The Project Gutenberg EBook of Kunst und Künstler Almanach 1909, by Various This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license Title: Kunst und Künstler Almanach 1909 Author: Various Release Date: February 9, 2015 [EBook #48211] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KUNST UND KÜNSTLER ALMANACH 1909 *** Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau, Jens Nordmann and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
1909
BRUNO CASSIRER, VERLAG, BERLIN
DRUCK VON W. DRUGULIN IN LEIPZIG
Vorwort. | Seite |
Hermann Schlittgen, Erinnerung an Wilhelm Leibl | 1 |
Eine autobiographische Note Adolf Menzels | 16 |
Max Liebermann, Zwei Holzschnitte von Manet | 23 |
Alfred Sisley: Über Landschaftsmalerei | 35 |
Jozef Israels: Rembrandt | 41 |
Edward Gordon Craig: Über Bühnenausstattung | 59 |
Max Liebermann: Erinnerungen an Karl Steffeck | 71 |
Maurice Denis: Aristide Maillol | 83 |
Aubrey Beardsley über Turner | 100 |
Anselm Feuerbach: Drei Briefe | 105 |
Mac Neill Whistler: Der rote Lappen | 117 |
Mac Neill Whistler: Wann ein Kunstwerk vollendet ist | 120 |
Francisco de Goya: Drei Briefe | 124 |
Christian Morgenstern: H. C. Andersens Silhouetten; Des Märchendichters Scheere | 132 |
Franz Krüger, Briefe an Karl Steffeck | 141 |
Karl Hagemeister: Karl Schuch | 148 |
Émile Zola: Edouard Manet | 164 |
Ferd. Georg Waldmüller, Aus seinen hinterlassenen Schriften | 177 |
Hans von Marées: Briefe | 193 |
Seite | |
Max Slevogt, Deckelzeichnung, farbig | |
Menzel, Aus Künstlers Erdenwallen | 17 |
Edouard Manet, Pariserin, Holzschnitt | 21 |
Edouard Manet, Olympia, Holzschnitt | 33 |
Rembrandt, Zeichnung | 39 |
Edward Gordon Craig, Zeichnung | 57 |
Max Liebermann, Zeichnung | 69 |
Aristide Maillol, Studie | 81 |
Aubrey Beardsley: Zeichnung zu E. A. Poe | 103 |
Anselm Feuerbach, Zeichnung | 115 |
M. N. Whistler, Mallarmé | 121 |
Francisco de Goya, Zeichnung | 129 |
H. C. Andersen, Silhouette | 139 |
Franz Krüger, „Maler Menzel“ | 145 |
Max Liebermann, Zeichnung | 161 |
Wilhelm Leibl, Selbstporträt | 175 |
Franz Krüger, Porträt einer Dame | 191 |
Wo Künstler über Kunst sprechen, da wird der Laie fast stets ruhige Objektivität und Vollständigkeit vermissen; ja, er wird oft noch verwirrter werden durch die leidenschaftlichen Einseitigkeiten der Produzierenden als er es schon war. Dennoch wird er nach einiger Zeit merken, dass ihn die einseitigen Ideen der Künstler mehr gefördert haben, als es sachliche Auseinandersetzungen eines Schriftstellers hätten tun können. Denn die Urteile der Künstler sind Willensäusserungen und es wohnt ihnen als solchen fortreissende Kraft inne. Es ist durchaus richtig, was Gottfried Keller einmal schrieb: „Die Literaten sind wohl nützlich für das Logische und Chronologische, das Graphische und Biographische, für das Einfügen des Festgesetzten; vor dem Gegenwärtigen, sofern es als neu oder überraschend erscheint, stehen sie in der Regel unproduktiv und ratlos, und die ersten Stichworte müssen immer von Künstlerkreisen ausgehen und sind daher meist parteiisch, welche Parteilichkeit von den Literaten, nachdem die erste Kopflosigkeit überwunden, weiter ausgesponnen wird, bis der Gegenstand der Vergangenheit angehört und einer verständigen Registrierung fähig geworden ist.“
Von solchen Gedanken geleitet, hat sich der Verlag entschlossen, einige der markantesten Aeusserungen von Künstlern über Kunst oder über andere Künstler, die im Laufe von sechs Jahren in der Kunstzeitschrift „Kunst und Künstler“ veröffentlicht worden sind, gesondert in diesem Almanach abzudrucken. Der Verlag glaubt, dass es den Lesern willkommen sein muss, die in verschiedenen Jahrgängen verstreuten Aeusserungen einmal zu bequemem Genuss und Vergleich beisammen zu haben. Es soll nichts Vollständiges gegeben werden, es wird in keinem Punkte eine systematische Uebersicht über das Wollen und Vollbringen der modernen Kunst dargeboten; was der Leser hier findet, gleicht vielmehr einem merkwürdigen Feuerwerk von Geistesblitzen, vom Zufall oft entzündet und gleich dann wieder erloschen. Aber man wird finden, dass die Strahlen leidenschaftlichen Erkenntnisdranges, die von diesen Künstlerworten ausgehen, sehr oft mit ihrem jähen Glanz in neue Welten hineinleuchten und den Geist so zu jener Selbstthätigkeit zwingen, die dem denkfrohen Menschen höchster Genuss ist. Wenn diese Proben daneben Diesen oder Jenen begierig machen sollten, die Zeitschrift kennen zu lernen, aus der sie stammen, so wird diese Nebenwirkung sehr willkommen sein. Das ist selbstloser gemeint als es klingt. Denn die Zeitschrift, die denselben Titel trägt wie dieser Almanach, folgt im grossen derselben Tendenz, wie dieses kleine Buch; auch sie will Freude an der Kunst und Liebe zu den Künstlern erwecken und immer dem Grundsatz folgen, dem dieser Almanach seine Existenz verdankt: die Künstler über sich und ihre Arbeitsleidenschaften zum Sprechen zu bewegen und so zu erreichen, dass sich die Ideen der Kunst an sich selbst immer von neuem entzünden, dass die „Stichworte“ immer rechtzeitig gegeben werden, worauf die andern Akteure der fortschreitenden Kultur nur warten, um in Tätigkeit zu treten.
DER VERLAG BRUNO CASSIRER
Im Sommer 1892 musste ich nach Aibling, um Moorbäder zu nehmen. Aibling war sonst ein langweiliges Nest; aber bei den Künstlern hatte es einen guten Ruf: Leibl wohnte dort, seit vielen Jahren. Ich war von jeher ein grosser Verehrer von Leibls Kunst gewesen; als junger Mensch nach München gekommen, gehörte ich zu einem kleinen Kreise, dem schon damals (es war im Jahre 1880) Leibl ein ganz Grosser war. Auch mein späterer langjähriger Aufenthalt in Paris, wo ich die moderne Kunst an der Quelle studieren konnte, that dieser Liebe keinen Eintrag; im Gegenteil: als ein „rocher de bronce“ stand Leibl gross und einzig in meiner Münchner Erinnerung.
Doch wusste ich von seinem Misstrauen gegen Kollegen; man hatte ja so viel über seine Menschenscheu erzählt. Deshalb kam mir auch gar nicht die Idee, dass ich ihn vielleicht kennen lernen würde.
Den Abend nach meiner Ankunft in Aibling promenierte ich auf dem Markt und freute mich über das originelle alte Rathaus mit dem gemütlichen hohen Dachstuhl; da kommt Sperl aus einer Seitengasse auf mich zugeschossen, Sperl, der einzige langjährige Freund und Kamerad Leibls. „Kommen Sie doch mit auf den Keller, Leibl ist auch da und wird sich sehr freuen!“ Das erlaubte ich mir stark zu bezweifeln, aber Sperl wurde dringend, stellte mir mit Sicherheit in Aussicht, dass ich nicht schlecht behandelt werden würde und so ging ich mit.
Die Bekannten Leibls waren schon versammelt, Aiblinger Honoratioren und Bürger, unter andern ein kunstsinniger Herr Justizrat und Baron, der später über Leibl einen ausgezeichneten kleinen Nekrolog im Aiblinger Tageblatt veröffentlicht hat, und der Kreistierarzt, dessen Freundschaft mit Leibl ihm ein seltenes Glück gebracht hat: er und seine ganze Familie wurden von Leibl in vielen kleinen Werken gezeichnet und gemalt; die Kinder in allen Lebensaltern, in Oel, in Kreide, in Bleistift, mit der Feder. Leibl, der auf der Jagd gewesen, kam erst spät auf den Keller. Er war in oberbayrischer Gebirgstracht, die ihm vorzüglich stand. Freundlich, wie einen alten Bekannten, begrüsste er mich. Wir kamen schnell[3] in ein Gespräch; gurgelnd und schwer in reinstem kölner Dialekt floss seine Rede. Ich habe das nie begriffen: seit seiner Jugend war er von Köln weggekommen, hatte fast ausschliesslich mit oberbayrischen Kleinstädtern und Bauern verkehrt und nicht ein Atom von seinem Kölner Platt war verwischt worden.
Bald wurden wir gute Freunde. Wenn wir zu dritt, Leibl, Sperl und ich, bei verschiedenen Schoppen guten Tyrolers allein hinten im Wirtszimmer sassen, vergass ich den Rheumatismus, der mich nach Aibling gebracht hatte. Hoch gingen da die Wogen der Kunstbegeisterung; Leibl taute auf und erzählte von seinen Anfängen, seinen Kämpfen. Sein Auge leuchtete, wenn von den alten Meistern geschwärmt wurde: Holbein, Rembrandt, Hals, Velasquez! — Der Plan einer Reise nach Madrid zu Velasquez wurde erwogen.
Schlecht, elend schlecht erging es den Modernen im allgemeinen und den Münchnern im besonderen.
Ich zeigte Leibl einmal die Lithographie von Daumier: ein Maler sitzt in der Landschaft vor seiner Staffelei, hinter ihm ein zweiter, ein dritter und so fort in endloser Reihe. — Der erste studiert die Natur, der zweite kopiert den ersten, der dritte den zweiten und so weiter.
„Sehen Sie,“ sagte Leibl lachend, „da haben Sie die ganze münchner Kunst.“
Leibl war weniger menschenscheu als kollegenscheu. „Was soll ich mir ihre schlechten Bilder ansehen, ich kann dann acht Tage lang nicht arbeiten.“
Die Fontainebleauer und Courbet waren seine Liebe. Von ihnen sprach er mit der grössten Begeisterung. Mit Courbet war er nach Paris gegangen, Courbet hatte ihn dort in seinen engeren Freundeskreis eingeführt, in revolutionärer Zeit, kurz vor dem Kriege. Im Hinterzimmer eines Cafés hatten sie sich versammelt, in dem leise gesprochen wurde. Von Zeit zu Zeit kam der Wirt herein und legte den Finger auf den Mund, wenn sich draussen etwas Verdächtiges zeigte. Die Napoleonische Polizeiwillkür stand in Blüte.
Mit wem er da zusammen sass, wusste Leibl nicht; er wusste nur das eine: es waren Künstler und Schriftsteller.
Courbet klopfte ihn dabei hier und da freundschaftlichst auf die Schulter: Gut Freund. Das empfahl Leibl bei der Tischgesellschaft. Leibl, der kein Wort französisch verstand, hatte keine Ahnung, wovon die Rede war. Nur in den Gesichtern der Leute las er, dass es etwas Unerlaubtes war, wovon gesprochen wurde.
Courbet besuchte Leibl öfter im Atelier, wo er damals „die Cocotte“ und die „alte Pariserin“ malte. Courbet erkannte ihn an: durch Schulterklopfen und kräftigen Händedruck.
Leibl hatte aus dieser Zeit eine grosse Sympathie für die Franzosen bewahrt; und später waren sie ja die ersten, welche seine Kunst verstanden und anerkannten.
Mit grosser Bitterkeit erzählte Leibl, dass in der ersten Zeit Bilder von ihm teilweise „verbessert“ wurden. Entweder hatte er sie nicht genug ausgeführt, dann wurden einzelne Stellen sauber übermalt, oder sie waren zu leer, dann wurde noch etwas hineingemalt, z. B. auf dem „Jäger“ (der junge Baron Perfall) hinten am Seeufer ein Boot und ein idyllisches Häuschen hinzugefügt.
(Nach Leibls Tode wurde Sperl ein Bild übersendet, er möge urteilen, ob das Bild echt sei. Sperl schrieb: das ganze Bild ist unecht, bis auf einen schmalen Streifen ringsum, welcher vom Rahmen verdeckt war.
Das Bild war ganz übermalt worden!)
Eines Abends erschien an unserm Tisch ein Kunstmaler. Wie gewöhnlich war Leibl sehr zugeknöpft gegen den Gast. Dieser, um sich gut einzuführen, begann: „Herr Professor, Sie werden sich wundern, in mir einen Mitarbeiter zu sehen.“ Leibl sah den Mitarbeiter scharf an.
„Ja, ich habe einmal auf eines Ihrer Bilder ein Stück Hintergrund hinein gemalt.“ (Dann schalkhaft:) „Sie hatten sich's hinten herum etwas leicht gemacht, so huschel-buschel.“
Leibl sprang auf und ich dachte, etwas Furchtbares müsste geschehen. Aber er beherrschte sich und ging hinaus in den Garten.
Als er nicht wiederkam, wurde ich ängstlich und suchte ihn draussen. Mit grossen Schritten ging er auf[6] und ab: „Ist der Mensch noch da? Ich schlage ihn nieder!“
Es gelang mir endlich, Leibl zu beruhigen. Der Gast musste sich aber für den Abend mit der Rückenansicht Leibls begnügen.
Der Ahnungslose flüsterte mir noch zu: „Leibl ist wirklich sehr unzugänglich.“
Einmal warm geworden, unterhielt sich Leibl gern von seiner Arbeit. Da er jeden Strich direkt nach der Natur machte, so hatte er oft mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die „politisierenden Bauern“ z. B. sind unter den denkbar schlechtesten äussern Verhältnissen entstanden. Niedrig, eng und schlecht beleuchtet war das Zimmer, in welchem er das Bild malte. Alle fünf Bauern mussten sitzen, auch wenn er nur an Nebensächlichem arbeitete. Leibl stand in der Thür und konnte kaum sehen, was er malte. Um seine Arbeit betrachten zu können, musste Leibl von Zeit zu Zeit ins Freie gehen. Manchmal schlief ein Bauer ein und brachte das Ensemble durcheinander.
Ueberhaupt musste er die Gesellschaft immer an Händen und Gliedmassen, wie Marionetten, zurechtrücken.
Die „drei Frauen in der Kirche“ hätte er beinahe unfertig stehen lassen müssen, nachdem er bereits zwei Sommer daran gearbeitet hatte.
Sein Freund, der Pfarrer, der ihn bestimmt hatte, vom Ammersee nach Aibling überzusiedeln, starb plötzlich. Und der Nachfolger verbot Leibl das Arbeiten[7] in der Kirche. Erst durch die Vermittlung eines sehr hohen Herrn wurde das Verbot zurückgenommen.
Leibl malte an diesem Bilde drei Sommer (nicht 10 Jahre, wie in münchner Künstlerkreisen allgemein erzählt wurde).
Da er meist in engen Bauernstuben arbeitete, in denen er nicht zurücktreten konnte, so „verhaute“ er sich oft in den Verhältnissen der Figuren. Die junge Bäuerin z. B. im Vordergrunde des Kirchenbildes, welche jetzt noch zu lang ist, war einmal noch länger. Sperl kam und sah es. Leibl musste das ganze Stück herauskratzen, eine Arbeit von drei Monaten.
Auf die „Wilderer“ hatte er grosse Hoffnungen gesetzt; das sollte wieder einmal ein grosses figurenreiches Werk werden. Die Hosenträger des vordern jungen Bauern reizten ihn besonders in der Farbe; er fing an, daran zu malen und wollte das Ganze danach stimmen. Das Modell, vor kurzem erst vom Militär gekommen, reckte sich fortwährend mit „Stillgesessen“ krampfhaft in die Höhe. So geriet die Figur bei Leibl furchtbar in die Länge. Sperl war gerade in München. Da besuchte ihn der alte Bauer, welcher für den Wilderer im Hintergrunde sass. Er war nach einem Ort bei München gewallfahrtet.
„Herr Sperl, mit dem Herrn Leibl geht's schlecht. Er bringt sein Bild net z'samm'. Er ist ganz auseinand!“
Sperl fuhr nach Aibling hinaus und sah das Unglück.[8] Zu ändern war da nichts mehr. Leibl hatte das Bild bereits für eine Ausstellung nach Paris versprochen und schickte es dorthin.
Im Cercle international bei Georges Petit sah ich es. Ich fragte Leibl später, was aus dem Bilde geworden wäre. Mit tiefer Niedergeschlagenheit, wie von einem grossen Unglück, erzählte er, dass er das Bild zerschnitten hätte, als er es wiedersah.
Einige Fragmente existieren noch davon und zeigen Leibls ganz wundervolle Charakteristik.
Mit dem Zerschneiden war Leibl immer schnell bei der Hand. Die verschiedenen Handfragmente, die man von ihm kennt, rühren alle von zerschnittenen Bildern her. Erbarmungslos wurde oft die Arbeit langer Monate vernichtet.
Hände zu malen war ihm das grösste Vergnügen; charakteristisch ist, dass bei den nach seiner Ansicht misslungenen Bildern die Hände immer gut waren, Gnade vor seinen Augen fanden und gerettet wurden.
Der Fehler, in den er oft verfiel, dass der Kopf zu klein wurde, kam wohl daher, dass er meist zu nahe am Modell sitzen musste. Auch auf dem Porträt des alten Baron Perfall in der Münchner Pinakothek fällt der etwas zu kleine Kopf auf; für mich sind die Hände das schönste auf dem Bilde, wahre Wunderwerke einfacher, köstlicher Malerei.
Eines Abends war in unsrer Gesellschaft eine Dame, an deren Händen Leibls Blicke wie gebannt hingen. „Solche wundervollen Hände, mein ganzes Leben[9] lang möchte ich nur Porträts mit Händen malen. Die Damen sitzen aber nicht ruhig, die Bauern sitzen besser. Dann muss man die Damen dabei unterhalten, das kann ich nicht. Ich muss doch bei den Bauern bleiben.“
Als ihm ein Bekannter aus Florenz die Photographie nach dem Triptychon des Hugo van der Goes schickte, geriet Leibl in helle Begeisterung über die Hände der Hirten.
Meisterhaft in ihrer Einfachheit war die Technik Leibls. Er war fanatischer Prima-Nass- in Nassmaler. Die zwei grossen Feinde waren das Einschlagen und das zu schnelle Trocknen der Farben. Er war überzeugt, dass die Alten ein Mittel besassen, um die Farbe lange nass zu erhalten. Was hat er nicht alles versucht! In nasse Tücher gegen die kühle Wand wurde das Bild gestellt, im Sommer wurde im Garten eine tiefe Grube gegraben als Nachtquartier für das Bild.
In fortwährender Sorge war Leibl, in welchem Zustande am folgenden Tage die Farbe sein würde; ging es nicht mehr, war sie schon zu trocken, dann wurde das ganze Stück ausgekratzt. Zwei scharfe Rasiermesser, die er bei dieser Gelegenheit mit grosser Meisterschaft handhabte und Spiritus waren die Mittel zur Vernichtung. Auf trockne Farbe zu malen, war ihm einfach unmöglich; für ihn war der schöne Guss der Farbe, die Reinheit, der Schmelz alles. Deshalb haben sich auch alle seine Bilder wundervoll erhalten.
Wenn über Böcklins Technik ganze Bände geschrieben werden konnten, so ist die von Leibl in wenigen Worten zu beschreiben. Von ihm existiert kein einziges gesprungenes Bild.
Die letzten 20 Jahre seines Lebens hat Leibl nur in Oel gemalt. Mitte der siebziger Jahre versuchte er sich in Temperamalerei; der „Offizier“ (Freiherr von Stauffenberg) auf der Münchner internationalen Ausstellung 1901 war in Tempera; dann hat er noch die Gräfin Fichler-Treuberg, deren herrliches Porträt in gestreiftem Kleid die Perle dieser Ausstellung war, ein zweites Mal in Tempera angefangen (das Bild ist verschollen), und als dritten und letzten Versuch malte er Langbehn in Tempera, den Verfasser von „Rembrandt als Erzieher“. Dieses Bild muss sehr schwarz geworden sein.
Leibl hatte viel Angst vor dem Firnissen. Bei dem Bilde Langbehns erlaubte Sperl, der immer sonst das Firnissen allein ausführte, Leibl einige Pinselstriche. Dabei kam Leibl in eine grosse Firnissierwollust hinein, so dass das ganze Bild von Firnis schwamm, der auf der Rückseite in grossen Tropfen herausrann.
Ueberhaupt war Leibl unpraktisch. Als er das wunderbare Bildnis seiner Mutter (mit den herrlichen Händen) mit der Feder zeichnete, war das Papier so miserabel aufgespannt, dass die alte Frau in helle Verzweiflung über die Zukunft ihres Sohnes geriet.
Leibls Palette war die denkbar einfachste.
Cremserweiss. | Cobalt. | |
Cadmium hell. | Terra di Sienna. | |
Cadmium dunkel. | Patentzinnober. | |
Ocker licht. | Krapplack. | |
Ocker dunkel. | Elfenbeinschwarz. | |
Manchmal: | ||
Gebrannter lichter Ocker. | ||
Goldocker. | ||
Sehr selten: | ||
Ultramarin. | ||
Preussisch Blau. |
Mancher Kollege wird hier eine Farbe vermissen, welche heute als fast unentbehrlich gilt: Vert Emeraude. Sperl und ich hatten sie ihm einige Male empfohlen, wir fanden die Tube später vertrocknet auf seinem Maltisch.
Moderne Maler wird es empören, dass Leibl Elfenbeinschwarz in das Fleisch nahm; ich kann die Tatsache aber leider nicht verschweigen.
Aufgezeichnet wurde das Bild mit wenigen Kohlenstrichen oder mit dem Pinsel und Elfenbeinschwarz; nur in den grossen Verhältnissen.
Wunderbar war es zu sehen, wie Leibl eine Figur, einen Kopf, eine Hand baute.
Welch enormes Können gehört dazu, ohne grosse Vorbereitungen ein Stück prima in dieser Meisterschaft zu vollenden. Jedes Material, das er in die Hand bekam, beherrschte er. War es Oelfarbe, Kohle, Kreide, Bleistift, die Radiernadel, Tinte; mit der[12] Feder, mit dem Pinsel, mit dem Finger hineingewischt: alles fügte sich seinem starken Willen.
Es war ein grosser Genuss, ihn in seiner ruhigen Kraft arbeiten zu sehen.
Bedächtig und langsam wurden die Töne gemischt, vorsichtig und bedächtig hingesetzt. Keine Aufregung, keine Zappelei, hervorgegangen aus Unzulänglichkeit. Ruhig, sicher und bewusst: ein ganzer, echter Meister.
Fing ein Stück an, einzuschlagen, dann kam Sperl und tränkte es mit seinen feineren, geschickteren Fingern vorsichtig mit Oel.
Aus einem ganzen Guss musste das Werk entstehen, ohne schmutzige, ohne blinde Stellen; das fertige Stück eine Augenweide, ein Anreiz für die spätere Arbeit.
Natürlich war diese Art des Schaffens nur möglich bei einem Künstler wie Leibl. Auch kannte er genau die Grenzen seiner Kunst. Lebhaft bewegte Figuren malte er nicht, alles war bei ihm ruhige Grösse.
Mitte der siebziger Jahre waren vier Meisterwerke von Leibl in München ausgestellt: Die Dachauerinnen, Die Cocotte, Ungleiches Paar und Dachauerin in Pelzhaube mit Kind. Mit Ausnahme des „Ungleichen Paars“, welches Defregger erwarb, ging alles ins Ausland. Munkaczy erstand die Dachauerinnen, die Dachauerin mit Pelzhaube kam nach Paris, für die Cocotte dauerte es lange, bis ein Liebhaber kam: der amerikanische Maler Chase.
Noch vor zehn Jahren hätte man für ein Butterbrot folgende Meisterwerke haben können: Die Pariserin (alte betende Frau), Tischgesellschaft, Bildnis des Bildhauers Schreibmüller und andere schöne Werke aus Leibls bester Zeit.
Auch Defregger hat vor einiger Zeit das „Ungleiche Paar“ verkauft; man liess es von München fortgehen und regte sich nicht auf. Die Aufregung spart man sich für die Zeit, in der es gilt, Bilder von fragwürdigen Tagesgrössen zu erwerben. Beim Tode Munkaczys verkaufte die Witwe die „Dachauerinnen“, Leibls wunderbarstes Maler-Werk, das heute in der Berliner Nationalgalerie ist.
Leibls Verbitterung gegenüber München war ungerecht. Wir haben ihn doch immer anerkannt.
Siehe oben.
Wenn man heute Gelegenheit hätte, in der Neuen Pinakothek nach der Durchwanderung der öden Säle, in denen die gute Kunst aus der neuesten Zeit so dünn gesät ist, in einem „Leiblzimmer“ mit den genannten Meisterwerken auszuruhen, welche Wohlthat wäre das!
In den späteren Werken Leibls spürt man deutlich eine gewisse Schwächlichkeit und Zaghaftigkeit. Die Kraft liess nach.
Eine Reise nach den Niederlanden rüttelte ihn noch einmal auf. Verjüngt kehrte er zurück. „Einen Grössern, als Franz Hals hat es nie gegeben und wird es nie wieder geben,“ schrieb er mir. Ich fuhr[14] damals ohne ihn nach Madrid, und ich glaube, er schrieb das, um sich damit zu trösten.
Als ich im vorigen Sommer wieder einmal nach Aibling kam, um Freund Sperl in seiner Vereinsamung zu besuchen, wurde das Atelier ausgeräumt; die Sachen sollten nach München zur Versteigerung kommen. Auf dem Fussboden lagen alte Briefe, zerrissene Zeichnungen, Leinwandreste, vernichtete Studien.
Auf dem Schranke standen zwei Gipsbüsten eines Kunsthändlers, welcher Leibl in den letzten Jahren für den Kunsthandel entdeckt hatte. Die beiden Gipsköpfe sahen scharf und forschend in das Chaos.
Unten am Boden lag eine heute kostbare Kunstgeschichte, in Stücke gerissen.
Ich erinnerte mich, wie Leibl sich über eine Stelle in dem Buche masslos aufgeregt hatte, in der es von Menzel geheissen hatte, er hätte nie geliebt.
Eine schöne schwarze Marmortafel haben die Aiblinger an dem Kaufmann Mayerschen Hause am Marktplatz angebracht, darauf mit Goldschrift zu lesen ist, dass in diesem Hause der berühmte Maler Wilhelm Leibl aus Köln am Rhein viele Jahre wohnte und 56 Jahre alt geworden ist.
Grösser wäre die Ehre gewesen, wenn die Tafel im Rathaus angebracht worden wäre, denn da gehören die Männer hin, welche sich um die Stadt ganz besonders verdient gemacht haben. Die Stadträte haben in ihrer Weisheit erwogen und beschlossen, dass dies Leibl nicht gethan hat.
Deshalb musste er hinaus, ins Freie, auf den Markt. Es ist auch besser so.
Als die guten Aiblinger nach Leibls Tode all' die schönen Aufsätze in den Zeitungen lasen, wurde es ihnen aber doch etwas bange ums Herz: „Haben wir ihn auch genug zu schätzen gewusst?“ Ja, wer hätte denn auch gedacht, dass er ein so grosser Meister wäre. Er kam ja so einfach daher, wir liebten ihn und wussten, darin steckt etwas Tüchtiges. Aber dass er ein so grosser Mann war, wussten wir nicht. Ueber alle grossen Meister in München drinnen wird doch so ausgiebig in den Zeitungen berichtet. Und bei unserm Leibl haben sie gar nichts geschrieben. „Herr Professor“ ist er ja geworden, aber erst in späten Jahren. Auch einen Orden hat er bekommen. Vierter Klasse sogar.
Aber die in München drin, die müssen doch viel grössere Meister sein. Man braucht sie nur zu sehen, wie sie daher kommen.
Einfach und still war es bei Leibls Begräbnis. Manche offizielle Stelle, manche Künstlervereinigung vergass eine kleine Ehrung für den Meister. Freilich: er war ja nur „ein guter Handwerker“.
Möchten wir alle doch etwas von diesem guten Handwerk erlernen!
Früh erwachter Kunsttrieb machte sich … in so
ausschliesslicher Weise geltend, dass der Vater sich
bestimmen liess,… Pläne aufzugeben. Die Ergebnisse
einiger Versuche, mich nunmehr in die Förderung
künstlerischer Schulung einzuführen, blieben hinter
gehegten Erwartungen zurück. Fand ich doch Erbauung,
Belehrung, höchsten Genuss in oft stundenlangem
Verweilen in Sonnenbrand und Schnee vor
ein paar kleinen Schaukästen italienischer Kupferstichhändler
— das schon: die Sixtina, das Abendmahl,
Schule von Athen, Heliodor und was nicht alles noch
verschlingen zu können!!! Und wie manch Andachtmartyrium
ward in der Kirchen ehrwürdiger Nacht,[17]
[18]
[19]
hinter Staub und Kerzenqualm, für die Knabenphantasie
zum Meisterwerk umgezaubert! Beiher wurde
Fortbildung nicht etwa vernachlässigt. Der Büchertrödel
erschloss mir „Damms Götterlehre“, auch manch
andere Aesthetica.
In römischer Geschichte hatte ich schon auf der Schulbank festen Fuss gefasst. Virginias Tod beschäftigte mich auf das Lebhafteste, noch vielmehr als vorher die Allüren des Metellus. Jetzt ward auch der ganze Olymp porträtiert, versteht sich, in ganzer Figur, in Kontur und als Plastik gedacht! Streng ohne Augäpfel; ich tat mir hierin einige Gewalt an. Innerhalb dieser Zeit nahm ich auch bereits teil an der Geschäftstätigkeit durch Zeichnen. Diesem Treiben, das dem Auge jedes regulär Gesinnten doch nur als ein wildes erscheinen konnte, musste ein Ende werden.
Wesentlich also um für mich die Gelegenheit zur künstlerischen Ausbildung zu gewinnen, führet mein Vater die Uebersiedelung von Breslau nach Berlin aus. Hier in diesem neuen Horizont, unter dem Eindruck der öffentlichen Monumente — Schlüter, Rauch, Schadow — und auch was die Schaufenster in so anderer Fülle boten — setzte das alte Leben sich fort, freilich so viel fruchtbarer für mein Lernen! Vorzugsweise an Chodowiecki.
Da, im Januar 1832, versetzte der schnelle Tod meines Vaters mich in die Lage der Selbständigkeit. Statt nun in meiner Hilflosigkeit (16 jährig) nach Unterstützung zur Förderung meines künstlerischen[20] Strebens auszuschauen, zog ich es vor, den geplanten Besuch der Akademie aufzuschieben und nur dem Erwerb zu leben, darin aber, mochte das Jedesmalige wie bisher gleichviel wie geringfügig sein, so gut ich konnte, und viel besser als nötig und verlangt wurde, zu leisten.
Ostern 1833 meldete ich mich dann (ohne Sehnsucht), um es doch zu thun, zur Akademie, frequentierte dieselbe nur sehr lückenhaft, und blieb gegen Ende des Jahres ganz fort. Ich will damit das damalige Lehrwesen nicht schelten; es konnte nicht anders sein. Ich hatte mir das alles schon auf anderem Wege angeeignet, hatte schon meinen ersten öffentlichen Erfolg — Weihnachten 33. „Künstlers Erdenwallen“, freie Illustration nach Goethe, schaffte mir, dem in der Künstlerwelt noch ganz verborgen Gebliebenen, sofort die einstimmige Aufnahme in den Künstlerverein, 22. Februar 34...“
Einen erläuternden Text zu den wunderschönen Reproduktionen nach Manet? Qui bono? Wer Manet versteht — und ihn daher liebt — braucht keine Erläuterungen, und wer ihn nicht versteht, noch viel weniger.
Auch Holzstöcke scheinen ihr Schicksal zu haben. Während der Holzschnitt der Olympia erst wieder durch Duret ans Tageslicht gezogen wurde, ist das Porträt der Dame, die den Kopf auf die Hand stützt, verschwunden gewesen: ebenso wie die Olympia hatte Manet das Porträt für ein Journal gezeichnet, das vor der Veröffentlichung der Zeichnung einging. Der[24] Holzstock ist verloren gegangen und nur ein Probedruck hatte sich erhalten, und nach ihm hat derselbe Xylograph, der seinerzeit Manets Zeichnung geschnitten, einen zweiten Holzstock hergestellt. Beide Holzschnitte sind im Original wiedergegeben: wir haben also Manets Handschrift vor uns. —
Wenn ich früher einmal Zeichnen als die Kunst wegzulassen, definiert habe, so könnte ich keine besseren Beispiele für diese Definition auswählen, als die vorliegenden beiden Holzschnitte.
Alle Kunst ist Form und alle Form: Vereinfachung.
Wie die tausend Formen und Flächen des Gegenstandes, den der Künstler darstellen will, sich in seinem Kopfe zu wenigen, charakterischen vereinfachen, während seine Hand sie niederschreibt: das bildet den Zeugungsprozess eines jeden Kunstwerkes. Weder der Kopf allein, noch die Hand ohne Kopf können ein Kunstwerk hervorbringen; beides ist, wie die Seele mit dem Körper, verbunden. Der Kopf ist der Vater, die Hand die Mutter, und nur die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder sind legitim, d. h. echte Kunstwerke.
Aber in den bildenden Künsten sind Inhalt und Form nicht nur, wie in den andern Künsten, untrennbar, sie sind auch in der philosophischen Bedeutung des Wortes identisch: ihr Inhalt ist die Form.
Natürlich können Malerei, Plastik oder Architektur — die man sogar gefrorene Musik genannt hat — poetische oder musikalische Gefühle in uns hervorrufen,[25] aber sie dürfen sie nur durch die einer jeden der bildenden Künste eignen Ausdrucksmittel hervorrufen wollen. Sonst macht der Maler oder Bildhauer bei der Poesie oder Musik Anleihen, die er mit den rechtmässigen Mitteln seiner Kunst nicht bezahlen kann.
Manet ist „Nur-Maler“. Er malt ebensowenig Poesie wie Musik; worüber die sogenannten Gebildeten aller Nationen quittierten, indem sie ihn gleichermassen verabscheuten, und wohl immer noch verabscheuen, wenn sie sich jetzt auch schämen, es einzugestehn.
Manet so recht verstehn kann wohl nur der Maler, und auch nur der, welcher in der Wiedergabe der Natur das A und O der Malerei sieht; was freilich der moderne Maljüngling, und noch viel mehr der moderne Kunstskribifax für einen überwundenen Standpunkt hält. Wie jener Maler, den Einer fragte, warum er aus einem Naturalisten ein Symbolist geworden, antwortete: „nach der Natur malen ist zu leicht“. Ja! nach der Natur malen kann heutzutage fast jeder Malklassenschüler, beinahe so gut wie Manet, jedenfalls viel zu viel à la Manet.
Und sind doch keine Manets worden!
Bei der Wahl seiner Themata — er malt einen Schinken oder ein Blumenbouquet, Pfirsiche oder eine Melone, Fische oder eine Brioche, Porträts, männliche und weibliche, oder einen Akt wie die Olympia — ist es klar, dass das Aussergewöhnliche nicht in seinen[26] Sujets liegt. Manets Kunst beruht also, wie die eines jeden echten Malers, in seiner neuen Auffassung. Der eigentliche Maler sucht nichts Neues zu malen, sondern das Alte neu zu malen. Ueberhaupt ist es ganz gleichgültig, ob der Künstler ein schon tausendmal dargestelltes Thema behandelt oder ein funkelnagelneues — was übrigens schwer zu finden sein dürfte — da es in der Kunst nur darauf ankommt, dass das Thema in persönlicher und daher neuer Weise dargestellt wird. Wenn Einer einen Rosenstrauss oder einen Schinken so persönlich wie Manet zur Darstellung bringen kann, so ist er, wie es in der Kunstgeschichte heisst, ein bahnbrechendes Genie: denn indem er neue Reize an dem Schinken entdeckt und dargestellt hat, hat er das Bereich der Malerei erweitert.
Der Maler sucht überhaupt nicht, sondern er findet. Er empfängt, wie Schiller von Goethe sagt, sein Gesetz vom Objekt. Tausend Maler haben einen liegenden Akt oder ein Damenporträt gemalt: dass Manet den Akt oder das Porträt in dieser Einfachheit sah und für diese Vereinfachung die adäquate Form fand, darin liegt sein Genie.
Nicht in seiner Maulfaust, sondern in seiner malerischen Phantasie liegt seine Grösse. Er sieht malerisch: er weiss aus dem Frauenkörper das Typische herauszuholen, ohne die momentanen und zufälligen Reize, die die Natur bietet, einzubüssen. Er malt nicht nur, wie der „akademische Maler“, was er gelernt[27] hat, was er kann, sondern wie der wahre geborene Maler, was er sieht. Aber er ist auch ein Poet dazu, denn die Idee „verdichtet“ sich unter seinem Pinsel zur plastischen Form. Daher das Verblüffende des Eindrucks eines jeden Striches Manetscher Kunst: die Form, die er uns zeigt, hat nur er gesehen.
Es ist daher der grösste Unsinn, Manets Bedeutung in seiner Technik zu sehen, wie wir's täglich zu lesen bekommen — und welcher Unsinn würde nicht gedruckt! — als wäre er ein virtuoser Maler gewesen, nur ein äusserlicher Kopist der Natur. Man vergleiche nur einen nach der Natur photographierten Akt mit der Olympia, um — was aus dem Bilde natürlich noch viel deutlicher als aus dem Holzschnitte hervorgeht — zu erkennen, dass nie ein Maler einen Frauenkörper weniger von der Natur „abgeschrieben“ hat: weder Tizian noch Rembrandt noch Velasquez haben einen Akt persönlicher aufgefasst.
Aber ebensowenig wie die Natur hat Manet die Alten kopiert. Die liegende Venus des Velasquez in der Sammlung Morrit hat viel mehr Verwandtschaft mit Tizian, als die Olympia mit Velasquez.
Manet hat mehr als je ein Maler vor ihm oder nach ihm die konventionelle „schöne Form“ vermieden: die ganze Pose, die Linie, der Rhythmus in der Bewegung — um von der Malerei ganz zu schweigen — sind in der Olympia ebenso wie in dem Damenporträt so momentan, so ungezwungen, als hätte er das Modell in einem unbelauschten Augenblicke[28] gesehn und gemalt. Daher das Ueberraschende, das Frappierende, dass wir beim ersten Anblick jeder Arbeit von Manets Hand, sei es Oelbild, Pastell, Aquarell, sei's Radierung, Lithographie oder Zeichnung, die Empfindung haben, als hätten wir Aehnliches nie zuvor gesehn.
Und dieses Wunder sollte die Hand vollbringen können? Nein, nur der Geist vermag Geist zu erzeugen, nicht aber die Hand oder der Körperteil, der uns von der Natur zum Sitzen gegeben ist.
Manets Technik, weit davon entfernt, Virtuosität zu sein, ist — wie es bei jedem echten Künstler sein muss — der Ausfluss und der Ausdruck des innerlich Geschauten. Nach der Vorschrift, die der alte Hippokrates dem Arzte giebt, lässt uns Manet aus dem Sichtbaren das Unsichtbare erkennen. Wie der wahre Maler geht er stets von der Erscheinung aus, nicht aber — wie das leider nicht nur bei deutschen Künstlern geschieht — umgekehrt, sucht er für den Gedanken die plastische Form. Er will nicht grosse, philosophische Gedanken in Malerei umsetzen, sondern er sucht das Einfachste, was freilich das Schwerste — die Natürlichkeit und — mit einer leichten Umschreibung der Worte Merks an Goethe — möchte ich sagen: er sucht nicht das sogenannt „Malerische“, sondern er fasst das Leben malerisch auf: die höchste Aufgabe des malenden Künstlers.
Es versteht sich von selbst, dass der Maler desto mehr die Ausdrucksmittel seiner Kunst beherrschen[29] muss, je mehr er sich auf die Malerei beschränkt, d. h. je mehr er auf literarischen Inhalt verzichtet, und wir müssen schon bis auf Velasquez und F. Hals zurückgehen, um einen „Malermeister“ wie Manet zu finden.
Aber selbst Justi, der berühmte Verfasser des Velasquez, nennt noch Manet in seinem Pamphlet gegen die moderne Kunst (das, obgleich oder richtiger weil es nur als Manuskript gedruckt ist, in aller Händen ist) einen geistreichen Skizzisten. Was freilich nicht geschimpft ist, wenn damit gesagt sein soll, dass Manets Bilder die Frische der Skizze, die leider im Bilde fast immer verloren geht, bewahren.
In der Skizze feiert der Künstler die Brautnacht mit seinem Werke; mit der ersten Leidenschaft und mit der Konzentration aller seiner Kräfte ergiesst er in die Skizze, was ihm im Geiste vorgeschwebt hat, und er erzeugt im Rausche der Begeisterung, was keine Mühe und Arbeit ersetzen können. Im längeren Zusammenleben mit seinem Werke erkaltet die Liebe, und der Künstler sieht zu seinem Schrecken, daß das Bild nicht hält, was die Skizze versprochen hat.
Aber Justi verbindet mit dem Worte „Skizze“ einen Vorwurf; er meint, dass Manet — und die moderne Kunst überhaupt — keine vollendeten Werke geschaffen hat. Freilich hat Manet seine Bilder nicht vollendet wie Metsu, Mieris oder Meissonier. Aber hat er deshalb weniger vollendet? Ist etwa die berühmte Kürassier-Attacke von Meissonier durchgeführter? Allerdings sieht man jedes Hufeisen der[30] Pferde, jedes Glanzlicht auf der Nase der Reiter, jeden Strohhalm des Kornfeldes. Nur leider fehlt die Hauptsache: das Stürmen und Dahersausen der Kürassiere, es fehlt das „hurre, hurre, hopp, hopp, hopp, ging's fort im sausenden Galopp“. Wie Manet ebenso treffend wie boshaft vor dem Bilde sagte: alles ist wie aus Erz, bis auf die — Kürasse. In einem Bildchen, nicht grösser als eine Seite von „Kunst und Künstler“ hat Manet ein Wettrennen gemalt. Drei oder vier Jockeys, ganz von vorn gesehen, die auf den Beschauer losjagen. Man fühlt das Vorbeisausen der Pferde, wie die Jockeys sie zur höchsten Schnelligkeit im Laufe anspornen, und obgleich man kaum die Beine der Pferde oder die Köpfe der Reiter sieht, ist Manets Bild im Eindruck viel vollendeter als das Meissoniers, wo jeder Pferdehuf, ja fast jeder Nagel im Hufe zu sehen ist.
Freilich malt Manet nicht wie Velasquez, und das ist ein Glück, denn sonst hätten wir ein Genie weniger und nur einen lumpigen Nachahmer mehr. Manet hat uns etwas Eignes zu sagen: daher hat er seine eigne Sprache, die zu verstehen wir erst lernen müssen, denn nur das Gemeine wird allgemein und sogleich verstanden. Er malt keine Kunststücke, sondern Kunstwerke; keine Spur von Kalligraphie.
Ausführung heisst nicht Ausführlichkeit. Kunst giebt nicht breite Bettelsuppe, sondern Extrakt. Manet macht keinen Strich zu viel, aber auch keinen zu wenig, ein jeder ist notwendig. Man betrachte die beiden Holzschnitte: jeder Strich „zieht“; er modelliert[31] mit dem Kontur, mit der Linie weiss er das Schwellende des Körpers wiederzugeben, mit zwei dunklen Punkten das Funkelnde der Augen. Der Körper leuchtet. Und die Verteilung von Schwarz und Weiss: der ganze Raum ist angefüllt von „Licht und Luft und bewegendem Leben“ — daher die Grösse des Eindruckes auch bei dem kleinsten Format.
Darin beruht die Poesie der wahren Malerei: mit den ihr eignen Ausdrucksmitteln, d. h. mit der Zeichnung und Farbe das Gefühl von Licht und Luft uns vorzuzaubern; sonst ist sie vielleicht Poesie oder Musik, keinesfalls aber Malerei.
Wie jeder wahre Maler, ist Manet vom höchsten sinnlichen Reize. Die Mathematik in seiner Kunst ist völlig versteckt. Aber hinter der scheinbaren Zufälligkeit verbirgt sich die vollkommenste Kunst der Komposition und die Kultur der Holländer, Spanier und — last not least — der Japaner.
Was er macht, ist eine Freude anzuschauen; jedem Material weiss er seinen geheimsten Zauber zu entlocken: welche Sattheit der Farbe, welche Fülle des Tons selbst in diesen kleinen Schwarz-Weiss-Blättchen; diese Kraft und dabei die Zartheit! Die wunderbaren Aktzeichnungen Rembrandts im Amsterdamer Kupferstichkabinett fallen mir ein: nur Rembrandt wusste mit so wenigem so viel zu geben!
Und das sollte keine Kunst sein? Weil die Alten es anders gemacht haben?
Wer das behauptet, beweist nur, dass er von alter Kunst ebensowenig versteht wie von moderner.
Denn es giebt nur eine Kunst: die lebt, ob sie alt ist oder modern. Was jung geblieben an der alten Kunst, wird an der modernen Kunst jung bleiben. Das übrige veraltet.
Wer aber an der alten Kunst anderes schätzt als das Leben, läuft Gefahr, nicht das Werk der alten Meister zu schätzen, sondern in den meisten Fällen nur das Werk des Restaurators.
Aperçüs über Kunst niederschreiben, was man heutzutage so etwa sein ästhetisches Glaubensbekenntnis nennt: das scheint mir eine recht heikle Sache zu sein, und wenn ich es versuche, muss ich gleich an Turner denken und an eine Anekdote, die mir von ihm erzählt wurde. Er ging von ein paar befreundeten Malern fort, wo nicht schlecht über Malerei gerauft worden war. Im Innern hielt natürlich jeder seine Kunst für die beste, äusserlich versuchte aber jeder, diese Vorliebe hinter grossen Worten und schönen pompösen Theorien zu verbergen. Während der ganzen Diskussion hatte Turner kein Wort geäussert.[36] Auf der Strasse erst wendete er sich an einen Freund, der ihn begleitete, und sagte: „Eine zu komische Sache, die Malerei, was?“
Denselben Widerwillen, den Turner empfand, Theorien aufzustellen, empfinde auch ich und glaube, dass es tausendmal leichter ist, mit dem grossen Mund ein Meisterwerk zu schaffen, als mit dem Pinsel oder einem anderen Material.
Doch ohne irgend welchen Anspruch darauf zu erheben, eine Art Vortrag über die Landschaftsmalerei zu halten, werde ich ganz einfach sagen, was ich darüber denke.
Das Interesse an einem Bilde beruht auf verschiedenen Ursachen.
Das Sujet oder das Motiv muss stets in einer für den Beschauer einfachen, verständlichen und packenden Weise wiedergegeben werden.
Der Maler muss den Beschauer zwingen durch Fortlassen alles überflüssigen Details denselben Weg mit ihm zu gehen und sofort das zu sehen, was den ausübenden Künstler gepackt hat.
Auf einem Bilde giebt es immer ein Eckchen, das man besonders liebt.
Dies bildet einen besonderen Reiz von Corot und auch von Jongkind.
Neben dem Sujet liegt das Hauptinteresse innerhalb der Landschaftsmalerei in dem Leben und in der Bewegung.
Und darin liegt zugleich auch die Hauptschwierigkeit.[37] Seinem Werke Leben einzuhauchen, ist die unerlässliche Bedingung für den echten Künstler. Alles muss dazu beitragen: die Form, die Farbe, die Ausführung. Die Erregung des Schaffenden erzeugt das Leben und erweckt dieselbe Erregung beim Beschauer.
Und obgleich der Maler über seinem Werke stehen soll, so muss in gewissen Momenten die Ausführung leidenschaftlich sein, um dem Beschauer die Erregung zu suggerieren, die der Künstler empfunden hat.
Daraus sehen Sie, dass ich für eine verschiedenartige Ausführung auf ein und demselben Bilde bin. Das ist nicht die landläufige Meinung, doch glaube ich recht zu haben, hauptsächlich wenn es sich darum handelt, Lichteffekte wiederzugeben. Denn die Sonne mildert manche Teile der Landschaft und hebt andere kräftiger heraus, und diese Lichtwirkungen, die sich in der Natur beinah materiell nachweisen lassen, müssen auch materiell auf der Leinwand wiedergegeben werden.
Es ist wichtig, dass die Gegenstände richtig und fest aufgebaut sind, absolut notwendig ist aber, dass sie von Licht umflutet dargestellt werden, wie sie es in der Natur sind.
Der Himmel muss das Mittel dazu sein. Er darf nicht nur als Hintergrund behandelt werden. Er hat nicht allein die Aufgabe, dem Bilde Tiefe durch seine verschiedenen Pläne zu geben — denn auch der Himmel hat Vorder-, Mittel- und Hintergrund wie das Terrain — sondern er belebt es auch durch seine Wolkenbildungen.
Giebt es etwas Herrlicheres und Bewegteres als einen blauen Himmel mit leichten weissen Wölkchen, wie man ihn oft im Sommer sieht? Welche Bewegung, welcher Schwung darin, nicht wahr?
Er hat dieselbe Wirkung wie die Welle, wenn man auf dem Meer ist: man wird begeistert, hingerissen. Und ein anderer Himmel, später, am Abend. Die Wolken dehnen sich länger, fliessen zusammen wie das Wasser am Kiel des Schiffes; sie scheinen in der Luft erstarrte Wirbel zu sein, bis sie nach und nach, von der untergehenden Sonne eingesogen, verschwinden. Solch ein Himmel ist noch zärtlicher, melancholischer; er hat den Reiz der Dinge, die Abschied nehmen, und ich liebe ihn ganz besonders.
Nun will ich aber nicht etwa alle Himmel aufzählen, die dem Maler lieb sind. Ich habe hier nur von solchen gesprochen, die mich vor allen andern anziehen.
Auf diesen Teil des Landschaftsbildes bin ich so ausführlich eingegangen, um Ihnen zu beweisen, welchen grossen Wert ich darauf lege.
Als Fingerzeig diene: ich fange immer ein Bild mit dem Himmel an.....
Welches meine Lieblingsmaler sind? Um nur von den Zeitgenossen zu sprechen: Delacroix, Corot, Millet, Rousseau, Courbet — unsere Meister. In kurzen Worten: alle jene Künstler, die die Natur geliebt und stark empfunden haben!
Es war so etwa gegen die Hälfte des vorigen Jahrhunderts, dass ich nach Amsterdam ging, um mich unter der Leitung des damals sehr renommierten Porträtmalers Krusemann zum Maler auszubilden. Bald erhielt ich Zutritt in das Atelier meines Meisters und sah mit Bewunderung die Porträts von vornehmen Personen Amsterdams, an denen er gerade arbeitete. Die Rosafarbe der Gesichter und die feine Behandlung der Stoffe, die sich manchmal vor einem Hintergrund mit dunkelrotem Sammet abhoben, gefielen mir sehr. Als ich den Wunsch ausdrückte, einige dieser Porträts kopieren zu dürfen, wurde mir dies von meinem[42] Lehrmeister rundweg abgeschlagen. ‚Wenn Du kopieren willst,‘ antwortete er, ‚dann gehe nach dem Museum im Treppenhaus.‘ Ich wagte nicht, es einzugestehen, dass dies eine grosse Enttäuschung für mich war, ich war so grasgrün aus der Provinz gekommen und die alten Meister waren für mich noch ein Geheimnis, denn ich konnte in den alten Gemälden und in dieser dunkeln Leinwand die Schönheit nicht entdecken, die von jedermann gerühmt wurde, für mich waren die Ausstellungen in ‚Arti‘ viel schöner und ich bewunderte besonders Pienemann, Gallait, Corot und Kukuk. Nicht, als ob ich so viel rückständiger gewesen wäre als die andern, aber es fehlte mir Studium und Uebung, ohne die man das Fremdartige und so ungemein Künstlerische der holländischen Meister nicht begreifen kann, und ich behaupte heute noch, dass man, mag man noch so intellektuell sein, diese grossen Alten nicht nur so ohne weiteres geniessen kann, wenn man sie nicht viel und oft gesehen und sich in ihre Kunst eingelebt hat. Es dauerte lange, ehe ich den Mut hatte, mich mit Farbe und Pinsel nach dem Heiligtum zu begeben, aber, nachdem ich eine Zeitlang viel nach der Natur gemalt, viel Nacktstudien und noch viel mehr Stilleben gemacht hatte, ging mir ein Licht auf. Ich begriff, dass es nicht die gefällige zarte Behandlung des Stoffes sei, was erreicht werden müsse, sondern dass ich zuerst auf das Relief der Gegenstände, auf die Haltung der Figuren in ihrem Verhältnis zu Licht und Schatten,[43] ihre Gebärden und Bewegungen zu achten hätte. Mit dieser Ueberzeugung besuchte ich das Treppenhaus. Hier wurde mir allmählich deutlich, worin die Schönheit und Wahrheit dieser bewundernswürdigen alten Meister eigentlich bestand, denn ich merkte, dass ihre so einfachen Vorwürfe durch ihre Behandlung reich und vielsagend wurden. Sie waren Genien, ohne es selbst zu wissen, und die sie umgebende Welt wusste es damals auch nicht.“
(Nachdem Israels es zuerst mit einem kleinen Gemälde von Gerard Dou und dann mit einem Kopf von van der Helst versucht hatte, ohne davon befriedigt zu sein, wandte er sich zu einem der Köpfe der Staalmeesters.) „Der Mann in der Ecke links mit seinem spitz zulaufenden Hut und seinen grauen Haaren hatte es mir angethan. Ich fühlte, dass hier etwas sei, dessen Schönheit ich wiedergeben konnte, wiewohl ich alsbald sah, dass die Bearbeitung eine ganz andere sein musste, als bei meinen bisherigen Versuchen; aber das Verlangen, dieses Neue und Breite zu erreichen, zog mich derart an, dass ich beschloss, es zu wagen. Wie diese Kopie geworden ist, weiss ich nicht mehr, wohl aber weiss ich, dass sie jahrelang in meinem kleinen Malerkämmerlein gehangen hat. So trachtete ich, das Kolorit und die Behandlung des grossen Künstlers zu erfassen, bis endlich die Schönheiten der Nachtwache und der Staalmeesters mich so beherrschten, dass mich überhaupt nichts mehr anzog, was nicht die Hand des grossen Rembrandt[44] geschaffen hatte. In seinen Werken sah ich etwas, was ich bei den anderen nicht fühlte: es war seine Freiheit und Ungezwungenheit, die ich bewunderte und die auf der Zeichenakademie und im Atelier meines Lehrmeisters verpönt waren.
Hatte ich nun eine Zeitlang Rembrandts Gemälde von allen Seiten betrachtet, dann ging ich in den unteren Stock des Treppenhauses, wo sich die sogenannte Prentenkamer befand. Hier waren Rembrandts Radierungen in ausgezeichnetem Zustande zu sehen. Oft und immer sehr lange sass ich da, um mich in diese 240 Kunstwerke zu vertiefen, häufig mahnte mich der Konservator zur Vorsicht, wenn ich die Blätter allzu eifrig umschlug, um sie miteinander zu vergleichen. Ich war erstaunt, dass der Künstler, der die ruhmreiche Nachtwache und die breiten Staalmeesters mit Farben geschaffen hatte, hier als ein ausgezeichneter Stecher erschien, der nicht nur mit der Kraft und der Leichtigkeit eines echten Führers des Pinsels ausgestattet war, sondern alles beherrschte, was die Nadel auf dem harten, glänzenden Kupfer hervorzubringen im Stande war. Es war aber nicht diese aussergewöhnliche Kunstfertigkeit, welche mich bei diesen Radierungen so fesselte, noch viel mehr wurde ich durch die erfinderische Vielseitigkeit der Vorstellungen, durch die wundervollen Beleuchtungen und die naiven kindlichen Manieren, die er seinen Figuren zu geben wusste, getroffen. Nicht nur das Gemüt sprach laut in der Vorstellung, sondern es[45] durchdrang alles durch die subtile Anwendung der Nadel. Die biblischen Scenen werden in alt-amsterdamscher Weise vorgestellt, aber welche Kunstfertigkeit bei der Verteilung von Licht und Schatten und welche Phantasie in der Komposition! So wunderbar originell, so vollendet im Ausdruck war hier alles, dass andere Bilder dagegen, mochten sie noch so kunstreich bearbeitet sein, die Schule und die Akademie verrieten. Hier waren herrliche Porträts, selten schöne Köpfe, oft von ihm selbst oder seinen Freunden. Aber wenn man das kleine Bild seiner Mutter gesehen hat, muss man die Mappe einen Augenblick zuschlagen … und seine Augen wischen. Etwas Schöneres, was mit solchem Gefühl gestochen ist, besteht nicht: die mütterliche Milde, das Wohlwollen und die Innigkeit des alten Frauchens blickt uns aus jedem Strich, aus jedem Häkchen der Nadel entgegen, jede Linie hat etwas zu bedeuten, kein Pünktchen hätte weggelassen werden können. Und dieses lebensvolle Porträt hat Rembrandt in dem jugendlichen Alter von 24 Jahren geschaffen! Ich schlage die Mappe wieder auf und sehe die reich bearbeiteten Bettler. Das sind Typen, nach denen er damals nur zu greifen hatte und die er so gerne und so oft darstellte: man sollte sie eigentlich gar nicht arm nennen, so warm, so farbig hat sie der Meister ausgestattet. Dann kamen die wirkungsvollen Landschaften an die Reihe, jene merkwürdigen Nacktstudien, mit einem Wort ein Kosmos. Wenn ich dann, nachdem ich eine Mappe durchgeblättert[46] hatte, wieder in die Stadt zurückkehrte, war es mir, als ob ich allerlei Gestalten begegnete, welche den seinigen glichen. Vom Treppenhaus nach der Hoogstraat, dann durch die Sint Anthoniebreestraat und endlich in der Joodenbreestraat, wo ich damals einige Schritte von dem Hause entfernt, in dem Rembrandt so viele Jahre geschaffen hat, wohnte, überall da sah ich wieder die malerische Menge, dieses geräuschvolle Leben, diese warmen jüdischen Gesichter mit ihren eisgrauen Bärten, die Frauen mit ihren fuchsrothen Haaren, die Karren voll von Fischen und Früchten und allerlei Waren. — Alles war Rembrandt!
Es giebt aber noch eine dritte Aeusserung von Rembrandts Talent: das sind seine Zeichnungen. Für einen jungen Maler, der nach Mitteln sucht, um seine Gedanken auszusprechen, waren diese Zeichnungen ebenso rätselhaft wie ermutigend. Da sie nicht so deutlich waren wie seine Radierungen, dauerte es einige Zeit, ehe ich mich mit ihnen befreunden konnte, aber als ich begriffen hatte — was ich heute noch glaube — dass der Meister diese Zeichnungen nicht gemacht hatte, um sie mit zierlichen Linien zu umgeben und sie dann dem Publikum vorzuführen, da fühlte ich ihre wahre Tragweite. Es waren meistens Gefühlsäusserungen, um seinem phantasiereichen Gemüt zu Hülfe zu kommen. Ohne jedes Nachdenken auf das Papier geworfen, aber mit einer Hand, die bei jedem Zucken und bei jeder Erregung Meisterstücke schuf. Oberflächlich betrachtet, werden diese Zeichnungen[47] durch allerlei Tintenflecke und harte dicke Striche, die wild und wunderlich durcheinander gingen, entstellt, betrachtet man sie aber gut, dann scheint alles wohl berechnet und gefühlt.
So sah ich also diesen Rembrandt als den Mann, der mit seinem Pinsel, seiner Feder oder dem Grabstichel alles darzustellen und vor die Phantasie zu zaubern vermochte. Vom Himmel und von der Erde, von den Helden der Geschichte und von den alltäglichen Menschen, von einem Stückchen des Turms der Westerkirche wusste er eine schöne Zeichnung zu machen, Löwen und Elefanten wurden in der seltsamsten Weise wiedergegeben. Besonders seine Nacktfiguren von Frauen sind deshalb so merkwürdig, weil bis jetzt kein Maler es gewagt hatte, sie so darzustellen, wie sie im Atelier vor ihm standen, aber Rembrandt, bezaubert durch das Licht und die Glut der Fleischfarbe, zauderte keinen Augenblick, sie so zu malen, wie er sie sah. Es war keine Venus, keine Juno oder Diana, es war die Waschfrau seines Nachbars, die er entkleidete und in der Herrlichkeit ihres Fleisches wiedergab. Und seine Handschrift allein, ich meine die Manier, mit der er seine Schnörkel und Striche hinwarf, war an sich schon ein genussreicher Anblick, von dem man sich nur schwer trennen konnte. Und das alles that er mit einer Leichtfertigkeit, mit einer Ausgelassenheit und mit einer Sicherheit, welche den Gedanken eines Studiums oder irgend einer Anstrengung gar nicht aufkommen liess.
Und wie denke ich jetzt über den Meister, nachdem so viele Jahrzehnte verflossen sind? Wohlan denn, Leser, betrachte mit mir die gewaltigste Aeusserung von Rembrandts grossartiger Malkunst, die er in seiner „Nachtwache“ niedergelegt hat.
Schon beim ersten Anblick werden wir sofort durch breite Bewegungen von Schatten und Licht getroffen, die wie Farbentöne durch die enorme Fläche der Leinwand singen. Dann kommen plötzlich zwei Männer auf uns zu, die aus der Gruppe nach vorne treten, der eine ganz dunkel, der andere ganz hell gekleidet. Das ist Rembrandt! Er wagt, schreiendes Licht gegen Dunkel zu stellen. Und um diesen Gegensatz von grossen Linien harmonisch zu machen, ersinnt er etwas: der linke Arm des dunklen Mannes ist ausgestreckt, als ob er mit der vorgehaltenen Hand etwas behaupten will, und so wirft er mit seiner Hand einen grossen sonnigen Schlagschatten auf seinen weissen Kameraden! Das Genie weiss sich zu helfen, wo gewöhnliche Menschen keinen Rat mehr wissen. Diese Männer sind offenbar miteinander im Gespräch, man sieht es, sie sind die Anführer des ganzen Trupps. Da stand er jetzt, der grosse Meister, als alles auf die Leinwand gebracht war, was darauf kommen musste — aber er schüttelte das Haupt. Nach seiner Meinung traten diese beiden Männer noch nicht genügend in den Vordergrund. Dann nahm er noch einmal seine grosse Palette, seinen breitesten Pinsel taucht er[49] noch einmal tief in den Farbentopf, und diese zwei vordersten Figuren wurden noch einmal mit kräftigen Strichen behandelt, hier mehr Tiefe, dort noch mehr Licht, und so versuchte er alles, um dem, was in den Vordergrund zu kommen hatte, noch ein kräftigeres Relief zu geben — und dann sah er, dass es gut war, und so liess er es dann auch stehen. Vielleicht war die Aehnlichkeit seiner Herren Auftraggeber etwas weniger sprechend, auch beklagte man sich bei ihm über Mangel an Ausführlichkeit, aber für ihn war die Hauptsache, dass die Figuren lebten, und dass sie sich bewegten. Wie herrlich ist ihm dies gelungen! Von den Federn ihrer Hüte an bis zu den Sohlen ihrer Schuhe, die beinahe den Rand des Gemäldes erreichen, ist alles, als ob man es mit der Hand prüfen könnte. Wie sind die Köpfe voll Energie und Charakter, ihre Kleidung ist auf den Leib gegossen, der stählerne Halsberg, die Schärpe, die Stiefel des hellen Mannes sind von wunderbarer Malkraft; dann der dunkle mit dem roten Wehrgehänge, mit dem Handschuh und dem Stock ist von einer Erfindungsgabe, die nur deshalb nicht auffällt, weil alles so richtig, einfach und natürlich ist. Ich kenne keine Darstellung, welche die Pracht und das Malerische jener Zeiten so stark ausdrückt, wie diese zwei Männer, die auf diesem Riesengemälde einherschreiten.
Wenden wir uns nun zu der rechten Seite, um den schwitzenden Trommler zu betrachten. Sein scheinbar pockennarbiges Gesicht unter dem Schatten seines[50] verschlissenen Huts ist eine echte Falstafffigur, die dicke Trunkenboldnase, sein fettiger Mund, alles, was an ihm ist, sind von einer malerischen Bravour, die den Wagemut des Meisters so besonders charakterisieren; man sehe nur, wie er darauf lostrommelt, als ob er jedermann sagen wollte, dass er eine der prächtigsten Figuren des berühmten Meisters sei, den man Rembrandt nennt. Ich begreife sehr gut, dass beim Anblick dieses Mannes, wie er vor uns webt und lebt, der beschränkte, quasi gelehrte und dummgewissenhafte Gérard de Lairesse in seinem grossen Buch über die Malkunst (in welchem Rembrandt der grösste Farbenklekser genannt wird) ausrief: „Bei Rembrandt läuft die Farbe wie Dreck aufs Paneel!“ Genialität und philisterhaftes Knotentum sind und bleiben geschworene Feinde.
Wenden wir uns jetzt nach der linken Seite des Gemäldes. Hier steht der durchgeistigte Landsknecht, ganz in Rot gekleidet. Ein Maler mit dem Hell- und Brauntalent brauchte nicht bange zu sein, jemand von Kopf zu Fuss rot zu malen, er wusste, dass das Spiel von hell und dunkel ihm helfen würde. So liegt denn auch hier das Rot teilweise im Schatten einer herrlichen Nuance und vereinigt sich trefflich mit den gräulich grauen Tönen der übrigen Figuren. Auch dieser rote Mann ist in der eben beschriebenen Weise mit dem Pinsel behandelt worden; betrachtet man ihn gut, dann scheint es, als ob Rembrandt diesen malerischen hervortretenden Mann mit einem vollen Pinselstrich[51] von oben bis zu den Füssen hingeworfen hat. Wie fest ist die Behandlung der Hand, welche das Gewehr ladet, wie forsch die Striche auf seinem roten Hut, auf dem roten Wams, wie kräftig, lebhaft, beweglich und reich steht er da!
In diesem wunderbaren Gemälde stossen wir jeden Augenblick auf etwas Interessantes. Sprechend ist der Hellebardier, der vom Rande links rückwärts blickt, dann der Mann, der hinter dem weissen Mann sein Gewehr untersucht, und wie herrlich wirkt der lachende, von dunklem Hintergrunde sich abhebende Junge mit seinem grauen Hut! Der Kopf des Mannes, der mit seinem Arm auf etwas zeigt, ist auch wieder von besonderer Farbe und Malweise; selbst der graue Pfeiler, gegen den sich der Kopf mit dem Helm abhebt, wirkt trefflich zum Gesamteindruck mit. Aber hier ist noch etwas Wunderbares, und zwar das fremdartige Mädchen, das sich zwischen allen diesen männlichen Figuren bewegt. Viele Kritiker und Kunsthistoriker haben sich den Kopf darüber zerbrochen, was dies eigentlich zu bedeuten habe und gefragt, ob diese Figur überhaupt hierher gehöre. Hätte Rembrandt sie gehört, denn würde er lächelnd geantwortet haben: Seht ihr denn nicht, dass ich dieses liebumflossene Kind hier nötig hatte, um gegen alle diese nach unten laufenden Linien und diese dunklen Farben einen Kontrast zu schaffen? Der Mann mit der Fahne im Hintergrund, der weglaufende Hund — alles unterstützt und hilft einander in Farben, Linien und Effekt.[52] Da ist auf diesem Gemälde auch keine winzige Stelle, die nicht ein seltsames Malertalent verrät. Hier gilt die Behauptung: Schneide nur ein kleines Stück aus einem Gemälde heraus, und ich will dir sagen, ob der Maler ein Künstler ist.
Und nun noch die „Staalmeesters“.
Hier schallt uns eine ganz andere Musik entgegen, als aus den Tönen der „Nachtwache“. Still und vornehm ist hier alles, hier herrscht allein die hohe Auffassung des menschlichen Antlitzes. Sie sitzen hier, diese alt-holländischen Männer und beratschlagen, ihre Geschäftsbücher vor sich auf dem Tisch. Rembrandt hat uns ihre Köpfe mit so viel Leben verdeutlicht, dass sie im Laufe der Zeiten alte Bekannte geworden sind. Ja, alte Bekannte, die schon einige hundert Jahre gelebt haben, ehe wir da waren. Wie lange schon kenne ich diesen Mann an der linken Seite mit seiner Hand auf dem Lehnstuhl, mit den grauen, feinen Haaren, die unter seinem hohen spitzigen Hut von seiner breiten gerunzelten Stirn hervorquellen. Hier giebt die Farbe, sowohl im Licht, wie im Schatten, ein Durcheinander von Fleischtönen, Zwischentönen von Grün und Rot, Grau und Gelb, sie ist so aneinander gereiht, dass hier etwas erreicht ist, wobei der Verstand förmlich stille steht. Das Relief, das Hervorspringen aus dem Hintergrund ergreift uns wunderbar, aber auch welches Modell, wie sieht uns der Mann mit dem einfachen Blick aus den tiefen Augenhöhlen an — es ist ein Unikum, wie es Rembrandt selbst niemals übertroffen[53] hat. Auch alle anderen Köpfe, besonders der Mann, der sich nach vorn beugt, dieser wunderbar natürliche Zunftmeister, der vor dem Buch Platz genommen hat und sein neben ihm sitzender Nachbar bis zum fünften Kaufmann an der rechten Seite mit dem Diener hinter sich — alles ist Männlichkeit, Reichtum und Leben. Der Hintergrund ist wieder eine Schöpfung, wie sie nur Rembrandts feines Gefühl für Linien hervorzubringen wusste. Die Wand und das Getäfel umgeben diese Komposition, als ob sich dies von selbst verstände, und als ob es auch thatsächlich so gewesen wäre. Und doch wird dieser geniale Kunstgriff noch durch die Herrlichkeit des Kolorits des roten warmen Tischtuchs übertroffen, welches dem ganzen Gemälde einen tieferen dunkleren Ton verleiht. Ob über dieses Gemälde nach seiner Vollendung von den Zeitgenossen viel gesprochen und geschrieben worden ist, weiss ich nicht, aber für uns stellen diese Männerköpfe das Höchste dar, was die Malkunst erreichen kann. In Madrid, wo mich die Gemälde von Velasquez bezauberten, machte ich mit Bekannten einen Spaziergang durch die Strassen und über die Plätze der Stadt, an einem Gebäude sahen wir einen grossen, vielfarbigen Anschlagezettel, auf dem vermerkt war, dass hier eine Ausstellung moderner spanischer Künstler zu sehen war. Neugierig traten wir ein, wir sahen viel Schönes und Gutes, aber plötzlich standen wir, wie aus Spanien weggeblasen, vor drei Köpfen aus den Staalmeesters,[54] die ein spanischer Maler in Amsterdam kopiert hatte. War es Chauvinismus, war es Ueberzeugung? Diese Kopien redeten zu uns einen Geist grösserer Einfachheit, grossartigerer Auffassung der Natur und der Menschenwürde als alles, was wir im Prado bewundert hatten. Ja, dieses Gemälde ist selbst ein Totschläger für die alt-holländischen Kunstbrüder: Der tüchtige van der Helst wird neben ihm oberflächlich, der prächtige Frans Hals skizzenhaft und durchsichtig, denn so viel Genialität, so viel Relief bei solcher Natürlichkeit der Haltung und Gebärden wird nicht mehr gefunden. Und der Mann, der dieses Wunderwerk geschaffen, war damals ein armer Bürger, der in einem dunklen Winkel der Stadt wohnte, in der jetzt zu seinen Ehren ein Fest gefeiert wird.
Rembrandt steht in unseren Tagen im Zenit seines Ruhms; Gold hat neben seinen Meisterstücken keinen Wert mehr; um das Unbedeutendste davon zu besitzen, opfert man Hände voll Gold, man durchreist nach ihm die Welt, und die Kritik, die sich lange Jahre hat hören lassen, ist jetzt verstummt. Merkwürdig ist es, dass keine der allgemein anerkannten Grössen der Malkunst im Laufe der Zeiten der Gegenstand so vieler Kritik gewesen ist wie das Werk Rembrandts. Und dennoch, was man auch über die Unwahrscheinlichkeit der Vorstellung und die Uebertriebenheit des dunklen Hintergrunds gesagt, bleibt die „Nachtwache“ noch stets, wie die Engländer sie nennen, das Wunder der Welt. Schon während seines[55] Lebens gab es Leute genug, die es ihm übel nahmen, dass er nicht bei der Antike und bei den Italienern in die Schule gegangen war, und dass er die Natur so malte, wie er sie wirklich zu sehen glaubte. Uns dünkt dies befremdend, aber es ist doch wahr, denn schon während der letzten Jahre von Rembrandts Leben war man mit den alten holländischen Begriffen in Kunst und Literatur nicht mehr zufrieden, und jetzt noch lese ich mit Widerwillen, wie man die Namen latinisierte und in holländischen poetischen Werken über griechische Götter und mythologische Figuren sprach, die zu unserem holländischen Himmel so schlecht passen. Aber zum Glück hat sich Rembrandt stark genug gefühlt, um unbeirrt seinen eigenen Weg zu gehen, und die Zeit liegt hinter uns, in der man von den kunstgefährlichen Theorien sprach, die seinen Gemälden anhaften sollten, man hielt sich an die Behandlung der Technik, aber zu der tiefen, ihr zu Grunde liegenden Idee wusste man nicht durchzudringen. Aber die liberalen Ansichten der modernen Welt sind auch auf dem Gebiete der Kunst siegreich gewesen, heute fühlen und wissen wir, dass die vermeintlichen Schwächen und Uebertreibungen nur die Eigenart eines ausserordentlichen Menschen bilden, und wir entbehren sie nicht gerne, weil wir dann befürchten müssen, ein unvollständiges Bild der Persönlichkeit vor uns zu haben, von der jede Lebensäusserung unser Interesse rege macht.
Ich schliesse … aber, wie so manches Mädchen[56] an ihren Liebhaber schreibt: ich höre mit der Feder auf, aber nicht mit dem Herzen … ich denke an das Porträt von „Jan Six“, dieses seltene Juwel, ich denke an das Louvre, an Kassel, an Braunschweig und an was nicht alles — aber genug. Ich wollte in diesen Zeilen dem Leser nur sagen, wie ich mir Rembrandt stets vorgestellt habe, als das Ideal des Künstlers, frei und ungebunden in seinem Werk, genial in allem, was er tat, eine Figur, in der sich die Grösse unserer alten Republik abspiegelt.
EEs giebt drei Arten von Bühnendekoration, die phantastische, die realistische und die schlechte. Schlecht ist die Ausstattung, die weder ganz und gar realistisch noch ganz und gar phantastisch ist. Diese Dekoration findet der Londoner Theaterbesucher allabendlich.
Diese Dekoration ist schlecht, weil sie zugleich echt und schön sein soll und weder das eine noch das andere ist. Es giebt zwei Gründe dafür, dass es damit so steht: erstens weil dem Bühnenmaler, auch wenn er grosses technisches Talent hat, nicht bis zu dem Moment, in dem der Vorhang aufgeht, freies Spiel[60] gelassen wird, oder aber weil man ihm gestattet, der eigenen Idee zu folgen und dadurch die schönere Vorstellung des Dichters zu verdrängen.
Ich habe verschiedentlich gesehen, wie Dekorationen, nachdem sie ins Theater gebracht worden waren, durch die Unfähigkeit des Schauspielers, der Direktor ist, vollkommen verdorben wurden. Der Schauspielerdirektor, der von der Kunst und Technik der Bühnendekoration keinen Begriff hatte, war der Ansicht gewesen, entweder dass er es besser gemacht haben würde, oder dass er in dieser Dekoration nicht spielen könne, — und vor allen Dingen hatte er gewähnt, er müsse ein Wort mitzureden haben. Mit diesem Worte streicht er ein paar Stunden hintereinander freundlichst Fehler heraus, und die Scene wird dann dem Publikum vorgeführt, nachdem allmählich Vernunft und Sachlichkeit aus ihr entfernt worden. Die Form wird verändert, Monde werden hinzugefügt, Farben gewechselt, Schatten dort unterdrückt, wo der Maler sie mit bewusster Absicht hingesetzt hatte, und alles das geschieht, damit sich der Schauspielerdirektor zu Hause fühle. Nach meiner Ansicht kostet diese Verwüstung viel Geld.
Für den Theatermaler muss, obwohl sich solche Sorte von Betrieb für ihn bezahlt macht, darin etwas ausserordentlich Verletzendes liegen; ja, diese Art kann ihn aus dem Theater und einem Institut in die Arme treiben, das des Theatermalers Paradies ist: es ist eine von dem berühmten Theatermaler de Loutherbourg[61] gemachte Erfindung. De Loutherbourg, der im 18. Jahrhundert lebte, hatte anfangs für David Garrick, später für sich selbst gearbeitet. Bei diesem seinem eigenen Unternehmen hatte er von den Schauspielern Abstand genommen. Weshalb sollten die Schauspieler die Aussicht verderben, indem sie zwischen der Bühne und den Zuschauern standen? Weshalb sollte man ihnen gestatten, über Herrn N.'s Rasenplätze oder Herrn so und so's Waldungen zu schreiten? Mochten diese Herren lieber ein Schild aufstellen mit der Bemerkung, dass das Betreten verboten sei, oder auf dem die Worte standen: Achtung, hier ist die Bühne.
Anstatt mit Worten unterhielt de Loutherbourg das Ohr seines Publikums mit Geräuschen. Die Aufführung bestand entweder aus der naturalistischen Darstellung eines Schiffsbruchs oder aus der eines brennenden Hauses oder aus irgend einem sonstigen realistischen Vorgang. Wirkliche Wellen schienen gegen das Schiff zu schlagen, und der Regen strömte unaufhörlich hernieder, der Wind heulte und zerwirbelte die Raketen, die in der dunklen Nacht aufschossen, er verteilte feurige Garben rings um das Boot, dazu hörte man die Stimmen der Mannschaft, die mit den Elementen kämpfte, und jedes Detail war bis zur Vollendung ausgearbeitet. Wahrscheinlich war dies die grösste Annäherung an die Wirklichkeit, die je auf der Bühne versucht worden ist.
Es ist evident: so faszinierend diese Art bei der[62] Darstellung von Feuerwerk ist, so lächerlich und unreal ist sie in einem Shakespeareschen Stück.
Vor kurzer Zeit suchte ein bekannter Londoner Schauspieler, der sein eigener Direktor ist, zu beweisen, dass „vollkommene Illusion“ durch grösste Genauigkeit der Details erreicht werden könnte. Er wähnte, dass, wenn im Laufe des Dramas eine Scene „vor einem Schlosse“ spiele und im Dialog dieses Schloss erwähnt würde, man dies Schloss mit grösster Genauigkeit vor dem Zuschauer aufbauen müsste. Nehmen wir einmal eine Aufführung von Macbeth. Ich stelle mir vor, wie der Schauspielerdirektor zum Theatermaler sagt: Machen Sie mir diese Ausstattung möglichst prächtig, benutzen Sie alle Ihnen zu Gebote stehenden Mittel, um sie möglichst brillant zu machen. — Er sagt nicht nur dies, sondern geht noch einen Schritt weiter, z. B. sagt er: Wir brauchen eine Scene „vor einem Schloss“: ich finde es nötig, dass Sie diese Bücher von unschätzbarer Wissenschaftlichkeit ansehen. Gehen Sie mit Herrn so und so nach dem South Kensington Museum, suchen Sie dort soviel Bilder als möglich vom Schloss Glamis, machen Sie Skizzen, wenn es Ihnen erlaubt wird und reisen Sie mit ihnen im nächsten Zug nach Schottland. Messen Sie das Schloss aus, nehmen Sie den Grundriss und nehmen Sie Ansichten von den verschiedenen Punkten auf. Die Zeichnungen machen Sie mit recht viel Gefühl und mit Lokalkolorit. Dann legen Sie mir die Zeichnungen vor, und ich werde Ihnen sagen,[63] welche ich für am meisten geeignet für unsere Zwecke halte.
Diese kleine Reise wird ziemlich viel Geld kosten. Modelle werden gemacht werden und werden mehr Geld kosten, und das Ergebnis von all diesen Mühen und diesen Geldausgaben wird eine genaue Wiedergabe des kolossalen Schlosses Glamis sein, auf die „Forderungen der modernen Bühne reduziert“, 25 Fuss im Quadrat... Durch diese Genauigkeit der Details hofft der Direktor „vollkommene Illusion“ zu erreichen.
Aber diese beiden Dinge sind wie zwei Pole einander entgegengesetzt. Die vollkommene Illusion wird durch die sogenannte Akkuratesse viel eher verhindert. Der Schauspielerdirektor ruft dem Geist zu: „Steh, Phantom“, und versucht ihn mit einer Hellebarde aufzuhalten.
So wird ein Schloss mit imitierten Steinen, mit scheinbar wirklichem Epheu an den Mauern und manchen anderen trefflichen Einzelheiten vorgeführt, und danach hängen sie vier oder fünf Streifen blauen Tuchs hin, jeden in einer verschiedenen Nuance, und von uns wird erwartet, wir sollten ernst bleiben, weil ein Schauspieler, der auf den hölzernen Boden stampft, um zu beweisen, dass hier nicht solide Erde ist, mit einer abstrakten Miene deklamiert:
und ein anderer Schauspieler, ohne im mindesten auf die Stelle einen Blick zu werfen, fortfährt:
Die Worte, wie sie auch gesprochen werden mögen, rufen das Bild einer wundervollen Scene herauf, etwas, was ganz verschieden ist von der Pappdeckelgeschichte, die uns vorgeführt wird. Doch ich kann mir durchaus denken, dass der Schauspielerdirektor sich vorstellt, er lasse die Scenerie sich den Worten anpassen. Er sieht durchaus nicht, wie das alles lächerlich ist. Und liesse ich einen Augenblick gelten, dass Genauigkeit im Detail vollkommene Illusion hervorbrächte, so halte ich doch fest, dass niemals, seit das Theater besteht, irgend eine Scene vorgeführt werden konnte, in der alle Details genau waren. Denn es ist unmöglich, die Bewegung der Zweige und Blätter accurat wiederzugeben, unmöglich, eine genaue Wiedergabe eines Kornfeldes zu zeigen; und so weiter auf allen Gebieten der Natur. Die meisten dieser Dinge können suggeriert werden — doch kann man sie nicht in einem Netz auffangen, so dass sie körperlich auf der Bühne eines Theaters wieder erscheinen.
Wer auch immer versuchen mag, eine genaue Darstellung zu geben, ohne dass er zuvor ein genaues Tageslicht geschaffen hat, müsste nach meiner Meinung von dem ganzen Ding bleiben. Ich zweifle, auch wenn er alle Zeit zur Verfügung hätte, ob er es möglich machen kann, all die tausend kleinen Geräusche wiederzugeben, die ich in einem gewissen Moment um mich höre, die Stimme des Wachsens im Walde, das Geräusch der kleinen Zweige, den Wirrwarr und das Singen der Hunderte von Vögeln; unzählige Schatten liegen über dem Boden und haften an den Wolken, an diesen unnachahmlichen Wolken, die sich unaufhörlich bewegen und ihre Form verändern und wieder verändern, und die Erde sendet ihre tausend verschiedenen Gerüche aus und füllt mit ihnen die Luft, in fortwährendem Wechsel. Die Wiedergabe von all diesen Dingen ist etwas, was über die Arbeit einer Million von herkulischen Regisseuren und Technikern ginge.
Realistische Scenerie ist an ihrem Platze nur, wenn sie die Fassung realistischer Dramen ist. Man sieht sie jetzt selten, und nur im Auslande.
Ich will mich nun mit der Scenerie beschäftigen, wie sie aus der Einbildungskraft gewonnen werden kann. Einige Aufführungsleiter zeigen uns drei Vorhänge und einen Teppich, und nennen das eine Scenerie, die von der Einbildungskraft geschaffen worden. Doch das ist nur eine Scheinscenerie; es ist ein geschmackvoller Weg, der aus einer Schwierigkeit[66] herausführen soll, eine Idee, die von einem Naturell ausgeht, das des malerischen Sinnes entbehrt. Eine Scenerie, die aus der Einbildungskraft geschaffen wird, ist für Shakespearesche Dramen, für Phantasiestücke und Opern geeignet. Ein künstlerischer Regisseur müsste die Fähigkeit haben, durch Suggestion für uns das ganz Innerste der Natur wiederzugeben. Suggestion, nicht Realismus durchflutet alle Shakespeareschen Dramen.
Des Regisseurs Aufgabe wird leichter, wenn, wie dies bei Shakespeare der Fall ist, der Dichter bereit ist, ihm Hilfe zu leisten. Unter diesem Beistand verstehe ich nicht die Bühnenanweisung, denn Shakespeare hat das Besondere, keine Bühnenvorschriften zu geben, und nur sehr wenige Andeutungen sind es, die er für den Schauspieler hinterlassen hat. Nehmen wir z. B. Akt 1, Scene 1 aus Hamlet. Nicht Shakespeare, sondern erst seine Herausgeber Malone, Theobald, Capell, Pope und andere, die befürchteten, dass Shakespeare sich nicht klar genug ausgedrückt hätte, fügten solchen Unsinn wie: „ein offener Platz vor dem Palaste“ oder „eine Terrasse vor dem Palaste“ hinzu. Bevor diese Leute das Gemälde nach ihrer eigenen Auffassungskraft erniedrigten, war die Scene so weit wie die Einbildungskraft Shakespeares. Seine einzige Notiz zu Anfang ist: „Actus Primus, Scaena Prima“. Kein Wort auch nur über Dänemark, oder über Helsingör, ebensowenig wird über eine Terrasse gesagt. An Stelle von all dem hilft Shakespeare uns auf einem[67] andern Wege. Er führt uns ein Gemälde aus der Einbildungskraft vor. Ein Streifen schwarzen Himmels wird angedeutet durch einen einzelnen Stern. Es ist eine kalte Nacht. Nichts rührt sich. Plötzlich schlägt eine Uhr die Stunde an. Ein Mann, der bis jetzt im Schatten verborgen gewesen, steht langsam auf und bleibt horchend stehen. Dann geht er ruhelos hin und her. Der Platz erfüllt ihn mit einer gewissen Furcht. Er fährt fort zu gehen, er geht uns gegenüber vorbei. Nun ist er in einen ungeheuren, unergründbaren Schatten versunken, aus welchem er jetzt wieder in das graue Licht auftaucht. Er erscheint wie irgend ein Gespenst; das, was er zu treffen fürchtet, ist das, womit er am meisten Aehnlichkeit hat.
So weit führt Shakespeare uns, dann überlässt er dem Regisseur die Ausführung mit der auf jeder Seite seines Dramas niedergeschriebenen Bemerkung, dass die Scenerie und die Scheingegenstände beredtsam sein sollen und Sohnesliebe, Mord und Melancholie, Gewalt und Uebergewalt ausatmen müsse.
Genauigkeit ist einen Pfifferling wert! Shakespeares Meinung vom Werte der Genauigkeit bei einer solchen Gelegenheit ist im Hamlet bezeugt. Douce erwähnt einige Anachronismen. Er führt aus, dass die dänische Geschichte Hamlet in märchenhafte Zeiten versetzt hat, lange bevor das Christentum nach Nordeuropa gebracht wurde, und dass mithin die häufigen Anspielungen auf Gewohnheiten der Christen unsachgemäss sind. Hamlet schwört beim heiligen Patrick[68] und spricht von den Chorknaben der Pauls-Kirche. Wir sehen Kanonen, ein Königssiegel, bevor eines gebraucht wurde, eine Universität in Wittenberg, Schweizer Garden, Glocken, Dukaten, moderne Herolde, Rappiere, und wir hören von Ausdrücken der modernen Fechtkunst.
Wenn aber Shakespeare akkurater gewesen wäre, könnte man glauben, dass wir dann ein besseres Drama hätten, eines, das treuer gegen die Natur ist? Genauigkeit ist da von keiner Bedeutung. Was wichtig ist, ist allein, dass der, der die Stücke aufführt, jede Scene und jeden Teil einer Scene wägt, wie ein Redner jede Silbe seiner Rede wägt. Nichts muss dem Zufall überlassen bleiben. Die Form der Scene ist so wichtig wie ihre Farbe. Schlösser mögen architektonisch korrekt sein oder nicht, aber vor allem müssen sie sich prächtig im Luftraum erheben. Gärten müssen voll von unbekannten Bäumen und Pflanzen sein. Die Form der Zimmer und Möbel darf niemals zuvor gesehen worden sein ausser in der Phantasie. Die Kostüme müssen so sein wie sie niemals getragen worden sind ausser in den Bildern, die die Vision der Poeten bevölkern. Diese Dinge müssen geschaffen werden, sie müssen voll Bedeutung sein, oder sie sind nutzlos.
Ich habe Regisseure allem seine Bedeutung rauben sehen, indem sie gleichgültig gegenüber dem Wert von Linien und Farben waren.
Ich kam als Sekundaner zu Steffeck, 1863 oder 64, um Mittwoch und Sonnabend Nachmittags bei ihm zu zeichnen. Nachdem ich 1866 das Abiturientenexamen gemacht hatte, trat ich in sein Schüleratelier ein, um Maler zu werden. Möglich also, dass mir Steffecks Bild als zu „verklärt“ in der Erinnerung geblieben ist, im Licht der goldenen Jugendzeit. Steffeck erscheint mir wie „der grosse Künstler“ in Romanen: schön, geistreich, witzig, unter dessen Pinsel mühe- und sorglos, bei anmutigem Getändel mit schönen Damen und klugen Reden mit vornehmen Herren, Meisterwerke entstehen.
Steffeck bewohnte in seinem Hause Hollmannstrasse 17 — er war aus begüterter Familie — das Erdgeschoss; in den anstossenden Garten hatte er zwei Ateliers bauen lassen für sich und seine Schüler. Die Hochschule für bildende Kunst, die damals Akademie hiess, war sehr versumpft und erfreute sich keines besonderen Renommés. Desto mehr Zuspruch hatte Steffeck, dessen Schule nach Pariser Vorbild — dem einzig nachahmenswerten — eingerichtet war: Vormittags von 9-1 Uhr wurde nach dem lebenden Modell gearbeitet, nachmittags nach Gips gezeichnet und abends von 6-8 Uhr war Aktsaal, wo neben uns angehenden Malern Architekten wie Kayser und von Grossheim, Kunsthistoriker wie Wilhelm Bode die menschliche Figur studierten. Oft zeichnete Steffeck selbst mit, und es war eine Freude, zu sehen, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit er das Modell hinunterfegte, fast ohne den Bleistift abzusetzen. Korrekturen gab's bei ihm nicht, wie bei seinem Meister Gottfried Schadow, von dem Steffeck oft die niedliche Geschichte erzählte, dass, als sein Sohn Wilhelm, der spätere Akademiedirektor in Düsseldorf, ihn um einen Groschen für Gummi gebeten, er ihn gefragt hätte, wozu er Gummi gebrauchte, er, Gottfried Schadow, mache keinen falschen Strich, den er wegzuwischen hätte.
Nach seinem allmorgendlichen Spazierritte, so gegen 10 Uhr, kam Steffeck ins Schüleratelier, gewöhnlich noch in Reithosen und mit Sporen an den Stiefeln;[73] im Munde die Zigarre, die er in einem fort ausgehen liess, um sie ebenso oft wieder in Brand zu stecken. Er interessierte sich nur für die Arbeiten, in denen er etwas in der Natur Beobachtetes wiedergegeben fand. Routine und Chick waren ihm ein Greuel, ebenso wie die gewerbsmässige Kalligraphie, wie sie damals auf den Akademien gelehrt wurde. Ueberhaupt wurde er nicht müde, vor diesen Pflanzstätten des Künstlerproletariats zu warnen: „Entweder hat einer genügend Talent, dann braucht er den akademischen Unterricht nicht, oder er hat nicht genügend Talent, dann nützt er ihm nichts.“ Richtig zeichnen lernen, das Uebrige war ihm Hekuba.
„Zeichnet, was Ihr seht“, war seine immer wiederholte und beinahe einzige Lehre. Mit sonstiger Aesthetik behelligte er uns nicht, denn er wusste, dass alles Lernen in der Kunst in nichts anderem bestehen kann, als die Form zu finden, das Gesehene wiederzugeben.
Daher hatte er nur Schüler, die ihn grenzenlos verehrten, oder solche, die ihn ebenso grenzenlos hassten und — bald weiterzogen, besonders nach München, wo Piloty den Nürnberger Trichter zu haben schien, d. h. in ein paar Monaten hatten ihm seine Schüler, die vornehmlich Polen, Tiroler, Böhmen waren, sämtliche Mal-Tricks und Schlenker abgeguckt, und nacheinander gab's eine berühmte tiroler, eine polnische und böhmische Malergeneration. Neben dem vielen G'schnass und dem talentvollen Kitsch trat damals[74] gerade ein wirkliches Genie wie Makart auf, und ich erinnere mich noch des beispiellosen Erfolges seiner Pest von Florenz. Steffeck sagte von dem Bilde: es ist schlecht gezeichnet und mit Hurensalbe lasiert. Und wenn er das Wort nicht erfunden hatte, so hätte er's jedenfalls erfunden haben können.
Er war ein zu getreuer Schüler Schadows und seines vergötterten Lehrers Franz Krüger, dazu Berliner bis auf die Knochen, um sich irgendwelcher Gefühlsduselei in Form oder Farbe hinzugeben. Für das französische Blut in ihm — er gehörte zur Kolonie — war nur der Gedanke, der klar ausgedrückt war, klar gedacht. Auf Klarheit und Richtigkeit war sein Streben in der Kunst gerichtet, wobei er leider, ohne es zu merken, in allzu grosse Nüchternheit und Trockenheit verfiel. Die Franzosen schienen ihm seinem Kunstideale am nächsten zu kommen: er hatte ein paar Jahre in Paris studiert, er sprach glänzend französisch und wurde nicht müde, Paris als das Dorado der Kunst uns zu schildern. Seit Napoleon III. herrschte Couture als französischer Malerkaiser, und jeder Maler, der sich einigermassen respektierte, suchte sich dessen Rezept für die alleinseligmachende Malerei zu verschaffen. Der alte Ravené hatte den berühmten Edelknaben von Couture für seine Galerie erworben, und es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass er bis zum französischen Krieg als schönstes Stück Malerei bei uns angesehen wurde.
Auch Steffeck lehrte nach Coutures Methode: die[75] Zeichnung wurde zuerst mit einem dünnen Umbraton angetuscht, dann wurden die Lokaltöne in die braune Untermalung hineingesetzt, die Schatten blieben womöglich von der Untermalung, jedenfalls ganz dünn und transparent, stehen, und zum Schluss wurden ein paar pastose Glanzlichter aufgesetzt. Neben der Korrektheit der Zeichnung handelte es sich für Steffeck um Eleganz des Vortrages. Wo diese beiden Eigenschaften einem höheren, gesteigerten Leben geopfert waren, wie bei Menzel, war's aus mit seiner Anerkennung. Ueberhaupt hatte er eine ausgesprochene Abneigung gegen Menzel, vor dessen „Karikaturen“ er uns eindringlich warnte.
Freilich stand Steffeck damals mit dieser seiner Abneigung gegen Menzel durchaus nicht vereinzelt da. Dieser war noch der Apostel des Hässlichen, wie ihn W. v. Kaulbach genannt hatte, und noch längst nicht der „Altmeister mit dem Schwarzen Adlerorden“.
Man weiss, wie Schadow über Menzels erste Illustrationen zu Kuglers Friedrich dem Grossen in der Haude und Spenerschen Zeitung geurteilt hatte: „Die Kritzeleien oder Griffonagen eines gewissen Menzel seien des grossen Königs unwürdig“, und noch 1861 erwähnt Wagen in seinem Katalog zu der Wagnerschen Sammlung, Menzels, von dem kein Bild in der Sammlung war, überhaupt nicht. Bis vor dem französischen Kriege waren neben Steffeck der alte Eduard Meyerheim, Gustav Richter, Eduard Hildebrandt und Carl Becker viel berühmter als Menzel, und Steffecks[76] Urteil über ihn erhellt aus folgender Geschichte, die mir mein damaliger Meister öfters als einmal erzählte (denn er war sehr stolz darauf). Menzels Krönungsbild war gerade ausgestellt und war sehr abfällig beurteilt, besonders von Steffeck. Menzel, dem das zu Ohren gekommen sein mochte, hatte sich an Steffeck brieflich mit der Bitte gewandt, wenigstens vor dem Publikum sein ungünstiges Urteil über das Bild etwas zurückzuhalten, worauf ihm Steffeck geschrieben, dass er sich der grössten Mässigung befleissigt hätte, sonst hätte er erklärt, dass das Krönungsbild aussähe, als ob 14 Tage — S....dreck darauf geregnet hätte. Menzels Genie war seiner Zeit um eine Generation voraus, deshalb war unserem Meister, der trotz seines Talentes ganz in seiner Zeit steckte, Menzel zuwider, wie diesem dreißig Jahre später etwa die Impressionisten zuwider waren.
Steffeck war Vater von 14 Kindern, und während der zweieinhalb Jahre, die ich sein Schüler war, hatte ihm seine Gattin drei Zwillingspaare hintereinander „geschenkt“; trotzdem glaube ich nicht, dass die Sorge um seine grosse Familie ihn — wie er oft im Missmut behauptete — an der vollen Entfaltung seines Talentes gehindert hat. Sein kolossales Jugendwerk „Albrecht Achill“, das er als Dreissigjähriger gemalt, hatte sein Renommee gegründet; 20 Jahre später malte er das fast ebenso grosse Bild, das jetzt im Schlosse hängt: „König Wilhelm nach der Schlacht von Königgrätz“, leider ohne den erhofften Erfolg.[77] Das grosse Format lässt die Fehler oder richtiger das Fehlende in Steffecks Talent natürlich vergrössert erscheinen. Ihm fehlte die innere Leidenschaft, der Kampf und das Ringen nach dem Höchsten, die Konzentration, vor allem aber der künstlerische Egoismus, der alles seinem Werke opfert. Weil sein Werk ihn nicht mit sich fortreisst, reisst er auch uns nicht mit sich, wie z. B. Schmitson, der gerade damals, Anfang der sechziger Jahre, Berlin enthusiasmierte.
Besser als in den grossen Maschinen, wie „Albrecht Achill“ oder „Die Schlacht von Königgrätz“, erscheint daher Steffecks Talent in den unzähligen Pferde- und Hundebildern kleineren Formats; am schönsten aber in seinen Pferde- und Reiterporträts, die er zu sechs Friedrichsd'or das Stück und gewöhnlich à la prima in einer Sitzung heruntermalte — auch darin, dass er nur prima malte, zeigte sich sein gesunder Instinkt — und die die glücklichen Besitzer oft noch nass mit nach Hause nehmen konnten. Ausser Franz Krüger verstand wohl keiner ein Pferd so gut wie Steffeck. Bevor er den Gaul malte, liess er ihn sich in dem kleinen Garten hinter seinem Atelier vorreiten — ach! wie oft und wie gern habe ich's gethan — um seine Gangart kennen zu lernen. Mit wunderbarer Sicherheit und mit photographischer Treue wusste er sie nachher wiederzugeben. Er hatte eine Steeplechase gemalt, wie ein Gaul, alle vier Beine unterm Leib, über eine Hürde setzte, und die Kritik hatte ihn wegen der allerdings höchst ungewöhnlichen und gewagten[78] Stellung der vier Pferdebeine, als unmöglich in der Natur, heftig angegriffen. Eines Tages zeigte er uns triumphierend eine Momentphotographie, die inzwischen erfunden worden war und woraus deutlich hervorging, dass er ganz richtig die Stellung der Pferdebeine wiedergegeben hatte. Und nur jemand, der sich mit ähnlichen Problemen beschäftigt hat, weiss, was es heisst, derartige Bewegungen zu beobachten und richtig wiederzugeben. Sein Sinn für Zeichnung war eminent: wie jedes wahrhaft künstlerische Zeichnen, beruhte er auf dem Gefühl für richtig und gross gesehene Verhältnisse. Ich entsinne mich noch eines seiner Skizzenbücher mit Studien zu einer Parforcejagd, die er für den Grossherzog von Mecklenburg malen sollte; oft nur Andeutungen, der Kopf in Form eines Ovals und mit ein paar Strichen für Augen, Nase und Mund, aber die Proportionen waren so richtig, dass man aus den wenigen Strichen die dargestellten Personen erkennen konnte.
Doch, wie gesagt, Steffeck war nicht nur Berufsmensch und Familienvater: er war auch Genussmensch. Er interessierte sich für alles, für Politik, für alles, was in der Welt, d. h. in Berlin, passierte. Er sass in unzähligen Kommissionen und er war wohl durch 20 Jahre Präsident des Vereins Berliner Künstler. Nicht nur Präsident, sondern dessen Seele: er hatte es verstanden, durch Heranziehen von führenden Männern aus andern Berufen aus dem Verein den geselligen Mittelpunkt Berlins zu machen. Ich glaube,[79] dass er Präsident des Vereins blieb bis zu seinem Weggange nach Königsberg, wo er Direktor der dortigen Akademie wurde. Jetzt ist aus dem Verein, der ursprünglich nur gesellige und wohlthätige Zwecke verfolgte, weder zu seinem Vorteile, noch zu dem seiner Mitglieder ein kunstpolitischer geworden: nachdem er die Mitwirkung an den grossen Kunstausstellungen erlangt hat, wird er versuchen, auch Juryfreiheit für die Mitglieder des Vereins herauszuschlagen. Und es liegt auf der Hand, dass dadurch das Niveau der Kunst in Berlin unendlich leiden muss.
Ich sah Steffeck zum letzten Male im Jahre 1886, als er von Königsberg auf der Durchreise nach Karlsbad sich ein paar Tage hier aufhielt; er war ein Greis geworden, der, von Rheumatismus geplagt, sich nur mühsam, auf den Stock sich stützend, fortbewegen konnte, und wenige Jahre darauf, 1890, ist er gestorben.
Es wäre lächerlich, von Steffeck in Superlativen zu reden: er selbst — denn er war wie Th. Fontane, mit dem er auch sonst manche Aehnlichkeit hat, ein Cyniker, und zwar von der Sorte, der sentimentale Phrasen und feierliche Redensarten am ekelhaftesten sind — würde am lautesten darüber lachen. Aber er war ein ganzer Mensch und ein echter Künstler, der sein Handwerk ehrte, und darum sollte auch ihn das Handwerk ehren.
Seine Kunst und sein Leben waren ausgeglichen[80] und in Harmonie, daher die Liebenswürdigkeit, die beides umstrahlt.
Ich aber wollte der Liebe und Verehrung, die ich ihm übers Grab hinaus bewahrt habe und bewahren werde, Ausdruck geben: Nehmt alles nur zusammen, Steffeck war ein famoser Kerl.
Es gereicht der französischen Skulptur zur besonderen Ehre, dass die Kunst Aristide Maillols ihre Blüte und ihren Erfolg zur gleichen Zeit feiert, in der der ungeheure Ruhm von Rodin uns noch mit seinem ganzen Zauber beherrscht. Rodin hat uns aufgezwungen das Gefühl für seine schneidende Art, für seinen Geschmack an dogmatischer Schönheit an Charakter und Ausdruck, hauptsächlich an seinem Stil, der ganz nur ihm eigentümlich ist, der feurig und kompliziert, leidenschaftlich ist, der zum Fremdartigen neigt und der, was dies Alles besagt, durchtränkt[84] ist von Romantik. Er wird auf unsere Epoche einen ähnlichen Einfluss haben wie Richard Wagner: er ist das Haupt der modernen Schule, alle Neuerer werden aus ihm hervorgehen. — Und nun entdeckt uns ein neuer Meister ein anderes Ideal, andere Schönheiten, deren naive Sinnlichkeit, Einfachheit und Vornehmheit ohne Pose wieder mehr den Geschmack für das Klassische hervorheben und den Reiz eines frischen und kristallklaren Wassers haben.
Seine Kunst ist eine vornehmlich synthetische Kunst. Ohne durch irgend eine Theorie dahin geführt zu werden, nur durch seinen eigensten Instinkt, hat er an der neoklassischen Bewegung teilgenommen, deren Ursprung man bei Cézanne und Gauguin suchen muss. Die Terrakotten und die Holzschnitzereien des Meisters von Tahiti, ebenso wie die Kartons zu Gobelins von Emile Bernard sind nicht ohne Einfluss auf seine Entwicklung gewesen. Die Kunstleistungen der Synthetischen, die sich gegen den eklektischen Realismus der Akademien empörten, haben in Maillol, der ein Schüler von Cabanel war, seine wahrhafte Natur erweckt.
Aber während wir jene Einfachheit, jenen grossen Stil nur in Paradoxen suchten und nur unter grössten Opfern fanden, entdeckte ihn Maillol in sich selbst, fast mühelos. Er verstand es, die kleinlichen Berechnungen, die Vorurteile der akademischen Schule einfach über Bord zu werfen, und kam früh dazu, auf allen Gebieten Werke von wirklich synthetischer Schönheit zu schaffen.
Jeder denkende Künstler kommt früher oder später dahin, diese Art Schönheit jeder anderen vorzuziehen. Das Ideal der Kunst ist, in wenigen klaren und bestimmten Formen die unendlich verschiedenartigen Beziehungen zu kondensieren und zusammenzuziehen, die wir in der Natur beobachten. Gegen Ende ihrer Laufbahn verzichten ein Degas, ein Rodin, ein Renoir auf die köstlichsten Feinheiten ihrer früheren Malweise und erweitern ihr Handwerk, kürzen ab, vereinfachen und bringen Opfer. Wer unter uns, der sich der wahren, der einzigen Schwierigkeit unserer Kunst bewusst ist, würde nicht gern all seine Qualitäten von Geschmack, Feinfühligkeit und Technik eintauschen gegen jene kostbare Gabe, die vorzüglich die Begabung Maillols ist: die klassische Begabung.
In der Kenntnis der klassischen Kunst herrscht vor allem die Idee der Synthese. Kein Klassiker, der nicht ökonomisch mit seinen Mitteln umgeht, der nicht die Grazie des Details der Schönheit des Ensembles unterordnet, der nicht die Grösse durch Prägnanz erreichen will. — Aber die klassische Kunst verlangt ausserdem den Glauben an notwendige Beziehungen, an mathematische Proportionen, an einen Schönheits-Standard — entweder ein Sujet des Kunstwerks (Kanon des menschlichen Körpers) oder in der Oekonomie des[86] Werkes (Gesetze der Komposition). Wichtig ist auch, das Gleichgewicht zwischen Natur und Stil, zwischen Ausdruck und Harmonie zu finden. Der Klassiker handelt nach synthetischer Methode, stilisiert oder erfindet sogar vielleicht Schönheit, nicht nur beim Bildhauen oder Malen, sondern schon beim Sehen, wenn er die Natur anschaut. Jedes Objekt, das er betrachtet, erschafft er neu; wenn er ihm auch seine hauptsächliche logische Berechtigung belässt, wandelt er es seinem eigenen Genie gemäss um. Der griechische Bildhauer aus der Schule des Phidias weicht nicht dem Modell aus, indem er vereinfacht; er lässt nichts aus, aber so meisterhaft beherrscht er jedes Detail der Mathematik, dass sie sich alle in erhabener Harmonie auflösen. Der Körper, den seine Kunst erdenkt, ist so objektiv, dass er wahr erscheint, und doch hat ihn der Gedanke des Menschen konstruiert, er hat Stil. So bildet der Klassiker aus den der Natur entlehnten Elementen nicht nur die Elemente von Kunstwerken, wie der Orientale, der Romantiker oder der Impressionist, sondern auch die Elemente einer Natur, wie er sie sieht, ideal verständlich und nach seinem Bilde erschaffen. Es scheint übrigens, dass es die Griechen des fünften Jahrhunderts und die Aegypter sind, welche die allgemein verbreitetsten Schönheitstypen und die besten Proportionen geschaffen, sowie am meisten Leben und Realität in eine bis dahin rein architektonische Auffassung des menschlichen Körpers gebracht haben. Und ist es nicht gerade das, was wir[87] auch in anderen Epochen bei den Meistern der Bildhauer- und Malkunst am Mittelmeer, bei den Mosaikkünstlern von Rom und Ravenna, bei den Giottisten bewundern?
Wie jene bemüht sich auch Maillol vollkommen schöne und vollkommen einfache Formen zu schaffen. Den Gegenstand seiner Sinnlichkeit, alles, was er in der Natur liebt, kleidet er in gewisse Konventionen, die er erfunden hat. Er erschafft, ganz naiv, vielleicht sogar unbewusst, klassische Synthesen. Nichts Ueberflüssiges belastet die Knappheit seiner Figuren, von denen so manche die Reinheit einer Tanagra-Figur hat. Durch seine Geburt, durch seine Rasse gehört er dem Süden Frankreichs an: er kommt uns von den Ufern des Mittelmeers, dessen blaue Fluten die Geburt der Venus gesehen und zu so vielen berühmten Kunstwerken begeistert haben. Irgend ein Grieche, sein Ahnherr, hat vielleicht an unsere südlichen Küsten mit dem Kultus der Schönheit auch den der Pallas Athene mitgebracht, also den Kultus des klassischen Geistes. Er selbst, mit seiner gut gebauten Stirn, seiner geraden Nase, seinem borstigen Bart, gleicht einem der Krieger aus dem äginetischen Giebelfeld; er ruft in einem die Gedanken an einen Begleiter des schlauen Odysseus wach, den eine keltische Nymphe an diesen Ufern[88] zurückgehalten hat. In Bauyulx in Roussillon geboren, wo er auch alljährlich die Wintermonate verlebt, ist er zwischen den Pyrenäen und dem Meer aufgewachsen, unter Olivenbäumen und in Weingärten. Da erhält eine freigebigere Sonne die Geister der Menschen, eine lächelnde Jugend. Sie sind immer zum Enthusiasmus bereit, feurig in Worten, zu wunderbaren Erzählungen geneigt. Wer Maillol gehört hat, wie er Melodien seines Vaterlandes singt, den Himmel, die Sonne und den Wein rühmt, der weiss, wie tiefe Wurzeln ihn an den lieben Boden des Vaterlandes knüpfen, Φιλὴν ἒς πατριδα γαῖαν, dort hat er die Weisheit Houdon's wiedergefunden, da knüpft er mit leichter Grazie an die Traditionen der griechischen Bildhauerkunst an.
Von anderer Seite[1] wird behauptet, dass Maillol ein Anhänger der Gotik sei. Und das scheint ein direkter Widerspruch gegen uns zu sein. Ich gebe zu, er hat die Grazie, die Intimität, die Feinfühligkeit des Occidentalen. Seine Auffassung des Realen berührt uns näher als die Vollkommenheit der Antike, er hat eine anmutende Heiterkeit, „incessu patuit dea“ lässt sich nicht auf seine nackten Figuren anwenden. Sein Klassizismus liegt uns näher, mit einem Wort, er ist ein Moderner. Aber man muss sich darin verstehen. Ich teile nicht das Vorurteil unserer lateinisch-heidnischen Erziehung, die uns unser Mittelalter als eine dunkle Epoche der Askese und der Barbarei zeigt. Im[89] Gegenteil, das Christentum erweckte die Leidenschaft für die Natur: die Kunst des Mittelalters, bald mystisch, bald sinnlich, hatte ein sehr lebhaftes Gefühl für alles, was reizvoll auf der Erde ist. Die Meisterwerke unserer Bildhauerkunst des XIII. Jahrhunderts lassen sich ganz mit den Meisterwerken des griechischen V. Jahrhunderts vergleichen. Obgleich sie verschiedenartiger, lebendiger, ausdrucksvoller sind, dürfte man ihnen den Charakter allgemeiner Menschlichkeit, und jene erhabene Roheit absprechen, durch die Maillols Statuen mit den schönsten Antiken verwandt sind. Aber von unserm Standpunkt, d. h. vom klassischen Standpunkt aus, muss jeder zugeben, dass z. B. die Statuen von Chartres eine ebenso geläuterte Kunst, einen ebenso gefeilten Stil, ein ebenso reines Formgefühl zeigen wie die schönsten griechischen Statuen. Und es giebt wenig Darstellungen der Frau in der griechischen Kunst des V. Jahrhunderts, die so frisch und köstlich wirken, wie die Darstellung der heiligen Jungfrau, die die Gotik uns so rundlich und heiter lächelnd zeigt. Das Buch über die Sinnlichkeit und die Vollkommenheit der Form der französischen Bildhauerkunst des Mittelalters ist noch nicht geschrieben.
Ich weiss nicht, ob Maillols synthetische Methode sich an die Griechen oder an die Gotiker lehnt. Aber unbedingt sehe ich bei ihm ein entschiedenes Eingehen auf die Natur und auf das individuelle Leben, das er, wie in den Kirchenbildern, durch absolute Wahrheit übersetzt, die ihn bis zur Missbildung und zum Linkischsein[90] führt. Am Portal von Notre Dame in Paris, in der Herodias von Rouen, im Vierblatt von Amiens, im Giebelfeld der Brautthür von St. Sebaldus in Nürnberg finden sich Rundungen, eine Grazie, Naivitäten, die der reine Maillol sind.
In ihm vereinigen sich versöhnlich zwei aufeinanderfolgende Traditionen, das griechische V. und das christliche XIII. Jahrhundert, zwei Kunstformen, die den idealen Typus der Menschheit durch die Fülle der Form verwirklicht haben.
Bis zu welchem Grade Maillol das Gefühl für die Form, für die Schönheit einer Linie, für die geometrische Vollkommenheit eines Körpers hat, das drücken schon vollkommen seine Entwürfe, seine flüchtigen Skizzen aus. Ein einfacher Zug genügt ihm, um sein plastisches Interesse an einem Werke zu rechtfertigen, an dem wir ihn dann lange Monate arbeiten sehen. Die zauberhaften Arabesken seiner Tapisserien zeigen sein erstes Tasten nach der Form; allerdings sind sie farbig und das ist auf den ersten Blick ihr grösster Reiz. Wenn er auch aus einem Land stammt, das Poussinsche Linien und mehr graue Tinten zeigt, so reizte ihn doch von Jugend an das Spiel der Farben. Er war ein malerisches und dekoratives Talent, ehe er Bildhauer wurde. Man kennt die schönen gewirkten[91] Tapeten, die er im Salon der Société Nationale ausstellte: grosse Figuren genial drapierter Frauen in der Umgebung eines Obstgartens oder Parks. Aber gerade in diesen ersten Werken, ebenso in seinen wenigen Malereien, Lithographien und Holzschnitten entdeckt man unter der Zartheit der Farben sein tiefes Gefühl für die Form, auf den emaillierten Fayencetellern, die aus seiner Anfangszeit stammen, z. B. den beiden jungen Mädchen, die eine Giesskanne tragen, stehen die Umrisse in voller Schärfe, und doch treten schon die Modellierungen bedeutungsvoll hervor. Und schon seine ersten Figurinen zeigen in ihrer Fülle all seine plastischen Qualitäten. Seine Meisterschaft bestätigt sich in den Statuen und Statuetten der letzten Jahre, der halbdrapierten Figur von Octave Mirbeau; den Kämpferinnen und dem sitzenden jungen Mädchen von Herrn Vollard, einer stehenden Frau von Mr. Fayet, einer kauernden weiblichen Gestalt vom Grafen Kessler; in allen entdeckt man erstaunliche Kombinationen von Flächen und gefälligen Rundungen, ein vollkommenes Verständnis der relativen Wichtigkeit der Volumen, eine starke Modellierung und Breite in der ganzen Ausführung. Was ist nun in der Ausarbeitung seines Werkes sein Kriterium, sein Führer? Es ist nicht der Charakter eines ein für allemal gewählten Typus; denn er entnimmt verschiedenen Modellen, Abgüssen und selbst Photographien die ganz verschiedenen Elemente, die er zu einem Ganzen verschmilzt. Es ist auch nicht die Bewegung, denn er[92] verändert sie im Laufe seiner Arbeit, es ist einfach das wundervolle, instinktive, natürliche Gefühl für die Form.
Keiner komponiert so wie Maillol das Element des Fleisches, die Symmetrie eines Torsos und die ganze Architektur der Sinne, in der sich seine Phantasie entfaltet. Er braucht absolute Freiheit, um nach seinem sicheren Instinkt zu erfinden und die Materie zu gestalten. Aber auch im Meistern der Ueberfülle seiner Gaben, in der Art, wie er unter tausend verschiedenen Elementen diejenigen wählt, die am geeignetsten sind, ihn zu befriedigen, fühlt er ganz wie die Klassiker das Bedürfnis eines Zwangs. Dieser Nachkomme der Aegypter, der Griechen und des herrlichen Pradier schreibt sich selbst festgelegte Proportionen, feste Satzungen vor: nach seinen gewöhnlichen Modellen hat er die Maasse präzisiert, die ihm gefallen, und einen idealen Typus geschaffen, dem er nach Möglichkeit alles unterwirft. Ich habe beobachtet, dass er sich, indem er möglichst systematisch kugel- und cylinderähnliche Formen verwendet, den Rat von Ingres zu verwirklichen bemüht: „dass die Beine wie Säulen sein müssen“. — Und er verwendet die vom Meister bezeichneten Mittel: „Um die Schönheit der Form zu erreichen, muss man rund und ohne innere Details modellieren. Denn „schöne Form ist gerade Flächen mit Rundungen“. — Und Ingres fügte hinzu: „Warum schafft man nicht grossen Stil? weil man statt einer grossen Form drei kleine macht.“ Eine[93] glänzende Formel, welche die ganze Kunst und Methode Maillols umfasst!
So haben wir nun untersucht, welche Qualitäten er für sein Schaffen mitbringt und mit welcher Beherrschung er eine ganz konkrete und ganz mit Realismus genährte Phantasie beherrscht. Denn solche Kunst wäre in der That akademisch, wenn die Liebe zum Realismus nicht überall darunter hervorblühen würde. Aus seinen vollendetsten Synthesen ist es leicht, seine Begeisterung für die Natur herauszufühlen. Dieser grosse Klassiker hat eine ganz kindliche Empfindung. Jedes noch so vertraute Schauspiel in der Natur sieht er jedesmal wieder mit entzückten Augen und einem frischen Herzen. Die ganze Aussenwelt liebt er leidenschaftlich. Giebt er nun wirklich dem was er sieht den Vorzug vor dem, was er erfindet? Eine offene Frage. Jedenfalls hat er die Gabe der Frische in einem unerhörten Grade. Ich habe ihn in Ekstase geraten sehen über einen Kieselstein, über ein Stückchen Erde, über den Glanz eines Metalls. Seine Zärtlichkeit ist unermesslich, er ist für den Zauber jeder Sache empfänglich.
Wenn seine künstlerische Neugierde so universell ist, wenn er sich so warm mit dem anzuwendenden Material, mit der Patina, beschäftigt, wenn er gern[94] neue Mischungen zum Modellieren erfindet, wenn er bei seinen Spaziergängen auf dem Lande Pflanzen sammelt, um ihren Saft zu Farbstoffen auszupressen, so kommt das daher, dass nichts in der Natur ihn gleichgültig lässt. Er ist eben mit allen Sinnen der geborene Realist.
Dies ist auch das Geheimnis seiner sexuellen, mehr griechischen als christlichen Sinnlichkeit, in der seine Kunst sich gefällt. Ein voller Rücken, strotzende Schenkel, runde Schultern, die Weichheit des Leibes, straffe Brüste — bei all diesen Reizen des weiblichen Körpers verweilt zärtlich sein Meissel. Die Antike, die nicht die Frauen liebte, hat uns wenige so verführerische Figuren hinterlassen. Keine Romantik, keine Literatur kompliziert ihm die jugendliche Vision dieser schönen, zur Liebe bereiten Körper, ohne Scham und ohne Leidenschaft, Geschöpfe der feinsten und köstlichsten Bestialität, kräftig gebaute und gesunde Musen, deren lässige Stellungen sie der Mutter Erde nähern, oder die manchmal ohne Bewegung im Glanz ihrer Nacktheit dastehen; Architekturen des Fleisches, die kalt wären ohne jenes Erzittern der Haut, ohne jene Unbestimmtheit der Geste, ohne die Zärtlichkeit, die ihnen die wundervolle Schüchternheit Maillols einhaucht.
So oft er aufrichtig ist, wird er linkisch. Ich verstehe unter „linkisch“ jene Art von Ungeschicklichkeit, durch die sich, nicht gebunden an äussere Formen, die persönliche Erregtheit des Künstlers offenbart. Nicht nur unsere alten Meister, die frühen Gotiker, nein, auch die grössten unserer Modernen haben uns Zeugnis von dieser glücklichen Naivität gegeben. Ingres ließ sich, statt sich mit den akademischen Vorschriften der Schule Davids zu begnügen, ruhig der Ungeschicklichkeit zeihen und wagte die Thetis zu zeichnen! Der alternde Puvis de Chavannes bäumte sich gegen den Verfall der Ingres-Schule auf und in ihm erstand die Kindlichkeit der Giottoschule wieder. Um der jämmerlichen Oberflächlichkeit der Kunst des zweiten Kaiserreichs zu entgehen, begnügten sich Manet, Renoir, Degas damit, aufrichtig zu sein und verachteten die Virtuosität, und die Kritik witzelte über ihre Unkenntnis der Prinzipien von Kunst, Farbe und Zeichnung!
Der Fall Maillol ist ein komplizierterer; seine Kunst ist eine Kunst der Formeln, aber sein Instinkt stellt sie auf: er enthält sich jedweder Konvention, wenn er sie nicht, wenn ich so sagen darf, selbst erlebt hat. Man muss folgendes richtig verstehen: Seine Aufrichtigkeit kennt nur Grenzen insoweit, als sein klassischer Geschmack in Betracht kommt. Immerhin ist sie aber begrenzt; und trotz dieses Zwanges bricht sie überall[96] siegreich hervor, sie macht diese kanonische Schönheit lebendig, so dass, so vollendet er auch erfindet, seine Kunst doch der Triumph des Instinkts ist. Wie naiv sieht er sein Modell, wie natürlich formt er es! Die Kühnheiten, die er sich mit der Natur erlaubt, die Missbildungen, durch die er eine Bewegung, eine Stellung betont, der Rhythmus eines schönen Körpers, kein Kunstgriff verbirgt sie: man sieht sie deutlich, er hat gar nicht die Absicht, etwas zu verbergen! Keinerlei Erleichterung, kein Notbehelf! Wie seine Frauengestalten sind, ist seine Kunst nackt und natürlich! Und wie sie hat er auch jene bäurische Derbheit, eine ganz altmodische Gesundheit und jene Schamhaftigkeit, die jeder von Natur offene Mensch einer komplizierten Zivilisation gegenüber hat. Welch herrliches Naturell! er vereinigt die Tugend eines Klassikers mit der Unschuld eines Primitiven!
Wie die Primitiven hat er die Achtung vor seinem Handwerk. Er macht sich gar nichts aus den Klassifikationen der Theoretiker, und er glaubt nicht, dass die Inspiration allein genügt ohne die Fügsamkeit der Hände. Er lässt sich nicht durch leere Worte düpieren, er weiss, dass die Kunst kein Priesteramt ist, dazu bestimmt, um die Gesetze der „essentielle humanité“ zu entwirren und zu verkünden. Die Dilettanten unserer[97] Zeit, die abergläubisch die geringfügigsten Skizzen irgend eines geschickten Talentes verehren, werden in Maillol keinen Mitschuldigen für ihren Fanatismus finden. So durchdrungen er von seinem Werte ist, so will er weder sich noch uns durch eine Skizze zufriedenstellen. Er hat den Ehrgeiz und die Anständigkeit, zu vollenden, zu glätten, mit einem Wort, ein vollkommenes Kunstwerk zu schaffen. Er nimmt sich dazu die notwendige Zeit, er hat die Redlichkeit des Kunsthandwerkers aus früheren Tagen: er hat Geduld. Solch ein Praktiker ist eine Seltenheit in unserer Epoche des Impressionismus und der Improvisation, er verschmäht, mit den Abdrücken seiner Finger im Thon zu modellieren, und ist nicht zufrieden, bis sein Holz hübsch sauber, sein Thon geglättet ist und bis die Bronze unter der Feile die Fülle der Oberflächen und die Eleganz der Rundungen angenommen hat. Wenn er die Geduld der Primitiven hat, so treibt er auch wie sie sein Handwerk einfach, indem jede Handhabung aus der Erfahrung seiner Hände resultiert. Die moderne Industrie mit ihren flinken Hülfsmitteln schädigt nicht seine eifrigen Versuche, ja, ich wage zu sagen, er verachtet sie; ebenso hat er kein grosses Zutrauen zu den Neuerungen auf wissenschaftlichem Gebiete: er verlangt von der Natur direkt alle Hülfsmittel, die sie ihm bieten kann, und für das übrige nimmt er zu den Traditionen des Handwerks Zuflucht.
Auf seinen zufälligen Spaziergängen in Banguls entdeckte er die seltensten und dauerhaftesten Tinkturen, ein alter Apotheker leitete seine botanischen Sammlungen und um seine Färbmittel herzustellen, bediente er sich der Rezepte von Empirikern. Und so gelang es ihm, Wolle von absolut echten Farben herzustellen, die, wie Herr Meier-Graefe versichert, denen aus der Manufaktur der Gobelins vorzuziehen sind. Ich muss noch hinzufügen, dass er dieselbe Methode in der Zusammensetzung der Thonerde und der Emaille anwendet, ebenso in der Wahl und der Verfertigung seines Handwerkszeugs.
Voller Verehrung für die Vergangenheit, gehorsam den Lehren der Museen, ahmt er keine Epoche sklavisch nach und liebt sie alle. Daher archaisiert er auch nie mit Absicht, er erschafft jede seiner Formeln neu. Wenn er manchmal den Griechen aus der Zeit des Phidias sich nähert — und das springt bei einer lebensgrossen Figur, an der er jetzt arbeitet, in die Augen, kommt das nicht etwa durch eine mühsame gnostische Nutzanwendung, durch die Vermittlung einer kühlen Ueberlegung, oder durch Nachahmung — nein, er fühlt eben einfach ganz wie sie, und ihre Vollendung ist die seine, die ganz mit seinem Instinkt übereinstimmt. Er ist ein primitiver Klassiker.
Ich habe gezeigt, welchen selbst erwählten Platz Aristide Maillol unter den Neueren in der Kunst[99] unserer Epoche einnimmt. Keine Versuchung, kein Einfluss (wenn es nicht etwa der Rausch des Erfolges wäre) könnte ihn von einem so scharf gezeichneten Wege ableiten, auf dem er schon Werke von einer seltenen Vollendung geschaffen hat. Und doch entwickelt er sich noch. Es sei erlaubt, dem nachzudenken, nach welchen Zielen seine letzten Arbeiten streben. Seine ersten Terrakotta-Plaketten, in denen er bei seinem Auftreten so geglückte Silhouetten prägte, seine Bronze-Figurinen, hauptsächlich seine letzten Statuetten, waren schon trotz ihrer kleinen Proportionen monumentale Werke. Es wäre von nun an richtig, dass die Architekten ihn teilnehmen liessen an der Ausschmückung künftiger Paläste. Niemand verstünde besser als er, seinen Statuen die gebührende Rolle zu geben, die der Skulptur in der Oekonomie eines Gebäudes zukommt. Sie würden den strengen Linien der Steine ein heiteres Leben einhauchen, ohne die Grösse der Gesamtheit zu zerstören, ohne die Uebertreibung einer Bewegung oder die Aufdringlichkeit eines Ausdrucks. Wie selten sind aber moderne Architekten, die soviel Stil und soviel Mässigung verdienen! Ich denke mir ihn lieber, wie er die Alleen eines Parks verschönt und wie er unter dem dichten Grün eines neuen Versailles, in der klassischen Umgebung eines französischen Parks, edle und verführerische Bildwerke errichtet, eine Freude für die Augen und ein Ausruhen für den Geist.
Fußnote:
[1] Jacques Blanche.
Sobald ausserordentliche Künstler über Künstler sprechen, ist es bemerkenswert; sie übertreffen die „richtigen“ Meinungen, ebenso wie ausserordentliche Gemälde in den Geist der Kunst selbst dann einführen, wenn sie Fehler haben. Die Fehler gehen aus dem Begnadetsein des Künstlers hervor; wer den Künstler liebt, wird ihn auch in seinen Uebertreibungen lieben und lernt durch ihn unsagbare Dinge. In glänzender Weise hat Ruskin, der, obzwar Schriftsteller von Profession, doch gleichfalls ein Künstler war, der sich in Uebertreibungen erging, gesagt: Michelangelo und Turner waren Gegenpole und die beiden grössten Künstler jeder in seiner Art, der eine[101] der grösste Monumentalkünstler, der andere der grösste Landschaftsmaler. Er hat sich geirrt. Derartiges Generalisieren führt notwendig einen Mangel an Feinheit des Urteils herbei. Er hat jedoch in grossen Strichen gezeichnet und sein Urteil wirkt anschaulich. Aber wunderbar hat andererseits der geniale Zeichner Aubrey Beardsley den englischen Landschaftsmaler charakterisiert — ebenfalls mit paradoxen Mitteln. In einer Novelle hat Aubrey Beardsley dies Kunsturteil über Turner niedergelegt. Zauberhaft geschrieben ist sie. Beardsley zeigt den Helden seiner Novelle in einer Morgenstunde, den sonderbar gemusterten Betthimmel anblickend und seinen Ideen nachhängend. Nachdem er erzählt hat, an was alles sein bizarrer Held in diesem Augenblick denkt, an lauter schöne, anmutige und interessante Dinge, fährt Aubrey Beardsley, der sich mithin nicht allein zum Novellisten sondern auch zum Kritiker geeignet zeigte, in seiner Erzählung fort:
„Er dachte auch an den Claude Lorrain in Lady Delaware's Sammlung, das Hauptwerk eines anbetungswürdigen und unfehlbaren Meisters, der mehr als irgend ein anderer Landschaftsmaler uns von der Atmosphäre unserer Städte frei und uns vergessen macht, dass das Land zuweilen schon steif, langweilig und ermüdend sein kann. Es scheint fast unglaublich, dass man Claude jemals in ungünstigem Sinne mit Turner, dem Wiertz der Landschaftsmalerei, verglichen habe. Corot ist sein einziger ebenbürtiger[102] Rival, doch verdunkelt oder ersetzt er Claude Lorrain nicht. Ein Corot'sches Gemälde ist wie ein zartes lyrisches Gedicht voll Liebe und persönlicher Aussprache; während eine Landschaft von Claude an eine vornehme, gedankenschwere Ekloge erinnert.“
Eine feinere Bemerkung als der Vergleich von Turner mit Wiertz, dem belgischen Gernegross, ist selten gemacht worden. In der Verurteilung Wiertz' ist sich alle Welt einig, in der Geringschätzung Turner's ist man sich so wenig einig, dass Aubrey Beardsley gewiss der Letzte gewesen sein würde, der den Vergleich mit Wiertz ernstlich aufrecht gehalten hätte. Dennoch fühlt man, wie etwas Treffendes in dem Worte liegt.
Liebe Mutter!
Du wirst mit Einpacken für Emilie[2] beschäftigt sein und ich freue mich darüber, dass wenigstens Eines Deiner Kinder entschlossen ist, während auf mir noch immer der Dämon der Unentschlossenheit ruht.
Ich habe wahrhafte Sehnsucht an die Arbeit zu kommen. Vorgestern Abend wurde mir allerseits zugesetzt, den Winter hier zu bleiben.
Professor Schwind, mit dem ich von früherher ganz auseinander war, wurde ich vorgestellt und er hat sich den ganzen Abend mit mir auf das herzlichste unterhalten. Gestern war ich bei ihm und ich muss ihm, trotzdem er nicht malen kann, den Preis geben vor allen Andern. Er ist wirklich der Genialste, der mir noch vorgekommen.
Spät in der Nacht, nach dem Abendessen, liess er die Musiker, welche bei Tafel gespielt hatten, noch ein Quartett von Haydn machen.
Er findet es schlimm, dass ich bloss vom Verkaufe meiner Sachen leben muss, und meint, es hätte einen bessern Klang, wenn ein Bild aus München, als aus Karlsruhe komme.
An Böcklin schreibe ich heute. Piloty war von exquisiter Freundlichkeit. Der Grossherzog von Weimar hielte viel auf mich; er selbst gehe auf Besuch hin und nach Berlin und schlug mir vor, mitzugehen, aber nicht vor Anfang November, da der Herzog auf der Jagd wäre und er es mir sehr übel nähme, wenn ich zu einer Zeit hinkäme, wo er abwesend...
Wenn ich (hier) die Behaglichkeit der Leute sehe, den Reichthum ihrer Ateliers, der Hilfsmittel, die ihnen dadurch zu Gebote stehen, so möchte ich mich sofort ersäufen...
Mit Modellen sieht es hier schlecht aus, in Weimar auch...
Was habe ich von Karlsruhe, wo man mir nicht einmal einen Auftrag gegeben? Böcklin hatte nach langem Kampfe sein Bild[3] endlich für sechshundert Gulden in die Galerie hier gebracht!
Ich besuche alle Ateliers, manche mehrmals, weil ich durchaus wissen will, woran ich bin. Es hat mich Manches so frappiert, erfreut, abgestossen und[107] die Behaglichkeit der Hülfsmittel verblüfft, dass ich, nach meinem unkünstlerischen heidelberger Aufenthalt, mir manchmal vorkam, wie der Bauer, der zum Erstenmal in die Residenz kommt. Auf jeden Fall ist der Aufenthalt ein sehr lehrreicher.
In ruhigen Augenblicken will mich's bedünken, als ob mein Farbensinn feiner sei und mein Streben, mein Weg, immer der gleiche bleiben müsste, um ein grosser Künstler zu werden, oder zu sein. Allein diese Perioden der Unentschlossenheit, die ich nur meiner Erfolglosigkeit zu verdanken habe, ruinieren mir gar zu viel. Alles arbeitet darauf los, und nur ich bin auf dem Punkte, nicht zu wissen, wohin ich meinen Stab lenken soll. — Die Unthätigkeit ist mir wahrhaft verhasst.
Was das Alterthümeln meiner Bilder anbelangt, so sind das Kleinigkeiten, die die Leute abstossen, und ist dies leicht zu vermeiden.
An Böcklin habe ich das Beispiel, wie weit man kommt; seine Sachen stehen gegen die römischen zurück. Wie sollte es auch anders sein, da ihm die Anschauung fehlt und immerwährende Nahrungssorgen seine reizbare Natur aufreiben.
Piloty hat sich gut geäussert über ihn und mir gesagt, wie sehr er an mir hänge.
Fries... ist der Einzige, der mir nach Rom räth, da alles Glaubenssache sei. Doch ist Unentschlossenheit begreiflich bei diesen Zeiten, mit tausend Franken in der Tasche, die noch dazu gepumpt sind.
Morgen sehe ich mich nach Atelier um, obgleich bei kalten leeren Wänden sich der Genius nicht gleich einstellen dürfte, nur um Alles zu versuchen. Briefe Riedels und Böcklins erwarte ich noch hier.
Dass in München doch eine Künstlerluft ist, thut wohl gegen Frankfurt und Karlsruhe.
Nach Berlin schicke ich nie mehr was, es kommt gar nichts dabei heraus.
Mein einziger Trost ist meine rasche Art zu produzieren, was mich diesen ewigen Zeitverlust verschmerzen lässt. Eines ist sicher, dass man herumreisen muss, anschauen etc. heut zu Tage, sonst bleibt man zurück.
Ich habe nun immer mehr die Ueberzeugung, dass mein Weg ein feiner und bedeutender ist, dass ich wohl so fortfahren muss; doch ist mit der Energie nicht Alles gethan und dass ich dabei immer arm bleiben werde scheint ausser allem Zweifel.
Hier sind die gegensätzlichsten Richtungen; in meiner liegt eigentlich Alles versöhnt...
Dass ich Rom wiederbetreten werde, steht fest in meiner Seele; möchte ich doch bald dieser zweifelnden Ungewissheit enthoben sein.
Es ist zum Verzweifeln, Alles will mich haben und Niemand bietet Etwas. — Nachher will ich zu Kaulbach, der gewiss ein ganz heruntergekommener Mann ist.
Man ist sehr artig gegen mich und habe ich dies Wenige nicht blos meiner Arbeit und Rom zu verdanken. Es kann sich kein Mensch mehr Vorwürfe[109] über diese Unschlüssigkeit machen, als ich selbst; ich verfluche sie und werde deshalb doch nicht klüger...
Wie freue ich mich, dass Emilie ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt; es kann und soll ihr leichter fallen, als mir, der ich ganz Künstler bin und den man nicht so verpflanzen kann nach Belieben...
Eines habe ich gesehen, dass meine Kunst ein delikates Pflänzchen ist und ich kann noch übertölpelt werden, auch wenn ich unverdrossen weiter mache.
Wenn ich hier geblieben wäre, so hätten meine Bilder hierher gemusst, denn es wäre doch möglich, dass mir eine Bestellung vom König geworden wäre; so sind sie in Berlin, was mich am meisten ärgert, gehen dann nach Hannover, wo ich wenig Hoffnung habe zum Verkaufe...
Der Gedanke an ein grosses Werk in Rom steht unverrückt fest in meiner Seele und die Zeit, wann, kommt nicht einmal so sehr in Betracht, nur dürfte es nicht zu lange anstehen.
Eine blosse Reise nach Weimar kostet mir zu viel. —
Schwind ist der einzige, echte Künstler; bei den Andern sind es frappante, photographische Studien, wobei das Detail immer besser ist, als die Gestaltung.
Mein Studium des Menschen ist eine heut zu Tage brodlose Kunst.
Schwind nahm mich gleich unter den Arm und schimpfte furchtbar über meinen Hafis.[4]
Liebe Mutter!
Ich habe gestern einen sehr schönen Tag verlebt, Vormittags in der Galerie, Nachmittag und Abend mit Schwinds Familie. Er hatte die Güte, mir die sieben Raben zu zeigen, Eigenthum des Grossherzogs von Weimar, ein Werk so köstlicher Genialität und so ergreifender Lieblichkeit, dass ich ganz selbst verzaubert bin. Ich glaube, dass sich Niemand der Thränen erwehren kann, wie am Schlusse die langersehnten Kinder, als Jünglinge, jauchzend herangesprengt kommen und den Scheiterhaufen, auf welchem die Schwester steht, umringen. Es hat mich lange nichts so ergriffen.
Abends gingen wir noch in die Redaktion der Neuesten Nachrichten und da habe ich ein Atelier ausschreiben lassen, vielleicht hilft es. Sie wollen mich wenigstens bis Donnerstag halten, wo Händels Esther gegeben wird. Aber ich thue es nicht, sondern gehe, so schwer mir der Abschied wird, nächste Woche nach Rom.
Was werden mir die Karlsruher denn schreiben, die Philister?
Schwinds haben mir sogar ihre Villa angeboten am Starnbergersee, für den Winter, wo auch Du hinziehen sollst. Doch das sind Träume. Du siehst daraus, wie herzlich man hier gegen mich ist.
Ich habe hier viel gelernt und bereue keine Stunde, die ich hier verlebte. Ich habe jetzt noch einige Tage zum Zuwarten, dann gehe ich — mein Koffer steht noch in Friedrichshafen — aber für nicht länger, als anderthalb bis zwei Jahre; dann will ich an ein fröhliches, deutsches Schaffen gehen, weil ich fürchte, in Rom Hypochonder zu werden.
Dass mir Schwind die Bilder zeigte, darf ich hoch genug anschlagen, da sie beim Photographieren sind und Tausende sie zu sehen verlangten. Seine Frau, die mich noch vom Maskenfeste[5] her kennt, meint, ich sei jünger geworden seit damals.
In Schwinds Sachen weht ewige Jugend und ein Duft, dass ich mich wirklich, mit all meinem Talente, tief unter ihm fühle.
Ich werde hier kein Atelier finden und dann heisst es nächste Woche fort. Wäre ich geblieben, so hätten alle meine Bilder hergemusst. Mit Karlsruhe will mir's nicht in den Kopf, ich würde dann doch gleich im Frühling hierherkommen.
Es gehen mir nach und nach die Augen auf; ich habe viel gelernt und bin ein feiner Künstler — aber ob ich je so sprudeln lassen kann, wie Schwind, daran zweifle ich.
Was ist es ein eigenes Ding um das innere Gefühl! Warum bin ich von Friedrichshafen nach München? — Ich glaube, dass sich in meinem Innern Etwas umgestaltet und ich werde auch in Rom andere Sachen machen.
Schwind sagte mir, er habe nach langen Kämpfen endlich so viel, dass seine Familie nach seinem Tode leben könne.
Man sagt hier, dass die Polizei in Karlsruhe die Künstler scharf bewache, wegen der Modelle!!!
Gönne mir noch die paar Tage ruhigen Betrachtens, der Abschied kommt früh genug. Ich will dann doppelt und dreifach fleissig sein. Später komme ich dann nach München, wo ich mich an Schwind anschliessen will. Ich kann lernen von ihm, wie man heiter bleibt und gesund. Meine Farbe bleibt mir immer. Ich halte ihn für den Ersten, und blos, weil er das Herz bewegt mit seinen Sachen.
Briefe von Dir treffen mich noch hier...
Ich komme mir manchmal wie ein rechtes Rindvieh vor, Gottlob sind das nur vorübergehende Stimmungen...
Schreibe mir noch einmal hierher, wie ich Dich bereits im vorigen Briefe gebeten.
Jenes feuchte, kleine Atelier nehme ich nicht, man kann sich dort den Tod holen[6]. Jetzt warte ich noch bis Anfang nächster Woche, dann muss ich weg.
Heute gehe ich zu den Antiken.
Dein Anselm.
Liebe Mutter!
Als kurze Antwort auf deinen wohlgemeinten Brief kann ich nur sagen, dass mir München das Liebste wäre, doch wird es am Ateliermangel scheitern, so wie es Knaus ging. Ich bin deshalb immer auf den Beinen und habe auch Auftrag gegeben. Ich kann nicht mehr thun. Hier stünden mir alle Hilfsmittel zu Gebote und wenn ich Etwas auftreibe, so wäre ich gleich bei der Hand.
Genelli hat geschrieben und ich habe Gelegenheit gehabt über Weimar so viel zu hören, dass mir die Lust ein für allemal vergangen ist...
Was Rom betrifft, so ist Ende November noch nichts verloren, und schreibt Riedel günstig, so wäre kein Hindernis.
Wenn Du anfragen willst in Karlsruhe, so thue es, nur weiss ich keine Ateliers dort, ausser die der Kunstschule und da gehe ich wirklich nicht gern hinein und auf andere Geschichten lassen sie sich nicht ein.
Ich benütze die nächsten Tage zur Atelierjagd; an Umgang würde es nicht fehlen, auch habe ich noch für acht Tage genug zu sehen und zu studieren...
Finde ich hier kein Atelier, und ist die Antwort der Karlsruher nicht so, wie wir es wünschen, und (lautet) Riedels Brief nur halbwegs acceptabel, dann breche ich zum zweiten Mal Alles ab und gehe nach Rom und wenn es Ende November wäre.
Die Motive die mich nach München trieben sind klar; es entsprang aus dem innersten Bedürfniss, mitlebende Künstler sehen und schätzen zu lernen und meine Sache in Rapport damit zu bringen, weil ich Isolierung als Mensch und Künstler in Rom befürchtete. Dem Uebelstand wäre jetzt schon abgeholfen, da ich Eindrücke genug habe, um sie für ein Jahr in der Stille zu verarbeiten. Hier wäre ich gut am Platz, weil meine Richtung mittendurch geht. Ich kann nichts weiter sagen, als dass ich in München bleibe, wenn ich Etwas finde... Scheitert es, dann bin ich reduziert auf Rom oder Karlsruhe.
Du wirst bald an der Antwort merken, ob sie flau oder ermuthigend ist, und dann breche ich die Zelte ab und laufe dem Teufel in den Rachen, wenn es sein muss. Ich weiss nichts Besseres. Weimar und Frankfurt sind mir ganz Null geworden.
Hier ist neutraler Boden, billiges Leben und ernsthaftes Streben — aber auf der Strasse kann ich nicht arbeiten...
Ich beschliesse diesen Brief, weil ich wieder herumlaufen will... Hätte ich ein Atelier gefunden, dann sässe ich heute schon drinnen... Hier wird doch was geleistet, man giebt und empfängt Anregung und ich habe nur einen Wunsch, dass es mir gelingen möge ein Atelier zu finden...
Dass mir Rom immer das Edelste bleiben wird, versteht sich von selbst, denn dort allein habe ich nie geschwankt!
Dein Anselm.
Fußnoten:
[2] Die Schwester des Malers.
[3] Den Pan im Schilf in der neuen Pinakothek.
[4] Schwind hasste den französischen Kolorismus und also auch Feuerbachs in Paris entstandenen „Hafis vor der Schenke“.
[5] Feuerbach war 1848 und 1849 studienhalber in München gewesen. Schwinds waren seit 1847 in München.
[6] In Karlsruhe.
Warum sollte ich meine Werke nicht Symphonien, Arrangements, Harmonien und Nocturnos nennen? Ich weiss recht wohl, dass manche braven Leute meine Bildertitel komisch und mich selbst exzentrisch finden. Ja, exzentrisch ist das Wort, das sie für mich aufgebracht haben. Die grosse Mehrheit des englischen Publikums kann und wird nie ein Bild einfach als Bild ansehen, losgelöst von allen literarischen oder historischen Momenten. Mein Bild — eine Harmonie in Grau und Gold — eine Schneestimmung mit einer einzelnen schwarzen Gestalt und einer erleuchteten Schankwirtschaft, ist hierfür ein Beispiel.[118] Mir ist die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der schwarzen Figur vollkommen gleichgültig und ich habe sie dorthin gemalt, einfach weil an diesem Punkte eine schwarze Note hingehörte. Das einzige, was mich dabei interessiert, ist, dass die Kombination von Grau und Gold der Grundton des Bildes ist. Und das ist gerade, was meine Freunde nicht begreifen können. Sie sagen: „Warum soll man es nicht ‚Trotty Veck‘ nennen und diese Harmonie von Grau und Gold dadurch in einen hübschen Haufen Gold und Silber verwandeln? Und geben damit ganz naiv zu, dass, ohne einen netten Taufnamen, kein Geschäft zu machen ist. Aber selbst vom kaufmännischen Standpunkt aus wäre dies Anfüllen seines Ladens mit den Waren eines Anderen unanständig, wenn es nicht durch den Brauch geheiligt wäre. Selbst die Beliebtheit eines Dickens dürfte nicht heraufbeschworen werden, um einer ganz anders gearteten Kunst zum Erfolge zu verhelfen. Ich würde es als einen gemeinen und niederträchtigen Trick ansehen, das Publikum durch den Namen Trotty Veck anzulocken. Denn wenn es überhaupt Sinn für die Malerei hätte, so müsste es wissen, dass ein Bild sein eigenes Verdienst hat und nicht auf dramatisches, anekdotisches oder lokales Interesse angewiesen ist. Wie die Musik die Poesie des Schalles, so ist die Malerei die Poesie der Farbe und die Anekdotenmalerei hat nichts mit der Harmonie des Schalls oder der Farbe zu thun. Die grossen Musiker wussten dies. Beethoven und[119] die anderen Grossen komponierten Musik, einfach Musik, eine Symphonie in dieser Tonart, ein Konzert oder eine Sonate in einer anderen. Auf F oder G bauten sie himmlische Harmonien auf — Tonverbindungen, die sie aus F oder G und deren verwandten Moll-Tonarten entwickelten. Dies ist reine Musik und ebenso verschieden von den beliebten Liedchen, die an und für sich trivial sind, aber durch die Gedankenverbindungen interessieren, wie z. B. der Jankee Doodle oder Partant pour la Syrie. Die Kunst sollte auf all solche Köder verzichten, sollte ganz allein stehen, und zu dem künstlerischen Sinn des Auges oder Ohres sprechen, ohne damit Erregungen zu vermischen, die ganz fremd dazu stehen, wie Frömmigkeit, Mitleid, Liebe, Patriotismus und dergleichen. All diese Empfindungen haben keinerlei Beziehung zum Kunstwerk und darum lege ich so grosses Gewicht darauf, meine Werke Arrangements oder Harmonien zu nennen. Man nehme das Bild meiner Mutter, das ich in der Königl. Akademie als ein „Arrangement in Grau und Schwarz“ ausgestellt habe. Dieser Titel sagt, was es ist. Für mich hat es Interesse als das Bild meiner Mutter. Was kann oder darf aber das Publikum die Identität des Porträts interessieren?
Der blosse Nachahmer ist ein armseliges Geschöpf. Wenn der Mann schon ein Künstler wäre, der einen Baum, eine Blume, oder irgend einen Gegenstand einfach abmalt, so müsste der Photograph der König der[120] Künstler sein. Der Künstler muss mehr als dies thun: bei einem Porträt muss er mehr auf die Leinwand bringen als das Gesicht, das das Modell gerade an diesem einen Tage zur Schau trägt, er muss, kurz gesagt, den ganzen Menschen malen, nicht nur den momentanen Ausdruck. Beim Farbenarrangement muss er die Blume als die Tonart betrachten, in der er komponiert, nicht als das trockene Modell. Dies wird jetzt leidlich gut verstanden, wenigstens von den Schneidern. In jedem Kleid ist man jetzt auf eine gewisse Tonart in bezug auf die Farbe bedacht, die in der Komposition immer wiederkehrt, wie der Gesang der Wiedertäufer im „Propheten“ oder das Hugenotten-Lied in der Oper gleichen Namens.
Ein Gemälde ist vollendet, sobald jede Spur der Mittel, die zur Erreichung des beabsichtigten Resultates angewandt wurden, verschwunden ist.
Von einem Gemälde sagen, — wie das so oft zu seinem Lob geschieht, — dass es eine grosse und ernste Arbeit erkennen lasse, das heisst sagen, dass es unvollendet ist, und unwert, gesehen zu werden.
Der Fleiss in der Kunst ist eine Notwendigkeit — nicht etwa eine Tugend — und jedes Zeichen, das man[123] von ihm in einer Schöpfung wahrnimmt, ist ein Fehler, nicht ein Vorzug, ein Beweis, nicht der Vollendung, sondern von unbedingt ungenügender Arbeit; — denn die Arbeit allein nur kann die Spur der Arbeit auswischen.
Am Werke des Meisters darf man nicht nur nicht den Schweiss seiner Stirne riechen, sondern auch nicht die leiseste Anstrengung seiner Arbeit fühlen; es ist beendet, sobald es begonnen worden.
Eine Aufgabe, die durch Fleiss und Beharrlichkeit allein zu Ende geführt worden ist, ist niemals begonnen worden und wird ewig unvollendet bleiben: — sie ist ein Monument des guten Willens, — des guten Willens und der Dummheit.
Je mehr sich einer abringen, je mehr er sich Mühe geben und beeilen mag, umsomehr wird er zurückbleiben.
Das Meisterwerk muss uns erscheinen wie die Blume dem Maler erscheint, in ihrer Knospe vollendet wie in ihrer Entfaltung, ohne ihre Gegenwart zu begründen, ohne eine Mission, die sie zu erfüllen hätte — einfach eine Freude für den Künstler, eine Illusion für den Menschenfreund, ein Rätsel für den Botaniker — ein Erwecker des Gefühls und seiner Allitterationen für den Dichter.
Lieber Martin, ich habe sehr bedauert, dass Dir die Festlegung des Kapitals auf Leibrente schlecht erschienen, aber glaube mir, wenn es noch Zeit wäre, würde ich Dir danken und Deinem Rat folgen, aber da ist nichts mehr zu ändern, man muss sich damit abfinden. Es entschuldigt mich gewiss, dass ich mir von einem Beichtvater raten liess (freilich habe ich ihn selbst um Rat gefragt); kurz das ist vorbei. Ich habe etwas mehr als die 1000 Doblonen daran gewandt. Meiner Frau habe ich so täglich 6 Realen ausgesetzt. Doch verlassen wir diesen Gegenstand, um ihn zu vergessen. Bei dem Hause sehe ich, dass Du uns soviel Gefälligkeiten wie nur möglich erweisest,[125] auch meine Frau ist Dir dafür unendlich dankbar und beauftragt mich, dir zu sagen, dass, da das Haus das Grab der Frauen ist, so erscheint ihr die Lage traurig; aber ich wiederhole, dass Du, wenn Du weisst, dass es geeignet ist, es machen mögest.
Ich für mein Teil sage Dir, dass alles, was Du thust, immer meinen Beifall finden wird, mag es sich um Monate oder um Jahre handeln, einerlei, wie es Dir am besten erscheint. Betreffs der Wohnung genügt sie mir reichlich für meine Frau, eine Magd und einen Diener und höchstens noch Jemand, denn ich hatte vergessen Dir zu sagen, dass meine Eltern lieber die Zurückgezogenheit wünschen und mit meiner Schwester fortziehen wollen.
Ich habe den ersten Entwurf einer Kuppel beendet, aber ich werde wahrscheinlich noch 2 Monate hier sein, denn bevor alles hergerichtet sein wird, werden damit allein mindestens 40 Tage vergehen; noch sind keine Anzeichen vorhanden, es scheint, dass es um so mehr sich hinzieht, als ich es dringend wünsche.
Möglicherweise bekomme ich hier ein Pferd; teile mir deine Ansicht mit und wenn es sich macht und Dir gut scheint, ob ich es von hier mitbringen soll. Leb wohl! und Vorsicht mit den langfingrigen H....-weibern, die beissen. Ich weiss nicht, ob ich Dir auf alles antworte, nur weiss ich soviel, dass das, was Du thust, wohlgethan sein wird.
Dein Fran de Goya
Madrid 9 de Agoto de 80.
Lieber Martin, wie ich in meinen früheren Briefen sagte, will ich sehen, ob sie mir meinen Wunsch erfüllen lassen, Dir ausführlich zu schreiben, obgleich ich hinke von einem Sturze, den wir mit einem Wagen hatten, der schon halb ausgehandelt war zu 90 Doblonen. Er ist wirklich ein Prachtstück (es giebt in Madrid nur 3 solche Wagen), er ist englischer Bauart und daher so leicht, dass man keinen zweiten finden würde, von ausgezeichneter Eisenarbeit, vergoldet und lackiert, fein! auch bleiben die Leute hier stehen, um ihn anzugaffen! Wir fuhren aus um ihn zu probieren mit einem Pferde, das ich auch kaufte, sehr gut, schon 10 Jahre alt, aber mit allen guten Eigenschaften für meinen Zweck. Wir fuhren, sein Besitzer und ich, so flott in feinem Trab und es konnte garnicht besser gehn. Schon ausserhalb von Madrid fingen wir an scharf zu fahren, ich führte die Zügel, da sagte er zu mir: soll ich ihn einmal umdrehen lassen à la Napolitana. (Das Pferd stoppte daher), ich gab ihm die Zügel, da ich wünschte, etwas Neues zu sehen und kennen zu lernen und im Galopp, wie er in der Mitte des Weges ging, — obwohl dieser breit war, war er es doch nicht genug, um sich das, was er ausführte, vorstellen zu können — kamen wir beim Umbiegen zum Stillstand, Wagen, Pferd und wir überschlugen uns und Gott sei Dank, war der, welcher am schlechtesten davonkam, nur ich, es hatte nichts weiter zu bedeuten, als dass ich seit dem Santjago-Tage, als dieses passierte, bis heute meinen Hofarzt[127] erwarte, um zu wissen, ob er mir erlaubt, etwas zu gehen. Es ist nämlich am Knöchel das rechte Bein verletzt, aber nichts gebrochen noch ausgerenkt. Ich hatte mir ein beneidenswertes Dasein geschaffen, schon hatte ich nicht mehr zu antichambriren. Wer etwas von mir wollte, kam zu mir, ich machte mich immer rarer, und wenn es nicht eine sehr hohe Persönlichkeit war oder mit Empfehlung eines Freundes kam, führte ich für Niemanden eine Arbeit aus, und je unentbehrlicher ich mich machte, desto weniger verliessen sie mich (noch verlassen sie mich), so dass ich nicht weiss, wie fertig werden. Indem ich auf diese Weise so ahnungslos war wie du es nur im entferntesten sein kannst, erfuhr ich, dass es Anwärter für die Teppichfabrik gab, und es interessierte mich nicht weiter, als dass ich mich freute, dass einige der verdientesten Professoren ihr Auskommen finden würden. Eines Tages liess mich Bayeu rufen — wir standen uns nicht besonders (?), was mir grosse Verwunderung verursachte und begann mir zu sagen, dass der Dienst des Königs immer begehrenswert wäre und dass er mit 12000 Realen angefangen hätte und dass er diese aus der Hand Mengs erhalten und zwar nur als Gehilfe, dass ich jetzt aber eine bessere Gelegenheit hätte, in den Dienst des Königs zu treten zugleich mit Ramon, und dass wir schon in Betracht gezogen wären, denn ihm und Maella wäre ein Befehl des Königs zugegangen, die besten Maler in Spanien auszusuchen, und dass ein Jeder einen vorschlagen solle,[128] und dass er seinen Bruder vorgeschlagen und es derart arrangiert hätte, dass Maella mich vorschlüge, um die Vorlagen für die Teppichfabrik zu malen und für jede andere Art von Arbeit für den königlichen Dienst mit jährlich 15000 Realen. Ich dankte ihm und wusste nicht, was mir geschah; nach 2 Tagen hatten wir schon die Mitteilung, dass der König es zu denselben Bedingungen, wie angegeben, dekretiert habe, derart, dass, als ich es erfuhr, es schon dekretiert und dem Schatzamt angewiesen war. Wir gingen dem Könige, Kronprinzen und Infanten uns vorzustellen, und da bin ich ohne zu wissen, wie das Abscheuern geschah.
Mit dem, was ich hatte, bringe ich es auf beinah 28000 Realen und nicht will ich mehr Gnade bei Gott, was ich Dir aufrichtig zur Verfügung stelle, Du musst nicht sagen, dass ich nicht ein Schwätzer bin. Bitte grüsse D. Juan Martin und sorge, dass diese Beilage meine Schwester empfange.
Dein Fran de Goya
Madrid, den 1. August 1786.
Ich habe Pallas noch nicht gesehen, um ihm den Brief zu geben.
Lieber Martin, ich schreibe Dir nicht französisch, bis ich es besser zu sprechen verstehe, weil es mir noch viel Arbeit kostet. Durch Yoldi erfuhr ich, dass du Drosseln fängst und dich so gut wie möglich zerstreust, wir sind einige Mal auf Lerchen gegangen[131] und schossen so schön vorbei, wie Du, aber wir brachten den Tag vergnügt und im Freien zu. Alles erscheint einem Zerstreuung, nur das Beschmutzen der Flinten ist unangenehmer als es erscheint. Ich möchte wissen, ob Du schmuck, vornehm oder ruppig bist, ob Du Dir einen Bart zugelegt hast, ob Du alle Zähne hast, ob dir deine Nase gewachsen ist, ob du Brillen trägst, ob du stramm schiffst, ob du irgendwo weiss geworden bist und ob für dich die Zeit wie für mich verstrichen ist. Mich hat sie alt gemacht mit vielen Runzeln, so dass Du mich nicht erkennen würdest, ausser an der Stumpfnase und an dem feuchten....... Sicher beginne ich schon recht die 41 Jahre zu fühlen. Du aber hast dich vielleicht so conserviert, wie in der Schule des Pater Joaquin.
An den Mönch in Valencia habe ich wegen der Farben geschrieben. An meine Schwester schreibe ich heute Abend, dass sie zu Dir gehen soll und Du wirst ihr die 15 Duros geben, die ich hier an Piran und an Joldi zahlen werde, denen ich, bevor ich die Summe wusste, die sie Dir schuldete, 200 Realen gab, aber auf dein Conto rechne ihm nur die 9 Thaler an, denn er sagte mir schon, dass er mir den Rest gutschreiben würde, aber ich brach in Lachen aus, indem ich ihm für die Rechtschaffenheit dankte.
Gute Nacht, Friede auf Erden und Wohlgefallen in Ewigkeit, Amen.
Dein Fran de Goya
28. November 87.
Entschuldige die Mühe.
Klipp, klapp, sagte die Scheere, dieweil sie nun wieder einen Gang in dem weissen Papier vollendet hatte, klipp klapp, klipp klapp, so wie jemand, der befriedigt mit den Lippen schmatzt, nachdem er ein grosses Stück Kuchen abgebissen und verschluckt hat. Und dann ging es von neuem an die Arbeit. Sie war eine kluge Scheere und wusste gar viele lustige Sächelchen auszuschneiden: als da kleine Damen, die tanzten, Liebesgötter, Schwäne, Palmen, Männer mit Schirmen, Engel mit langen feierlichen Flügeln. Und wie sie gab es viele Scheeren im Land, und alle konnten mit mehr oder weniger Glück dieselben[133] Bilder ausschneiden wie sie. Nur eines konnten sie nicht, und das war gerade die Hauptsache. Unsere Scheere nämlich hatte zu ihrer grossen Geschicklichkeit, die sie mit mancher ihrer Schwestern teilte, auch noch eine Art Seele, die sie zu einem ganz neuen und ausserordentlichen Wesen machte, sobald es ihr einfiel, in sie zu fahren. Sie fuhr aber immer zugleich mit den Fingern ihres Herrn in sie, so dass es aussehen konnte, als wären diese selbst ihre Seele. Da würde man sich aber sehr getäuscht haben. Denn unsere Scheere ward von diesem Augenblick an ein ganz eigenwilliges Persönchen, das bald so, bald so dachte und that, recht wie eine kleine Prinzessin, die sich nichts zu versagen braucht, wonach ihr das Herz steht. Und die guten dicken Finger mussten immer mit, immer mit und konnten froh sein, wenn sie nicht ganz rot geschunden wurden. Ja, das war eine wunderliche Scheere. Während die anderen immer ganz genau wussten, was sie wollten, und nie mehr wollten als sie konnten, erlebte man von ihr die unerwartetsten Dinge, sei es, dass sie sich einfach in ihren Stoff hineinstürzte und dann dem Zufall überliess, sei es, dass sie sich von vornherein sagte: Jetzt soll es einmal etwas ganz Absonderliches werden, etwas über die Maassen Spassiges, oder Verwirrendes, oder Geheimnisvolles. So fing sie eines Tages an, einen Baum auszuschneiden. Als sie an den zweiten Ast von unten kam, fuhr es ihr durch den Kopf, ihn in einen Cupido auslaufen zu lassen; und da sie den[134] kleinen Gott schon auszuschneiden geübt war, verwandelte sie das Ende des Zweigs stracks in ein Büblein mit Flügeln. Und weil der Baum nun schon ein Märchenbaum geworden war, konnte es gewiss nichts schaden, wenn man ihn oben mit einer Balleteuse krönte, die sich in einem Storchennest auf der Fussspitze wippte, im Begriff, in kühnem Bogen empor und herab zu schweben. Zur Ergänzung sodann — denn was sollte wohl solch ein Baum (und nun gar einer mit einem Amor und einem Frauenzimmer) allein auf der Welt — erfand sie einen komisch bestürzten Mann hinzu, wie einen, der vor diesem sonderbaren Baum halb überrascht, halb auch schon „im Bilde“ sich fühlend, so zu reden begonnen haben möchte: „Es ist mir ungemein schmeichelhaft, sehr verehrter Herr Baum — oder soll ich sagen: sehr verehrte Madame Baum und Mutter zweier so liebreizender Sprösslinge — hier auf freiem Felde Ihre Bekanntschaft zu machen; wiewohl ich stets überzeugt war, dass Euer Hochwohlgeboren durchaus nicht nur so ein Baum wären, wie meine lieben Kopenhagener dort hinten anzunehmen nur allzu geneigt sein dürften... Also, wie wäre es etwa, wenn Ihro Gnaden, die leicht beschwingte Tänzerin da droben, mir auf die Schulter zu springen geruhten, während der kleine Herr vor mir sein Füsschen vielleicht auf meine Nase setzen will, damit ich ihn mit einem kurzen Ruck seinem Fräulein Schwester auf die linke Hüfte werfen kann. Es wäre mir ein Vergnügen,[135] den Kinderchen dann ein wenig mein liebes Kopenhagen dort hinten zu zeigen und ganz besonders mein wunderschönes Schloss mit seinen feenhaften Gärten, Grotten und Wasserkünsten, das mir der König und die Königin geschenkt haben, und wo sie gewiss die beste Gesellschaft finden würden.“
Ein ander Mal ging unsere Scheere bewusster vor. Sie hatte zudem kein einfaches, sondern ein wie ein Briefbogen zusammengelegtes Stück Papier zu verarbeiten, und da musste man schon etwas nachdenklicher zu Werke gehen. Denn was nun heraus kam, wurde zugleich eine Art Ornament, indem, wenn man das Papier auseinanderfaltete, dasselbe von zwei Seiten sich entgegenkam und ein von der Spitze eines Schwanenfittigs vorwärts stürmender Mann zum Exempel auf diese Weise zu einer Doppelgänger-Szene ward, in welcher zwei auf Schwänen balancierende Turnkünstler sich mit ihren Nasen und linken Beinen im Gleichgewicht hielten, während hinter sich jeder seine Fächerpalme und seinen Schutzengel hatte, der nur darauf wartete, bei einem etwaigen Unglücksfall helfend einzugreifen. Aber wie wir sehen, warten sie heut noch darauf, und das kommt wahrscheinlich daher, dass der von den Männern und der von den Schwänen eingeschlossene Raum ein so zierliches Ornamentenpaar darstellt, dass man garnicht lange hinzugucken braucht, um zu meinen, er sei eigentlich die Hauptsache und das andere nur ein Drumherum. Und das empfand die Scheere auch selbst und liebte[136] deshalb diese Doppelbilder mit ihrem doppelten Reiz und Sinn ganz besonders.
„Ich möchte manches von diesen Sachen sticken“ — sagte eines Tages eine Dame, die bei dem Dichter zu Besuch war. „Es würde ausserordentlich wohlthuend sein, diese durch Symmetrie gebändigten, ja fast beruhigten Bizarrerien vor seinem Nähtisch liegen zu haben.“
„Und seinen niedlichen Schuh darauf zu stellen!“ fügte der Dichter hinzu, indem er mit einer galanten Handbewegung sich leicht verbeugte.
Die Scheere aber, die das gehört hatte, ersann am selben Abend noch einen schneeweissen Hain auf güldenem Grund, darinnen zwei junge Mädchen tanzten. Dabei kam dem Dichter eine ganz merkwürdige Empfindung. Als er nämlich den schneeweissen Hain so ansah, schien er ihm nicht nur ein in Erfindung und Anordnung gut geglücktes Bildchen, sondern auch noch etwas anderes, etwas fast wie ein richtiges kleines Gemälde, so recht keck und unbekümmert um alle anatomischen Einzelheiten, nur als Lichteindruck, zusammenfassender Farbenfleck, ornamentale Abbreviatur lebendiger Wirklichkeit hingeworfen. Aber das flog nur so wie der Schatten eines Vogels durch sein Hirn. Denn im allgemeinen sah er doch nur hübsche Spielereien in diesen Sachen und litt wohl kaum an Weltschmerz darüber, dass sie nicht mehr waren.
Was im übrigen unsern Dichter als Maler gelockt[137] hätte, würde man vielleicht am besten aus einem Ofenschirm, dessen vier Flügel er in seinem letzten Lebensjahr mit aus aller Welt zusammengesammelten Bildern beklebte, ersehen haben. Nach Ländern — Dänemark, Schweden und Norwegen, Deutschland, Frankreich, England — geordnet, gaben die ein ebenso geschickt komponiertes wie traumhaft romantisches Durcheinander von Porträtbildnissen, Gruppen, Aufzügen, Sälen, Kirchen, Palästen, Wäldern, Gebirgen und was weiss ich noch allem, und mochten aus der ganzen Ferne ihres Schwindschen Barock an Fresken alter Italiener wie den trionfo della morte des Campo Santo in Pisa oder die festlichen, kindlich redseligen Wandmalereien des Benozzo Gozzoli in der Hauskapelle der Medicäer erinnern. —
Klipp klapp machte die Scheere, — aber nicht die, von welcher wir hier geredet haben, sondern die der alten weisen Parze; und was sie zerschnitt, war nicht einfältiges Papier, sondern der Lebensfaden des grossen Märchendichters Hans Christian Andersen selbst.
Unsere irdische Scheere aber, nachdem sie ihren Besitzer verloren hatte, wurde wieder eine gewöhnliche Scheere wie alle andern. Sie schnitt auch ferner Putten und Palmen aus, aber es war kein rechter Sinn mehr dabei, denn sie hatte mit ihrem Meister zugleich ihre besondere, übermütige Seele eingebüsst. Eines Tages aber ging sie hinaus in den Garten ihres ehemaligen Herrn und suchte sich ein Plätzchen, wo die[138] Levkojen am dichtesten standen. Und schnitt mit sich selber einen Stengel nach dem andern ab, bis dass sie ganz von Blumen wie von einem kleinen goldenen Grabhügel bedeckt war. Und so blieb sie liegen. Und wenn sie der Rost nicht gefressen hat, so liegt sie dort heute noch.
Mein lieber Herr Steffeck!
Sie haben mich durch Ihren eben so lieben als interessanten Brief recht sehr erfreut; er hat mich einestheils über Ihr Wohlergehen beruhigt, anderntheils von dem Zustande der dortigen Kunst in Kenntniss gesetzt. Ich danke Ihnen recht herzlich dafür und sollten Sie einmal wieder die Idee bekommen, mir schreiben zu wollen, so genieren Sie sich keineswegs wegen der Länge des Briefes und lassen Sie dabei das Sprichwort gelten: je länger je lieber! Ohne nun auf die einzelnen Punkte in Ihrem Briefe zurückzukommen, so hat mich besonders die Schilderung über die Art des Grau-Malens der dortigen jungen Künstler um so mehr in Verwunderung gesetzt, als[142] uns Deutschen ja die Farbe in den französischen Bildern vorzugsweise zusagt. Sollte dies Verfahren nicht dazu dienen, die Leutchen im Zeichnen und Modelliren erst recht fest zu machen? Dieser einzig guten Grundlage folgt alsdann, vorausgesetzt, dass einer Farbensinn hat, die Farbe von selbst. — Wie beneide ich Sie so viel Schönes sehen, die Ateliers der berühmtesten dortigen Künstler besuchen zu können! etc. Wills Gott, im nächsten Frühjahr; dann hoffe ich, Sie auch noch dort zu treffen und nehme im Voraus Ihren Schutz und Beistand in Anspruch. Sehr freue ich mich, Arbeiten von Ihnen zu sehen, bitte Sie aber, doch die Pferde nicht ganz zu vernachlässigen. Sollte auch die franz. Cavalerie deren nicht die schönsten haben, wie ich schon vielfach gehört habe. — An Le Poitteoin 1000 Grüsse sowie an meine Landsleute, die sich meiner erinnern — Hier ist alles beym alten. Perdisch geniert mich sehr durch seine feurige Lebhaftigkeit und Raabe durch sein burschikosen, lüderlichen Lebenswandel!! Themann will ein religiöses historisches Werk auf die Reformation bezüglich herausgeben und hat Herrn Perdisch dafür angepumpt, jedoch vergebens. Wollen Sie ihm nicht 4-500 Thaler dazu vorschiessen oder schei...... Meine Wenigkeit ist jetzt mit den Hannoverschen Bildern beschäftigt und ich werde nun bald diesen liebenswürdigen Monarchen zu Pferde mit Umgebung in der Art wie den Kaiser von R. eben so gross beginnen. — Nun leben Sie recht wohl, mein lieber[143] Herr Steffeck. Gott erhalte Sie gesund, heiter, lasse Sie recht ernst und fleissig wie Sie es immer waren und gebe ihnen die gute Idee ein, mir recht bald wieder zu schreiben. Meine Frau grüsst Sie herzlich und vereinigt ihre Wünsche für Ihr Wohl mit den Meinigen. Behalten Sie lieb
Ihren
aufrichtigen Freund F. Krüger
Berlin d. 6. April 40.
Mein verehrter lieber Herr Steffeck!
Ihre freundliche Zuschrift aus Rom hat mir eine recht herzliche Freude verursacht, nicht allein seines interessanten Inhaltes wegen, sondern hauptsächlich deshalb, weil ich daraus erkenne, dass Sie meiner noch freundlich gedenken. Ich danke Ihnen für diese Teilnahme und wünsche Ihnen aufrichtig alles Wohlergehen in Ihrer künstlerischen Laufbahn. Ein Bild, was Ihr Herr Vater die Güte hatte, mir zu zeigen, das erste, glaub' ich, was Sie in Rom vollendet, hat mir in Farbe, Composition und theilsweiser Technik recht wohl gefallen, nur (nehmen Sie, ich bitte, den freundlichen Rath Ihres Freundes wohlgefällig auf) in der Zeichnung, besonders der Hände etc. dürften Sie etwas gewissenhafter sein, da Zeichnung, wie ich mir einbilde, die Grundlage alles Malens ist. Die Studien die Sie in Paris gefertigt und die mir von Ihren verehrten Eltern auch gezeigt wurden, haben mir in jeder Einsicht, besonders aber in der Farbe[144] ausserordentlich gefallen und mit aufrichtiger Freude habe ich darin die grossen Fortschritte bemerkt, die Sie in der Kunst gemacht. Gebe der Himmel Ihnen frohen Sinn, Ausdauer in der begonnenen Laufbahn, Gesundheit und es wird Ihnen nicht fehlen. —
Was mich anbelangt, so habe ich, Gott sei Dank, immer vollauf zu thuen.
Ausser den König und Hannover in Lebensgrösse zu Pferde, von dem Kronprinzen, von einigen Generalen umgeben, (ein Bild, was mich interessierte) habe ich kürzlich unseren König zu Pferde, halbe Lebensgrösse, mit zahlreichem Gefolge eine Parade seines Regimentes abnehmend, vollendet und die Composition, die Russischen Garden auf einem Bilde darstellend, von welchen Sie die Skizzen bei mir noch gesehen haben, ist in 8-14 Tagen auch fertig. Es ist ein reiches aber sehr buntes Bild, was sehr mühsam auszuführen war. Nächst diesen Arbeiten habe ich noch zwei grosse Bilder begonnen, wovon das eine mich lebhaft beschäftigt, das andere mich dagegen eben so sehr langweilt. Das Erste ist der russische Fürst Wittgenstein neben seinem Pferde stehend, mit Umgebung in Lebensgrösse, das Zweite die Huldigungsszene, die in der Natur über alle Beschreibung grossartig war, in der Ausführung zu einem Gemälde indessen höchst monoton und langweilig ist. Indessen ich habe den Auftrag einmal angenommen und lasse durch Schwarz auch schon tapfer die Architectur (von der Schlossapotheke nach den Linden zu) aufzeichnen.
[147]— Sonst wüsste ich Ihnen nichts weiter von meiner Wenigkeit zu melden, als dass ich mich mit meiner Frau wohl und munter befinde, was wir Ihnen von Herzen auch wünschen. — Rabe ist wie Sie wissen werden, in Paris und hat auf 2 Jahre vom König 1000 Thaler bekommen; eine Vergünstigung, die natürlich viele Neider fand bey ihn, der vermögende Eltern hat. Perdisch ist stets noch mein treuer Gefärte im Atelier, sonst hätte aber auch, ausser Schwarz, der wie ich eben schon bemerkt, am Huldigungsbilde zeichnet, Niemand weiter Platz, da es für den Augenblick recht sehr mit Arbeiten angefüllt ist. — Mein Pferd, ein sehr kräftiger Yvenacker dunkelbrauner Wallach, sowie meine Hunde, deren ich 6 Stück sehr schöner habe, die aber für den Augenblick durch einen unglücklichen Zufall sich fasst alle lahm gelaufen haben, lassen sich Ihnen schönstens empfehlen. — Nun mein lieber Herr Steffeck, muss ich schliessen, da es mir an Raum gebricht und ich Sie mit meinem Gewäsch auch nicht länger langweilen möchte. — Meine Frau und ich grüssen Sie von ganzem Herzen und wünschen Ihnen alles Wohl im fernen Süden. Der Himmel erhalte Sie gesund und ........... tugendhaft und lassen Sie Ihre Freunde in der Heimat nicht ganz vergessen, besonders aber nicht
Ihren treu ergebensten Freund
F. Krüger
Berlin, den 18. Sept. 41.
Dass die deutsche Kunstwissenschaft in den letzten Jahren auf den Namen Schuch immer mehr hingewiesen wurde, ist nur dadurch zu erklären, dass Schuch eine Persönlichkeit ist, die klar und deutlich aus einem bedeutenden Lebenswerk spricht und so stark ist, dass ihre dauernde Stellung in der deutschen Kunst nicht mehr bestritten werden kann.
Schuchs ganzes Wesen war deutsch; dass er in Wien geboren wurde, ist zufällig. Sein Vater, ein Pfälzer, war nach Wien eingewandert, wo ihm im Jahre 1846 sein Sohn Karl geboren wurde. Ich weiss, dass er Karl hiess und nicht Charles; wir nannten ihn immer so. Der Umstand, dass er eine Französin zur Erzieherin hatte und dass seine spätere Frau, eine Französin, ihn[149] wahrscheinlich auch Charles nannte, ist nicht imstande seinen Namen zu ändern. Ich muss ihn unbedingt für Deutschland reklamieren und habe nur ein bitteres Lächeln, wenn ich jetzt hören muss, dass Oesterreicher sagen: Unser Schuch. Und ebenso darüber, dass der österreichische Staat nicht ein Bild von ihm erworben hat.
In kleinem Kreis war Schuchs Kunst längst geschätzt. Da er aber den schweren Kampf Leibls und Trübners um Anerkennung sah und nicht gezwungen war des Erwerbs wegen auszustellen, blieb er so lange unbekannt. Durch einen Hinweis Trübners kam dann die Ausstellung bei Schulte zu Stande, die mit einem Mal die Sachlage änderte. Die Kennerschaft von Tschudis, und Schuchs Zugehörigkeit zum Kreise Leibs, die durch die Jahrhundertausstellung deutlich wurde, brachten dem toten Künstler allgemeine Anerkennung, als deren logische Folge die Ankäufe für die Nationalgalerie, für Düsseldorf, Hamburg und viele andere Galerien zu betrachten sind.
Zufällig besuchte ich die Ausstellung bei Schulte und alte köstliche Erinnerungen wurden in mir wach, als ich die herrlichen Bilder sah, von denen so viele neben mir, Staffelei an Staffelei, entstanden waren. Ich fühlte den Drang für mich festzustellen, wie Schuch zu Leibl und Trübner steht. In der Nationalgalerie konnte ich den Gedanken dann nicht unterdrücken: ein Ebenbürtiger und von unvergänglichem Wert. Trotz Sperl, Hirth und Anderer aus dem Leibl-Kreis.
Was Schuch als Künstler und Mensch war, will ich versuchen aus der Erinnerung und auf Grund einer umfangreichen Korrespondenz festzustellen, wenn ich auch weiss, dass von der Frische, die ein zeitiges Zusammensein erzeugt, viel verloren geht.
Im Sommer 1873 lernten wir uns am Hintersee kennen und schlossen eine Freundschaft, die die schönste Erinnerung meines Lebens bildet. Schuch war aus München von Leibl und Trübner gekommen, um seinen Weg zu suchen. Sein erster Lehrer war Halauska, Gebirgsmaler in Wien, gewesen. Unter ihm malte er schon in letzter Zeit eigenartig gesehene Studien, wahr, breit und durchdrungen von einem starken Naturgefühl.
Ein Bild, das ich noch heut in der Erinnerung habe, Erlen, die über einen Bach mit rotbraunem Gestein hängen, war mir voller Beweis für ein angeborenes Talent.
„Das Rezept Halauskas“, sagte er mir, „mag für sein Gefühl ausreichend sein, für mich war es aber nicht genügend. Ich ging darum nach München und schloss mich Leibl und Trübner an, als den echtesten Wahrheitssuchern, die Deutschland damals hatte.“
Der Verkehr mit Leibl und Trübner liess ihn erkennen, dass der engste Anschluss an die Natur die Grundlage sein musste, um Eigenart zu entwickeln und dass nur Holbein als direktes Vorbild für ihn in Betracht kommen konnte. „Der Ernst und die Ehrlichkeit, jene tiefe leidenschaftliche Wahrheitsliebe[151] Holbeins“, waren ihm und auch Leibl und Trübner Vorbild. Was diese Künstler dem Vorbild hinzufügten, war die Tonschönheit im Sinne einer gesetzmässigen Entwicklung von Luft und Licht über der konkreten Form. Dieses Ziel suchte jeder von ihnen zu erreichen und geschah das mit einer bewundernswerten Scharfsinnigkeit und Gewissenhaftigkeit, die Alle in ihren besten Arbeiten gemein haben. Was sie unterscheidet, ist im Grunde nur das impulsive Gefühl, womit sie ihre Naturbeobachtungen auf die Leinwand übertragen. Wenn das bei dem Einen mehr verstandesmässig geschieht, beim Andern mehr gefühlsmässig, so ergeben sich daraus die Unterschiede für ihre Wertschätzung. Ich halte es für belanglos, den Einen aus dem Andern zu erklären und kann nicht zugeben, dass Einer vom Andern etwas direkt genommen hat; denn solche starke Naturen sind weder Nachahmer noch geistige Diebe, nur ihr intensives Streben lässt sie zu verwandten Resultaten kommen.
In letzter Instanz ist für mich massgebend: was für ein Mensch steht hinter dem Werk, und wie stark ist seine Ausdrucksfähigkeit.
Mir liegt nichts ferner als die Reihenfolge der Künstler aus dem Leibl-Kreis nach ihrer künstlerischen Bedeutung festzustellen.
Gefestigt in seinen Kunstanschauungen und klar in seinen Zielen malte Schuch am Hintersee nicht Bergriesen, Gletscher oder den See, sondern intime Dinge, alte Ahornbäume, Weiden, kleine Bäche usw. und[152] jedesmal suchte er dabei eine malerische Aufgabe zu lösen. Was alle Arbeiten gemeinsam haben, ist die Tonschönheit, die immer prima erreicht worden ist. Sie war ihm die wichtigste Erscheinungsform. Was er darunter verstand, geht aus einem Brief hervor, in dem er sagt:
„Meine früheren Stilleben sind mir alle zu aufdringlich an Realität, es fehlt Distanz, Luft, die Dämmerung des Raumes, meine Sachen sind alle bis an stärkste Lokalfarbe getrieben, woraus sich ein Widerspruch ergiebt, denn die Lokalfarbe ist so genommen, als hätte man das Objekt unter der Nase und durch Zeichnung und Perspektive als stünd's doch in der Entfernung. Der Ton deutet letzteres auch an, aber die Lokalfarbe widerspricht und ist zu hart, zu laut. Was ist denn der Ton als die Modifikation, die die Lokalfarbe erleidet durch die zweifache Bedingung des Lichts und der Entfernung? und doch Ton mit ganzer Kraft? ein ganzer Unsinn, selbst im Atelier — denn diese Bedingungen sind immer da. Absolutes Licht und absolutes Dunkel ist der äusserste Ton, und beides vernichtet die Lokalfarbe und die Plastik. Daraus geht als logischer Schluss hervor: dass wer in voller Kraft und Plausibilität malen will, notwendig den Ton ausschliesst und umgekehrt; wer Ton malen will, notwendig die Plastik und Lokalfarbe unterordnen muss. Ich denke, das ist klar; sollte aber meine Logik und Empfindung falsch sein, so will ich doch lieber mit Leibl, Trübner und den Alten irren als mit[153] der neupreussischen Kunst und mit Gussow. Wollen die Leute bloss den plausiblen Schein der Natur malen, so sehe ich den Zweck ihres Malens nicht ein — ich begreife nicht, warum ich mir dann lieber nicht die Natur selbst ansehe — darin lässt sich ja diese doch nicht erreichen und wenn, so wäre gar kein Unterschied mehr zwischen Bild und Vorbild, zwischen Kunst und Natur und mir bliebe weiter nichts zu bewundern übrig als die Fertigkeit des Nachbildners; und das sollte Kunst sein und der Maler ein Künstler? Nein, hier handelt es sich um etwas Anderes: um das Begreifen der Natur und das Wiedergeben ihrer geistigen Wahrheiten, um das „Warum“ der Erscheinung, das Hervorheben ihrer Gesetzlichkeit, und so sind Trübner, Leibl, Daubigny usw. Künstler, wenn sie die Eigenschaften des Lichts und des Tons studieren, und ein Gussow trotz aller Fertigkeit und Geschicklichkeit ein Affe der Natur. Für diese Art, das Hervorheben, Hervorsuchen der Gesetzlichkeit in den Erscheinungen, wird man aber keine Maschine erfinden, das wird immer der Geist besorgen müssen und zwar der künstlerische Geist. Einerlei Licht und Luft ist der Ton, aber nicht einerlei Farbe wie bei Vollon, diesem geschickten Lügner in Asphalt, und die Bedeutung des Tons ist die, dass er den Dingen das Materielle nimmt und nur die ätherische Essenz der Erscheinung festhält.“
Dieser Brief giebt am klarsten seine gesamte Kunstanschauung wieder.
Vom Hintersee gingen wir über Wien und Dresden nach Brüssel, um den Holländern näher zu sein. Nach Neujahr kam auch Trübner. Erst ging Schuch mit mir nach Holland, um Galerien zu sehen und gleich dann nochmals mit Trübner, so begeisterten ihn die Holländer. Wenn ihn ein Bild interessierte, belagerte er es förmlich und wie ernst er sich vertiefte, mag daraus erhellen, dass er immer und immer wieder drängte, die Natur zu sehen, die dargestellt war, um so den Zusammenhang zwischen Natur und Kunst zu finden. Die grossen Meister Rembrandt, Hals usw. begeisterten ihn; doch ein Bild ging ihm über alles: die kleine Architektur von van der Meer in der Galerie Six. „Trotz Leibl, trotz der grössten Modernen, trotz der grössten Formate und Farbenwirkungen und Geschicklichkeiten — eine solche Arbeit hat doch Keiner gemalt, d. h. so tief hat Keiner mehr die Natur angesehen“, sagte er zu mir.
Nach den tiefen Eindrücken Hollands wurde fleissig studiert und als Hauptleistung ist der Christus von Trübner daraus hervorgegangen.
Im Jahre 1875 war Schuch in Olevano, um Architekturen zu malen, jene schmutzigen, grauen Strassen in unbeschreiblicher Tonschönheit.
1876 waren wir in Venedig zusammen. Schuch mietete ein Haus am Canal grande, wo ich ganz oben ein Atelier einrichtete, mit einer Treppe nach der Plattform des Daches, von wo wir oft des Abends die versinkende Pracht Venedigs bewunderten. Schuchs[155] Aufenthalt in Venedig hatte den Zweck, ausserhalb jeder Konvention selbst auszureifen und vom Stilleben zur Architektur und von dieser zur Landschaft zu kommen. Hier in tiefer Einsamkeit mit mir als Mitstrebenden bildete er sich weiter und es entstanden die grossen wunderbaren Stilleben: das „Küchenstilleben“, das „Stilleben mit der Figur seines Dieners aus Cadore“ und das „Studierzimmer“. Die Einsiedelei in Venedig war etwas Wunderbares an Arbeit, wenn ich die Gondelfahrten, die Ausflüge nach Chioggia, ins Gebirge usw. mit hinzurechne; denn immer war es Forschung, die zu allem trieb. Von ihm mit Mitteln ausgestattet, schleppte ich alles Malenswerte herbei, sogar einen lebenden Uhu aus den Cadorischen Alpen.
Die Art und Weise wie Schuch arbeitete, war ungeheuer interessant. Er hat, so lange ich mit ihm malte, niemals gezeichnet, weil er nur malerisch empfand und eine Zeichnung ihm nicht ausdrucksvoll genug war. Wenn er ein Stilleben gestellt hatte, betrachtete er es lange und hielt eine förmliche Konsultation ab, um das Bild geistig fertig zu bekommen und die Mittel festzustellen, womit die Absicht am besten zu erreichen war. Die Palette mit den wenigsten Farben war ihm die liebste. Fand er nach einer prima Malerei, dass ein Stück nicht recht gelungen war, so wurde es mit Ossa sepia wieder ausgeschliffen und neu gemalt. So sind oft Dinge, namentlich in den grossen Stilleben, zweimal gemalt. Es sind auch[156] oft gute Sachen abgeschliffen und einmal standen sogar 38 abgeschliffene Leinwände da, um Neues aufzunehmen. Matheo, der Diener, schliff manchmal wie ein Besessener.
Er liess ein gestelltes Stilleben stehen und malte es oft mit einer anderen Farbenzusammenstellung, wenn er glaubte es treffender und vollkommner auszudrücken. Ueber alle Erfahrungen, Beobachtungen, Paletten usw. führte er Buch. Jede Farbe prüfte er auf ihre Ausdrucksfähigkeit für Schatten, für Licht usw. Worauf Schuch gar keinen Wert legte, das war sein empfindungsvoller Vortrag, der seinem die Dinge förmlich befühlenden Blick entsprach. Und so sehr er Meister der Technik war, so hasste er die Geschicklichkeit, die nichts ausdrückt. Jeder Strich hatte bei ihm etwas zu sagen und wenn er früher einer Fleckentheorie huldigte, als er noch in München war, so kam er nach und nach davon ab. Er hatte erkannt, dass er, wenn er alle Töne ehrlich abschrieb, doch nur eine Seite der Erscheinung gab, selbst wenn alles im Ton war. Er wollte kein Mosaik der Erscheinung geben, sondern auch in seiner Darstellung den Gehalt der Dinge ahnen lassen. Er wusste, dass er über diese Stufe hinweg musste und wurde nun breiter und freier in seinen Stilleben, namentlich in seinen Riesenstilleben von Venedig. Die Empfindungsweise seiner frühen Arbeiten war gleichmässig und nicht durch sein Temperament variiert, wie es später geschah, wo die Skala immer grösser wurde. Am feinsten sind für[157] mich seine Skizzen, worin die ganze Feinfühligkeit mit dem Temperament gepaart zum Ausdruck gekommen ist.
Als Beispiele seiner ersten Art führe ich an: „Krebsstilleben“; als seiner zweiten Art entsprechend: „Die Wildente“, und von Skizzen das Atelier in Venedig.
Wenn Schuch in Venedig immer das Ziel hatte, vom Stilleben zur Landschaft über die Architektur zu gelangen, so giebt es doch nur eine Architektur von ihm: Abazzia St. Gregorio. Dagegen viele Blumenstücke, die denselben instruktiven Zweck hatten.
Die alten Italiener übten den Einfluss, dass Schuch aus seiner früheren Schwärze herauskam; nur Tizian mit seinem warmen Licht bewog ihn mehrmals Stillleben des Spätnachmittags in seinem Atelier zu malen. Dieses hatte ich mit Holztäfelung versehen, die ein brütendes Licht erzeugte, wenn die Sonne schien.
Eine Sendung meiner Federzeichnungen aus Ferch bewog Schuch dann hierher zu kommen und nur zu landschaftern. Drei Sommer malten wir zusammen und Ferch war nur die Fortsetzung der wunderbaren Einsiedelei von Venedig. Als er klar über das Stilleben war, suchte er auch für die Landschaft die reinste Vorstellung. Er fasste die Natur als etwas Lebendiges auf, worin Licht und Luft das eigentliche Leben erzeugen; er wollte aus der Natur nichts machen, sie nicht aufbauschen, sondern durch feinste Beobachtung ihr eigenstes Leben geben und die Natur von Ferch, die Wiesen mit kleinen Wässern, die graziösen Birken[158] waren immer wieder Gegenstand seines intimsten Studiums.
Im Winter 1883-84 waren wir in Paris. Ein Ereignis für ihn war die Ausstellung Manet und selbstredend war der Impressionismus Gegenstand seines tiefsten Nachdenkens. Er erkannte die impressionistische Darstellungsart nur als Ausdruck, Sprache, die nicht für jeden passt und darum für viele gefährlich werden muss. Er bewunderte das Licht, das Leben in den Arbeiten; am meisten aber eigentlich Monet, den er als Genie betrachtete, weil er den Darstellungskreis bereichert hat, indem er das bewegte Licht ausdrückte. Dass Monet alle möglichen Dinge malte, dass er alle Stimmungen zum Ausdruck brachte, interessierte ihn nicht sehr, sondern nur, dass er durch feinste Beobachtung der Valeurs ein bewegtes Licht schuf und dass alle Gegenständlichkeit doch nur die Folie war, auf der der Kampf zwischen Luft und Licht ausgekämpft wurde. Diese That Monets war ihm das Wertvolle am ganzen Impressionismus und die grösste Errungenschaft der modernen Malerei.
Die Auswüchse des Impressionismus (die oft den Eindruck gestopfter bunter Wolle machten), verlachte er als geistloses Gestupfe, ebenso hatte er für jede Schmierskizze, die Impressionismus sein sollte, ein bitteres Lachen.
Die ungeheure Energie aber, womit Alle das Prinzip erfassten, bewunderte er und sie war für ihn ein Sporn, seine Art weiter zu entwickeln. Während einer[159] Debatte, die es schon des Morgens beim Kaffee gab, sagte er mir:
„Ich möchte am liebsten gar nichts, weder Impressionismus noch Leibl, weder Daubigny noch Millet — ich möchte treu und ehrlich sein können und nicht ein Verhältnis zur Natur wie Troyon oder X und Y, sondern wie ich selbst.“
Er meinte hiernach auf das Klarste, dass in letzter Instanz ein Werk nur Wert hat durch die Persönlichkeit, die dahinter steht, nicht durch die Ausdrucksform, Sprache, in der es vorgetragen. Dass er sich treu blieb, sieht man an seinen grossen Waldbildern vom Doubs, wohin er in den achtziger Jahren oft ging. Das Licht zittert in den Bildern, aber der Helle ging er doch eher aus dem Wege, als dass er sie suchte. Es zittert durch die mannigfaltigen Valeurs. Nur ein Deutscher konnte Waldbilder schaffen von solcher Intimität und Wucht, diese Waldbilder vom Doubs geben mir Recht, wenn ich behaupte, dass Schuch sein Ziel vom Stilleben zur Architektur und Landschaft zu kommen erreichte. Statt aber, dass eins dieser grossen Waldbilder mit dem grossen Küchenstilleben, das Schuch für sein Hauptwerk hält, eine deutsche Galerie schmückt und sein Bild vervollständigt, sind sie in Wien begraben.
Dass Schuch auch Köpfe, von denen mein Porträt Leiblsche Qualitäten hat, und auch Akte malte, darf ich nicht unerwähnt lassen. Leider werden nur meine Sachen übriggeblieben sein.
Schuch als Menschen zu schildern, würde auch sehr interessant sein, doch muss ich mich kurz fassen. Wenn bei einer künstlerischen Persönlichkeit der Künstler nur der Extrakt von seinem Menschen ist, so ist der Rückschluss bei Schuch nicht trügerisch. Nur ein tief- und feinfühlender Mensch konnte diese Kunst schaffen, und wenn für den Liebhaber der Sinn, Bilder zu sammeln, der ist, dass er hinter seinen Kunstwerken ihre Erzeuger von der Wand deutlich reden hört, so muss ich sagen, dass mir mein Porträt von ihm ein kostbarer Besitz ist, der mir sein Andenken als Freund und Lehrer immer gegenwärtig und lebendig erhält.
Bei allseitiger Bildung, bei lebhaftem Temperament, bei grosser Opferfreudigkeit und Aufrichtigkeit, war es eine Freude, mit ihm zu leben und zu streben. Seine Treue war gross; und für mich war es die schönste Zeit, meine eigentliche Lehrzeit, als ich mit ihm zusammenstrebte und lebte.
Wenn ich neuerdings lese, in welcher Weise Trübner über seinen verstorbenen Freund spricht, so befremdet mich das sehr. Ich weiss, dass Schuch mit Trübner intim befreundet war, dass Schuch mit ihm Freundschaft schloss, um gemeinsam zu streben und dass Schuch der Letzte sein würde, einen Einfluss Trübners zu bestreiten. Wieviel Einer dem Andern gab, ist schwer festzustellen und auch vollkommen gleichgültig, da es in letzter Instanz für die Bedeutung Schuchs doch nur darauf ankommt, was er ohne Einfluss[163] geschaffen hat. Ich glaube aber, dass bei der starken Intelligenz Schuchs, die aus seinem Lebenswerk sowie aus seiner Korrespondenz spricht, auf der ich fusse, von einer Abrichtung keine Rede sein kann. Wenn Trübner diese Briefe, in denen Schuch über ihn spricht, lesen würde, so könnte er keinen Augenblick im Zweifel sein, wie ihn Schuch als Freund verehrte, wie er sein Talent anerkannte und stets für ihn eingetreten ist. Sicher hätte Trübner nicht in solcher Weise über seinen toten Freund sprechen können. Wenn Talent gestaltendes Gefühl ist, so hatte Schuch sehr viel und sein Lebenswerk wird für Einsichtige bekunden, inwieweit er von Trübner beeinflusst war und was er unbeeinflusst schuf. Dies Lebenswerk (die grossen genannten Bilder an der Spitze), wird deutlicher für ihn reden als ich es jemals vermöchte.
Edouard Manet ist mittelgross, eher klein als gross. Sein Haar und Bart sind blass kastanienbraun, die Augen, dicht bei einander und tief, haben jugendliches Leben und Feuer. Der Mund ist charakteristisch dünn, beweglich, etwas spöttisch in den Mundwinkeln. Das ganze Gesicht von einer feinen, intelligenten Unregelmäßigkeit zeigt Biegsamkeit, Kühnheit, Verachtung des Banalen und der Dummheit. Wenn wir vom Gesicht zum Wesen kommen, so finden wir in Manet einen Menschen von einer ausgesuchten Liebenswürdigkeit, sehr höflich, von vornehmen Allüren und sympathischem Eindruck.
Der Künstler hat mir eingestanden, dass er leidenschaftlich gern in die Gesellschaft geht und eine geheime Wollust bei der parfümierten und leuchtenden Zartheit der Soiréen empfindet. In die Gesellschaft treibt ihn ohne Zweifel seine Liebe für breite und lebhafte Farbströme, aber es ist in seinem Inneren auch ein angeborenes Bedürfnis nach Vornehmheit und Eleganz, und dieses mache ich mich anheischig, ebenfalls in seinen Werken zu finden.
So ist also sein Leben. Er arbeitet hartnäckig und die Zahl seiner Bilder ist schon beträchtlich. Er malt, ohne entmutigt zu werden, ohne müde zu werden, und schreitet geradeaus, seiner Natur gehorsam. Nach der Arbeit geniesst er die ruhigen Freuden des modernen Bürgers, geht in Gesellschaften und führt das Leben eines Jeden, nur mit dem Unterschiede, dass er vielleicht noch friedlicher und noch besser erzogen ist, als die Andern.
Was mich in Manets Bildern zuerst frappiert, ist eine sehr zarte Richtigkeit in den Beziehungen der Töne unter einander. Früchte sind auf eine Tafel gesetzt und heben sich von einem grauen Hintergrunde ab. Es giebt unter den Früchten, je nachdem sie mehr oder minder nahe sind, Farbenwerte, die eine ganze Tonleiter bilden. Wenn ihr von einer Note ausgeht, die heller als die wirkliche Note ist, müsst ihr einer Leiter folgen, die immer heller bleibt. Und umgekehrt muss es sein, wenn ihr von einer dunkleren Note ausgeht. Das ist, was man, glaube ich, das Gesetz der[166] Valeurs nennt. Ich kenne in der modernen Schule niemanden ausser Corot, Courbet und Edouard Manet, die ständig diesem Gesetze gefolgt sind, wenn sie Figuren malen. Die Werke gewinnen dabei eine seltsame Reinlichkeit, eine grosse Wahrheit und einen grossen Reiz.
Edouard Manet geht gewöhnlich von einer Note aus, die heller als die in der Wirklichkeit existierende Note ist. Seine Malereien sind blond und leuchtend, von einer soliden Bleichheit. Das Licht fällt weiss und breit auf die Gegenstände und beleuchtet sie auf ein sanfte Art. Es giebt da nicht den geringsten erzwungenen Effekt. Die Personen und die Landschaften baden sich in einer heiteren Klarheit, welche das Bild völlig erfüllt.
Was mich danach frappiert, ist die notwendige Folge der genauen Beobachtung des Gesetzes von den Werten. Der Künstler lässt sich irgend einem Gegenstand gegenüber durch seine Augen leiten, die diesen Gegenstand in breiten Tinten bemerken, welche gegenseitig Einfluss auf einander nehmen. Ein Kopf gegen eine Mauer ist nur noch ein mehr oder minder weisser Fleck auf einem mehr oder minder grauen Hintergrund; und das Kleid, an das Gesicht herangesetzt, zum Beispiel ein mehr oder minder blauer Fleck neben dem mehr oder minder weissen Flecke. Daher eine grosse Einfachheit, fast gar keine Details, eine Gesamtheit von richtigen und zarten Flecken, die in einigen Schritten Entfernung dem Bilde ein ergreifendes Relief[167] geben. Ich lege auf diesen Charakter der Werke von Edouard Manet Nachdruck, denn er herrscht in ihnen und macht sie zu dem, was sie sind. Die ganze Persönlichkeit des Künstlers besteht aus der Art, in der sein Auge gebildet ist: er sieht blond und in Massen.
Was mich in dritter Linie frappiert, ist eine etwas trockene, jedoch reizvolle Grazie. Man verstehe mich richtig: ich spreche nicht von der rosa und weissen Grazie, die die Porzellanköpfe der Puppen haben, sondern von einer durchdringenden und wahrhaft menschlichen Grazie. Edouard Manet ist ein Weltmann und in seinen Bildern sind gewisse auserlesene Linien, gewisse schlanke hübsche Haltungen, die von seiner Liebe für die Eleganzen des Salons zeugen. Das ist das Element des Unbewussten, die Natur des Malers.
Nach der Zergliederung die Zusammenfassung. Nehmen wir gleichviel welches der Bilder Manets und suchen nichts anderes, als was es enthält: beleuchtete Gegenstände, wirkliche Geschöpfe. Der Gesamtanblick ist, wie ich es gesagt habe, leuchtend blond. In dem ausgebreiteten Licht sind die Gesichter in breiten Fleischflächen behandelt, die Lippen werden einfache Striche, alles vereinfacht sich und hebt sich vom Hintergrunde in machtvollen Massen ab. Die Richtigkeit der Töne stellt die Pläne fest, erfüllt das Bild mit Luft, giebt jedem Gegenstande Kraft. Man hat, um sich über Manet lustig zu machen, behauptet, dass seine Bilder an die Bilderbögen von[168] Epinal erinnern; sehr viel Wahrheit liegt in diesem Spott, der ein Lob ist. Dort auf den Bilderbögen und hier auf den Bildern sind die Verfahren die gleichen, die Tinten sind schichtweise angewendet, mit dem einzigen Unterschiede, dass die Arbeiter der Bilderbögenfabrik die Töne rein brauchen, ohne sich um die Werte zu kümmern, Edouard Manet die Töne jedoch vervielfacht und sie in die richtigen Beziehungen bringt. Es würde eher am Platze sein, Manets vereinfachte Malerei mit den japanischen Farbenholzschnitten zu vergleichen, die ihnen durch ihre seltsame Eleganz wie durch ihre prachtvolle Fleckenverteilung ähnlich sind.
Der erste Eindruck, den ein Bild von Edouard Manet hervorbringt, ist ein wenig hart. Man ist nicht daran gewöhnt, so einfache noch auch so aufrichtige Uebersetzungen der Wirklichkeit zu sehen. Dann giebt es, wie ich gesagt habe, einige elegante Schroffheiten, die überraschend wirken. Das Auge bemerkt zuerst nur breit geschichtete Tinten. Bald zeichnen die Objekte sich und stellen sich an ihre Plätze. Am Ende einiger Augenblicke erscheint das Ganze, kraftvoll, und man empfindet einen wirklichen Reiz, indem man diese helle und gewichtige Malerei betrachtet, die die Natur mit einer sanften Brutalität, wenn ich mich so ausdrücken darf, wiedergiebt. Wenn man sich dem Bilde nähert, sieht man, dass die Behandlung mehr delikat als schroff ist. Der Künstler benutzt nur den Pinsel (nicht den Spachtel) und bedient sich seiner[169] sehr vorsichtig. Er giebt keine Farbenanhäufungen, sondern eine einfache Schicht. Dieser Wagehals, über den man sich lustig macht, hat eine Technik, die sehr vorsichtig ist, und wenn seine Werke einen besonderen Anblick gewähren, so verdanken sie das nur der persönlichen Art, in der Manet die Objekte sieht und übersetzt.
Wenn man mich prüfte, wenn man an mich die Frage stellte, welche neue Sprache Edouard Manet spräche, so würde ich hinsichtlich des Ganzen antworten: er spricht eine Sprache, die aus Einfachheit und Richtigkeit gemacht ist. Die Note, die er bringt, ist das Blond, das das Bild mit Licht erfüllt. Die Uebersetzung, welche er uns giebt, ist eine richtige und vereinfachte Uebersetzung, die in Ensembles vorgeht und nur die Massen angiebt.
Nicht oft genug kann ich wiederholen, dass wir tausend Dinge vergessen müssen, um dieses Talent zu verstehen und zu geniessen. Es handelt sich hier nicht mehr um eine Untersuchung der absoluten Schönheit; der Künstler malt weder die Geschichte noch die Seele; was man Komposition nennt, existiert für ihn nicht, und die Aufgabe, die er sich stellt, ist nicht, diesen Gedanken darzustellen oder jenen historischen Vorgang. Darum muss man ihn auch nicht vom Standpunkt des Moralisten oder des Literators beurteilen, sondern als Maler. Er behandelt die Figurenbilder, wie es in den Kunstschulen erlaubt ist, die Stilleben zu behandeln; er stellt, will ich damit sagen, die[170] Figuren ein bißchen dem Zufall nach vor sich hin, und hat nur danach Verlangen, sie auf die Leinwand zu bringen, wie er sie sieht, mit den lebhaften Gegensätzen, welche sie bilden, indem sich eine von ihnen von der anderen absetzt. Fordert von Manet nichts anderes als eine Uebersetzung von wörtlicher Richtigkeit. Er kann nicht singen und philosophieren; er kann malen. Er hat die Gabe, und das da ist sein Eigentum, sein Temperament, in ihrer Feinheit die hauptsächlichen Töne zu ergreifen und solcherweise in grossen Plänen die Dinge und die Wesen zu modellieren.
Man hat Manet vorgeworfen, dass er die spanischen Meister nachahme. Ich gebe zu, dass einige Aehnlichkeit zwischen seinen ersten Arbeiten und den Arbeiten dieser Meister ist. Man ist immer jemandes Sohn. Aber von seinem „Mittagessen im Grase“ an scheint mir Manet klar die Persönlichkeit zu zeigen, die ich kurz zu erklären und auszulegen gesucht habe. Die Wahrheit ist vielleicht, dass das Publikum, indem es sah, dass er Scenen und Kostüme aus Spanien malte, auch annahm, dass Manet seine Modelle von jenseits der Pyrenäen nähme. Von da bis zur Anklage des Plagiats ist es nicht weit gewesen. Daher ist es gut, bekannt zu geben, dass Edouard Manet die „espada“ und den „majo“ gemalt hat, weil er in seinem Atelier spanische Kostüme hatte und sie schön in der Farbe fand. Er bereiste Spanien erst im Jahre 1865, und seine Bilder tragen einen zu persönlichen Accent, als[171] dass man in Manet nur einen Bastard von Velasquez und Goya erblicken könnte.
Das erste, was ich empfand, als ich ins Atelier von Edouard Manet trat, war ein Gefühl von Einheit und von Kraft. Es ist Herbheit und Sanftheit beim ersten Blick, den man auf die Wände wirft. Ehe die Augen sich auf einer bestimmten Leinwand festsetzen, irren sie von ungefähr von unten nach oben, von rechts nach links, und diese hellen Farben, die eleganten, sich mischenden Formen haben eine Harmonie, einen Freimut von äusserster Einfachheit und Energie.
Dann habe ich langsam die Werke hintereinander zergliedert. Hier gebe ich in einigen Zeilen mein Gefühl über jedes von ihnen, mit etwas Nachdruck bei den umfangreicheren.
Das älteste Bild ist der „Absynthtrinker“; ein abgezehrter, abgestumpfter Mann, in eine Ecke seines Mantels gehüllt und in sich versunken. Der Maler suchte sich noch; es ist beinahe eine melodramatische Absicht in diesem Gegenstand; und dann finde ich hier nicht das einfache und genaue, mächtige und grosse Temperament, das der Künstler später hat.
Danach kommen der „spanische Sänger“ und das „Kind mit dem Degen“. Das sind die Pflastersteine — jene ersten Werke, deren man sich bedient, um mit ihnen die letzten Werke des Künstlers zu erschlagen. Der „spanische Sänger“, ein Spanier, der auf einer Bank von grünem Holz sitzt und singend Guitarre spielt, hat auf der Ausstellung eine „mention[172] honorable“ bekommen. Das „Kind mit dem Degen“ ist ein kleiner Knabe, stehend, mit naiver Miene, und uns anstaunend. Er hält mit beiden Händen einen grossen Degen mit Wehrgehänge. Diese beiden Malereien sind fest und solide, übrigens sehr fein, und sie verwunden in gar nichts den schwachen Blick der Menge. Man behauptet, dass Edouard Manet einige Verwandtschaft mit den spanischen Meistern hat und er hat es nie so sehr bekundet wie in dem „Kinde mit dem Degen“. Der Kopf des Knaben ist ein Wunder von Modellierung und besänftigter Kraft. Hätte der Künstler immer derartige Köpfe zu malen unternommen, so würde er vom Publikum gehätschelt, mit Lob und Geld überschüttet worden sein. Freilich wäre er ein Reflex geblieben, und nie würden wir die schöne Einfachheit kennen gelernt haben, die sein ganzes Talent bildet. Für mich, ich gestehe es, ist das Sympathische in seinen Werken anderswo als in diesen Stücken; ich ziehe die freimütigen Schärfen, die richtigen und mächtigen Flecke der „Olympia“ den gesuchten und engen Feinheiten des „Kindes mit dem Degen“ vor.
Aber von jetzt an habe ich nur noch von solchen Bildern zu sprechen, die mir das Fleisch und Blut Edouard Manets zu sein scheinen. Zu Anfang kommen die Bilder, die im Jahr 1863 bei Martinet auf dem Boulevard des Italiens einen wirklichen Auflauf verursachten. Pfeifen und Hohngelächter kündigten, wie es Brauch ist, an, dass ein neuer originaler Künstler[173] sich offenbart habe. Die Zahl der damals ausgestellten Bilder war vierzehn. Acht von ihnen werden wir in der Weltausstellung wiederfinden: den „alten Musiker“, den „Leser“, die „Gitanos“, einen „Strassenjungen“, „Lola de Valence“, die „Strassensängerin“, das „spanische Ballet“ und die „Musik in den Tuilerien“.
Die vier ersten der Reihe citiere ich nur. „Lola de Valence“ ist durch den Vierzeiler von Charles Baudelaire berühmt, der ebenso ausgezischt und übel behandelt wurde wie das Gemälde selbst:
Ich beabsichtige nicht, zur Verteidigung dieser Verse beizutragen und sage nur, dass sie für mich das Verdienst haben, ein gereimtes Urteil über die ganze Persönlichkeit des Künstlers zu geben. Ich weiss nicht, ob ich übertreibe. Es ist vollkommen wahr, dass „Lola de Valence“ ein „bijou rose et noir“ ist. Der Künstler geht bereits nur durch Flecke vor und seine Spanierin ist breit, mit lebhaften Gegensätzen gemalt; die ganze Leinwand von zwei Tinten bedeckt.
Das Bild, das ich unter den aufgeführten aber vorziehe, ist die „Strassensängerin“. Eine junge, auf den Höhen des Panthéon wohlbekannte Person tritt aus einer Schenke heraus, während sie Kirschen isst, die sie aus einer Tüte nimmt. Das ganze Werk ist von[174] einem sanften blonden Grau. Die Natur scheint mir in diesem Bild mit der äussersten Einfachheit und Genauigkeit zergliedert zu sein. Ein derartiges Bild hat, von seinem Gegenstande unabhängig, eine Erhabenheit, welche den Rahmen erweitert; man fühlt darin die Erforschung der Wahrheit, die gewissenhafte Arbeit, die ein Mann leistet, der vor allem freimütig sagen will, was er sieht.
Die beiden andern Bilder, das „spanische Ballet“ und die „Musik in den Tuilerien“ waren es, bei denen damals das Pulver explodierte. Ein aufgeregter Amateur ging so weit, zu drohen, dass er handgreiflich werden würde, wenn man die „Musik in den Tuilerien“ länger in dem Ausstellungssaal hängen liesse. Ich begreife den Zorn dieses Liebhabers; denkt euch unter den Bäumen des Tuileriengartens eine ganze Menge — hundert Personen vielleicht, die sich in der Sonne bewegen. Jede Person nur als einfachen Flecken, kaum bestimmt, und die Details zu Linien und schwarzen Punkten geworden. Wäre ich dagewesen, so hätte ich den Liebhaber gebeten, sich in eine achtungsvolle Entfernung zu begeben. Dann hätte er gesehen, dass diese Flecke lebten, dass diese Menge sprach und dass dieses Bild eins der bezeichnendsten des Künstlers sei, eines von denen, bei denen er am meisten seinen Augen und seinem Temperamente gefolgt ist.
Seiner Excellenz dem Herrn Staatsminister Anton Freiherrn von Schmerling, Grosskreuz des Öst. Leopold-Ordens etc. etc. etc.
Eure Excellenz!
Ich erlaube mir diese Zeilen an Eure Excellenz zu richten, in denen ich eine getreue durchaus wahrheitsgemässe Darstellung der Verfolgungen, und moralischen Misshandlungen zu Ihrer Kenntnis zu bringen beabsichtige, und es der Gerechtigkeitsliebe Eurer Excellenz anheim stelle, darüber zu entscheiden, ob mein Verlangen nach einer Rehabilitierung ein gerechtfertiges sei oder nicht.
Die Verfolgungen, welche ich erlitten, haben ihren Grund lediglich in meinem Streben die Übelstände[178] unseres bisherigen akademischen Unterrichtes der Wahrheit gemäss zu beleuchten, und der Kunst überhaupt jene Stellung zu erringen, welche ihr in civilisirten Staaten gebührt. Dieses Streben habe ich in mehreren Broschüren entwickelt, besonders in jener, welche den Titel führt: Andeutungen zur Belebung der vaterländischen bildenden Kunst.
Die in dieser Broschüre ausgesprochenen Enthüllungen über den in dem akademischen Lehrsystem herrschenden Schlendrian erweckten natürlich das grösste Missfallen in den diesem Schlendrian, bei welchem sie ihren Vorteil fanden, huldigenden akademischen Kreisen, und es ward das Anathema über den kühnen Reformator ausgesprochen, der es unerschrocken aussprach, was Not thue, um dem Verfalle der Kunst entgegen zu treten.
Der damalige Herr Minister des Unterrichtes, Graf Leo Thun, gestand mir mündlich, dass er zwar die Wahrheit der Enthüllung des gänzlich mangelhaften kunsttötenden statt kunstlebenden akademischen Unterrichtes in meiner Broschüre nicht bestreite, dass aber Enthüllungen solcher Art, von einem Mitgliede der Akademie, und ihres Rates selbst, von einem Professor der Akademie ausgehend, offenbar als ein Disciplinarvergehen betrachtet werden müsse, welches mit der Enthebung von meiner Anstellung bei der Akademie zu bestrafen sei. Diese Bestrafung ward dann auch vollzogen, da ich am 4. September 1857 in Pension gesetzt ward, jedoch nur mit dem Bezuge[179] einer Pension von 400 fr. statt meines Gehaltsbetrages von 800 fr., welche ich in meiner Anstellung bezog.
Dass meine Beleuchtung der damals an der Akademie eingeführten sog. Reform, deren Entwurf und Fassung von dem ministeriellen Berichterstatter Herrn Grafen Franz Thun und seinem Freunde Herrn Ruben herrührte, und dem Herrn Minister gleichsam oktroyiert ward, da er, wie er in einer Unterredung mit mir unverhohlen äusserte, dass er in Sachen der Kunst kein Verständnis habe, — dass, sage ich, meine Beleuchtung jener Schöpfung des Herrn Grafen Franz Thun und des Herrn Ruben diesen Herrn und ihren Schmeichlern unbequem gewesen, begreife ich, um so mehr, als meine Wahrheitsliebe und Freimütigkeit nicht gestattete, auch in Unterredungen mit diesen Herren selbst meine Ansichten zu verhehlen. In einer solchen Unterredung mit dem Herrn Grafen Franz Thun äusserte ich, dass ich die Ernennung des Herrn Ruben zum Direktor der Akademie gegenüber der Einführung von Meisterschulen befremdlich fände, da ja doch nicht angenommen werden könne, dass die Meister sich dirigieren lassen würden, und der Graf antwortete mir: Er lasse dies dahin gestellt sein, die Ernennung des Herrn Ruben zum Direktor sei nur erfolgt um demselben einen grösseren Gehalt zuzuwenden! Ich glaube, dass die Anführung eines solchen Motives zur Anstellung keines Kommentars bedarf, um die Zustände der akademischen Gebahrung,[180] sowohl im Kunst- als im Geschäftswesen zu charakterisieren.
Meine eigenen Bestrebungen wurden nie von unlauteren Interessen beeinflusst. Ich glaube dies durch alle Handlungen meines künstlerischen und bürgerlichen Lebens bewiesen zu haben. Ich erhielt von Sr. Majestät dem verewigten Kaiser Nikolaus von Russland eine höchst ehrenvolle, von den wesentlichsten persönlichen Vorteilen für mich verbundene Aufforderung, mich in Petersburg zu etablieren, und daselbst eine Meisterschule zu gründen. Ich leitete damals auch hier eine Privat-Meisterschule, und konnte es nicht über mich gewinnen, meine Schüler, talentierte Jünglinge, welche ihre künstlerische Ausbildung mir anvertraut hatten, zu verlassen. Ich wies ohne Bedenken den glänzenden Antrag zurück, und sandte einen meiner besten Schüler, Herrn von Zichy nach Petersburg, welcher sich dort eine ehrenvolle und lukrative Existenz gründete, was er auch vollkommen durch sein Talent verdient. Ich habe mir erlaubt auf diese Episode meines künstlerischen Lebens hinzudeuten, weil sie wohl den sprechendsten Beweis liefert, wie ich es mir (als) meine Lebensaufgabe erachtete, alle meine Kräfte der Belebung, und dem Gedeihen der vaterländischen Kunst zu widmen, und dadurch meinen echten Patriotismus zu bethätigen.
Dass diese meine Bestrebungen in jenen Kreisen künstlerischer und akademischer Thätigkeit, welche in der Erhaltung des Schlendrians Vorteile finden, angefeindet[181] wurden, darauf musste ich bei meinem Vorgehen gefasst sein, dass aber diese feindliche Gesinnung auch in jene Sphären gedrungen sei, welche ihrer Natur nach erhaben über alle Einflüsse solcher Art stehen sollten, darüber habe ich in neuerlichster (Zeit) die überraschendsten Beweise erhalten. Ich hatte es nämlich für meine Pflicht gehalten, die oben erwähnte Broschüre Sr. Majestät dem Kaiser ehrfurchtsvoll zu Füssen zu legen. Der Vorschrift gemäss reichte ich das Exemplar in dem k. k. Oberstkämmereramt ein. Nach einiger Zeit ward ich zu Seiner Excellenz dem Herrn Oberstkämmerer Grafen von Lauzcownski beschieden, und empfing aus seinem Munde folgende Abfertigung: „Ich soll Ihre Broschüre dem Kaiser geben, dass Sie eine Auszeichnung, etwa gar einen Orden bekommen! Nein, das thue ich nicht!“
Auch diese Rede bedarf keines Kommentars. Ein solcher Beweggrund dem Kaiser ein Werk nicht zu überreichen dürfte so ziemlich beispiellos genannt werden, und noch verwunderlicher ist es, wie ein Kavalier, dem man doch wenigstens einen gewissen Grad von Bildung beimessen dürfte, sich so weit vergessen kann, in solch unanständiger Weise einen solchen Bescheid einem Manne zu erteilen, der durch die Haltung seines ganzen Lebens als Bürger und Künstler makellos stehend den vollen Anspruch, und die Berechtigung, wenn auch nicht auf die Zuneigung doch jedenfalls auf die Achtung auch des höchsten Würdenträgers hat.
Einen zweiten Beweis, wie man sich in jenem Bureau die grösste Geringschätzung gegen mich erlauben zu dürfen glaubte, fand ich in dem folgenden Vorgange. Ich hatte mir erlaubt eines meiner neueren Gemälde, welches die Anerkennung als eines meiner besten Werke erhielt, Seiner Majestät dem Kaiser vorzustellen, und um dessen Ankauf zu bitten. Diese Bitte wurde indessen, obschon Seine Majestät dem Bilde Beifall schenkte, abschlägig beschieden, und ich erhielt meine Bittschrift mit diesem Bescheide aus dem Oberstkämmereramt zerrissen zurück, also mit einer durch keine Amtsvorschrift gebotenen Verschärfung des Ausdruckes, einer in keiner Weise gerechtfertigten verächtlichen Missachtung.....
Abgesehen davon, dass die juridische Entscheidung, ob durch freimütige Besprechung bestehender unleugbarer Übelstände in einem Institute, von Übelständen, für welche ich bereit bin, den thatsächlichen Beweis vor jeder Kommission von Fachmännern, und einem Vorsitzenden zu liefern, ob Mitteilungen solcher Art unbedingt und in allen Fällen, wo sie von einem Mitgliede eines solchen Institutes selbst ausgehen als Disciplinar-Vergehen, und strafwürdig zu behandeln seien, immer noch erst zu erwarten wäre, da sich ohne Zweifel hoch Vieles pro et contra sagen liesse, so halte ich dafür, dass in diesem Falle, wenn ich wirklich straffällig wäre, die Strafe durch meine Pensionierung überhaupt in genügender Weise hätte befunden werden mögen, auch wenn ich mit 28 Dienstjahren in Berücksichtigung[183] meiner Verdienste um die Kunst, als ausübender Künstler, und als Lehrer und Rat, mit meinem ganzen Gehalt bedacht worden wäre, statt mit einem Bruchteile desselben. Ich glaube mir also die Bitte erlauben zu dürfen, mir in so ferne eine Rehabilitierung zu Teil werden zu lassen, wodurch mir die Beziehung meines gehabten Gehaltes von 800 fr. im Ruhestand belassen würde, wobei ich mich aber erbiete auch noch eine Meisterschule zu leiten, von welcher ich mir guten Erfolg, sowohl die Resultate meiner früheren Leistungen, als durch den Umstand hoffen zu dürfen mich berechtigt halte, da sich fortwährend viele akademische Schüler an mich wenden, welche unter meiner Leitung studieren wollen, und mir dadurch ihr Zutrauen in meine Lehrmethode, und in das Prinzip, welches ich derselben zum Grunde lege, aussprechen.
Somit fühle ich mich denn ermutigt, die Entscheidung dieser Frage der Weisheit und Gerechtigkeitsliebe Eurer Excellenz anheim zu stellen, in festem Vertrauen, dass der erleuchtete Geist Eurer Excellenz am besten zu beurteilen wissen wird, in wie ferne mein Ansuchen gerechtfertigt erscheint, und zu würdigen sei.
Im Gefühle der aufrichtigsten Verehrung
Eurer Excellenz
Unterthänigst ergebenster Diener
F...
Was soll uns die Kritik?
Was soll uns die Kritik? Soll sie die bildende Kunst fördern? Als die Kunst auf ihrer Höhe, als es eine wahrhafte Kunst gab, existierte damals eine Kritik? Eine Kritik in solcher Weise wie jetzt, vornehmlich bei uns? Nein! Das „ne sutor ultra crepidam“ ist auch jetzt noch die passendste Antwort auf alle und jede Kritik in der bildenden Kunst.
Der Künstler, welcher sein Kunstwerk in die Öffentlichkeit giebt, unterzieht sein Werk der Beurteilung des Publikums. Jeder Beschauer wird nach seinem individuellem Empfinden und Erkennen in seinem Gemüte von dem Werke ergriffen werden, oder kalt bleiben. Es kann der Gegenstand schon die Ursache sein, obwohl Kunstwerke in ihrem Inhalte für alle Beschauer ein allgemeines Interesse haben sollen, es ist eine Bedingung, denn wenn es nur für eine Person, oder für einen kleinen Kreis Interesse hat, so soll es nicht in die Öffentlichkeit. Dass aber weder das Publikum noch Kunstliebhaber eine eigentliche Kritik zu fällen im stande sind, ist gewiss; sie sprechen ihre Empfindung des Gefallens oder Missfallens aus, und dieses ist für den Künstler genügend, ihn in der Wahrheit zu bestärken, oder einzulenken auf den Weg der Wahrheit. Solcher Art Kritik erreichte bei den Griechen und im Mittelalter jene hohe Stufe der Ausbildung.
Betrachten wir dagegen die Folgen, welche das Gefasel unserer sogenannten Kunstkritiker in den Journalen mit sich bringt, welche ganz gewiss schamrot würden — ich thue ihnen die Ehre an, es zu glauben — wenn sie eine Ahnung hätten, wenn es nur ihr Dünkel zuliesse zu erkennen, dass ihre Aussprüche voll Widersprüche sich selbst aufheben, welches durch ihre völlige Unkenntnis veranlasst wird. Durch was und an wem sind sie berufen, decidierte Urteile, Belehrungen u. s. w. über die Kunst abzugeben? Gewöhnlich sind es Schreiber in Bureaus, oder Personen, die durch Talentlosigkeit und Faulheit sich keinem Berufe widmen konnten, nichts sind, der Gesellschaft zur Last fallen, wogegen jeder Taglöhner Nutzen bringender ist. Es geschieht wohl manchmal, dass sie von Künstlern, welche durch die Feder das Publikum aufmerksam machen, was man von solchen Aussprüchen zu halten hat, zurechtgewiesen werden, allein, die Frechheit geht so weit, dass sie drohen einen solchen Künstler, der sie lächerlich gemacht, zu vernichten! Welche Macht steht ihnen als Hintergrund zu Gebote? Es wäre die grösste Schmach, wenn hohe Staatsmänner sich von solchen Individuen ihre Handlungsweise bestimmen liessen. So ist es gerade dem Gedeihen wahrer Kunst nur hinderlich; einmal schon durch die dreisten Behauptungen ihrer lächerlichen, oder persönlich verleumdenden Aussprüche, und da das Publikum in der Regel derlei Aussprüche glaubt, weil sie gedruckt sind, ja sogar[186] viele diese Kritiken bei den Bildern in der Ausstellung zur Hand haben, um nur ja kein eigenes Urteil zu haben, sich in solcher Weise gängeln lassen, und dann um gleichsam der Kunst Hohn zu sprechen, indem sie Leistungen von Malern ihrer Clique, die unter aller Kritik sind, mit Weihrauch der höchsten Huldigung bestreuen.
Was haben also diese Kritiker geleistet? Die heimische Kunst ist immer mehr und mehr, statt sich zu heben, gesunken. Diese Aussprüche haben viele junge Talente schon bei ihrer Entwicklung in solcher Weise beirrt, dass jede Hoffnung für sie dahin ist.
Ich habe bei einigen Gelegenheiten versucht dieses Treiben durch Entgegnungen in den Journalen zu paralisieren, und es ist mir auch zeitweise gelungen, gewisse Stimmen in ihrer Lächerlichkeit dem Publikum zu bezeichnen, und zum Schweigen zu bringen; allein die Herren Redakteure nehmen sehr ungern, oder einige auch gar nicht, derlei Beleuchtungen in ihr Journal auf, ausser mit Insertionskosten, und da es das Beste der Kunst betrifft, und nicht meinen persönlichen Vorteil, so musste ich meinem Eifer Einhalt thun. Die Herren Redakteure besorgten vor allem, ihre von ihnen bezahlten Berichterstatter als unfähig erklärt zu sehen, und bei der Gleichgültigkeit, welche sie für die bildende Kunst haben, beschützen sie lieber ihre Lieblinge, und lassen die Spalten ihrer Journale nur diesen erbärmlichen Umtrieben offen. Wäre es nicht besser die Räume ihres Blattes mit etwas andern[187] zu füllen, über bildende Kunst lieber ganz und gar zu schweigen? Denn derlei hebt kein Journal. Wird auch manchmal die Wahrheit verkündet, so erscheint es so ausser aller Gewohnheit, wird für Sotise gegeben, und man macht Pressvergehen daraus; wer soll aber bei einem solchen Pressprozesse das richtige Urteil fällen, da unsere Kunstzustände weder erkannt noch beachtet sind?....
Jene Journalisten sind nebst dem, dass sie Ignoranten sind, auch böswillige parteiische, die auf Kosten der Sache, der Kunst, Individuen lobhudeln, in einer Art, die angesichts der Kunst wohl höchst lächerlich ist, aber wegen obiger Ursachen das wahrhaft Gute beeinträchtigt. Ihre Aussprüche sind gewöhnliche, allbekannte, abgenützte Phrasen.
Wenn es diesen Kritikern wirklich um die Sache und nicht um Personen zu thun wäre, wenn sie im stande wären, durch ihre Kritik nützen zu können, so ist nicht das Journal der Platz dazu, auch nicht die Öffentlichkeit, sondern das Atelier der Künstler. Dort könnten sie ihre Meinung gegenüber dem Künstler aussprechen, insofern sie eine haben, und der Künstler sie erwidern; es würde sich bald zeigen, wer der Belehrung bedarf. Denn belehren soll ja die Kritik, das ist ihr Zweck.
Wenn nun die Herren Kritiker sich befähigt wähnen, gegenüber dem Künstler ihre Meinung zur Geltung bringen zu können, ihn zu belehren, ihm wenn er auf Abwegen wandelt den rechten Weg zum Heile[188] der Kunst zu zeigen, so dürften sie insgesamt diesen Vorschlag, derlei Besprechungen in den Ateliers der Künstler zu pflegen, ihre begonnenen und vollendeten Leistungen kritisch zu beleuchten, annehmen, und ich verpflichte mich, der erste zu sein, der in seinem Atelier seine Werke einer solchen Besprechung unterzieht. Nur eine kleine Bedingung setze ich daran: dass meinerseits einige Zeugen, wenn auch stillschweigend, diesen Verhandlungen beiwohnen.
Nun meine Herren, kann man billiger sein, haben Sie eine bessere Gelegenheit Ihre Beurteilungsfähigkeit zu beweisen?
Auch verpflichte ich mich der erste zu sein, der über diese Fähigkeit in der Öffentlichkeit seine Anerkennung ausspricht, und alles widerruft, was er über ihre Ignoranz zum öftern gesagt und geschrieben, wenn sie das Gegenteil in solcher Art beweisen. Im Gegenteil aber müssen sie die Sache, wenn auch eine Lieblingssache von ihnen, aufgeben und keine Kritik mehr schreiben, denn sonst würde ich auch ihr Fiasko, bestätigt durch ihre Zeugen, dem Publikum zur Einsicht stellen.....
Auch dürfte ihre Anonimität aufhören (vielleicht verschweigen sie aus zarten Rücksichten für ihre Angehörigen ihre Namen!) sie müssten ihre Kritiken mit ihren wirklichen, nicht Pseudonamen unterzeichnen, damit das Publikum gleich ersehe, mit wem es zu thun hat, auch würden dann die Künstler sich an sie wenden können ihren Rat einzuholen, überhaupt[189] Nutzen schöpfen von ihren Kenntnissen. Es wäre auch für die Nachwelt wünschenswert ihre Namen zu wissen, damit sie bei der verdienten Anerkennung manches Künstlers und seiner Werke auch ihren Teil bekämen.
Wie sind Mozart, Beethoven bei ihren Lebzeiten von gewissen Richtern heruntergerissen worden! Die Nachwelt denkt anders; ihre Werke in ihrer Vortrefflichkeit und Originalität stehen vor den Jetztlebenden unerreicht da. Mozart, Beethoven haben in dürftigen Verhältnissen gelebt, niemand dachte daran, ihnen wegen ihrer genialen Leistungen Auszeichnungen zukommen zu lassen, während jetzt manche Kompositeure (ja wohl ist jetzt alles aus Verschiedenen gestohlen, komponiert!) mit mehreren Orden prangen, die nicht würdig sind, Jenen die Schuhriemen aufzulösen. Beethoven hätte sich hoch geehrt und glücklich gepriesen, wenn er die goldene Medaille erhalten hätte als Anerkennung seiner künstlerischen genialen Leistungen. Die Anerkennung wirklich künstlerischen Verdienstes ist aber jedem Staate Pflicht und gereicht ihm zur Ehre.
Wie in der Musik, ebenso in der bildenden Kunst sowohl in Österreich als in Deutschland. Diejenigen Maler oder Bildhauer und Architekten, die so recht aus den vorhandenen Kunstwerken aller Zeiten zu stehlen wissen, werden für diese Diebstähle honoriert und dekoriert. Bei solchem Treiben wäre es am Platze, dass die Kunstgelehrten ihre Stimme erheben[190] und darauf hinweisen sollten; was ist aber die Ursache ihres Stillschweigens? Unkenntnis, Parteilichkeit.....
Mögen derlei geschichtliche Thatsachen das Publikum für die Folge aufmerksam auf die Unterscheidung von Wahrheit und Trug machen.
I diavoli tengano sempre una buonissima memoria
specialmento quando s'incontrano con angeli:
anche che siamo angeli di giorno a giorno.
Neapel, 18. Juli 1873.
… — Sie müssten eigentlich wissen, dass ich Versprechen selten halte, mich aber hie und da bemühe, mehr zu leisten, als ich verspreche. Bei einer gewissen Fähigkeit, mich in die Lage Anderer hineinzudenken, ist es ein Zug meines guten Herzens, dass ich Ihnen bisher nicht wissentlich Langweile bereitet habe. Doch kein Mensch entgeht seinem Schicksale und selbst Sie nicht. So hören Sie denn! Die erste Bedingung, um in einer Kunst etwas Gutes zu leisten, ist der Takt. Hier stehe ich nun schon da wie Faust.[194] Denn um zu erklären und deutlich zu machen, was ich damit meine, müsste ich schriftlich viele, viele Seiten ausfüllen, wobei dann allerdings sich auch herausstellen würde, dass eben dieser Takt die erste und auch die letzte Bedingung zu allem künstlerischen Treiben in sich schliesst. Ist man sich nahe, so bieten sich tausend Gelegenheiten dar, die Einem den Ausdruck der eigenen Gesinnung und Meinung erleichtern; und auch wenn man lange zusammengelebt, kann Einer dem Andern mit wenig Worten viel sagen, doch so auf Distanze zu wirken, befällt mich doch bei meiner mangelhaften Ausdrucksweise eine gewisse Furcht, missverstanden zu werden. Und zumal bei einer Kunst, die Dinge sagen soll, für die keine Worte gemacht sind. Bei der grössten Achtung für Ihre Auffassungskraft. Indessen erscheint es mir ganz richtig, dass Sie jetzt ein Stilleben malen. Ich mache Sie piccola pittrice (verzeihen Sie diese Interjection) darauf aufmerksam, dass Sie dabei niemals einen Gegenstand für sich betrachten, sondern stets beobachten, wie sich derselbe zu seiner Umgebung verhält, sei es nun in seiner Begrenzung, d. h. Form, oder auch in der Farbe. Wenn Sie sich das zur Gewohnheit machen, so werden Sie bald dahinter kommen, dass man rund malen kann ohne zu modellieren. Unser Auge nimmt zunächst in der Natur nur verschieden begrenzte und gefärbte Flecken wahr und nur unsere Erfahrung und unser Wissen lassen uns auch die ganzen Gegenstände erkennen. Schon die blosse naive[195] Nachahmung dieser Flecken bringt stets eine gewisse Täuschung hervor. Davon würde ich an Ihrer Stelle ausgehen, weil Sie auf diese Weise zuerst dazu kommen, die Mittel, mit denen man nachahmt, zu beherrschen. Ganz falsch ist es, sich die Manier, die Handgriffe eines Andern anzugewöhnen, weil man sich damit einen Block zwischen die Augen und die Natur, der besten Meisterin setzt. Es versteht sich ganz von selbst, dass auf diese Weise kein erschöpfendes Bild gemalt wird, doch wollen wir heute bei diesem Punkte stehen bleiben, weil sich dann nach und nach aus diesem rohen Block etwas Feines herausmeisseln lässt. Es kommt auch darauf an, ob Sie an das, was ich sage, glauben können: das ist eine conditio sine qua non. Also denn nach dem italienischen Sprichwort chi va piano arriva sano, wer langsam geht, erreicht sein Ziel gesund. Wenn Sie sich auch mit Blumen befassen möchten, so würden Sie um so mehr himmlische Kränze durchs irdische Leben flechten und weben. Doch ich bin des trocknen Tones nun endlich satt, möcht einmal wieder den Teufel spielen. Nein, haben Sie keine Angst, die Hitze, wenn auch Teufelselement, macht mich dazu unfähig. Ich fühle mich ganz Maresele. Freuen Sie sich, dass Sie Gebirgsluft atmen können. — Um der Hitze einer Nacht zu entgehen, kam ich neulich auf den Einfall, um Mitternacht auf einem kleinen Kahne nach Sorrent zu fahren, doch da machte ich die Erfahrung, dass zur Nacht es zur See noch heisser ist als auf dem Lande. Aber es war[196] doch eine der reizendsten Nächte, die ich erlebt habe. Die See spiegelglatt, der hellste Vollmond, dazu noch später Frau Venus, die strahlend die rauchige Werkstätte ihres Herrn Gemahls verliess und sich im Meere spiegelte. Nur hie und da strich geisterhaft ein Fischerkahn bei uns vorüber; bis sich endlich ein frischer Wind erhob, der das Meer gleich schwarz erscheinen liess, auf dem wir dann mit aufgezogenen Segeln uns schnell unserem Ziele näherten und mit der aufgehenden Sonne erreichten. Sorrent mit seinen Gärten ist schon ein kleines Paradies, wenn ich Zeit hätte, führe ich jede Woche hin. Es sind keine Sirenen dort, aber ein Gasthof nennt sich zu den Sirenen und solche könnten wohl da einmal ihr Quartier aufschlagen. — …
Der Schluss, der leider ein wenig verfrühte Ihres Briefes hat mich bewogen, Sie in den Teufelsorden aufzunehmen, und zwar verdienen Sie einen verteufelt hohen Rang in demselben. Also carina diavoletta oder diavoletta carina, als solche werden Sie zur Zeit der festlichen Aufnahme Ihr Diplom empfangen. — …
(Unterschrift) Der arme, jetzt ein wenig gebratene Teufel, Maresele genannt.
Neapel, den 9. Sept. 1873.
Gestern Abend wurde ich durch ein verteufeltes Kunstwerk überrascht. Es ist schwer zu sagen, ob die glückliche Wahl des Gegenstandes oder die Conzeption[197] und Verarbeitung mehr zu loben ist. Nun, in meine Hände gelangt, wird es demselben an einem würdigen Platze nicht fehlen. Hoffentlich und anscheinend hat meine schöne Fleckentheorie Wurzel gefasst.
Indess soll ich wohl die gestellte Frage unverzüglich beantworten? Fast möchte ich mich weigern und darin Ihrem teuren Beispiele folgen. Ist das recht, so gut gemeinte Fragen, wie die meinen, unbeantwortet zu lassen?
Doch ich will Ihren allerhöchsten Unwillen nicht erregen, und meinem Naturell folgend, ganz zahm und artig folgen.
Erstens also habe ich vor 3 Wochen eine Fortsetzung zu meinem ersten höchst erbaulichen Kunstschreiben verfertigt, aber allerdings dieselbe, zunächst aus Zerstreutheit, statt abzusenden, in der Tasche mit herumgetragen, ein Los, das meinen Schriften häufig genug zufällt. Zweitens folgt hier eine Beschreibung meines täglichen Lebens. Wie die meisten Menschenkinder stehe ich morgens auf. Ohne weiteren Verzug, als den Genuss von etwas gefrorener Limonade, gehe ich an die Arbeit. Zuerst also den Arbeitern ihre Tagesarbeit bestimmen, das heisst, die Grösse des Stückes Mauer angeben, das ich bemalen will. Dann wird einige Stunden nach dem Modell in Oel gemalt und zwar in der grössten Eile; dann ist der Grund präpariert, und da muss nun oft kolossal viel an einem Tage zusammengearbeitet werden, bei welcher Gelegenheit nicht nur Kopf und Hand, sondern auch der ganze[198] Körper in Anspruch genommen wird, da man oft recht verzweifelte Stellungen einnehmen muss. Bei einer solchen Geistesgegenwart verlangenden Arbeit vergisst man zwar selbst die erdrückendste Hitze, aber ist der Abend herangenaht, so ist man auch zu allem unfähig. Dann lass ich mich höchstens von einer Leib und Seele erschütternden Carosetta zum kleinen Hafen hinfahren und mir von der See den Rest geben. Die Seeluft setzt Einen dann wenigstens in Stand, sein Souper mit einigem Behagen zu halten; schlechtgespielte Strauss'sche Walzer, korallenfeilbietende Hausierer, scheussliche Moden noch übertreibende Neapolitanerinnen treiben einen dem Lager zu, wo Freund Morpheus von summenden, stechenden Janzaren nur zu bald vertrieben wird. So geht es seit sechs Wochen Tag für Tag. Ist es da ein Wunder, wenn zuletzt statt eines Menschen oder auch Teufels nur ein dünner Sommerfaden übrig bleibt, mit dem wenig abzuspinnen ist?… —
Neapel, 19. Sept. 1873.
… — Wenn ich sicher wäre, dass die Wesen ohne Schnurrbart so verschwiegen wären, wie die mit, so würde ich Ihnen jetzt sehr — sehr viel zu sagen haben. Doch wollen wir jetzt einmal zuerst mit Ihnen beginnen, in Parenthese, an meine barsche Manier müssen Sie sich nun schon gewöhnen. Wenn Sie zufrieden mit sich wären, so wäre auch alle Hoffnung verloren, denn das müssen Sie wissen, dass der Künstlerstand[199] der wahre Stand der Unzufriedenheit mit sich ist. Je weiter man gelangt, desto grössere Ansprüche stellt man an sich: das alte Sprichwort: lang ist die Kunst, kurz ist das Leben, bewährt sich nur zu sehr als zutreffend. Uebrigens bin ich auch nicht direkt der Ansicht, dass der Schnurrbart das allein seligmachende Mittel zum Leisten ist; jedoch sind den Frauen grössere Hemmnisse in den Weg gelegt. Vor allen Dingen hinderlich ist es ihnen, dass sie vorzugsweise und in erster Linie Damen sein wollen, mit anderen Worten die Männer mehr vom Leisten abhalten, anstatt sie darin, wie ihre Geschlechtsgenossinnen, die Musen, anzueifern und zu bestärken. Wer etwas leisten will, darf den Teufel darnach fragen, was man sagt, sondern muss unverrückt sein Ziel vor Augen haben; und das soll nicht ganz leicht sein. Man muss sich mehr für eine Sache als für die Leute interessieren. Vor allem aber muss man lernen, das Gute vom Mittelmässigen zu unterscheiden; das ist der einzige Weg zum Heil. Glauben Sie nicht, dass ich Sie einschüchtern will, sondern ich gebe Ihnen nur zu überlegen, was doch erwähnenswert ist. Bei allen Leistungen von dauerhaftem Werte spielt der Charakter eine grössere Rolle als man glaubt. Das grösste Hindernis bleibt stets die gute Gesellschaft; um comme il faut zu sein, bedarf es nicht mehr Verstandes, als der eines Nussknackers, während die verlangten, erbärmlichen Rücksichten den Gescheiten seiner besten Zeit und besten Gedanken berauben. Ein Mann kann sich über dergleichen[200] Dinge mit Leichtigkeit hinwegsetzen; aber einer jungen Dame dürfte das schon eine schwierige Aufgabe sein, wenn auch nicht unmöglich. So, für heute erlassen Sie mir die Fortsetzung meiner Predigt; Sie müssen wissen, dass ich heute schon eine lebensgrosse Giovinetta in einen Orangenhain gesetzt habe, am liebsten wäre es mir gewesen, ich hätte Ihr liebes Konterfei statt dieses machen können. Aber Ihre Photographie ist zu sehr verschieden vom Original. — ..... — Doch muss ich Sie zunächst noch um sechs Wochen Urlaub bitten, damit ich als ein Mann erscheinen kann, der in Wahrheit etwas geleistet hat. So lange brauche ich, um mein ganzes Werk, das Jahre in Anspruch zu nehmen schien, zu vollenden. Einen solchen Einfluss hat die italienische Luft auf mich ausgeübt.
Diese neue Erfahrung lässt mich allerdings mit Grauen an den Norden und speziell an Dresden, die Capitale der Mittelmässigen, denken. Ich habe grosse Pläne, sobald sie sich realisieren oder die Möglichkeit dazu sich herausstellt, so werde ich dieselben Ihnen mitteilen... — Es wird dunkel und ich schliesse. Duncque carissima carina non dimenticate me poveretto, perchè sarebbe poco bene a me di cantare come la mia bella vicina: Ti voglio ben assai e tu non pensa me — …
Florenz, 3. Dezember 1873.
… — Die Wahrheit zu gestehen, befand ich mich die ganze Zeit in einem sehr anormalen und jedenfalls für das Briefschreiben höchst ungeeignetem Zustande, der erklärt und entschuldigt wird durch die für mich allerdings grossen Anstrengungen. Zu Beginn voriger Woche bin ich mit meinen Arbeiten in Neapel zu Ende gekommen und gleich darauf über Rom hierher gereist. Es war meine Absicht, nach Deutschland zu reisen, die habe ich aber, da ich in der That zu sehr der Erholung bedarf, vorläufig aufgegeben. Dafür habe ich aber hier ein Lokal in einem reizend gelegenen Kloster gemietet und wenn wir es bei der Ortsbehörde durchsetzen können, werden wir nach und nach Herren des ganzen Gebäudes werden. Was ich mir nach dieser Seite gewünscht, scheint nun in Erfüllung zu gehen — …
… — Soeben habe ich Frau Koppel aufgesucht und habe da zu meiner Ueberraschung gehört, dass la bella in diesen Tagen hierher kommt. Da wird denn wohl die Zeit nicht fern sein, wo auch die carina hier erscheinen wird und ebenso la graziosa, um dann den Sirenengesang in choro anzustimmen. Dann würden Sie im Frühjahr nach der Heimat Ihrer Kolleginnen wandern und sich bei der Gelegenheit überzeugen können, welche Schandthaten ein von den Sirenen Bethörter verrichtet hat. Diesen Brief, es ist der fünfte, schicke ich jetzt definitiv ab — …
Neapel, 1. Juli 1874.
… — Ein trauriger Anlass rief mich zu Beginn des Frühjahres nach Deutschland und nachdem ich dort meinem von mir hochverehrten Vater die letzte Ehre erwiesen hatte, strebte ich sobald wie möglich die Stätte trauriger Erinnerungen zu verlassen und kehrte so über Paris nach Florenz zurück. Dort hatte indessen Hildebrand den Kauf eines Klosters abgeschlossen, wo nun jetzt auch für mich eine bleibende Stätte bereitet wird. Wenn Sie nach Florenz kommen und den berühmten Aussichtspunkt Bello-Sguardo besuchen wollen, so können Sie nicht vermeiden, bei der Statue des S. Francesco vorbeizukommen. Das Bildwerk ist schlecht, doch, wenn auch mit bedauerndem Gesichtsausdrucke, zeigt seine erhobene Hand dahin, wo der stets fidele Giovanni Cerbero weilt. Unmittelbar hinter ihm — dem Heiligen — öffnet sich gross und weit die Pforte des Verderbens. Doch fürchten Sie nichts und treten Sie unbekümmert hinein, das höllische Ungeheuer wird Sie sofort als Herrin begrüssen. Oben aus den ehemaligen Zellen geniesst man die herrlichste Aussicht auf die friedlichen Stätten, denen unsere Kultur soviel zu verdanken hat. — Da es jetzt gar zu heiss in Florenz ist und bei uns gebaut wird, so lebe ich für die zwei Monate Juli und August hier in Neapel, wo ich mich mit der Beobachtung der Menschheit in ihrem wahren Naturzustande beschäftige — …
[Als Adresse angegeben: H. v. M. jetzt Napoli Stazione zoologica oder Firenze 19 San Francesco di Paola fuori porta Romana.]
[Unterzeichnet: Spiriti capuzineschi di S. Francesco di Paola].
Florenz, S. Francesco di Paola, 29. I. 1875.
Hoffentlich wird sich Eure Engelschaft von dem Entsetzen über meine Heiligkeit wieder einigermassen erholt haben. Was ist zu thun, heutzutage muss man sich eben gewöhnen, für etwas gehalten zu werden, was man nicht ist. So kann ich Ihnen im Vertrauen sagen, dass ich allerdings weder in heiligen, noch in profanen Sachen ein grosser Meister bin, was ja auch schliesslich gar nicht nötig ist. Es ist genug, wenn man es dahin bringt, das Unglück, in unserem reizenden Jahrhundert geboren zu sein, mit Geduld zu ertragen. Die Herren Damen können lachen, sie haben weniger Grund, unzufrieden zu sein, wenigstens brauchen sie es nicht zu merken. Und nun soll ich Ihnen wohl sagen, wo das Unglück steckt: das werde ich aber fein bleiben lassen. Im Gegenteil, wenn Sie nicht in der Stadt der Phäaken lebten, würde ich ein wenig Ihren Neid zu erregen suchen, durch Erzählungen von Sonnenschein, blühenden Rosenbüschen und dem friedlichen Klosterleben. Es könnte das vielleicht auch einen Engel reizen, wenn nicht Wolken[204] von Anbetern noch reizender wären. Doch, wenn das paradiesische Dasein darin besteht, dass ein Tag wie der andere vorübergeht (denn so ist es ja doch), so scheint mir hier das wahre Engelsklima zu sein. Nur bringt das Land wenig dergleichen hervor, nichts natürlicher daher, wenn man wünscht, dass sie von anderwärts daher geflogen kommen. Sie sehen, Einsamkeit und Klosterleben bringen einen in etwas heiligen Geruch, mit Engeln dagegen würde man selig sein. Doch im Ernst, der selige Marées möchte ich vor der Hand noch nicht genannt werden. In der Kunst bin ich indessen ziemlich dahin gelangt und wenn mein Herr Genius sich nicht bald mit neuem Vorrate im Lande der Seligen versieht, so mag er sich vom Teufel holen lassen. Was treiben Sie denn eigentlich? Von der Hauptsache, das heisst von sich, lassen Sie ja Ihren caro maestro gar nichts hören. Ich muss mich ja schämen, jedesmal so viel von meiner Wenigkeit zu plaudern, und fürchten, für einen selbstsüchtigen Narren gehalten zu werden. Immerhin glaube ich kein Narciss zu sein — …
Roma Via Sistina 107. 25. Mai 1877 (?).
… — Wie werden Sie aufatmen, nun vor schwerfälligen Römern sicher zu sein, die andern Menschen nur das Dasein verleiden und vor lauter Eitelkeit nicht einmal Hinz noch Kunzen aufkommen lassen möchten. — … — Nachdem wir, Adonis und ich Sie verlassen hatten, befanden wir uns glücklich in[205] einem Bummelzuge, der erst 9 Uhr abends in Florenz ankam. Dies setzte uns jedoch in die Lage, der heiligen Cäcilia in Bologna unsere Bewunderung und Verehrung darbringen zu können. Zwei Tage blieb ich noch in Florenz, wo auch Ihre Angelegenheiten erledigt wurden, und bin heute wieder in meine mehr traurige als trauliche Einsamkeit eingekehrt. Sie sehen in diesen schlechten Zeilen meine erste Beschäftigung. — …
… — Denn nichts ist trauriger in der Welt als Missverstehen und man soll vom Apfel nicht verlangen, dass er auch eine Rose sei. — …
1877.
… — So entsteht eine sehr schöne Sammlung, in der die launige, schlechtlaunige, gutlaunige, strenggelaunte, ernstgelaunte Selbstschilderung eines so interessanten Individuums als das meinige, enthalten ist. Daneben Sprüche der Weisheit, tiefsinnige Bemerkungen über Kunst und goldene Lebensregeln. Es ist blos schade, dass das alles doch am Ende ein Raub der Flammen sein wird — …
… — Ich bin überzeugt, dass mein Streben nach Klarheit und Wahrheit in Kunst und Leben des Lohnes nicht entbehren wird. — Ich gedachte nach Deutschland zu gehen, doch nach reiflicher Ueberlegung habe ich das aufgegeben, ich darf mich nicht[206] zu sehr zerstreuen und werde Ischia als Badeort und Villegiatur benutzen, und vielleicht finde ich an jener homerischen Küste auch eine Bucht, an der ich die künftige Villa erbauen kann. Das Geplätscher der Meereswogen ist unbedingt notwendig zu einem erspriesslichen Landaufenthalt. — …
(wahrsch. Rom, Ende Mai 1877.)
Vielleicht weiss die unvergessliche, vergesslichste Pallas trotz ihrer Göttlichkeit nicht, dass dieser Monat der Monat der „Allegria“ ist. Hier in Rom, auf seinem Siegeszug von Indien aus, gelangte endlich Gott Bacchus auch hierher; auf dem Janiculus pflanzte er seinen Thyrsusstab in den Boden und sagte: Auch ich will von hier aus die Welt beherrschen! Und in der That, wenn ein Kult in der ewigen Stadt unvergänglich und unerschüttert bleibt, ist es der seine. Namentlich ist es in diesem Monate, dass er seine Macht zeigt, dann müssen sich alle anderen Gottheiten, selbst Venus und Amor, ihm beugen. Gross und klein, Mann und Weib huldigen ihm in dieser Zeit und zwar in bacchantischem Jubel. Darf nun wohl der Priester der Pallas, der hohen, über gewöhnliche Weiberschwächen erhabenen Pallas, der schon oft zürnenden Pallas, sich in diesen wilden Strudel der Begeisterung fortreissen lassen? Er vor allen Dingen sollte den Ruhm und die Ehre seiner Gottheit aufrecht halten. Doch wie kann er das, wenn sie selbst in undurchdringlichen[207] Nebel tiefen Schweigens gehüllt sich seinem Aug' und Ohr verbirgt? Verlassen ohne Trost, ohne Stärkung, was soll er thun? Dort steht der Knabe, der lächelnde, mit gefüllter Schale, komm, winkt er und trinkt den Trank freudiger Begeisterung, süssen Vergessens. Komm, was dein Herz auch beunruhigt, hier bei mir findest du Trost, Ruhe und Freude. Komm, deinen Gliedern gebe ich Kraft und Rüstigkeit, deine Phantasie erfülle ich mit den lieblichsten Bildern, und sagst du Schmeichler, ich verlange von dir nichts als Nehmen, kein Gelübde, keinen Schwur, keine Treue, nimm du nur und ich will nur geben. So spricht er, der Jubel seiner Scharen, die fliegenden Haare, die leuchtenden Augen, die schwellenden Lippen, Gesang und Tambourinen — das alles betäubt mich, ich kann nicht länger widerstehen, ich schwanke — nein, ich schwanke nicht, denn ich weiss, der Pallasdienst gewährt höhere, bewusstere Freuden. — …
Rom, 2. Juni 1877.
… — Von meinem versteinerten Dasein wird sich wenigstens das Haupt in nächster Woche in einen vergipsten Zustand verwandeln und die Metamorphose einer zweiten Versteinerung wird im nächsten Winter vor sich gehen. Sollte dieses Gipsscheusal in Wien willkommen sein, so würde sich dasselbe gehörig eingetrocknet dorthin bewegen. Di Lei umilissimo servitore e sciavo.
H. v. M.
jedenfalls Juni 1877.
… — denn klar und ehrlich sein, ist sich selbst offen zeigen. Der ganze Vorgang meines Lebens ist eigentlich dies Bestreben gewesen und ich weiss auch, dass dadurch sowohl ich als andere mehr gewonnen wie verloren haben. Durch nichts wird die gegenseitige Teilnahme mehr gesteigert. — …
… — Sie werden nicht böse sein, wenn ich ein Beispiel anführe: Après nous le déluge, d. h. ich will mitnehmen was ich kann, mag auch die Welt darüber zu Grunde gehen. Könnte man sich, wenn solch ein Grundsatz wirklich ins Gemüt gedrungen wäre, noch Liebe zu einer Person oder Sache vorstellen? Beides, Glück und Genuss, werden dann unmöglich sein und auch die Wirkung auf die Umgebung ist vernichtend. Besser, richtiger, glaube ich, wäre es zu sagen, handle, lebe deiner Ueberzeugung treu, sollte auch deine Person darüber zu Grunde gehen. So und nicht anders sind alle Menschenwerke entstanden, die das Leben, die Welt auch nach dem Hingange ihrer Schöpfer schliesslich zusammenhalten… —
— … — Rom ist auch der Ort, wo ich mich selber doch am meisten fühle, denn hier ist mein Wesen erst zu sich selbst gekommen und lernen kann hier jeder; denn auch die Sitten, richtig gesehen, können nur günstigen Einfluss haben, namentlich die der Frauen. Ich freilich habe einige, nicht ganz mit meinen übrigen harmonierende italienische Eigenschaften[209] angenommen, die man mir wohl wieder abgewöhnen kann. — …
… — Hoffentlich wird der Abguss wohlerhalten ankommen, es dauert immer etwas lange. Vom Verfertiger desselben erhalte ich soeben aus Deutschland die Anzeige seiner Verlobung und demnächstigen Heirat.
Juni 1877.
… — Das Schicksal hat mir doch die grosse Gunst erwiesen, dass ich auf weitere und nicht gemeine Ziele lossteuern durfte. Im Grossen und Ganzen habe ich die Zeit nicht unbenützt vorüberziehen lassen; ich habe manches erworben, was vielleicht nicht zu verachten ist. Ich habe nicht planlos gelebt, und die Zeit nähert sich, in der sich das zeigen wird. Von Natur nicht ohne Mut, beseelt von Glauben und bewährt mit festen selbsterrungenen Ueberzeugungen hat mich der Blick in die Zukunft nie zittern gemacht. — Von Haus aus hielt ich es unter der Würde meines Berufes, der ein edler ist, denselben zum eigentlichen Erwerb zu missbrauchen, obgleich es mir oft, wenn ich wollte, nicht so schwer wurde — …
… — Und so hätte ich vor der Hand weiter nichts zu sagen, als dass die Büste heute abgegangen ist, mögen die starren, harten Züge derselben, weil sie die Hülle eines weichen, treuen und zarten Gemütes sind, nicht unwillkommen sein. Der Pallas die gebührende[210] Verehrung und Kniebeugung von ihrem getreuen Ritter Hans.
Ischia, Marina della Mandra, wahrscheinlich 1878.
… — Wer nach irgendetwas in der Welt strebt, kann von Kleinlichkeiten nur momentan befangen sein und wird sie auch bei niemand anderem voraussetzen. So wie man in der Kunst sich bemühen soll, die vorzüglichen Seiten der Kunstwerke zu erkennen, anstatt der mangelhaften, so soll man es im Leben auch machen, im anderen Falle würde letzteres sehr freudlos sein. Darum muss ich immer wiederholen, dass ich selbst auf einen vollen Lebensgenuss stets erpicht bin und mich darum wohl befähigt fühle, auch anderen darin etwas beizustehen und da muss es Einen natürlich betrüben, wenn man sieht, wie die Meisten dem momentanen Amüsement dauerndes Vergnügen, Wohlbehagen und Glück ohne weiteres zum Opfer bringen. Um von allgemeinen Betrachtungen auf mich selbst zurückzukommen, so kann ich sagen, dass ich mich hier durchaus heimatlich fühle. Und wie könnte es anders sein. Lachend Himmel und Meer, lachende Landschaft und fröhliche Menschen, da müsste man allerdings versteinert sein, wenn man nicht auch eine etwas heiterere Physiognomie wie gewöhnlich annähme. Ich führe hier allerdings ein reines Schlaraffenleben. Baden, segeln, reiten, auch auf den Bergen herumklettern und sich dann gelegentlich erfrischen und stärken, ist jetzt meine ganze Thätigkeit, und nebenbei fehlt es nicht[211] an der vortrefflichsten Unterhaltung, da ein Freund von mir hier lebt, den man schon zu den ungewöhnlich intelligenten Menschen rechnen darf. Soviel steht fest, dass, wenn man sich von der Arbeit erholen und zu neuerer frischerer Thätigkeit vorbereiten will, es kein anderes Land giebt, dass das so möglich machte als die glücklichen Küsten dieses Meeres. Hier von meinem Fenster aus sehe ich die Stelle, wo die Elite der Römer sich ihre Landsitze baute, und dass es heute nicht mehr so ist, beweist nur, wie wenig man jetzt zu leben versteht. In diesem verdienstlosen Hinschlendern habe ich doch ein kleines Verdienst, dass ich nämlich den Lockungen von Sirenenkünsten und Najaden standhaft widerstehe. Doch was schreibe ich das, da ich doch weiss, dass dasselbe, weil es nicht berührt, auch nicht anerkannt wird. Im übrigen hoffe ich, dass Pallas sich wohl befinde und überhaupt (als solche nämlich) existiert. Dass die Ueberzeugung hiervon mein Wohlbefinden unendlich heben würde, versteht sich von selbst und ich verbleibe bis dahin ein knurrendes Meerscheusal.
Neapel, den 26. Mai 1873.
Verehrteste gnädige Frau! Aus den blauen Wogen, auf denen ich mich jetzt täglich schaukeln kann, steigen immer lebhafter die Erinnerungen an die verlebten schönen Tage in Wien empor. Damit mir dieselben nicht auch zu gleicher Zeit Gewissensbisse erzeugen sollen, so erlaube ich mir, Ihnen noch einmal[212] meinen lebhaftesten, herzlichsten Dank auszusprechen für alle Liebenswürdigkeiten, die dem Eindringling von Ihnen und den bösen Sirenen zuteil geworden sind. Anders kann ich leider die letzteren nicht nennen, denn während Odysseus nur die Knochen der Verlockten am Strande erblickte, so sind diese wertlosen Gegenstände das Einzige, was ich so halbwegs gerettet habe. Als das Palladium für das übrige ist der Hut in Wien geblieben, der wohl noch so schwarz wie früher sein wird.
Uebrigens ist es besagten Knochen in der Gesellschaft eines liebenswürdigen gescheiten Freundes bisher nach Umständen gut ergangen. Der Himmel verhüllte während der ganzen Reise gnädig das Antlitz der Sonne. Vergeblich suchte ich in Venedig Ihren Herrn Sohn zu entdecken, in Florenz verlebte ich mit alten und neuen Freunden zwei angenehme Tage, in Rom nur einige Stunden als Herr von Münchhausen und bin seit drei Tagen hier mit den Vorbereitungen zu einer vita pittoresca beschäftigt. Meine demnächstige Werkstätte wird fast vom Meer bespült, wodurch die Einwirkungen der nun hereinbrechenden Sommerhitze bedeutend abgeschwächt werden.
Verzeihen Sie meine gnädige Frau, dass ich soviel von mir geschrieben habe, es ist nur aus dem Beweggrunde geschehen, so doch einmal etwas von Ihnen vernehmen zu können.
Ich hoffe, dass Frau H. nun gänzlich hergestellt sein wird und dass sich Ihre ganze Familie eines[213] wünschenswerten Wohlbehagens erfreut. Ihrem Herrn Gemahl bitte ich mitzuteilen, dass ich mich bereits umgesehen habe, doch bei dem einzigen vorgefundenen wegen ganz übertriebener Forderungen von den Unterhandlungen abstand. Da ich einmal im Bitten bin, so bitte ich Sie auch noch Ihr jüngstes Fräulein Tochter auf ein künstlerisch-pädagogisches Sendschreiben vorzubereiten von einem al fresco-pittore, der sich zum Schluss dem geneigten Andenken von Ihnen und Ihrer ganzen Familie empfiehlt und in dankbarster Ergebenheit nennt
Hans von Marées, Napoli Hôtel grande Bretagne.
Neapel, den 5. Juli 1873.
Verehrteste gnädige Frau, Ihr liebenswürdiger Brief hat mir die unbeschreiblichste Freude bereitet. Wie herzlich ich den Anlass der Verzögerung einer solchen Freude bedauere, brauche ich gewiss nicht zu versichern. Hoffentlich wird sich nun Ihre Frau Tochter nach so langem Leiden einer desto dauernderen Gesundheit erfreuen.
Uebrigens will ich es Ihnen nur gestehen, ich war im Stillen recht trostlos so gar kein Lebenszeichen von Ihnen und den Ihrigen zu haben. Umsomehr fühlte ich mich jetzt entschädigt. Vielleicht hat sich keine Gelegenheit gegeben Ihnen den Hauptzug meines Charakters zu offenbaren, das ist der Egoismus. Und er mag sich denn auch darin zeigen, dass, wo ich einmal Sympathie gefasst habe, ich auch zäher und[214] fester halte als ein Polyp seine Beute. Bisher hat mich darin mein Instinkt noch nie getäuscht und so vertraue ich ihm auch blindlings.
Ob Sie mich übrigens so sehr beneiden würden, wenn Sie den hiesigen Sommer kennten, dürfte bezweifelt werden. Auf die schönen, bedeckten Regentage muss man schon Verzicht leisten. Besser steht es schon mit einigen Menschen und noch besser, das kann ich nicht leugnen, mit der Kunst.
Und ich kann ja gewiss sein, Sie werden keinen Gebrauch davon machen, so will ich Ihnen anvertrauen, dass ich anfange zu merken, dass die Mutter Natur es recht gut mit mir gemeint hat, und tritt kein feindlicher Dämon mir in den Weg, so werde ich bald meiner Person und noch mehr meiner Kunst Ehre machen.
Ich bin nun fest überzeugt, dass ich den Lohn um den ich Jahre lang durch angestrengtes Studium und heimliche Selbstverleugnung gerungen habe, erhalten werde. Er besteht darin, dass ich das Beste — Feinste was ich empfinde, ausdrücken kann und vielleicht für Viele verständlich.
Ich arbeite mit Hildebrand zusammen, wir sind uns gegenseitig nur Ergänzungen, eigentlich nur eine Person: das kommt daher weil wir uns beide ganz einer Sache gewidmet haben.
Mit meinen hiesigen Vorwürfen ist es mir eigen gegangen. Zuerst wollte ich nur einige Figuren malen und durch H. (Hildebrand) einige Stuck- und Bildhauerarbeiten[215] anbringen lassen. Nach und nach hat sich das alles ganz verändert: ich habe nun beschlossen einen Saal von oben bis unten auszumalen und auch alle Vorarbeiten dazu vollendet. Wir brauchen nur noch das Fussgestell auszuführen. Das wird allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen, denn die Bilder, die alle im Zusammenhange stehen, bedecken grosse Wandflächen: die Länge einer der auszufüllenden Wände beträgt fast 40 Fuss. Werden wir bis zum Oktober nicht fertig, so müssen wir auch noch den nächsten Sommer hierher kommen. Und werden wir auch in der Ausführung vom Gelingen begünstigt, so hilft dann nichts mehr, Sie müssen mit Ihrer ganzen Familie hierher pilgern und sich überzeugen, was Ihr neuer Freund in dieser alten Welt macht. Sie müssen dann aber eben so mild mich beurteilen, wie ich selber es thue. Und nun, gnädige Frau, messen Sie mir den versprochenen Lohn nicht zu karg zu, sondern bedenken Sie vielmehr, dass die Teilnahme und Sympathie schöner, kluger, edler und liebenswürdiger Frauen, für Jeden der etwas schönes leisten möchte, der wirksamste Sporn ist. Ich bitte Sie, das auch Ihren Töchtern ans Herz zu legen. Ich kann ja nicht als fremder Herr betrachtet werden, sondern nur als etwas Allgemeines, das nur dadurch, dass es ausserhalb der Convention steht, existiert.
Es ist sehr beschämend für mich, dass ich Ihrem vortrefflichen Beispiele bezüglich der schönen und deutlichen Handschrift nicht nacheifere, ich fühle sehr[216] gut das unpassende meines undeutlichen Schreibens. Da ist aber das Malen Schuld daran.
Meine kleine Schülerin bitte ich durch Sie nun bald Rechenschaft von ihrem Thun und Treiben in der Kunst bei Androhung schwerer, unausbleiblicher Strafen, zu geben —
Wie gewöhnlich, muss auch ich meinen Brief schliessen, ich fürchte Ihnen schon lästig gefallen zu sein. Und doch fällt einem die Hauptsache erst ein, wenn der Brief abgesendet ist.
Gestatten Sie mir zum Schluss auf Distance die Hand zu küssen, so wie auch den 3 Sirenen.
Hans von Marées.
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