ab, brachte aber auch Jim mit, der sich selber überzeugen wollte, ob sein »Freund«, der Buschrähndscher, wirklich in sicherem Gewahrsam sei und ihm keinen unverhofften Besuch mehr abstatten könne. Nur unter dieser Bedingung wollte er länger auf Känguruh-Eiland bleiben.
Gerade der Stelle gegenüber, wo der Schooner, der Polizeimannschaft harrend, vor Anker lag, stieg Tolmer vom Pferde. Sie hatten das Zeichen gegeben, daß das Boot herüber kommen solle, sie abzuholen, und Tolmer, der noch die alten Schüsse in seinem Gewehr stecken hatte, wollte diese herausschießen, es frisch zu laden. Er trat einem dickstämmigen Gumbaum gegenüber – John Mulligan, von vier Polizeileuten bewacht, stand neben ihm – zielte bedächtig und drückte ab. Klapp, versagte das rechte – klapp, das linke Rohr.
Tolmer drehte sich langsam nach John Mulligan um, und Beider Blicke begegneten sich, aber Keiner von ihnen sprach ein Wort. Der Polizeisergeant setzte ruhig frische Zündhütchen auf, drehte sich wieder dem Baume zu und feuerte beide Rohre scharf hintereinander in den alten Gumstamm hinein, daß die Rehposten klappernd darauf schlugen.
Eine Stunde später hatte der Schooner seine sämmtlichen Passagiere an Bord; der Anker wurde gelichtet, und das kleine Fahrzeug segelte mit günstigem Winde nach dem nicht fernen australischen Continent hinüber.
In Lyndock Valley, nördlich von Adelaide, arbeitete ein Gang von Sträflingen in Ketten.
Rechts an der Straße, wenn man dem damals noch wenig begangenen Weg von Adelaide aus folgte, stand ein hoher Pallisadenzaun, fest eingerammt mit scharfen Spitzen und oben noch mit drohend umgeschlagenen Nägeln verwahrt, über den nur hie und da einzelne aus unbehauenen Steinen zusammengesetzte Schornsteine emporragten. Diese gehörten zu gewöhnlichen Rindenhütten, in denen die Deportirten, wenn sie ihr Tagwerk vollbracht und Abends ihr Mahl gekocht und verzehrt hatten, Nachts unter strenger Wacht gehalten wurden, bis sie die Sonne zu neuer Arbeit rief.
Es war das eine Abtheilung von Leuten, die unter verschärfter Strafe stand. Theils hatten sie sich Widersetzlichkeit, theils andere Vergehen zu Schulden kommen lassen, theils waren sie sogar entwichen und wieder eingefangen worden, und die Letzteren besonders büßten ihr Verlangen nach Freiheit durch massive Ketten, an denen sie schwere Kugeln bei jedem Schritt nachschleppen mußten.
Wüstes verwildertes Volk waren die Meisten; in Sünden und Verbrechen aufgewachsen und seit ihrer Strafzeit noch außerdem dem Abschaum der Menschheit beigesellt, in dem sie sich auch nur wohl und behaglich fühlen konnten. Jetzt freilich war der alte Trotz gebrochen und so zügelloser, gotteslästerlicher und obscöner Sprache sie sich auch untereinander bedienen mochten, sobald ihnen Einer der Wächter nahe kam, krochen sie scheu in sich zusammen, und ließen ihren Grimm höchstens an dem harten Erdboden aus, den sie mit Schaufel und Spitzhacke angreifen und ebnen mußten.
Und wahrlich sie wußten, daß sie ihren Wächtern keine Ursache zu Strafe geben durften, denn erbarmungslos wäre die Peitsche auf ihre Rücken herabgekommen, bis ihnen das blutige Fleisch in Streifen niederhing. Wenig genug Rücksicht wurde in jener Zeit schon auf die Deportirten überhaupt genommen, mit was sie sich auch im alten Vaterland vergangen haben mochten. Wehe aber den Unglücklichen, die unter verschärfter Strafe standen, denn diese waren der Willkür ihrer rohen Wächter vollständig preisgegeben und nur in höchst seltenen Fällen drang eine Klage zu höheren Beamten durch, irgend eine ungerecht vollzogene Strafe zu untersuchen.
Solche Strafgänger wurden dabei (und waren es auch eigentlich meist) als zum Tod verurtheilte und nur halb begnadigte Verbrecher betrachtet. Der Tod drohte ihnen noch aus jedem Gewehrlauf der Wachen, die sie umstellten, denn diese hatten ausgedehnte Vollmacht, bei der geringsten verdächtigen Bewegung Eines der Gefangenen, von ihren Feuerwaffen beliebigen Gebrauch zu machen.
Dabei trug fast jedes Vergehen, was sie sich jetzt wieder zu Schulden kommen ließen, verschärfte und doppelt verschärfte Strafen, und auf Widersetzlichkeit gegen die Wächter oder erneute Flucht stand der Tod.
Daß sie aber auch gar nicht an erneute Flucht denken durften, dafür sorgte schon die vortrefflich eingerichtete und bewaffnete Polizeimannschaft, die mit der blanken und scharfgeschliffenen Wehr an der Seite, die mit Ketten beladenen Verbrecher schon im Zaum halten konnten. Nachts blieb dazu der ganze, mit festen Pallisaden eingeschlossene Platz, während die einzelnen Trupps wieder ihre besonderen Wächter hatten, von Militair umstellt und Flucht war von dort mit einem Wort unmöglich.
Unter den Gefangenen befand sich Einer, der sich nicht allein durch seine reinlicher gehaltene Kleidung, sondern auch durch sein ganzes Benehmen vor den Uebrigen auszeichnete.
Es war ein muskulös gebauter kräftiger und breitschultriger Gesell, der sich aber nicht so hatte gehen lassen wie die Uebrigen, und wohl den Stempel der Sünde, doch nicht den der Gemeinheit auf seiner Stirn trug. In seinem ganzen Wesen hatte er überhaupt etwas, das für ihn interessirte, denn es schien fast, als ob er nicht in diese traurige Umgebung, in der er sich befand, gehöre. Möglich vielleicht, daß dazu gerade diese traurige Umgebung die Schuld trug, aus der er sich, so viel dies anging, zurückzog. Man sagt ja: im Lande der Blinden ist der Einäugige König, und es bedurfte hier allerdings nur einer sehr geringen Anstrengung, sich über diese Masse emporzuarbeiten.
Selbst aber durch solche geringe Anstrengung fühlte sich diese Masse beleidigt, die nun einmal Keinem von ihr gestatten wollte, daß er sich aus dem allgemeinen Schlamm erhob. John Mulligan, der durch Tolmers Fürsprache seine Strafe so hatte gemildert erhalten, daß er dieser Abtheilung nur auf ein Jahr eingereiht war, hieß deshalb auch sehr bald gar nicht anders wie »der Gentleman«, oder auch »Gentleman John«, der sich sogar den Haß einer großen Zahl der Gefangenen zuzog, weil er an einem trotz aller Gefahren verabredeten Fluchtversuch nicht Theil nehmen wollte.
Allerdings hatte er damals den Kameraden vorgestellt, daß sie auf solche Art gar nicht entkommen könnten und ihr Loos nur dadurch, ohne das Geringste zu erreichen, verschlimmern würden. Sie nannten ihn dafür einen feigen Patron, der keinen Muth mehr habe, etwas für seine Freiheit zu wagen und fanden noch in derselben Nacht, daß »Gentleman John« vollkommen Recht gehabt.
Ihr Plan wurde nämlich vereitelt ehe sie nur einmal die Ausführung ordentlich begonnen hatten. Drei fielen dabei durch die Schüsse der Wachen, zwei Andere wurden schwer verwundet und diese Beiden, mit einem sechsten, der sich betheiligte, vierzehn Tage später gehangen – als Beispiel den Uebrigen.
So verging wieder ein Monat, und John Mulligan, der nur selten mit irgend Einem seiner Kameraden Verkehr hielt, weil er keinen von ihnen kannte, arbeitete fleißiger wie je, betrug sich dabei bescheiden gegen die Wächter und war, mit einem Worte, das Muster eines Kettengefangenen, den man den Uebrigen fortwährend als Beispiel ausstellte. – Aber hätten sie nur sein Herz sehen, nur die Gedanken lesen können, die Tag und Nacht in seinem Hirne brannten, und ihn fast zur Verzweiflung trieben.
Freiheit! – Freiheit! das war das einzige Gefühl, das ihn noch am Leben hielt, das ihm Herz und Seele erfüllte, und wenn er nicht schon lange einen Versuch gemacht hatte, dies höchste Gut wieder zu erringen, trug die Schuld nur seine Vorsicht und Schlauheit, die nicht zugab, daß er sich in ein nur halbweg unsicheres Unternehmen einließ. Er wußte, welche Strafe seiner diesmal wartete, sobald es mißlang, und selbst der Gefahr durfte er sich nicht aussetzen.
Dadurch übrigens, daß er mit fast allen seinen Mitgefangenen verfeindet war, gewann er sich mehr und mehr das Vertrauen der Aufseher und es geschah jetzt schon gar nicht selten, daß John Mulligan da oder dort die Aufsicht über die Arbeit irgend einer kleinen Abtheilung der Kameraden übergeben wurde. Allerdings trug er deshalb nicht leichter an der Kette und Kugel, und war eben so wie alle Anderen von den scharfgeladenen Gewehren der Wache bedroht, aber es zeigte doch, daß die Wächter sein Bestreben sich gut zu betragen, anerkannten, während es die Mitgefangenen nur noch immer mehr von ihm entfernte.
Natürlich spotteten diese über ihn. »Gentleman John«, hieß es, »wird nächstens eine blaue Jacke mit blanken Knöpfen bekommen, und »lieb Kind« beim Lieutenant werden. Zum Teufel mit dem Schuft, und uns hat er vorgelogen, daß er auf Känguruh-Eiland der Anführer einer ganzen Bande Buschrähndscher gewesen wäre.«
John Mulligan hörte es, und achtete nicht darauf.
Nur ein Einziger von Allen schien sich mit John befreundet zu halten, und das war ein Irländer, dessen brennendrothe Haare ihm den Beinamen Rothkopf verschafft hatten. Ueberhaupt wurde fast keiner der Sträflinge von den Mitgefangenen bei seinem wirklichen Namen genannt, weil sich sonst Niemand aus den ewigen Jacks und Johns und Jims herausgefunden hätte.
Rothkopf aß mit Gentleman John aus einer Schüssel, und so häufig ihn sonst die Peitsche der Wächter, besonders seiner bösen Zunge wegen, getroffen, so war jetzt, seit er mit John Mulligan näher befreundet worden, eine auffallende Besserung bei ihm eingetreten.
Natürlich schrieben die Beamten das einzig und allein dem wohlthätigen Einfluß zu, den John auf ihn ausgeübt, und dieser stieg dadurch nur noch mehr in ihrer Achtung.
Das ging eine Weile so fort, bis der Oberwächter, unter dessen Aufsicht sie bis jetzt gestanden, abberufen wurde, irgend eine andere Stellung auszufüllen. An seiner Statt trat ein Schotte ein, der, von einem andern Gang hierher versetzt, die Ueberzeugung mitbrachte, an Kettengefangenen sei jedes Wort verschwendet, und man thue am Besten, sich, wie bei eingeschirrten Stieren, nur durch die Peitsche mit ihnen zu unterhalten.
John Mulligan oder Gentleman John, wie er jetzt allgemein hieß, arbeitete heute mit Rothkopf zusammen an einem mächtigen Stringybarkbaum, der mitten in dem ausgesteckten Weg stand, und deshalb ausgerodet werden sollte. Sechs oder acht ihrer Kameraden mühten sich ein kleines Stück weiter unten mit Brecheisen ab, einen riesigen Felsblock von der Stelle zu rücken, den sie in der halben Zeit mit Pulver hätten sprengen und aufräumen können.
Um sie her, mit geladenen Gewehren, standen die dazu bestimmten Polizeisoldaten, und der neue Oberwächter, statt des Spazierstocks eine tüchtige Knute von ungegerbtem Leder in der Hand, ging von Gruppe zu Gruppe, um die Lässigen nur durch seine Gegenwart schon zu äußerster Anstrengung anzutreiben.
In diesem Augenblick stand er bei denen, die an dem Stein wühlten, nichts destoweniger den Blick nach allen Seiten werfend.
»Du, John, ich halte es jetzt nicht länger aus. Deinem Zureden nach hab' ich mich gestellt, als ob ich unterduckte, und von Tag zu Tag hast Du mir versprochen, daß wir ausbrechen sollten. Ich habe immer noch auf Dich gewartet, nun ist's aber vorbei, denn mit dem neuen cove als Wächter und Einpeitscher will ich verdammt sein, wenn ich mich länger halten lasse. Sie sollen mich meinetwegen todtschießen oder hängen, wenn die Sache schief geht, aber für jeden gesegneten Tag todtgeschossen und gehangen zu werden, das ist mehr, als Menschennatur ertragen kann.«
»Hast Du Dich unter Deinem Fußring etwas wund gerieben, wie ich Dir's gestern Abend sagte?« frug John vorsichtig.
»Das hab ich, aber was soll das nützen?« lautete die mürrische Gegenfrage. »Zum Henker auch, wenn Du glaubst, daß sie dadurch Mitleid für Einen fühlen, so bist Du verdammt auf dem Holzweg.«
»So wie wir den Baum hier umgeworfen haben,« fuhr aber John ruhig fort, denn der Wächter wandte sich jetzt und kam auf sie zu, »so werden wir oben auf den Hügelkamm geschickt. Dort fang an zu hinken und zu winseln, und thu', als ob Du große Schmerzen hättest; das Weitere überlaß mir. Ich will schon dafür sorgen, daß Dir der Ring abgenommen wird.«
»Aber Deine Kette?« sagte Rothkopf erstaunt – »willst Du nicht mit?«
»Es ist ein Hundeleben im Busch,« knirrschte John vor sich hin, »und ich kenne es leider schon zu gut, aber – den Teufel auch – es ist doch Freiheit, und diesmal sollen sie mich nicht überlisten wie das letze Mal, wo ich ein Esel war und meine Strafe verdiente.«
»Und Du gehst also mit?«
»Mein Ring ist durchgefeilt,« sagte John rasch, »der geringste Schlag mit einem Stein darauf, und ich bin frei.«
»Aber die verfluchten Musketen.«
»Vor denen müssen wir uns schon sichern – aber jetzt still – da kommt unser Aufseher!« und mit wuchtigen Schlägen hieb er die Axt in die ziemlich weichen Wurzeln des schon fast unterminirten und vom Boden losgetrennten Gumbaums ein, daß dieser bis zum Gipfel hinauf erzitterte.
»Ihr trödelt hier auch eine Ewigkeit mit der Stange,« sagte der Aufseher, der eben zu ihnen trat. »Zwei baumstarke Kerle und einen ganzen Vormittag an einem solchen »Schößling« herum zu spielen. Ich glaube, ich habe mit meiner Lederhacke gefehlt, Euch ein wenig dabei zu helfen. Nun – wird's bald?«
»Ay, Ay, Sir,« sagte John demüthig, indem er aus Leibeskräften auf die Wurzeln einschlug. Rothkopf unterstützte ihn dabei nach Kräften, und es dauerte nicht lange, so neigte sich der Wipfel des riesigen Baumes – erst langsam, dann immer schneller, bis er zuletzt mit einem gewaltigen Schlage, seine ganzen Aeste fast dabei in Stücken schmetternd, zu Boden krachte.
»So – nun rasch das Holz aus dem Wege,« befahl der Aufseher, »dann die Zacken noch weggeschlagen; ich werde gleich zwei Andere von unten heraufschicken, die ihn ein paar Mal durchsägen. Kommt Ihr nachher Alle zusammen, so rollt ihn gleich aus der Bahn. Bis Mittag darf keine Spur mehr davon im Wege sein.«
»Ay, ay, Sir,« klang wieder die einzige Antwort der beiden Leute zurück, als Zeichen, daß der Befehl gehört sei und erfüllt werden solle, und der Wächter stand mit einem finsteren Blick, und seine Peitsche wie im Spiel auf- und abschwingend, daneben, als ob es ihm leid sei, daß er bei den beiden Gesellen auch nicht die geringste Ursache zur Strafe hatte; – aber er fand nun einmal Nichts zu strafen, und mußte sich endlich einem andern Trupp zuwenden, der vielleicht lässiger in seiner Arbeit gewesen war.
Rothkopf sah ihm, als er sie verließ, mit einem tückischen Blick nach, und zischte vor sich hin:
»Daß solch eine Spinne von einem Menschen solche Kerle, wie wir sind, prügeln darf! John, den kleinen Finger von meiner linken Hand gäb' ich noch drum, wenn ich dem Burschen vorher, eh' wir abgehen, den Schädel einschlagen dürfte.«
»Du würdest den Hals auch dazu geben müssen,« sagte John trocken.
»Bah, der ist doch verfallen, sobald wir den ersten Versuch machen und erwischt werden,« rief Rothkopf trotzig, »aber was thuts – einmal werden wir doch gehangen, früher oder später, und bis dahin wollen wir das Leben noch genießen.«
»Im Busch?« fragte John kopfschüttelnd.
»Bah, Kamerad,« lachte dieser, »Du denkst immer noch an Deine verbrannte Känguruh-Insel, wo Du Hunger und Kummer leiden mußtest, weil Ihr die Sache eben ungeschickt anfingt. Paß einmal auf, ob ich Dich nicht an eine Stelle bringe, wo wir ein fideles Leben führen können.«
»Im Busch?« wiederholte John noch einmal ungläubig.
»Ja, im Busch,« betätigte der Ire, »aber freilich dürfen wir nicht wie die Einsiedler in einer Rindenhütte hocken, und nur eben ausbrechen, wenn wir am Verhungern sind. Finden wir aber den Stamm der Schwarzen, mit dem ich befreundet bin, dann sollst Du einmal sehen, ob ich Dir etwas vorgelogen habe.«
»Und halten die sich hier in der Nähe auf?«
»Wir sind nicht zehn Miles von ihrem Jagdrevier, und nur erst einmal dort, auch außer aller Gefahr. Mach' also jetzt Anstalt, daß wir die verdammten Eisen von den Beinen bekommen, oder ich begehe einen tollen Streich allein.«
»Still, dort kommen die Säger,« flüsterte John, »nachher beim Essen verabreden wir unsern Plan.«
»Vielleicht gingen die mit?«
»Sie mögen nachkommen, wenn sie Lust haben,« sagte der vorsichtigere John, »zu Viele in einem Geheimniß, haben es noch jedes Mal verdorben, und ich darf mich diesmal nicht der Gefahr aussetzen, entdeckt oder verrathen zu werden.«
»Weil Du so lang den Frommen gespielt?« lachte Rothkopf.
»Allerdings, und die Uebrigen mich deshalb hassen. Holzköpfe, die sie sind, daß sie glauben konnten, John Mulligan wäre im Ernst ein solcher Tropf, vor einem schurkischen Wächter im Staub zu kriechen.«
»Nachher – die da dürfen nichts merken.«
Das Mittagsessen war vorüber – eine einfache aber doch reichliche und auch nahrhafte Mahlzeit für die Leute, die aus in der Asche gebackenem Waizenbrod und Hammelfleisch bestand.
Von solchem Brod oder Damper hatte sich John auch in den letzten Wochen aus abgesparten kleinen Stücken einen Vorrath gebildet, an dem er immer ein paar Tage zehren mochte. Bei seiner Mahlzeit gelang es ihm heute, diese Hülfsration mit Rothkopf zu theilen, daß sie es Beide leichter in ihrer Jacke verbergen konnten.
Während dem Essen, das innerhalb der Pallisaden verzehrt wurde, nahmen die Soldaten allerdings auch ihr Mittagsmahl ein, aber eine Flucht war in der Zeit doch unmöglich, da der einzige Ausgang mit doppelten Wachen besetzt stand. Irgend Einer, der außerdem am hellen Tage hätte versuchen wollen, die Pallisaden zu überklettern, wäre augenblicklich herunter geschossen, oder doch dabei ertappt, und wenigstens halb todt gepeitscht worden. John's Plan lag auch nicht darin, ein solches Wagstück in einer Weise zu unternehmen, wie sie von den Beamten schon vorbedacht und durch Maßregeln verhindert war. Er wußte recht gut, daß ihre Flucht nur durch Ueberraschung gelingen konnte.
Nach dem Essen bildete sich wieder die Colonne, in der sie zu ihrer Arbeit, von Soldaten umgeben, hinaus marschirten. Rothkopf hinkte dabei bedeutend, und stützte sich auf Johns Arm, der ihn führte.
Auch John schien nicht ganz fest auf den Füßen, und hatte sich in das linke Eisen ein paar baumwollene Lappen hineingesteckt, von denen der eine Blut zeigte. Rothkopf hatte sein Bein fest umwunden, und arbeitete sich nur mit großer Schwierigkeit vorwärts, um in der Reihe Schritt zu halten.
Sie wurden, wie es John vorher gewußt, heute Nachmittag auf den Kamm des Hügelrückens geschickt, um hier passende Steine für die Straße loszubrechen. Der Hügelkamm dachte an der Seite, an der die Straße lag, ziemlich steil ab, und die oben gelösten Steine rollten von selber zu Thal. An der andern Seite zog sich ein weniger schräger Abhang in den Busch hinein, der oben mit einzelnen Bäumen, tiefer unten aber mit dichtem Gestrüpp bewachsen war. Auf dem Kamm selber aber, mitten zwischen den Arbeitern, standen die Wachen mit ihren geladenen Gewehren, und wenn die Sträflinge, mit ihren Ketten überhaupt, hätten an Flucht denken können, würden sie die Kugeln der Soldaten bald eingeholt und unschädlich gemacht haben.
»Was zum Teufel hast Du nun wieder?« sagte der Oberaufseher, als er dort oben die verschiedenen Arbeitsplätze angewiesen hatte und zu Rothkopf trat – »was ist mit Deinem Bein?«
»Ich kann nicht mehr, Sir,« stöhnte der Mann – »bis hier herauf hab' ich mich geschleppt, aber jetzt bin ich's nicht mehr im Stande. Das Bein ist entzündet und geschwollen; wie mit Messern sticht's mich bis hier herauf. Wenn Sie mir die Kette nur wollten an das andere legen lassen, vielleicht könnt' ich dann doch noch weiter arbeiten, sonst bin ich nicht einmal im Stande, wieder allein hinunter zu gehen.«
»Das weiß der Henker, was mit Euch Schuften immer los ist,« brummte der Oberaufseher verdrüßlich vor sich hin – »konntest wohl nicht das Maul aufthun, wie wir unten waren, daß Dir der Wundarzt den Schaden nachsah, heh?«
»S'ist weiter nichts, Euer Gnaden, als die Kette drückt ihn auf eine wunde Stelle,« sagte John ehrerbietig – »wenn Sie's erlaubten, wollt' ich ihn bald wieder auf den Füßen haben.«
»Machen ihm blos die Kette, wie er's verlangt, an's andere Bein, das hilft jedesmal – wenigstens bis das wieder heil ist. Es sind ja Soldaten genug hier, die es ihm umschließen könnten.«
»Zum Henker auch,« rief der Oberaufseher – »ich glaube, der Bursche drückt sich nur von der Arbeit und spielt den Lahmen. Auf mein Herz, das hilft Dir bei mir Nichts,« und mit den Worten zog er ihm ein paar tüchtige Peitschenhiebe über. Rothkopf krümmte sich unter den Schlägen, und suchte dem Befehl nachzukommen, indem er sich aufrichten wollte, aber es ging nicht. Er vermochte nicht auf den Beinen zu stehen, brach wieder zusammen, und fiel gegen einen Baum, an dem er sich die Stirn blutig riß.
»Wenn Euer Gnaden befehlen,« sagte John demüthig, »so trag ich ihn lieber den Hang hinunter. Mein Bein ist auch wund, aber Einer der Herren Soldaten hilft mir vielleicht. Der arme Teufel hält's so nicht aus.«
»Ich will selber sehen, was an der Wunde ist,« sagte der Oberaufseher trotzig, obgleich ihn der letzte Fall des Gefangenen stutzig gemacht hatte. »Man darf Euch Schuften ja gar nicht mehr glauben, denn Ihr betrügt und hintergeht uns auf jede Weise. Da leg' Dich hin, Rother! – hast Du's gehört, oder soll ich Dich beweglich machen? –«
Rothkopf kroch zu der ihm bezeichneten Stelle, und der Oberaufseher nahm seinen Schlüssel heraus, winkte zweien der Soldaten, die näher heran kamen und neben ihnen stehen blieben, und bog sich dann nieder, den angeblichen Schaden des Gefangenen selber zu untersuchen.
John war ungemein geschäftig, ihn darin zu unterstützen; er schob selber einen Steinblock zurecht, auf dem sich der Herr Oberaufseher bequem niederlassen konnte. Nachdem er Rothkopf dann etwas weiter vor und sein rechtes Bein dabei in die Höhe gehoben hatte, daß der Beamte es bequem erreichen konnte, stemmte er das eigene darunter und stützte sich selber mit dem rechten Arm auf den Boden.
Der Beamte öffnete vorsichtig das Schloß der Kette, und der Gefangene stöhnte und winselte dazu; während aber die Kette oben klirrte, preßte unten John Mulligan in wahrer Todesangst das breite Eisen, das seinen eigenen Knöchel fest und umspannt hielt. Heimlich in der Nacht, seit langen, langen Monden, hatte er mit einem Stückchen Feile, das er sich zu verschaffen gewußt, an diesem Ring gefeilt – oft nur ein oder zwei Striche die ganze Nacht, weil er nicht wagen durfte, die Wächter durch das Geräusch aufmerksam zu machen. Die ausgefeilte Rinne brachte er zuletzt so dünn, als er glaubte, daß sie dem geringsten Druck nachgeben müsse; ja er fürchtete mehr daran zu arbeiten, weil ihm die Kette sonst am Ende einmal vor dem richtigen Moment vom Fuß abfallen konnte. Jetzt nun, im entscheidenden Augenblick, während er den Kameraden mit dem einen Arm angeblich unterstützte, preßte seine andere Hand unten gegen das fast vollkommen durchgefeilte Eisen, daß ihm das Blut unter den Nägeln vorzuspritzen drohte – aber vergebens.
»Na – jetzt pass' auf und halt' ihn fest,« sagte der Beamte, während er das Schloß aufbog und das Eisen von dem Bein des Gefangenen herunter fallen ließ – »wo ist denn nun die schreckliche Wunde? – Aber halt, Kamerad, erst wollen wir Dir den hübschen Ring doch lieber um den andern Knöchel legen, nachher können wir uns den hier mit Muße besehen.«
»Hat Nichts zu sagen, Sir,« stöhnte John – »der läuft nicht davon.«
»Wenn Du um Deine Meinung befragt wirst, magst Du antworten. – Laß das Bein einmal los und heb das andere herauf. Was zum Teufel? – wie siehst Du denn aus? Du hast ja einen Kopf wie ein Krebs so roth – herauf mit dem Bein.«
»Ay, ay, Sir!« rief John, und die Verzweiflung gab ihm Riesenkräfte. – Noch ein Moment, und ihr ganzer Plan war, vielleicht auf immer, vereitelt – doch wie er noch einmal seine Finger über den eisernen Ring preßte, fühlte er, daß sich dieser seinem Griffe bog.
»Nun, wird's bald?« rief der Aufseher.
»Einen Moment, Sir – ich bin mit meinen Ketten hier unten hängen geblieben – mach' es gleich wieder los.«
Er ließ das angeblich wunde Bein Rothkopfs herunter, und während er jetzt auch mit der andern Hand nach seiner Kette faßte, brach der breite Ring unter seinem Griff wie Glas entzwei. Im Nu hatte er ihn gepallt und ausgebogen, wenn auch die scharfe Kante ihm die Finger blutig riß, und der Aufseher, dem diese plötzliche Bewegung nicht entgehen konnte, rief erstaunt aus:
»Alle Wetter, was machst denn Du da, mein Junge.«
»Ich kurire mein Bein, Sir!« lachte in diesem Augenblick John, während Rothkopf mit Blitzesschnelle in die Höhe fuhr.
»Ist es Zeit?« rief dieser.
»Fass' ihn,« lautete die einzige Antwort, und »Verrath,« schrie auch schon in dem Moment der erschreckte Aufseher, »Hülfe! Hülfe!« Und wohl hatte er Grund dazu, denn vier stärkere Arme gab es nicht in den Colonien, wie die waren, die ihn jetzt gefaßt und im Nu auf ihren Rücken geworfen hatten. Rothkopf packte ihn um den Leib, John um die Knie, und während sie, nach früherer Unterredung, den leichten Burschen als Schutz gegen sonst etwa ihnen nachgeschickte Kugeln auf ihren Nacken hoben, sprangen sie dabei in wilden Sätzen den Hang hinab und direkt auf das nächste Dickicht zu.
»Hülfe! Hülfe!« schrie des Aufsehers Stimme, aber die Soldaten durften ihren Posten nicht verlassen, weil sie ja nie wissen konnten, ob das nicht vielleicht dem gemeinschaftlichen Plan der Gefangenen galt, eine allseitige Flucht zu versuchen. Nur ihre Gewehre spannten sie und hoben sie in alter Gewohnheit an den Backen – aber schießen durften sie eben so wenig, wenigstens nach diesen Flüchtigen. Die Kugeln mußten ja fast, wo sie auch einschlugen, den Körper ihres eigenen Befehlshabers treffen.
»Hülfe – Hülfe!« tönte dessen Ruf schon tief von unten herauf, und seine Rechte hatte sich indeß vergebens bemüht, in eine seiner Brusttaschen zu gelangen und die dort steckenden Pistolen herauszubringen. Rothkopf aber litt das nicht; wie in einem Schraubstock schnürte er ihm die Arme zusammen, und als ihm die Büsche jetzt noch ohnedies in's Gesicht schlugen, war er nicht mehr im Stande, sich zur Wehr zu setzen.
Im nächsten Moment hatte ihn aber schon der niederhängende Ast eines alten Gumbaums gefaßt und riß ihn gewaltsam aus den Armen der beiden Entflohenen, während ihm der Sturz einen lauten Schrei auspreßte.
»Hier mag er bleiben,« lachte Rothkopf, »denn durch das Dickicht können wir ihn doch nicht weiter schleppen, aber seine Pistolen wollen wir uns noch ausbitten.«
»Und das Pulverhorn mit den Kugeln nicht zu vergessen,« rief John.
»Nur rasch, denn die Teufel sind uns schon auf den Fersen.«
»In dem Dickicht vergebens,« lachte John, »her mit den Waffen, Canaille.«
»Gnade, Gnade!« flehte der Beamte auf den Knieen und in Todesangst.
»Das ist die Gnade, die Du verdienst,« rief Rothkopf, und in voller Kraft und Wuth, mit der geballten Faust zum Stoß ausholend, warf er den Unglücklichen leblos in das dürre Laub zurück. Im Nu hatten sie ihm dabei den Rock ausgezogen, die Uhr aus der Tasche gerissen, und flohen nun, als sie die Verfolger schon von oben herunter durch die Sträucher brechen hörten, gerade nach unten in den dicksten Busch hinein.
Wohl suchte eine rasch herbeigezogene Hülfstruppe noch an diesem Abend und die nächsten Tage den Wald nach allen Richtungen hin ab. Große Belohnungen wurden dabei von der Regierung ausgesetzt, und Polizeisoldaten wie Militair war Monate lang beschäftigt, diese frechen Flüchtlinge wieder einzubringen – galt es ja doch auch, an ihnen ein Beispiel zu statuiren – doch vergebens. Gentleman John wie Rothkopf waren und blieben verschwunden, und riefen sich nur dann erst wieder in die Erinnerung des Publikums zurück, als ein paar hinter einander verübte freche und kühne Raubanfälle ihre Namen von Neuem auf die Lippen der Buschbewohner und Reisenden brachten.
Die Poststraße zwischen der Hauptstadt der jetzigen Colonie Victoria, Melbourne, und der von Süd-Australien, Adelaide, war damals noch gar nicht so lange eröffnet, und einmal wöchentlich fuhr in jener ersten Zeit ein zweirädriger Karren (der eine Anzahl von Passagieren tragen konnte) mit den Postbeuteln betraut, die lange, öde, durch den dichten Busch nur nothdürftig ausgeschlagene Bahn. Die Fahrt selber war eine Marter für den Reisenden, und auf Bequemlichkeiten unterwegs durfte er eben so wenig rechnen. Nichts destoweniger wurde diese »Royal mail« doch stark benutzt, da sie die einzige zu einer bestimmten Zeit abgehende und eintreffende Verbindung zwischen den schon ziemlich bedeutenden Städten des australischen Continents bildete. Dampfschifffahrt war nämlich noch nicht eingerichtet, und die Passage auf einem gelegentlich abgehenden Segelschiffe viel zu ungewiß und langweilig, um sich ihrer zur Personenbeförderung gern zu bedienen.
Wie aber die Straße rauh und die »Postkutsche« selber nur ein höchst primitives Fuhrwerk war, so diente noch die Unsicherheit der Gegend damals bedeutend dazu, das »Romantische« einer solchen Fahrt zu erhöhen. Gar nicht etwa so selten kam es vor, daß die Reisenden von in den Busch entflohenen Sträflingen angefallen und geplündert wurden. Doch galt es dabei als Thatsache, daß sie für ihr Leben Nichts zu fürchten hatten, sobald sie sich gutwillig dem Unvermeidlichen fügten und – keine Waffen bei sich führten. Die sogenannten »Bushrangers« nahmen ihnen dann eben ab, was sie selber brauchen konnten, untersuchten die Postfelleisen nach Geld oder Geldeswerth und ließen die Passagiere meist ungehindert ziehen.
Nur wenn sie dieselben gegen sich gerüstet oder gar Widerstand fanden, war es vorgekommen, daß der so verübte Raub auch in einen Raubmord ausartete, und es blieb bald kein Geheimniß mehr, daß der berüchtigte Führer dieser Schaar niemand Anderes sei als Gentleman John selber.
So keck und verwegen diese Bande nun aber auch sein mochte, so lehrten sie doch endlich zahlreiche, gegen sie ausgesandte Streifpatrouillen, daß sie einer disciplinirten und bewaffneten Macht nicht gewachsen waren, und wenn alle diese Expeditionen auch nicht von besonderem Erfolg gekrönt wurden, trieben sie die Strauchdiebe doch weiter in das Innere zurück und deckten einigermaßen die stark bedrohte Straße.
Es war im April, daß an einem ziemlich rauhen und unfreundlichen Herbsttage, diese Royal Mail ungewöhnlich stark mit Passagieren besetzt, die vom Regen aufgeweichte Straße entlang rasselte, während die wettermürrischen Reisenden, in ihre Mäntel gehüllt und von dem unbehülflichen Fuhrwerk schlammbespritzt und zerstoßen, erst wieder anfingen aufzuthauen, als sie eine der seltsamen Stationen erreichten, auf denen ihnen eine halbe Stunde Rast für ein flüchtiges Mittagsmahl gegönnt wurde.
Das Gebäude selber bestand aus kaum mehr als einer Rindenhütte, mit einer Art von Anbau, der zugleich als Küche und Vorrathskammer diente, und lag an einer der ödesten Stellen der Straße. Trotzdem enthielt es aber weit mehr Bequemlichkeiten und Genüsse, als sein etwas rauhes, ungelecktes Aeußere versprach, und die Passagiere befanden sich bald, zu ihrer höchst angenehmen Ueberraschung, an einem reinlich gedeckten Tisch, von dem ihnen ein sorgfältig hergerichtetes Mahl entgegen duftete. Auch die Getränke waren vortrefflich und in größter Auswahl vorhanden, und die Wirthin, eine echt englische Matrone, einfach aber sauber und nett gekleidet, präsidirte an der Tafel.
Der Wirth selber hatte sich noch nicht sehen lassen und draußen auch mit der Besorgung frischer Pferde und dem Kutscher zu thun.
Die Reisegesellschaft bestand aus lauter Männern, da sich Damen diesem rauhen Beförderungsmittel nur im höchsten Nothfall, und dann auch nur auf kurze Strecken und von einer Station zur andern anvertrauten. Allerdings mußten sie in dem Fall, wenn sie für solche Fahrt die Post benutzen wollten, warten, bis sich ein Platz für sie fand, da die Postverwaltung nicht daran dachte, einen Beiwagen zu geben, selbst wenn sich genug Passagiere dafür gefunden hätten. Was dem einmal vorhandenen Karren von Reisenden möglicher Weise aufgepackt werden konnte, wurde geladen, die Uebrigen mußten abwarten, ob sie vielleicht »in der nächsten Woche« mitgenommen werden könnten.
Wie aber nun in ganz Australien die Bevölkerung eine höchst wunderlich gemischte ist, so schien auch auf dieser Post fast jede Schicht der Colonial-Gesellschaft vertreten. Eine höchst anständig aussehende Persönlichkeit in schwarzen Tuchkleidern mit schwerer, goldener Kette, weißer Wäsche und Glacéhandschuhen, die eigentlich nicht recht in ihre ganze Umgebung zu passen schien, repräsentirte den Kaufmannsstand der Colonien. Es war ein Mr. Warrel aus Melbourne, der mittelst Post nach Adelaide ging, um eine kurz vorher von Melbourne per Segelschiff expedirte Ladung von Waaren selber an Ort und Stelle zu verkaufen.
Die zweite ansehnliche Persönlichkeit war ein Squatter aus dem Adelaide-District, mit vollem Bart, einen Kohlpalmenhut auf, mit Rock, Hose und Weste aus sogenanntem englischen Lederzeug, mit derben Buschschuhen und einem rothseidenen Halstuch, das, um den schneeweißen Hemdkragen geschlagen, den sonnverbrannten kräftigen Hals entblößt ließ.
Ganz gegen den Gebrauch der übrigen Passagiere schien es dieser aber zu verschmähen, sich waffenlos der Gnade und Ungnade des etwa dort umherstreifenden räuberischen Gesindels zu übergeben. In dem breiten, um den Leib geschnallten Gürtel, der ein kurzes schweres Buschmesser trug, staken ein paar kurze feingearbeitete Pistolen, und außerdem führte er auch noch eine, wie er sagte, mit Rehpfosten geladene englische Doppelflinte bei sich, die er unterwegs zwischen den Knien und ziemlich trotzig zum Gebrauch stets in Bereitschaft hielt.
Seinen Platz hatte er mit vorn auf dem Bock, und der dritte Passagier, der zwischen ihm und dem Kutscher eingeklemmt saß, war ein dürres, bleiches, kleines Männchen, ebenfalls ein Engländer, aber jedenfalls Israelit, der in ziemlich schäbigen Kleidern, mit einem alten abgetragenen Hut, bis dahin, trotz seiner anscheinenden Armuth, die entsetzlichste Angst vor einem möglichen Ueberfall gezeigt, und besonders seinen schwer bewaffneten Nachbar fortwährend mit mißtrauischen Blicken betrachtet hatte.
Die Post führte nur zwei Sitzbänke – die eine war die, auf welcher der Kutscher saß, und die neben ihm befindlichen Passagiere hatten die Aussicht nach vorn über die Pferde hin. Auf der zweiten, dicht hinter diesen angebrachten, nothdürftig gepolsterten und mit Leder überzogenen Bank saßen die übrigen Reisenden, jedoch mit dem Rücken nach vorn, und die niedere darum gezogene eiserne Lehne diente weit weniger zu ihrer Bequemlichkeit als zu ihrem Schutz, sich daran festzuklammern, wenn der Wagen einen steilen Hang hinaufgerissen wurde. Versäumten sie es, so wären sie rettungslos nach hinten zu übergestürzt.
Auf dieser hinteren Bank saß der schon vorher erwähnte Kaufmann aus Melbourne dicht hinter dem Kutscher. Den Mittelsitz hatte ein etwas ruppig aussehendes Individuum, schon von Melbourne her in Besitz. Es war dies dem Anschein nach einer der gewöhnlichen Arbeiter, in ordinären aber trotzdem ziemlich reinlich gehaltenen Kleidern und mit hoffentlich besseren Empfehlungen und Zeugnissen in der Tasche, als ihm das eigene Gesicht gewähren konnte. Der Bursche, der die ganze Fahrt hindurch verdrossen und störrisch auf seinem unbequemen Sitz kauerte und ununterbrochen Tabak kauete, hatte mit seinen Mitpassagieren auch noch keine drei Worte gewechselt, und alle an ihn gerichteten Fragen – wenn überhaupt – mit »Ja«, »Nein«, oder »weiß nicht«, beantwortet.
Den dritten Platz neben ihm und Rücken an Rücken mit dem Squatter nahm ein Mittelding zwischen Squatter und Arbeiter ein. Es war ein vierschrötiger, kräftiger Gesell, mit sonnverbrannten, nicht häßlichen Zügen und etwas Keckem, Drolligem in seinem ganzen Wesen. Er war erst in Manebat, bis wohin ein anderer Passagier mitgefahren, aufgestiegen, und bis jetzt eigentlich der Einzige gewesen, der durch seinen Humor, trotz Wetter und schlechtem Fuhrwerk einiges Leben in die träge Unterhaltung gebracht. Dem letzten Regenguß hatte freilich auch er schweigend und mürrisch die Wetterseite geboten. Jetzt aber im Trockenen, mit einer Flasche Sherry an der einen und einem Becher Porter an der anderen Seite, thaute er rasch wieder auf und es gelang ihm auch wirklich seine, sonst ziemlich schweigsamen Reisegefährten zu einer lebendigen Unterhaltung zu bringen.
Stoff hierzu gab vor Allem der kleine ängstliche Passagier, der unterwegs zwischen dem Kutscher und Squatter saß, und sich an jedem Anhaltspunkt jedesmal vor allen Dingen neue und meist immer entsetzliche Nachrichten über kürzlich erst verübte Gräuelthaten der Buschrähndscher sammelte. Auch hier hatte er nichts Eiligeres zu thun gehabt, als sich mit seinen Erkundigungen an eine Art von Hausknecht zu wenden, der die angekommenen Pferde eben abschirrte, sie, zu beideseitiger Bequemlichkeit, frei im Busch ihrer Weide nachgehen zu lassen.
Dieser aber, ein verschmitzter Ire, und jedenfalls auch nur ein mit ticket of leave oder Urlaubschein freigegebener Sträfling, sah bald, mit welcher Classe von Menschen er es hier zu thun habe, und erzählte dem ihm ängstlich und bestürzt Zuhörenden in aller Geschwindigkeit ein paar so entsetzliche und schaudererregende Mordgeschichten, daß Mr. Moses, wie der kleine Mann hieß, mit bleichem Antlitz in das Passagierzimmer stürzte, seine furchtbaren Neuigkeiten so rasch als möglich den Uebrigen mitzutheilen.
»Lügen, Mr. Moses, Nichts als Lügen,« parirte übrigens Mr. Warrel, der sich eben mit den Anderen zu der gut besetzten Tafel niedergesetzt, ziemlich kaltblütig die schrecklichen Nachrichten. »Von wem haben Sie sich diese Geschichten aufbinden lassen?«
»Von wem?« rief der kleine Mann entrüstet, »von dem Burschen, der die Pferde versorgt.«
»Von Tom, dem Iren,« lachte aber jetzt selbst die Matrone, die gerade im Begriff war, ein saftiges Roastbeef zu zerlegen, »ja mein lieber Herr, den dürfen Sie über so etwas nicht fragen, denn wenn er merkt, daß sich Jemand vor Buschrähndschern fürchtet, erzählt er ihm die gräßlichsten Geschichten, die ihm nur einfallen.«
»Wie heißt, fürchten?« sagte kopfschüttelnd Mr. Moses, »wer hat ihm gesagt, daß sich Moses fürcht? wovor fürchten? sind meine Kleidchen doch alt und schlecht genug und können sie meine Haut nicht gebrauchen. Weiter hab' ich Nichts bei mer auf der Gotteswelt, wie verzehn Schilling bar Geld vor die Reisespesen.«
»Nun so gleichgültig wäre mir's gerade nicht,« brummte der Squatter, eben mit einem saftigen Stück Fleisch beschäftigt, finster in den Bart, »und den blutigen Canaillen möchte ich diesmal gerade nicht in die Hände fallen. Aber – hol' sie der Teufel, ehe sie mein Geld bekommen, sollen sie erst mit meinem Pulver und Blei Bekanntschaft machen, und ich denke, ich habe genug von dem bei mir, ihnen zu dem anderen den Appetit zu versalzen.«
»Sie sind allerdings kein Mann für die Buschrähndscher, bester Herr,« lachte da der Passagier von Wanebat, der sich Mr. Bush nannte, »denn von oben bis unten mit Stahl und Eisen gespickt dürften sich die armen Teufel bei Ihnen wohl mehr Schläge wie Geld holen; unser Freund in Schwarz dagegen, den ich zugleich herzlich ersuchen möchte, mir einmal die Sherryflasche herüberzuschieben, scheint ihnen freundlicher gesinnt zu sein, denn er trägt kein solches Mordgewehr und Gold genug zur Schau, ihnen den Mund darnach wässern zu machen.«
»Soll mer Gott helfen, wenn's nicht wahr ist,« stimmte diesem Mr. Moses in etwas verkehrter Betheuerung bei – »wüßt' ich 'nen besseren Platz goldne Kettcher und Uhren zur Firma zu tragen, als die Buschstraße zwischen Melbourne und Adelaide.«
Der Kaufmann lachte und aß eine Weile ruhig weiter; endlich aber sagte er, noch immer schmunzelnd:
»Freut mich, daß Ihr mich für so grün haltet, mit solchem Firlefanz hier paradiren zu wollen. Werden wir aber wirklich von Buschrähndschern überfallen, so gönne ich ihnen die ganze Bescheerung vom Herzen. An Geld hab' ich nur ein paar Pfund Sterling bei mir und wenn sie mir die, und den Plunder abgenommen, sind sie seelenglücklich und bedanken sich am Ende noch gar bei mir.«
»Thät da e silbernes Kettche dieselben Dienste,« meinte aber der Israelit, »wozu den Hallunken das gute Gold in die Zähne werfen.«
»Gold,« lachte der Kaufmann mit einem verschmitzten Blick nach Mr. Bush hinüber, »die Uhr mit Kette kostet mich in Melbourne gerade 12 Shilling – das Zeug hier ist Tomback und das Werk selber keiner Sixpence werth.«
»Ha, ha, ha, ha,« lachte Mr. Bush, »das ist vortrefflich, und der Plan ganz ausgezeichnet. Wenn die Strauchdiebe Uhr und Börse von einem Gentleman haben, visitiren sie ihn nachher nicht einmal weiter.«
»Und wenn sie mich visitiren,« lachte Warrel – »ich trage Nichts auf der Gotteswelt weiter bei mir. Komm' ich dann auch ausgeplündert nach Adelaide, so ist die Handschrift des alten Warrel bekannt genug an der Bank, mir Credit zu verschaffen.«
»Mr. Warrel, in der That?« sagte Bush, ihn rasch und ehrfurchtsvoll grüßend – »ah das glaub' ich, daß Sie weder in Adelaide noch Melbourne vier und zwanzig Stunden ohne Geld zu sein brauchen. Da muß unser Freund Moses hier seine Barschaft allerdings sorgfältiger verstecken!«
»Ich?« rief der kleine Mann erschreckt, und ließ die eben aufgenommenen Messer und Gabel klirrend auf den Teller zurückfallen. »Gott der Gerechte, wo soll ich Barschaft versteckt haben? – etwa in die Täschchens hier, oder in die zerrissenen Stiefelcher? Soll mer Gott helfen, wenn ich weiß, wie ich die erste Woche meine Kost in Adelaide zahlen soll, die so schrecklich theuer ist in die Gasthöfe.« »
Nun, nun,« lachte Bush, »mir ist's ja recht und ich brauche nicht dafür zu sorgen. Uebrigens haben wir keinesfalls etwas zu fürchten, denn mein wohlbewaffneter Nachbar hier wird uns das Gesindel schon vom Leibe halten. Ihre Pistolen sind doch hoffentlich geladen, und nicht auch nur ein falsches Aushängeschild wie Uhr und Kette, Mr. Warrels?«
»Ob sie geladen sind,« erwiderte der Squatter, emsig mit dem vor ihm liegenden Braten beschäftigt, »und ich will verdammt sein, wenn ich nicht guten Gebrauch davon zu machen gedenke. – Haben Sie gar keine Waffen bei sich?« –
»Ich? ei gewiß,« rief Bush. – »Ich theile keineswegs die Ansicht der Herren, die sich den Strauchdieben gutwillig überlassen mögen. Manchmal ja, mag man es mit einem gutmüthigen Exemplar zu thun bekommen. Es bleibt aber stets ein fatales Gefühl, sich der Gnade und Ungnade solcher Burschen zu überlassen. So lange ich mich noch meiner Haut wehren kann, seh' ich nicht ein, weßhalb ich den Versuch nicht wenigstens machen sollte.«
»Dann sind Sie mein Mann!« rief der Squatter, ihn augenscheinlich beruhigt auf die Schulter klopfend. – »Und Ihr da drüben, Freund,« wandte er sich an den schweigsamen Passagier, der an dem untern Ende der Tafel keinen Blick von seinem Teller verwandt, und keine Silbe gesprochen hatte – »wie steht es mit Euch?«
Der Angeredete sah, ohne den Kopf zu heben, einen Moment nur durch seine buschigen Augenbrauen nach dem Sprecher hinüber, und schien erst keine Antwort auf die an ihn gerichtete Frage geben zu wollen.
»Wer – ich?« sagte er endlich, als der Squatter noch immer schwieg und seinen Blick nicht von ihm nahm.
»Ja, Ihr, Mate, seid Ihr bewaffnet?«
»Nein,« brummte der Mann, sich neuen Fleischvorrath auf seinen Teller häufend – »wozu?«
»Wozu? wollt Ihr Euch von den Buschläufern wehrlos mißhandeln lassen?«
Der Angeredete ließ seinen Blick von dem Sprecher langsam und fast wie höhnisch auf dessen Nachbar, Mr. Bush gleiten und sagte dann plötzlich, indem er gleichgültig wieder seine Mahlzeit fortsetzte:
»Wollen's abwarten, Mate!«
»Auf unsern schweigsamen Freund da unten,« lachte Bush, »scheint es, als ob wir nicht besonders rechnen dürften. Dann haben wir nur noch den Kutscher, als dritte Hülfe!«
»Hol die Kutscher der Böse,« brummte der Squatter, mit dem Erfolg seiner Anrede nichts weniger als zufrieden. »Wenn die es nicht geradezu mit den Buschkleppern offen halten, passiren sie doch die Straße viel zu oft, sie sich zu Feinden zu machen. Die Kerle bleiben gewöhnlich ruhig auf ihrem Bock sitzen und sind froh, wenn ihnen nur die Pferde gelassen werden, weiter zu fahren. Alles Uebrige kümmert sie wenig genug.«
»Bah,« sagte Mr. Warrel, »die ganze Geschichte ist ja doch nur ein müßiges Geschwätz von Reisenden, die – an dem Ort ihrer Bestimmung glücklich und ungehindert angelangt – nicht umhin können, mit irgend einer überstandenen schrecklichen Gefahr zu prahlen. Hier im Land haben wir keine Tiger oder andere reißende Bestien, und da müssen dann jahraus und jahrein die Buschrähndscher den alleinigen wieder und wiedergekäuten Stoff liefern. Ich wette 100 £. Sterl., daß wir auf der ganzen Fahrt keinen zu sehen bekommen.«
»Topp!« rief ihm Mr. Bush plötzlich entgegen, »ich nehme Ihre Wette an, Sir, und kann dabei jedenfalls nur ein gutes Geschäft machen.«
»Auch wenn Sie verlieren?« rief Mr. Warrel.
»Dann erst gewiß,« lachte der junge Mann. »Ich habe eine Herde von 15.000 Schafen verkauft, für die ich das Geld in Wechseln und Banknoten bei mir trage, und will gern 100 Pfund davon bezahlen, wenn ich das Uebrige sicher nach Adelaide bringe. Wird es mir aber abgenommen, so sind Ihre 100 Pfund wieder ein ganz hübscher Anfang für einen neuen Beginn.«
»Hol's der Henker,« rief der Squatter, »wenn Sie die Sache von der Seite betrachten, möcht' ich auch wetten, denn wenn mich die Schufte plünderten, machten sie ebenfalls kein schlechtes Geschäft. Wie wär's, Herr Warrel, wenn wir eine gleiche Versicherung abschlössen.«
»Danke Sir,« wehrte aber dieser lachend ab, »ich bekomme dafür kein Aequivalent, denn das Vergnügen, einen wirklichen lebendigen Buschrähndscher zu sehen, ist doch kaum mehr als hundert Pfund werth, und wenn es wirklich der berüchtigte Gentleman John selber wäre.«
»Dann nehmen Sie wenigstens eine von meinen Pistolen,« sagte der Squatter. »Drei entschlossene und bewaffnete Männer können sich einen ganzen Schwarm der feigen, räuberischen Schufte vom Leibe halten.«
»Auch dafür muß ich danken,« sagte der vorsichtige Kaufmann. »Ich habe Frau und Kind, wie ein recht hübsches Besitzthum zu Hause, und keineswegs Lust, mein Leben oder meine gesunden Gliedmaßen unnöthiger Weise auf's Spiel zu setzen. Was ich bei mir trage, bin ich jeden Augenblick bereit, mit Vergnügen herzugeben – sollten die Herren uns wirklich ganz gegen Erwarten einen Besuch abstatten. Mehr können sie nicht verlangen und verlangen sie nicht. Wer mehr zu verlieren hat, mag zu anderen Mitteln seine Zuflucht nehmen.«
Der mit dieser Politik nicht besonders einverstandene Squatter murmelte einen leisen Fluch in den Bart, erwiderte aber weiter Nichts, und der Kutscher, der indessen draußen in der Küche sein Mittagsmahl verzehrt hatte, erschien auch in diesem Augenblick in der Thür, den Passagieren anzuzeigen, daß ihre Ruhezeit verflossen und die »Royal Mail« gerade wieder im Begriff sei abzufahren.
Draußen an der Thür stand der Wirth, den Hut auf dem Kopfe, die Hände in den Taschen, und nickte den Passagieren zu, als sie an ihm vorübergingen.
»Glückliche Reise, Gentlemen; kommen Sie gesund nach Adelaide. Und du, Bill, wirf die Herrschaften nicht etwa hier gleich unten im Sumpf in das Wasserloch, wie es James neulich gemacht hat. Es könnte nicht wieder so gut abgehen, daß sie mit ein paar Arm- und Beinbrüchen davon kämen. Einen Doctor haben wir jetzt überdies nicht mehr im Haus.«
»Habt keine Angst, Jones,« lachte der Angeredete. »Wenn wir nur glücklich durch den Billibong drüben kommen, im Sumpf selber hat's keine Gefahr, und wenn wir umkippen, will ich uns schon eine weiche Stelle aussuchen.«
»Das sind vortreffliche Aussichten, Mr. Bush,« sagte der Melbourner Kaufmann, als er neben diesem hin dem Wagen wieder zuschritt. »Dagegen wird Ihnen wohl keine Assecuranz helfen, wie?«
»Die Kerle fahren wie der Teufel,« beruhigte ihn aber dieser, »und haben ihre Thiere sicher in der Hand. So lange der Karren selber hält, haben wir schwerlich etwas zu fürchten.«
»Desto besser dann,« sagte der Kaufmann, sich, so gut es gehen wollte, wieder auf seinem schmalen Sitz zurecht rückend, »und nun Kutscher, fahrt zu; Wetter noch einmal, ist das eine unbequeme Bank. Man hat wirklich alle Hände voll zu thun, sich nur fest zu halten. Sucht Ihr denn Euere Passagiere wieder zusammen, wenn Ihr einige davon einmal verliert?«
»Manchmal,« erwiderte der Mann trocken. – »He da – Alle an Bord?«
»Alle – so gut es eben geht.«
»Well then – laß geh'n davorn, Tom – Halt' fest da hinten – komm Jerry, komm Bock – hu – pih!« und mit kräftigem Peitschenschlag auf die bäumenden Thiere einhauend, trieb er diese zu raschem Ansprung, daß sie den unbehülflichen Karren mit einem Ruck nach vorn rissen.
»Um Gottes Willen, mein Hut!« rief Mr. Warrel, der sich beinahe den Arm in der eisernen Lehne ausgerenkt hatte, während ihm der Hut vom Kopfe flog.
»Never mind, Bill!« rief aber Tom, der Hausknecht, an derartige kleine Folgen wahrscheinlich schon gewöhnt, indem er den Hut in der Luft fing und seinem Besitzer mit außerordentlicher Geschicklichkeit wieder zuschleuderte. »Alles in Ordnung – go on!«
Der Kutscher, der von dem Zuruf auch nicht die mindeste Notiz genommen, bedurfte dieser Beruhigung gar nicht, denn, ohne sich nach dem Passagier oder dessen Hut auch nur umzusehen, gab er seinen Thieren nur wiederholt die Peitsche, und der fest auf seinen Achsen ruhende Karren rasselte rücksichtslos und wild über die rauhe holprige Straße hin, seiner Bahn entlang.
An eine Unterhaltung zwischen den Passagieren war unter solchen Umständen gar nicht zu denken. Jeder hatte vollauf zu thun, sich auf seinem Sitz, und wie ein australisches Sprüchwort ganz passend sagt, »die Zunge im Munde festzuhalten,« bis der Weg wieder ebener und weicher wurde, und der Karren, von den Flüchen der mißhandelten Passagiere begleitet, wenigstens verhältnißmäßig ruhiger auf seiner Bahn dahinrasselte.
Der Weg zog sich hier, wo er schon das Murraythal berührte, durch einen Wald der mächtigsten Gumbäume hin, und die Bahn hindurch war dabei keineswegs in einer geraden Linie gehauen worden, sondern immer nur den stärksten Stämmen ausweichend und die lichtesten Stellen wählend. Hie und da stand auch wohl noch ein tüchtiger Stumpf mitten im Weg, und es bedurfte der ganzen Geschicklichkeit des Kutschers, das allerdings mit seinen zwei Rädern leicht zu wendende Fuhrwerk zwischen all' den vorliegenden Hindernissen mit solcher Schnelligkeit hinzuführen.
Dem Squatter, der vorn mit auf dem Bock saß und dabei Zeuge war, wie die Achsen oft nur in Haaresbreite an einem der alten Waldriesen vorübergerissen wurden, war gar nicht wohl bei der Fahrt, und er hatte seine ganze Kaltblütigkeit nöthig, dem tollen Rennen so ruhig zuzusehen. Einmal aber, als der Wagen wieder an einem alten Gumbaum so dicht vorbei schnellte, daß er noch ein Stück von der dicken weichen Rinde mit abriß, und dann gleich darauf mit dem einen Rad über einen umgestürzten Klotz fuhr, wonach der Karren sich wohl fünfzehn Schritt weit auf dem andern eben noch balancirte, konnte er es doch nicht mehr so ruhig mit ansehen, und sagte, sich zu dem Kutscher wendend.
»Heda, Freund – von unseren Hälsen gar nicht zu reden, scheint Ihr auch mit Eurem eigenen verwünscht rücksichtslos umzugehen. Wenn wir hier umgeschlagen wären, hätten wir die Härte unserer Schädel an jenen Gumbäumen leicht versuchen können.«
»Könnt Recht haben, Mate,« erwiderte ziemlich ungenirt Bill, der Rosselenker, »aber immer noch besser, als daß wir den gesegneten Buschkleppern in den Rachen laufen.«
»Und hätten wir hier wirklich etwas von ihnen zu fürchten?« frug der Squatter rasch.
»Hier? – habt Ihr den Kerl nicht gesehen, der etwa fünfhundert Schritt zurück links vom Wege ab in den Busch hineinsprang?«
»Den Kerl? – habt Ihr Jemanden gesehen?«
»Glaubt Ihr, ich treibe meine Thiere hier umsonst zu Schanden?« brummte der Mann mürrisch in den Bart. »Hol' die Pest auch ein solches Leben, und das soll die letzte Fahrt sein, die meiner Mutter Sohn auf dieser vermaledeiten Straße hin und wieder fährt.«
Der Squatter erwiderte kein Wort weiter, griff aber nach seinen Pistolen, ob sie ihm, der Hand bequem, im Gürtel stäken, und sah nach den Hütchen auf seiner Doppelflinte.
Der Kutscher warf seitwärts einen halb neugierigen, halb unzufriedenen Blick auf die Waffen und sagte:
»Schießen die Dinger sicher?«
»Das wollt' ich meinen,« erwiderte der Squatter.
»Und geh'n sie auch los?«
»Ich möchte ihnen nicht auf fünfzig Schritte im Wege stehn,« lautete die beruhigende Antwort.
»Hm,« brummte aber der Mann, noch keineswegs damit zufrieden gestellt, »ich weiß doch nicht, ob Ihr nicht besser thätet, die Dinger in den Kasten zu packen.«
»Damit uns die Schufte ungehindert plündern könnten, wie?«
»Ist eben nur noch die Frage, ob Ihr sie damit hindern könnt,« lautete die mißtrauische Antwort. »Die Schufte wählen sich eben Ort und Zeit nach eigenem Gefallen, und wenig Gutes hab' ich bis jetzt von solchen Schießdingern gesehen, die nie los gehen, wenn sie eigentlich sollen. Alle, die ich bis jetzt auf dem Karren gehabt, haben sich die Buschrähndscher selber mitgenommen, und noch nicht einmal so viel als »Danke« dafür gesagt.«
»Und sind Sie hier schon einmal von den Räubern überfallen worden?« mischte sich der kleine Zwischenpassagier in das Gespräch, der demselben bis dahin in fieberhafter Angst gelauscht.
»Einmal?« sagte der Kutscher, indem er einen halb erstaunten, halb verächtlichen Blick nach dem an seiner Seite geklemmten Passagier hinunter warf, »viermal haben mich schon die »Herren von der Straße«, wie sie sich nach echt englischer Art zu nennen belieben, unter den Fäusten gehabt, und ich will seelensfroh sein, wenn ich die Bekanntschaft dieser verdammten Canaillen nicht heute zum fünftenmal zu machen habe.«
»Halloh, Camerad,« rief da Mr. Bush, der sich auf seinem Sitz nach dem Kutscher umdrehte, »haben sie Dich so schlecht behandelt, daß Du ihnen solche Ehrentitel giebst?«
»Hol' sie der Böse!« zischte Bill zwischen den Zähnen durch, »wenn sie mir auch noch Nichts zu Leid gethan, ist es doch nur eine blutige Bande von Sträflingen und dem Galgen abgestohlenes Gelichter, und je weniger man mit den Schuften zusammen kommt, desto besser.«
»Das ist ein gefährliches Urtheil für eine gemischte australische Gesellschaft,« lachte der junge Mann, »aber Ihr selber seid wohl noch nicht lange im Land, und wohl gar einer der sogenannten freien Einwanderer?«
Bill warf einen zornigen Blick nach dem Sprecher zurück und sagte finster:
»Bin ich auch, Mate, wenn's Euch etwa kümmert, und für mein eigen Geld in die Colonie gekommen, und das ist mehr, als mancher Gentleman von sich sagen kann.«
Mr. Bush lachte gutmüthig vor sich hin und warf nur einen Seitenblick auf seinen Nachbar. Dieser schien aber weder den »Gentleman,« noch die andere Anspielung auf sich zu beziehen, und kaute nur ruhig an einem riesigen Primchen weiter, das er fortwährend aus der linken in die rechte Backe und wieder zurück wechselte.
Das Gespräch wurde hier durch einen gotteslästerlichen Fluch des Kutschers unterbrochen, der vor sich in dem hier ziemlich schmalen Weg ein paar von einem Gumbaum niedergebrochene, sehr starke Aeste liegen sah, die sich auf keine Weise umgehen ließen und erst fortgeräumt werden mußten. Unfern davon, unter einem andern Baum, saß ein Fußreisender, ein sogenannter Bündelmann, der sein Bündel und seinen Stock neben sich gelegt, sein Frühstück vor sich auf den Knien, ganz ruhig und unbekümmert da in freier Luft tafelte und den dicht neben ihm haltenden Postkarren kaum eines Blickes würdigte.
»Halloh, Mate!« rief ihm da der Kutscher, wie er nun seiner ansichtig wurde, zu, »macht's Euch was aus, wenn Ihr einmal einen Augenblick aufständet und das verdammte Holz da aus dem Wege räumtet? Ich kann die Zügel hier nicht los lassen!«
»Hm,« sagte der Bursche, ohne sich besonders außer Fassung bringen zu lassen, »Euere ganze Gesellschaft da oben hält wohl die Zügel mit, oder hat sich festgebunden, daß sie nicht abgeschüttelt wird? – Na meinetwegen; das nächste Mal, wenn ich fahre, könnt Ihr mir vielleicht das Holz aus dem Wege räumen –« und sein Frühstück neben sich niederlegend, stand er langsam auf und stieg zu dem nächsten Ast hinüber, dicht vor dem die schäumenden Pferde hielten.
»Donnerwetter, Mate, das Holz ist schwer,« rief er hier, als er vergebens den einen Ast zu lüften versuchte; »na, Eure Pferde beißen doch nicht?«
»Bewahre – laßt sie nur los – he da, Kamerad, Ihr drückt sie mir ja ganz in den Busch hinein. Die Pest über Euch, Ihr werdet mir den Karren umwerfen.«
»O, bewahre!« sagte der Bündelmann, der das Handpferd dabei beim Zügel genommen und seitwärts in den einen Baumwipfel hineingedrückt hatte, »kommt gleich Alles in Ordnung, Mate. Da sind auch noch ein paar Kameraden, die mir helfen können!«
»Halloh, Bush!« rief da plötzlich der Squatter, der von rechts und links unter den Bäumen ein paar zerlumpte und drohende Gestalten auftauchen sah, indem er sein Gewehr in die Höhe riß, »jetzt giebt's Arbeit – nehmt Ihr die rechts, ich will mit denen da links –«
»Vorsichtig, Kamerad,« sagte da plötzlich Mr. Bush, der schon, wie der Bündelmann zu den Pferden ging, ein Doppelpistol aus der Tasche gezogen und die Hähne gespannt hatte, indem er mit der linken Hand die Schulter des Squatters ergriff und drückte; »ich möchte Euch etwas sagen.«
»Da kommen sie, bei George – Wetter, Mate, Ihr drückt mir die Schulter ein – was ist – he – was –«
»Pst – nicht ein Laut!« rief aber Mr. Bush ruhig aus, und der Squatter sah zu seinem Entsetzen das gespannte Pistol seines Reisegefährten mit der Mündung dicht an seinem eigenen Ohr. »Der geringste Griff nach Eueren Waffen – eine weitere Bewegung nur, und ich schicke Euch, größerer Bequemlichkeit wegen, ein Loth Blei durch's Hirn. – Ihr Anderen haltet Euch ruhig, und es soll Euch nichts zu Leid geschehen. – Nur wenn sich Jemand widersetzt, mag er sich die Folgen dann auch selber zuschreiben.«
Von allen Seiten sprangen indessen wild genug aussehende Kerle, die meisten von ihnen Gewehre in der Hand haltend, aus den Büschen und hinter Bäumen, hinter denen sie bis jetzt versteckt gelegen, vor, während der Bündelmann, ohne sich weiter um die Passagiere zu kümmern, die Stränge der Pferde durchschnitt und die Flucht unmöglich machte.
Der Squatter knirschte mit den Zähnen, aber er wußte sich auch so vollständig in der Gewalt seines jetzt hinter ihm stehenden bewaffneten Feindes, daß ein Widerstand vollkommen nutzlos gewesen wäre und im nächsten Augenblick sein Leben gekostet haben würde.
Die übrigen sämmtlich unbewaffneten Passagiere hielten sich vollkommen ruhig, das Unvermeidliche eben über sich ergehen zu lassen. Nur Bill, der Kutscher, konnte das Zerschneiden seiner Stränge nicht so geduldig mit ansehen.
»Höll' und Teufel, Mate!« schrie er, die Pferde an den Zügeln zurückreißend, vom Bock nieder, »was ruinirt Ihr mir denn das Geschirr? Seht Ihr denn nicht, daß ich doch in dem vermaledeiten Holz bis an die Ohren sitze und weder vor noch rückwärts kann?«
»Ruhig, mein Herz!« rief ihm aber der vermeinliche Bündelmann entgegen, der indessen eine ebenfalls dort versteckt gelegene Muskete aufgegriffen hatte, »bleib Du nur ganz still und geduldig auf Deinem alten Klapperkasten sitzen, bis man Dich ruft. Mit Deinen Pferden wirst Du wohl keine Sorge weiter haben.«
»Meine Herrschaften!« sagte in diesem Augenblick der sogenannte Mr. Bush, ohne jedoch seine drohende Stellung auch nur im Mindesten zu verändern. »Ich muß sie ersuchen, einzeln und langsam vom Wagen abzusteigen. Sie haben für Ihr Leben nichts zu fürchten – nur wer sich widersetzt, ist ein Kind des Todes. Mr. Warrel, Sie haben wohl die Güte, den Anfang zu machen.«
»Mit Vergnügen,« sagte der würdige Herr, der nur an das selbstverrathene Geheimniß seiner unechten Uhr und Kette mit einiger Verlegenheit dachte, indem er dem Befehl jedoch Folge leistete. Zugleich sah er sich unter der Aufsicht Eines der Buschrähndscher, der mit gespannter Muskete neben ihm stehen blieb.
»Nun Ihr da, Freund, ich weiß Euren Namen nicht, wenn's gefällig wäre.«
»Dank' Euch, John,« sagte der Mann, der bei dem ganzen Ueberfall auch nicht eine Miene verzogen oder sich anders benommen hätte, als ob ihnen auch nur das Allergewöhnlichste begegnete.
»Ihr kennt mich?« rief Mr. Bush überrascht aus.
»Sollt' es denken,« meinte der Andere, ohne auch nur die Hände aus seinen Taschen zu nehmen, indem er von seinem Sitz hinunterstieg und langsam zu dem Kaufmann hinüberging, »habe schon früher einmal das Vergnügen gehabt.«
»So?« lachte Gentleman John, der Anführer der Schaar, »nun davon nachher. – Jetzt Ihr da, Kamerad, mit dem traurigen Aussehen und dem geflickten Kittel. Hinunter mit Euch, habt Ihr mich verstanden?
« »Ach, gnädigster Herr Buschrähndscher.« winselte der arme Teufel, indem er wie eine Schlange zwischen dem Kutscher und Squatter hindurch über den Rücksitz des Bocks hinweg und hinten hinunterglitt: »ich habe ja Nichts als mein elendes erbärmliches Leben, und wenn Sie nur so äußerst gnädig sein wollten und mir –«
»Stopf dem Burschen einmal das Maul, Bob, wenn er nicht von selber ruhig ist,« rief Gentleman John ruhig vom Bock nieder, und Mr. Moses sah kaum die furchtbare Muskete auf sich gerichtet, als er auch winselnd und erschreckt in die Knie sank und keinen Laut weiter über die Lippen brachte.
»Jetzt hierher, zwei von Euch!« rief da der Befehl des Anführers wieder Einige der Schaar zu dem Wagen, auf dem Gentleman John noch immer neben dem Kutscher den bewaffneten Squatter mit der gespannten Pistole bedrohte. »Nehmt dem Herrn hier doch einmal die schweren Waffen ab und bringt sie in Sicherheit. – Laßt geschehen, Freund, was Ihr nicht hindern könnt, denn der geringste Widerstand – halt – bemüht Euch nicht selber – so, Rothkopf, wenn Du genöthigt sein solltest, auf den Herrn zu schießen, so tritt ein wenig bei Seite, daß ich nicht auch einen Theil der Ladung bekomme. Nehmt das Gewehr hinunter, und nun die Pistolen. Auch den Gürtel schnallt ab, an dem das Messer sitzt, eine vortreffliche Waffe, wie es scheint, die ich für mich selber zum Andenken behalten werde. So, meine werthgeschätzten Herren, und nun, Mates, bindet ihm doch einmal die Hände auf den Rücken, daß wir vorläufig keine weiteren Umstände mit ihm haben.«
»Was wollt Ihr noch mehr von mir?« rief der Squatter bei diesen Worten entrüstet, »ich habe alle meine Waffen abgegeben.«
»Nur ruhig, Kamerad, nur ruhig. Das Andere wird sich weiter finden,« sagte Gentleman John mit freundlichem Kopfnicken. »Euch vor allen Dingen müssen wir sicher haben. Die andern Herren sind klug genug, sich auch ohne das unseren Wünschen geduldig zu fügen.«
Der Squatter, von mehreren Seiten dabei durch auf ihn gerichtete Gewehre bedroht, mußte vom Wagen hinunter, wo ihn einige von der Bande in Empfang nahmen, und ihm die Ellbogen auf dem Rücken zusammenschnürten, und Bill, dem Kutscher, wurde dann ebenfalls bedeutet, seinen Bock zu verlassen.
Gentleman John übernahm jetzt, als er sämmtliche Passagiere unter sicherer Aufsicht sah, die Visitation oder vielmehr die Plünderung der Ueberfallenen, und begann dabei mit dem Squatter, dem er eine stark gefüllte Brieftasche und eine wohlgespickte Börse, ohne den Inhalt für jetzt weiter eines Blickes zu würdigen, abnahm.
Nach ihm kam Mr. Moses an die Reihe, der sich unter winselnden Betheuerungen hoch und heilig verschwur, der ärmste Mensch unter der Sonne zu sein, und bereitwillig dabei selber seine Taschen umdrehte, aus denen nur einige Schillinge und etwas Kupfergeld zur Erde fielen.
»Das ist freilich wenig,« sagte mit bedauerlichem Achselzucken sein früherer Reisegefährte, »wer aber so bereitwillig Alles hergiebt, was er hat, verdient auch dafür Belohnung. Hier, Rothkopf, zieht doch einmal dem Kutscher seine Strümpfe und Schuhe und Hosen und Kleider aus. Er mag mit Mr. Moses tauschen.«
»Gott der Gerechte soll mich bewahren, daß ich dem Manne seine warmen Kleider nähme,« rief aber Moses, indem er bleich vor Schreck wurde, »bin ich doch zufrieden mit dem, was ich habe.«
»Nein, nein,« lachte Gentleman John, »wir wissen besser, was sich schickt – heda, helft ihm doch bei seiner Toilette. Zum Teufel auch, Jungen, seid doch ein wenig galant und unterstützt unsere Gäste.«
Moses wollte sich noch länger sträuben, aber es half ihm nichts. Ein paar der Buschrähndscher sprangen zu, und während ihn Einer hielt, zog ihm ein Anderer die Schuhe und Strümpfe aus, aus welchen Letzteren bald verschiedene kleine Päckchen von Banknoten zum Vorschein kamen.
Der arme Teufel schrie und tobte, und verlangte Hülfe von den andern Passagieren, aber es half ihm Niemand. Jede Naht, jede Falte, jedes Stückchen Unterfutter der zerlumpten Kleider wurde unter dem Jubeln der Räuber auf das Sorgfältigste untersucht, und die Beute zeigte sich weit reichlicher, als selbst Gentleman John erwartetet hatte. Moses bekam dann die guten warmen Sachen des Kutschers, während dieser, trotz all seinem Fluchen und Schwören in die Lumpen des Israeliten hinein mußte.
»Nun, mein bester Herr Warrel,« wandte sich jetzt der kecke Buschrähndscher an den seine Zeit in voller Gemüthsruhe erwartenden Kaufmann, »haben wir Beide ein kleines Geschäft mit einander, das wir hoffentlich zu beiderseitiger Zufriedenheit rasch beenden werden.«
»Sie wünschen?« sagte dieser verbindlich, indem er mit einem kaum bemerkbaren Lächeln um die Lippen Miene machte, die Uhr aus der Tasche zu ziehen.
»Bitte, bemühen Sie sich nicht,« lachte aber Gentleman John, indem er abwehrend die Hand gegen ihn ausstreckte. »Ich kenne den Werth Ihrer Kleinodien zu genau, um Sie derselben zu berauben. Auch das wenige Geld, was Sie bei sich haben, werden Sie zur Fortsetzung Ihrer Reise nothwendig brauchen. Dafür erlauben Sie mir aber, Ihnen einen Wechsel auf fünfhundert Pfund Sterling vorzulegen, den ich Sie bitten werde zu unterzeichnen. Daß er seinen Bestimmungsort erreicht, ehe Sie selber im Stande sind, dorthin Gegenbefehl zu schicken, mag dann meine Sorge sein.«
Mr. Warrel biß sich auf die Lippen, aber er wußte auch recht gut, daß er gezwungen war, zu gehorchen, und erwiderte trocken:
»Es bleibt mir nichts übrig, als Ihnen zu danken, daß Sie nicht eben so viele Tausende verlangen, und ich freue mich, so wohlfeilen Kaufs davon zu kommen. Wahrscheinlich haben Sie doch den Wechsel bei der Hand.«
»Jedenfalls finden wir einen unausgefüllten in Ihrem Taschenbuch,« sagte Gentleman John, in derlei Geschäften viel zu erfahren, irgend einen Mißgriff zu machen, »und an derselben Stelle auch vielleicht Ihre Unterschrift zum Vergleich. Dürfte ich Sie darum ersuchen?«
»Mein Taschenbuch?«
»Fürchten Sie nicht, daß ich Sie Ihrer Papiere berauben werde,« sagte der Mann, »sie hätten für mich nicht den geringsten Werth. Wenn nicht doch vielleicht geheim gehaltene Banknoten –«
»Ueberzeugen Sie sich selber,« sagte der Kaufmann, indem er dem Räuber seine Brieftasche überreichte. Dieser blätterte das Buch flüchtig durch, und nahm, als er wirklich kein Geld darin fand, nur einen unausgefüllten Wechsel heraus. Aus der eigenen Tasche brachte er dann ein Tintenfaß und eine Feder zum Vorschein, benutzte ohne weitere Umstände den Hut des Kutschers zum Tisch, und füllte mit fester und geübter Hand den Wechsel aus.
»So,« sagte er dann, Mr. Warrel die Feder überreichend, und ihm den Hut etwas näher schiebend, »wenn ich Sie jetzt um Ihre Unterschrift ersuchen dürfte.«
Der Kaufmann nahm die Feder; als er aber vorher noch einen flüchtigen Blick über das Geschriebene warf, sah er rasch zu dem Buschrähndscher auf und sagte:
»Sie verlangten nur fünfhundert Pfund, hier stehen aber sechs!«
»Ich glaubte,« erwiderte Gentleman John ruhig, »daß es Ihnen in dieser Weise am bequemsten wäre, zugleich die verlorene Wette zu bezahlen.«
»Ach so,« lachte Mr. Warrel, »Sie haben Recht; an die Wette dachte ich gar nicht mehr. Genügt Ihnen das?«
John nahm den ihm dargereichten Wechsel, dessen Unterschrift er genau prüfte und mit einer in dem Taschenbuch gefundenen verglich, faltete das Papier dann zusammen, schob es in die Tasche und sagte:
»Ich danke Ihnen, Mr. Warrel, und hoffe, daß wir später noch bessere Geschäfte mit einander machen mögen.«
»Nun, ich weiß doch nicht, ob ich der Hoffnung gerade beistimmen soll,« meinte der Kaufmann; »aber dürfen wir jetzt unsern Weg fortsetzen? Ich glaube nicht, daß sonst noch etwas –«
»Nur noch einen Augenblick,« unterbrach ihn Gentleman John, »bis ich die Briefbeutel revidirt habe. Gebt mir einmal den Schlüssel zum Kasten, Bill – ja so, der steckt wohl in den Kleidern, die jetzt Mr. Moses gehören. Dürfte ich Sie wohl einmal darum bitten, verehrter Herr?«
Der Schlüssel fand sich übrigens nicht, wenigstens nicht so rasch, als es der Buschrähndscher wünschte, und der Kasten wurde deshalb ohne Weiteres erbrochen, der lederne Briefbeutel aufgeschnitten, und Gentleman John war wohl eine Stunde damit emsig beschäftigt, die verschiedenen Briefe und Packete zu erbrechen und nach Geld zu durchsuchen.
Diese Ernte fiel über Erwarten günstig aus. So, als Gentleman John Alles hatte, was er wünschte, stopfte er die mißhandelten Briefe wieder ziemlich rücksichtslos in den zerschnittenen Beutel zurück, hing sich die Doppelflinte des Squattes mit dessen Pulverhorn und Kugeltasche um und sagte:
»Nun, Bill, habe ich Nichts dagegen, wenn Du versuchst, die nächste Station so rasch als möglich zu erreichen. Es wird sich freilich nicht sehr bequem in den nassen Wegen gehen.«
»Aber die Pferde, Sir!«
»Thut mir leid, Mate, die brauche ich selber viel zu nothwendig,« lautete die Antwort des Buschrähndschers, »als daß ich ein so treffliches Paar verschenken könnte. Ihr müßt Euch bis auf die nächste Station schon so behelfen.«
»Wir sollen gehen?« rief Mr. Warrel erschreckt.
»Thut mir wirklich leid, Ihnen die Unbequemlichkeit für die kurze Strecke zu machen,« sagte John, »aber es läßt sich nicht ändern. Sie werden auch wahrscheinlich auf der nächsten Station etwas länger als gewöhnlich auf die Pferde warten müssen, da ich sie ebenfalls für meine Leute nothwendig brauche. – So leben Sie denn wohl, meine Herrschaften, mein Freund hier, unser Squatter, wird die Güte haben, uns noch eine Strecke zu begleiten und unser Gepäck zu tragen – kein Wort der Widerrede, Sir, es wird für Sie das nächste Mal eine Warnung sein, sich mit höchst unnöthigen und gefährlichen Schießwaffen zu versehen. Und Ihr, Bill, ich hoffe, Ihr denkt billig genug, Mr. Moses nicht zu einem abermaligen Tausch zu zwingen.«
»Ich will verdammt sein –«
»Schon gut – daran zweifle ich nicht im Mindesten. Aber bald hätte ich noch etwas vergessen. Mr. Warrel, ich habe noch eine Bitte an Sie!«
»An mich, Sir?«
»Mein Hut ist vom letzten Regen so sehr mitgenommen, während sich der Ihrige, von gutem Filz, vortrefflich conservirt hat. Dürfte ich Sie bitten, mit mir zu tauschen?«
»Mit Vergnügen, Sir, und er soll mir stets ein theures Andenken bleiben.«
»Sie sind gar zu gütig,« lächelte Gentleman John, seinen Hut dem Kaufmann überreichend, während er selber dessen weit bessern entgegen nahm.
Einer von John's Leuten machte diesen jetzt auf die schwere goldene Kette aufmerksam, die Mr. Warrel noch immer trug. Ein paar Worte des Führers beruhigten den Burschen aber vollkommen. Die Pferde wurden dann in den Busch geführt, und dem Squatter, der mit störrischem Gleichmuth Alles über sich ergehen ließ, sein eigener wie der Reisesack des Mr. Warrel aufgeladen, mit dem er den Räubern in den Busch folgen mußte. Der schweigsame Passagier wurde gar nicht belästigt.
Wenige Minuten später waren Alle hinter den grauen Gumbüschen verschwunden und Bill blieb mit dem Reste seiner Passagiere neben dem unbespannten und ausgeplünderten Postkarren mitten auf der Straße zurück.
Allerdings ließ er einen Theil seines Grimmes an dem unglücklichen Mr. Moses aus, den er, trotz dem Abmahnen des Gentleman John, ohne weiteres zwang, ihm seine eigenen Kleider herauszugeben. Ihre Lage wurde aber dadurch um Nichts gebessert, und sie sahen sich endlich Alle gezwungen, Bill, der den zerschnittenen Briefsack auf den Rücken nahm, zu Fuß nach der nächsten, etwa noch zehn englische Meilen entfernten Station zu folgen.
Hier mußten sie einen ganzen Tag verbleiben, um erst von weiter her andere Pferde zu bekommen, denn Gentleman John hatte die Wahrheit gesprochen, als er Mr. Warrel versicherte, daß die dorthin gehörigen Pferde von seinen eigenen Leuten weggetrieben seien, und erst am vierten Tag erreichten sie in einem höchst traurigen Zustande die Hauptstadt Süd-Australiens – Adelaide.
Diese so kecke Beraubung der Post, wie die Wegführung eines der Passagiere, der sich später freilich von Dornen zerfetzt und von den gehabten Anstrengungen zum Tode ermattet, wieder einfand, machte in Adelaide nicht geringes Aufsehen.
Die Frechheit der Räuber war doch zu groß gewesen, sie diesmal ungestraft hingehen zu lassen. Die ganze südaustralische Polizei, über die im Augenblick verfügt werden konnte, wurde deshalb aufgeboten, die Buschrähndschers auszuspüren, und auf eine oder die andere Art unschädlich zu machen. Auf den Kopf des Anführers, des berüchtigten Gentleman John, war überdies eine Prämie von hundert Pfund Sterling gesetzt, und dem, der ihn lebendig einbringen würde, sogar eine Belohnung von zweihundert Pfund zugesichert worden.
Gentleman John, wie er von den Sträflingen seines ihnen imponirenden Wesens wegen genannt worden, hatte indessen seine Zeit vortrefflich benutzt, nicht allein seine Wechsel und Papiere in Adelaide, ehe der Raub bekannt wurde, zu verwerthen, sondern auch die andere reiche Beute in Sicherheit zu bringen. Ueberall dort genau bekannt, wie auch mit den einzelnen in jener Gegend heimischen schwarzen Stämmen befreundet, benutzte er diese letzteren besonders zu Spionen, und was er ihnen dafür an wollenen Decken und Lebensmitteln gab, machte sie zu seinen willfährigen und in dem öden, wasserarmen Busch oft höchst nützlichen und brauchbaren Dienern.
Sogar eine der schwarzen Frauen hatte er sich genommen, und alle dabei gebräuchlichen Ceremonien im Stamme durchgemacht, wie auch seinen Schwiegereltern ein reiches und übliches Kaufgeld für die Frau gegeben. Dadurch besonders fühlte sich der Stamm geehrt, und Gentleman John, der ein ebenso wildes, gesetzloses Leben führte, wie sie selber, war ihnen schon deshalb lieb geworden, weil die übrigen Weißen, die ihnen nur Schaden zufügten und sie von einem Platz zum andern trieben, ihn ebenfalls verfolgten. Sahen sie doch in ihm einen Leidensgefährten, dessen wohlbewaffnete Schaar sie gegen weitere Uebergriffe ihrer Feinde schützen und bewahren konnte.
Und Gentleman John selber? – Ei, der benutzte, in wildem und unbegrenztem Uebermuth, jede Hülfe, die sich ihm bot, komme sie von welcher Seite auch immer, jeden günstigen Augenblick, den er erhaschen konnte. Jedenfalls in seiner Jugend zu Besserem erzogen, lag, Verführter oder Verführer, ein dunkles Leben hinter ihm, und mit der neugewonnenen Freiheit schien er entschlossen, diese zu genießen, allen menschlichen Gesetzen zu Trotz und Hohn.
Rücksichtslos dabei Alles unter die Füße tretend, was nicht seinem Zweck gerade diente, wußte er sich bei der Bande, die sich ihm angeschlossen, leicht in Respekt, bei der ganzen Umgegend aber in Furcht zu setzen, und so, mit Kundschaftern an allen Seiten, hatte er schon manchen gegen ihn unternommenen Angriff vor der Ausführung vereitelt, oder mit seiner wohlbewaffneten und sogar nicht einmal schlecht disciplinirten Schaar zurückgeschlagen, und wenig kümmerte er sich jetzt um die Folgen seines kecken Streichs.
Nach allen Seiten hin aber von vortrefflichen Spionen bedient, konnte es ihm auch nicht lange verborgen bleiben, daß sich diesmal doch ein schwereres Unwetter als gewöhnlich über seinem Haupte zusammenzog. Von allen Richtungen kamen die Boten, die ihm Kunde brachten, daß in den verschiedensten Distrikten bewaffnete Mannschaft aufgeboten und ein Schlag vorbereitet würde, der ihn und seine zu gefährlich gewordene Bande mit einem Wurf vernichten sollte. Auch der auf sein Einbringen gesetzte Preis von zweihundert Pfund Sterling, der dem Verräther, wenn es selber ein entflohener Sträfling sei, noch außerdem vollen Pardon sicherte, machte seine Stellung mehr und mehr gefährlich, denn daß er nicht auf die Treue von allen seinen Leuten zählen durfte, wußte er recht gut. Wenige waren in der That unter ihnen, die ihn nicht gerne verrathen hätten, wenn sie nur ihr eigenes Leben nicht zu sehr dabei gefährdet wußten.
Solchem Zustande mußte er ein Ende machen. Außerdem hatte er dies trostlose Leben, die stete Gefahr, das rastlose Umherstreifen in dem öden Wald recht von Herzen satt, und schon den Plan entworfen, Australien so bald als möglich zu verlassen.
An einer Biegung des Murray, und hoch genug an dessen Ufer hinauf, wo das Wasser desselben nicht durch die Ebbe und Fluth des Victoria-Sees ungenießbar gemacht war, hatten sie für den Augenblick ihr Lager aufgeschlagen, und die rings umher aufgeschichteten und mit Stücken Rinde gegen das Wetter geschützten Vorräthe schienen dabei auf die Absicht eines längeren Aufenthalts zu deuten. Unfern davon aber und im Schilf versteckt, lag ein tüchtiges Fischerboot, von denen einige den Victoria-See befuhren, und unter der Hand hatte der Buschrähndscher bis jetzt von seinen Leuten mehrere kleine Fässer mit Wasser füllen und einigen Proviant an Bord schaffen lassen.
Allerdings drohte ihnen bei einem Fluchtversuch in offener See noch eine keineswegs unbedeutende Gefahr, denn an der Mündung des Victoria-Sees in die Encounter-Bay wälzt sich eine so furchtbare Brandung dem kühnen Schiffer entgegen, daß die Durchfahrt durch diesen schmalen Meeresarm schon von vielen Seeleuten als ganz unmöglich geschildert wurde. Gefahr aber, ob sie ihm von Menschen oder den Elementen drohte, konnte den verwegenen Räuber nicht schrecken. Durch diese Brandung lag die Bahn zur Freiheit, und durch sie hin war er entschlossen, seinen Weg zu suchen.
Die Einschiffung selber sollte auch schon am nächsten Morgen stattfinden, und nur den Schwarzen hatte er bis jetzt noch den eigentlichen Zweck dieser Flucht verheimlicht, da sich diese wahrscheinlich derselben widersetzt, oder ihn gar im entscheidenden Augenblick verrathen hätten. Ließ er sie doch schutzlos der Rache der Weißen allein zurück.
Der Morgen dämmerte eben. Auf die höchsten Wipfel der hier in der Niederung zu riesiger Höhe wachsenden Gumbäume lagerte sich der erste Schimmer des anbrechenden Tages, und färbte das mattgraue Laub der holzigen Blätter mit einem eigenen fast zauberhaften Duft. Zugleich stand noch der Mond in voller Scheibe am Himmel, und warf sein fahles Licht durch die nur spärlich belaubten Wipfel auf die niederen Rindendächer und halb verglommenen Feuer, um die wunderliche Gruppen fest in ihre Decken eingehüllter menschlicher Gestalten und ganze Schaaren halbverhungerter Hunde gelagert waren.
Die Insassen dieses wilden Bivouaks schienen sich übrigens vollkommen sicher zu fühlen, oder der Wachsamkeit der ausgestellten Posten genugsam zu vertrauen, die nöthige Zeit der Ruhe nicht durch nutzlose Sorge zu unterbrechen oder zu stören. Nur hie und da hob Einer der Schläfer manchmal den Kopf, aus müden Augenlidern nach dem dämmernden Tag emporzuschauen und hüllte sich dann fester in seine Decke, die kalten Morgennebel von sich fern zu halten.
Da glitt eine dunkle, nackte Gestalt, mehr einem Schatten, als menschlichem Wesen gleich, am Ufer des Stromes herauf und durch die dichten Büsche hin dem Lager zu. Die Hunde hoben knurrend den Kopf, und drückten ihn winselnd wieder gegen ihre Weichen, als sie, mit einen Augenblick hochgehaltenen Nasen, den Bekannten gewittert. Dieser aber sprang mitten zwischen ihnen hin, zum nächsten Feuer, schürte die Brände zusammen, bis sie zu heller Glut emporloderten, und wärmte daran die halberstarrten nackten Glieder. Doch nur kurze Rast gönnte er sich an der wohlthuenden Glut. Sein rasch umhergeworfener Blick hatte bald das Rindendach des weißen Häuptlings unter den übrigen heraus gefunden, und zu diesem hinanschleichend, erfaßte er die dort ausgestreckte kräftige Gestalt Gentleman John's, und legte seine Hand auf dessen Schulter.
Im Nu fuhr der Buschrähndscher von seinem Lager empor, und die, in demselben Augenblick auch aufgegriffene und gespannte Pistole bewies deutlich genug, daß er die ganze Nacht doch nur »die Hand am Kolben« geschlafen.
»Bst!« flüsterte aber der Schwarze, den Finger warnend gegen ihn gehoben – »sie kommen!«
»Sie kommen? – wer?« rief John, sich wild die Haare aus der Stirn streifend.
»Die Weißen,« lautete die vorsichtige Antwort des Eingebornen. »Müssen die ganze Nacht bei Mondschein marschirt sein – sind oben am Fluß und eben dabei herüber zu kommen.«
»Und wie viele, Bukkul?« rief John, der erst jetzt in dem Alten seinen zum Kundschaften ausgesandten Schwiegervater erkannte.
»Tausend,« erwiderte dieser, mit dem Zahlwort, das in der Sprache der australischen Wilden eine unbestimmte, aber sehr große Anzahl bedeutet – »Tausend. Haben Pferde und Gewehre und viele rothe Jacken und blaue Jacken und lange Messer.«
»Alle Teufel!« brummte John leise vor sich hin, »das ist um vierundzwanzig Stunden zu früh, läßt sich aber jetzt nicht ändern. Die Burschen sollen uns wenigstens nicht unvorbereitet finden. Wecke die Deinen, Bukkul!«
Ein scharfer Pfiff, den er zugleich ausstieß, schallte gellend durch den stillen Wald und brachte im Nu die schlafenden Buschrähndscher auf die Füße. War es doch das Alarmzeichen ihrer Schaar, und die Bande sich der Gefahr, in der sie fortwährend schwebte, viel zu gut bewußt, die Warnung auch nur für einen Moment unbeachtet zu lassen.
Im Nu fuhren sie von ihren harten Lagern empor, und, ihre Taschen umgehängt, die Gewehre in ihren Händen, sammelten sie sich um ihren Führer, der indessen schon einige der jungen Leute von den Eingebornen ausgeschickt hatte, das Vorrücken der Feinde zu beobachten.
Gentleman John übrigens, so viel persönlichen Muth er auch selber besaß, fühlte doch viel zu gut das Mißliche seiner Lage, und war keineswegs blind genug, sich über das Gefährliche derselben auch nur einen Augenblick zu täuschen. Andere Kundschafter waren noch angekommen, deren Berichten nach sich die wider ihn ausgesandte Macht auf nahe an hundert Mann belief, und wenn er denen gegenüber leicht eine gleiche Zahl in's Feld stellen konnte, wußte er doch recht gut, daß er sich nicht einmal ganz fest auf seine weißen Cameraden verlassen durfte, während die Schwarzen bei der ersten Salve davon liefen, oder doch den sichern Busch zur Deckung suchten.
Außerdem konnte, von dem Versprechen freien Pardons und der goldenen Belohnung verblendet, selbst während des Kampfes leicht Einer der Seinigen sein Verräther werden, und ihrer aller Untergang wäre dann gewiß gewesen. Das ja ist das Unglück des Verbrechers, daß er Niemandem, selbst seinen Helfershelfern nicht mehr trauen darf, und in der ganzen Menschheit seinen Feind nur sieht. Auf einen gleichen Kampf mit der Polizei hätte er es deßhalb auch gern und rasch gewagt; die Verzweiflung stählt den Arm des Kämpfenden, und Verzweifelte waren es hier, denen selbst der Sieg nur eine Galgenfrist bieten konnte. Jetzt aber, wo er die Uebermacht auf Seiten seiner Feinde wußte, und der Arm eines einzigen Verräthers ihn leicht in ihre Hände, in die Hände des Henkers liefern konnte, mußte er sich den Rücken decken.
Rasch gab er deßhalb seine Befehle, einen kleinen Theil der Vorräthe in das versteckte Boot zu schaffen, während er die Schaar, auf die er sich am sichersten glaubte verlassen zu können, in die Nähe desselben, hinter eine rasch von herunter gebrochenen Zweigen und herzugewälzten Stämmen aufgeworfene Barricade postirte. Seine ganze Mannschaft theilte er dann in drei Trupps, die das Terrain nach besten Kräften benutzen und einander mit ihren Gewehren decken sollten. Solcher Art hoffte er den Ueberfall, der jeden Augenblick stattfinden konnte, wenigstens so lange aufzuhalten, bis er sein Boot flott und segelfertig hatte, und der breite, hier ziemlich rasch strömende Fluß mochte ihn dann der Freiheit entgegen führen.
Rasch und willig führten die Buschrähndscher selber die ihnen gegebenen Befehle aus, denn auch ihnen lag weit mehr daran, ihre Haut in Sicherheit zu bringen, als einen langen und ernsthaften Kampf mit den disciplinirten Gegnern zu bestehen. Mit mißtrauischen Blicken betrachteten dagegen die Schwarzen das eilige Instandsetzen des Bootes; denn rasch genug begriffen sie, daß ihre weißen Bundesgenossen dasselbe zur Flucht benutzen wollten. Das kleine Fahrzeug konnte aber, schwerbeladen wie es war, kaum diese alle aufnehmen, und was sollte da aus ihnen werden. Der weiße Häuptling, ihrem Stamm durch eine ihrer Töchter verwandt, durfte sie nicht verlassen, und doch traf er dazu jetzt alle Vorbereitungen.
Bukkul, Einer der Burkas oder Stammältesten, der Vater von Lloko, Gentleman John's Frau, wurde denn auch von seinem Stamm abgesandt, des Weißen Plan zu erfahren, und die erste Frage nur, die er an den schlauen Räuber richtete, warnte diesen vor der neuen auftauchenden Gefahr.
»Das Boot, Bukkul?« sagte John, »sollen wir das etwa den Rothjacken überlassen? und eben so all' das Brod und Fleisch, und den Brandy, der hier aufgehäuft liegt? – Wenn wir zurück müssen in den Busch, können wir doch nicht Alles auf unseren Schultern tragen, und wenn wir wieder hierher kommen, wollen wir wieder essen und trinken.«
»Und wohin will Johnny mit dem Boote gehen?« fragte der Alte.
»Wohin? – nirgendshin – nur den Fluß ein Stück hinab, bis dahin, wo uns die Rothjacken nicht im Sumpf und Schilf folgen können.«
»Und Du selbst gehst mit hinein?«
»Kann ich in's Boot?« rief der Buschrähndscher, »wo ich uns Alle hier vertheidigen muß?«
»Gut,« sagte Bukkul, »dann laß die Frauen und Kinder darin den Strom hinabschwimmen, wo sie die Kugeln der weißen Teufel[8] nicht erreichen können. Lloko mag mit ihnen gehen und Bukkul wird dafür sorgen, daß das große Canoe gesichert bleibt.«
»Wenn ich Dich entbehren könnte, Bukkul,« erwiderte ausweichend John, »aber Du allein hast Ansehen bei deinem Stamm, und wenn Du fort bist, laufen Deine jungen Männer auch in den Busch, und lassen Johnny allein hier zurück, das Lager zu vertheidigen.«
»Und sollen die Frauen und Kinder in das große Canoe?« frug der Wilde.
»Nein,« sagte John nach einigem Zögern. »Sie sind sicherer im Busch. Wenn sie darin springen und schaukeln, drehen sie das Canoe um, und Alles was wir darin haben, wäre verloren.«
»Es ist gut,« sagte Bukkul finster, und schritt langsam zu den Feuern der Seinen zurück.
John sah ihm mit fest auf einander gebissenen Lippen nach, aber auf anderer Seite war seine Gegenwart zu nöthig, ihm lange Zeit zum Ueberlegen zu lassen.
Unter den Buschrähndschern selbst hatte sich nämlich ein Streit entsponnen, da ein Theil die ihm zugewiesenen Plätze nicht behaupten, und lieber mit den Uebrigen in der Nähe des Bootes bleiben wollte. Wer bürgte ihnen dafür, daß die Andern sie nicht im Stiche ließen; wußten sie doch recht gut, daß sie an deren Stelle das Nämliche gethan.
John war aber kaum unter sie getreten, den Streit zu schlichten, als gar nicht weit von dem Lager entfernt ein Schuß fiel, und gleich darauf Einer der Eingebornen seinen Speer schwingend zum Lager stürzte.
»Wahnsinnige!« schrie da John, den Augenblick benutzend. »Jetzt, wo der Feind im Begriff ist, uns von allen Seiten anzugreifen, streitet Ihr Euch wie Kinder um Eueren Platz im Kampf. An Euere Posten, oder beim Teufel, der Erste, der noch ein Wort der Gegenrede über seine Lippen bringt, stirbt von meiner Hand. Fort, Ihr da – hinüber hinter das Verhau – seht Ihr dort hinten die Rothjacken durch die Bäume schimmern? – Die sind ein treffliches Ziel und an denen laßt Eueren Grimm aus, so viel Ihr wollt.«
John hatte Recht. Schon konnten sie zwischen den schlanken und hohen Stämmen der Niederung hin die rothe Uniform ihrer Feinde hie und da vorschimmern sehen, und da die Buschrähndscher recht gut wußten, daß sie wenigstens den ersten Anprall der Gegner zurückweisen mußten, um freie Hand zu ihrer Flucht zu bekommen, folgten sie jetzt dem Befehl des Obern, der ihnen mit seinem Beispiel voranging. An den Kampf im Busch gewöhnt, und besonders hier mit jedem Vortheil, den ihnen der Boden gewährte, bekannt, hatten sie auch bald die erste mehr zum Recognosciren als zum wirklichen Angriff ausgesandte Abtheilung des Militärs in der Flanke gefaßt, und ihre Kugeln trafen und überraschten den Feind von allen Seiten.
Durch den Uebermuth der Buschrähndscher dazu getrieben, dem Unwesen endlich ein Ende zu machen, und die Sicherheit des Eigenthums in der Colonie doch einigermaßen wieder herzustellen, waren in der That, wie schon erwähnt, die äußersten Anstrengungen gemacht worden. Hielten doch diese Nachrichten, wenn sie nach Europa drangen, sonst zum Auswandern vielleicht Gewillte davon ab, ihr Leben und Vermögen einer Colonie anzuvertrauen, wo Beides in solchem Grade gefährdet war, und wie es schien, von den Behörden selber nicht einmal mehr geschützt werden konnte.
Der Oberbefehl war dabei wieder unserem alten Bekannten, Tolmer, übertragen worden, der nicht allein den Busch, sondern auch diesen kecken und gefährlichen Räuber sehr genau kannte. Hatte er ihn doch früher schon einmal als John Mulligan eingeliefert, und jetzt den nachlässigen Behörden zu danken, daß er auf's Neue sein Leben in die Schanze schlagen durfte, den zum Aeußersten getriebenen Verbrecher endlich unschädlich zu machen.
Es bedurfte aber auch eines solchen Führers, das mit dem Busch nur wenig vertraute Militär alle die ihnen entgegen stehenden Schwierigkeiten überwinden zu lassen, denn von den dort angestellten Squattern und Schäfern durften sie auf wenig oder gar keine offene Hülfe und Unterstützung rechnen. Diese fürchteten die Buschrähndscher und deren Rache, wenn das Unternehmen mißglücken sollte, mehr, als sie von dem gegen sie unternommenen Zug erhofften.
Nur zu oft war es nämlich schon vorgekommen, daß sich die Squatter hatten verleiten lassen, den gegen die Strauchdiebe ausgesandten Polizeibeamten thätliche und offene Hülfe zu leisten, ohne daß die Letzteren etwas Wesentliches ausgerichtet hätten. Die Polizei zog sich dann wieder zurück, aber die Squatter blieben auf ihren einzelnen Stationen der Rache der gereizten Verbrecher preisgegeben, die dann auch selten säumten, furchtbare Wiedervergeltungsrache zu üben. Mit solchen Erfahrungen hielten es die auf viele Meilen von einander zerstreut wohnenden Ansiedler viel gerathener, sich bei späteren Expeditionen, wo das nicht ganz im Geheimen geschehen konnte, gar nicht mehr zu betheiligen, ja unterstützten die in ihrer Nachbarschaft ihr Wesen treibenden Buschrähndscher wohl noch gar mit Lebensmitteln und Kleidern, wenn sie deren dringend bedurften, sich ihren guten Willen zu erkaufen und sie abzuhalten, ihre Heerden fort zu treiben oder ihre Stationshäuser in Brand zu stecken.
Tolmer bedurfte ihrer nicht; mit ein paar treuen Schwarzen, die dem am Murray lagernden Stamm ihrer Landsleute feindlich gesinnt waren, hatte er am Abend vorher, ehe der Angriff stattfinden sollte, die Gegend selber ausgekundschaftet, und sich von der Situation des Lagers, wie der ungefähren Stärke des Feindes überzeugt. Wäre diese aber auch doppelt so stark gewesen, Tolmer wußte, daß seine Leute siegen würden, denn wenn auch die Verzweiflung einer solchen Schaar ihre wackere Hülfe im Kampf ist, wog das Bewußtsein ihrer guten Sache das auch doppelt wieder auf. Uebrigens hatte er von dem im Schilf versteckten Boot keine Ahnung, und an die andere Seite des Stromes nur einige Scharfschützen postirt, auf solche der Feinde zu feuern, die etwa in einem der erbärmlichen indianischen Rindenschalen oder durch Schwimmen versuchen sollten, das gegenüberliegende Ufer zu erreichen.
Zwei Freiwillige hatten sich übrigens seinem Zuge angeschlossen, und zwar zwei alte Bekannte von uns, Bill, der Kutscher der Royal Mail, der dem würdigen Fuhrwerk Valet gesagt, sein Brod auf andere Weise zu verdienen, und jener Squatter, Passagier der geplünderten Postkutsche.
Bill, der auf den Fahrten mit dem lebensgefährlichen Karren seinen Hals wochenlang der Wahrscheinlichkeit ausgesetzt hatte, über kurz oder lang gebrochen zu werden, sah auch in dieser Expedition eben nichts Gefährlicheres, und wollte, weil für den Augenblick ohne bestimmte Beschäftigung, die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, den verwünschten Buschrähndscher einmal wieder zu finden und zur Rechenschaft zu fordern für die erlittene Mißhandlung.
Der Squatter kam in einer andern Hoffnung. Gentleman John hatte ihm nämlich nicht allein seine erst theuer erkauften Waffen, sondern in der Brieftasche auch sein ganzes Besitzthum abgenommen, das er erst wenige Tage vorher zu Geld gemacht. Seine Absicht war gewesen, sich in der Nähe von Adelaide niederzulassen, weßhalb er seine Station mit all' seinen Heerden am Nooratberg verkauft. Jetzt, von allen Mitteln entblößt, blieb ihm fast nichts Anderes übrig, als hier einen letzten verzweifelten Versuch zu machen, sein Geld vielleicht wieder zu bekommen, oder doch wenigstens an dem frechen Räuber Rache zu nehmen.
Tolmer hatte indessen seine ihm untergebene Schaar in zwei Haufen getheilt, von denen er den einen in die Flanke gesandt, während er mit dem andern gerade vorrückte. Recht gut wußte er dabei, daß die Buschrändscher an dem dort hohen Ufer des Stromes eine ziemlich gute Stellung eingenommen hatten, und sie, oder wenigstens einen Theil von ihnen, aus derselben herauszulocken, schickte er ein kleines Detachement Militär voraus, das den gemessenen Befehl hatte, einige Schüsse abzufeuern und sich, so wie der Feind gegen sie anrücke, langsam hinter den Schutz der Bäume zurück zu ziehen.
Gentleman John war aber zu schlau, in diese viel zu offen liegende Falle zu gehen, und wie die Soldaten dem scharfen Feuern der Seinen wichen, rief sein Signal die siegesmuthigen Räuber wieder hinter ihre Verschanzungen zurück.
Rothkopf, einer der wenigen Buschrähndscher, auf die er sich am besten glaubte verlassen zu dürfen, hatte indessen die Einschiffung der zu einer langen Fahrt nothwendigsten Gegenstände besorgt, und besonders von den Schwarzen mehrere dazu verwandt, nicht allein die Provisionen in das Boot zu packen, sondern auch noch verschiedene kleine Wasserfässer anzufüllen, da sie das Wasser den Strom weiter hinab seines Salzgehaltes wegen nicht mehr gebrauchen konnten. Dadurch aber war der Verdacht der Eingebornen zur Gewißheit geworden; denn wenn den Weißen nur daran lag, ihr Boot weiter unten am Strom in ein sicheres Versteck zu bringen, so hätten sie dazu nicht des vielen frischen Wassers bedurft. Gingen sie aber wirklich in See, so war ihr Stamm hier der größten Gefahr ausgesetzt, von den Feinden aufgerieben zu werden.
Tolmer wußte allerdings Nichts von dieser Uneinigkeit im Lager der Feinde, er hatte sie aber diesmal zu fest und sicher umstellt, um nicht von einem entschiedenen Angriff seiner ganzen Macht Alles zu hoffen. Ueber den Fluß konnten sie nicht, ohne von seinen Schützen drüben empfangen zu werden, der Weg in den Busch war ihnen durch seine Constabler und berittenen Polizeisoldaten abgeschnitten, und ein Theil der Letzteren mit der kleinen ihm mitgegebenen Abtheilung regulären Militärs mußte sie jetzt entweder aufreiben oder in das Uferschilf des Murray jagen, wo ihnen zuletzt keine andere Wahl blieb, als sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
Kaum hatte sich deshalb der zum Recognosciren abgeschickte erste Trupp vor dem heftigen Feuer der sich von allen Seiten auf sie werfenden Buschrähndscher zurückgezogen – wobei sie drei Todte auf dem Kampfplatz lassen mußten – als Tolmer das Zeichen zum allgemeinen Angriff gab, und jetzt besonders die reguläre Truppe mit weit mehr Erbitterung über den heißen Empfang als Vorsicht auf die Räuber eindrang. Sie erreichte auch zuerst den Kampfplatz, und die Buschrähndscher, die im Anfang glaubten, daß sie die ganze Macht des Feindes hier vor sich hätten, richteten auf die rothen, leicht zu erkennenden und besonders im Buschkampf höchst unzweckmäßigen Uniformen ihr ganzes tödtliches Feuer. Selbst die an der rechten Flanke postirten Männer schossen ihre Musketen nach jener Richtung ab, und erhoben ein Siegesgeschrei, als sie sahen, welch schlimme Wirkung ihre Kugeln in dem dicht gedrängten kleinen Trupp der Soldaten anrichtete.
Diesen Augenblick, ehe die Räuber im Stande waren, ihre Gewehre wieder zu laden, benutzten die Constabler, denen sich der Squatter und Bill angeschlossen hatten, mit einem lauten Hurrah und bei dem Rasseln einer von den Soldaten geborgten Trommel aus ihrem Hinterhalt zu brechen. Ohne einen Schuß zu feuern, drangen sie bis auf etwa zwanzig Schritte gegen die bestürzten Buschrähndscher vor und hatten, erst jetzt in tödtlicher Nähe, ihre Musketen und Doppelflinten auf sie entladend, im Nu den Verhau gestürmt, der den Räubern bis dahin Schutz gewährt.
Zu diesem Beistand war zwar von Gentleman John der ganze schwarze Stamm bestimmt worden, der mit seinen Speeren einen dort angreifenden Feind in der Flanke fassen sollte. Bukkul aber, nicht gesonnen, das Boot außer Acht zu lassen, hatte seinen Leuten insgeheim Gegenbefehle gegeben, und während die überraschten Buschrähndscher jetzt flüchtig und in panischem Schreck auf den Haupttrupp der Ihren zurückfielen, glitten die Schwarzen, von den Frauen und Kindern gefolgt, der Stelle zu, wo das Boot, nur von einigen überhängenden Bäumen verdeckt, flott im Strome lag.
Gentleman John übersah mit einem Blick die über ihn hereinbrechende Gefahr. Rothkopf, den er zum ersten Lieutenant seiner Schaar gemacht, hatte freilich selbst für diesen von dem schlauen Buschrähndscher vorhergesehenen Fall seine Instruktionen, durfte er aber selbst diesem trauen? – Da antwortete eine Musketensalve vom Boote her seinem ängstlichen Zweifel. Die dort gestörte Schaar hatte, dem Befehl des Führers treu, und auch im eigenen Trieb der Selbsterhaltung, ohne Weiteres auf die befreundeten Schwarzen Feuer gegeben, und laut aufheulend in Schmerz und Wuth wich die dunkle Horde den wohlgezielten Kugeln der Verräther.
Dies plötzliche Feuern im Rücken erfüllte aber den vorderen Trupp der Buschrähndscher, die von solchem Befehl keine Ahnung hatten und sich von allen Seiten umzingelt glaubten, mit Entsetzen. Während daher John, die augenblickliche Verwirrung benutzend, zurück, dem Boote zu, sprang, warfen sich einige von seinen Leuten voller Verzweiflung und Alles verloren glaubend, in den Strom, das gegenüberliegende Ufer durch Schwimmen zu gewinnen, während Andere neben den Feinden hin in das Dickicht zu entkommen suchten.
Der Squatter sowohl wie Bill, die bei dem siegreichen Flankenangriff betheiligt waren, hatten indessen unter den Räubern beide ihren gemeinsamen Feind erkannt, und ohne sich um die Andern zu kümmern, deren zersprengter Schwarm meist niedergeschossen wurde oder den Constablern in die Hände fiel, sprangen die beiden Männer hinter der flüchtigen Gestalt des Räubers her, mitten in das Lager hinein.
John selber wußte recht gut, daß er keinen Augenblick zu versäumen hatte, sich und einige Wenige der Seinen in dem Boot in Sicherheit zu bringen. Was kümmerten den herzlosen Räuber die Uebrigen, hätten sie doch an seiner Stelle das Nämliche gethan. Jetzt gerade war da auch der günstige Moment, da die Feinde durch das Ausbrechen des überrraschten Vordertrupps vollkommen beschäftigt und aufgehalten wurden. Ohne sich deshalb auch nur nach denen, die er befehligt, umzusehen, und vollkommen gleichgültig dagegen, was aus ihnen würde, umsprang er die nächste, erst kürzlich aufgeworfene Verschanzung, hinter der noch der letzte Rest ihrer Vorräthe aufgeschichtet lag.
Von dort aus konnte er das Boot erkennen. Rothkopf stand im Spiegel desselben, das Steuer in der Hand, sechs oder sieben seiner Schaar hatten theils Ruder, theils Stangen aufgegriffen, das Fahrzeug, so wie der Befehl gegeben wurde, rasch vom Ufer zu stoßen, und zwei Andere waren gerade beschäftigt, eine dünne Ankerkette, die noch am Ufer um einen Baum geschlagen lag, loszuwerfen. Es schien die höchste Zeit, daß er sich seinen Leuten zeigte, fühlte er sich doch nicht ganz sicher, daß selbst Rothkopf auf ihn warten würde, wenn er, Gefahr für sich sehend, das Boot, von allen Hindernissen frei, im Strom erst hatte.
Kaum noch hundert Schritte war er von diesem entfernt, und wollte eben einen im Weg liegenden Gumbaum überspringen, als sich ihm dort die drohende Gestalt seines alten Bekannten, des Squatters, in den Weg warf, der ihm mit auf ihn angelegtem Rohr ein donnerndes »Halt, verdammte Bestie!« entgegen rief. Zu gleicher Zeit hörte er flüchtige Schritte hinter sich, und den Kopf scheu zurückschlagend, erkannte er Bill, den früheren Conducteur und Postillon der Royal Mail, der sein abgeschossenes Gewehr verkehrt in der Hand mit gehobenem Kolben hinter ihm drein sprang.
»Ergib Dich, Canaille,« donnerte ihm dabei der Squatter zu, »oder, beim ewigen Gott, ich schicke Dir eine Ladung Blei durch's Hirn!«
»Schieß und sei verdammt!« knirschte aber der Buschrähndscher durch die Zähne, denn hier lag nur die Wahl für ihn zwischen Tod auf dem Schlachtfelde oder am Galgen, und mit raschem Ansprung wollte er sich auf den Gegner werfen. Da berührte dessen Finger den Drücker, und um John's Leben wäre es geschehen gewesen, hätte sich nicht in diesem Augenblick ein Freund, der einzige vielleicht, den er auf dem weiten Erdenrund so nennen durfte, zu seiner Hülfe an dem Kampf betheiligt.
Es war Lloko, sein schwarzes Weib, das er, mit Allen ihres Stammes, gerade im Begriff gewesen, dem Feind zu überlassen. Wußte er auch, wie sie ihn liebte, wie sie mit all' der hingebenden Treue an ihm hing, deren nur eben ein Frauenherz fähig ist, auch wenn es unter einer dunkleren Hautfarbe schlägt, was kümmerte das ihn, den Gefehmten der Gesetze. Er kannte, liebte nur sich selbst.
Lloko dagegen, mit keinem Gedanken von Mißtrauen im Herzen gegen den Mann, dem sie sich einmal zu eigen gegeben, sah trotz den Kugeln, die aus den Büchsen der verrätherischen Weißen die Reihen ihres Stammes lichteten, und Freunde und Brüder an ihrer Seite nieder warfen, nur die Gefahr des Gatten, sah ihn, der ihre Seele war, bedroht vom Feinde, und mit der kurzen Kriegskeule in der Hand, die sie zu ihrer eigenen Vertheidigung aufgegriffen, schmetterte sie in demselben Augenblick das drohend auf ihn gerichtete Rohr zur Seite, als es seine tödtliche Ladung gegen ihn entsandte. Der zweite blitzschnell dem ersten folgende Schlag war gegen das Haupt des Weißen selber gerichtet, und der ehrliche Squatter brach, von dem harten Holz getroffen, bewußtlos wo er stand zusammen.
John, der sich jetzt nur noch von einem und zwar dem wenigst gefährlichen Gegner bedroht sah, schöpfte wieder neue Hoffnung.
»Brav, Lloko!« rief er, indem er geschickt dem von Bill nach ihm mit bestem Willen geführten Kolbenschlag auswich; »Du verstehst es viel besser, als der Tölpel hier.« In gleichem Moment unterlief er den im Buschkampf weniger geübten Roßlenker, und Bill fühlte nur noch ein paar unbestimmte dumpfe Schläge, die ihm der geübte Boxer auf Stirn und Schläfe gab, als er, wie von einem Schmiedehammer getroffen, zusammenknickte.
Drei, vier Schüsse wurden jetzt von Einzelnen der Constabler, die den Kampf aus der Ferne gesehen, herübergefeuert, und die Kugeln schlugen links und rechts in die Bäume ein. Unversehrt aber sprang John jetzt, von Lloko dicht gefolgt, dem Boote zu, das in diesem Augenblick seine Kette freibekommen hatte.
»Höchste Zeit, daß Ihr kommt, Johnny!« rief diesen Rothkopf entgegen, »Teufel noch einmal, es wird Zeit, daß wir abschieben – an Bord, sag' ich – an Bord, oder wir haben die Rothjacken am Hals, ehe wir's denken. – Soll denn die Schwarze mit?«
John blickte, noch selber zweifelhaft, nach seiner Frau hinüber, Lloko aber, ohne auf die Frage zu achten, warf sich in den Strom, schwamm zu dem Boot hinüber und kletterte an Bord. Zeit zum Ueberlegen blieb überhaupt nicht, und Gentleman John mußte ihrem Beispiel folgen, wollte er nicht selber zurückgelassen werden. Seine Brieftasche zwischen den Zähnen, stieg er in den Strom, und hatte kaum eine ihm zugereichte Stange ergriffen, sich leichter hinüber ziehen zu lassen, als die Ersten der Feinde schon auf der Uferbank erschienen, und daran hinnrannten, das Boot am Abfahren zu verhindern. In wenigen Sekunden war der Führer der Buschrähndscher aber an Bord, und mit Stangen und Rudern arbeitete die kleine Schaar, die Mitte des hier ziemlich breiten und tiefen Stromes zu gewinnen.
Durch das Geschrei der Constabler angelockt, eilte jetzt auch ein kleiner Trupp der bis zum verlassenen Hauptlager vorgedrungenen Soldaten herbei, und diese feuerten, als sie das Boot im Wasser sahen, ihre Gewehre darauf. Zwei der Buschrähndscher wurden getödtet, und selbst John erhielt eine Streifwunde an der Schulter. Das schilfige Ufer verhinderte hier aber, daß ihnen die Feinde so rasch folgen konnten, und ehe diese wieder geladen hatten, waren sie aus dem Bereiche ihrer Kugeln.
Schweren Stand würden die flüchtigen Räuber freilich trotzdem gehabt haben; denn Tolmer führte einen Theil seiner Leute auf einem ihm bekannten Pfad den Strom eine Strecke hinab, wo sie, wenn sie vor dem Fahrzeug eintrafen, den gerade an dieser Stelle wohl sehr tiefen aber nicht breiten Strom sehr leicht überschießen konnten. Ein scharf einsetzender Nordwestwind begünstigte aber die Verbrecher. Nachdem sie die beiden Leichen der getödteten Kameraden ohne weitere Ceremonie über Bord geworfen und ihr kleines Boot dadurch wesentlich erweitert hatten, setzten sie das schon bereit liegende Segel, und glitten jetzt, weit rascher als ihnen das mit Rudern möglich gewesen wäre, den leicht gekräuselten Strom hinab.
Als die Verfolger den vorerwähnten Platz erreichten, konnten sie eben noch in der Ferne, gerade dort, wo der Murray breit und sumpfig in den Victoria-See einmündet, das lichte Segel der Räuber erkennen, und an ein weiteres Nachsetzen ohne Boote war nicht zu denken.
Zwar wurden solche so rasch als möglich vom Ufer des Sees her requirirt, und der Anführer der Polizei hatte immer noch die Hoffnung, die flüchtigen Feinde wieder aufzuspüren, die, wie er glaubte, es nicht wagen würden, die gefährliche Einfahrt in die Encounterbay und offene See zu forciren.
Was aber blieb den zur Verzweiflung getriebenen Männern anders übrig, als jetzt, mit den Mitteln ausgestattet, das Land ihrer Knechtschaft, das für sie entsetzliche Australien, zu verlassen, auch das Aeußerste dafür zu wagen. Sie Alle wußten, daß sie, einmal in die Hände des Gerichts gefallen, der Strick des Henkers rettungslos erwarte, und was war dagegen die tosende Brandung, die ihnen am nächsten Abend ihren weißen Kamm entgegenwälzte.
Rothkopf, ein alter Matrose, der früher wegen versuchter und wahrscheinlich auch schon ehedem ausgeführter Seeräuberei deportirt worden, übernahm hier die Führung des kleinen Fahrzeugs, von dem aus er erst eine Zeit lang den Gang der Brandung beobachtete. Dabei fand er bald, daß sie sich in ziemlich hohen und gefährlichen Sturzwellen gegen die einzige Ausfahrt heran wälzte. Zwischen den verschiedenen Sturzwellen aber, und regelmäßig nach der dritten, trat eine kurze Ruhe mit stillem Wasser ein, die ihnen die Möglichkeit ließ, hindurch zu kommen. Der Wind war ihnen günstig, und benutzten sie ihre Zeit kaltblütig und geschickt, so war, das sah er bald die Ausfahrt möglich.
Ohne Zögern wurden deshalb die nöthigen Vorbereitungen getroffen. Mit dem scharfen Bug glitt das kleine schwanke Fahrzeug zitternd der Fluth entgegen, als ob es selber erbebe vor der nahenden Gefahr. Rothkopf aber handhabte das schmucke Boot mit sicherem Blick. Das Segel war, als sie die Brandung fast erreicht, eingenommen, und nur die ausgehende Ebbe führte sie jetzt mit starker Strömung der furchtbaren Stelle zu. – Ein Rückgehen war schon nicht mehr möglich – vor ihnen bäumten sich die gläsernen Mauern und schüttelten ihnen die weißen, sonneblitzenden Mähnen drohend entgegen – es war die dritte Brandungswelle, die fast über ihren Häuptern hing. Jetzt schmolz sie wie ein Hauch in sich zusammen, und rechts und links vom Boot zischte und tanzte der silberblinkende, wirbelnde, kochende Schaum.
»Euer Segel auf!«
Im Nu faßte es der Wind und riß das Boot durch den gährenden Strudel hin. – Schon hob sich die neue Woge wieder bäumend auf, und hinter dem Spiegel des kleinen Fahrzeugs selber quoll es empor in riesenhafter Majestät – noch wenige Sekunden, und es hätte dem Schiff den Wind entzogen und es hineingezogen in den Wasserberg – aber die Ebbe half den Räubern über die Gefahr. Zischend schoß das schlank und trefflich gebaute Boot der offenen Fluth, der freien See, entgegen, und jauchzend, jubelnd begrüßten die Geretteten das Meer!
Es war im Monat Juli, als die letzten Streiftruppen von Militair und Polizei, die im April die Buschrähndscher-Bande des »Gentleman John« theils getödtet und gefangen, theils zerstreut hatten, nach Adelaide zurückkehrten.
Trotz aller Energie ihres Führers, und trotz der wirklich unvergleichlichen Ausdauer der Leute, war es ihnen aber doch nicht gelungen, des Gefährlichsten der Schaar, des berüchtigten Gentleman John, habhaft zu werden. Selbst in See ausgesandte Kutter, die an den Küsten kreuzten und weite Strecken hinaus den Ocean absuchten, konnten nichts von jenem Boot, das man zuletzt an der Mündung des Murray gesehen, entdecken, und es blieb kaum mehr einem Zweifel unterworfen, daß die verwegenen Räuber, die damals dem Arm der strafenden Gerechtigkeit entkommen, ihren Tod in der an der Einfahrt der Encounterbai stehenden Brandung gefunden.
Was dieser Vermuthung noch mehr Wahrscheinlichkeit lieh, war, daß man gerade in jener Zeit die Trümmer eines zerschellten Bootes unfern jener Stelle an der Küste entdeckt hatte. Jedenfalls mußte es dasselbe sein, das den Buschrähndschern gehörte, und wenn sie auch den Galgen also um sein Recht betrogen, war doch wenigstens die Colonie von ihnen befreit, und die einzelnen Stationshalter draußen im wilden Busch konnten freier athmen.
Das war ziemlich die allgemeine Ansicht in der Colonie, die dadurch noch mehr befestigt wurde, daß man selbst wochenlang nach der Rückkehr der Expedition Nichts mehr von einem neuen Ueberfall einzelner Reisenden oder Stationen hörte. Die Wege im Busch waren so sicher, wie die Straßen von Adelaide im hellen Sonnenschein, und hatten sich wirklich Einzelne der Scharr zu Land geflüchtet, so schien Nichts wahrscheinlicher, als daß sie entweder in der trostlosen, wasserarmen Wildniß umgekommen, oder von den Schwarzen »gespeert« seien.
Nur Einer der Polizeibeamten, die sich damals dem Zuge angeschlossen, theilte nicht die Meinung der Anderen, daß nämlich Gentleman John sein Ende in den Wogen gefunden, und das war Tolmer, der Chef jenes gegen die Buschrähndscher ausgesandten Trupps selber. Er hatte das Boot gesehen, er kannte auch die Gefahr der Brandung an der Victoriasee-Mündung, aber er wußte ebenfalls, daß eine Ausfahrt zu Zeiten möglich sei, und traute dem tollkühnen Räuber recht gut zu, die Schwierigkeiten und Gefahren derselben besiegt zu haben.
Die noch auf seinem Kopf stehenden zweihundert Pfund Sterling lockten ihn dabei weit weniger, als die Ehre, den gefährlichen und berüchtigten Räuber, trotz allen Kreuz- und Quersprüngen desselben, noch einmal zu überlisten und einzubringen, und mit unermüdlicher Ausdauer, mit einer Zähigkeit, die sich durch nichts entmuthigen und abschrecken ließ, durchritt er das halbe Murray-Thal und die Wildniß bis zu den besiedelten Distrikten der Nachbar-Colonie, und umsegelte die Küsten, die sich nach rechts und links von Adelaide ausstreckten, die mögliche Spur von dort gelandeten Fremden zu entdecken.
Umsonst – Nirgends war auch nur das Geringste von den entkommenen Räubern zu entdecken, und als letzte Möglichkeit fuhr er nach der der Hindonoff-Landzunge gegenüberliegenden Känguruh-Insel hinüber. Er wußte recht gut, daß Gentleman John bei seinem ersten Debüt als Buschrähndscher die Schlupfwinkel jener Insel genau kannte, und war es ihm nicht gelungen, in See ein Schiff anzurufen und Australien ganz zu verlassen, so blieb Nichts wahrscheinlicher, als daß er sich wieder dorthin geflüchtet habe.
Ohne das geringste glückliche Resultat durchstreifte er aber die ganze Wildniß drüben, kroch durch die ihm nur zu wohl bekannten Känguruh-Dornen, dem flüchtigen Räuber nur erst einmal wieder zu begegnen. Auf den Stationen erhielt er – das alte Leiden – nur ungenügende, ausweichende Nachrichten. Niemand wollte die Buschrähndscher gesehen haben, Niemand etwas von ihnen wissen, und er sah sich endlich genöthigt, so ungern er es that, seine weitere Verfolgung aufzugeben. – Gentleman John war jedenfalls auf ein Schiff entkommen, und dann freilich hätten sie ihn hier wohl vergeblich suchen sollen.
An Cap Borda, der Nordwestspitze der Insel, blieb er eine Nacht auf einer von einem Mr. Bloome dort angelegten Station. Er wollte von hier aus nach Adelaide zurückkehren, wurde aber in diesem Vorsatz durch ein Gespräch mit Mr. Bloome selber wankend gemacht. Bloome nämlich erzählte ihm von einem sehr reichen Engländer, mit dem in Gemeinschaft er in nächster Zeit einen Schooner ausrüsten wolle, um an den australischen Küsten und nach Neu-Seeland hin Handel zu treiben. Ein Bruder von ihm, früher einmal Steuermann auf einem Ostindienfahrer, war zu dem Zweck schon nach Sydney abgegangen, ein passendes Fahrzeug dort anzukaufen, und er erwartete diesen mit jedem Tage zurück.
Stutzig machte ihn zuerst die Nachricht, daß der Fremde als ein Schiffbrüchiger auf die Insel gekommen sei, an deren Küste er, wie Bloome sagte, sein eigenes Fahrzeug verloren habe, und sein Verdacht wurde zur Gewißheit, als er im Lauf des von ihm äußerst vorsichtig geführten Gesprächs erfuhr, daß unter den wenigen, die sich mit ihm gerettet, auch eine schwarze Frau gewesen sei.
Capitain Howitt, wie er sich nannte, sollte übrigens, des Squatters Bericht nach, erst gestern zu Land nach Point Marsden an der Nordseite der Insel gegangen sein, wo er noch Geschäfte, den Ankauf von Waaren betreffend, abzuschließen habe. Mr. Bloome erwartete ihn nicht vor der nächsten Woche zurück.
Tolmers Entschluß war rasch gefaßt. Es war dies überhaupt seine letzte Hoffnung, den flüchtigen Räuber noch aufzufinden, und wenn er auch jetzt, allein und ohne Unterstützung nichts Entscheidendes gegen ihn unternehmen konnte, so wollte er ihn doch wenigstens erst einmal sehen, wollte sich selber überzeugen, daß es wirklich der vogelfreie Verbrecher sei, und dann so rasch als möglich nach Adelaide zurückkehren, Hülfe von dort herbeizuholen.
Mr. Bloome hatte, wie er bald im Gespräch merkte, keine Ahnung davon, was für ein gefährlicher Charakter sein zukünftiger Compagnon sein könne, und Tolmer war viel zu vorsichtig, ihm auch nur das Geringste merken zu lassen, welchen Verdacht er selber habe. Ein unbedachtes Wort des Squatters hätte während seiner Abwesenheit den schlauen Verbrecher nur zu leicht warnen, und all seine Mühe vergeblich machen können. Die Nacht blieb er übrigens noch bei seinem gastfreien Wirth, der ihn überdies vor dem nächsten Morgen gar nicht fortgelassen hätte, und suchte während der Zeit Näheres von ihm über die früheren Kameraden des Schiffbrüchigen zu erfahren. Diese befanden sich, Mr. Bloomes Meinung nach, am andern Ende der Insel, vielleicht gerade dort, wohin jener Mr. Howitt gegangen, wenigstens hatte er hier nichts weiter von ihnen gesehen, und bekümmerte sich auch, wie er mit einem Seitenblick auf Tolmer bemerkte, wenig oder gar nicht um das, was im Innern der Insel vorging. »Es sei das in Australien eine gar schlimme Sache, da man nie wisse, mit wem man es eigentlich zu thun bekomme, und in wiefern die Bekanntschaft vortheilhaft und angenehm sein könne.«
Am andern Morgen brach Tolmer vor dem Frühstück noch mit dem dämmernden Tage auf, und wanderte, so rasch ihn seine Füße trugen, dem ziemlich fernen Point Marsden zu. Aber erst am vierten Morgen, durch Dornen, Dickicht und vom Regen erweichte Wege aufgehalten, erreichte er etwa um neun oder zehn Uhr die ersten Umzäunungen des Platzes, der ihm von der letzten Station als Eigenthum eines gewissen Rodwell – derselbe, bei dem sich jener Capitain Howitt aufhalten sollte – bezeichnet worden.
Tolmer machte hier Halt, sich auf alle möglichen Fälle, wenn er da wirklich mit dem Buschrähndscher zusammenträfe, vorzubereiten. Allerdings war er dabei im Vortheil, denn er kannte jenen sogenannten Gentleman John schon von Ansehen genau, und hatte selber jede nur mögliche Vorkehrung getroffen, nicht von ihm erkannt zu werden – konnte er ihn doch auch nicht hier vermuthen. Nichts destoweniger mußte er dem schlauen und abgefeimten Räuber gegenüber jede Vorsicht gebrauchen, sich nicht zu verrathen. Bei dem geringsten Verdacht, besonders wenn dieser seine Helfershelfer in der Nähe hatte, war er verloren, oder der Verbrecher doch jedenfalls gewarnt gewesen, ehe er sich seiner bemächtigen konnte, und Mann gegen Mann blieb ihm auch nur geringe Hoffnung, seiner Herr zu werden. Tolmer selber, wenn auch von kräftigem und durch Beschwerden gestähltem, zähem Körper, war doch dem riesigen, schon seiner Stärke wegen berühmten Räuber nicht gewachsen, und die List für ihn der einzige Ausweg. Ehe er also auf das Haus, dessen Dach er schon von Ferne durch die Büsche konnte schimmern sehen, zuging, setzte er sich noch vorher auf einen dort umgestürzten, unfern von dem schmalen Pfad liegenden Baumstamm, und überlegte vor allen Dingen, auf welche Art er sich am glaubwürdigsten bei jenem Mr. Rodwell einführen könne.
Noch war er hierüber zu keinem festen Resultate gekommen, als er Stimmen im Busch hörte, die allem Anscheine nach gerade vom Hause her den Pfad entlang kamen. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, glitt er hinter den ziemlich starken Gumstamm, auf dem er bis jetzt gesessen, und erkannte wenige Minuten später einen Mann und eine Frau, die zusammen langsam auf dem Pfad hinschritten. Ehe sie übrigens dicht zu ihm kamen, blieben sie auf einer etwas lichten Stelle stehen und sprachen leise mit einander. Tolmer horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, war aber nicht im Stande, Alles zu verstehen, denn nur einzelne Worte und kurze Sätze drangen bis zu ihm herüber.
»Es geht nicht,« sagte die Frau, »es geht wahrhaftig nicht – was soll aus dem Kinde werden?«
Dann wieder schien sie der Mann zu etwas überreden zu wollen, denn sie sah vor sich nieder und schüttelte langsam, wie zweifelnd, den Kopf.
Es war ein junges, bildschönes Weib, in die einfache Tracht der australischen Squatterfrauen gekleidet. Ihr Bonnet trug sie in der Hand, und die vollen, lichtblonden Locken fielen ihr voll und reich um die weiße, fast zu bleiche Stirn. Nur das Antlitz des Mannes, der ihr den Rücken zukehrte, konnte er noch nicht erkennen. Dieser beugte sich nach der Frau vor, und hielt eine ihrer Hände zwischen den seinigen.
»Halte nur Alles bereit,« sagte da endlich der Mann mit lauterer Stimme, »ich komme jedenfalls, und Du sollst es nicht bereuen.« – Er bog sich zu ihr nieder und wandte sich dann rasch von ihr ab, den Pfad, den Tolmer kurz vorher gekreuzt, zu verfolgen.
Die Frau blieb an der Stelle, wo er sie verlassen, noch eine Weile stehen, Tolmers Augen aber hafteten auf dem jetzt an ihm vorüberschreitenden Manne, den er auf den ersten Blick als den gesuchten Räuber erkannte.
Gentleman John hatte sich allerdings seit jener Zeit, wo er ihn zuletzt gesehen, sehr zu seinem Vortheil verändert. Er trug statt der früheren Buschtracht seine Tuchkleider, einen feinen schwarzen Hut und einen Spazierstock in der Hand, den Tolmer rasch als Degenstock erkannte. Auch sein Gesicht sah voll und blühend aus und gab den Beweis, daß er von dem geraubten Gelde vortrefflichen Gebrauch gemacht. Eine eigene Aufregung schien sich aber seiner bemächtigt zu haben, seine Augen, mit denen er rasch die Bahn vor sich überflog, leuchteten, und sein Schritt war leicht und elastisch geworden. So eilte er, ohne den versteckten Feind zu bemerken, schnell an Tolmer vorüber und war, ehe dieser nur zu einem Entschluß kommen konnte, ob er ihm folgen solle oder nicht, bald in dem dichten Busch der Waldung verschwunden.
Die Frau schaute ihm wie sinnend nach, so lange sie ihn sehen konnte, und faltete dann die Hände, senkte das schöne Haupt und sah still und schweigend viele Minuten lang vor sich nieder. Dann drehte sie sich um, und schritt mit zögerndem Gang dem Hause wieder zu.
Tolmer wartete, bis sie dasselbe etwa erreicht haben konnte, und wollte dann ebenfalls sein Versteck verlassen, als er vor sich, kaum zwanzig Schritte entfernt, etwas in den Sträuchen rascheln hörte. Es konnte ein Vogel oder auch ein Wallobi[9] sein, von denen es viele dort in der Gegend gab; Tolmer aber war viel zu sehr Buschmann, auch das Geringste unbeachtet zu lassen, und in seiner noch geschützten Stellung bleibend, sah er vorsichtig eine Weile nach der Gegend hinüber, aus der er das Geräusch zuerst gehört.
Im Anfang war Alles wieder ruhig, dann erkannte er aber plötzlich, daß sich da drüben ein schlanker Theebuschschößling bewege, als ob etwas Schweres dagegen drücke, und wenige Secunden später entdeckte er die dunkle Gestalt einer Eingeborenen, die, in einen langen Opossumfellmantel gehüllt, aus dem gegenüberliegenden Dickicht trat. – Nur einen Blick warf sie nach der Richtung hinüber, in der die Frau verschwunden war, dann folgte sie, die Augen fest auf den Boden geheftet, den Schritten des weißen Mannes – ihres Gatten.
Tolmer fühlte sich vollkommen überzeugt, daß sie keine Ahnung von seiner Nähe gehabt, denn selbst wo sie seine Fährten kreuzte, wandte sie den Kopf weder nach rechts, noch nach links hinüber, sondern schien nur das eine Ziel im Auge zu behalten. Nichts desto weniger blieb er jetzt noch eine geraume Zeit in seinem Versteck, um vollkommen sicher zu sein, daß er keinen weiteren Lauscher mehr zu fürchten habe, und ging erst dann, als er sich davon überzeugt, dem nicht mehr fernen Hause zu. Jetzt lag ihm vor allen Dingen daran, Genaueres über jenen Burschen zu hören, und die beste Quelle dafür schien ihm jene fremde Dame, die jedenfalls ein näheres Interesse an ihm nahm.
Tolmer hatte erwartet, auf dem nächsten freien Platze eine der gewöhnlichen Schafstationen mit Wohnhaus des Eigenthümers und einer Anzahl daranstoßender Gebäude zu finden, und war eigentlich überrascht, hier nur, als er die Lichtung betrat, ein einfach kleines, aber unendlich sauberes und freundliches Häuschen vor sich zu sehen, das mit zierlichem Giebeldach gebaut, von einem trefflich gehaltenen Garten umgeben, in ein wahres Dickicht von Frucht-und Blütenbäumen hineingeschmiegt lag. Reizend war dabei die Aussicht auf das offene Meer, die Investigator strait, die hier die Insel von dem festen Lande trennte, und bei klarem Wetter sogar die fernen Höhen desselben sichtbar werden ließ, während hie und da ein weißes Segel auf der dunkelblauen, leicht gekräußten Flut dem Bilde Leben und Bewegung gab.
Um das Haus selber rankte sich eine förmliche Wand von Passionsblumen und andern blühenden Schlingpflanzen, an denen Australien so reich ist, und blitzend und blank schauten daraus die kleinen aber hellen, inwendig mit reinlichen Gardinen behangenen Fenster vor.
Tolmer zögerte fast den Platz zu betreten, so still und friedlich lag die liebe Wohnung vor ihm da – und sollte er da zuerst Mißtrauen und Unheil säen? – Bah – die Gegend wollte er ja gerade von ihrer Pest befreien, die Schlange aus dem Paradiese jagen, und gar willkommen mußte da sein Fuß dem Boden sein.
Rasch und entschlossen wanderte er deshalb dem Hause zu, an dessen Fenstern er vergebens die Gestalt der vorher im Busch gesehenen Frau zu erspähen suchte, und klopfte, als er die Thür erreichte, leise an. – Niemand antwortete ihm. Er klopfte lauter – Alles blieb todtenstill im Haus. Nichts desto weniger stand die Thür nur angelehnt, und er trat endlich hinein, in der Hoffnung, doch jedenfalls irgend wen von der Dienerschaft dort zu finden.
Im Vorsaal war Niemand, im nächsten unten gelegenen Zimmer aber hörte er eine Kinderstimme, und da auch diese Thür nur angelehnt war, öffnete er sie leise und sah hinein.
Mitten in dem kleinen, reinlichen Gemach stand ein Kinderbettchen, in dem ein vielleicht jähriges Kind lag, auf dem Sopha aber in der Ecke, das Antlitz in die Kissen gedrückt, das Bonnet neben sich am Boden, lag die junge Frau regungslos wie eine Todte.
Tolmer trat erschreckt zurück – er hatte nicht indiscret sein wollen und kein Recht, sich dem geheimen Kummer einer Unglücklichen aufzudrängen. Mit dem einen Ziel aber fest im Auge, konnte und durfte er auch das Haus nicht wieder verlassen, ohne Näheres über jenen Mann gehört zu haben, und leise nur wieder zurücktretend, daß die junge Frau sich nicht bemerkt glauben durfte, machte er draußen lautes Geräusch an der Hausthür, die er stark zuschlug, trat dann fest auf, den Vorsaal entlang, und klopfte endlich an die Kammerthür.
»Wer ist da?« rief in demselben Augenblick eine ängstlich erschreckte Stimme, und zugleich öffnete sich die Thür, in der dem sonst ziemlich kalten Polizeimann das reizendste Wesen entgegentrat, daß er je gesehen zu haben glaubte. Er brachte auch im Anfang wirklich nicht ein Wort über die Lippen, und fing schon an, sich selber zu ärgern, als die junge Frau, die sich zuerst gesammelt, ruhig fragte: »Was steht zu Ihren Diensten und wen suchen Sie?«
»Mr. Rodwell,« erwiderte da Tolmer, rasch gefaßt, »hab' ich vielleicht das Vergnügen Mrs. Rodwell vor mir zu sehen?«
Die Frau neigte leise ihr Haupt, ohne ein Wort weiter zu erwidern, aber ihr Blick flog indessen forschend über des Fremden Züge. Wer war er, und wo kam er so plötzlich her? –
»Und können Sie mir sagen, wo und wann ich vielleicht Mr. Rodwell treffen möchte?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte die Frau, und Tolmer kam es vor, als ob sich die bleichen Wangen etwas rötheten, »er ist nach Adelaide gefahren und ich erwarte ihn erst morgen oder übermorgen wieder zurück.«
»S–o?« sagte Tolmer, indem er fest dem auf ihm haftenden Blick begegnete, bis die Frau den ihrigen zu Boden schlug.
»Haben Sie Geschäfte mit ihm?« frug diese endlich, die sich gewaltsam zu sammeln schien.
»Ja und Nein,« erwiderte der Polizeimann ruhig. »Ich suche eigentlich nur ein paar Stiere, die mir vom Südufer der Insel fortgelaufen sind und den Busch angenommen haben, und wollte ihn fragen, ob er nichts von ihnen hier gesehen. Doch die Frage kann mir jeder Andere wohl ebenfalls beantworten, und irgend einer Ihrer Leute oder Nachbarn wird mir gewiß darüber Auskunft geben.«
»Unsere beiden Arbeiter sind im Feld,« erwiderte Mrs. Rodwell, »wenn Sie sich vielleicht dorthin bemühen wollten.«
»Ihr nächster Nachbar wohnt wohl nach Westen zu?« frug Tolmer.
»Nach Westen zu – wie so?«
»Ach, ich meine nur – ich sah die frischen Spuren eines europäischen Stiefels dort im Pfad. Wie weit ist es in der Richtung bis zum nächsten Haus?«
»Eine nicht unbedeutende Strecke,« erwiderte Mrs. Rodwell, und wieder entging es dem scharfen Blick des Polizeibeamten nicht, daß eine leichte Röthe ihr Antlitz, wenn auch nur momentan, überflog. »Aber selbst von dort her kommen sie manchmal verloren gegangenes Vieh zu suchen.«
»Ja – kann ich mir denken,« sagte Tolmer nachdenkend, »hm, da war der, von dem ich die Spuren gesehen, wohl gar am Ende auch in solchen Geschäften aus, und könnte mir die beste Kunde geben. Kennen Sie ihn, Madame, und haben Sie gesehen wer es war?«
»Ich? – nein,« sagte die Frau ruhig – »er war nicht hier im Haus.«
»Dann bitte, entschuldigen Sie, daß ich hier so ohne Weiteres eingebrochen bin,« sagte Tolmer, sich leicht verbeugend. Er wußte jetzt genug, und war überzeugt, daß die Frau, die selbst ableugnete den Fremden gesehen zu haben, ihm nie einen weiteren Aufschluß über denselben geben würde. Wenige Minuten später schritt er wieder langsam durch den kleinen, mit sorgsamer Hand angelegten Garten einem anderen, zu dem Haus gehörenden Gebäude zu, das zu Ställen und Vorrathskammern zu dienen schien, und wo er einen Arbeiter beschäftigt sah, einen kleinen Wagen auszubessern.
Der Polizeimann hatte erst von diesem weitere Erkundigungen einziehen wollen, aber das Gesicht des Mannes gefiel ihm nicht. Der Bursche gehörte jedenfalls zu der damaligen Hauptbevölkerung Australiens, der der entlassenen oder beurlaubten Sträflinge, und einem solchen durfte er nicht ahnen lassen, was er hier suche. Deshalb seinen Vorwand beibehaltend, sich nach entlaufenem Vieh zu erkundigen, frug er nur oberflächlich nach der dortigen Nachbarschaft, und denen, die den Platz zu Zeiten besuchten. Er bekam aber auch hier nur ausweichende Antworten, denn Bradley, so hieß der Bursche – war in der That einer der wenigen mit Gentleman John entkommenen Verbrecher, der sich hier als groom verdungen hatte, seine Zeit abzuwarten. Tolmer schöpfte aber erst dann Verdacht gegen ihn selber, als er die angeblich gesuchten, in Wirklichkeit gar nicht existirenden Zugstiere, genau so wie er sie auf gut Glück beschrieb, vor einigen Tagen an der Ostspitze der Insel gesehen haben wollte. Gentleman John war in westlicher Richtung fortgegangen.
Der schlaue Polizeibeamte ließ sich jedoch nicht das Geringste merken, dankte für die Auskunft und verließ, der bezeichneten Richtung folgend, den Platz. Sein Boot lag in der Wegranbay, und er war fest entschlossen, ohne hier weiter einen Augenblick Zeit zu versäumen, so rasch als irgend möglich nach Adelaide zurückzukehren.
In der Hauptstadt Südaustraliens glücklich angelangt, stattete er augenblicklich dem Gouverneur Bericht ab, und dieser war gern bereit, ihm ein Detachement Militär mitzugeben, die flüchtigen Verbrecher aufzuheben. Tolmer dagegen erbat sich Freiwillige, denn er wußte recht gut, mit welchem Feind er es hier zu thun bekam, und daß der in die Enge getriebene Buschrähndscher wie ein Verzweifelter sich wehren würde. Außerdem kannte er die Hülfsquellen nicht, die ihm dort zu Gebote standen, und ob sich im Innern der wilden Insel nicht am Ende noch eine größere Zahl von Verbrechern versteckt hielt, als er jetzt vermuthen konnte.
Zu groß durfte er seine Schaar aber auch nicht wählen, denn immer noch mehr hoffte er von der List als von Gewalt, und als sich zwanzig zuverlässige Leute gemeldet hatten, nahm er noch seinen Sergeanten, einen gewissen Morris dazu, und ließ die Mannschaft auf zwei ihm von der Regierung überlassenen Booten sich nach der Känguruhinsel einschiffen.
Tolmer wollte seine Leute südlich von Cap Borda landen lassen, von dort aus dann seine weiteren Anordnungen zu treffen. Er hatte ihre Abfahrt auch so viel als möglich beeilt, da er herausbekommen, daß allerdings vor einigen Tagen ein Schooner in Adelaide angekauft und, nach Cap Borda bestimmt, abgegangen sei. Das mußte derselbe sein, auf dem Gentleman John seine Flucht bewerkstelligen wollte, und dem zuvorzukommen hatte er keine Minute Zeit mehr zu versäumen.
Die Boote lagen im Adelaide-Port mit Wasser und Provisionen versehen, und Tolmer, der eben seine letzten Instructionen und Vollmachten eingeholt, ging am Werft entlang, wo weiter unten sein Sergeant noch auf ihn wartete.
Wenig achtete er dabei auf die Menschen umher, denen er begegnete, oder die er überholte, er war zu viel mit seinen eigenen Gedanken und Plänen beschäftigt, als ihn plötzlich ein laut gerufener Name aufmerksam machte.
»Mr. Rodwell!« rief eine feine Stimme hinter einem dicht vor ihm hinschreitenden Manne her, der ein langes Teleskop umgehängt, sich nach dem Rufe umdrehte. Es war eine hohe, männliche Gestalt, mit blondem, gelocktem Haar, blauen Augen und unendlich gutmüthigen, offenen Zügen. Als Tolmer an ihm vorüberschritt, hatte ihn der kleine, ihm nachgelaufene Bursch erreicht und brachte ihm eine Cigarrentasche, die er im Hotel hatte liegen lassen. Rodwell dankte ihm lächelnd und gab dem darüber sehr vergnügten Burschen eine kleine Münze, steckte die Tasche ein und verfolgte seinen Weg.
Rodwell hieß, wie Tolmer sich recht gut gemerkt, der Mann auf der Känguruh-Insel, dem das freundliche Haus und die schöne Frau gehörte, und er beschloß, Näheres von ihm und seinen nächsten Plänen zu hören, ehe er ihn wieder aus den Augen ließ.
Rodwell blieb endlich dicht an einer der schmalen Landungstreppen stehen, und der Polizeibeamte sah, daß ein Boot mit zusammengerolltem Segel und eingelegten Rudern dort augenscheinlich auf ihn zu warten schien.
»Guter Wind heute für eine Spazierfahrt, Sir,« redete er denn auch ohne Weiteres den Fremden an, »muß sich prachtvoll draußen segeln bei der Brise.«
»Denke ja,« erwiderte Rodwell, sich lächelnd zu ihm wendend, »aber ich will nicht spazieren fahren, sondern ich kehre nach Haus zurück.«
»Ah so, – haben wohl Ihre Station hier irgendwo an der Küste.«
»Auf Känguruh-Eiland.«
»Ah, da drüben – ist ein famoser Platz – war auch vor kurzer Zeit in Geschäften dort, und bin ebenfalls wieder im Begriff hinüber zu fahren.«
»In der That? dann können wir vielleicht zusammen segeln,« lachte Rodwell, »aber – mein kleines Boot ist ein Klipper und springt bei einer frischen Brise nur so über das Wasser hin. Nicht alle Boote können Schritt mit ihm halten.«
»Hm,« sagte Tolmer, dem auf einmal ein neuer Gedanke durchs Hirn zuckte, »ich wollte nur, ich hätte ein Boot, mit Euch wett zu fahren, aber ich weiß noch nicht einmal, wie ich hinüber kommen soll. Bin eben nur an das Werft hier herunter gegangen, zu sehen, ob ich mir irgend ein kleines Fahrzeug miethen könnte. Die Leute wissen aber wahrhaftig gar nicht, was sie fordern sollen, und liegen lieber müßig am Strand, ehe sie einen armen Teufel für einen mäßigen Preis hinüberschafften.«
»Dann fahrt mit mir,« sagte Rodwell gutmüthig, »ich habe vollauf Platz im Boote, und Ihr sollt einmal sehen, wie wir hinüberschießen. Nach welcher Stelle der Insel wollt Ihr?«
»O das bleibt sich gleich. Wenn ich nur dort erst einmal festen Boden unter mir habe, komm' ich schon wohin ich will. – Und Ihr würdet mich wirklich mitnehmen?«
»Mit Vergnügen,« lautete die freundliche Antwort, »schafft aber dann nur Euer Gepäck so rasch als möglich hier herunter.«
»Das soll bald geschehen sein,« lachte Tolmer, »und schwer wird es Euer Boot auch nicht machen. Ich habe meine wenigen Sachen gleich dort unten liegen, und wenn Ihr nur ein paar Minuten auf mich warten wollt, bin ich gleich wieder da.«
Rodwell nickte ihm lächelnd zu und Tolmer eilte jetzt, so rasch ihn seine Füße trugen, den eigenen, schon seiner harrenden Booten zu. Hier gab er Borris die nöthigen Befehle, südlich von Cap Borda, an einer genau von ihm bezeichneten Stelle zu landen, und dort vor allen Dingen auszukundschaften, ob der Schooner angelangt sei, und wann er in See gehen würde. Bis er selber wieder zu ihnen stieß, hatten sie Nichts zu thun, als dessen Abfahrt zu hindern; selbst mit Gewalt, wenn es nicht anders möglich wäre.
Tolmer selber hoffte dagegen im Point Marsden auf die Spur des Buschrähndschers zu kommen, der, wie er vermuthete, die Abwesenheit seines jetzigen Reisegefährten wohl nach Kräften für seine eigenen Zwecke benutzen würde. Was lag dem gewissenlosen Räuber an der Ruhe und dem Glück zweier Menschen. War er übrigens auch dort nicht mehr zu finden, so konnte er mit seinen Zurüstungen für eine längere Seefahrt unmöglich so rasch fertig werden, und war leicht an Ort und Stelle zu überholen. Uebrigens glaubte Tolmer, daß er den Burschen, nach dem, was er damals belauscht, wohl noch an Point Marsden finden werde, wo er denn seine ferneren Pläne formen mußte. War dem Räuber doch durch seine Leute die Flucht abgeschnitten, und einmal mußte er ihm dort wieder begegnen.
Rasch packte er jetzt nur etwas Wäsche und seine alten Buschkleider mit ein paar guten, doppelläufigen Pistolen in ein Packet, und eilte damit zu seinem neuen Reisegefährten zurück. Dieser hatte ihn, langsam dabei am Werft hin und her schlendernd, geduldig erwartet und erst als er ihn kommen sah, stieg er, ihm zunickend, die zu seinem Boot führende Treppe nieder.
Außer ihm saß noch ein seemännisch aussehender Bursche im Boot, der das eine Ruder nahm, während Rodwell das andere aufgriff.
»Könnt Ihr steuern?« rief er, als Tolmer sie erreichte, diesem zu.
»Gewiß – aber wollt Ihr mich nicht rudern lassen?«
»Ist nicht nöthig; sobald wir ein Stück draußen im Kanal sind, können wir doch unser Segel setzen. Nehmt nur Eueren Platz am Steuer, und führt uns hier zwischen all den Fahrzeugen durch. Erst einmal freie See, und wir fliegen nur so hinüber.«
Es wurde von jetzt ab nicht mehr zwischen den Männern gesprochen, als nöthig war, die Richtung und Bewegung des kleinen flüchtigen Bootes zu bestimmen. Das Fahrwasser, in dem sie sich befanden, erforderte übrigens ihre ganze Aufmerksamkeit, denn von Port Adelaide ab mußten sie vorerst einem langen, schmalen Seearm folgen, der sich herüber und hinüber wand, ehe sie die offene See erreichen konnten. Die Seeleute sagen auch nicht mit Unrecht, daß ein Schiff den Wind erst um den ganzen Compaß herum haben müsse, ehe es von dort auslaufen könne, und für große Fahrzeuge sind oft viele Tage nöthig, bis sie das Meer gewinnen können. Wo aber das kleine, trefflich gebaute Boot nur eine »Mütze voll Wind« erfassen konnte, setzten sie die Segel, und bald hinüber und herüberkreuzend, bald vor der Brise dahinschießend, dann und wann aber auch wieder genöthigt zu den Rudern zu greifen, passirten sie endlich die Torrens-Insel, umsegelten die nordwärts auflaufende Spitze des letzten festen Landes, und steuerten mit einer frischen Nordwestbrise an der Küste südlich nieder, der etwa von da noch 15 deutsche Meilen entfernten Känguruh-Insel zu.
Erst einmal draußen in freiem Wasser hatte der Bootsmann seinen Platz im Bug vorn eingenommen, während sich Rodwell in die Spiegel des Bootes neben Tolmer setzte. In der ersten Zeit war er allerdings noch schweigsam, und schaute fortwährend nur nach Süden hinunter, wo sie in grauer Ferne vor sich Cap Jervis konnten seine blaue Landspitze vorstrecken sehen. Da plötzlich sprang er von seinem Sitz auf und vorn auf die Bank, durch die ihr kleiner Mast befestigt war und rief, seinen Strohhut dem fernen Süden fröhlich entgegen schwenkend:
»Land! – dort hinten, Fremder, liegt meine liebe alte Insel – liegt meine Heimat, liegt Alles, was ich mein Eigen nenne, und was mich zum glücklichsten Menschen macht, von den blauen rollenden Wogen umschäumt, und wie unser Boot auch rasch und fröhlich über die Flut dahinzischt, könnte meine Sehnsucht es treiben, es ließe selber die flüchtige Möve weit hinter sich zurück.«
»Euere Heimat,« sagte Tolmer, dem ein eigen wehmüthiges Gefühl die Brust zusammenzog – »ja, wohl dem, der eine glückliche Heimat sein Eigen nennen darf. Ich ahne, wie wohl uns darinnen sein muß, obgleich ich selber das Gefühl nicht kenne.«
»Ihr seid nicht verheirathet, Fremder?« frug Rodwell mit fast mitleidigem Tone seinen Reisegefährten.
»Nein,« sagte Tolmer seufzend, »und Ihr wißt, welch' ein rastlos wildes, ungeregeltes Leben ein Junggeselle in den Colonien führen muß. Wäre uns nicht aus unserer Jugend noch die Erinnerung an den Segen stillen Familienglücks geblieben, man möchte manchmal wahrlich fast verzweifeln.«
»Ich zeig' Euch meine Heimat,« sagte Rodwell, und seine Augen leuchteten, als er an den stillen Frieden seines eigenen kleinen Herdes dachte, dem er mit frisch geblähtem Segel jetzt entgegenstrebte. »Grad' da vor uns taucht Point Marsden auf, und einen lieberen, freundlicheren Platz, als dort zwischen den schattigen Fruchtbäumen und blühenden Büschen liegt, gibt es nicht mehr auf der weiten Gottes Welt. Es ist für mich ein wahres und wirkliches Paradies.«
»Dann halte Euch Gott nur auch die Schlange daraus fern,« sagte Tolmer leise.
Rodwell sah sich rasch und fast erschreckt nach ihm um; sich dann aber mit fröhlichem Kopfschütteln die Locken aus der Stirne werfend, sagte er guten Muths, doch mit herzlicher, fast bewegter Stimme:
»Das wird er auch, Fremder, denn wo zwei gute Menschen Hand in Hand und fest zusammen stehen, da findet die Schlange keinen Boden für sich, und muß weichen. Aber –« setzte er, seinen Begleiter mit scharfem Blick fixirend hinzu – »was seht Ihr mich so sonderbar an? – kennt Ihr meine Heimat und – Ihr waret schon auf Känguruh-Eiland?«
»Ja – schon mehrere Mal,« lautete Tolmers ruhige Antwort, »aber immer nur auf sehr kurze Zeit. Doch – was ich Euch fragen wollte – Ihr habt wohl eine Station auf Marsden Point?«
»Nein – nur ein Haus, das ich mir selbst gebaut, und ein paar Gespann Pferde,« sagte Rodwell, leicht beruhigt. »Ich bin Zimmermann, meinem Geschäfte nach, und bin auch besonders damit beschäftigt, Nutzholz zu fällen und zuzuhauen und an den Strand zu schaffen, wo ich es den für fremde Häfen bestimmten Schiffen gut verkaufen kann. Auch Fuhren für die Stationshalter hab' ich gethan, theils in meinem Boot, theils mit meinem Geschirr, und stehe mich gut dabei. Von jetzt ab will ich aber zu Hause bleiben, und meine Fahrt nach Adelaide hatte eben zum Zwecke, nur eine kleine Heerde Schafe und Rinder zu kaufen, mit denen ich beginnen kann Viehzucht zu treiben, wie ein wirklicher Squatter. Ich habe das unruhige Leben satt und will mein Weib und Kind nicht mehr so lange allein lassen.«
»Daran thut Ihr wohl,« sagte Tolmer, »Australien ist dafür ein gefährlich Land, und eine Unzahl Menschen streifen darin frei umher, die in andern Gegenden vorsichtig in Ketten und Banden gehalten würden.«
»Dort drüben wohl kaum,« lachte Rodwell. »Derlei Gesindel hat uns die See bis jetzt ziemlich vom Leibe gehalten. Außerdem scheint es auch, als ob sich in neuerer Zeit doch mehrere reiche Einwanderer auf unserer kleinen Insel niederlassen wollten, die der Vortheile manche bietet, und das vermehrt denn nur natürlich unsere Sicherheit.«
»Haben sich neuerdings Fremde dort niedergelassen?« frug Tolmer gleichgültig.
»Allerdings,« erwiderte Rodwell. »Die Zeit wird gar nicht mehr so fern liegen, daß wir eine ordentliche Stadt dort drüben gründen, und da uns weder Buschrähndscher noch Schwarze etwas zu schaffen machen, dürfen wir die beste Hoffnung hegen, freie Einwanderer hinüber zu ziehen.«
»Eine Stadt? – das möchte doch wohl noch eine Weile dauern.«
»Und weßhalb?« rief Rodwell. »So hat sich erst ganz kürzlich ein höchst liebenswürdiger und gebildeter Mann, ein Capitän Howitt bei uns eingefunden, der ein großes Handelshaus dort etabliren will. Mit solchem Anfang findet sich die Stadt von selbst, denn Eines zieht dabei das Andere nach.«
»Ein Capitän Howitt?« frug Tolmer, »der Name ist mir bekannt.«
»Wohl möglich; er gehört einer alten und geachteten Familie in England an, und der Capitän selber, der Australien schon nach allen Richtungen durchreist und das Land aus dem Grunde kennt, ist jedenfalls der Mann dazu, ein derartiges Unternehmen im Großen durchzuführen.«
»Kennen Sie ihn genauer?« sagte Tolmer, und bereute auch schon im nächsten Augenblick, die Frage gethan zu haben, denn der vorn im Boot sitzende Matrose wandte rasch den Kopf nach ihm um, und schien ihn scharf und forschend zu betrachten.
»Genauer gerade nicht,« meinte Rodwell, »aber er hat etwas in seinem ganzen Wesen, das für ihn einnimmt – etwas Festes, Entschlossenes in seinem Blick, und solche Leute können wir im Lande brauchen. Die weichen, zaghaften Menschen passen nicht in unseren Busch.«
Tolmer schwieg. So gern er den Mann vor jenem gefährlichen Verbrecher gewarnt hätte, durfte er es in Gegenwart des Dritten nicht wagen, von dem er ja nicht wußte, ob er ihm trauen könne. Am Lande fand sich dazu vielleicht eher Gelegenheit. Jedenfalls hatte er genug von seinem Reisegefährten gesehen, von dessen Ehrlichkeit überzeugt zu sein, und diesem selber mußte denn ja daran liegen, den gefährlichen Menschen sobald als irgend möglich unschädlich gemacht zu sehen.
Rasch verfolgte indessen das Boot seine Bahn. Immer höher und deutlicher tauchte das ferne Land der Känguruh-Insel aus dem Meere auf, und schon konnten sie die einzelnen Vorsprünge, ja bald darauf den Busch und die daraus hervorragenden höheren Bäume erkennen.
Die Brise ließ gerade jetzt ein wenig nach, und Rodwell verging fast vor Ungeduld, daß das Boot nicht mehr so flüchtig vorwärts schoß. Bald aber blähte sich das Segel wieder voll dem Wind, und als die Sonne sank und Nacht das Meer deckte, waren sie dem Lande nahe genug gekommen, ihre Bahn trotz der Dunkelheit fortzusetzen. Rodwell kannte hier überhaupt jeden Vorsprung der Küste, jede Klippe, und steuerte den schlanken Kahn mit sicherer Hand dem alten gewohnten Landungsplatze zu.
»So, und nun kommt, Fremder – ich habe Euch noch nicht einmal nach Euerem Namen gefragt,« sagte er, als er mit leichtem Schritt an Land sprang, es dem Matrosen überlassend, das Boot auf der gewöhnlichen Stelle in Sicherheit zu bringen, und Segel und Ruder zu bergen.
»Barner heiß ich,« sagte Tolmer, ihm etwas langsamer folgend, denn er wollte sich durch seinen ziemlich bekannten Namen nicht vor der Zeit verrathen.
»Gut denn, Mr. Barner,« sagte Rodwell freundlich, »die Nacht müßt Ihr nun ohnehin mein Gast bleiben, da die Häuser in meiner Nachbarschaft noch gar spärlich gesäet sind, und morgen bleibt Euch Zeit genug, den Wanderstab zu setzen, wohin es Euch beliebt.«
»Und ist hier Euer Haus?« frug Tolmer, der sich in der Dunkelheit nicht zurecht fand.
»Gleich da drüben, hinter den einzelnen Bäumen, die Ihr dort gegen den helleren Himmel könnt abstechen sehen. Eigentlich müßten wir von hier aus schon das Licht im Innern erkennen können, aber meine Frau hat mich gewiß heute noch nicht erwartet.«
Er war, während er sprach, auf den bekannten Pfaden so rasch vorwärts geschritten, daß ihm Tolmer kaum zu folgen vermochte. Jetzt hatten sie die Gartenthür erreicht, aber auch diese war ungewohnter Weise verschlossen. Rodwell hob indeß die leichte Gatterthür aus den Angeln und führte seinen Begleiter den breiten kiesigen Gartenpfad entlang dem Hause zu, daß sie jetzt mit seinen dunklen Umrissen dicht vor sich erkennen konnten.
Hier hatten sie bald die Hausthür erreicht, an die Rodwell dreimal leise anklopfte. – Niemand antwortete ihm. Er klopfte stärker – Alles blieb todtenstill im Haus; kein Licht erschien, kein Schritt wurde laut.
»Sie kann doch noch nicht schlafen,« murmelte Rodwell vor sich hin, »es ist kaum acht Uhr –« und lauter, kräftiger schlug er gegen die Thür, daß es durch das ganze Haus dröhnte. – Umsonst. Im Haus rührte und regte sich Nichts.
Rodwell sprach kein Wort. Still und regungslos stand er an seiner eigenen Thür – an der Schwelle seines Paradieses, und wie die Ahnung etwas Entsetzlichen griff es ihm in die Seele und machte sein Blut in den Adern stocken.
Da knarrte im obern Stock, gerade über der Thür, ein Fenster, und eine ängstliche Frauenstimme rief von oben nieder:
»Wer ist da? – Sind Sie es, Master?«
»Betsey!« rief Rodwell, und holte tief Athem – es war ihm, als ob sich eine Centnerlast von seiner Seele wälze. »Oeffnet denn Niemand, und schläft mein Weib und Kind schon so fest, daß sie mich gar nicht hören?«
»Ich komme gleich hinunter und mache die Thür auf,« sagte das Mädchen und verschwand vom Fenster.
Die beiden Männer wechselten indessen kein Wort mit einander. Mit fast krampfhaftem Griff hielt Rodwell die Klinke fest in seiner Hand, bis sie im Haus die Schritte des Mädchens hörten, das langsam die Treppe herunter kam, und jetzt innen die beiden Riegel von der Thür zurückschob. Jetzt steckte sie den Schlüssel ein und schloß auf, und im nächsten Augenblick stand ihr Rodwell gegenüber.
»Ach du mein lieber Gott!« rief da das Mädchen, während ihr die Thränen aus den Augen stürzten, »ich kann ja nichts dafür – ich bin ja wahrhaftig unschuldig, wenn ich es mir auch gedacht habe, daß das Unglück noch geschehen würde.«
Rodwell war leichenblaß geworden. Er zitterte so, daß er sich an Tolmer halten mußte, nicht umzusinken. Nur sein stierer Blick bohrte sich an dem Mädchen fest, das ihr Antlitz in den Händen barg und laut und heftig schluchzte.
»Was ist vorgefallen, Betsey?« sagte er endlich mit leiser, vollkommen tonloser Stimme – »wo ist – mein Weib – mein – Kind?«
»Fort!« stöhnte da das Mädchen, »oh du lieber Gott, fort – fort – Beide!«
»Die Schlange!« hauchte Rodwell, und Tolmer sprang zu und hielt ihn, denn er sah, wie der starke Mann in die Knie brach, und glaubte, daß er zu Boden stürzen würde. Aber der Unglückliche raffte sich mit fast übermenschlicher Kraftanstrengung wieder empor, und Tolmers Arm ergreifend, schritt er mit diesem langsam seiner eigenen Stube – der seines Weibes zu.
Langsam und nur zögernd folgte das Mädchen den beiden Männern mit dem Lichte, und Rodwell's umherschweifender Blick hatte rasch auf dem dunklen Tisch ein kleines zusammengefaltetes Billet erkannt. Er nahm es hastig auf und wollte es erbrechen, hielt aber plötzlich wieder an, legte es auf den Tisch, und sich daneben in das Sopha werfend, sagte er mit ruhiger, fester Stimme:
»Erzähle mir, was hier vorgefallen ist, Betsey. Ich brauche Dich nicht zu ermahnen, mir die lautere Wahrheit zu sagen. Wenn Du einst selig zu werden hoffst, sprich und mache mich mit Allem bekannt, und sei es das Schrecklichste.«
Das Mädchen konnte vor heftigem Schluchzen kaum reden, nach und nach aber brachte Tolmer, der seine ganze Ruhe behielt, und von Anfang an schon ziemlich ahnte, was hier vorgegangen, Alles, wenigstens was Betsey wußte, aus ihr heraus.
Capitain Howitt – Rodwell griff bei dem Namen fest und krampfhaft in die Lehne des Sophas – war während seiner Abwesenheit oft – alle Tage im Haus gewesen – zu früher und später Stunde, und hatte viel und heimlich mit »Mistreß« gesprochen. Wenn er fort war, hatte Mrs. Rodwell manchmal geweint, aber er sei immer wieder gekommen, und gestern Abend seien sie mitsammen im Garten spazieren gegangen. Gestern Abend sei auch der Capitain zum ersten Mal in einem Boot gekommen, und Mrs. Rodwell habe gesagt, sie wolle ein wenig damit in die Bay hinausfahren. Sie – Betsey – habe das nicht zugeben wollen, und gemeint, es sei schon zu spät, Mistreß aber wäre darauf bestanden, und mit dem Kind im Arme und Capitain Howitt an der Seite in das Boot gestiegen. Wie sie darin gewesen, habe die Mistreß noch eine Flasche Milch für das Kind verlangt, wenn es etwa unruhig werden solle, dann seien sie mit Mr. Rodwell's Knecht, der sonst die Pferde besorgt, hinaus in die See gefahren – immer weiter, bis es dunkel geworden und sie das Boot nicht mehr habe erkennen können. Dann sei sie aufgeblieben und habe bis zwölf Uhr in der Nacht gewartet, daß sie zurückkehren sollten – aber sie kamen nicht – weder Frau noch Kind kehrten zurück, und als sie im Zimmer das Briefchen an den Herrn da auf dem Tische gesehen, da habe sie auch das Schlimmste schon gewußt, und sich die Augen fast aus dem Kopf geweint vor Scham und Weh.
»Es ist gut, Betsey,« sagte da Rodwell, und winkte ihr mit der Hand, hinauszugehen. »Zünde das Licht dort drüben an und laß uns dann allein.«
»Welche Richtung nahm das Boot?« frug Tolmer, während das Mädchen dem Befehl gehorchte.
»Gerade fort am Ufer nach dem festen Lande zu,« lautete die Antwort, und froh, keiner weiteren Rede mehr stehen zu müssen, verließ das Mädchen rasch das Zimmer, riegelte die Hausthür wieder zu und stieg in ihre eigene Kammer hinauf.
Rodwell stand indessen von seinem Sitze wieder auf, erbrach den Brief, trat damit zum Licht und überflog mit stierem Blick die Zeilen.
»Da nehmt und les't,« sagte er endlich, als er wieder und wieder hineingesehen und immer noch das verhängnißvolle Blatt nicht aus der Hand legen wollte. »Nehmt nur, Kamerad, und seht auch meine Schande da Schwarz auf Weiß. Das Schlimmste wißt Ihr doch, und da Euch Gott einmal in dieser schweren Stunde zu meinem Vertrauten gemacht, erfahrt auch das Andere. Vielleicht gebrauch' ich ohnedies Euren Rath – Eure Hülfe.«
Tolmer nahm den Brief und las:
»Charles, verzeihe Deinem treulosen Weib. Ein dunkles Verhängniß zwingt mich, den Frieden Deiner Schwelle, deren Segen ich nicht mehr verdiene, zu meiden. Ich bin namenlos unglücklich, und doch nicht im Stande, von dem Manne zu lassen, der meine Seele mit magischer Gewalt umstrickt hat. Du siehst mich nie wieder. Versuche nicht, uns zu folgen. Von dem festen Lande aus schiffen wir uns nach dem Continent ein. Versage Deinem unglücklichen Kinde den väterlichen Segen nicht, und möge die Zeit einst kommen, wo Du nicht mehr mit Haß und Bitterkeit derer gedenkst, die sich einst so glücklich an Deiner Seite fühlte –
Deiner unglücklichen
Jenny.«
Tolmer reichte den Brief schweigend zurück, den Rodwell fast bewußtlos nahm und in seiner Hand zusammendrückte.
»Sie sind nach Adelaide hinüber,« sagte er mit so leiser Stimme, als ob er sich vor den eigenen Lauten fürchtete.
Tolmer schüttelte den Kopf und meinte ruhig:
»Sie sind noch auf der Insel, so gut wie wir.«
»Ihr glaubt?« fuhr Rodwell rasch empor.
»Ich weiß es gewiß.«
»Ihr? – und woher?«
»Weil dieser Bursche – Howitt oder wie er sonst heißt – bei Nacht und Nebel, mit einer Flasche Milch statt Proviant, und einer Frau mit ihrem Kind nie im Leben die »Backstairs Passage« passirt hätte. Er so wenig wie der Bursche, der mit ihm fort ist, sind Seeleute.«
»Ihr kennt ihn?«
»Ich denke ja, aber mehr noch als das, ich hoffe seine Bekanntschaft in den nächsten Tagen zu erneuen.«
»Ich begreife Euch nicht.«
»Und doch ist Alles mit wenigen Worten erklärt,« lächelte der Polizeibeamte. »Mein Name ist nicht Barner, sondern Tolmer.«
»Der Chef der südaustralischen Polizei?« rief Rodwell rasch und erstaunt.
»Derselbe, und dieser Capitain Howitt, wie er sich hier genannt, ist der gefährlichste Buschrähndscher, der bis jetzt noch unsere Wälder unsicher gemacht, das Leben und Eigenthum unserer Bürger gefährdet hat. – Es ist der berüchtigte Gentleman John.«
Rodwell sah dem Sprechenden starr und entsetzt in's Auge, dann aber, als jener schwieg, barg er das Antlitz in den Händen und stöhnte.
»Mein armes, armes Weib – mein armes Kind.«
Tolmer übrigens, so leid ihm der Schmerz des Unglücklichen that, kannte zu gut den Werth seiner Zeit, diese mit leeren Klagen zu vergeuden.
Mit kurzen aber klaren Worten schilderte er deshalb auch jetzt dem ihm mit steigender Aufmerksamkeit Zuhörenden die Begebnisse der letzten Zeit, die Flucht des Buschrähndschers und seine Verfolgung, bis er hier auf der Insel endlich seine Spur gefunden und den flüchtigen Sträfling selbst gesehen habe. Eben so unbeschönigt erzählte er auch die von ihm belauschte Scene zwischen dem Verbrecher und der jungen Frau. Warum er diese damals nicht gewarnt? – ihm lag Alles daran, den Entflohenen einzufangen, und wie die beiden Leute zu einander standen, war es mehr als wahrscheinlich, daß sie ihm die Gefahr verrathen haben würde, in der er, einmal entdeckt, schwebte. Zugleich gestand er dem jungen Mann, daß er nicht zufällig nur seine Bekanntschaft gefunden, sondern dieselbe, als er einmal seinen Namen gehört, gesucht habe, und daß seine beiden, von Bewaffneten besetzten Boote noch in dieser Nacht an der Westküste der Insel landeten, dem Räuber die Flucht auf dem Schooner abzuschneiden.
Rodwell wollte freilich noch immer nicht glauben, daß die Flüchtigen auf der Insel geblieben wären; noch dazu, da das Mädchen gesehen, wie sie bis tief in die Nacht vom Lande absteuerten. Tolmer jedoch, seit Jahren daran gewöhnt, nicht jeder Aussage leichten Glauben beizumessen, schüttelte mit dem Kopf. Wer wußte denn, daß die Dirne nicht mit im Geheimniß steckte? Und wenn wirklich nicht, hatte ihre Aussage doch, so weit sie die wirkliche Richtung eines Fahrzeugs betraf, nur wenig Werth. Gestern Abend hatte außerdem Nordost- und Nordnordostwind vorgeherrscht, mit dem ein kleines Boot, das nicht recht gut am Wind lag, Cape Spencer nicht einmal erreichen konnte, während es, selbst ein Stück draußen im See, mit Leichtigkeit abfallen und vor dem Wind irgend einen Theil der Nordküste von Känguruh Eiland erreichen konnte. Außerdem lag flüchtigen Personen gewöhnlich daran, mögliche Verfolger auf eine falsche Spur zu bringen, nicht ihnen die wirklich genommene Richtung anzugeben, und demnach sprach denn Alles nur dafür, daß Gentleman John, überdies des neugekauften Schooners ziemlich sicher, mit seiner schönen Beute noch auf der Insel selber weile.
Für diese Nacht war freilich nichts mehr zu unternehmen, und Rodwell auch so erschöpft und niedergebrochen, daß er kaum seine Glieder zu regen vermochte. Tolmer bat ihn selber, sich niederzulegen, um für den nächsten Tag Kräfte zu sammeln – würde er sie doch wahrlich brauchen. Er selber band seine wollene Decke, die er stets bei sich führte, auseinander, rollte sich hinein und legte sich ohne weitere Umstände auf das Sopha nieder.
Als Rodwell sein eigenes Schlafzimmer betrat und sein Blick auf das leere ungemachte Bettchen seines Kindes fiel, da noch einmal brach all der Jammer der letzt durchlebten Stunde, die Ahnung seines künftigen freudlosen, einsamen Lebens, mit voller Stärke über ihn herein. Neben dem Bett seines Kindes sank er auf einen Stuhl, und das müde, sorgenschwere Haupt auf die kleinen Kissen gelegt, blieb er in der Stellung, bis der Schlaf sich seiner erbarmte und ihm wenigstens für wenige Stunden Vergessenheit seiner Leiden Ruhe gönnte.
Es war ein trauriges Erwachen, und mit ängstlicher Hast betrieb er die nöthigen Vorbereitungen zu ihrem in seinem Erfolg so ungewissen Marsch. Aber seine ganze alte Festigkeit hatte er wieder gewonnen, in seinem Ziel war er sich klar geworden, und als ihn Tolmer frug, was er selber zu thun gedenke, wenn sie die Flüchtigen wieder eingeholt, erwiderte er mit fester Stimme:
»Ich will mein Kind zurück. Die unglückliche Frau hat sich ihr Loos geworfen. Als sie mich verrieth, der sie auf Händen getragen und mit abgöttischer Liebe fast verehrt, da wählte sie sich ihre eigene Bahn und mag ihr folgen. Ich will sie nur noch einmal wiedersehen, um das Kind, das mein gehört, da sie sich selber des Rechtes dazu verlustig gemacht, von ihr zurückzufordern. Sie hat mich nie geliebt, oder sie hätte – mein Herz nicht durch eine solche Handlung brechen können.«
»Und was soll mit ihr geschehen, wenn wir des Verführers habhaft werden?«
»Gott mag sie schützen und ihr verzeihen,« sagte Rodwell ernst. »Meine treue Hand hat sie von sich gestoßen, ich hätte mit Freuden mein Leben für sie gelassen, sie hat es verschmäht und die Folgen über sie.«
»Gut denn,« sagte Tolmer, nach seinen Pistolen sehend und sie im Gürtel unter dem weiten Buschrock, den er angethan, bergend, »dann bleibt uns nur noch übrig, die Schlange zu finden, die Gift und Elend unter mehr als ein friedlich Dach gebracht. Beim ewigen Gott, das Maaß des Burschen ist über und über voll, und es wird Zeit, mit ihm die Rechnung abzufließen.«
Rodwell, der mit dem Entschluß zur That auch seine ganze Festigkeit und Ruhe wieder erlangt hatte, war indeß zum Stall gegangen, um seine beiden Pferde zu satteln, und nach rasch eingenommenem Frühstück, andere Provisionen hinter sich aufs Pferd gebunden, sprengten die beiden Männer der von Tolmer bezeichneten westlichen Richtung zu.
Die nächste Station, die sie erreichten, war die eines gewissen Motley, auch eines früheren Sträflings, der sich hier angesiedelt und jetzt der Besitzer ansehnlicher Heerden geworden. Rodwell wollte hier die ersten Erkundigungen einziehen, Tolmer verhinderte ihn aber daran. Es war nicht wahrscheinlich, daß die Flüchtigen, wenn sie wirklich hier in der Nähe gelandet wären, diesen seinem Haus so nahen Platz schon berührt haben sollten. Dann blieb es ebenfalls noch in Frage, ob Motley ihnen aufrichtige Antwort gäbe. Je später sie Anderen konnten wissen lassen, welchem Ziel sie nachstrebten, desto besser war es. Ein Geheimniß, das mehr als zwei Personen theilen, ist eben kein Geheimniß mehr.
Diesem Plane treu passirten sie noch zwei Stationen, ohne weitere Erkundigungen über die Flüchtigen einzuziehen, als sie sich durch eigenes Anschauen verschaffen konnten. Das wußten sie außerdem, daß der Räuber mit der Frau und dem Kinde nie in das Innere der Insel dringen konnte, wo die verzweifelte Känguruh-Distel ein Fortkommen oft unmöglich machte. Lag ihm daran, Cap Borda zu erreichen, so war das sehr wahrscheinlich zu Wasser geschehen, oder der kleine Zug genöthigt, sich auf dem am Seestrand hinauflaufenden Weg zu halten. Auf diesem hatten sie aber bis jetzt noch keine Spuren finden können.
So kamen sie bis Cap Trony, unfern des Mount Torrens. Sie hatten die Nacht wieder, wie sie gewöhnlich thaten, im Busch geschlafen, und hielten hier blos an, ihren Pferden ein ordentliches Futter geben zu lassen.
Tolmer hatte hier zuerst den Strand abgesucht, ob sie kein Boot irgendwo vor Anker sähen. Sie konnten aber nirgends etwas Aehnliches entdecken, und galoppirten eben der nicht mehr fernen Häusergruppe zu, als Tolmer plötzlich Rodwells Arm ergriff, und schweigend auf einen dicht am Wege liegenden Gegenstand deutete. – Es waren die Scherben einer Glasflasche, die einst Milch enthalten, und Rodwell faßte krampfhaft die Zügel seines Thieres und riß es zurück, daß es in sein Gebiß schäumte und knirschend in die Höhe stieg. – Es waren die ersten Spuren, die sie gefunden.
»Jetzt sind wir auf der Fährte,« rief da Tolmer, »hier ist der Abdruck von unseres Wildes Schuhen – nein, das muß der Bursche gewesen sein, den sie mit in das Boot genommen. Gentleman John hat ihn nach Milch auf die Station gesandt, während die beiden unten im Boote blieben, und der ungeschickte Bursche die Flasche zerbrochen. Unser Capitain Howitt würde sie selber nie so leichtsinnig dicht am Pfade haben liegen lassen.«
»Glaubt Ihr, daß wir sie im Hause finden?« frug Rodwell, und er brachte die Worte kaum über die Lippen.
»Hier? – Gott bewahre,« erwiderte Tolmer, »die sind im Boote weiter gefahren, und es ist sehr die Frage, ob die auf der Station mehr von ihnen wissen, wie wir selber. Jedenfalls müssen wir hier sehen, was wir von den Leuten herausbekommen, und haben wenigstens die Ueberzeugung, daß sich das Kind noch wohl und bei gutem Appetit befindet.«
»Gott sei gedankt!« stöhnte Rodwell aus tiefer Brust, und der Seufzer sprach nur zu deutlich die Angst um das kleine unglückselige Wesen aus, der er weiter keine Worte zu geben wagte.
Was die Spuren betraf, so hatte Tolmer übrigens Recht. Nur die Fährten des einen Buschschuhes, die vom Wasser nach der Station und wieder genau nach derselben Stelle zurückführten, waren dort zu erkennen, und davon sich erst einmal überzeugt, sprengten die beiden Reiter rasch den Stationsgebäuden zu.
Ihre Vermuthung wurde hier zur Gewißheit. Am gestrigen Morgen hatte ein Mann, der zu einem draußen am Strand auf ihn wartenden Boot gehörte, eine Flasche Milch, eine Flasche Rum und zwei Damper, wie etwas Salz geholt. Der Mann habe vorgegeben, die Milch sei für eine kranke Frau, die sie im Boote hätten, und das betätigte Einer der Stockkeeper, dem sie später, ein Kind auf dem Arme tragend, nicht weit vom Torrensberg begegnet sei. Sie begleitete, außer dem Burschen, der die Milch geholt und jetzt das Gepäck trug, noch ein fremder Herr, den er nicht kannte.
Die beiden Reiter hielten sich nicht länger auf, als irgend nöthig war, ihren Pferden einige Ruhe zu gönnen. Dann sattelten sie wieder auf, derselben Richtung wie bisher zu folgen. Daß sie die richtige Fährte hielten, war überdies gewiß, und Tolmer fand auch bald den Grund, weshalb die Flüchtigen das Boot verlassen und den weit beschwerlicheren Landweg gewählt hatten. Der Wind, der die letzten Tage ziemlich stät von Nordnordost geblasen, war nämlich nach Südwesten umgeschrahlt. Auch sah das Wetter seit gestern Morgen schon ziemlich drohend aus, daß Jene nicht wagen durften, sich in so schwankem Fahrzeug weit vom Ufer zu entfernen. Jedenfalls lag das Boot irgendwo in einer Bucht versteckt, und wenn sich Gentleman John, worin er allerdings einige Fertigkeit besaß, nicht Pferde zu verschaffen wußte, mußten sie die Flüchtigen vielleicht schon am nächsten Morgen überholen.
Zu Wasser hatten diese übrigens so raschen Fortschritt gemacht, daß sie ihnen noch immer einen Tagesmarsch voraus waren. Jetzt aber blieb den Verfolgern auch dafür die Hoffnung, sie um so rascher einzuholen.
An demselben Abend erreichten sie die Station eines alten Bekannten von Rodwell, den dieser wenigstens auf seinen verschiedenen Fahrten durch die Insel schon manchmal besucht hatte. Hier war Gentleman John mit der Frau, die der Stationsbesitzer für seine eigene gehalten, über Nacht geblieben und mit dem Frühesten gegen Mount Torrens aufgebrochen. Das Kind hatte viel die Nacht geschrieen, und die Dame vom Haus behauptete, die arme Frau habe viel geweint, weil sie sich wahrscheinlich um das Kind gegrämt.
Rodwell, obgleich er sein Geheimniß nicht verrieth, war in furchtbarer Aufregung, und Tolmer bei Seite nehmend, bestand er darauf, hier keine Rast zu machen, sondern an demselben Abend trotz einbrechender Dunkelheit noch weiter zu gehen. Die Straße bis zum Torrensberg, an dessen Fuß eine andere Station lag, war ziemlich gut, der Mond stand ebenfalls am Himmel, und sie konnten dadurch recht gut, ohne ihren Pferden irgend weh zu thun, einen weiteren Vorsprung gewinnen. Tolmer war natürlich vollkommen damit einverstanden, und nach einem rasch eingenommenen Mahl brachen die beiden Reiter, zum großen Erstaunen ihres Wirths, wieder auf.
Zwei Stunden scharfen Rittes brachten sie in Sicht des nächsten Hauses, dessen Licht ihnen schon von weitem durch die hier ziemlich dünn stehenden Büsche entgegen schimmerte – wenigstens konnten sie im Freien einen hellen Feuerschein erkennen. Näher gekommen, entdeckten sie aber bald, daß der Schein nicht aus einem Gebäude komme, sondern von einer Fackel herrühre, um die drei oder vier Männer unter einigen Gumbäumen geschaart standen.
Tolmer zügelte im Anfang sein Pferd ein, denn möglich war es ja doch, daß sie, anstatt die Station zu erreichen, vielleicht gar einem Trupp von Buschrähndscher in die Hände fielen. Cap Borda war von hier gar nicht mehr so weit entfernt, und Gentleman John viel zu umsichtig, seine Leute nicht gerade dort, sondern weit eher in der Nähe versteckt zu halten. Das Geläute lagernder Heerden aber in der Nähe, und das Gebell von Hunden verrieth doch auch wieder einen von weißen Ansiedlern bewohnten Platz, und deutlich konnten sie jetzt zwischen den um die Fackel versammelten Männern auch einen etwa zwölfjährigen Knaben erkennen. Das waren keine Buschrähndscher.
Nach ein paar flüchtig mit einander gewechselten Worten sprengten sie wieder vor, während einige dort nach Opossums umhersuchende Hunde Wind von ihnen bekamen und laut bellend gegen sie ansprangen. Wenige Minuten später hielten sie neben der kleinen, von dem flackernden Lichte der Fackel grell beleuchteten Gruppe Menschen, die neugierig zu dem späten Besuche aufschauten.
»Guten Abend, Ihr Herren,« sagte da Tolmer, sich an den Aeltesten der Leute wendend, »könnt Ihr uns Nachtquartier für heute, und vielleicht einen Hut voll Hafer für unsere Pferde geben? Sie haben einen langen Tagesmarsch gemacht und bedürfen einer Stärkung.«
»Ja wohl, Fremder – gern,« lautete die gastliche Antwort. »Steigt nur ab und nehmt Eure Pferde am Zügel, denn von hier bis zum Haus stehen eine Menge kurz abgehauener Baumstümpfe.«
»Was habt Ihr da gemacht?« sagte Rodwell, der kein Auge von der Gruppe verwandt hatte, mit heiserer, angstbeklemmter Stimme. – »Ihr habt –«
»Ein Grab gegraben für ein armes Kind!« sagte der alte Mann mit ernstem, wehmüthigem Ton.
»Euer Kind?« frug Rodwell, und das Licht der Fackel begann vor seinen Augen zu tanzen und wilde, wirre Kreise zu ziehen.
»Meines? – nein, Gott sei gedankt, daß er mir bis jetzt solchen Schmerz erspart. – Es war das Kind einer armen Frau, die es todt auf ihrem Arm zu unserm Hause trug, es wenigstens in der Nähe von Weißen – von Christen begraben zu lassen.«
Rodwell glitt aus seinem Sattel, ließ den Zügel seines Pferdes frei, und taumelte mehr als er ging, dem frischen kleinen Grabe zu, über das die freundliche Hand der Fremden eben erst den niederen Hügel gewölbt.
»Eine fremde Frau?« rief Tolmer rasch und erschreckt, während sein mitleidiger Blick den armen Vater streifte.
»Sie kam mit ihrem Mann und einem Träger von Osten her,« erwiderte der alte Mann. »Ihre Pferde waren ihnen im Busch abhanden gekommen, wie sie sagten, und der Mann wollte die Frau nur nach Cap Borda bringen, und dann zurückkehren, sie zu suchen.«
»Sein Name war –?«
»Lieber Gott, wir fragen die Leute, die zu uns kommen, nicht nach ihrem Namen; aber ich dächte, ich hätte den Mann schon vor einigen Wochen einmal an Cap Borda gesehen. Ich glaube, sie nannten ihn dort Howitt!«
Rodwell hörte nichts mehr – vor den Augen flimmerte es ihm, seine Knie zitterten und brachen unter ihm, und mit dem Schmerzensschrei: »Mein Kind – mein armes, armes Kind!« sank er an dem Grabe schluchzend nieder. – Die Männer waren erstaunte Zeugen dieses ganz unerwarteten Ausbruchs wilden, verzweifelten Schmerzes. Sein Kind, das fremde Leute hier begraben? – dann der späte Ritt in dunkler Nacht – das sonderbare Benehmen jener Frau dazu – daß hier nicht Alles war, wie es sein sollte, unterlag wohl keinem Zweifel. Die Bewohner Australiens sind jedoch an solche außergewöhnliche Familienscenen zu sehr gewöhnt, einer jeden nachzuforschen. Selbst das Geheimnißvolle der Abstammung von mehr als drei Viertheilen der damaligen Gesellschaft trug viel dazu bei, ein verschlossenes Wesen bei Vielen zu entschuldigen und vor unbequemen Fragen zu bewahren. Schweigend blickten deshalb die Männer auf den Unglücklichen nieder, der das Grab seines Kindes mit seinen Thränen netzte. Tolmer dagegen, der sein Pferd am Zügel genommen, faßte des Alten Arm und ließ sich von diesem, während er mit ihm langsam dem Hause zuschritt, die ihnen vorausgeeilten Fremden näher bezeichnen.
Bald blieb ihm auch nicht der geringste Zweifel mehr, daß es wirklich jener sogenannte Capitain Howitt mit der unglückseligen, verblendeten Frau seines armen Reisegefährten gewesen. Der Mann hatte, des Alten Aussage nach, sehr geeilt und die Station gleich wieder verlassen wollen, wie nur das arme kleine Ding, das ihnen am Wege gestorben, eben unter die Erde gebracht war. Die Frau aber hatte sich geweigert, ihm so rasch zu folgen, und er selber sie wohl nicht allein zurück lassen mögen; denn er war mit ihr bis fast gegen Abend hier geblieben.
Was dem Kinde gefehlt haben konnte, wußte Niemand. Wie es ihnen vorgekommen, hatte die Frau dem Mann, ehe sie fortgingen, Vorwürfe gemacht, er aber nur finster darauf geantwortet. Dann waren sie in dem Dickicht, das die Station umschloß, verschwunden.
Tolmer suchte jetzt das Gespräch auf im Busch vielleicht zerstreut wohnende Leute zu bringen. Er selber suche, wie er vorgab, Arbeiter, und habe gehofft, die hier in der Gegend zu finden. Indessen hatten sich aber noch einige der andern Männer, Schäfer und Hüttenwächter von der Station ihnen angeschlossen, und der Alte gab ihm nur ausweichende Antworten auf alle seine dahin abzweckenden Fragen.
Nur mit vieler Mühe konnte jetzt Rodwell bewogen werden, das Grab seines Kindes zu verlassen und die Nacht in der Hütte zu verbringen. Nahrung nahm er gar keine zu sich, und am nächsten Morgen war er schon wieder mit Tagesanbruch an dem theuren Platz.
Auch Tolmer rüstete sich zu frühem Aufbruch; Rodwell weigerte sich aber, weiter mit ihm zu gehen.
»Jenny,« sagte er mit resignirtem Schmerz, »hat mir den Frieden meiner Heimath zerstört – hat mir mein Kind gemordet, daß die Beschwerden dieser Flucht nicht ertragen konnte. Sie hat sich dadurch von mir selber losgesagt. – Was sie an mir gethan, vergeb' ich ihr ja gern, aber daß sie unser – daß sie ihr eigen Kind so wenig lieben konnte – das – das mag ihr Gott vergeben – ich bin nur ein schwacher, sündhafter Mensch – ich kann es nicht.«
Als ihn Tolmer frug, was er jetzt zu thun gedenke, erklärte er ihm, daß er die Leiche seines Kindes ausgraben und damit nach Hause zurückkehren wolle. Alle Vorstellungen, die ihm Tolmer deshalb machte, blieben umsonst. Er beharrte fest auf seinem Vorsatz, bat aber Tolmer, das Pferd, das er von Marsden Point mitgenommen, so lange zu benutzen, wie er wolle, und es ihm später zurückzuschicken.
Tolmer dagegen, doch jetzt allein auf die Verfolgung angewiesen, bis er sich mit seinen Leuten wieder vereinen konnte, beschloß seinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Die Entfernung bis zur Point Borda war überdies nicht mehr so groß, während das ganze Benehmen des alten Squatters, wie seine Zurückhaltung fast vermuthen ließ, daß er in der That hier eine keineswegs willkommene, aber doch gefürchtete Nachbarschaft habe.
Von Rodwell nahm jetzt Tolmer herzlichen Abschied, und versprach ihm von dem Erfolg seines Unternehmens Nachricht zu geben. Nun erst, als er sich nach dem nächsten Weg nach Cap Borda, den, wie er meinte, auch jener Capitain Howitt eingeschlagen, erkundigte, erbot sich der alte Squatter, ihn eine kleine Strecke zu begleiten, und ihm einen Pfad zu zeigen, dem er leicht dahin folgen könne.
»Von Allem, was ich von Euch gesehen, Fremder,« redete er ihn da an, wie sie das Haus eine Strecke im Rücken hatten, »glaub' ich, daß ich Euch vertrauen darf. Ihr gehört keinesfalls zu jenen »Herren vom Busch«, die hier seit einiger Zeit ihr Wesen treiben.«
»Also doch,« sagte Tolmer lächelnd, »ich hab' es mir fast gedacht. Ihr habt übrigens Nichts von mir zu fürchten, denn nur der Wunsch, die nähere Bekanntschaft dieser »Herren« zu machen, hat mich hierher geführt.«
»Nehmt Euch dann in Acht,« warnte ihn der Alte, »sie sind zahlreicher, als ihr vielleicht glaubt, wenn sie sich auch bis jetzt, Gott weiß aus welchem Grunde, ruhiger und friedlicher verhalten haben, als das sonst gewöhnlich ihre Sitte sein mag. Wir Stationshalter, die wir hier einzeln im Busch leben, sind ihnen auf Gnade und Ungnade preisgegeben und müssen sie uns wohl zu Freunden halten. Merken sie einmal, daß wir sie verrathen oder gar der Polizei gegen sie beistehen, dann können wir uns darauf verlassen, daß wir dafür büßen müssen.«
»Aber wovon leben sie hier im Busch?« frug Tolmer.
»Von dem,« sagte der Alte achselzuckend, »was sie sich auf Rechnung holen. Zahlen thun sie dabei mit dem stillschweigenden Versprechen, uns dafür unsere Stationen nicht anzuzünden, unsere Heerden nicht zu zerstreuen oder uns gar Abends beim Thee ihre Schrotgewehre in die Fenster hineinzuschießen. Es ist jedenfalls eine unbequeme Nachbarschaft, und wenn man den Gouverneur unter der Hand nur davon benachrichtigen könnte, daß er eine hinreichende Macht herüber schickte, ließe sich vielleicht mit Erfolg ein Schlag gegen die ganze Bande führen.«
»Und würdet Ihr Herren hier die Polizei dabei unterstützen?« frug Tolmer.
»Das ist eine kitzliche Sache,« meinte der Alte achselzuckend. »Auf unsere Leute können wir uns natürlich nicht verlassen; ja wissen kaum, ob sie nicht mit der Bande in weit näherer Verbindung stehen, als uns lieb ist. Treten wir daher offen auf Seite der Polizei, und richtet diese, was sehr gewöhnlich der Fall ist, nichts weiter aus, als daß sie ein paar deren wegfängt oder todtschießt, und dann wieder ruhig nach dem festen Lande zurückfährt, dann sitzen wir nachher erst recht im Unglück d'rin, und können uns fest darauf verlassen, die sein zu müssen, an denen die gereizten Verbrecher ihren ganzen Grimm und Unmuth auslassen.«
»Und wie viele sind es wohl, Eurer Meinung nach, die sich hier in der Gegend umhertreiben?« frug Tolmer.
»Gott weiß es,« erwiderte der Alte, »etwas Genaues erfuhr man ja außerdem nie über sie, und weiß nicht einmal, wo auf der Insel herum sie überall ihre Verbündeten und Hülfe haben. Zwölf aber, dächt' ich, wären es gewiß – eher mehr als weniger.«
»Ist hier am Torrensberg, ganz in der Nähe. Etwa eine halbe Stunde von hier kommt Ihr zu einer kleinen Schlucht, an der unten, dicht am Pfad, eine einzelne Casuarine[10] steht. Drückt Euch dort so rasch als möglich vorbei, denn in der Schlucht hinauf, nicht viele hundert Schritte vom Pfad entfernt, steht schon eine einzelne Rindenhütte, und eine kleine Strecke weiter oben ist das Lager. Ich bin dort einmal aus Versehen hingekommen, weil ich ein weggelaufenes Pferd suchte, und fand da die ganze Gesellschaft zusammen.«
»Die Buschrähndscher?« rief Tolmer rasch.
»Pst –« sagte der Alte, sich vorsichtig dabei umsehend, »es ist gar nicht nöthig, den Namen hier so laut in den Busch hineinzuschreien. – Sie ließen mich allerdings ungehindert ziehen, gaben mir aber doch zu verstehen, es wäre ihnen lieb, wenn keine Pferde hier nach dieser Richtung wieder in den Busch liefen. Natürlich verstand ich, was sie damit meinten, und habe mich seit der Zeit sorgfältig gehütet, noch einmal in ihre Nähe zu kommen.«
»Und wielange ist das her?«
»Etwa vierzehn Tage.«
»Dann wundert es mich nur, daß die an Cap Borda nichts von solcher Nachbarschaft wußten.«
»Habt Ihr sie darum gefragt?«
»Allerdings.«
»Dann werden sie sich eben so gewundert haben, daß Ihr nach so etwas fragen mochtet. Doch von hier aus könnt Ihr den Weg nicht verfehlen, und – wenn Ihr meinem Rath, dem Rath eines alten Colonisten, folgen wollt, so gebt der Schlucht so weiten Seeraum, wie Ihr könnt.«
»Herzlichen Dank – und wenn ich Euch Hülfe brächte.«
»Je mehr dabei gethan, und je weniger davon gesprochen wird, desto besser,« sagte der alte Mann, grüßte Tolmer freundlich und schritt dann seiner eigenen Wohnung wieder zu.
Der Polizeibeamte verfolgte indessen rasch den Pfad, indem er hie und da an weichen Stellen die kleinen Fährten des zarten Frauenfußes erkennen konnte. Ziemlich sicher erwartete er auch, daß dieser Capitain Howitt die Entführte in das von dem alten Squatter bezeichnete Versteck geführt haben würde, dort vor jeder Verfolgung sicher zu sein. Zu seinem Erstaunen fand er aber, als er die einzelne Casuarine erreichte, daß nur Einer der beiden Männer, und zwar der Capitain selber, den Weg dort hinauf zu eingeschlagen hatte, während die Frau mit dem Träger den Pfad verfolgt zu haben schien.
Tolmer kannte recht gut die Gefahr, der er sich hier aussetzte, wenn er sich allein, nur mit seinen beiden Pistolen bewaffnet, in die Nähe der hier im Hinterhalt liegenden Buschrähndscher wagte. Nichts destoweniger drängte es ihn auch, Gewisses über den Aufenthalt dieser Menschen zu erfahren, ehe er sich mit seinen eigenen Leuten wieder vereinigte. Konnte er diese denn doch weit besser und sicherer dem Feind entgegen führen. Mit derlei Gefahren überdies schon seit langen Jahren vertraut, reizten ihn dieselben weit eher, solchen tollkühnen Streich zu wagen. Welche Vorsicht er dabei zu beachten hatte, wußte er überdies genau.
Zu dem Zwecke folgte er vor allen Dingen noch eine Strecke lang dem gewöhnlichen nach Cap Borda zu führenden Pfad, damit in der lockern Erde hier seine Fährten nicht die Richtung verriethen, die er genommen, und schlug sich erst dort links in die Büsche und den Hügelhang der Schlucht zu hinauf, wo dichtes Gumlaub und Rindenstücke den Boden bedeckten und ein Nachspüren schwieriger machten. Solcher Art den steinigen Boden benutzend, erreichte er bald die Schlucht, an deren ziemlich steilen Hang er hinkletterte, bis ihn die zu schroff aufsteigenden Wände zwangen, sich dem Thal selber mehr zu nähern. Dadurch machte er allerdings nur langsamen Fortschritt, bis er nach etwa halbstündigem Marsch gerade unter sich das Dach einer Rindenhütte entdeckte.
Dies mußte jedenfalls das von dem alten Squatter bezeichnete erste Haus der Bande sein, gewissermaßen ihr Vorposten in den Bergen, und eine volle Stunde blieb er hier ruhig auf der Lauer liegen, ob er in der Nähe irgend ein menschliches Wesen entdecken könne. – Es war nichts zu erkennen. Kein Rauch stieg aus oder neben dem Haus empor; kein Laut unterbrach die Todtenstille um ihn her, das Kreischen eines Schwarmes weißer Kakadu's abgerechnet, die das Thal herunter kamen und in den Wipfeln der höchsten Bäume weiter unten wieder einfielen.
Jedenfalls hatte die Ankunft des Führers die ganze Bande weiter oben in ihrem Lager versammelt, wo aller Wahrscheinlichkeit nach das Wichtigste ihrer nächsten Pläne verhandelt wurde. – Wenn er sich dort als Zeuge hätte einschmuggeln können. – Mit dem Gedanken war auch der kühne Schritt beschlossen, und Tolmer, persönlicher Furcht völlig fremd – glitt von der ziemlich steilen Wand, über der er gestanden, nieder, umging das Haus, und wollte eben am Bach hinauf seinen Weg weiter verfolgen, als er plötzlich dicht vor sich Stimmen hörte.
Ein kleines Gebüsch verdeckte ihn allerdings für den Augenblick, kamen die Männer aber näher, so mußten sie ihn dort, wo er gerade auf einer ziemlich offenen Stelle stand, entdecken. Nur wenige Schritte von sich entfernt, bemerkte er eine mit ziemlich dichten Nadeln bedeckte Casuarine, deren untere Aeste er leicht mit mit der Hand erreichen konnte. Rasch war sein Entschluß gefaßt – und wenige Sekunden später verbarg ihn der dichte Wipfel des Baumes. Von dort aus konnte er auch, selber ungesehen, am leichtesten die Bewegungen der Feinde beobachten, wie sich später wieder unbemerkt zurückziehen, wenn das nöthig werden sollte.
Kaum zwei Minuten hatte er seinen versteckten Sitz eingenommen, als die ersten Buschrähndscher auf demselben offenen Platz erschienen. Vorne ging Howitt – der berüchtigte Gentleman John – mit Rothkopf, seinem ersten Lieutenant, und hinter diesen folgten etwa sechzehn oder achtzehn wild und verzweifelt genug aussehende Gestalten, fast alle mit Musketen, einige sogar mit Doppelflinten und Büchsen bewaffnet. Die beiden Ersten waren in eifrigem Gespräch begriffen, das aber nicht eben freundlich geführt schien. So kalt und ruhig Gentleman John selber dabei blieb, so heftig schien Rothkopf etwas zu bekämpfen, ohne daß Tolmer bis jetzt nur mehr als einzelne abgerufene Worte davon verstehen konnte.
»Genug – genug, Rothkopf,« sagte da der Führer, gerade als sie die kleine Lichtung unterhalb dem Baum, auf dem Tolmer saß, erreicht hatten. »Es bleibt bei dem was ich gesagt, und ich glaube, ich habe mich Euch bis jetzt als treuer Freund und Führer genug gezeigt, mir auch in dieser Sache diesmal zu vertrauen. Acht von Euch, die Ihr durch das Loos oder durch freie Wahl bestimmen müßt, folgen mir jetzt, die Uebrigen bleiben unter Rothkopfs Führung noch einige Tage hier, bis die Ausrüstung des Schooners beendet ist. Haben wir Alles klar, so mögen sie draußen Verdacht schöpfen wie sie wollen, es ist dann zu spät. Geschähe das jetzt, so wäre unser Aller Leben, unser Aller Freiheit gefährdet, und ich will nicht bis jetzt mit allen nur erdenklichen Aufopferungen des Aeußersten gewagt haben, im letzten Augenblick vor der Entscheidung unsern Rettungsplan scheitern zu sehen. Wen von Euch bestimmt Ihr also, mir jetzt gleich zu folgen? Wen bestimmt Ihr dazu, Rothkopf?«
Er war, noch während er sprach, kaum fünf Schritte von der Casuarine, die seinen gefährlichen Feind versteckt hielt, stehen geblieben und die Leute, unter einander berathend, sammelten sich um ihn.
»Mir gleich,« rief da Rothkopf, indem er sich, dem Baum gerade gegenüber, auf den Boden und sein Gewehr neben sich auf das Laub warf, »wenn ich meinen Willen nicht haben soll, dann macht's wie Ihr wollt.«
Sein Auge haftete gedankenlos und mürrisch, wie er so sprach, an dem Wipfel der Casuarine, und Tolmer durfte kein Glied rühren, wenn er sich nicht verrathen wollte.
»Es bleibt sich auch gleich,« sagte da Gentleman John, »denn die Uebrigen folgen ja doch in wenig Tagen. Keiner von uns mag zurückbleiben, wo es gilt, dies verwünschte Land auf immer zu verlassen. Ist es Euch also recht, so wähl' ich mir die, die ich jetzt bei mir haben will, selber aus, und Ihr werdet es begreiflich finden, daß ich mir dazu die nehme, die jetzt am anständigsten und am wenigsten verdächtig aussehen. Ich kann Euch nicht als Buschrähndscher, ich muß Euch vor der Hand als Arbeiter bei meinen Freunden einführen. Ist Einer unter Euch, der das Zimmerhandwerk versteht?«
»Das versteh' ich, Capitän, und der einäugige Henry da drüben,« sagte Einer der Burschen, indem er vortrat.
»Vortrefflich – Euch beide kann ich gleich an Bord beschäftigen. Einen Segelmacher haben wir wohl nicht unter uns?«
»Doch, Sir,« lautete die Antwort von der andern Seite, »wir sind hier unserer drei Seeleute, die alle eine Segelnadel zu führen wissen.«
»Dann tretet Ihr hier auch herüber – aber ein bischen zustutzen müßt Ihr Euch, ehe wir auf die Station kommen. Wetter noch einmal, Burschen, Euch sieht man den Buschrähndscher gleich an der Stirne an.«
»Ich würde ihnen einen Frack machen lassen,« sagte Rothkopf, indem er sein Messer aus der Scheide zog, und die um ihn her liegenden Gumblätter damit anspießte.
Gentleman John antwortete nicht darauf, wählte sich noch drei der bestaussehenden Individuen – und die Wahl wurde ihm wirklich dabei schwer – zu seinen Begleitern, und gab den Uebrigen dann noch einige gleichgültige Befehle, wie sie sich hier in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes zu betragen hätten, die Aufmerksamkeit der benachbarten Stationshalter nicht zu sehr auf sich zu ziehen.
»Und wie weit seid Ihr mit Euerem Schiff?« frug da Rothkopf, als sich Jener zum Aufbruch rüstete.
»Wie uns Hennigs heute gemeldet,« lautete die Antwort, »ist es an seinem Ankerplatz eingetroffen. Die nöthigen Provisionen können recht gut in drei Tagen herbei und an Bord geschafft werden – vielleicht noch früher, wenn mein Freund Bloome –« er sprach die Worte mit einem hämischen Lächeln – »die mir gegebenen Versprechungen alle gehalten. Nur das Einnehmen des nöthigen Wassers wird uns noch aufhalten. Wir müssen wenigstens genug davon an Bord haben, eine der Südseeinseln zu erreichen.«
»Und Munition?«
»Damit sieht's freilich bös aus,« erwiderte Gentleman John, »denn um keinen Verdacht zu erregen, durfte ich nicht solche Aufträge dafür geben, als ich sonst gewünscht, doch denk' ich, haben wir genug.«
»Genug an Bord,« rief Rothkopf, »das kann ich mir etwa denken, aber nicht hier in den Bergen. Wir Alle sitzen hier mit kaum genug Pulver und Blei, unsere Gewehre noch einmal zu laden, wenn wir sie abschießen, und würden wir jetzt von drei Polizeisoldaten mit Musketen angefallen, wären wir verloren. Aus der Gefahr mach' ich mir nichts; ich denke das habe ich bewiesen; aber ich muß wenigstens eine Waffe haben, mich zu vertheidigen, und so wie jetzt bleib' ich keinen Tag länger in den Bergen, und wenn ich die nächste Station plündern müßte, mir Pulver und Blei zu verschaffen.«
»Das ist nicht rathsam,« entgegnete aber John, »und würde uns die Leute vor der Zeit auf den Hals setzen. Doch dem soll abgeholfen werden. Kommt morgen früh mit Tagesanbruch an die leere Rindenhütte, die gleich dort drüben an der Grasbaum-Ebene steht, Rothkopf, und ich will Euch selber genug Munition für alle Fälle bringen. Seid Ihr das zufrieden?«
»Meinetwegen,« brummte der Lieutenant, »wenn ich nur wieder Futter für meine Flinte bekomme. Die Wallobis tanzen Einem ja jetzt ungestraft auf der Nase herum.«
»Gut denn,« sagte der Führer, »also morgen früh an der Rindenhütte. Und nun lebt wohl. Ich muß heut Abend noch vor Dunkelwerden am Cap Borda sein. Zur bestimmten Zeit schick' ich Euch Broadley, und folgt dem so rasch Ihr irgend könnt.«
Er wandte sich bei den Worten, von den von ihm ausgewählten Leuten gefolgt, das Thal hinab, und Rothkopf blieb, noch ganz in seiner früheren Stellung, mit den Uebrigen unter der Casuarine zurück.
»Und was nun?« sagte da Einer der Leute, »gehen wir nach dem Lager zurück, oder habt Ihr sonst irgend etwas für uns zu thun?«
»Ich?« sagte Rothkopf, »der Capitän hat Euch, denk' ich, Euere Beschäftigung deutlich genug angewiesen – wiederkäuen, bis er Euch rufen läßt.«
»Aber –«
»Kümmert Euch um Nichts,« unterbrach ihn der Buschrähndscher-Lieutenant, »Ihr habt Zeit genug, Euerer Bequemlichkeit nachzugehen, wenigstens noch für 48 Stunden Provisionen, und Wasser bis zur nächsten Dürre – was wollt Ihr mehr?«
»Branntwein,« sagte Einer der Leute mürrisch.
»Ja so; an den hatte ich nicht gedacht,« lachte Rothkopf, »aber beruhigt Euch nur; der Capitän hat versprochen, Euch einen Korb Champagner herüberzuschicken, und dem wird er wohl ein Fäßchen Rum beifügen. Seid Ihr damit zufrieden?«
»Müssen ja wohl!« brummte der Sprecher.
»Nun gut;« sagte Rothkopf, »dann seid so gut und geht jetzt zum Lager hinauf, daß uns das Mittagsessen nicht anbrennt. Ich will indessen sehen, ob ich uns bis dahin ein Wallobi schießen kann – verstanden?«
»Gut, Lieutenant,« sagte der Bursche, »Ihr sprecht jedenfalls deutlich genug, und wenn das Abwarten auch langweilig sein mag, ist es jedenfalls das Bequemste.«
Die Leute wandten sich ab und schlenderten langsam den Weg zurück, den sie vor etwa einer halben Stunde gekommen. Nur Rothkopf blieb noch, kaum fünfzehn Schritt von der Casuarine entfernt, und das Gesicht dem Baum zugekehrt sitzen, stieß langsam sein Messer in die Scheide zurück, und nahm dann seine Doppelflinte vor sich auf die Knie. Hieran untersuchte er die Pistons, reinigte sie, schüttete frisches Pulver hinein, setzte trockene Zündhütchen auf, und schien sich solcher Art allerdings für die angekündigte Wallobijagd vorzubereiten. Seine Gefährten waren indessen schon lange das Thal hinaufgestiegen und Tolmer, der Alles erfahren, was er nur gewünscht, hoffte jetzt sehnlichst, daß der Bursche unter dem Baum sein Gewehr endlich in Stand hätte, und ihm ebenfalls Raum gab, seine durch die Länge der Zeit unbequem werdende Stellung verlassen zu können.
Rothkopf schien aber keine derartige Absicht, wenigstens nicht für die nächste Zeit zu haben; denn, sein völlig in Stand gesetztes Gewehr noch immer auf den Knien, blieb er ruhig in der vorhin eingenommenen Stellung, und nickte nur manchmal, still vor sich hinlächelnd, mit dem Kopf. Tolmer's Lage wurde mit jedem Augenblick peinlicher; Arm und Knie schmerzten ihn, und doch wagte er nicht sich zu regen. Da hob der Buschrähndscher langsam den Kopf zu dem Baum empor, an dem jener saß, betrachtete den Wipfel eine Weile und sagte dann, so ruhig, als ob er mit einem seiner Leute redete.
»Nun, Mate, ich denke Ihr könntet jetzt da oben ausgeschlafen haben. Donnerwetter, andere Vögel streichen mit Tagesanbruch ab, und Ihr bleibt bis zum hellen Mittag in den Zweigen mit dem Kopf unter dem Flügel sitzen.«
Tolmer regte sich nicht – das Herz schlug ihm wie ein Hammer in der Brust. Noch aber blieb ihm immer die Hoffnung, daß der Buschrähndscher mit jemand Anderem, nicht mit ihm spreche, und er doch noch vielleicht der Entdeckung entgehen könnte. Rothkopf machte aber seinen Zweifeln bald ein rasches Ende. Er stand auf, nahm sein Gewehr in Anschlag, und den Lauf gerade gegen den Wipfel der Casuarine richtend, sagte er mit nicht lauterer Stimme als vorher, aber mit trockenem, spöttischem und doch auch wieder drohendem Ton:
»Nun, wird's bald, Kamerad? oder soll ich Euch etwa Beine machen. Ich habe nicht übermäßig Munition, und möchte die Ladung Schrot und die Todtengräberkosten gern ersparen. Euch mein' ich da oben in dem Baum d'rin – habt Ihr mich verstanden?«
Tolmer sah sich entdeckt, und wenn ihm auch die Hand im ersten Augenblick nach den Pistolen zuckte, fühlte er doch auch zugleich, daß er mit seinen verklommenen Armen nicht im Stande sein würde, sein Ziel sicher zu treffen, und dann war er verloren. Außerdem konnte der Schuß die übrige noch nicht so ferne Schaar herbeirufen. Die List blieb noch seine einzige Hülfe.
»Hallo, Mate,« rief er deßhalb, gute Miene zum bösen Spiel machend, vom Baum nieder, »nehmt das vertrackte Schießeisen weg, es könnte Euch aus Versehen in der Hand losgehen, und Ihr wollt doch wahrhaftig nicht einen Kameraden wie einen Papagei vom Baum herunterschießen.«
»Kameraden?« wiederholte Rothkopf, ohne jedoch seine drohende Stellung zu verändern, »den müssen wir uns erst einmal in der Nähe betrachten. Kommt Ihr?«
»Ei gewiß,« lautete die Antwort, »bedenkt nur, daß mir Arm und Beine ganz verquollen sind. Ich habe da oben in keinem Lehnstuhl gesessen.«
Er rutschte, während er sprach, vorsichtig an der glatten Rinde nieder, und sah sich gleich darauf dem Buschrähndscher und dessen auf ihm gerichteten Gewehr gegenüber.
»Nun,« sagte er, als er den Boden berührte und sich gegen den Buschrähndscher umdrehte, »ist das ein Empfang? Ihr habt doch von mir wahrhaftig nichts zu fürchten. Seht Ihr denn nicht, daß ich unbewaffnet bin?«
»Auswendig, ja,« lachte Rothkopf, »doch das Andere wollen wir nachher untersuchen. Jetzt vor allen Dingen, wie kommt Ihr auf den Baum, und was habt Ihr da oben gesucht? – etwa Vogelnester ausgenommen?«
Tolmer blieb nur eine einzige Ausflucht. Natürlich trug er keine Uniform, sondern seine alten Buschkleider, die durch die Känguruhdornen überdies arg mitgenommen waren. So glich er denn allerdings eher selber einem Buschrähndscher, als einem Polizeiofficianten, und das zu benutzen, war jetzt seine Sorge.
»Wenn Ihr das von mir erfahren wollt,« erwiderte er deßhalb mit angenommener Ruhe, »so gebt mir erst etwas zu essen, denn wenn ein Mensch, wie ich, tagelang in dem verdammten Busch da drüben am festen Lande umhergehetzt und dann in See beinahe verhungert und verdurstet ist, nur um die Insel hier zu erreichen, hat er nicht viel Kräfte mehr übrig, und braucht eine Stärkung. Habt Ihr einen Schluck Brandy?«
»Nicht einen Tropfen. Aber wer hat Euch gehetzt, mein Bursche,« setzte er hinzu, und betrachtete sich den Fremden aufmerksam vom Kopf bis zu den Füßen – »ich dächte doch, die Buschrähndscher sind drüben ziemlich dünn geworden, seit wir fort sind.«
»Wer? – nun die verdammte Polizei!« sagte Tolmer ärgerlich.
»Oh, die habt Ihr hinter Euch gehabt? ja das kann ich mir denken,« lachte der Buschrähndscher, »Mr. Tolmer soll ein trefflicher Führer sein.«
»Wer?« sagte Tolmer mit angenommenem Erstaunen.
»O, Ihr kennt den Mann wohl nicht,« meinte Rothkopf trocken, »schade, daß ich keinen Spiegel hier habe, ich könnte Euch sonst eine vortreffliche Beschreibung seiner Person geben.«
»Einen Spiegel?« sagte Tolmer, und fast unwillkürlich suchte seine Hand das versteckte Pistol, denn einmal erkannt, wußte er sich auch verloren.
»Laßt die Waffen nur stecken, Mr. Tolmer,« sagte da Rothkopf, in aller Ruhe die Hähne seines eigenen Gewehres in Ruhe setzend, und dem Polizeibeamten fest in's Auge schauend, »Ihr seht, ich kenne Euch, und schieße Euch weder über den Haufen, noch rufe ich meine Leute, daß sie sich vielleicht einen besonderen Spaß mit Euch machten. Aber – die Wahrheit ist, Ihr kommt mir da wie gerufen, und dem allein habt Ihr's auch zu danken, daß ich Euch nicht gleich, wie wir hier ankamen, und ich Euch im Baum bemerkte, eine Ladung Posten durch den Leib jagte.«
»Und wenn ich nun nicht jener Tolmer wäre?« sagte dieser.
»Beruhigt Euch darüber,« erwiderte ihm der Räuber, »ich habe Euch einmal gesehen, als ich vor vier Jahren, gerade frisch eingefangen, vor Euch gebracht wurde, und ein verdammt gutes Gedächtniß für alte Bekannte. Doch zur Sache. Ihr seid nach Känguruh-Insel gekommen, um unsern »Gentleman« John einzufangen, wie?«
»Ja,« sagte Tolmer nach kurzem Zögern mit entschlossener Stimme – »zum Henker noch einmal, ich sehe jetzt keinen Grund mehr, Euch ein Geheimniß daraus zu machen.«
»Gesprochen wie ein Mann,« lachte der Buschrähndscher, »aber – ich kann mir nicht gut denken, daß Ihr die »Kleinigkeit« allein solltet unternommen haben.«
»Ich habe Hülfe« erwiderte Tolmer, aber doch nicht ohne einiges Zögern.
»Bei der Hand?«
»Nicht weit.«
»Hm,« sagte der Buschrähndscher, »aber Ihr wißt, wie ungewiß Euer Erfolg ist, wenn John den geringsten Verdacht schöpft.«
»Allerdings,« erwiderte Tolmer, der den Plan des Burschen jetzt leicht durchschaute, und freier Athem schöpfte, »aber Ihr wißt auch, welchen Preis die Regierung dem zugedacht hat, der uns den Verbrecher überliefern hälfe. Fort könnt Ihr nicht mehr; der Schooner ist schon beobachtet und kann nicht mehr auslaufen, und die Insel hier nicht groß genug, Euch lange Zuflucht zu gewähren.«
»Hm, ja,« erwiderte Rothkopf, »wenn's auch vielleicht noch nicht so schlimm ist, als Ihr es macht; denn die Geschichte von dem Schooner habt Ihr doch nur erst oben im Baum gehört.«
»Er liegt an Cap Borda,« erwiderte Tolmer ruhig, »ist von einem Bruder Bloomes, der das Fahrzeug navigiren soll, in Adelaide angekauft, und Bloome glaubt, daß es zwischen Sidney, Neuseeland und der Insel Handel treiben soll.«
»Alle Teufel!« rief Rothkopf überrascht, »dann hat die Polizei also doch Wind davon bekommen. Aber das,« fuhr er, die Zähne auf einander beißend, fort, »wißt Ihr nicht, daß Gentleman John, Verräther der er ist, beabsichtigt, uns hier im Stiche zu lassen und über Hals und Kopf den Schooner in See haben will, um uns los zu werden.«
»Ich weiß vielleicht noch mehr als das,« lächelte Tolmer, »aber das sind Nebensachen, die hier mit unserem Geschäft nichts zu thun haben. Wollt Ihr mir beistehen, diesen Gentleman John einzufangen?«
»Ja! – aber Ihr sichert mir freien Pardon?« frug der Buschrähndscher, ihn dabei scharf fixirend.
»Den sichere ich Euch, und außerdem den halben Fangpreis, der auf seinen Kopf gesetzt ist. – Seid Ihr damit zufrieden?«
»Die Sache ist abgemacht!« rief Rothkopf, ihm die Hand zum Einschlagen hinhaltend, »und nun an die That. Habt Ihr von Eueren Leuten Einige bei der Hand?«
»Sie sind Alle an Cap Borda.«
»Hm – müssen wir ihn lebendig fangen?«
»Lebendig oder todt,« erwiderte Tolmer.
»Gut – dann brauchen wir auch Niemand weiter. Ihr habt gehört, daß er mir morgen früh an eine bezeichnete Stelle Munition bringen will. Wo liegt Euer Gewehr versteckt?«
»Ich habe nur Pistolen bei mir,« sagte Tolmer.
»Das ist Nichts,« rief Rothkopf, »die sind nicht sicher genug, und spaßen dürfen wir nicht mit ihm. Seid Ihr ein guter Schütze mit der Flinte?«
»Ich treffe meinen Mann auf hundert Schritte mit der Kugel.«
»Gut, dann werdet Ihr ihn auch auf fünfzehn mit Rehposten nicht fehlen, und mögt dazu mein Gewehr nehmen. Jetzt geht in's Thal hinunter und lagert irgendwo am Eingang der Schlucht. Mit hinauf darf ich Euch nicht nehmen, denn Einer der Anderen könnte Euch so leicht erkennen wie ich, aber ich werde dafür sorgen, daß Euch Keiner von ihnen in den Weg läuft, und daß Ihr dort auf mich wartet, ist Euer eigener Vortheil – deshalb vertrau' ich Euch auch. Morgen früh mit Tagesanbruch bin ich an der einzelnen Casuarine, die dicht am Pfad steht. Kennt Ihr den Baum?«
»Ich habe ihn heute passirt,« erwiderte Tolmer.
»Gut denn, auf Wiedersehen,« sagte der Buschrähndscher, und schritt rasch die Schlucht hinauf, den Polizeibeamten seinem eigenen Nachdenken überlassend.
Tolmer wußte aus eigener Erfahrung, wie nützlich dieser Bursche, der sich von seinem Kameraden vielleicht mit gutem Grund verrathen glaubte, ihm werden konnte. Die Abfahrt des Schooners mochte er allerdings mit seinen Leuten leicht verhindern, der Führer der Bande aber, und Einer der schlauesten Räuber, die je die australischen Wälder unsicher gemacht, war damit noch nicht gefangen, und hätte mit einem Boot leicht wieder das feste Land erreichen können. War Gentleman John aber erst einmal in seiner Gewalt, oder überhaupt unschädlich gemacht, dann durfte er hoffen, die Andern leicht zu bewältigen, und mit der Hülfe seines neugefundenen Freundes hatte er jetzt die beste Hoffnung, dies am nächsten Morgen in's Werk zu setzen.
Verrath brauchte er hier kaum zu fürchten. Er war schon in der Gewalt des Räubers gewesen, und dessen eigener Vortheil lag mit dem seinen jetzt in einer Schale. Deshalb folgte er auch ohne Weiteres der erhaltenen Weisung und lagerte die Nacht an der ihm vom Rothkopf bezeichneten Stelle, um am nächsten Morgen bei der Hand zu sein.
Rothkopf ließ auch nicht auf sich warten. Kaum dämmerte der Tag, als ein leiser Pfiff Tolmer auf seine Nähe aufmerksam machte, und die beiden Männer schritten nach einem sehr frugalen, rasch eingenommen Mahl neben einander der von Gentleman John selber angegebenen Hütte zu. Unterwegs machte der Buschrähndscher den Polizeibeamten mit seinem Plane bekannt, und in der Hütte selber angekommen, legte sich Tolmer mit des Räubers Flinte in den Hinterhalt, während sich dieser, den Rücken gegen die dünne Rindenwand gelehnt, auf einen dort zu einer Art Bank hergerichteten Stamm setzte, und solcher Art ruhig die Ankunft seines verrathenen Chefs erwartete.
»Und seid Ihr auch sicher, daß er wirklich kommt?« frug Tolmer endlich, als sie wohl schon eine Stunde regungslos in ihrer Stellung verharrt hatten, aus dem Haus heraus, »hol' s der Henker, mir wird die Zeit lang, und ich fürchte fast, Gentleman John war klüger wie wir Beide zusammen.«
»Nur keine Furcht, Camerad,« flüsterte ihm sein Genosse zurück, »wenn ich nicht gewiß wüßte, daß unser Vogel auf die Leimruthe geht, hätte ich Euch wahrhaftig nicht hierher geführt. Daß ihm der Böse das Licht halte, thut er es doch nur, mich desto sicherer zu machen. Aber ich kenne ihn, den Hallunken;« setzte er mit fest zusammengebissenen Zähnen und wie mit sich selber redend hinzu, »der Rothkopf ist ihm nach und nach zu klug geworden, und daß der fragen konnte, was aus all dem Geld geworden, hat ihm nicht gefallen. Aber warte, mein Bursch – hast jetzt einen Seemann an Bord, nicht wahr, der etwa ein Schiff in offener See zu halten weiß und glaubst, du könntest den Rothkopf entbehren. Was dann aus dem hier und den Anderen auf der Insel wird, was kümmert's dich. – Willst dasselbe Spiel hier wieder spielen, das du drüben am Murray den armen Teufeln eingebrockt. O ich kenne dich, Hallunke, vergißt aber, daß der Rothkopf damals selber mit dabei war und dir in die Karten gesehen hat.«
»Dort kommt Jemand den Hang herunter,« flüsterte Tolmer, der durch eine Spalte der Wand, hinter der er versteckt lag, die offene Höhe vor sich übersehen konnte.
»Das ist er,« flüsterte Rothkopf, fast unwillkürlich zusammenfahrend, »geht es, fangen wir ihn lebendig, riecht er aber Lunte, dann haltet ihm nur um Gotteswillen sicher auf den Bug, wir sind sonst Beide verloren.«
»Fürchtet Ihr ihn?« frug Tolmer spöttisch.
»Fürchten?« brummte der Buschrähndscher ärgerlich in den Bart, »wenn Ihr, wie ich, Zeuge gewesen wäret, wie der Mann da – doch das ist vorbei,« brach er kurz ab, »und zum Plaudern keine Zeit mehr. Habt jetzt Acht – es gibt kaum einen stärkeren, und wahrhaftig keinen schlaueren und verwegeneren Burschen in sämmtlichen Colonien als den, der da so sorglos den Hügel herab in sein Verderben geht – und jetzt kein Wort mehr. Er hat ein Auge wie ein Falke und ein Ohr so scharf wie ein Känguruh – macht Euch fertig.«
Rothkopf hatte ganz recht; es gab wohl kaum einen schlaueren und verwegeneren Verbrecher innerhalb wie außer den Colonien, als diesen Gentleman John, der jetzt gerade im Begriffe stand, mit einem von seinem Raube angekauften Schiffe die Colonien zu verlassen, um jedenfalls sein Unwesen in irgend einem anderen Lande auf's Neue zu beginnen.
So glücklich und erfolgreich er aber bis jetzt, jedes Mittel gut heißend, das ihn seinem Ziele entgegen führte, diesen einen Zweck verfolgt, so sollte er sich plötzlich aus seiner geträumten Sicherheit aufgerüttelt, und der früheren Verfolgung preisgegeben sehen. Sein Lieutenant Rothkopf hatte ihn allerdings nur zu gut durchschaut; Gentleman John war seiner überdrüssig und wollte mit den Ausgewählten seiner Schaar so rasch als möglich die Känguruh-Insel verlassen. Was aus den Cameraden, von denen sich ein großer Theil erst hier zu ihm gefunden, werden würde, kümmerte ihn nicht. Selbst auf diesen Abend war die Abfahrt bestimmt. Der Schooner lag, mit Proviant und Wasser versehen, vor seinem Wurfanker, und Mr. Bloome, der Squatter, ahnte nicht, welch' gefährlichem Compagnon er einen großen Theil seines Eigenthums im Begriff war zu vertrauen.
Nur um seinen bisherigen Lieutenant zu beruhigen und die kurze Frist zu gewinnen, in der dieser mit der erhaltenen Munition zu den Uebrigen zurückkehren würde, hatte er sich dazu verstanden, ihm selber das Verlangte zu überbringen. Durfte er ja doch auch keinem seiner anderen Leute trauen, die mit Rothkopf allein gelassen, vielleicht gar gemeinschaftliche Sache mit ihm gemacht hätten.
Daß ihm die Polizei schon auf der Fährte sei, ahnte er allerdings nicht, trotzdem näherte er sich nur mit äußerster Vorsicht dem von ihm selber bezeichneten Hause, von dem er schon aus der Ferne seinen Lieutenant erkannte. Er trug sein Gewehr in der Hand und die versprochene Munition in einer umgeschnallten Tasche, und hing sich die bereit gehaltene Waffe erst über die Schulter, als er Rothkopf vollkommen unbewaffnet ihn erwarten sah. Nur daß dieser ruhig vor dem Hause sitzen blieb, und ihm nicht entgegen kam, erregte wieder seinen rasch geweckten Verdacht.
»Nun, Camerad,« rief er ihn an, indem er, etwa fünfzig Schritt vom Haus entfernt, Halt machte, seine Tasche auf den Boden warf und, das Gewehr im Arm, daneben stehen blieb, »da bin ich. Aber Ihr scheint es verdammt kaltblütig zu nehmen. – Hier ist Euer Pulver und Blei, das mir schwer genug geworden – ich dächte, Ihr könntet's die übrige Strecke selber tragen.«
»Dank Euch, Capitän,« rief Rothkopf, der ihn gern näher zum Haus gehabt hätte, indem er jetzt von seinem Sitze aufstand und langsam auf ihn zuging, »ich wußte im Anfang gar nicht, ob Ihr's wäret. Aber kommt herein – ich habe ein Feuer darinnen angemacht und ein Stück saftig Wallobi daran stecken – oder – habt Ihr keinen Hunger?«
Gentleman John horchte hoch auf – sein scharfes Ohr hatte das Knacken eines Hahnes – ein ihm nur zu wohlbekannter Laut – erreicht, und im Nu erkannte er die Gefahr, in der er sich befand.
»Hunger?« rief er zurück, »gewiß. Ich bin vor dem Frühstück vom Haus fortgegangen und Euer Wallobi soll mir vortrefflich schmecken. Ist sonst noch Jemand bei Euch?«
»Keine Seele,« erwiderte Rothkopf, indem er zu ihm trat und auf die am Boden liegende Tasche zuschritt.
»Gut – so nehmt Euer Pulver und Blei mit zum Haus,« sagte der Capitän, indem er sich so stellte, daß er den Lieutenant fortwährend zwischen sich und dem vermutheten Hinterhalt behielt. »Ihr hättet Euch Jemanden mitbringen sollen; das Zeug ist verwünscht schwer.«
»Allerdings,« sagte Rothkopf, die Tasche etwas lüftend und dann über die linke Schulter hängend, »doch es ist nicht so weit bis zu unserm Lager und ich werde sie schon fortbringen.«
»Rothkopf,« sagte da Gentleman John, indem er ihm vertraulich auf die Achsel klopfte, »ich habe Euch nicht umsonst hierherbeschieden – ich habe noch ein Geheimniß, das ich Euch anvertrauen möchte – wenn ich eben auf Euere Verschwiegenheit und Treue rechnen könnte.«
»Und das wäre?« rief Rothkopf, indem er überrascht zu seinem Hauptmann aufsah.
»Ich habe hier in der Nähe Geld vergraben,« flüsterte ihm dieser zu, indem er sich wie scheu und vorsichtig dabei umsah.
»Alle Teufel,« rief Rothkopf mit unterdrückter Stimme, »und wo da?«
»Wir wollen zum Haus gehen, dort will ich Euch den Fleck beschreiben.«
»Zum Haus? – hm,« sagte der Buschrähndscher, »ja – recht gern – aber könnt Ihr es mir nicht hier sagen?«
»Hab' ich Dich, Bursche?« lachte da John, indem er einen Schritt von ihm zurücktrat und sein Gewehr aufgriff, aber dabei noch immer vorsichtig ihn zwischen sich und dem Hause hielt. »Rühr' Dich jetzt von der Stelle und Du bist –«
»Teufel!« rief der also überlistete Lieutenant, indem er den sich dessen nicht gleich versehenden Buschrähndscher unterlief und mit seinen Armen umschlang, »hierher zu Hülfe – hierher – verdammt wenn ich Dich nicht –«
»Danke Dir,« sagte Gentleman John ruhig. Mit raschem Griff hatte er aber auch in demselben Moment ein Pistol aus seiner Tasche gerissen, und während er es in das Ohr seines Lieutenants abdrückte, flog sein Blick schon nach dem Haus hinüber, aus dem jetzt Tolmer mit gespannter Flinte herbeisprang, seinem Verbündeten beizustehen.
Gentleman John wollte rasch sein eigenes Gewehr aufgreifen, Rothkopf aber riß es, durch das Gewicht seines stürzenden Körpers, mit sich zu Boden nieder, daß sich beide Läufe entluden, und der Buschrähndscher sah jetzt sein Heil gegen den besser bewaffneten Feind nur in rascher Flucht. Den anderen Angreifer hielt er natürlich für Einen der im Busch verlassenen Bande, der nicht wagen durfte, ihm weit gegen die Ansiedlung hin zu folgen, und in schnellem Sprung einen Baum zwischen sich und den Verfolger bringend, floh er mit raschen Sätzen den nur hie und da bewaldeten Hang hinauf.
Tolmer feuerte allerdings sein Rohr auf ihn ab; das Gestrüpp entzog aber den Flüchtigen gleich darauf seinen Blicken, und es blieb ihm jetzt keine andere Wahl, als so rasch als möglich seine Leute zu erreichen und den offenen Kampf gegen den Verbrecher und seinen Trupp zu beginnen.
Sein Schuß war aber doch nicht ohne Wirkung geblieben, denn wenn er den Räuber auch nicht in seiner Flucht hemmte, hatte ihn doch ein einzelner Rehposten in die Seite getroffen. Trotzdem, und den Schmerz verbeißend, gewann er bald die offene Stelle der Ansiedlung und eilte in die Hütte, in der er Jenny ihn erwartend wußte.
Die unglückliche Frau saß am Kamin, das Haupt auf die Lehne des Stuhles gedrückt, auf dem sie ruhte, und regte sich nicht, als er die Thüre öffnete.
»Jenny!« rief da John mit von Leidenschaft heiserer, nur gewaltsam gedämpfter Stimme, »komm – der Augenblick zur Flucht ist erschienen – mein Schiff liegt bereit, uns aufzunehmen. Komm, Herz, ermanne dich und laß das dumpfe Brüten – Todt ist todt, und alle Thränen erwecken dein armes Kind doch nicht zum Leben wieder.«
»Todt ist todt,« stöhnte da die arme Frau, indem sie das bleiche Antlitz und thränenlose starre Auge wild zu ihm erhob. »Sagst Du mir das, Mörder meines Kindes.«
»Unsinn, Schatz!« rief der Räuber, in aller Hast seine im Zimmer umhergestreuten wenigen Habseligkeiten und Waffen zusammenraffend. »Was kann ich dafür, daß das schwache Ding die Strapatzen unseres Marsches nicht ertragen konnte. Hab' ich es nicht den halben Tag geschleppt? – Aber eile Dich – weiß der Teufel, wie die Kunde so rasch über die Insel gekommen ist, aber Dein Mann, mein Schatz ist hinter uns her, und wir müssen wahrhaftig machen, daß wir an Bord kommen.«
»Dort liegt es,« rief da plötzlich die Frau, den Arm von sich gestreckt, das glanzlose Auge in die Leere starrend, »dort, dort, in seinem armen kalten Bett – in der harten, erbarmungslosen Erde, die es hält und nimmer, nimmer wiedergeben will – kein warmes Tuch dabei, seine zarten Glieder einzuhüllen – kein Kissen selbst, das kleine liebe Haupt darauf zu betten – nicht einmal einen kahlen, harten Sarg für das Wesen, für das ich mit Freuden mein Leben hingegeben hätte. Fort – fort von mir!« schrie sie plötzlich, seine nach ihr ausgestreckte Hand mit Abscheu zurückstoßend, »fort, oder beim ewigen Gott da droben, ich schlage meine Zähne in Dein Fleisch und würge Dich, wie Du mein Kind gewürgt.«
»Wahnsinnig, bei Allem was da lebt,« brummte der Buschrähndscher vor sich hin, »und der ganze Aufenthalt umsonst. Da bleibt mir freilich nichts Anderes übrig, als –«
Die Thüre wurde in diesem Augenblicke aufgerissen und Broadley's erschrecktes, todtenbleiches Gesicht zeigte sich darin.
»Unke,« rief ihm der Capitän entgegen, »was bringst Du?« –
»Der Schooner ist genommen!« rief der Unglücksbote, den Verdacht und sein Aussehen vollkommen rechtfertigend. »Polizeiboote haben ihn geentert und die Masten gekappt.«
»Die Masten gekappt?« rief John erschreckt.
»Es ist Alles vorbei,« drängte aber der Bursche, »und die Boote rudern schon wieder an Land. Uns bleibt keine andere Zuflucht als der Busch.«
John knirschte die Zähne wild auf einander, aber das einmal Geschehene ließ sich nicht mehr ändern, die solcher Art abgeschnittene Flucht zu Wasser konnte nach dieser Richtung hin nicht mehr erzwungen, sondern mußte auf andere Weise versucht werden. Deshalb seine Waffen aufgreifend, warf er noch einen Blick auf die wild und erstaunt zu ihm aufschauende Frau, und winkte dann Broadley, ihm zu folgen.
Wie er nur vor die Hütte trat, sah er schon, daß sein Begleiter Wahrheit gesprochen. Der Schooner draußen an der Point lag, ein Wrack, vor seinem Anker, und während Bewaffnete aus einem schon gelandeten Boot an's Ufer sprangen, eilten Andere von dem Hauptstationshaus auf seine eigene Wohnung zu. Kamen sie als Freunde oder Feinde? – er hatte nicht Lust ihr Kommen abzuwarten, und flüchtete, von Broadley dicht gefolgt, mit langen Sätzen dem nächsten Dickicht zu.
Schon hatte er dieses erreicht, schon verbargen ihn die nächsten Gumbüsche den Augen der Verfolger, als dicht vor ihm eine dunkle Gestalt sich wie aus dem Boden hob, und ihm die Arme bittend entgegenstreckte. Es war Lloko, sein schwarzes Weib, den Opossum-Mantel locker um die Schulter geschlagen, die schwarzen Haare wirr die Stirn umflatternd.
»Halt!« rief sie ihm mit mehr drohend als bittender Stimme entgegen, da er fast scheu vor ihr zurückweichen und an ihr vorübereilen wollte, indem sie seinen Rock ergriff und hielt. »Halt! falscher weißer Mann – wo ist dein ander Weib, mit den bleichen Wangen und dem lichten Haar – wie? und wo ist das Kind, das Du ihr auf dem Wege todt und in den Boden gedrückt hast – wie? Wohin gehst Du jetzt? – wieder zu meinem Stamm? – nimm mich mit, nimm mich mit. Lloko hungert hier und Niemand giebt ihr zu essen.«
»Ist denn der Teufel heute in die Weiber gefahren?« rief John, mit eiserner Faust die schwache Hand der Frau ergreifend und von sich werfend. Aber schon hatte Lloko die andere in seinen Gürtel gekrallt und schrie mit wilder, gellender Stimme:
»Teufel – ja, das ist Euer Wort für Alles, was bös und schlecht –Teufel. Das ist Dein Name Gentleman John, und wenn da droben so ein Wesen wohnt –«
»Fort mit Dir!« rief zwischen den Lippen durchzischend der gereizte Räuber, und sein Faustschlag traf die Unglückliche so rauh an die Stirn, daß sie den Gürtel loslassen mußte und halb bewußtlos auf den Boden zurücktaumelte. Im nächsten Augenblick waren die beiden Männer auch im Busch verschwunden.
Gentleman John hätte übrigens nicht in so großer Eile zu sein brauchen, denn die aus der Station zu ihm hinüber Springenden waren nur Bloome und dessen Bruder gewesen, die ihr Fahrzeug im ersten Augenblick von Buschrähndschern überfallen glaubten, und den vermeintlichen Capitän zu Hülfe holen wollten. Nur zu bald sollten sie aber aus solchem Irrthum gerissen werden, denn wenn sie schon die übereilte Flucht des vermeinten Freundes stutzen machte, benahmen ihnen die rasch erkannten Uniformen der Polizeisoldaten den letzten Zweifel.
Tolmer hielt sich jedoch nicht mit langen Erklärungen auf. Er glaubte nämlich sicher, daß sich der entflohene Räuber nach dem Tode Rothkopf's auch ohne weiteres seiner Bande wieder anschließen würde, um mit dieser vereint verzweifelten Widerstand zu leisten. Wußte er doch nicht, daß ihn Gentleman John selber für einen seiner eigenen Schaar gehalten, und in jedem jetzt den Verräther glauben mußte. Hier nun lag für die kleine Truppe Polizeisoldaten der einzige Vortheil darin, die erste Ueberraschung der Buschrähndscher zu benutzen, einen entscheidenden Schlag gegen sie zu führen. Einmal zersprengt, hoffte er ihrer dann schon leicht Meister zu werden.
Kaum im Busch angelangt, trafen sie da auf die noch immer halb betäubte Schwarze, an der die Leute, ohne sie weiter zu beachten, rasch vorbeistürmen wollten. Tolmer erkannte aber augenblicklich in ihr das frühere Weib des Räubers, und der Scene an dem Hause eingedenk, rief er seinen Leuten ein Halt zu, das arme, hülflose Wesen erst wieder zu sich zu bringen. Einer der Constabler hatte eine Flasche mit Brandy bei sich, und Lloko, wie ihr die Schläfe damit gerieben und ein paar Tropfen eingegeben waren, erholte sich bald genug, sich selber aufzurichten.
Erstaunt sah sie sich inmitten der vielen fremden weißen Männer, und ihr erstes Gefühl war, in den Busch zu fliehen, um denen zu entgehen. Tolmer aber trat ihr in den Weg und sagte freundlich:
»Fürchte Nichts von uns. Wir wollen das Land nur von denen säubern, die Haß und Feindschaft zwischen schwarzen und weißen Stämmen säen, von Raub leben und von Blut sich nähren. Weißt Du, wen ich meine?«
Das Weib sah ihn mit großen stieren Augen an und rief:
»Ihr sucht Gentleman John!«
»Allerdings,« sagte Tolmer rasch, »weißt Du, wo hinaus er ist?«
»Fluch ihm!« rief da Lloko, während die Erinnerung an die erlittene Schmach das Blut in ihre dunkle Schläfe jagte, »er hat mich geschlagen, und die Hand möge sein Gott dort oben verdorren lassen, die gegen meine armen Schläfe traf.«
»Das soll unsere Sorge sein, ihm das zu besorgen,« lachte Morris. »Hier auf der Insel haben wir ihn sicher, und er kann uns nicht entgehen.«
»Und wißt Ihr, wo Ihr ihn findet?« frug da Lloko plötzlich, während ihr dunkles Auge rasch und forschend von einem der Männer zum Andern flog.
»Ich denke ja,« erwiderte Tolmer, »er wird wohl am Torrensberg wieder zu seinen Freunden geflohen sein.«
»Freunden?« rief Lloko, verächtlich den Kopf zurückwerfend. »Der Verräther hat keinen Freund, seit er Lloko geschlagen. Kommt – kommt!« rief sie plötzlich, sich gewaltsam empor raffend, und den Arm Tolmers ergreifend, »ich will Euch führen. Wie ein Dingo auf der Fährte des speergetroffenen Känguruh, will ich an seinen Schritten hängen. – Kommt – er hat mich geschlagen – der Kopf brennt mir, wo mich seine Hand traf – wenn der Schmerz nachläßt, hab' ich die Rache vielleicht vergessen.«
Ihren Mantel dabei fester um sich herschlagend, drückte sie die ihr nachstehenden Männer zurück, dort wo Gentleman John vorbeigesprungen, die frischen Spuren wieder aufzufinden.
Morris hielt es nun freilich für bedenklich, der Führung einer Schwarzen, die sie eben so gut zum Besten haben konnte, zu vertrauen. Tolmer aber kannte die Eingebornen besser. Er begriff, welche Leidenschaft in diesem Augenblick in dem Herzen des armen, verrathenen Weibes wühlte, und bedachte sich keinen Augenblick, den, ihrem Zweck günstigen Moment zu benutzen.
Lloko hatte indessen, trotz des trockenen Bodens und darüber gestreuten dürren Laubes die Spuren der beiden Männer rasch aufgefunden, und folgte ihnen, ohne sich nach den Weißen auch nur weiter umzusehen. Diese waren indessen durch den größten Theil des letzten Trupps der Polizeisoldaten noch verstärkt worden, da der seeuntüchtig gemachte Schooner den etwa am Strand befindlichen Verbrechern keinen Weg zur Flucht mehr bot, und nur erst, als Lloko an dem Pfad vorbei eilte, der, wie Tolmer recht gut wußte, nach dem Versteck des Torrensberges hinüber führte, hielt er es für nöthig, ihre schwarze Führerin darauf aufmerksam zu machen.
Lloko erwiderte aber kein Wort. Nur mit der ausgestreckten Hand deutete sie auf den Boden vor sich, auf dem die Weißen allerdings auch nicht das Zeichen einer Fährte mehr entdecken konnten, und schritt weiter. – Folgte doch kein Schweißhund je der Spur des angeschossenen Wildes sicherer als sie den Fährten des Mannes, für den sie einst Vater, Mutter und Stamm verlassen, und der es jetzt gewagt hatte, sie zu mißhandeln.
So blieben sie in den Spuren des Räubers bis der Abend dämmerte und eine weitere Verfolgung unmöglich machte. Das wildeste Dickicht hatten sie dabei zu passiren, Stellen, an denen sich die Weißen in den Känguruhdornen oft nur so Bahn brechen konnten, daß sie sich mit Schulter und Rücken hindurch preßten. Die halbnackte Indianerin achtete nicht darauf. Ihren Fellmantel um sich geschlagen und rücksichtslos, ob ihr die Dornen Arm und Füße wund rissen, war sie den Spuren gefolgt, bis sie die Dunkelheit zwang, davon abzugehen, und in der Fährte selber kauerte sie nieder unter einen Baum, verhüllte ihren Kopf mit dem Opossum-Mantel und weigerte sich sowohl zu dem bald darauf von den Weißen entzündeten Feuer zu kommen, als irgend eine Nahrung von ihnen anzunehmen.
Tolmer, der die Schwarze übrigens sich vollkommen selber überließ, begriff allerdings noch nicht recht, wo hinaus zu die beiden Verbrecher geflohen sein könnten, denn daß Gentleman John mit seinem Begleiter nach Marsden Point zurückkehren würde, war ihm nicht wahrscheinlich. Nichts desto weniger vertraute er dem Scharfsinn der Schwarzen genug, nicht an ihrer richtigen Führung zu zweifeln und beschloß, jedenfalls noch bis morgen Mittag ihrer Leitung zu folgen.
Am nächsten Morgen waren sie schon vor Sonnenaufgang wieder gerüstet, und sobald nur der dämmernde Tag Licht genug in den Wald warf, die Spuren wieder zu erkennen, folgte ihnen Lloko mit altem Eifer.
Kaum eine Stunde aber war sie darauf hingegangen, als sie plötzlich stehen blieb und die Nase emporhob, wie ein Hund es thut, wenn er das Wild wittert.
»Komm, komm, Lubra,«[11] sagte aber Morris, der es bemerkte, und dem das nicht gefallen mochte, »guck auf den Boden und laß die Faxen. Daß Du ein Auge wie ein Falke hast, kann ich bezeugen, denn wo nur irgend der Boden weich war, haben wir die Fährten der beiden Schufte hinter Dir gefunden; aber auf das Riechen wollen wir uns doch lieber nicht verlassen.«
»Ich rieche Rauch,« sagte aber die Frau, ohne die Worte des Fremden zu beachten oder ihn auch nur eines Blicks zu würdigen.
»Das kann wohl möglich sein,« flüsterte Tolmer. »In dem verzweifelten Dickicht hier haben die Burschen auch nicht bei Nacht und Nebel fortkommen können, und sind jedenfalls liegen geblieben. Vielleicht treffen wir sie im Lager.«
Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort. Wenn aber auch Lloko den Rauch richtig gespürt, fanden sie nur noch das halb niedergebrannte Feuer. Die beiden Buschrähndscher hatten ihre Flucht wahrscheinlich, wie sie ihre Verfolgung, mit anbrechendem Tage fortgesetzt. Von hier aus schienen sie aber eine andere Richtung genommen zu haben, und Lloko, die derselben eine Zeitlang folgte, faßte plötzlich Tolmers Arm und flüfterte:
»Das Boot! – Sie sind nach dem versteckten Boot!«
»Und so wird's auch sein!« rief Tolmer, ärgerlich mit dem Fuße stampfend, »und wir kommen nachher gerade zeitig genug an den Strand, sie in der Ferne absegeln und uns auslachen zu sehen. Daß ich an das verdammte Boot nicht früher gedacht, und eines von den unseren hier herum geschickt habe, ihre Flucht abzuschneiden.«
»Kommt,« sagte da Lloko, die sich indessen nach allen Seiten umgesehen, als ob sie erkennen wollte, wo sie sei, »kommt mit mir.«
»Hallo, Schwarze,« brummte aber Morris, als er sah, daß sie links von der Fährte abbog, »da hinaus geht's nicht. Hier im offenen Sande kann ich die Spuren auch erkennen, und die führen dort hinaus.«
»Kommt,« rief aber die Eingeborene noch einmal, ohne sich an den Widerspruch zu kehren. »Wir treffen ihn, ehe er das Boot besteigt.«
»Die Schwarze ist nicht mit Gold zu bezahlen,« lachte Tolmer, sich vergnügt die Hände reibend, vor sich hin. – »Was meint Ihr, Bill? es wäre ein Hauptspaß, wenn wir ihm die Flucht so vor der Nase abschnitten.«
Bill, der frühere Mailführer, der sich bei der Polizei hatte anwerben lassen und die Expedition als Freiwilliger seinem alten Groll gegen den Buschrähndscher zu Liebe mitmachte, nickte mit dem Kopf und brummte:
»Bringt mich ihm nur in Sprungnähe, und verdammt will ich sein, wenn er mir diesmal wieder aus den Klauen soll.«
»Dazu kann Rath werden,« rief Tolmer, »aber vorwärts mit Euch, Ihr Leute. Die Schwarze, seit sie nicht mehr nach den Fährten zu sehen braucht, läuft wie der helle Teufel.«
Er hatte recht. Lloko glitt wie das Wallobi ihrer Wälder rasch und behend durch das niedere aber dichte Gestrüpp der Waldung, daß ihr die Weißen wirklich kaum zu folgen vermochten, und Tolmer sie mehrmals anrufen mußte, nur so lange wenigstens zu halten, bis sie nachkämen. Eine fieberhafte Ungeduld schien sich der Schwarzen bemächtigt zu haben, die sie nur vorwärts, immer vorwärts drängte, bis sie endlich das Seegestade erreichte, das hier seine niederen Gumbüsche über kurz abgebrochene Felswände bis fast zu den Flutwogen niederhing.
Eine kleine, dürftige Quelle rieselte hier dem Meere zu, deren Lauf Lloko die letzten zehn Minuten gefolgt war, und das Wasser des in der Regenzeit wohl manchmal stark angeschwollenen Baches hatte hier eine kleine Bucht ausgewaschen, in der das eifersüchtige Weib damals, als sie den Fährten des Buschrähndschers und der unglücklichen Frau nachspürte, das hier versteckte Boot des Gentleman John entdeckt hatte.
Fremd auf der Insel, fand ihr Fuß doch leicht und sicher wieder mit jenem wunderbaren Ortssinn der Eingebornen den Weg dahin zurück, und ein triumphirendes Lächeln zuckte über ihre Züge, als sie, auf einen der vorragenden Felsen springend, das Fahrzeug noch dort entdeckte, wo es der Räuber gelassen; aber kein Laut kam über ihre Lippen.
»Ist es da, Lkoko?« rief Tolmer mit unterdrückter Stimme.
»Bst!« warnte aber die Schwarze mit aufgehobenem Finger, indem ihr jubelnder Blick und der niederdeutende Arm den Fund verkündete. Vorsichtig horchte sie dabei nach der Richtung hin, in der sie die Flüchtigen erwartete. Ihr Auge glühte, ihre ganze Gestalt zitterte, und die angstvoll geöffneten Lippen schienen die Luft einzusaugen, die von dort herüberwehte.
»Sie kommen!« flüsterte Tolmer den ihm Nächsten zu, »fort mit Euch – drückt Euch hinter Stein und Busch.«
»Alle Teufel!« brummte Morris, und glitt hinter einen der Ufersteine, auf dem er gerade stand. Nur Lloko regte sich nicht, und das Weib, wie es da lauschend dicht am Ufer stand, glich einer aus schwarzem Marmor gehauenen Statue, einer dunklen Najade, die eben scheu und zitternd der Meeresflut entstiegen.
»Nieder mit Dir, Lubra,« flüsterte ihr da Tolmer zu, »wenn er Dich sieht, ist Alles verrathen und unsere ganze Arbeit umsonst.«
Die Eingeborne antwortete ihm nicht, aber an der Stelle, wo sie bis jetzt gestanden, sank sie in die Knie und barg ihr Antlitz in den beiden Armen.
»Zum Henker noch einmal, ich sage Dir aber ja, dies muß die Stelle sein,« rief da eine rauhe Stimme ganz in der Nähe, »oder ich habe den ganzen Platz versehen und finde den verdammten Ort gar nicht wieder.«
»So weit sind wir aber doch gar nicht mit dem Boot gesegelt,« wandte Broadley's Stimme dagegen ein. »Wir müssen wahrlich noch eine Strecke voraus.«
»Und hier ist der Bach,« rief da Gentleman John, nicht zehn Schritte mehr von der Lichtung entfernt, an deren Rand seine Feinde versteckt lagen. »Ich wußte, daß ich recht hatte – und da ist auch die See. Gott sei Dank, daß wir aus den vermaledeiten Dornen endlich herauskamen. Das ist der Platz, ich kenne ihn an den Felsen, ha, ha, ha – jetzt mögen sie da drinnen herumkriechen und den Torrensberg und dessen Nachbarschaft belagern wie sie wollen. Bis sie uns auf die Fährte kommen, sind wir drüben in Sicherheit. – Ha, was ist das!«
»Halt!« donnerte ihm da Tolmers Stimme entgegen, der mit dem von Rothkopf erhaltenen Gewehr im Anschlag dicht vor ihm wie aus dem Boden herausstieg. »Ergib Dich, oder Du bist eine Leiche.«
»Ergeben?« rief John, eine Pistole aus seinem Gürtel reißend, »für den Galgen, wie?« – In demselben Augenblick traf aber sein Blick auf rechts und links aufspringende Gestalten, und die Pistole auf's gerathewohl mitten hineinfeuernd in die Feinde, wollte er mit flüchtigem Satz das Dickicht wieder gewinnen. Hier aber verrannte ihm Bill, der Kutscher, den Weg.
Mit allem Respect vor Feuerwaffen, mit denen er selber nur höchst mittelmäßig umzugehen wußte, bückte er sich allerdings bei dem Schuß, fuhr aber auch gleich in demselben Moment, einer früher erhaltenen Lection eingedenk, in derselben Stellung auf den Buschrähndscher zu, den er an dem einen Bein erwischte und mit sich zu Boden riß.
Wieder fiel ein Schuß, aber diesmal aus Tolmers Rohr, dem davon springenden Broadley nach, der einen wilden Schrei ausstieß, seitab und willenlos in den Busch hinein taumelte und dort zur Erde stürzte. Tolmer aber, ohne den Verwundeten weiter eines Blicks zu würdigen, sprang jetzt auf den gestürzten Buschrähndscher zu, über den sich schon drei oder vier der anderen Polizeisoldaten geworfen hatten.
Gentleman John machte indessen seinen Gegnern viel zu schaffen, denn mit einem plötzlichen Ruck seinen Arm frei bekommend, hatte er ein breites Messer gezogen, mit dem er rechts und links um sich stieß und seine Sieger zu verwunden suchte. Tolmer sah die Gefahr, in der sich die Seinen befanden, und riß das Gewehr an den Backen, mit dem zweiten Schuß den zur Verzweiflung getriebenen Räuber unschädlich zu machen; im nächsten Moment aber änderte er seinen Plan. Der Lauf des Gewehres hob sich, der Schuß donnerte in die Luft hinein, und den Kolben dann umdrehend hieb er den wüthend um sich Stoßenden mit solcher Gewalt über den Schädel, daß der Schaft in Splittern auseinanderfuhr, der Getroffene aber bewußtlos und wie todt in sich zusammenbrach.
Im Nu war er jetzt an Händen und Füßen gebunden, seiner Waffen beraubt und in's Boot geworfen, wo zwei der Leute, Bill und noch ein Anderer, zu seiner Bewachung blieben. Broadley, der zum Tod getroffen im Busch lag, wurde dann ebenfalls hineingeworfen, und als die von dem Räuber Verwundeten nothdürftig ihre Risse verbunden hatten, wollte Tolmer eben vom Land abstoßen, seine Beute nach Cap Borda hinüber zu rudern. Da fiel sein Blick auf Lloko, die bis dahin regungslos, wie sie das Nahen ihres früheren Gatten erwartet, dicht am Ufer gekniet hatte.
Jetzt erst, als das Boot zur Abfahrt bereit war, richtete sie sich empor, warf einen flüchtigen Blick auf die Gefangenen und war mit einem Sprung an Tolmers Seite.
»Alle Wetter, das wird zu viel im Boot!« rief Morris, der hinten am Steuer saß und sich eben bemühte, das kleine schwanke Fahrzeug vom Lande freizubringen.
»Laßt sie,« erwiderte ihm aber Tolmer, »der Bursche hat sie ihrem Stamm entführt, und sie mag mit uns, wenn wir die übrige Bande aufgerieben, nach Adelaide zurückkehren. – Alles klar da vorn?«
»Alles klar, Sir.«
»Gut, dann stoßt ab, und jetzt so rasch als möglich diesen Burschen in Sicherheit gebracht; der andere Theil der Bande soll uns dann leichte Beute werden.«
Das kleine Fahrzeug schoß in See hinaus, den Bug nach Westen wendend. Mitten darin aber, des Räubers blutiges, bleiches Haupt auf dem Schooß, saß Lloko, und große, helle Thränen rollten ihr die dunklen Wanden nieder und mischten sich dem Blut auf des Gefangenen Stirn, den sie dem Galgen überliefert hatte.
»Frühstück fertig, Jack!« rief der Schreinermeister Newman, indem er die Thür der Werkstätte halb öffnete und den dicken gemüthlichen Krauskopf hereinsteckte – »Donnerwetter, Junge, wie vielmal soll man Dich denn heute rufen? laß doch die verdammten Zeitungen liegen und komm. – Ich weiß so nicht, wie wir heute fertig werden wollen.«
John, oder Jack wie er in den gewöhnlichen freundlichen Abkürzungen von den Seinen genannt wurde, warf die Zeitung rasch nieder, band sich das Schurzfell ab, wusch in einem schon für ihn bereitstehenden Becken die Hände und trat dann in die Nebenstube, wo das reinliche Theegeschirr auf dem Tisch stand, und die Familie des Schreinermeisters ihr Frühstück schon begonnen hatte – Jack schien gar so lange auf sich haben warten zu lassen.
»Aber, Jack, wo bleibst Du denn heute nur?« sagte die Mutter, indem sie sich nach seinem Platz hinüberbog und ihm die ausgehaltene Tasse aus der blankgescheuerten Kanne füllte.
»Dreimal hab' ich ihm gerufen, Mutter,« lachte die Schwester, ein freundliches sechzehnjähriges Mädchen, mit dunkelbraunen Haaren und klaren lichtblauen Augen – »und er hat mir nicht einmal geantwortet – ich glaube wirklich, daß ihm die Minen im Kopfe stecken.«
»Die stecken mir auch im Kopf!« erwiderte der Alte, mit einem tüchtigen Stück Beefsteak zwischen den Zähnen, daß seine Worte kaum verständlich wurden – »und gute Ursache dazu; solcher Verdienst ist lange nicht da gewesen, wir können jetzt kaum Waschmaschinen genug machen – wenn's nur lange anhält – ich traue der Sache nicht recht.«
»Habt Ihr schon von dem 300 Pfund schweren Klumpen gehört, Vater, den sie auf Mr. Karrs Station gefunden haben?« frug Jack, und legte Messer und Gabel nieder – »in der Zeitung steht heute die genaue Beschreibung davon.«
»Hab' ich's denn nicht gesagt, daß ihm das Gold im Kopf steckt,« lachte Marie, »paß auf, Vater, er packt nächstens auf, zieht ein blaues Buschhemd an, setzt einen californischen Hut auf und wandert in die Berge.«
»Er wird kein Narr sein,« sagte der Vater mürrisch, dem das Gespräch nicht zu gefallen schien.
»Heidewells Gesellschaft haben die acht Tage, die sie oben sind, jeder sieben Unzen rein verdient,« fuhr Jack, ohne der Schwester zu antworten, gegen den Vater gewendet, fort: »und Browns schreiben, es ginge ihnen ganz ausgezeichnet und wollen, daß ihre andern beiden Brüder ebenfalls hinaufkommen.«
»Die haben auch hier nichts zu verlieren,« brummte der Alte, und stieß mit der Gabel heftig in das »Pickles« Glas, um aus dem engen Hals eine schon sechsmal vergebens angestochene dicke Gurke herauszufischen – »ein Handwerk verstehn sie nicht, und Architekten gibts hier genug – die können oben recht gut einmal ihr Glück versuchen; wir aber haben hier die Hände voll zu thun und verdienen schönes Geld. Stehen wir uns nicht jetzt, wenn wir ordentlich arbeiten, jeder die Woche auf unsere 5–6 Pfund Sterling, und läßt sich das von allen in den Minen sagen? und dazu leben wir hier doch wenigstens wie Menschen – die Gurke hier ist ein wahrer Satan, und ich glaube wahrhaftig, die ist erst in der Flasche so gewachsen – und schlafen Nachts trocken unter Dach und Fach, während sich die da oben in Regen, Schnee und Thau herumquälen.«
»Aber Vater,« fiel im Jack in die Rede, »es sind auch viele oben, die nicht nur ein Pfund Sterling den Tag, die –«
»Oh, paperlapapp,« unterbrach ihn der Alte – »wenn Einer Glück hat, laufen auch wieder zehn nebenher und saugen Hungerpfoten – jedes Handwerk hat einen goldenen Boden, den man sicher findet, wenn man nur fleißig darnach arbeitet, mit der anderen Geschichte ist's aber noch verdammt ungewiß, und ich meines Theils will gewiß lieber die Waschmaschinen machen, als selber damit schaukeln.«
»Aber, wenn nun einmal ein junger Mensch sein Glück versuchen will?« warf die Mutter, auf welche die zahllosen Erzählungen der neu entdeckten Schätze keineswegs verfehlt hatten, einigen Eindruck zu machen, zuredend ein – »er kann ja doch zufällig –«
»Auf den Zufall hin handelt aber kein vernünftiger Mann,« brach der alte Schreinermeister ärgerlich heraus, indem er die endlich erbeutete Gurke auf seinen Teller stieß, in zwei Theile schnitt und rasch verschwinden ließ – »alle Wetter mit dem dummen Zeug; Ihr setzt dem Jungen sonst noch am Ende verrückte Sachen in den Kopf. Hier, Jack, wenn Du gegessen hast, schaff' mir die Fenster hinauf in die Darling Nursery, das Schiff, das die Blumen mitnehmen will, geht morgen früh unter Segel, und wir dürfen keinen Augenblick Zeit mehr damit verlieren.«
Das Gespräch war hiemit abgebrochen, bei John aber hatte es nichtsdestoweniger Wurzel, tiefe Wurzel geschlagen. Als er nun gar die Fenster Georgestreet hinauf an den Ort ihrer Bestimmung geschafft hatte und wieder zurück durch die Stadt schlenderte, als er überall Gruppen traf, die von weiter nichts als dem eben entdeckten Mammuth Klumpen Gold sprachen – denn ganz Sidney war in einer wirklich fieberhaften Aufregung, und die wahnsinnigsten Gerüchte von Gold und Edelsteinen wurden mit größter Bereitwilligkeit geglaubt und wieder erzählt – reifte sein Entschluß mehr und mehr, jenen Ort selber zu sehen, jene fabelhaften Schätze selber mitfinden zu helfen.
Vor des Juweliers Hale Fenster drängte ein ganzer Kreis von Neugierigen, welche die dort heut morgen neu ausgestellten Stücke Gold mit staunenden Blicken betrachteten, und in dem Fenster eines Brokers wurde die Einbildungskraft der Menge gar nicht mehr erfordert, sich Haufen Goldes zu denken, denn dort stand eine hohe Blechbüchse, die etwa vier Quart oder Schoppen halten mochte, fast bis zum Rand mit blitzendem Gold gefüllt.
»Wo das herkommt ist mehr!« rief ein Karrenführer, der sein beladenes Fuhrwerk ruhig in der Mitte der Straße hatte stehen lassen, zu sehen was es hier an den Fenstern wieder Neues gäbe – »hol' mich dieser und jener, wenn das nicht die letzte Ladung ist, die ich Georgestreet hinauf fahre« – und damit schob er sich, die Peitsche hoch über seinem Kopf haltend, aus dem mehr und mehr hinzuströmenden Menschenschwarm zurück, knallte den beiden müden, schon halb eingeschlafenen Pferden eines um die Ohren, und trieb, fröhlich dabei pfeifend, die breite, menschengefüllte Hauptstraße Sidney's hinauf.
John ging nachdenkend nach Hause, überall begegneten ihm beladene Karren, die den Minen zuzogen – nicht selten von Bekannten begleitet, die ihn lachend aufforderten, sich ihnen anzuschließen – es schien heute Morgen Alles zusammengekommen zu sein, ihm den Kopf zu verdrehen, und wenn er auch wußte, daß sein Vater gerade jetzt unendlich viel, und zwar schon versprochene Arbeit zu liefern hatte, und ihn kaum entbehren konnte; wenn er auch vorhersah, daß es zu Hause, sobald er nur seine Absicht zu erkennen gäbe, einen schweren Tag für ihn setzen würde, so hatte der Goldschwindel zu viel und zu tief schon bei ihm Wurzel geschlagen. Mit dem Bewußtsein, daß er alt genug sei, für sich selber handeln zu können, wenn er einmal eine Sache für die beste erkannt hatte, hielt er sich, zu Hause angekommen, deshalb nicht lange mit der Vorrede auf, und stellte seinem Vater rasch und bestimmt die Sache wie seine Absicht vor.
Der Alte hatte, als der Sohn begann, schweigend seinen Hobel niedergelegt und ihm, ohne ein einziges Wort einzuwerfen, zugehört, während er ihn ruhig, über die Brille weg, mit etwas vorn übergebogenem Kopf betrachtete. Ganz gegen Jacks Erwartung fuhr er auch keineswegs heftig auf, oder machte die geringste Einwendung, sondern sagte nur als dieser geendet hatte und nun, über das Schweigen des Alten etwas verlegen, vor sich niederschaute, ruhig:
»Hör' einmal, Jack, ich sehe Du hast das »gelbe Fieber« so schlimm wie jeder andere – mit dem ordentlich und vernünftig Arbeiten ist's nun doch mit Dir vorbei, also glaub' ich, wird's das beste sein, Du packst sobald wie möglich auf und bringst selbst Dein Lehrgeld oben an – nachher bist Du mir dann desto nützlicher und auch fleißiger – wenn Du erst einmal ausgetobt hast.«
»Aber Vater, ich kann ja doch auch so gut wie mancher Andere Glück –«
»Ich weiß schon – ich weiß schon,« unterbrach ihn der Alte mit der Hand winkend seinen Hobel wieder aufnehmend – »das ist's ja gerade, was Dich hinauftreibt. Diese Woche mußt Du mir aber noch helfen, unser Wort müssen wir halten, und bis Sonnabend finde ich schon einen Gesellen, der, so lange Du fort bist, bei mir bleibt – bis dahin kannst Du Dir auch Alles was Du nöthig hast, zurecht gemacht haben.«
Es blieb dabei, Jack ließ sich auf der Post einschreiben, und zum nächsten Montag war er ebenfalls ein Candidat des Goldes, das in so ungeheuren Quantitäten, 3-4000 Unzen jede Woche, nach Sidney hineingeschafft wurde, und dessen Gerücht jetzt schon in alle Welt hinausging, und die Auswanderer von allen Welttheilen hinüberlocken sollte.
Jack hatte auf der königl. australischen Post, ohne den Hals oder irgend ein anderes Glied des Körpers zu brechen, Bathurst glücklich erreicht – etwas was gewiß nicht alle Passagiere dieses königl. Fuhrwerks von sich sagen können. Sein Werkzeug und Gepäck war schon vor fünf Tagen von Sidney mit einem Karren abgegangen, und er gedachte die dreißig Meilen bis zum Innern leicht zu Fuß zu machen. Er hätte auch Reisegefährten genug finden können, die Gesellschaft derselben behagte ihm aber nicht besonders, und er marschirte lieber allein nach seiner Bequemlichkeit ruhig fort. Da er aber in der letzten Zeit nicht mehr so viel gegangen war, wurde es schon spät am Nachmittag, ehe er den, etwa 19 Meilen von Bathurst entfernten hohen Berg erreichte, diesen erstieg und sich oben, ziemlich am Gipfel, auf einen Stein setzte, um ein wenig auszuruhen.
Er hatte kurz vorher einen beladenen mit vier Ochsen bespannten Karren überholt, der sich den Berg gerade an dieser steilsten Stelle mühsam hinaufquälte. Der Mann trieb die Ochsen, eine alte Frau ging mit einem kleinen Jungen von etwa acht Jahren voraus, und ein junges Mädchen, dessen Gesicht er des großen Sonnenbonnets wegen nicht sehen konnte, ging mit einem großen Stein neben dem Rad her und legte, jedesmal wenn die Ochsen rasteten, den Stein hinter das Rad, damit der Karren nicht zurückrutschen konnte. Der Berg bildete hier eine ordentliche Kuppe, und rechts und links ging es schauerlich steil an beiden Seiten hinunter. Es war ein höchst fataler Platz für heraufkommendes, wie hinuntergehendes Fuhrwerk.
Der Karren war jetzt gerade zu der Stelle gekommen, wo Jack saß; der Ochsentreiber, ein alter kräftiger Bursch mit greisen Haaren und gutmüthigem Gesicht, hatte sich schon ganz heiser geschrieen, die Ochsen den Berg hinauf zu überreden, und unser junger Freund würde ihn wenig beachtet haben, als er an ihm vorbeischritt, denn sein Blick war gerade auf das liebe, freundliche Gesichtchen des dahinter herkommenden Mädchens gerichtet, hätte ihn der Alte nicht eben im Vorbeigehen ein gemüthliches »wie geht's Jack?« zugenickt. Der junge Mann war ganz erstaunt, daß der Fremde seinen Namen wußte, und drehte sich rasch nach ihm um.
Ein anderer Vorfall nahm aber in demselben Moment seine ganze Aufmerksamkeit so in Anspruch, daß er alles Andere total darüber vergaß.
Das junge Mädchen war jetzt nur wenige Schritte von ihm entfernt; gerade in diesem Augenblick scheuten die Ochsen, oder der Treiber hatte vielmehr – wie es sich später herausstellte, einen der vordersten mit seiner Peitsche ins Auge getroffen; das Thier, von dem unerträglichen Schmerz gepeinigt, drängte zurück, ein paar kräftig geführte Schläge, welche die Leitochsen wieder in Ordnung bringen sollten, machten auch die andern irre, und als die beiden vordersten jetzt, trotz allem Schreien und Schlagen des Treibers, scharf abbogen, nach dem links hinunterschießenden und nur schwach mit Bäumen besetzten Abhang zu, folgten auch die anderen; der Wagen drehte sich auf seine Achse, stand einen Augenblick auf dem linken Rad und stürzte dann, als das hochaufgehäufte Gepäck das Uebergewicht bekam, langsam und unaufhaltsam zur Seite über.
Nicht allein das ganze Geschirr aber, sondern vor allen Dingen das junge Mädchen, befanden sich in dem Augenblick des Umschlagens in der dringendsten Gefahr, denn gerade über ihr hing die drohende, stürzende Last des ganzen Wagens, und wäre Jack nicht mit einem Satze zugesprungen und hätte sie fort und aus dem Bereich der niederschlagenden Ladung gerissen, sie wäre sicherlich arg beschädigt, vielleicht getödtet worden. So kam sie mit fünf blauen Flecken weg, die des jungen Mannes Finger auf ihr Handgelenk gedrückt, und außerdem noch mit dem Schreck, sich auf einmal, während Kisten und Kasten um sie her rasselten und stürzten, in den Armen eines wildfremden Menschen zu finden.
Der Alte hatte indessen die größte Noth und Mühe, die Thiere, die nun einmal absolut den Abhang hinunterdrängen wollten, zurückzuhalten, und es wäre ihm das auch allein im Leben nicht gelungen. Der umgestürzte Wagen hakte aber hinter einem jungen Gumbaum und die Kette, die durch den plötzlichen Ruck wie ein dünnes Thau abbrach, schnellte sich glücklicher Weise um die nächsten Bäume und hielt da fest. Die Thiere wurden dadurch, wohl oder übel, wieder zum Stehen gebracht, und der Alte bekam Zeit, sie zurück und auf die Straße zu treiben.
Wäre das Mädchen aber auch nicht so hübsch gewesen, so war Jack doch viel zu gutmüthig, den Mann hier mit Frau und Kind und dem umgeworfenen Geschirr allein und im Stich zu lassen. Ueberdies ging es schon auf den Abend zu, viel weiter hätte er doch nicht mehr marschiren, den Turon wenigstens an dem Abend keineswegs mehr erreichen können, und so machte er sich denn auch nun, ohne ein Wort weiter zu sagen, mit an die Arbeit, half das Geschirr und Gepäck abladen, den Karren wieder aufrichten, die Ochsen frei machen, daß sie füttern, wenigstens die hie und da spärlich genug wachsenden Grashalme aufsuchen konnten, und setzte sich dann mit zu dem unter der Zeit von den Frauen entzündeten und unterhaltenen Feuer, als ob er nicht allein mit zur Familie gehöre, sondern auch von klein auf dazu gehört habe, und das nun einmal gar nicht anders sein könne.
Der Alte hatte gar nicht gesehen, in welcher Gefahr seine Tochter geschwebt, wohl aber die Mutter, die oben am Berge vor lauter Angst und Schrecken in die Knie gesunken war, und jetzt dem jungen Mann gar nicht genug zu danken wußte. Dieser wies das aber lachend von sich, und entschuldigte sich nur, daß er in aller Angst und Eile Jane, wie die Tochter hieß, beinahe den Arm abgequetscht, ihr das Fleisch daran wenigstens blitzblau gedrückt habe. – Er ließ sich aber den Arm doch noch einmal herüberreichen – zufälligerweise saß er nämlich gar nicht weit von Jane – nur um zu sehen wie groß denn eigentlich der Schade sei, den er angerichtet habe, und streichelte zuletzt die Stelle und meinte, es würde schon wieder gut werden ehe sie – ehe sie – ehe sie vier Wochen älter wäre.
Jane schien sich vor dem jungen Fremden gar nicht mehr zu fürchten.
Der Alte hatte im Sinn gehabt auf dem Gipfel des Berges, den er mit seinen Thieren noch an dem Abend zu erreichen gehofft, zu lagern, und deshalb ein kleines Fäßchen mit Wasser auf seinen Wagen genommen, um Abends und am nächsten Morgen Thee davon zu kochen. Der nur lose aufgelegte Spunt war aber abgegangen und das Wasser, beim Umstürzen des Wagens, total ausgelaufen. Jack hatte die besten Beine, nahm einen Eimer und Blechbecher und stieg den Berg hinunter, unten im Thal irgendwo ein Wasserloch aufzufinden. Nach einer Stunde etwa und gerade mit Dunkelwerden kehrte er wieder zurück; Thee wurde gekocht, das große Zelt, das der Alte bei sich führte, und das inwendig zwei Abtheilungen hatte, gerade mitten auf der Straße, als dem einzigen nur halbweg ebenen Platze aufgespannt, und die kleine Gesellschaft nahm vergnügt ihr Abendbrod ein.
»Aber woher wußtet Ihr denn eigentlich, daß ich Jack hieß,« sagte der junge Mann plötzlich, als ihm die fast schon vergessene Anrede des Alten wieder einfiel – »ich weiß doch nicht, daß wir uns schon früher einmal gesehen hätten?«
Die ganze kleine Gesellschaft lachte, selbst das Kind, und der Alte sagte schmunzelnd:
»Hat Euch noch Niemand sonst unterwegs mit Jack angeredet?« –
»Ja,« erwiderte der junge Mann etwas verblüfft – »auf der Post schon ein paarmal, aber ich glaubte, die Leute kennten mich vielleicht von Sidney her – das eine Gesicht kam mir wenigstens bekannt vor.«
»Es ist die allgemeine Anrede hier draußen in den Bergen,« fuhr aber der Alte schmunzelnd fort – »wer, zum Henker, könnte auch all die Namen der Leute wissen, denen er begegnet, und wenn er sie wüßte, wer könnte sie behalten? da nennen wir denn alle einander Jack, und da jeder Jack heißt, kann auch nicht leicht ein Irrthum oder eine Namensverwechselung vorfallen, denn wenn man von irgend einem Jack spricht, so muß der rechte mit gemeint sein.«
Hiergegen ließ sich nichts weiter einwenden, und das Gespräch drehte sich bald auf das Gold über, das alle in die Minen Strömenden sicher dort zu finden erwarteten.
»Man muß aber auch schon etwas finden,« meinte der Alte dabei kopfschüttelnd, »wenn man nur das Geld wieder herausbekommen will, was man selber allein beim Heraufziehen zusetzt. Und wie hätte mir all das Gold in Australien« – fuhr er plötzlich mit viel weicherer Stimme als man dem alten Mann hätte zutrauen mögen, fort – »wohl den Verlust des Mädels da ersetzen können, wenn das mir heute zu Schaden gekommen wäre?«
Jack sah, wie Jane blutroth bei der neuen Erwähnung der Sache wurde und sprang rasch auf den letztgefundenen großen Klumpen Gold über. – Der Alte war hierbei gleich Feuer und Flamme, und es ergab sich jetzt, daß dieser wirkliche Klumpen ihm ebenfalls den letzten Gnadenstoß, mit seinem Entschluß nach den Minen zu gehen, gegeben hatte. Von nun an wurde den ganzen Abend von weiter nichts gesprochen wie von Unzen und Pfunden, Löcher graben und »claims« aufnehmen, von Licenz zahlen und Provisionspreisen, von neuentdeckten reichen Plätzen und erwarteten oder gemunkelten Diamantengruben; kurz, es blitzte und funkelte den guten Leuten den ganzen Abend wie lauter Gold und Edelstein vor den Augen herum, und als sie endlich in ein und demselben Zelte für die Nacht ihr Lager suchten, schien die Sache noch nicht besser geworden zu sein, denn der Alte versicherte Jack am nächsten Morgen, der Rücken thäte ihm noch von dem Gewichte weh, das er die Nacht aus seinem im Traum gegrabenen Loche an Gold herausgewälzt habe. Jack hatte auch geträumt, und wie er meinte, viel angenehmer und lange nicht so beschwerlich; wahrscheinlich auch von dem Golde, doch sagte er es nicht.
Der Alte schien übrigens Vertrauen zu dem jungen Mann gefaßt zu haben, und da einer allein in den Minen, bei der allzubeschwerlichen Arbeit, doch nicht so gut fortkommen kann, so beschlossen sie zusammenzubleiben und mitsammen zu schaffen; die Frauen konnten ihnen dann unter der Zeit die Wirthschaft halten, und Jack meinte, daß sie dann auch natürlich einen Antheil dafür von dem was die Männer zusammen fänden, haben müßten. Der Alte versicherte ihm, das ließe sich schon einrichten, denn der Knabe könnte ihnen ja auch von großem Nutzen sein, und ihr Plan für die künftigen Arbeiten war jetzt mit einem Mal gemacht und beschlossen. Für den Augenblick fehlte nun weiter nichts mehr als eben nur das Gold.
Jack ging, während die beiden Frauen das Frühstück bereiteten, mit dem Alten und dem Knaben aus, die Ochsen, von denen einer eine Glocke umhängen hatte, aufzusuchen und einzutreiben. Sie fanden sie auch glücklicherweise im Thal unten, und das Geschirr stand nach anderthalb Stunden etwa zum Wiederaufbruch fertig. Jack war aber dabei sehr mit seiner bisherigen Tagesarbeit zufrieden – er hatte einem hübschen Mädchen einen sehr großen Dienst erzeigt, ihr vielleicht das Leben gerettet, dabei eine höchst liebenswürdige Familie kennen gelernt, und – auch zugleich das Praktische bei der Sache nicht zu vergessen, einen tüchtigen Mitarbeiter für die Minen gefunden, und sich dort, gewiß eine Hauptsache, einen sehr angenehmen und damit auch zugleich in materieller Hinsicht vortheilhaften Aufenthalt gegründet.
Jack war, wie gesagt, mit dem Resultat des vorigen Tages ungemein zufrieden.
Berge hatten sie in diesen Tag nicht mehr viel aufzuklimmen, wohl aber einzelne, ziemlich steile Höhen hinabzufahren, und es wurde wieder Abend, ehe sie die letzte Höhe, die sie vom Turon schied, erreichen konnten. Hier übernachteten sie wieder und brachen am andern Morgen, so früh sie nur das Vieh zusammentreiben konnten, auf, diesen Tag auch nicht ganz zu verlieren und sich wenigstens noch einzurichten, damit sie am nächsten gleich anfangen könnten, irgend einen für gut erkannten Ort zu bearbeiten.
Am Freitag Morgen fuhren sie denn auch den letzten Berg unmittelbar an den kleinen Fluß hinunter, und befanden sich hier gleich recht mitten im bunten und ächten Minenleben.
Auf der untersten flachen Abdachung des Hügels, der nach dem Turon hinunterlief, standen eine Anzahl schmutziger überwachsener Store oder Kaufzelte mit Waschmaschinen, Spitzhacken und Schaufeln davor, und aufgehäufte Mehl- und Zuckerkisten, und Thee und Rosinen, Seife und andere Waaren darin – darüber hin wehten verblichene englische Flaggen, und bepackte Karren, von Schaaren von Arbeitern begleitet, kamen, und leere Karren, mit magerem, hungrig aussehendem Vieh bespannt, kehrten zurück, und das Ganze bot allerdings ein bewegtes, lebendiges Bild, dem die mit Goldträumen gefüllten Köpfe der Einwanderer gewiß auch den höchstmöglichen Reiz abzugewinnen wußten.
Den Wagen ließen sie nun erst einmal vor allen Dingen am Hügelhang halten, da sie ja noch gar nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten, und die beiden Männer beschlossen erst einmal vor allen Dingen zu recognosciren und sich die Sache anzuschauen. Fanden sie dann einen Platz, der ihnen gut schien, so konnten sie den noch geladenen Karren leicht dorthin schaffen und sich in ein oder zwei Stunden gleich häuslich einrichten.
Jack wollte nun zwar, daß die Frauen gleich mitgingen, und daß sie den Wagen indessen allein dastehen ließen, denn allen Nachrichten zufolge herrschte hier oben die größte Ehrlichkeit, und Diebstähle sollten auch nicht in einem einzigen Falle vorkommen. Der Alte meinte aber, man dürfe Niemanden zu viel trauen – Gelegenheit mache Diebe – und es sei viel besser, sollten sich wirklich schlechte Charaktere hier oben in den Minen aufhalten, diese so wenig als möglich in Versuchung zu führen.
Der Alte hatte vielleicht recht und Jack schlenderte mit ihm allein fort. Vor allen Dingen gingen sie erst einmal nach dem Fluß hinunter, sich die Arbeit dort anzusehen und schon von weitem schallte ihnen das monotone Klappern der Waschmaschinen und das Plätschern des übergeschütteten Wassers entgegen. Es war aber das keineswegs ein unangenehmes Geräusch für sie – sie hatten sich lange darauf gefreut, das zu hören, und Jack wünschte sich nur, als sie so nebeneinander hinschritten, die Zeit herbei, daß er selber an einer Maschine sitzen und sie so recht aus Leibeskräften schütteln könne. – »Es muß doch prächtig aussehen,« meinte er dabei treuherzig, »wenn das Gold da so unten drin liegt und einem entgegenfunkelt.«
Als sie aber dicht zum Fluß hinunterkamen, sah der Ort doch wilder und – ich möchte fast sagen – bösartiger aus, als sie – wenigstens Jack – erwartet hatten ihn zu finden. Ueberall waren tiefe Löcher gegraben und theils verlassen, theils auch ausgearbeitet – oder auch vielleicht nicht ausgearbeitet: denn rechts und links und oben und unten war die Erde manchmal noch gar nicht berührt, oder es lagen schrecklich hohe Steinhaufen obendrauf, die eine entsetzliche Mühe gekostet haben mußten von unten herauszuschaffen. Dicht am Fluß aber – das heißt einem kleinen schmutzigen, an manchen Stellen vielleicht tiefen Bergbach, an dem man aber hie und da trocken hinübergehen konnte – saßen die Wäscher mit ihren Maschinen oder Wiegen, und andere, die vielleicht zwanzig oder dreißig Schritt davon ihr Loch gegraben hatten, trugen ihnen in Eimern die goldhaltige Erde zum Auswaschen zu, klappten hie und da einmal das Sieb in die Höhe, um zu sehen, ob sich inwendig etwas erkennen ließe, oder blieben auch wohl ein paar Minuten stehen, wenn der Wäscher vielleicht gerade die Maschine ausräumte oder eine Probepfanne voll auswusch.
Am meisten interessirte Jack aber eine Abtheilung von Leuten, die an der andern Seite des Turon arbeiteten und ihre Löcher wohl zehn und zwölf Fuß über dem Fluß, an dem dort gerade ziemlich steilen Hang des Berges eingegraben hatten. Die Erde hatten sie hier etwa vier Fuß abgedeckt – d. h. ein Loch, um zu der Golderde zu kommen, vier Fuß tief gegraben, und wuschen jetzt frisch drauf los. Um aber die Erde zum Waschen bequem hinunter zu der schräg unter ihnen stehenden Maschine zu bekommen, hatten sie lange Rinnen von Baumrinde gemacht und schaufelten jetzt nur oben ein, während der an der Wiege Stehende die Erde unten wegnahm und durchwusch. Die Leute sollten sich ziemlich gut stehen, und – wie es dortherum hieß – ein »schönes Tagelohn« machen.
Dicht daran war das sogenannte »golden point,« eine Biegung im Turon, wo sich die reichsten deposits gesammelt zu haben schienen. Dieser Platz und die einzelnen großen Stücke, die am Ophir gefunden waren, hatten den australischen Minen eigentlich ihren Namen gegeben. Jack betrachtete die dort Arbeitenden mit einer Art Andacht – es waren das in seinen Augen alles »gemachte Leute,« und er dachte auch gar nicht daran zu versuchen, ob er hier in der Nähe noch einen Platz zum Arbeiten hätte bekommen können, sondern wanderte ein Stück weiter den Strom hinauf. Es wäre übrigens hier auch vollkommen nutzlos gewesen, denn schon arbeitete fast Mann an Mann, und alles, was an claims vielleicht noch zu bekommen gewesen wäre, war wenigstens mit dem Commissär durchgesteckt und gehörte dessen »particular friends.«
Der »Commissär« schien hier überhaupt eine sehr bedeutende Rolle zu spielen, und so kurze Zeit Jack erst oben gewesen war, so oft hatte er diesen Namen schon nennen hören.
»Was für ein entsetzliches Thier ist denn das eigentlich?« frug er endlich seinen älteren Begleiter, »was thut es, was treibt es und wovon lebt es?«
Der Alte lachte. »Ja, wenn wir den Commissär nicht hätten und einen Löffel,« sagte er, »so müßten wir unsere Suppe trinken. Der vertritt hier alle königlichen Beamten, Polizei und Mauth, Kreis-, District- und Gott weiß was sonst noch für Gerichte. Er ist dabei der »schwarze Douglas«, der die Kinder, aber auch die Alten fürchten macht; er ist der Hauptcassirer der Minen, und leider Gottes auch, wie ich gehört habe, die Bank, wo Hunderte das einzig ersparte Geld niederlegen, um es nie wieder zu sehen, nämlich die, die mit allem Goldwaschen nur ebensoviel erübrigen, zu leben und ihre Licenz zu zahlen. Der Commissär gibt die Licenzen aus und streicht für jede 30 Shilling ein. Dabei ist es gleich, ob wir den Ersten oder den Zwanzigsten zu arbeiten anfangen, die volle Licenz nimmt er doch, und bis zum sechs- und siebenundzwanzigsten, sagen sie, geht er herum wie ein brüllender Löwe, und sucht, welchen er verschlinge. Nachher liegt er ein oder zwei Tage ruhig, und dann fängt er wieder auf den nächsten Monat an.«
»Nun, wir werden dies Wunderthier ja wohl auch zu sehen bekommen,« meinte Jack.
»Wenn wir so sicher Gold zu sehen kriegen wie den,« sagte der Alte, »so können wir uns gratuliren.«
Etwas weiter am Fluß oben waren mehrere Strecken noch gar nicht bearbeitet, und es sollte hier für den Augenblick zu viel Wasser sein, Löcher waren aber überall gegraben, vielleicht aber nicht vollständig untersucht. So wanderten sie bis zu einer Stelle, wo sich ein anderer Creek in den Turon ergießt, d. h. wo wenigstens seine Mündung liegt, denn der Creek selber, der Oakey – war vorkommen trocken. – Hier begann wieder neues Leben, denn an dieser Stelle hatten sich sehr viele der Zelte zusammengezogen und gewissermaßen ein kleines Dorf gebildet, in welchem mehrere Store oder Kaufzelte und die »Schlachterei« den gerade nicht anziehenden Mittelpunkt bildeten.
Die Schlachterei bestand einfach aus einem hochaufgebauten Gerüst, an dem einige dreißig ausgeschlachtete Hammel hingen, und einer, vielleicht einmal tief gewesenen Kuhle, die aber jetzt mit den Eingeweiden der Geschlachteten und Verzehrten so gefüllt war, daß sie im wahren Sinne des Wortes überzulaufen drohte, und einen pestilenzialischen Gestank um sich her verbreitete. Zelte standen wild und unordentlich dort umhergebaut, und häufig war auch nur von bloßen zusammengesteckten Büschen ein Obdach hergestellt, das die Inwohnenden wohl gegen die Strahlen der Sonne, aber gewiß nicht gegen einen recht guten gesunden Regenschauer schützen konnte.
Doch das waren häusliche Angelegenheiten, für die sich unsere beiden Wanderer jetzt noch nicht besonders interessirten – erst wollten sie sehen, wie es mit den Goldwäschereien stand; das andere fand sich später.
Auch nicht allein auf das unmittelbare Thal des Flusses, das heißt die nächsten Ufer dicht zum Wasser, beschränkte sich das Suchen der nach Gold Gekommenen: überall an den Bergen hingen sie herum, die einen mit Messern vorsichtig zwischen den Steinen und Felsspalten herumkratzend, hie und da ein sogenanntes »Nugget« (ein ächt australisches Minenwort, was auch selbst nicht von Californien herübergekommen war) herauszuklauben, die andern mit Hämmern jeden unschuldigen, ihnen aber höchst verdächtigen Quarzstein auseinanderschlagend, der ihnen in den Weg kam, um vielleicht einer heimlich darin versteckten Goldader auf die Spur zu kommen, und einen »Karr'schen Klumpen« darin zu finden.
Es gab aber auch eine Classe von Arbeitern, – und dazu gehörten keineswegs die eben Gekommenen, – die das schon alles versucht hatten, aber zu keinem besonderen Resultat dabei gekommen schienen, denn sie unterzogen sich jetzt einer viel härteren und keineswegs bedeutend lohnenden Arbeit. Sie hatten aber wenigstens den Vortheil, daß sie durch kein Wasser in ihrer Arbeit gehindert wurden, denn sie schafften oben von dem höchsten Rücken der vielleicht hundert Fuß hohen Hügel die Erde in Säcken nach dem Fluß hinunter, wo einer ihrer Compagnie an der Wiege stand und das ihm gebrachte auswusch. Der Aussage anderer nach sollten die Leute von acht bis sechzehn Shilling den Tag verdienen.
Hierzu fühlten aber unsere beiden Neuangekommenen natürlich nicht die mindeste Lust, da man schlimmer als um Tagelohn arbeiten mußte, und deshalb waren sie nicht in die Minen gekommen. Sie hielten sich also mehr nach dem Fluß hinunter, und beobachteten eine Zeitlang die hier Arbeitenden.
Dicht am Wasser stand ein Mann, ein rothwollenes Hemd über die englisch-ledernen Hosen gezogen, mit braunem breitrandigem Filzhut und groben, schwer mit Nägeln beschlagenen Schuhen. Er wusch eine Pfanne mit Erde aus, die er sich, Gott weiß woher, geholt hatte, denn in seiner Nähe war noch kein Loch gegraben. Vorsichtig schwenkte er die Pfanne hin und her und im Kreise herum, das etwa darin befindliche schwere Metall zu Boden zu bringen, füllte sie dann wieder mit Wasser, und ließ dies mit einem Theil des leichteren Kieses ablaufen. Er war dabei ungemein fröhlicher Laune, das ganze Verfahren geschah im Tact, und er sang sich dazu das alte californische Goldlied – ein klein wenig in den Worten verändert:
»God damn it« rief er aber plötzlich, die leere Pfanne mit dem kernigen Fluch weit von sich schleudernd, als er beim Schluß des Liedes den letzten schwarzen Sand aus der Pfanne gespült und wahrscheinlich sehr wenig oder gar nichts von dem, was er »the precious stuff« nannte, darin gefunden hatte, »hol' doch der Teufel das ganze Goldwaschen und Susannah dazu!« und damit griff er die neben ihm liegende Hacke und Schaufel auf, holte sich die Pfanne wieder, und wanderte, ohne sich weiter umzusehen, den Fluß hinunter.
»Oh Susannah, don't you cry for me,« lachte Jack still vor sich hin, »der Mensch hat keine Ausdauer, bei der ersten Pfanne voll darf man's nicht gleich aufgeben.«
»Nun, wir wissen freilich nicht wie viel Pfannen er schon umsonst ausgewaschen hat,« sagte der Alte, »aber die Pfanne selber brauchte er es deshalb nicht entgelten zu lassen. – Doch wir wollen einmal da hinuntergehen, wo die viere zusammen arbeiten, die scheinen besser mit ihrem Erfolg zufrieden zu sein.«
Die beiden Männer gingen noch eine kleine Strecke den Strom hinauf, als ihnen ein rothbackiger junger Kerl mit einer Waschmaschine auf dem Rücken entgegen kam.
»Hallo Jack!« rief er stehenbleibend, und sich an unsern jungen Freund wendend – »wollt Ihr keine Wiege kaufen? kriegt sie billig.«
Jack war indessen schon daran gewöhnt, seinen Namen mißbraucht zu sehen und schüttelte nur lächelnd mit dem Kopf.
»Habe schon eine,« sagte er, »aber warum wollt Ihr sie verkaufen – schon genug gefunden?«
»Gefunden? – ja – ein Haar in der Sache!« lachte der Bursch – »ich kann meinen Tagelohn bequem in Sidney verdienen, und wenn ich so arbeiten und so leben will wie hier, mach' ich auch wohl noch mehr.«
»Und wie lange seid Ihr schon oben?« frug der Alte.
»Etwa drei Wochen im Ganzen – aber ich will auch nicht etwa sagen, daß ich nichts gefunden hätte, Gott bewahre, da ist es Hunderten noch viel schlechter gegangen, und wenn ich bloßer Taglöhner wäre, sollt' mich kein Mensch hier oben fortbringen, so aber hab' ich ein Handwerk und gerade jetzt genug Zeit mit Goldsuchen versäumt. Ueberdies will ich mich je eher je lieber wieder nach Sidney zurückmachen, denn jetzt kann man noch dort ankommen, wird es aber erst einmal Sommer und trocknet die Geschichte hier aus, dann strömt nachher alles hinunter, und die dann unten im Nest und warm sitzen, haben den Vorrang. Ihr seid wohl eben erst heraufgekommen?«
»Ja – und das klingt gerade nicht tröstlich für neue Anfänger.«
»O laßt Euch um Gottes Willen nicht bange machen – wer weiß, ob Ihr nicht gerade besonders Glück habt – kein Mensch kann das sagen, und überdies seid Ihr nun einmal oben, und müßt's auch von Grund auf versuchen – Ihr könnt ja sonst nachher gar nicht mitreden.«
»Aber wo fängt man denn wohl am besten an?« frug Jack etwas kleinlaut.
»Ja Freund,« lachte der andere, »das müßt Ihr keinen Menschen fragen, sondern selber versuchen. Wenn ich einen Platz wüßte, wo Gold liegt, dann ging ich selber hin und arbeitete dort, und so geht's mit allen anderen auch – man kann wohl vermuthen und glauben, daß irgend eine Stelle eben darnach aussieht, aber lieber Gott, das ist eine sehr unsichere Geschichte, und die Probe, ob das Exempel richtig sei, wie sie bei uns in der Schule sagten, muß erst mit Spitzhacke und Schaufel darauf gemacht werden. Also good bye und viel Glück – das kann man hier oben brauchen.« Und damit wandte er sich und marschirte rüstig den Strom hinunter.
Bald darauf erreichten die beiden Männer auch die Stelle, wo vier Irländer ziemlich dicht am Wasser arbeiteten. Sie schienen gerade eine »Maschine voll« zu haben, denn das Sieb war heruntergelegt, der untere Kasten leer gemacht und der Zapfen noch herausgezogen, einer der Leute saß mit der noch halb vollen Pfanne und wusch den Ertrag von 20 oder 25 Eimern voll Erde aus, und die anderen standen dicht darum her, und bemerkten nicht einmal die Fremden, so war ihre ganze Aufmerksamkeit dem sich jetzt schon zeigenden schwarzen Sande zugewandt. Der Waschende schöpfte auch ruhig sein Wasser auf und schwenkte langsam und vorsichtig die leichteren Steine aus, bis sich die ersten Spuren von Gold in beiden Ecken zeigten. In diesem Augenblick sah er lächelnd zu seinen Gefährten auf, entdeckte aber auch zu gleicher Zeit die dahinterstehenden neugierigen Fremden und sagte plötzlich ganz ruhig, die Pfanne dabei, ohne sie weiter auszuwaschen, zur Seite stellend:
»Wie geht's, Jack? wie gefällt's Euch hier in unserer Nachbarschaft?«
Jack wurde feuerroth, und die anderen drehten sich rasch nach den beiden um, schienen aber, nach einem flüchtig gewechselten Gruß, sich weder um die Fremden noch ihre Pfannen weiter zu bekümmern, sondern gingen ruhig wieder an ihre Arbeit.
Der Alte war mit Jack ein klein Stück weiter gegangen, und hatte sich die Stelle indessen etwas genauer angesehen. Die vier Irländer behaupteten dort einen ziemlich breiten Platz, und es schien ihm, als wenn da noch Raum für einen Claim übrig bleiben müßte. Er sprach mit seinem jungen Gefährten darüber, und sie gingen dann beide wieder zu den Irländern zurück, sich bei diesen selber nach dem von ihnen beanspruchten Claim zu erkundigen.
»Wie weit läuft Euer Claim hier den Fluß hinauf, Jack?« frug er den an der Wiege.
Der Mann hörte auf zu arbeiten und sah ihn ruhig an, als ob er die Frage nicht verstanden habe. Der Alte wiederholte sie und der Irländer antwortete langsam.
»Der Mann hat acht Fuß breit und wir sind unserer sechse – könnt's selber ausmessen, Jack?«
»Sechs? – Ihr seid ja nur viere? – und dann bekommt ja auch jeder nur sechs Fuß!«
»Zwei sind krank,« lautete die jetzt schon mürrischere Antwort, »und das andere macht mit dem Commissär ab.«
»By Jasus,« mischte sich dabei einer der anderen in's Gespräch – »der Turon ist doch auch lang genug, daß Ihr nicht in fremden Claimen herumzuschaufeln habt? – damn'it wir müssen unsere Licenz für das lumpige Stück Grund theuer genug bezahlen.«
Die Beiden zogen ziemlich beschämt ab; sie kannten Grund und Boden auch zu wenig dort, um sich auf einen weiteren Streit einzulassen, der Alte meinte aber doch, er sei fest überzeugt, daß die Leute dort mehr Grund beanspruchten, als sie den einmal bestehenden Gesetzen nach beanspruchen könnten, und er wolle deshalb jedenfalls einmal mit dem Commissär reden.
»Hilft Euch nichts, Jack,« lachte da ein Goldwäscher, an dem sie, ohne ihn weiter zu beachten, dicht vorbeigegangen waren. »Ich bin schon vierzehn Tage hier oben und habe mir die größte Mühe gegeben, in den Claim hineinzukommen, denn die Kerle machen da gewiß schmähliches Gold – sie halten aber fest, und der Commissär steckt mit ihnen unter einer Decke. Er hat sich da einen breitmächtigen Claim selber vorbehalten, und will ihn von den Irländern für sich ausarbeiten lassen, wenn sie erst einmal mit ihrem eigenen Theil fertig sind.«
»Aber wie ist denn das mit acht Fuß Claim,« frug der Alte weiter, »mir ist gesagt, daß sechs die gesetzliche Breite wäre, und die Irländer behaupten acht per Mann.«
»Das setzen sie alles mit dem Commissär durch,« erwiderte ihm der Fremde – »in dessen Macht steht es, zu bestimmen, wie viel Fuß sie haben sollen; bei reichern Plätzen nimmt er gewöhnlich nur vier Fuß Breite an, bei ärmeren acht bis zehn und zwölf – sechs ist das Durchschnittliche.«
»Aber wie kann er denn vorher wissen, was ein ärmerer oder reicher Fleck ist,« sagte Jack.
»Das weiß er auch nicht!« lachte der Fremde, »und die vier oder acht Fuß hängen ganz davon ab, wie man sich mit ihm selber stellt.«
»Da schimpfen sie auf das amerikanische Lynchgesetz,« brummte der Alte vor sich hin, indem er mit Jack nach Oakeycreek hineinbog, »und hier mit ihren gepriesenen königlichen oder gouverneurlichen Gesetzen herrscht eben so viel, vielleicht noch schlimmere Willkür.«
In Oakeycreek sah's wild aus – überall waren Löcher gegraben und wieder verlassen worden, und das ziemlich breite Bett des kleinen Bergstromes lag total trocken, mit großen Kiesel- und Quarzsteinen überworfen, nur weiter oben am Creek arbeiteten noch einige Leute, schienen aber auch nicht besonders viel zu finden, und eine von den Parteien wollte ihr sämmtliches Werkzeug verkaufen und wieder zurück nach Sidney gehen.
Ueber den Hügelhang hinüber, der hier den Oakeycreek von dem Turon schied, kamen sie – durch die Arbeiter hin, die von hier oben weg die Erde nach dem nächsten Wasser hinunterschleppten – wieder zum Turon. Dort fanden sie, an einer Biegung, die der Fluß machte, ebenfalls eine Masse von Menschen emsig beschäftigt die Erde aufzuwühlen, sich mit riesigen Steinen abzuquälen, Wasser auszuschöpfen, und die mühsam gewonnene Erde nach dem Fluß zu tragen, wo sie denn manchmal ihre Arbeit bezahlt bekamen, manchmal aber auch um nichts arbeiten, und dann an einer andern Stelle wieder von vorn anfangen mußten.
Am Hügelhang hinein, und hier trocken, mit verhältnißmäßig weniger Mühe, hatten andere stollenähnliche Löcher gegraben; die harte Kieselerde hielt sich auch in der Wölbung vortrefflich, und mehrere Parteien, unter andern auch fünf Deutsche, standen sich ausgezeichnet gut.
»Hallo, Jack,« rief sie aus einer nicht weit davon entfernten Grube einer der Arbeiter an, indem er sich auf seine Pickaxt stützte und die Zeit sogleich benutzte sich auszuruhen. – »Wollt Ihr mir das Loch hier abkaufen – Gold ist drin, ich hab' aber einen Brief gekriegt und muß nach Bathurst.«
Die beiden Männer gingen hinunter zu ihm und setzten sich bei ihm nieder.
»So, also Ihr wollt verkaufen?« frug der Alte – »nun der Platz sieht gut aus, und ist brav vorgearbeitet – was wollt Ihr denn haben?«
»Fünf Pfund,« sagte der Mann, »die Arbeit allein die ich daran gethan habe, ist mehr als zehn werth, und ich bin fest überzeugt, wenn Ihr noch einen Fuß weiter hier hineingeht, findet Ihr auch die fünf Pfund vielleicht in einer Stunde wieder. Was graben die Deutschen da nebenan nicht für schönes Gold heraus!«
»Ja, nun seht, Jack,« sagte der Alte schmunzelnd, der recht gut wußte, daß der, welcher das Loch verkaufen wollte, verwünscht wenig Hoffnung haben mußte, Gold darin zu finden, oder er würde es sonst selber nicht hergegeben haben. »Das ist manchmal wunderlich auf der Welt, wie das Gold sitzt – was glaubt Ihr denn wohl durchschnittlich aus dem Platz hier herausnehmen zu können?«
»Ja, wer kann das wissen,« meinte der andere, »aber wenn's nur halbwege gut geht, drei bis vier Pfund Gewicht – und der Platz ist groß.«
»Ahem,« nickte der Alte, »es ist aber schade, ich habe es mir zum Grundsatz genommen, keinem Menschen sein Glück abzukaufen – man macht sich hernach Vorwürfe. Viel Glück, Jack – ich würde, in Eurer Stelle, jedenfalls das Loch ausarbeiten, ehe ich auf den Brief nach Bathurst ginge.«
Und damit standen die beiden Männer auf und gingen lachend weiter.
»Hallo, was ist da los?« rief Jack plötzlich, als mit einemmal ein großer Theil der Arbeiter aus ihren Gruben sprang, und mit Maschinen und Geräthschaften die steilen Hügel heraufsprangen. Viele blieben bei ihrer Arbeit und wollten sich todt lachen, den anderen schien die Sache aber gar nicht spaßig zu sein, denn sie gaben sich die größte Mühe irgend einer, sicherlich sehr bedrohlichen, aber jetzt noch nicht sichtbaren Gefahr so schnell als möglich aus dem Wege zu kommen.
»Was zum Henker haben die Leute?« frug der Alte einen der Arbeiter, der ruhig an seiner Wiege fortschaukelte, und sich wenig um die ihn umgebende und so plötzlich entstandene Verwirrung zu kümmern schien – »warum laufen sie alle als ob der Böse hinter ihnen wäre?«
»Nun der Böse ist's gerade nicht,« lachte der, »aber das böse Gewissen und der Commissär. – Der kleine Junge dort hat eben die Meldung gebracht, daß der Commissär den Fluß herunter kommt, und jetzt kratzt alles aus, was noch keine Licenz bezahlt hat, um sich diesen Monat wenigstens so durchzudrücken. Eine Lumperei ist's, das ist wahr, und noch für seine paar Tage volle Monatslicenz bezahlen zu müssen ungerecht; ehe ich aber so mit meiner Maschine in die Berge laufe, zahl' ich sie doch lieber. Sie verlieren mehr an Zeit, und haben sie wirklich etwas darin, so verstreuen sie auch mehr an Gold, als die ganze Bettelei werth ist.«
So schienen aber nicht alle zu denken, und die buntesten und oft wirklich komischen Gruppen zerstreuten sich über den Hügel; nach allen Seiten waren dabei, wie in einer vollkommen abgeredeten Sache, Wachtposten ausgestellt, und auf ein Zeichen derselben, nach welcher Richtung hin sich der Gefürchtete wandte, hielten die Flüchtigen ihren Cours.
Der Alte schüttelte mit dem Kopf und meinte, »das Ausreißen vor dem Commissär gefiele ihm gar nicht, und zwar nicht etwa der Sache selber, sondern des Goldes wegen, denn der Platz könne doch am Ende nicht so entsetzlich reich sein, wie es die Zeitungen ausgeschrieen hätten; die Arbeiter würden ja in dem Fall gar nicht daran gedacht haben, wegen noch nicht einmal einer halben Unze wer weiß wie oft ihre Arbeit aufzugeben und dabei ihre Werkzeuge in die Berge hineinzuschleppen – eine jedenfalls höchst unprofitable Sache.«
Während sie noch so mit einander sprachen, fand der Alte einen Bekannten von Bathurst, der hier in dieser Biegung des Flusses arbeitete und in der Zeit wenigstens, wie er sagte, sein Tagelohn gemacht hatte. Er konnte den beiden Männern allerdings keinen Platz angeben, wo sie Gold gewiß finden würden, aber er meinte, diese Biegung sei vielleicht so gut wie jede andere; und so beschlossen sie denn auch, da noch Platz genug war, mit ihren Sachen hier herüber zu kommen und morgen einmal einen Anfang in der Goldwäscherei zu machen.
An demselben Abend wurde der Wagen nach der Mündung von Oakeycreek hinausgefahren, dort abgeladen, das Zelt aufgeschlagen, ein halber Hammel von dem Fleischer geholt, Holz herbeigeschafft und ein Platz für die Kessel hergerichtet, kurz, alles gethan, was nur nöthig war, das Lager und ihren künftigen Wohnort so behaglich als möglich zu machen. Beide Männer wollten sich auch nicht dem Fortlaufen vor dem Commissär preisgeben, und beschlossen schon am nächsten Morgen ihre Licenz auszunehmen.
Die Gegend, in der sie lagerten, war allerdings nicht viel besser als alle australischen Gegenden sind, deren monotoner Charakter den Wanderer mit der Zeit förmlich niederdrückt. Nichtsdestoweniger gab das rege Leben der rings umher Lagernden selbst den trostlosen Gumbäumen etwas Freundliches, und das Thal des Turon selber bot durch seinen schmalen Streifen dunkelschattiger Casuarinen doch wenigstens einige Abwechslung. Der Baumwuchs an den Bergen war übrigens spärlich; besonders schlecht zeigte es sich aber mit Gras für das Vieh bestellt, und der Alte von Bathurst, dessen Name Hall war, verkaufte auch schon zwei Tage später sein ganzes Geschirr, mit Ochsen und Wagen zu einem ziemlich mäßigen Preis, um nicht unaufhörliche Last und Mühe mit dem Vieh zu haben, und es am Ende doch noch zu verlieren.
Am nächsten Morgen zahlten sie ihre Licenz, suchten sich einen Platz aus und fingen an abzudecken; d. h. sie warfen die obere Erde ab, um zu dem mehr goldhaltigeren Grund dicht auf dem Felsen zu kommen. Indessen versuchten sie schon dann und wann einmal ein paar Pfannen voll, um zu sehen, ob sich schon Gold zeigte, und fanden auch fast in jeder ein paar Körnchen Gold, im Ganzen aber noch zu wenig, das Waschen zu lohnen. Hall, der früher einmal ein paar Monate in Californien gewesen war, meinte, das müsse ein sehr gutes Zeichen sein, daß sie Gold schon so hoch oben fänden, denn das hätten sie in Californien nur an den reichsten Stellen getroffen.
Der Sonnabend ging übrigens auch mit dieser Arbeit vorüber, ohne daß sie zum Waschen gekommen wären; sie hatten aber doch schon mit regem Fleiß ein sechs Fuß tiefes, stattliches Loch gegraben, und hofften am Montag auf die Golderde hinunter zu kommen.
Sie waren fast die letzten, die am Sonnabend ihre Arbeit verließen; denn die schon dort eingewohnten Miner hörten Sonnabend Nachmittags gewöhnlich früh auf, um ihre Provisionseinkäufe zu besorgen, und ihre Zelte ein wenig herzurichten. Die Sonne war eben im Begriff unterzugehen, als sie, ihr Werkzeug in ihrer Grube lassend, langsam heimschlenderten und sich über die verschiedenen Gruppen freuten, denen sie begegneten, oder die sie überall vor den Zelten sitzen sahen. Fast vor allen Zelten brannten und loderten tüchtige Feuer, und brodelnde Pfannen und überlaufende Theekessel und Quarttöpfe bezeugten den vortrefflichen Appetit der Goldwäscher. So weit sie sehen konnten, zählten sie fünfzehn Menschen zu gleicher Zeit, die, jeder mit einem halben Hammel auf dem Rücken, ihrer einstweiligen Heimat zuzogen. Unter einem halben Hammel schien hier gar niemand Fleisch zu kaufen, daß auch überdies billig genug war, und nur vier Pence das Pfund galt. Die Köpfe, und Herz und Leber wollte dabei noch nicht einmal Einer umsonst, und sie wurden meist alle, mit den Eingeweiden, in die Grube, oder vielmehr auf den Haufen neben der Schlachtbank geworfen.
In den Storen herrschte besonders reges Leben, von denen ein deutscher Jude, Austin, den bedeutendsten am Oakeycreek hatte, und sehr gute Geschäfte machte.
Jewell, sein Geschäftsführer – wahrscheinlich das etwas verdrehte Schmul – schien alle Hände voll zu thun zu haben und lief herüber und hinüber in seinem Zelt. Als Jack vorbeiging, versicherte er eben ein paar Käufern, was er schon alles für die Goldwäscher hier oben gethan habe, und wie er, für einen Freund, im Stande sei alles aufzuopfern. Er war dabei ausgezeichneter Laune und sang sogar den Tact zu den Hammerschlägen, mit denen er das Quarz aus den ihm zum Handel angebotenen Stückchen Gold herausschlug. Es war eine herrliche Schabbesfeier für ihn, denn er nahm ungemein viel Gold ein.
Halls Zelt stand gar nicht weit von Austins, nur etwas tiefer nach dem Fluß zu hinunter. Austins Zelt war das höchste nach den hier niedrigen und offenen Hügeln zu.
Es war unter der Zeit dunkel geworden und die Lagerfeuer leuchteten roth und glühend in die sonst stockfinstere Nacht hinaus. Ueberall von den Bergen funkelten sie herüber, hie und da einzeln, wie sich die Laune der Goldwäscher ihren Lagerplatz gesucht, hie und da in dichten leuchtenden Gruppen, wo irgend ein günstig gelegener Platz vielen Zelten zu gleicher Zeit Raum, Holz und Wasser gestattete. Muntere Lieder tönten dabei von manchen Orten her durch die stille Nacht, und Hundegebell und Viehgeblöck. Und die hellen Zelte standen weiß und schimmernd, hie und da von der flackernden Flamme grell beleuchtet, dazwischen, und dunkle Schatten glitten daran hin und wieder, und an manchen Stellen, wo das Abendbrod schon vorüber war, wurden trockene Stücke Holz aufgeworfen, daß die glühenden Funken blitzend zum dunklen klappernden Laub der Gumbäume emporstieben, und hoch in die Nacht hineinwirbelten.
Da wurde der stille Frieden dieses Abends plötzlich durch einen rauhen und wilden Lärm unterbrochen. Das Toben schallte aus Austins Zelt herüber, und Jewells Stimme, die noch vor kaum einer halben Stunde so fröhlich geklungen hatte, heulte und wehklagte:
»Weh mir, weh mir, ich bin ein geschlagener Mann – ich bin todt – ich bin todt!«
Jack war einer der ersten mit, die sich oben am Platz einfanden, zu sehen, was für ein Unglück vorgefallen wäre – die Sache wurde bald ruchbar. Irgend ein schlauer Dieb, wahrscheinlich mit anderen im Bunde, die Aufmerksamkeit der Verkäufer so lange im Innern zu fesseln, hatte hinten die Zeltwand aufgeschnitten und etwa 5 bis 600 Pfd. St. in Goldstaub, Silber und Banknoten entwendet; und dicht hinter dem Zelt lag der dunkle Hügel, über den hin der Dieb sich und seinen Raub wohl schon lange in Sicherheit gebracht.
Der arme Teufel von Jude raufte sich indessen die Haare, warf sich auf die Bündel wollener Decken nieder, die im Zelt lagen, und war in Verzweiflung – er hielt sich mit dem Verlust des Goldes, das er sich nichtsdestoweniger rasch genug verdient hatte, für rettungslos verloren.
An den Zelten wurden an diesem Abend, in der ganzen Nachbarschaft herum, nichts wie Diebesgeschichten erzählt, und Jack, der geglaubt hatte, daß dieser Platz hier oben ein Muster von Ehrlichkeit sei, erstaunte, von so vielen Einbrüchen und Diebstählen zu hören – er hatte das gar nicht für möglich gehalten. Er faßte auch den Entschluß, das nächstemal sein Werkzeug Abends mit nach Hause zu bringen, und lieber einen Stock mit einem Zettel in die Grube zu stellen.
Am nächsten Tag war Sonntag, und die Leute gingen alle gar sauber in rothen oder blauen Hemden und mit reingewaschenen Hosen und Filzhüten einher. Es herrschte ein ruhiger und stiller des Sabbaths würdiger Ton, und Hall meinte, es komme dies besonders daher, daß die Regierung keine einzige Licenz für den Branntweinverkauf in den Minen ausgegeben habe, und die Goldwäscher überhaupt einstimmig dagegen seien, daß spirituöse Getränke in die Berge hinaufgeschafft oder wenigstens verkauft würden. Oeffentliche Spieler wurden eben so wenig geduldet, jedenfalls ein Segen für die Minen, und ein paar, die den Versuch gemacht hatten, damit anzufangen, waren schnell eines besseren belehrt worden.
Es hatte sich aber auch sogar ein Geistlicher in diese unwirthbaren Berge hinaufgefunden, und schon früh am Morgen lief das Gerücht durch das Lager, daß um 11 Uhr offene Kirche gehalten werden sollte. Ein Zelt hatte man dazu freilich nicht, die Predigt mußte im Freien stattfinden. Eine sehr große Menschenzahl hatte sich gerade an der Stelle, wo gepredigt werden sollte, eingefunden, und der Prediger, eine lange dünne Gestalt, mit harten trockenen Gesichtszügen, überschaute mit einem zufriedenen Lächeln die gewiß nicht so zahlreich erwartete Schaar frommer Gläubiger, die herbeigeströmt waren, das Wort Gottes in der Wüste zu hören. Als er übrigens, nach etwa einer Viertelstunde, in der er allerdings vergebens gewartet hatte, daß die zu einer richtigen, eindrucksvollen Predigt nöthige Ruhe und Stille eintreten sollte, seine Predigt mit sehr lauter Stimme begann, die noch etwa Unruhigen darauf aufmerksam zu machen, daß von jetzt an der Prediger allein das Wort habe, trennte sich die ganze Schaar in zwei, sonst an Zahl aber sehr ungleiche Hauptmassen, von denen der Prediger leider das kleinste Häuflein um sich sah, und wenigstens drei Viertheile der übrigen nach Oakey-Point – ein paar hundert Schritte davon entfernt, zudrängten, wo gar rasch ein sicherlich sehr interessantes Schauspiel ihre Aufmerksamkeit so fesseln mußte, daß manchmal in der wogenden Menschenmasse Todtenstille herrschte, dann aber plötzlich wieder ein so tolles Jubelgeschrei ausbrach, daß der Prediger nicht einmal sein eigenes Wort, viel weniger die fromme Gemeinde die Predigt hören konnte.
An Oakey-Point fand nämlich ein Boxerkampf zwischen einem alten und jungen »Cove« statt, wie diese Leute in der australischen »Flash-« Sprache genannt werden; der Alte hatte längere Praxis und kaltes Blut, der Jüngere Stärke und Gewandtheit für sich, und der Kampf schien lange unentschieden zu bleiben – länger wenigstens als die Predigt dauerte, die zum Scandal der religiös Gesinnten ziemlich kurz abgeschnitten werden mußte.
Der Kampf bot indessen insofern weit mehr Interesse für die meisten, da ziemlich bedeutende Wetten eingegangen waren, und wer auch nicht selber mitgewettet hatte, sich doch sicher für den einen oder anderen der Wettenden so viel interessirte, daß er seine unmittelbare Gegenwart im innersten Ring für unumgänglich nöthig erachtete, und dadurch natürlich zur Vergrößerung des Lärmens und der Verwirrung sein möglichstes mit beitrug.
Der Sieg entschied sich endlich für den Jüngeren der beiden Kämpfer, der Alte wurde mit blau geschlagenen Augen und mit Blut bedeckt, fortgeschleppt, und die Polizeidiener, die während der ganzen Zeit mit zu den aufmerksamsten Zuschauern gehört hatten, machten jetzt, da die ganze Sache vorbei war, Miene, die beiden Kämpfer und einige der dabei am thätigsten gewesenen Personen zu arretiren. Die allgemeine Stimme war aber gegen sie, und sie hielten es wahrscheinlich für besser, am heiligen Sonntag, wo so schon Scandal genug gewesen war, nicht selber noch größeren anzufangen. Da doch nichts mehr zu sehen war, zogen sie ruhig ihrer Wege.
Der Scandal war aber mit dem Schluß des Hauptkampfes keineswegs beendet, sondern wucherte jetzt erst, da die Wetten eingefordert und bestritten wurden, nach allen Seiten hinaus, daß es ordentlich eine Lust und Freude war; dabei entwickelte sich eine Eigenschaft, die man hier oben gar nicht für möglich gehalten hätte, da scheinbar alle Mittel dazu fehlten sie hervorzurufen. Es zeigten sich nämlich, und je später es am Tage wurde desto häufiger, Betrunkene. Hie und da tauchten Flaschen auf, und wenn auch ein Uneingeweihter nirgends ein Local sehen oder finden konnte, wo derlei spirituöse Getränke öffentlich verkauft wurden, so mußten doch solche Plätze bestehen, und die »öffentliche« Meinung unterstützte sie »heimlich.«
Der Nachmittag brachte manche ärgerliche Scene, und Hall schwor, er hätte es in Californien, wo zwanzig Schenkzelte zu gleicher Zeit offen gewesen, nicht schlimmer und ärger gesehen.
Nachmittags hatte auch gepredigt werden sollen, daran war aber gar nicht zu denken.
Mitten in dem tollen Gewirr und Spectakel lief zu gleicher Zeit ein dumpfes Gerücht um, daß, gar nicht so weit entfernt, neue Minen entdeckt wären, die fabelhaft reichhaltig sein sollten. Niemand wußte noch irgend etwas Genaueres darüber anzugeben, nur das erzählte man sich, Hargreaves, der erste Entdecker der Bathurst-Minen, habe sie aufgefunden und das Gold liege dort in »Nuggets« an der Oberfläche.
Die Nacht goß es in Strömen von dem dicht und rabenschwarz überzogenen Himmel nieder. Wohl denen, die Zelte hatten, sie konnten sich in ihren trockenen warmen Decken nur etwas fester einrollen, und das Vorüberziehen des Unwetters abwarten. Wie mancher arme Wanderer mußte aber diese stürmische Nacht im Freien zubringen, und Kälte und Nässe nehmen, wie es ihn gerade überkam. Mancher verwünschte in der Nacht die Minen mit sammt dem Golde und, daß er beides im ganzen Leben nicht zu sehen bekommen hätte.
Am Montag fingen unsere beiden Freunde nun richtig an zu graben, und wurden hierzu besonders von einer anderen Partei, die dicht neben ihnen arbeitete und aus drei Mann bestand, aufgemuntert. Diese versicherten sie, daß sie viel Gold da fänden und sie sollten nur den Muth nicht verlieren, wenn es sich vielleicht im Anfang nicht gleich so gut anließe, wie man erwartet hatte. In dem ersten Loch, was sie gruben, fanden sie auch wirklich nicht viel, das zweite, dicht daneben, bezahlte sich aber schon besser und sie schafften unermüdet darauf los.
So wie sie das Loch zusammen hinunter gegraben hatten und auf die Erde gekommen waren, die sie als reich genug erprobt, gewaschen zu werden, dann ging der Alte an die Maschine und wusch, und Jack schlug inwendig die Erde los und trug sie ihm zu. Ihre Arbeit wäre, da die Erde etwa fünfzehn Schritt zu tragen war, mit drei Mann wohl leichter gewesen, dann hätten sie aber auch den Ertrag mit so vielen mehr theilen müssen und sie behalfen sich deshalb lieber so.
In diesen Tagen fanden zwei Mann, die weiter oben im Creek arbeiteten, ein großes Stück von einigen dreißig Unzen, und wer nur noch irgend dort in der Nähe ankommen konnte, der drängte hinzu, und die Nachbarschaft, wo der Klumpen gefunden war, wurde im wahren Sinne des Worts aufgewühlt. Die meisten derer aber, die nachher dort suchten, machten sehr schlechte Geschäfte und mußten wieder bessere Plätze aufsuchen, um nur etwas zu verdienen. Es schien fast, als ob gerade an der Stelle all das kleinere Gold in das große Stück zusammengeschmolzen, und nun gar nichts mehr weiter übrig geblieben wäre.
In diesen Tagen kamen auch einige Arbeiter von den Ophirdiggings zurück, die damals, gleich nach dem ersten Gerücht von den großen Karrschen Klumpen – der zufällig von einem Schwarzen unter der Wurzel eines Gumbaumes gefunden wurde – hinauf gestoben waren, dort hatten sie mit schweren Hämmern jedes ihnen in den Weg kommende Stück Quarz unbarmherzig zerschlagen und versicherten unsere beiden Freunde, die ganze Gegend sei mit Goldsuchern übersäet gewesen, so daß sie zuletzt ihr Brod nicht mehr verdienen konnten. Zwei große Stücke Gold sind noch nie dicht neben einander gefunden worden, und man sollte fast die Gegend, wo ein solcher gelegen, eher vermeiden als suchen.
Das große Stück ging nach Sidney hinunter, wo es zur Schau wieder in einen Juweliersladen kam und die Menschen aufs neue anregen sollte, nach den Minen hinaufzuströmen.
Am Mittwoch, hieß es, hatten drei Leute in einem benachbarten kleinen Creek wieder ein sehr großes Stück gefunden – es war ein Store dort in der Nähe, und einige dreißig Menschen eilten hinüber. Von dem Stück war nichts zu sehen, und wenn auch der Bericht davon augenblicklich nach Sidney gesandt wurde, fanden die, welche gleich an Ort und Stelle waren, doch keins oder nur sehr wenig Gold, und mußten unverrichteter Sache wieder abziehen.
Jack und Hall hatten sich durch alles dieses keineswegs verleiten lassen, und waren ruhig bei ihrer Arbeit geblieben, wo sie allerdings keine großen »Nuggets« fanden, aber doch auch genug Gold auswuschen, ihre Kost zu bezahlen und noch etwas übrig zu behalten. Jack schüttelte aber doch schon mit dem Kopf und meinte, wenn das nicht besser käme, so hätte er so viel Gold allenfalls auch in Sidney verdienen können. Indessen war er nun einmal oben, und da auch noch in derselben Woche seine schon früher abgeschickten Sachen ankamen, beschloß er, die Sache erst einmal zu Ende zu sehen.
Das Gerücht, was am Sonntag nur erst dunkel und unbestimmt gewesen war, daß nämlich durch Mr. Hargreaves neue ungeheuer reiche Minen entdeckt sein sollten, welche die Regierung, wie es jetzt schon hieß, gar nicht wollte erlauben öffentlich zu bearbeiten, fand mehr und mehr Bestätigung, und man nannte jetzt sogar den Platz, Louisens Creek, keiner aber wußte noch recht, wo der lag. Endlich schien sich auch das herausgestellt zu haben, denn eines Nachts packte eine Gesellschaft von Goldwäschern, der wahrscheinlich heimlich der Bericht zugekommen war, auf, und wanderte mit Sack und Pack den Fluß hinunter.
Solche Geheimnisse nehmen aber immer ein schnelles Ende. Die Leute dort können unmöglich ohne Provisionen arbeiten, ein Storezelt müssen sie haben, und die ersten Vorräthe werden wohl immer heimlich genug fort und an Ort und Stelle gebracht. Der Kaufmann hat aber keinen Nutzen dabei, daß der Platz geheim bleibt, im Gegentheil, je mehr dorthin kommen, desto besser ist es für ihn, und wenn auch nicht öffentlich, so läßt er doch bald genug unter der Hand einen oder den anderen wissen, wo er hingegangen ist, und das Resultat bleibt dann stets dasselbe Gewünschte. In acht Tagen kennt die ganze Umgegend den Ort und alles was irgend mit seiner Stelle unzufrieden ist, oder sich dort zu verbessern hofft, strömt dahin.
So war es auch hier, und eines Morgens sah Jack zu seinem Erstaunen, daß Hunderte von Menschen mit ihrem Gepäck, ja manche noch außerdem mit Waschmaschinen und Werkzeug auf dem Rücken, den Fluß hinunter wanderten, und frug er sie wohin, so lautete die stete Antwort: »Nach den neuen Diggings, Jack,« nach »der Welt Ende« – wie die Gegend dort schon früher, der traurigen Wildniß von Gumbäumen und Bergrücken wegen, von den Stationshaltern genannt wurde. Es war für sie »der Welt Ende« gewesen, weil sie dort mit ihren Schaafen nicht hinein konnten.
Auch die Compagnie neben ihnen, von der man geglaubt hatte, daß sie so viel Gold fände, wollte ihren Platz verkaufen. Es fanden sich auch bald zwei Leute dazu, »Gentlemen,« wie sie oben genannt wurden, weil sie Handschuh trugen, die eben von Sidney heraufgekommen waren. Durch die vorher kluger Weise ausgesprengten Gerüchte, einer sehr reichen Stelle, glaubten sie einen ordentlichen Fund gethan zu haben, als sie den »Claim« für fünf Pfd. St. kaufen konnten, und sie gingen noch denselben Nachmittag hinein, arbeiteten aber nur drei Tage darin und ließen ihn dann, ohne ihn zu einem weiteren Verkauf auszubieten, unbenützt liegen.
Jack und sein Compagnon glaubten, daß sie vielleicht nicht recht gewußt hatten, wie sie darnach graben müßten, und gingen selbst einmal einen Tag hinein, gaben es aber auch wieder auf. Mit der reichen Stelle war es doch nicht so arg gewesen.
Hall und Jack wurden von mehreren Seiten aufgefordert, mit nach »der Welt Ende«, oder dem sogenannten Louisens Creek zu gehen, wo das Gold »obenauf« liegen sollte, sie waren aber vorsichtig genug, sich nicht überreden zu lassen, und blieben ruhig bei ihrer einmal begonnenen Arbeit. Der achtjährige Knabe konnte ihnen dabei auch insofern behülflich sein, daß er Wasser auf die Maschine schöpfte, und die Frauen kochten im Zelt und wuschen ihre Sachen. Dafür hatte Hall mit seiner Familie zwei Theile von dem Gold, was sie fanden, und Jack einen.
Das war auch ungefähr gleich genug vertheilt, die Provisionen trugen sie aber in gleicher Hälfte und – dagegen hätte Jack schon lange protestirt, wenn er sich nicht eben mit dem Gedanken tröstete, ja darin sogar eine Art Wohlbehagen fand, daß er seinen und Jane's Theil der Provisionen bezahlte, während der Alte für sich und seine Frau beisteuerte. Da Jack nichts dagegen einwandte, war Hall natürlich vollkommen damit zufrieden, und die Sache blieb wie sie begonnen war.
Hall merkte dabei recht gut, daß Jack besonders Jane zu Liebe so treu bei ihm aushielt, so fleißig arbeitete und manches kleine Opfer brachte, was ihm sonst sicherlich nicht eingefallen wäre; er ließ sich aber nichts merken und schien, wenn er es merkte, auch gar nichts dagegen zu haben. Jane konnte es ebenfalls nicht verborgen bleiben, und Frauen haben ja außerdem ein weit schärferes Auge für solch kleine Züge von Aufmerksamkeit, die sie recht gut zu deuten wissen. Wenn sie ihn aber auch nicht gerade aufmunterte, war sie doch immer freundlich gegen ihn, und beim Essen sein Platz neben ihr gedeckt – und sie hatte das selber anzuordnen gehabt. Jack wußte gewiß, daß er ihr auch nicht ganz gleichgültig sei, und er dachte oft im Stillen, »wenn er hier oben in den Minen am Ende auch keine Schätze finde, habe er doch vielleicht einen Schatz gefunden.«
So arbeiteten sie etwa vierzehn Tage länger, und was sie über die Diggings von der »Welt Ende« gedacht, schien in Erfüllung zu gehen. Die Sache war größtentheils Humbug gewesen, denn wenn sich auch Gold dort fand, so bestand der kleine Creek, den sie Louisen-Creek nannten, nur, wie die meisten Gewässer Australiens, selbst jetzt, mitten in der Regenzeit, aus einer Reihe von Waserlöchern, die durch die Maschinen in kurzer Zeit in Schlamm verwandelt wurden. Außerdem waren die Stellen auch lange nicht so reich wie man gewähnt hatte, und von den sechs bis siebenhundert Personen, die den Turon allein nach den ersten Gerüchten verlassen hatten, kamen schon Massen wieder hierher zurück. Jack hörte sagen, von sehr vielen, die schon vollkommen genug von den Minen überhaupt hatten, und ganz und gar nach Sidney zurückgekehrt waren.
Das Wetter fing jetzt auch hier oben an höchst traurig einzusetzen; Schnee und Regen wechselten mit einander ab, der kleine Fluß stieg und vertrieb viele von ihren Arbeitsplätzen; es wurde ingrimmig kalt und Provisionen stiegen der fast unfahrbar gewordenen Straßen wegen zu einer hier noch nicht gekannten Höhe. Sehr viele verließen, durch stets neue Täuschungen endlich doch entmuthigt, die Minen, wo sie das keineswegs gefunden hatten, was ihnen, mit den Zeitungsberichten zusammen, ihre eigene Phantasie vorgespiegelt, Hunderte aber kamen an ihrer Stelle wieder dafür herauf und warfen sich mit Todesverachtung in die verlassenen Gruben.
Dabei tauchten unaufhörlich andere Gerüchte von neu entdeckten Minen bald hier, bald dort auf, und hielten die Unzufriedenen stets in einer gewissen wohlthätigen Aufregung, so daß diese nie wußten, nach welcher Seite sie sich zuerst hinwenden sollten, das flüchtige Glück bei den Haaren zu fassen und endlich einmal festzuhalten – und immer und immer wieder wollte es nicht gelingen.
Hall und Jack hatten indessen ruhig in ihrem Claim fortgearbeitet, und wenn auch noch gerade ihr Glück nicht gemacht, doch so viel gefunden, daß sie ihre Arbeit gut bezahlt bekamen und zufrieden sein konnten. Von allen Seiten drängten aber frische Goldwäscher heran, und sie bekamen ordentlich zu thun, ihren eigenen Claim zu behaupten, den ihnen der Commissär schon zweimal gesucht hatte zu schmälern, aber immer glücklich zurückgeschlagen war. Eine Menge von den erst heraufgekommenen Neulingen konnte gar keinen Platz finden, und versuchte erst allerlei unnützliche Stellen, wo sie entweder, sobald sie tief genug kamen, gleich wieder vom Wasser vertrieben wurden, oder so weit von jedem Wasser entfernt waren, daß nur ein gar nicht zu erwartend reicher Boden die Arbeit des Erdeschleppens bezahlt hätte.
Sämmtliche Goldwäscher waren übrigens fast nur Engländer, Irländer, Schotten oder hier geborne Australier. Außer diesen arbeiteten noch hie und da Deutsche, aber doch nur sehr zerstreut, und dann und wann fand man auch einmal einen Franzosen. Am seltensten sah man Amerikaner hier, und die wenigen, die sich ja hierher verloren hatten, sollten bald den Platz für sich zu warm finden.
Um diese Zeit kamen nämlich gerade die Gerüchte von San Francisco nach Australien über das Lynchen einiger »Sidney-Coves«, und die Leute hier hörten zu ihrer unbeschreiblichen Entrüstung, welchen Ruf sie dort genossen, und wie die Männer von Sidney in Californien alle über einen Kamm geschoren wurden. Des armen Capitän Harris Bericht, der seine Behandlung in australischen Zeitungen gar nicht kläglich genug schildern konnte, fiel auf fruchtbaren Boden, und wenn Flüche und Schimpfreden die Amerikaner hätten vernichten können, es wäre nicht ein einziger von ihnen leben geblieben.
Zwei Amerikanern, die dort am Turon arbeiteten, wurde es auch bald zu heiß da oben in den Bergen, trotz Regen und Schneegestöber, und sie waren auf einmal verschwunden. Es wurde eine Zeitlang von weiter nichts als den »amerikanischen Mordthaten«, wie man sie nannte, gesprochen, und wie viel Unschuldige schon in San Francisco hingerichtet wären, und noch täglich hingerichtet würden, wenn England nicht augenblicklich eine Flotte ausrüste, und das ganze Nest mit Stumpf und Stiel ausrotte. Den einzigen Trost, den sie dabei hatten, war der, daß es von selber zweimal abgebrannt war. Darüber war man aber ebenfalls vollkommen einig, daß die californischen Minen den australischen nicht das Wasser reichen konnten, und sie freuten sich jetzt nur auf die Zeit, wo die Amerikaner zu ihnen herüberkommen müßten.
Um diese Zeit war ein paarmal Besuch bei Halls gewesen, namentlich kam ein junger Schottländer, der einen Store in Bathurst hatte und sich hier oben einen Platz aussuchen wollte, um auch Provisionen und Waaren hier heraufzuschicken. Jack hatte ihn aber nicht zu sehen bekommen; er war jedesmal, wenn er zum Essen kam, schon wieder fort gewesen.
Ihr Claim war indessen ausgearbeitet und sie mußten sich nach einem neuen umsehen. Das hatte im Anfang einige Schwierigkeiten, und sie arbeiteten fast eine ganze Woche vergebens; endlich fanden sie aber doch wieder einen ziemlich guten Platz, wo sie wenigstens etwas verdienten, und wenn auch Jack gerade kein großes Rühmen dabei fand, schien Hall doch ungemein damit zufrieden.
Jack, der indessen doch nicht umhin konnte, dann und wann das behagliche Leben, das er in Sidney geführt, mit dem jetzigen voll Mühen und Strapazen zu vergleichen, fing auch schon an Berechnungen über das, was er nun eigentlich hier oben verdient hatte, zu machen, und er mußte sich gestehen, daß er bis jetzt, wenn er alles aufzählte, was ihn die Sache gekostet und was er sich an Kleidern und Schuhwerk abgerissen, die Zeit dabei ebenfalls gerechnet, die er nothwendig hatte versäumen müssen, doch noch nicht so viel verdient habe, wie er in Sidney, in derselben Zeit, aber mit weit weniger Mühe und Arbeit verdient haben konnte. – Und was war dann das Resultat? – Aber er hatte dafür eine Familie gefunden – d. h. er meinte nicht die ganze Familie, sondern nur ein einziges Glied derselben – das auf sein späteres Leben und Lebensglück vielleicht einen wesentlichen Einfluß ausüben mochte, und konnte er seinen Eltern einen größeren Gefallen thun, ihnen einen bessern Beweis seiner künftigen Ausdauer bringen, als durch das zugleiche Zuführen einer so liebenswürdigen Schwiegertochter?
Jack baute sich ein prachtvolles Kartenhaus zusammen, und arbeitete noch volle acht Tage ruhig daran fort, als ihm eines schönen Morgens einmal die ganze Geschichte, und zwar sehr unerwartet, über dem Kopf zusammenstürzte. Es fiel ihm nämlich unversehens ein Fremder hinein, und das war der Schottländer von Bathurst, der sich ihm, als er mit keiner Silbe an solch eine Möglichkeit dachte, an einem Sonnabend Nachmittag nicht mehr als Schwiegersohn in spe des alten Hall, sondern als wirklicher angetrauter Gatte der jungen Jane Hall, jetzigen Mrs. Mac Kelly – vorstellte. Die beiden jungen Leute waren an demselben Morgen von dem ehrwürdigen Mann mit den langen trocknen Gliedern eingesegnet.
An demselben Abend rechnete Jack mit dem alten Hall und wie sie zusammen standen, und fand dabei zu seiner Beruhigung, daß sein einst gehoffter Schwiegervater keineswegs zu kurz kam.
Die Minen wollte er aber deshalb noch nicht gleich verlassen, er packte deshalb, was er selber noch von Provisionen und Geschirr hatte, auf, und ging mit einer Dray, welche Vorräthe nach der Welt Ende brachte, den Fluß etwa vier Meilen hinunter, wo er drei Bekannte von Sidney traf, die eben mit einer Quecksilbermaschine und allem Zubehör heraufgekommen waren. Diesen schloß er sich an; mit der Quecksilbermaschine wollte es aber nicht recht gehen – die goldhaltige Erde war zu schwer zu gewinnen, die Löcher mußten zu tief dazu gegraben werden, und es wollte die Auslagen an Arbeit und Quecksilber nicht lohnen. Ueberhaupt sah er, von all den Quecksilbermaschinen die an den Turon, und manche mit schweren Kosten an Auslagen und Transport hinaufgeschafft waren, auch nicht eine einzige mehr mit Quecksilber in Thätigkeit – die meisten, die noch benutzt wurden, gebrauchte man wie gewöhnliche Maschinen.
Nachher versuchten sie es mit einem sogenannten »langen Tom«, der nur aufgestellt wird ohne gewiegt zu werden, und das feine Gold mehr zusammenhält als die übrigen Maschinen. Zu einem langen Tom gehört aber auch ein steter Wasserstrom und leicht zu gewinnende Erde, sonst müssen zu viele Menschen dazu genommen werden, die Erde heranzuschleppen und der Verdienst fällt dann auch auf zu viele Theile. Wasser hatten sie nun wohl genug da, aber die Erde war, wie auch bei der Quecksilbermaschine, zu schwer zu bekommen und sie wurden immer wieder auf die gewöhnlichen Wiegen reducirt. Dabei war ein anderer Uebelstand, der, wie Jack recht gut einsah, mit jeder Woche nur noch fühlbarer werden mußte; das Wasser fiel, und wie sollte es hier oben im Sommer werden?
Jack hatte sich überhaupt die ganze Sache anders gedacht. Für Taglöhner mochte das Goldgraben recht gut und auch einträglich sein; der aber, der eben ein klein wenig höher strebt, und sich unter der rohsten Menschenclasse, mit der er hier nothwendig auf ein und derselben Stufe stehen muß, nicht zufrieden fühlt, der soll die Minen nur ruhig Minen sein lassen und seinen eigenen Geschäften nachsehen – er wird sich viel besser dabei stehen.
Jack sah das jetzt ein – einen großen Klumpen fand er nicht, und er konnte sich dabei mit tausend andern trösten – aber nur um gewöhnliches Taglohn zu arbeiten und bei dem Versuchen mit dem Umherziehen nach neuen Claims noch nothwendig viele Zeit ganz nutzlos zu versäumen, konnte ihm in die Länge nicht behagen. Er wußte, daß er sich in Sidney besser stand, und beschloß, den Heimweg anzutreten.
Das einzige ärgerte ihn, daß ihn Hall's so bei der Nase herumgeführt hatten – und Jane – nein, die Frauen taugten alle nichts – er wollte nun auch im Leben nicht heirathen. – Auf Jane hätte er übrigens geschworen.
Jack hatte all sein Werkzeug für einen Spottpreis verkauft. Es waren so viele oben, die gern ihre Waschmaschinen und Schaufeln und Spitzhacken wieder verkaufen wollten, daß er zuletzt froh war, nur etwas dafür zu bekommen und sich dann, allerdings fröhlich, aber doch auch wieder mit ein wenig Herzklopfen auf den Weg machte, denn er mußte sich selber gestehen, er war mit anderen Erwartungen hier heraufgekommen, und fürchtete, sie würden ihn, wenn er zurückkehrte, zu Hause auslachen. Jack kannte die Welt und die Menschen noch sehr wenig.
Jack ging nach Bathurst zu; allerdings hätte er, wenn er zu Fuß gehen wollte, einen viel näheren Weg nach Sidney gehabt; er hoffte aber, dort einen Platz auf der Post zu bekommen, und machte sich deshalb nichts daraus, ein paar Meilen umzugehen. Er bekam aber keinen Platz auf der Post – Mittwochs nimmt diese die Regierung freundlicher Weise ganz allein für sich in Anspruch, und wenn Passagiere nothgedrungen an diesem Tage nach Sidney müssen, so – mögen sie zu Fuß gehen, oder sonst sehen, wie sie hinunterkommen.
Viel zu tragen hatte er nicht; lange in Bathurst, wo die Sachen alle einen Minenpreis hatten, liegen bleiben wollte er auch nicht, also hielt er es für das Beste, sich gleich ruhig auf den Marsch zu begeben und das Geld, was er sonst für die Post bezahlt hätte, zu sparen.
In den letzten Tagen hatte es allerdings nicht mehr geregnet, und an den meisten Stellen waren die Wege wieder so ziemlich abgetrocknet, an anderen dagegen, und besonders auf den Gipfeln einiger Bergrücken, in der Nähe des »grünen Sumpfes«, war der Schlamm und zerfahrene Straßenkoth so entsetzlich, daß er als Fußgänger kaum durch konnte; für die Karren waren diese Stellen besonders schlimm. Ueberall staken schwerbeladene Drays bis an die Achsen im Weg, manche mit der Deichsel, manche mit einem Rad gebrochen, andere nur eben in den zähen Stoff fest gefahren und keine Hülfe war für sie zu finden. Wären sie auch mit acht oder zehn Spann Ochsen aus dem einen Schlammloch herausgerückt worden, so hätten sie die doch nur in ein anderes wieder hineinziehen können. Und wie sahen die armen Menschen aus, die sich hier im Wind und Wetter mit ihrem Geschirr herumquälten – sie bekamen jedenfalls einen Vorgeschmack der Minen, und Jack dachte so bei sich im Stillen, solche Müh und Arbeit ließe sich rechtfertigen, wenn die Leute wieder zu Hause gingen, aber blos um da hinauf zu kommen – er schüttelte dann sehr stark mit dem Kopf und wanderte nur um so rüstiger weiter.
Wo der Weg streckenweis gut war, fand er aber auch die Leute viel lustiger und alle voll guter fröhlicher Hoffnungen. Ganzen Karawanen begegnete er, und manchmal schämte er sich ordentlich, daß er dann allein aus den Minen zurückkam – die Leute konnten ja aber auch nicht wissen, ob er nicht die Taschen voll Gold hatte, und überdies war er gar nicht allein auf dem Rückweg: denn als ein rascher Fußgänger hatte er schon sehr viele, die mit ihm gleichem Ziele zustrebten, überholt, und auch schon von einigen Fuhrleuten gehört, daß sie sehr vielen begegnet seien, die auf dem Rückweg nach Sidney wären. Wo er aber so einen Zug traf, riefen ihn auch meistens die Leute an, und wollten wissen, wie es oben in den Bergen zuging.
»Hallo, Jack,« war dann das gewöhnliche – »hast Du Deine Maschine verkauft (have you sold your cradle?) wie steht's oben? – wie viel Pfund Gold? – noch genug Wasser? – keinen großen Klumpen wieder? – nein? – das ist gut, sie heben sie auf, bis wir hinaufkommen – hurrah für die Diggings – viel Gold ausgewaschen? – O laßt ihn gehen« – sagte dann ein anderer, »er hat's mit der Post vorausgeschickt« – good bye, Jack, good bye, riefen sie ihm dann noch zu, und zogen fröhlich vorüber.
Den dritten Tag, am Nachmittag, überholte ihn die Post – sie saß vollgedrängt von Menschen, und die Passagiere sangen und hurrahten – sie waren kreuzfidel, denn sie fuhren auf der königl. Post.
»Hallo, Jack« – schrieen sie unseren einsamen Wanderer an, als der Wagen im vollen Galop an ihm vorbei einen Berg heruntersauste – »have you sold your cradle?«
Ehe er nur antworten konnte, war der Wagen schon außer Rufs Weite, die Beine thaten ihm aber weh und er sah ihnen neidisch nach. –
»Morgen früh um sieben oder acht Uhr sind die nun in Sidney,« dachte er so bei sich, und du mußt nun noch drei Tage marschiren, ehe du dort einrücken kannst – ich wollte doch, ich hätte einen Platz auf der Post bekommen, wenn man auch ein Bischen unbequem sitzt, kommt man doch dafür auch so viel rascher von der Stelle.
Als er eine halbe Stunde weiter marschirt war und unten an den Fuß des Berges kam, lag die Post da, und von den Passagieren hatte sich kaum die Hälfte erst wieder auf ihre Beine gefunden; die andere schien mehr gelitten zu haben, als sie sich selber noch gestehen mochte, und in den betrübtesten Stellungen von der Welt lagen und kauerten sie umher. Nicht ein einziger von ihnen frug Jack mehr, ob er seine »Cradle« verkauft habe, und sie hätten sich doch jetzt ganz genau und ausführlich bei ihm darnach erkundigen können.
Jack half ihnen den Wagen wieder mit aufrichten – und dem Kutscher lief dabei fortwährend das Blut am Kopf herunter. Die Passagiere sollten dann wieder hineingepackt werden, damit hatte es aber seine Schwierigkeiten – ein alter Mann lag besonders halb bewußtlos da, und mußte sich fortwährend übergeben. Als sie ihn endlich auf den Wagen hoben, meinte er mit leiser, von Schmerzen oft unterbrochener Stimme, er hätte es sich schon den ganzen Tag zugelobt, das solle das letztemal sein, daß er auf einer australischen königl. Post fahre, und er fürchte jetzt, er habe wahr gesprochen – er würde wohl nicht viel mehr fahren.
Die Post kam endlich wieder in Gang, den alten Mann fand aber Jack in dem nämlichen Haus, wo er die Nacht blieb – er hatte das Fahren nicht länger ausgehalten und sie mußten ihn zurücklassen. Jack war froh, daß er nicht auf der königl. Post gefahren war, denn es ist nicht allein, daß man unbequem darauf sitzt, man kommt auch manchmal unbequem zu liegen.
Am nächsten Morgen wanderte Jack durch einen Gumwald – es ist das nämlich das Eigenthümliche in Australien, daß sich überall, wo nicht gerade eine Plain – d. h. eine Strecke Landes ohne Bäume und viele Monate im Jahr auch ohne Gras – liegt, oder das Land cultivirt ist, Gumwald befindet. Da ihm die Scenerie nicht das mindeste Neue bot, und der schwere sandige Weg ihn ermüdete, marschirte er still und ohne aufzusehen weiter. Er achtete nicht einmal mehr viel auf die Karawanen, die an ihm vorbei nach dem gelobten Lande hinaufzogen, holte auch nicht mehr viel ein, denn er ging sehr langsam, und diejenigen, die ihn überholten, schienen ebenfalls keine besondere Lust zu haben, sich in lange Conversationen einzulassen.
»Hallo, Ihr da, seid Ihr der Postbote, daß Ihr solche Eile habt und ohne Gruß oder Wort an einem anderen vorbeischiebt?« weckte ihn plötzlich eine Stimme aus seinen stillen Betrachtungen, und als er aufschaute sah er einen Mann, der dicht am Wege, mit einem sogenannten Swag – einem in seine wollene Decke eingehüllten Packet – auf einem gefällten Baumstamm saß und sich auszuruhen schien; »wollt Ihr nach Sidney?«
»Ja,« sagte Jack, »und Ihr« –
»Denselben Weg, Camerad,« fuhr der andere fort, »da können wir uns ja die Zeit ein wenig kürzen und zusammen gehen.« Er stand bei diesen Worten auf, nahm sein Bündel auf den Rücken, und schlenderte langsam neben Jack her.
Es war ein breitschultriger aber magerer Gesell, mit etwas aufgestülpter Nase, niederer Stirn und blauen Augen, das Haar braun und kurz abgeschnitten, die Augenbrauen ziemlich buschig, es lag aber etwas offenes in seinem Blick, und er hatte eine Art trockenen Humors, der Jack für ihn einnahm. Ein Gespräch konnte die Reise jedenfalls kürzen und ihm doch wenigstens in etwas die Langeweile des sonst so schauerlich monotonen Gumwaldes und des Sandbodens vertreiben.
Der Fremde ging in die gewöhnliche Minentracht gekleidet, hatte ein blaues Hemd und eine englisch lederne Hose an, beides ziemlich neu und gut aussehend, dabei aber einen alten Strohhut auf und ein baumwollenes Tuch um die Ohren gebunden – er hatte Zahnschmerzen, wie er sagte. Die Füße staken in groben Schuhen und das blaue Hemd trug er, der Sitte nach, als Rock und über der Hose draußen.
»Wie heißt Ihr?« frug der Fremde, nachdem sie eine kurze Strecke neben einander hingegangen waren und er ihm schon gesagt hatte, daß er selber John Smith heiße und ein geborner Londoner wäre. Mit dem ächten Cockney-Dialekt, der vor jeden Vocal, wo es nicht hingehört, ein h setzt, und dafür sorgfältig jedes wirkliche h am Anfang eines Wortes wegläßt, konnte er es auch gar nicht verleugnen, – »es ist nur der Bequemlichkeit wegen, daß man weiß, wie man Euch anzureden hat« –
»Ich heiße Jack,« sagte sein Begleiter –
»Ja so heißen wir alle,« meinte Smith trocken, »es giebt hier oben eine wahre Quantität von Jack's – aber den anderen Namen« –
»Newman – Tischler aus Sidney« – Smith kannte seinen Vater recht gut und wußte, wo er wohnte – er hatte früher dort dicht nebenan logirt.
Zwei Polizeigensd'armen ritten an ihnen vorüber, und sahen sich nach ihnen um, Smith beachtete sie aber nicht weiter, konnte es jedoch nicht genug loben, wie sicher die Straßen jetzt seien, da die Regierung so viel Polizei darauf halte. »Was ich an Gold habe, führe ich auch selber bei mir,« meinte er treuherzig, »was soll man für den Transport auch noch die schweren Procente bezahlen. – Habt Ihr Glück in den Minen gehabt?«
Jack schämte sich, ihm zu sagen, daß er nur mit ein paar Unzen wieder zu Hause zurückkehre, und eigentlich kaum die Kosten seiner ganzen Fahrt, wenigstens mit einem sehr geringen Verdienst gedeckt habe – er gab eine ausweichende Antwort, und meinte, es sei ihm besser in den Minen geglückt, als er selber im Anfang erwartet habe.
Smith sagte, das freue ihn, und erzählte nun, wie er selber in Californien ebenfalls in den Goldminen gewesen sei, und dort gearbeitet habe, und verschwor sich hoch und theuer, daß die californischen Minen den australischen das Wasser nicht reichen könnten. Natürlich kamen sie nun auch auf die californischen Verhältnisse und auf das Lynchgesetz in San Francisco zu sprechen, und Smith konnte das Ganze nicht schauerlich genug schildern.
Die Amerikaner waren, seiner Aussage nach, das nichtsnutzigste Gesindel, was es auf Gottes Erdboden gab, und ein ehrlicher Mann konnte unter ihnen sein Fortkommen gar nicht finden. Er schien überall in ganz Californien herum gewesen zu sein und versicherte Jack, er habe dort »recht gut ausgemacht« und mit harter Arbeit schweres Geld verdient, er sei aber fortgegangen, weil er es nicht mehr länger habe mit anhören können, wie man den englischen Namen dort beschimpfe, und ehrliche Unterthanen mißhandelte. Jack hatte den Mann indessen ordentlich lieb gewonnen, daß er so nationell gesinnt sei.
Sie waren während dieses Gesprächs zu einer Stelle gekommen, wo man etwa 200 Schritt von der Straße ab eine Menge niederer steinerner Schornsteine sah, von denen die meisten in Reihen standen, als ob sie früher einmal eine kleine Ansiedlung gebildet hatten. Jack wußte nicht was das bedeutete – er war mit den Seinen erst im vorigen Jahr nach Australien gekommen; Smith blieb aber stehen und eine eigene Art von Rührung schien den alten Mann zu überkommen. Er sah die wunderlichen Ruinen eine Zeitlang schweigend an, und sagte dann endlich, den Arm gegen sie ausstreckend, ohne sich aber sonst zu Jack zu wenden:
»Das waren schwere Zeiten, wo die hölzernen Hütten an den Kaminen dort noch standen, die das Feuer jetzt von der Erde vertilgt hat – das waren schwere Zeiten, und mancher arme Teufel liegt dort, wo die drei einzelnen Bäume stehen, begraben, den nicht Krankheit oder ein gewaltsamer Tod von der Erde wegraffte, nein, den die Peitsche langsam unter den grünen Boden hinunter prügelte – langsam und Zoll für Zoll, bis er es endlich nicht mehr ertragen konnte, und das Ende davon war dann gewöhnlich, daß sie ihn zuletzt dort unter den drei grünen Bäumen einscharrten. Es ist merkwürdig, daß sie an der Stelle gar nicht mehr wachsen wollen.«
»Die Peitsche?« frug Jack erschreckt, »das ist ja fürchterlich – aber – das muß doch eigentlich schon sehr lange her sein, denn Neu-Südwales ist ja schon lange keine Verbrecher-Colonie mehr, und seit der Zeit hat ja doch, wie ich glaube, alles derartige wohl aufgehört?«
»Seit der Zeit hat es aufgehört,« bestätigte der alte Smith und sah wieder still vor sich nieder, während ein ziemlich starker Zug von Karren und Menschen an ihnen vorüberging. Da diese nicht wußten, ob die beiden Männer herunterkamen, oder ebenfalls hinaufgingen, bekümmerte sich niemand um sie; als sie vorbei waren, fuhr Smith wieder fort. »Es sind nun auch beinahe dreißig Jahre, daß ich in dieser Colonie lebe, und damals freilich sah das Land anders aus als jetzt, und man kann sich jetzt kaum noch eine Idee davon machen. Die Menschen, die man hier herüberschickte, wurden auch eigentlich gar nicht wie Menschen behandelt, es waren Verbrecher, gleich viel um was sie gegen die Gesetze ihres Vaterlandes gesündigt hatten, ob sie vielleicht Brod gestohlen, um nicht zu verhungern, oder den armen Wanderer auf der Straße um seine paar Schillinge todtgeschlagen; ob sie vielleicht einen Hasen auf ihrem eigenen Land geschossen, oder in fremder Leute Eigenthum mit Gewalt eingebrochen waren. – Hier galt das gleich, hier wurden sie alle über einen Kamm geschoren und wehe dem armen Teufel, der sich den Zorn oder auch nur das Mißvergnügen des Oberaufsehers zugezogen hatte – nicht einen Sixpence hätt' ich für seine Haut mehr geben mögen.«
»Und gehörtet Ihr auch mit zu jenen Unglücklichen?« frug Jack theilnehmend. Wäre er länger in Australien gewesen, so hätte er sich die Frage eben ersparen können. – »Ihr scheint sehr genau mit all den damaligen Verhältnissen bekannt zu sein.«
»Ich war mit einem der ersten Emigrantenschiffe herübergekommen,« sagte Smith ruhig, »mein Vater aber war Gefängnißwärter in Port Macquarrie, und da bekam ich eine Aufseherstelle bei den Deportirten – es war ein trauriger Posten,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »und ich habe unendliches Elend dort gesehen, aber doch auch viel Schmerzen lindern können und manchem armen Teufel eine Tracht Schläge erspart, die ihm vielleicht das Leben gekostet hätte.«
»Das muß Euch doch jetzt noch ungemein viel Freude, selbst in der Erinnerung machen,« sagte Jack herzlich – Smith antwortete ihm aber nicht darauf; sich nach seinem jungen Begleiter umsehend, zeigte er auf die einzeln stehenden drei Bäume und sagte:
»Dort an dem mittelsten Stamm, rechts von dem hohen Kamin, das einzige was noch in seiner ganzen Länge stehen geblieben, ist eine Merkwürdigkeit, von der wenig Menschen jetzt hier noch etwas wissen« – Jack sah ihn neugierig an – »Dort verscharrten wir eines Morgens, denn begraben kann ich das nicht gut nennen,« fuhr Smith fort, »einen jungen Mann – es hieß er sollte wegen Wilddiebstahl deportirt worden sein, die rechte Ursache erfuhr man aber nie, und hie und da wurde von einer Liebesgeschichte gemunkelt. Der Oberaufseher hatte ihn wahrhaft tyrannisch behandelt, und da schnitt er sich einmal eines schönen Morgens die Adern auf – als er geweckt werden sollte, war er todt.«
»Und was ist das Merkwürdige, was dort an dem Baum zu sehen ist?« frug Jack.
»Ein kleines Kreuz von irgend einer bunten Art Steine, die eine junge Dame aus Sidney, etwa sechs Monate nach seinem Tod, hat dort einschneiden lassen – wir wollen einmal dort vorbeigehen und es uns ansehen, ehe es dunkel wird.«
»Wir kommen aber dann zu spät ins Nachtquartier,« meinte Jack, und sah sich nach der Sonne um »– die Straße ist auch schon leer, die Sonne wird gleich unter sein.«
»Die Fuhrwerke sind unten beim Wasser geblieben,« erwiderte Smith, seinen Bündel wieder aufnehmend, »wir schneiden uns aber sogar noch ein Stück vom Weg ab, wenn wir hier hinuntergehen, denn die Straße macht einen großen Bogen, den steilen Berg zu umgehen, und so wie wir, von den Schornsteinen ab, ins Thal hinunterkommen, sind wir am Wirthshaus, das da gleich am Wege steht.«
Er hatte bei diesen Worten schon die Straße verlassen und war in den Busch hineingegangen; es führte hier nicht einmal ein Steg hinüber; der Platz schien seit vielen Jahren gar nicht mehr besucht zu sein; Jack folgte aber seinem Führer, der hier jedenfalls gut Bescheid wissen mußte, und dann interessirte es ihn auch, das Kreuz zu sehen, was auf eine so rührende und geheimnißvolle Weise über den Tod eines Unglücklichen trauerte.
Der Busch war schauerlich dicht, nach einer Viertelstunde etwa erreichten sie aber den Platz, und Smith ging gerade durch nach den drei Bäumen zu, die ziemlich hervorragend auf einer kleinen, sonst von keinen hohen Bäumen besetzten Anhöhe standen. Sonst wucherte aber dort gerade ziemlich dichter niederer Gumbusch, und in dem tiefer gelegenen Grund fing es auch schon an, etwas düster zu werden. Die Sonne vergoldete nur noch die höchsten Gipfel.
»Wir werden das Kreuz kaum noch sehen können,« sagte Smith – »es ist Schade, daß es schon so spät ist –« er bog die Büsche auseinander und trat zu den Bäumen – »dort unten liegt übrigens das Wirthshaus,« sagte er, in das Thal hinunter zeigend, wo jedoch nichts mehr zu erkennen war – »und hier ist auch das Kreuz.«
Jack trat rasch vor und bog sich zu dem Baume nieder – Smith hatte seine rechte Hand unter seinem blauen Hemd am Gürtel.
»Ich kann nichts erkennen,« sagte er, und drehte sich nach seinem alten Begleiter halb um. – Eben noch sah er, daß dieser eine Bewegung gegen ihn machte, und im nächsten Moment lag er, von irgend einem schweren Instrument zu Boden gefällt, bewußtlos auf der Erde.
Als er wieder zu sich kam, war es stockdunkel – sein Gesicht und seine Haare waren mit Blut bedeckt, und er fühlte einen dumpfen Schmerz am Kopf. Er brauchte eine geraume Zeit, bis er sich nur erst wieder besann, wo er war. Sein erster Griff war nach seinem Kopf – und er blieb nicht lange in Zweifel, wie er sich damit stand – der zweite nach seinem Gold – John Smith hatte ihn der Mühe überhoben, weiter auf dasselbe Acht zu geben.
»Was für ein verdammt heuchlerischer Schurke das gewesen war« – dachte Jack, als er sich emporrichtete und mit beiden Händen seine Schläfe hielt.
Sein Bündel lag uneröffnet neben ihm am Boden und er tappte überall mit den Händen herum, ob ihm nicht auch vielleicht sein Goldbeutel aus der Tasche gefallen wäre, das war übrigens nicht der Fall, und dieser wahrscheinlich nur zu sicher aufgehoben.
Um der Sache übrigens noch die Krone aufzusetzen, folgte er der Anweisung, die ihm Smith gegeben hatte, zu dem nächsten Hause zu kommen, und stieg in das Thal hinunter. Dort sah er sich – oder sah er sich vielmehr nicht, sondern fühlte er sich in einem tiefen Kessel, aus dem er in der Dunkelheit gar keinen Ausweg fand. Die Nacht mußte er da unten verbringen, und erst mit Tagesanbruch suchte er seinen Weg zurück, wie er hineingekommen war.
Jetzt mußte er noch einmal an den drei Bäumen vorbei, und er konnte nicht umhin nach dem Kreuz zu sehen, was ihn in eine so fatale Lage gebracht hatte – natürlich war aber von einem Kreuz nicht die geringste Spur zu finden – der verwünschte Smith.
Ich kann hier meine Erzählung ziemlich kurz abbrechen, denn der Leser hat das Ende – Jack war seine paar Unzen los und Smith, oder wie der gute Mann sonst hieß, über alle Berge. Jack machte übrigens gleich bei dem ersten Gendarmen, den er traf, Anzeige über das Vorgefallene, und nannte seinen Namen und Wohnort in Sidney – der Polizeimann erkundigte sich besonders genau nach dem Tuch, was dieser Smith um die Ohren gebunden gehabt, und ob er es nicht einmal abgenommen, oder ob es sich vielleicht einmal verschoben habe, daß er hätte sehen können, was ihm eigentlich fehle. Jack konnte ihm aber hierüber keine Auskunft geben, und dabei blieb die Sache für jetzt – von dem Kreuz erzählte er nichts.
Den ganzen Weg bis Sidney hinunter durfte er aber jetzt zu Fuß laufen, und sogar noch den größten Theil seines Gepäcks verkaufen, um nur unterdessen leben zu können, und doch hatte er sich die ganze Zeit darauf gefreut, wenigstens von Penrith hinein mit der Post fahren zu können. Das hatte aber auch wieder das Gute, daß er es konnte Abend werden lassen und die Leute ihn nicht auf der Straße frugen: Hallo, Jack, have you sold your cradle? – wie das wohl jedem ohne Ausnahme in Sidney passirt, der jetzt mit einem blauen Hemd an und einer wollenen Decke auf dem Rücken bei Tag durch die Straße gehen wollte.
In seiner Eltern Haus war aber große Freude, als er einrückte; sein Vater hatte mehr Arbeit denn je, und der neu angenommene Geselle war ebenfalls in die Minen hinaufgegangen. Jack erzählte ihnen auch ziemlich aufrichtig, wie es ihm oben in den Bergen gegangen sei, er ließ aber doch vieles weg, was er schon hätte ausführlicher beschreiben können. So erzählte er kein Wort von Jane und hätte auch gewiß Mr. Smiths Andenken mit gründlicher Verachtung behandelt, wenn das nur eben gegangen wäre – Mr. Smith hatte sich aber zu deutlich in sein Stammbuch geschrieben.
Einige Wochen später erwischte diesen übrigens die Polizei in den Ophirdiggings, wo er wieder in ein Zelt eingebrochen, oder vielmehr eingeschnitten war. Mr. Smith hatte noch immer Zahnschmerzen, oder trug das Tuch wenigstens noch immer um die Ohren, d. h. um den Platz herum, wo seine Ohren einmal gesessen hatten. Von Californien war er mit dem Verlust derselben wieder zurückgekommen, und man vermuthete, daß er vollen Grund habe, auf das amerikanische Lynchgesetz ungehalten zu sein.
Von seinem Gold bekam Jack übrigens nie wieder etwas zu sehen, wollte aber auch nichts mehr von den Minen wissen.
Das Goldfieber war in Sidney in voller Wuth ausgebrochen. Fabelhafte Berichte von riesigen gefundenen Goldklumpen, von Reichthümern, die an einem Tage, in wenigen Stunden gewonnen, berauschten die Hörer und machten auch dem Kaltblütigsten das Herz rascher und unbehaglicher schlagen. Was Wunder also, daß Alle, die gerade locker und ledig in der Stadt herumliefen und keine bestimmte Beschäftigung hatten, ohne Weiteres aufpackten, »ihr Glück« in den Minen zu versuchen, da ja selbst die Männer in Amt und Würden nicht einmal Alle von diesen gehalten werden konnten und hier und da sogar eine »gewisse Zukunft« im Stich ließen, einem höchst ungewissen Erfolg in den Bergen nachzujagen.
Besonders in die Seeleute war der Goldteufel im wahren Sinne des Worts gefahren, und sie bekamen plötzlich Alle mit einander Lust, das Seeleben mit der Arbeit in den Bergen zu vertauschen. So wenig sie sonst vom Lande wissen wollen, und so rasch sie sich immer wieder an Bord ihrer Schiffe zurücksehnten, sobald nur das mitgebrachte Geld in aller Geschwindigkeit verthan war, so versessen schienen sie ganz urplötzlich darauf zu sein, ihre »Landbeine«, wie sie's nannten, anzuschnallen, und Salzwasser und Schiffszwieback für längere Zeit – Viele dachten vielleicht auf immer – Lebewohl zu sagen. Ja nicht allein die Matrosen, sogar die Steuerleute waren kaum zu halten – juckte es doch den Capitainen selber nach Schaufel und Spitzhacke in den Fingern, und alle die Führer von Schiffen, besonders die, denen daran lag, den Hafen bald wieder verlassen zu können, kamen oft in die schwierigsten, fatalsten Lagen.
Matrosen sind gewöhnlich von dem Hafen aus, von dem sie fahren für die Reise, bis zurück von da, wo sie ausgelaufen, verdingt, und dürfen ihr verdientes Geld nicht eher vom Capitain verlangen, als bis diese Reise wirklich zurückgelegt ist. Nur kleine Abzahlungen werden ihnen in den Zwischenhäfen gestattet, hängen aber auch stets von ihrem guten Betragen, d. h. vom Willen des Capitains selber ab und ob und wie viel er ihnen Geld auszuzahlen denkt.
Was aber kümmert das den Seemann? Es giebt wohl kaum ein leichtsinnigeres Volk auf der weiten Gotteswelt, als eben den Matrosen, und was ihm nicht der Augenblick, die unmittelbare Gegenwart bringt, hat für ihn nicht den mindesten Werth, übt auf ihn nicht den geringsten Einfluß aus. Daß viele der Capitaine deshalb ihren sauer verdienten Lohn für lange Monate in den Händen hielten und ihn jetzt natürlich nicht herausgeben mochten, kümmerte sie gar nicht, und wenn sie die Jacke vom Leibe verkaufen mußten, Brod unterwegs zu haben, was that's? Sobald sie nur die Minen erreichten, wie sie dachten, war ihnen ja doch geholfen und sie aller Noth und Sorge ledig.
Um diese Zeit lag auch ein englisches Schiff, die Jane Douglas, im Hafen von Sidney. Der Capitain hatte seine Fracht gelöscht und wollte eben wieder beginnen, neue einzunehmen, als ihm eines Morgens die Kunde gebracht wurde, die Hälfte seiner Mannschaft sei in der Nacht »durchgebrannt« und die andere Hälfte würde wahrscheinlich ebenfalls bald nachfolgen. Frische Matrosen waren in Sidney zu jener Zeit gar nicht zu bekommen, ein sehr langer Aufenthalt wäre jedenfalls die unausbleibliche Folge gewesen, und der Capitain, ein resoluter Mann, griff endlich, nach reiflicher Erwägung, zu einem anscheinend verzweifelten, und doch, wie der Erfolg zeigte, gar nicht so üblen Entschluß. Er erklärte nämlich seinen Leuten, er wolle mit ihnen, da sie doch jetzt nicht daran denken konnten wieder sobald in See zu gehen, selber in die Minen hinaufziehen und mit ihnen arbeiten, der Ertrag solle aber, da er aus seiner Kasse die Kosten bezahlen würde, zum Theil für den Rheder, zum Theil für sie selber angenommen werden. Der Steward, der ohnedies lahm war, sich aber schon lange Jahre an Bord befand und das volle Vertrauen des Capitains besaß, sollte zurückbleiben und das Schiff bewachen, dafür aber bei der Zurückkunft gleichen Antheil mit der übrigen Mannschaft erhalten.
Es läßt sich denken, daß die Leute mit Jubel auf den Vorschlag eingingen, denn liefen sie auf ihre eigene Hand fort, blieben sie immer der Gefahr ausgesetzt, wieder eingefangen zu werden, und hatten selbst im glücklichsten Falle des Entkommens keinen rothen Heller in der Tasche, ihren Weg in die Minen zu bestreiten. Schon am nächsten Tag war denn auch Alles eingekauft, dessen sie zum Graben und Waschen da oben bedurften, ein Karren gemiethet, ihr Werkzeug, wie ihre nöthigen Provisionen hinaufzuschaffen, und der wunderliche Zug, ein Schiffscapitain an der Spitze seiner Mannschaft, setzte sich in Bewegung.
In den Minen am Turonfluß angelangt, begannen sie frisch ihre Arbeit. Einer der Matrosen war schon früher in Californien gewesen (vielleicht eine Ursache, daß er diesmal nicht fortgelaufen) und konnte die Uebrigen im Handhaben ihrer »Wiegen« unterrichten, und es wurde auch Gold genug gefunden, wenigstens vor der Hand ihre Ausgaben damit zu bestreiten und noch etwas zurückzulegen. Nach und nach kamen sie besser hinein, und theilten sich jetzt in drei Parteien, um eine größere Strecke auf einmal in Angriff nehmen zu können. Der Capitain selber arbeitete nicht, sondern überwachte das Ganze, der erste Steuermann war mit dem Koch und einem Schiffsjungen zusammen, der zweite Steuermann mit zwei jungen englischen Matrosen, und der Zimmermann und ein anderer Matrose arbeiteten ebenfalls zusammen. Das, was sie den Tag über fanden und auswuschen, wurde dann Abends gewogen und kam in eine gemeinschaftliche Kasse, später in dem bestimmten Verhältniß vertheilt zu werden. Diese Kasse hatte natürlich der Capitain.
Der Zimmermann war bis jetzt am glücklichsten gewesen und zwei Tage hinter einander in eine ziemlich reiche Stelle hineingerathen, aus der die beiden Männer eine Anzahl Unzen Gold herausnahmen. Noch besser traf es bald darauf der zweite Steuermann, der in einer Woche siebzehn, in der andern sogar einundzwanzig Unzen mit seiner Partei ausgewaschen hatte.
Es war jetzt die vierte Woche, daß sie arbeiteten, und die Leute fingen an, sich nachgerade zu berechnen, was sie etwa verdient, und was sie davon abgeliefert hätten. Daß ihnen der Capitain dabei die Mittel an die Hand gegeben, diese Stellen zu erreichen, und sobald zu beginnen, brachten sie nicht in Anschlag, und der Zimmermann weigerte sich endlich offen, unter den bisherigen Bedingungen länger mit fortzuarbeiten. Daß ihm der Capitain bewies, wie er hier in der kurzen Zeit gerade etwa das Zehnfache verdiene, als wenn er an Bord geblieben wäre, brachte ihn nicht von seinem Vorsatz ab, und eines Morgens war er verschwunden. Die Uebrigen beharrten indessen bei der Arbeit, und dem Matrosen, der bis dahin mit dem Zimmermann zusammen gegraben und gewaschen hatte, wurde der Koch beigegeben.
Es war am Mittwoch, als der zweite Steuermann mit seinen beiden Leuten wieder ein Loch bis ziemlich auf den Felsen niedergegraben hatte. Er nahm jetzt eine Pfanne voll Erde, in der er schon mit bloßem Auge Goldkörner erkannte, heraus, und ging damit an den nächsten Bach, sie zu waschen. Wie er damit zurückkam, stand der Capitain am Rand, ihren Erfolg zu erfragen.
»Nun, Jones?« sagte er, als er diesen langsam mit der leeren Pfanne zurückkommen sah, »wie stehts? lohnt das hier?«
»Ich glaube nicht, Capitain,« antwortete dieser mürrisch, »in der Pfanne war nicht für einen halben Schilling, und das von der besten Stelle weggenommen. Ich denke, wir fangen lieber auf einem andern Platze an.«
»Nur nicht so rasch verzagt«, ermahnte dieser – »Ihr habt Euch die Mühe des Abräumens gegeben, nun wascht auch die Grube aus, Tagelohn macht Ihr doch jedenfalls dabei. Vielleicht ist's auch in der andern Ecke da besser. Ich will nachher einmal wieder zufragen, wie's geht.« Dabei drehte er sich ab, und wanderte langsam den Fluß aufwärts und der Stelle zu, wo der erste Steuermann mit dem Jungen wusch.
Jones blieb in der Grube stehen und sah ihm eine Weile nach, dann aber, als er sich überzeugt hatte, daß er nicht zurückkehren würde, drehte er sich plötzlich nach seinen beiden Gefährten um, griff mit seiner rechten Hand in die Tasche seiner blauen Jacke, holte eine ganze Hand voll schwerer Goldkörner, von denen einzelne eine halbe Unze wiegen mochten, heraus und hielt sie den überraschten Mitarbeitern hin.
»Hallo, was ist das?« riefen diese, die Augen aufreißend, »wo kommt das auf einmal her?«
»Aus der Pfanne da«, lachte Jones.
»Aus der einen Pfanne? – ich dachte es wäre Nichts darin?«
»Nichts drin? – weil ich es dem Alten nicht auf die Nase gebunden habe?« – lachte aber der Steuermann höhnisch. – »Jungens, in der Grube hier steckt unser Glück. In der einen Pfanne voll, die ich nur hier oben weggenommen, lagen wenigstens vier oder fünf Unzen Gold, und wenn Ihr das dem Rheder, der daheim in London mit den Händen in den Taschen sitzt, in den Hals stopfen wollt, so hab ich Nichts dagegen; ich mache mit, was Ihr beschließt, aber wenn Ihr meinem Rath folgt, so behalten wir das, was wir hier aus der Grube, und vielleicht aus der nächsten nehmen für uns, und suchen uns in den Bergen dann einen andern Platz, wo wir weiter arbeiten. Finden wir aber hier schon, was wir brauchen, und was ich jetzt fast glaube, so gehen wir nach England zurück und leben dort wie die großen Herren.«
»Ich bin dabei«, sagte Bob, ein junger Bursche von neunzehn Jahren, den der Glanz des Goldes und die Aussicht auf so raschen und unerwarteten Reichthum geblendet hatte. »Hols der Teufel, die Sklaverei für andere Leute hätt' ich überdies dick und übersatt.«
»Erst wollen wir sehen, was wir finden«, bemerkte indessen Ned, der dritte von ihnen, vorsichtig. »Es kann auch sein, daß der ganze Reichthum hier unten zufällig in dem einen kleinen Nest gelegen hat, und damit ist uns dann auch so gut wie Nichts gedient. Darin bin ich übrigens mit Euch einverstanden – finden wir etwas Ordentliches, dann kneifen wir zusammen aus, und der Alte mag uns dann, wenn er wieder nach Hause fährt, beim Rheder »krank« melden.«
»Was wir ihm gekostet haben, ist lange abgezahlt,« setzte Bob hinzu, »und Gewissensbisse brauchen wir uns darüber nicht zu machen.«
»Gewissensbisse?« lachte Jones, »zum Teufel noch einmal, was hier in der Erde liegt, gehört dem »ehrlichen Finder«, der nirgend in der Welt gebeten wird, das Verlorene gegen eine gute Belohnung in der Expedition dieses Blattes wieder abzugeben – wie sie's in den Zeitungen am Land immer haben, und wenn das Schicksal absolut will, daß wir reiche und angesehene Leute werden und in Kutschen fahren sollen, dann wär' es mehr als albern von uns, wenn wir uns mit Händen und Füßen dagegen wehrten. Das hieße nachher nicht mehr Ehrlichkeit, das hieße Dummheit, und der Rheder selber wäre der Erste, der uns heimlich dafür auslachte.«
Er hatte sich indessen niedergebückt, und mit seinem Messer in der Erde herumgestochert, als er plötzlich einen kaum unterdrückten Schrei ausstieß und ein Stück Gold von wenigstens sieben oder acht Unzen Schwere zu Tage brachte.
Die Aufregung, in der sich die drei Menschen jetzt befanden, war unbeschreiblich. Mit vor Eifer zitternden Händen gingen sie daran, die wirklich ungemein goldreiche Erde auszuwaschen, und in kaum einer Stunde hatten sie ihren großen Blechbecher bis zum Rand mit dem kostbaren Metall gefüllt. Vor allen Dingen galt es jetzt aber dem wahrscheinlich bald zurückkehrenden Capitän den Fund zu verheimlichen, und das Gold wurde deshalb in einer Ecke der Grube versteckt und mit einem Stein und dann mit Erde bedeckt. Nur ein paar Körner ließen sie im Becher zurück und wuschen dann weiter.
Der Capitän kam übrigens an dem Nachmittag nicht wieder zu ihnen und sie wuschen einen Reichthum aus, den sie früher in ihren kühnsten Träumen vielleicht nicht für möglich gehalten. Das aber konnte sie natürlich nur in ihrem gefaßten Beschluß bestärken, und der morgende Abend wurde zur Ausführung desselben bestimmt. Sie konnten heute nämlich nicht mit dem Begonnenen fertig werden, und nahmen deshalb Abends etwa eine Unze mit zum Lager, doch etwas abzuliefern. Ihren Schatz ließen sie in der Grube zurück, füllten vorher aber die Ecke, in der er lag, mit Erde auf und durften ziemlich sicher sein, daß ihnen Niemand Nachts hineinging. Es war dort Loch an Loch gemacht, und wer solcherart heimlich und im Dunkeln die verschiedenen Gruben hätte revidiren wollen, würde – selbst die Gefahr abgerechnet, der er sich dabei aussetzte – im Ganzen sehr schlechte Geschäfte gemacht haben; der Zufall hätte ihn denn müssen an einen solchen Platz führen.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück gingen sie wieder an die Arbeit und fanden noch sehr viel Gold. Mittags nahmen sie wieder eine Unze davon mit zu ihrem Zelt, der Steuermann Jones verschaffte sich dann einen kleinen Leinwandsack, den er heimlich mit heraus an die Arbeit nahm, und in der Dämmerung wollten sie ihre Flucht mit dem erbeuteten Raub antreten.
Das Gold war schon ausgewaschen und in den jetzt ziemlich schweren Sack gethan, die Grube vollständig untersucht – eine Ader schien auch von dorten nicht abzulaufen, und was sie gefunden, sich mehr hier in einer Art von Felskessel, durch den Bach im Lauf der Jahre niedergespült und gesammelt zu haben – in der Nachbarerde, wie das so oft geht, hätten sie vielleicht wenig oder gar Nichts gefunden. Nur zum Schein arbeiteten sie jetzt noch weiter, damit sie bei einbrechender Dunkelheit nicht etwa verfolgt werden konnten. Hatten sie aber erst einmal die Nacht Vorsprung, dann wäre es, wie sie recht gut wußten, in den wilden Bergen unmöglich gewesen, ihrer wieder habhaft zu werden.
Gerade vor Dunkelwerden kam der Capitän dort vorbei, und blieb bei ihnen stehen.
»Feierabend, Feierabend«, lachte er, »seid nur nicht zu fleißig, Ihr Leute – mit einem Male können wir doch nicht reich werden. Nun wie geht es heute Nachmittag, Jones?«
»Etwas besser, Sir«, sagte der Mann, wagte aber dabei nicht, seinem Vorgesetzten, den er eben im Begriff stand zu hintergehen, ins Angesicht zu schauen. »Wir haben seit Mittag etwa wieder eine Unze gefunden, und wollten noch gern, ehe wir aufhörten, die paar Pfannen voll auswaschen. Es wird morgen früh doch nicht der Mühe lohnen, daß wir hier wieder anfangen.« Er deutete dabei auf den oben am Rande stehenden Blechbecher hin, in dem die drei Verschwornen absichtlich etwas Gold hatten stehen lassen.
Der Capitän nahm ihn auf, sah hinein, stellte ihn wieder hin und sagte:
»Nun gut Leute – vergeßt nur Nichts von dem Werkzeug, wenn Ihr heute Abend zum Zelt kommt. Dicht neben uns ist gestern Abend wieder eine Brechstange gestohlen worden. Es giebt hier oben doch mehr Gesindel, wie man eigentlich glaubt.« – Und seine Hände in die Taschen schiebend stieg er den Hügelvorsprung hinan, an dessen andrer Seite ihr Zelt lag.
»So Jungens«, sagte der Steuermann, als er ihm wieder mit den Blicken bis dort hinüber gefolgt war; »jetzt ist's Zeit. Der Alte kommt heute Abend nicht eher wieder hieher als bis es stark dunkel ist, und sie ernstlichen Verdacht geschöpft haben – und dann ist's zu spät. Donnerwetter, der Sack ist schwer«, stöhnte er, als er das verborgene Gold unter einer darüber gelehnten Steinplatte herausnahm und aufhob. »Einer allein kann das gar nicht schleppen – wir müssen's theilen. Die Leute werden überdies Verdacht schöpfen, wenn sie uns nur damit gehen sehen.«
»Ach was«, beschwichtigte ihn Ned, »wenn uns Jemand jetzt fragen sollte, wohin wir damit wollen, brauchen wir ihm ja nur zu sagen, zum Commissär, dort wird ja doch das meiste Gold hingeschafft, und das findet Jeder in der Ordnung. Uebrigens thun wir am Besten, wir kaufen uns im nächsten Laden ein paar Ledersäcke, Provisionen müssen wir ja überdies auch mitnehmen, und draußen im Walde können wir's dann theilen, daß Jeder sein Part nur zu tragen hat.«
»Das ist das Gescheiteste« stimmte ihm Jones bei, »und damit wir uns dort nicht mit dem Golde aufhalten müssen, lauf Du Ned rasch hinüber zum nächsten Laden, kauf was wir brauchen, auch ein paar kleine leichte leinene Säcke und drei wollene Decken dazu, denn wir müssen Bettzeug mitnehmen, und geh dann damit oben zu dem großen Gumbaum hinauf, der dort drüben steht. Wenn wir Dich dort sehen, brechen wir von hier auf.«
Der Plan war soweit gut. Ned nahm zu den Einkäufen das Gold aus dem Blechbecher und noch einiges anderes, was in der Pfanne lag, und ging raschen Schrittes zum nächsten kaum einen Büchsenschuß entfernten Laden. Jones und Bob aber wurde es indessen unheimlich so lange in der Grube zu warten. Jones recognoscirte deshalb vor allen Dingen, ob er Niemand von seinen Leuten rings entdecken könne, und hob, als er die Luft rein fand, den Sack mit Gold auf den Rand der Grube. Rasch kletterten jetzt die beiden Männer ebenfalls hinaus, und während der Steuermann die Beute auf den Arm nahm und damit bergauf der bezeichneten Stelle zuschritt, schaute Bob indessen vorsichtig nach allen Seiten umher, jetzt nicht dicht vor ihrer Flucht gesehen und entdeckt zu werden. Von der übrigen Mannschaft, die keine Ahnung von dem beabsichtigten Verrath hatte, da noch besonders bei dieser Partei der Steuermann jedes Unrecht überwachen mußte, ließ sich Niemand blicken. Erst als die drei Kameraden gar nicht zum Abendessen kamen, und die vollständig eingebrochene Dunkelheit jeden Gedanken, daß sie doch noch am Ende arbeiteten, verwerfen ließ, faßte der Capitän Verdacht und ging selber zu der ihm wohlbekannten Stelle, nach seinen Leuten zu sehen. Er brauchte auch nicht lange zu forschen; das noch in der Grube gelassene Werkzeug verrieth ihm nur zu bald, daß irgend etwas nicht Gehöriges vorgefallen, und wenn ihm auch Niemand in den benachbarten Zelten, wo er sich zu erkundigen suchte, gewisse Nachricht geben konnte – denn wer bekümmerte sich dort in den Minen um den Andern, – brauchte er nicht länger daran zu zweifeln, daß sich die Leute heimlich aus dem Staube gemacht, und auch wahrscheinlich gefundenes Gold mitgenommen hätten.
Allerdings ging er, nachdem er Rücksprache mit dem ersten Steuermann genommen, augenblicklich und noch in der Nacht zu dem Polizeicommissär, diesen von dem wahrscheinlich verübten Raub und der Flucht der drei Matrosen in Kenntniß zu setzen. Am nächsten Tage wurden auch Gendarmen oder berittene Constabler nach verschiedenen Seiten hin abgeschickt, die Flüchtigen womöglich in einer der andern Schluchten, an denen gearbeitet wurde, wieder aufzuspüren. Diese wußten aber selber recht gut, daß ihnen nur ein reiner Zufall die Geflohenen hätte in den Weg und wieder in ihre Gewalt bringen können, gaben sich deshalb auch nicht die mindeste Mühe damit, und kehrten am zweiten Tag nach einem langsamen Spazierritt durch die übrigen Minen, unverrichteter Sache wieder zurück.
Die drei Flüchtigen hatten sich indessen ihren Plan ganz vortrefflich gemacht und führten ihn eben so durch. An dem bestimmten Baum traf Ned mit den gekauften Sachen zu ihnen und gab einen Theil davon an Bob zu tragen. Bald waren sie damit drin im »Busch«, wie der australische Wald stets genannt wird, im Dunkel der jetzt rasch einbrechenden Nacht verschwunden und außer jeder Gefahr, verfolgt und eingeholt zu werden.
Wohin sie gehen wollten, darüber hatten sie sich allerdings noch gar keinen Plan gemacht. Erst mußten sie aus dem Bereich des Turon sein, das andere fand sich dann von selbst, und sie hielten auch in der That nicht eher an, als bis sie, ihrer Berechnung nach, mehrere Meilen zurückgelegt und in einem dort erreichten Dickicht nicht mehr weiter konnten. Jetzt erst beschlossen sie, zu lagern, warfen ihre Last unter einen Baum, zündeten vor allen Dingen mit dort im Ueberfluß umherliegenden dürren Holz ein tüchtiges Feuer an und gingen dann erst daran, ihr Abendbrod zu bereiten und nachher ihren Raub zu theilen.
Das erste war bald geschehen. Ned hatte eine sehr zweckmäßige Wahl bei den eingekauften Provisionen getroffen und mit frischem und geräuchertem Fleisch, trocknem Schiffszwieback und Zucker und Thee konnten sie schon eine Weile im Busche aushalten. Der einzige Fehler war, daß sie an ihrem Lagerplatz kein Wasser hatten. Das ließ sich aber nicht mehr ändern, und zum Frühstück beschlossen sie, in das nächste Thal hinabzusteigen, wo sie, wenn nicht eine Quelle, doch irgendwo schon ein Wasserloch zu finden hofften.
Auf einem der untergebreiteten Leinwandstücke wurde dann das sämmtliche Gold ausgeschüttet, und die drei Matrosen, die in ihrem ganzen Leben einen solchen Reichthum noch nicht bei einander gesehen, jauchzten und jubelten um den aufgehäuften Schatz. Sie konnten den Gedanken kaum fassen, daß Alles das jetzt ihnen sei, und die wildesten, tollsten Pläne wurden unter dem alten Gumbaume entworfen, die fabelhaftesten Luftschlösser in die stille Nacht hineingebaut. Und waren das Luftschlösser? Hatten sie nicht den soliden festen Grund da vor sich liegen, und bedurfte es etwa mehr, als nur einer einfachen Berechnung, was sie etwa mit dem »gefundenen« Schatze machen könnten? Jedenfalls hatten sie wirklich Jeder mehr, als es ihrer Meinung nach bedurft hätte, ein ganzes Schiff damit zu kaufen, und das war ja doch bei ihnen Allen von je das höchste Ziel all ihrer Wünsche gewesen.
Die Theilung ging jetzt, wie man das Gold überhaupt ohne Waage theilen konnte, so gut als möglich und nach dem Augenmaß vor sich. Der Haufen wurde in drei ziemlich gleiche Theile geschieden, und dann so lange davon herüber und hinüber, hier ab- und dort wieder zugeschoben, bis sie alle drei übereinstimmten, daß es sich nicht mehr verbessern ließ. Dann drehte sich Ned ab und den Rücken dem Golde zu, und Jones frug, indem er nach Gutdünken einen der Haufen mit dem Messer berührte:
»Wer soll den haben?«
»Ich!« sagte Ned.
»Ha, ha, ha, ha,« lachte der Steuermann; »er kann's nicht erwarten, bis er sein Theil kriegt – und den?«
»Ihr selber!« sagte Ned, indem er sich wieder umdrehte, zu sehen, welcher Antheil ihm geworden.
»Gut, dann nimmt Bob also den,« setzte der Steuermann hinzu, indem er einen für sich mitgebrachten Ledersack hervorholte, seinen Antheil hineinzuschütten; »großer Unterschied wird überhaupt nicht sein, und auf eine halbe Unze kommt's nicht an. Jungens, Jungens, für eine halbe Unze haben wir sonst einen halben Monat arbeiten müssen. Na, das hat jetzt aufgehört, und der »Esquire« wird hinter meinem Namen gerade so gut klingen, wie hinter dem von John Smith und Thomas Brown.«
Jeder der Drei nahm jetzt seinen Sack mit Gold an sich, dann wurde das Feuer noch einmal tüchtig aufgeschürt und bald lagen die Seeleute, in ihre neuen warmen, wollnen Decken gewickelt in so sanftem, festem Schlaf, als ob sie an Bord in ihren Cojen, und nicht flüchtig vor der Polizei mit gestohlenem Golde in der Wildniß lägen.
Am nächsten Morgen waren sie früh wieder auf. Die Provisionen wurden dann ebenfalls in drei, dem Gewicht nach ziemlich gleiche Parten getheilt, und mit den zusammengerollten Decken auf dem Rücken, Jones voran, der einen Brand in der Hand trug, am nächsten Wasser rasch ein Feuer damit zu entzünden, stiegen sie jetzt den Hang hinab. Dort unten sollte denn auch berathen werden, wohin sie von hier aus ihre Richtung nehmen wollten.
Die Schlucht erreichten sie bald, aber fanden dort kein Wasser, obgleich sie ihr eine ziemliche Strecke weit folgten. Jones blieb zuletzt stehen und meinte, sie dürften nicht länger an dem trockenen Bache abwärts gehen, der sie am Ende gerade wieder zum Turon und ihren Verfolgern in die Hände führte, und das wäre nachher, wie er meinte, »ein gefundenes Fressen für den Capitain.«
»Ja, aber der Turon liegt ja dort hinüber«, sagte Ned, »sind wir denn nicht gestern Abend auf der andern Seite des Berg's heraufgekommen?«
»Gott bewahre«, rief Jones – »ich meinte ja noch, wir hätten unten nach Wasser suchen sollen – hier in derselben verdammten trockenen Schlucht, in der wir jetzt stehen. Nicht wahr, Bob?«
»Ja, und wenn Ihr mich todtschlagt, ich weiß nicht, wo wir hergekommen sind,« sagte dieser, sich verlegen dabei umsehend, »wünschte aber nur, wir hätten einen Trunk Wasser, denn mir klebt die Zunge am Gaumen. Die Richtung wollen wir nachher schon finden.«
»Weißt Du, was Du in den Laden gestern Abend noch hättest kaufen sollen,« sagte Jones jetzt zu Ned – »einen Compaß. Den hätten wir gut gebrauchen können. Sie haben dort so kleine Dinger zu verkaufen die ganz vortrefflich die Richtung anzeigen.«
»Wenn Du das wußtest, hättest Du's auch früher sagen können,« brummte Ned; »jetzt ist's zu spät, und wir müssen sehen, wie wir ohne Compaß fertig werden. Hol's aber der Teufel, ob hier nicht ein Baum so aussieht, wie der andere, und der Berg, wie der da drüben – und kein Tropfen Wasser in dem verdammten Land. Das Gescheidteste ist, wir machen, daß wir an irgend einen Fluß kommen, und folgen dann dem Lauf desselben. Der bringt uns schon zu einem betretenen Weg und zu Menschen, denn wo Menschen sind, da ist doch wenigstens Wasser.«
»Nun hier sind Menschen und hier ist kein Wasser,« lachte Bob, »aber Kameraden, ich habe einen schmählichen Hunger. Wie wär's, wenn wir hier gleich an Ort und Stelle frühstückten. Wasser finden wir nachher schon irgendwo.«
»Ich bringe ohne Wasser keinen Bissen hinunter,« versicherte Jones; »die Kehle ist mir wie verdorrt und zugeschnürt. Wenn wir grad über den Berg hinüber und auf der andern Seite wieder hinuntersteigen, müssen wir ja doch zuletzt an Wasser kommen.«
»Ja, an den Turon,« brummte Ned. »Ihr könnt Euch heilig darauf verlassen, wenn wir zurück gehen, kommen wir wieder an den Turon.«
»Da hat er Recht,« lachte Bob, »die einzige Frage ist nun, nach welcher Richtung hin das zurück liegt. Daß auch keiner von uns gestern Abend daran gedacht hat, nach den Sternen zu sehen. Jetzt wüßten wir genau, wo wir wären.«
»Halt!« rief da Jones plötzlich, indem er Ned's Arm ergriff. »Wo ging die Sonne Morgens auf, wenn wir in unserm letzten Claim mit dem Gesicht nach dem Turon zu standen?«
»Grad vor uns,« sagte Ned.
»Gut,« fuhr Jones fort, »dann sind wir auch gestern Abend in einer nordwestlichen Richtung fortgegangen und ich habe Recht. Dort steht die Sonne jetzt, also liegt da drüben der Turon.«
»Ja, das ist Alles recht schön«, lachte Bob, »aber wir sollen doch wohl nicht die gestern Abend angenommene Richtung, in der wir eben nur aus dem Bereich des Flusses kommen wollten, beibehalten, denn da kommen wir jedenfalls in die schauerliche Wüste hinein, die zwischen hier und den Quellen des Murray oder Hume liegt. Unten im Lager hatten wir einen Kalender, in dem das ganze Land beschrieben stand.«
»Suchen wir aber jetzt gleich wieder zurück in besiedelte Gegenden zu kommen«, warf Jones ein, »so sind wir jedenfalls der Gefahr ausgesetzt, irgend einem nach uns ausgeschickten Polizeidiener in die Hände zu laufen.«
»Bah, wer kennt uns denn?« warf Ned ein. »Ein Matrose sieht den Charlies wie der Andere aus, und selbst mit unserem Gold können sie uns nichts beweisen. Wenn wir nur zwei Tage fort sind, soll uns einmal Jemand entgegen treten und beschwören können, daß wir Alles, was wir hier bei uns haben, nicht unter einem oder dem andern Baum meinetwegen hier in den Bergen gefunden. Hat nicht der Schwarze den Karr'schen Klumpen auch mit einem Beil unter einer Gumwurzel herausgeschlagen?«
»Ja, das ist Alles recht schön,« sagte Jones, der recht gut wußte, daß er, wenn wieder eingefangen, als Steuermann auch die größte Verantwortung würde zu tragen haben; »der Gefahr wollen wir uns aber doch nicht unnöthiger Weise aussetzen und jetzt einmal in Sicherheit, nicht wie die kleinen Kinder gerade da wieder hinlaufen, wo wir nichts mehr zu suchen haben. Mein Vorschlag ist der, daß wir noch meinetwegen heute bis gegen Abend, oder wenigstens einen halben Tag lang, die gestrige Richtung beibehalten, und dann etwa nach der Mündung des Turon hin Cours nehmen. Dort kommen wir wahrscheinlich wieder an Minen und können getrost unseren Weg direct nach Sidney einschlagen. Jetzt nur vor allen Dingen Wasser, das Andere findet sich Alles, und treffen wir einen guten Wasserplatz, bleiben wir eben so sicher einen Tag dort liegen, ruhen uns ordentlich aus und können unseren Marsch dann mit frischen Kräften fortsetzen.«
Dem ließ sich nicht gut etwas entgegnen, und die Matrosen, überdies gewohnt, an Bord dem Steuermann unbedingt zu vertrauen und sich nie viel um den einzuschlagenden Cours zu kümmern, folgten auch jetzt ihrem früheren Vorgesetzten, wohin er sie eben führen würde. Die Sonne fing indessen an, ziemlich heiß auf ihre Scheitel niederzubrennen, und es wurde ihnen sauer, den eben niedergestiegenen Berg aufs Neue zu ersteigen. Das ging jedoch nicht anders, und auf der entgegengesetzten Seite lag ja auch die Hoffnung auf Wasser, dem sie alle jetzt entgegenschmachteten. Selbst Bob war einsilbig geworden, und Jones stieg, ohne daß weiter ein Wort gewechselt wurde, schweigend voran. Jetzt hatten sie endlich die andere Schlucht erreicht, wo eine Masse wild zerstreuter Quarzblöcke wohl die Nähe von Gold verrieth, aber – kein Wasser bot. Gold – was kümmerte sie jetzt Gold, sie hatten an dem in ihren Säcken schwer genug zu tragen – Wasser wollten sie, und hätten es gern theuer genug gekauft – wenn es nur eben zu bekommen gewesen wäre.
Dieser Schlucht über folgten sie wohl eine ganze Meile nieder, und wenn sie sich auch jetzt drehte, und selbst nach Jones Meinung dieselbe Richtung einschlug, als jene an der andern Seite des Berges, also ebenfalls nach dem Turon zu, bedurfte es nur eines Blickes rechts und links, die steilen, steinigen, sonngebrannten und fast schattenlosen Wände hinauf, und sie wanderten oder kletterten wieder ruhig und unverdrossen weiter. Einmal mußten sie ja doch an Wasser kommen – und wenn es der Turon gewesen wäre.
Ned hatte zwischen seinen Provisionen allerdings eine gefüllte Whiskeyflasche mitgebracht, der brennende Trank, von dem sie schon Jeder ein paar Mal einen Schluck genommen, löschte ihnen aber den Durst nicht, wenn er auch für den Augenblick half, und die Zungen klebten ihnen am Gaumen.
»Das ist doch ein gottverfluchtes Land, das Australien,« lästerte Jones endlich, während er seinen Pack zu Boden und sich selber in den Schatten eines vorspringenden Felsstückes warf, »kein Tropfen Wasser, wohin man tritt – aber ich kann nicht weiter und muß erst etwas essen, – und wenn ich's auch hinunter zu würgen habe.«
Die übrigen waren gern damit einverstanden. Erschöpft und matt fühlten sich Alle, und die Provisionssäcke wurden geöffnet, den Körper nach den überstandenen Strapazen wenigstens in etwas zu stärken. Das beendet, brachen sie wieder auf, jetzt aber mit dem festen Entschluß, an dem ersten Wasserloch, das sie erreichen würden, einen vollen Rasttag zu machen, und wenn sie ihre Lebensmittel bis auf die letzte Krume aufzehrten. Die Minen konnten sie dann bald wieder erreichen.
Noch einmal folgten sie jetzt der trockenen Schlucht, in der vergeblichen Hoffnung, einen Quell, oder doch wenigstens an irgend einer Stelle vom letzten Regen übergebliebenes Wasser zu finden. Einmal glaubten sie auch schon ihren Wunsch erfüllt zu sehen, indem sie eine feuchte Stelle im Bett des sonst trockenen Baches antrafen. Diese aber enthielt nur dickflüssigen, mit grünem Moder überwachsenen Schlamm, und selbst Jones konnte sich nicht dazu entschließen, die Lippen daran zu bringen. Er bog sich allerdings darüber hin, mußte aber in Ekel davon abstehen. Im weichen Schlamm war die Spur eines vierfüßigen Thieres eingedrückt.
Zwei volle Stunden marschirten sie wieder weiter, immer der Schlucht nach, und zwar jetzt genau der Richtung folgend, in der Jones den Turon vermuthete. Wäre das aber der Fall gewesen, hätten sie ihn schon lange erreichen müssen, und der Steuermann selbst fand jetzt, daß er seinen Cours verloren habe. Dort hinaus durften sie deshalb unter keiner Bedingung weiter gehen, diese Schlucht führte sie wahrscheinlich mitten in die furchtbarste Wildniß hinein, und fielen sie dort, unbewaffnet wie sie waren, den Schwarzen in die Hände, so wären sie verloren gewesen. Zu ihrer Rechten lief ein niederer Hügelrücken hin, der es ihnen allem Anschein nach möglich machte, den dort liegenden hohen Berg zu umgehen. Der Richtung beschlossen sie also einstimmig zu folgen. An einer anderen Schlucht waren sie vielleicht auch glücklicher und trafen Wasser, oder hörten nach irgend einer Seite zu das Klappern der Maschinen, das ihnen die Nähe von Goldwäschern verrathen hätte. Es sollten ja hier überall in den Bergen Leute stecken.
»Ich fürchte, ich fürchte,« sagte Bob, als sie wieder einmal im Schatten eines kleinen Gumbaumdickichts ausruhten, »wir sind bis jetzt in gerader Richtung vom Turon ab und mitten in den tollsten Wald hinein gerannt, wir hätten ja sonst einzelne der dort in der Nachbarschaft zerstreuten Goldsucher finden müssen. Hier die Gegend ist aber wie ausgestorben, und die Spur des kleinen Känguruhs oder was es sonst für eine Bestie gewesen ist, die ich am Schlammloch gesehen habe, ist das erste und einzige Zeichen irgend eines lebenden Wesens, das wir heute den ganzen Tag gefunden. Nicht einmal ein Vogel ist zu sehen. Mir graut's vor solcher Einöde.«
»Wenn wir der Richtung gefolgt wären, die ich einschlagen wollte,« sagte Ned und suchte eins der ihm nächsten Gumblätter zu kauen, »so wären wir jetzt an Wasser – pfui Teufel, wie das Zeug schmeckt, bitter und ölig wie Gift.«
»Ja, bei Wasser und Brod vielleicht«, brummte Jones.
Ned wollte etwas erwidern, verschluckte es aber und lehnte sich erschöpft auf die neben ihm liegende Decke, dort besser auszuruhen.
»Wie schrecklich still das hier ist«, sagte Bob nach einer ziemlich langen Pause, »nicht einmal ein Vogel zu hören oder zu sehen. Kein Frosch quackt – kein Schuß – kein Peitschenknall, kein Vieh, selbst in den Bergen – nicht einmal Wild. Wenn man abergläubisch wäre, könnte man wahrhaftig denken, man sei von irgend einem bösen Geiste über Nacht ein paar hundert Meilen ins Land hinein versetzt worden. So viel weiß ich, wenn ich den Turon oder einen andern Fluß erst einmal wieder zu sehen bekomme, bringt mich kein Teufel weg davon, oder wenigstens aus Sicht. Die Quälerei möcht' ich nicht zum zweiten Mal durchmachen.«
»Wenn wir ihn nur erst zu sehen bekommen«, brummte Ned.
»Da sitzen wir nun«, lachte Bob plötzlich, »drei steinreiche Burschen, mit ihren Säcken voll Gold, und trocken wie ein Fisch am Land. Aber zum Henker, das gehört mit dazu, und wenn's uns am Ende gar zu leicht gemacht wäre, hätten wir vielleicht noch Gewissensbisse bekommen. So müssen wir's uns aber sauer genug verdienen und nachher schmeckt's desto besser. Uebrigens will ich an diese verzweifelten trocknen Gumwälder mein Lebelang denken. Sieht nicht einer von den saftlosen, steingrauen Bäumen gerade so aus, wie der andere, und werfen die Dinger überhaupt einen Schatten? Der Stamm, ja, damit sind wir aber auch fertig, und das, was man bei anderen Bäumen Laub nennen würde, hängt hier wie lange Stückchen Zink in Büscheln von den Zweigen nieder und klappert – und kein Grashalm dabei im ganzen Wald. – Meine Mutter zu Hause klagte immer über ihre feuchte Wohnung; hier sollte sie sich anbauen, hier wär's trocken genug. – Na – Ihr Beiden sitzt ja da, als ob Euch alle Masten über Bord geweht wären. Hier können wir nicht bleiben, so viel ist gewiß, und je eher wir aufbrechen, desto früher dürfen wir hoffen, irgendwo in diesem verbrannten Lande Wasser oder wenigstens erst einmal Menschen anzutreffen.«
Seine beiden Gefährten erwiderten Nichts darauf, standen aber doch auf. Die Kehlen waren ihnen zu trocken, viel zu sprechen, und je eher sie diesem Zustand ein Ende machen konnten, desto lieber war es ihnen. Schweigend setzten die drei Männer ihren Marsch fort, und zwar der Richtung zu, in der sie die verlassenen Minen vermutheten. Und wenn sie selbst wieder zufällig zu der Stelle zurückgekehrt wären, von der sie geflohen, hätten sie sich doch wenigstens nach Dunkelwerden satt trinken und nachher dem Lauf des Flusses folgen, wenigstens in seiner Nähe bleiben können. Vergebens aber legten sie Meile nach Meile zurück – der Schweiß lief ihnen in großen, schweren Tropfen an der Stirne nieder, und die Glieder vermochten sie kaum weiter zu schleppen. So brach die Nacht an, und noch immer hatten sie keinen Tropfen Wasser, keine Spur eines menschlichen Wesens gefunden und mußten wieder lagern. Allerdings machten sie einen Versuch im Dunkeln ihren Weg fortzusetzen, aber der Himmel hatte sich umwölkt, es war so finster geworden, daß sie keine Hand vor Augen sehen konnten, und in den rauhen Felsgesteinen kamen sie nicht fort.
Die Wolken hatten in sofern ihr Gutes, als sie dadurch auf Regen hoffen durften. Freilich verloren sie damit auch wieder die letzte Möglichkeit, ihre Richtung nach der Sonne zu verfolgen. Der nächste Morgen brach trübe an. Am Himmel ließ sich nicht einmal unterscheiden, wo die Sonne eigentlich aufgegangen sei, und kein Tropfen Regen fiel. Schweigend und finster nahmen die Leute ihre Packen wieder auf und wanderten weiter. Wohin? – sie wußten es selber nicht, und einer Schlucht jetzt aufwärts folgend, erreichten sie endlich wieder eine kleine Stelle, in deren Nähe ein paar Grashalme wuchsen und wo der Boden grün aussah – wie bei dem gestrigen Schlammloch.
»Dort ist Wasser!« rief Jones, und sprang darauf zu, aber – umsonst. Wasser hatte da jedenfalls einmal gestanden, aber der Grund war jetzt trocken und aufgesprungen, und grüne, aber ebenfalls trockene und schon halb vergilbte Flechten zogen sich darüber hin.
»Heiliger Gott!« rief da Bob plötzlich, als sie still und mürrisch den Platz umstanden – »das ist ja dieselbe Stelle, an der wir gestern waren. Dort ist der Stein, auf den ich meinen Packen warf – da ist der Eindruck selbst von Jones Hand noch, als er sich hinüber bog den Schlamm zu lecken.«
Die Anderen warfen rasch und erschreckt den Blick umher; die Thatsache ließ sich nicht leugnen.
»Dann folgen wir aber jetzt auch der Schlucht aufwärts und über den Berg hinüber!« rief da Ned, von neuer Hoffnung belebt. »Das ist der entgegengesetzte Weg von dem, den wir gestern einschlugen und wird uns zurück zum Turon bringen. Ich hab' es ja gleich gesagt, daß wir irr gingen.«
»Wie das in dem einen Tage ausgetrocknet ist,« seufzte Jones, der kein Wort mehr gegen die unbestimmte Richtung erwiderte. »Gott gebe nur, daß wir bald wieder zum Fluß zurückkommen. Viel länger halt' ich's nicht mehr aus.«
Ned führte jetzt den Zug an und kletterte, so rasch als es ihm seine Kräfte erlaubten, den Hang hinan. Er sah sich auch gar nicht mehr nach den Andern um, ob sie ihm folgten oder nicht; nur vorwärts – vorwärts drängte er unaufhaltsam fort, aus dem Wald, zu Menschen, nur zu einem betretenen Pfad wenigstens zu gelangen. So kletterten sie keuchend den Berg hinauf, und wollten eben, ohne nur einen Moment anzuhalten oder zu rasten, über die Kuppe hinüber und an der andern Seite wieder hinunter steigen, als sie Jones' Ruf an die Stelle bannte: »Land, bei Gott! – dort liegt ein Haus!«
»Wo?« schrie Ned, und folgte rasch mit den Augen der angegebenen Richtung. War das ein Haus? In weiter Ferne an einem der gegenüberliegenden Hügelhänge schien es fast, als ob eine Stelle vom Wald gelichtet wäre, und mitten drin stand ein heller viereckiger Block. Es war jedenfalls eine kleine Farm, dort vielleicht an der Grenze des Waldes.
»Das ist ein Stein,« sagte Bob endlich, der den Platz ebenfalls mit den Augen gesucht und gefunden – »ein Stein und nackte Felswand drum herum!«
»Ich kann die Fenster im Haus erkennen!« rief aber Jones; »und dort – dort bewegt sich etwas – das ist ein Mensch. Gott sei Lob und Dank, da endlich ist ein Ende dieses Elends. Jungens, Jungens, jetzt kann ich es Euch wohl sagen, mir fällt ein Stein vom Herzen, denn bei unserm Marsch fing mir an, gar nicht wohl zu werden. Da drüben liegt unsere Hülfe!«
»Es ist wahrhaftig ein Stein,« sagte Bob; »weshalb sollte sich auch ein Mensch da oben an den nackten Berg hinsetzen. Gehen wir dort hinüber, so kommen wir ganz aus unserm Cours.«
»Das ist ein Haus,« betheuerte aber auch Ned – »ich kann den blauen Rauch aus dem Schornstein aufsteigen sehen. Cours oder nicht, ich gebe überhaupt keinen Sixpence um unsern ganzen Cours, und das Beste ist, wir steuern gerade auf die Farm da zu. Die Leute dort werden uns nachher schon sagen, wo wir Weg und Steg aus dieser Wildniß finden.«
Bob schüttelte den Kopf, da die anderen Beiden aber so fest auf ihrer Meinung beharrten, fügte er sich ihnen und wanderte mit, jetzt die Schlucht und den Abhang nieder, um an der andern Seite wieder gerade aufzuklettern. Der Berg lag auch viel weiter entfernt, als sie im Anfang vermuthet hatten, und mehrere dazwischen eindrängende Hügelrücken mußten sie vorher übersteigen.
Die Wolken brachen sich indessen wieder, die Sonne trat hell und klar heraus und schien noch einmal so heiß als früher niederzubrennen, als sie endlich den Hang, wo sie das Haus gesehen zu haben glaubten, erreichten und hinan stiegen. Aber keine Spur eines lebenden Wesens war zu finden, nicht einmal der Platz, den sie für die Farm gehalten, Wald – Wald – rings um sie her; Nichts als öder, grauer, schattenloser Wald und scharfer Quarzstein, der ihre Schuhe zerschnitt und ihre Füße verwundete.
»Ich kann nicht mehr,« stöhnte Jones da, indem er sich, zum Tode matt, unter einen Baum warf – »meine Leber steht in Feuer, und vor den Augen fliegt's mir wie dunkele, blutige Wolken herum.«
»Wir werden den ganzen Weg wieder zurück müssen, den wir nach Euerem Haus heraufgestiegen sind,« sagte Bob endlich kleinlaut. »Nach einer Richtung müssen wir aber doch endlich einmal wieder zum Fluß kommen, und ich denke, wenn wir hier jetzt weiter stiegen, wäre es gerade so gut. Keiner von uns weiß doch mehr, wo er ist, und das dort kann gerade so gut der richtige Cours sein, wie der falsche.«
Damit waren die anderen Beiden aber nicht einverstanden. Da sie die Sonne wieder sehen konnten, und wenigstens wußten, wo Norden und Süden war, wollten sie von keinem Cours aufs Geradewohl mehr hören, sondern Jones schlug jetzt vor, nach Süden zu gehen und die Richtung beizubehalten, wo sie dann endlich wenigstens an das Ufer des Meeres, und jedenfalls vorher an Straßen kommen mußten. Schweigend wandten sich die Beiden und schritten und stiegen schweigend weiter, bis endlich, als sich die Sonne schon dem Untergange wieder neigte, Bob plötzlich ausrief:
»Aber um des Himmels willen, Menschen, wir wollen nach Süden hinunter und laufen gerade nach Norden hinauf. Steht denn nicht in diesem verzweifelten Lande die Sonne um Mittag im Norden?«
»Das hat noch gefehlt!« stöhnte Jones und sank neben seiner Ladung zu Boden. »Jetzt sind wir, Gott weiß wie viel Meilen mitten in das wilde Land hineingezogen, und wenn wir hier Wasser träfen, könnten wir uns auch darauf verlassen, daß Wilde dabei wären.«
»Ja, das kann nichts helfen,« sagte aber Bob entschlossen. »Wir haben uns einmal verirrt und müssen jetzt sehen, wie wir wieder hinauskommen. Noch sind wir im Stande, zu gehen, wer weiß, wie es morgen wird. Ich denke deshalb, wir drehen hier, wo wir liegen, gerade um und gehen von jetzt an den richtigen Südcours, und ich glaube, besser auch ein wenig östlich hinunter. Gerade im Süden ist die See weiter, als wenn wir uns mehr links der Küste zu halten.«
»See – Hölle!« stöhnte aber Ned – »ich bin nicht mehr im Stande, mit der Last hier die See zu erreichen. Wenn wir nicht früher Wasser finden, bleib ich liegen.«
»Nur Muth, nur Muth!« suchte sie aber Bob aufzurichten, »hätten wir gleich von Anfang an einen richtigen und festen Cours beibehalten, wären wir lange heraus, so aber, da wir überall nur immer nach Wasser suchten, sind wir hin- und hergeklettert, und wahrscheinlich weiter und weiter von dem Orte abgekommen, den wir eigentlich erreichen wollten.«
»Du hast jetzt gut predigen,« brummte Jones mit einem Fluch in den Bart. »Daß wir an keiner Chaussee sind, wissen wir selber. Und nun vorwärts; in der Abendkühle können wir eher noch eine Strecke zurücklegen, als am heißen Tag.«
Wieder hoben die Männer seufzend ihre Last auf und wanderten weiter, den Weg gerade zurück, den sie die letzten Stunden gekommen, als plötzlich Ned stehen blieb und mit leiser, heiserer Stimme sagte:
»Ich weiß nicht; wird mir nur auf einmal so heiß und schwül; aber die Luft hier kommt mir vor, als ob sie uns aus einem Backofen anwehte. Ein paar Mal traf mich's jetzt in den Nacken, als ob mir Jemand seinen heißen Hauch hineingeblasen.«
»Mir ist's auch schon so vorgekommen,« sagte Jones, indem er stehen blieb und sich umdrehte, aber auch augenblicklich wieder den Kopf abwandte – »da hinter uns kommt's her« – rief er dabei. »Das hat uns noch gefehlt – das ist der »heiße Wind« und nun sind wir verloren!«
Der »heiße Wind« war es allerdings, der in Australien wie der Samum der Wüste aus den heißen Sand- und Salzebenen des Inneren herausstreicht, und wohin er trifft, Schrecken und Verwüstung trägt. Die drei Unglücklichen, schon außerdem zum Tode erschöpft und halb verschmachtet, brachen fast unter der neuen Last zusammen, und wie sie sich auch mühten vorwärts zu kommen, versagten ihnen zuletzt die erschöpften Glieder den Dienst. Jones blieb zuerst liegen und rief den Anderen zu, sich zu retten, er könne nicht weiter und wolle dort sterben, wo er liege. Ned drang darauf, noch weiter zu gehen – sie könnten nicht mehr so weit von Hülfe entfernt sein, und wenn sie hier blieben, wäre ihr Verderben gewiß.
Bob machte jetzt den Vorschlag, ihr Gold, eine kleine Quantität abgerechnet, die sie recht gut mitnehmen könnten, hier zu verstecken, die Bäume dann in der Nachbarschaft zu bezeichnen, und wie sie gingen, dann und wann ein Stück Rinde von einem Baum abzuschälen. Er hatte einmal gelesen, daß es amerikanische Jäger so gemacht hätten, ihre vergrabenen Biberfelle wiederzufinden. Seine beiden Kameraden wollten sich aber nicht dazu verstehen, ihren Schatz im Stich zu lassen. Das Gold brachten sie schon noch fort, aber das andere Gepäck mit den Decken mochten sie nicht länger schleppen. Die Hitze wurde dabei immer drückender, und sie legten jetzt Alles unter einen der Bäume, legten Steine darauf, daß es der Wind nicht fortwehen konnte, und bezeichneten die benachbarten Bäume mit ihren Messern. Jones hatte sich indessen durch die kurze Rast auch wieder so weit erholt, daß er wenigstens vorwärts konnte, und an Gepäck leichter, glaubte er schon mit fortzukommen. Aber immer glühender wurde die Hitze, immer steiler und steiniger ihr Pfad, und der Steuermann, der die letzte halbe Stunde kaum hatte mit den beiden anderen gleichen Schritt halten können, griff plötzlich den bis jetzt sorgfältig im Arm gehaltenen Sack mit Gold auf, hob ihn in die Höhe und schleuderte ihn von sich, so weit er konnte.
»Teufelsgold!« schrie er dabei mit heiserer, fast röchelnder Stimme, »da lieg und faule, und möge der Erste, der dich findet und aufhebt, über dir verderben und verrotten. Fort mit dem Gift – es ist kein Segen darin, und so lange wir es bei uns haben, kommen wir aus dieser Wildniß nicht hinaus, in der uns ein böser Geist in der Irre umhergeführt.«
Der Mann war ganz rasend geworden; der Schaum stand ihm vor dem Mund, die Augen glühten ihm im Kopf, und seine Glieder zitterten wie im Fieberfrost.
»Nein,« sagte aber Bob, »das geht nicht, so gerade fort in den Busch wollen wir das Gold, das wir so lange geschleppt haben, auch nicht werfen. Komm, Ned, wir machen's, wie ich vorhin gesagt habe, und der Platz hier eignet sich vortrefflich dazu. Der kleine spitze Hügel, auf dem wir uns gerade befinden, ist leicht kenntlich, wenn man je wieder in diese Nachbarschaft käme, und etwas behält jeder davon zurück.«
Er machte sich jetzt daran, seinen Vorschlag auszuführen. Während ihm Ned aber das Gold willenlos überließ, hatte sich Jones auf die Erde geworfen und heulte nach Wasser und nach Menschen wie ein wildes Thier, ja schlug und trat um sich, als ihm Bob endlich ein klein Päckchen von seinem Gold wieder einhändigen wollte. Der junge Bursche steckte es dann selber für den Gefährten ein, verscharrte das Uebrige, so gut es gehen wollte, merkte sich, wie er glaubte, die Gegend vollkommen, und schnitt dann in die benachbarten Bäume quer über den Hügel hinüber Kerben. Das beendet, wollten sie wieder aufbrechen, Jones war aber nicht von der Stelle zu bringen. Er hob sich einmal auf die Füße, brach aber wieder zusammen, stöhnte nach Wasser und barg dann das Gesicht am Boden, dem heißen Luftzug, der immer drückender über die Berge strich, Linderung abzugewinnen. Die beiden Matrosen mußten ihn endlich liegen lassen, wo er lag. Bob schnitt aber vorher mit seinem Messer eine Anzahl Gumzweige ab und deckte sie über den Unglücklichen, ihn wenigstens gegen die Strahlen der niederbrennenden Sonne zu schützen. Sobald sie Hülfe fanden, wollten sie mit Wasser hierher zurückkehren und ihn und das Gold abholen.
Hülfe – den ganzen Tag wanderten sie und keine Aussicht auf Rettung zeigte sich. Die Sonne verdunkelte sich dabei mehr und mehr. Wie ein Hehrrauch lag es über den Bergen, der heiße Staub zog in Wolken über sie hin, und das Taggestirn stand wie eine glühende, mattrothe Kugel am Firmament, bis es endlich ebenfalls verschwand – die Nacht brach an und keinen Bissen zu essen hatten sie mehr, keinen Tropfen Thau selbst, ihre brennenden, aufgesprungenen Lippen zu kühlen. Anstatt daß ihnen die Nacht dabei Kühlung brachte, wurde es eher noch heißer und drückender; sie athmeten den glühenden feinen Staub, und selbst ihre Augen brannten wie Feuer. Die Nacht lag auch Ned in einem wilden, hitzigen Fieber, und schrie in seinem tollen Traum, daß sie verfolgt würden und daß der ganze Wald in Brand stände. Sein Ruf: »Feuer! Hülfe! Rettung!« gellte in markdurchschneidenden Tönen durch den Wald, und Bob saß dabei, den Kopf an einen Baum gelehnt, das Gesicht mit den Händen bedeckt und betete, daß ihn Gott nicht auch möchte wahnsinnig werden lassen.
So brach der Morgen an, aber keine Linderung mit ihm. Bob raffte sich auf und schüttelte den Kameraden; der aber kannte ihn nicht mehr, stieß ihn von sich und wühlte wie Jones sein Antlitz in den Boden. Bob selber fühlte, wie ihn die Kräfte verließen, aber die Angst der Verzweiflung, hier rettungslos verderben zu müssen, ließ ihn noch einmal seine Mattigkeit überwinden. Es flirrte ihm, als er aufstand, Alles vor den Augen – er sah die Sonne nicht mehr, die, wie sie gestern untergesunken, heute wieder matt und glühend emporstieg, und als sein Blick endlich zufällig darauf fiel und er sich der Richtung bewußt wurde, die er einschlug, wunderte er sich nur, daß sie heute, statt wie immer im Osten, im Westen aufging. Er kannte keinen Cours mehr, und als er fast unwillkürlich, wie er ging, die Bäume mit seinem Messer bezeichnen wollte, fiel ihm das aus der Hand, ohne daß er es gewahr wurde oder sich danach umgesehen hätte. Nur weiter, immer weiter taumelte er, jetzt aber immer nur zu Thale, denn einen Berg war er nicht mehr im Stande zu erklettern, bis er endlich ebenfalls, an Kraft und Muth gebrochen, zu Boden sank und nicht mehr weiter konnte.
Mit dem letzten Bewußtsein, daß ihm geblieben, wollte er sich eine Ader öffnen und das Blut trinken – nur noch einmal trinken, ehe er starb, aber er fand sein Messer nicht mehr. Er brachte den Arm an die Lippen, ihn aufzubeißen, aber die Sinne schwanden ihm dabei, ein Schlaf kam über ihn und der Arm sank matt an seinem Körper nieder, der Kopf auf die Wurzel des Baumes, unter dem er lag.
Wie lange er in dem Zustand geblieben, wußte er nicht, aber ein Gefühl der Kühle in seiner Kehle, über seinen Schläfen brachte ihn wieder zu sich. Es war Nacht und ein Mann kniete neben ihm und goß ihm mit einem Blechbecher Wasser in den Mund, während ein anderer ihm ein nasses, kaltes Tuch über Stirn und Schläfe legte. Neben ihnen loderte ein hohes, flackerndes Feuer.
Bob trank – oh, wie ihm das so kühl und erfrischend durch Mark und Adern strömte – er trank und trank und würde sich zu Tode getrunken haben, hätten ihn seine Retter nicht daran verhindert. Wohl einer Stunde bedurfte es aber, ehe er seiner Sinne wieder soweit mächtig wurde, den Leuten zu erzählen, wie er sich im Wald verirrt und wo er hergekommen, und er erfuhr jetzt auch, wo er sei, und wie er gerettet worden.
Das Letzte war einfach genug, denn kaum fünf oder sechs englische Meilen vom Turon, wo er niedergebrochen, hatten zwei Goldwäscher aus einem entfernten Bach, die sich ebenfalls vor dem heißen Wind nach dem Turon retten wollten, den leblosen, wenigstens bewußtlosen Körper des jungen Mannes im Busch gefunden und mit der Gegend hier vollkommen gut bekannt, ihn aufgepackt und bis zum nächsten Wasserloch, das dicht versteckt unter einem Felsen lag, niedergetragen. Der Turon selber lag, wenn sie dieser Schlucht folgten, keine zwei starke Stunden Wegs von da entfernt.
Bob erholte sich bald, und sein erster Gedanke war jetzt, die zurückgelassenen Kameraden zu retten. Davon wollten nun die beiden fremden Goldwäscher allerdings Nichts hören, denn sie meinten, sie seien nicht hier heraufgekommen, halbtodte Menschen im Wald herum zu schleppen. Als ihnen aber Bob von dem Golde sagte, und ihnen gleiche Theile mit ihnen zusicherte, gewann die Sache ein anderes Licht, und ihre Wasserflaschen gefüllt, machten sie sich jetzt auf den Weg, die Verirrten aufzusuchen. Der heiße Wind hatte überdies nachgelassen und ein frischer Südwind wehte kühl von der See herauf.
Vergebens brachten sie aber zwei Tage wieder in den Bergen zu. Von den zurückgelassenen Kameraden sowohl, wie von dem Golde war keine Spur mehr zu finden. Auch die Goldwäscher wollten keinen so spitzen Hügel in der Nachbarschaft kennen, wie ihn Bob denselben beschrieb. Am zweiten Tag war ihr Wasservorrath erschöpft, und nicht gesonnen, sich einer ähnlichen Gefahr auszusetzen, kehrten sie trotz Bobs Bitten, nur noch einen Tag daran zu wenden, zum Fluß zurück.
Vier Wochen später wurde von drei anderen Goldwäschern, die vom Turon aus eine kleine Excursion machten, neue Minen aufzufinden, ganz in der Nähe des Flusses, und kaum eine englische Meile davon entfernt, der halbvertrocknete Leichnam eines Matrosen gefunden. In seiner Nähe, und zwar vom Fluß fort, waren eine Anzahl Bäume eingekerbt. Sie untersuchten den Leichnam, aber er hatte nicht das mindeste Gold bei sich, und um ihn nicht an der freien Luft länger liegen zu lassen, gruben sie neben ihm mit ihrem Handwerkszeug ein Grab und legten ihn hinein. Das dicht dabei versteckte Gold hatten sie nicht gefunden. Ihrem Vermuthen nach mußte der Mann dort an der Stelle krank geworden und ohne Hülfe gestorben sein.
Bob kehrte in die Minen zurück und begann an einer anderen Stelle wieder zu arbeiten. Das damals gefundene Gold war zu verführerisch gewesen, die Hoffnung auf weiteres Glück so rasch und plötzlich aufzugeben; als er aber zwei volle Monate fast nur gearbeitet, sich selber am Leben zu erhalten, bekam er es satt, ging nach Sidney zurück und dort wieder an Bord des ersten Schiffes, das den Hafen verließ.
Der Capitain der Jane Douglas blieb noch einige Wochen in den Minen, bis seine Leute ebenfalls der Arbeit mit Spitzhacke und Schaufel müde wurden, engagirte sich dann gleich an Ort und Stelle unter den fortgelaufenen Leuten von anderen Schiffen eine volle Mannschaft, und konnte, während andere Capitaine noch im Hafen lagen und mit Schmerzen auf nur wenigstens halbzählige Bemannung harrten, seine Segel setzen und die gefährliche Nachbarschaft des Goldes wieder verlassen.
[1] Bush-ranger werden in Australien die in den Wald entflohenen Sträflinge genannt. – Bush heißt dort überhaupt der ganze Wald und ranger bedeutet einen umherstreifenden Menschen, also ein ganz bezeichnendes Wort für derartige Leute, das wir deshalb, da es sich nicht einmal in diesem Sinne gut übersetzen läßt, beibehalten wollen.
[2] Bündelmann heißen in Australien die Leute, die Arbeit suchend im Land umherziehen. Da sie natürlich kein großes Gepäck mitnehmen können, und ihr Eigenthum meist immer in einem kleinen Bündel auf der Schulter tragen, hat man ihnen diesen Namen gegeben. Die Meisten derselben sind übrigens entweder entlassene Sträflinge oder solche, die mit einem ticket of leave, d. h. Urlaubsschein, die Erlaubniß haben, sich selber ihr Brod zu verdienen. Ein solches ticket bekommen natürlich nur die, die den größten Theil ihrer Zeit schon verbüßt, und sich dabei musterhaft aufgeführt haben.
[3] Auf fast allen australischen Stationen verrichten Männer – gewöhnliche Arbeiter – das Kochgeschäft, die dann hutkeeper oder Hüttenwächter genannt werden.
[4] Damper ist das im australischen Busch gewöhnliche Weizenbrod, das ohne Hefe oder Sauerteig nur mit Wasser angeknetet und in der heißen Asche gebacken wird.
[5] mate die gewöhnliche Anrede im Busch und so viel wie Camerad – old cove alter Bursche.
[6] Make a light, mach ein Licht, für: sehen; flourbag, Mehlsack – Alles was weiß ist, in dem wunderlich gebrochenen und verstümmelten Englisch, das die Eingeborenen von den weißen Arbeitern lernen.
[7] Dingo: der australische wilde Hund oder Wolf.
[8] Der Name toh bedeutet in der Sprache einiger der Murraystämme zugleich Teufel und weißer Mann.
[9] Wallobi, kleine Art Känguruh.
[10] Die Casuarine, von den Engländern Sheoak genannt, ist ein in seinem Holz und seiner Rinde der Eiche ähnlicher Baum, der aber statt Blätter schachtelhalmähnliche Nadeln trägt. Er wächst in Australien an Plätzen, wo sich Wasser findet, wie auch in tropischen Gegenden, selbst auf den Südseeinseln.
[11] Lubra, Name für schwarze Frau.
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Seite 51
Er rief dann seine Lente herbei
Er rief dann seine Leute herbei
Seite 57
und wenn er ihn jetzt das Verlangte gab
und wenn er ihm jetzt das Verlangte gab
Seite 128
unter einem andern Baum, saß ein Fußreißender
unter einem andern Baum, saß ein Fußreisender
Seite 164
Da antwortetete eine Musketensalve vom Boote her
Da antwortete eine Musketensalve vom Boote her
Seite 228
das er von Marsden Point mitgenommen, so lange zu benutzten
das er von Marsden Point mitgenommen, so lange zu benutzen
Seite 305
Oh Susannah, dont you cry for me
Oh Susannah, don't you cry for me
D'ont you cry for me
Don't you cry for me
Seite 306
Oh Susannah, dont you cry for me
Oh Susannah, don't you cry for me
End of the Project Gutenberg EBook of Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen., by Friedrich Gerstäcker *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK INSELWELT. ZWEITER BAND. *** ***** This file should be named 46073-h.htm or 46073-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/6/0/7/46073/ Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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