The Project Gutenberg EBook of Der Harz, by Friedrich Günther This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Der Harz Author: Friedrich Günther Release Date: April 14, 2020 [EBook #61833] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HARZ *** Produced by Peter Becker, Jens Nordmann and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
Land und Leute
Monographien zur Erdkunde
In Verbindung mit hervorragenden Fachgelehrten
herausgegeben von
A. Scobel
IX.
Der Harz
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1901
Von
Fr. Günther
Mit 115 Abbildungen nach photographischen Aufnahmen und einer farbigen Karte.
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Velhagen & Klasing
1901
Alle Rechte vorbehalten.
Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.
Seite | ||
I. | Einleitung | 3 |
II. | Geographischer Überblick | 5 |
III. | Geologische Übersicht | 8 |
IV. | Das Klima | 18 |
V. | Geschichtlicher Überblick | 25 |
VI. | Land und Leute | 30 |
VII. | Die Hochebene von Klausthal | 40 |
VIII. | Die Söselandschaft | 56 |
IX. | Die Innerstelandschaft | 58 |
X. | Die Okerlandschaft | 68 |
XI. | Die Oderlandschaft | 77 |
XII. | Der Brocken und das Brockenfeld | 83 |
XIII. | Radau, Ecker und Ilse | 89 |
XIV. | Die Holtemme | 91 |
XV. | Die Bodelandschaft | 98 |
XVI. | Die Selkelandschaft | 106 |
XVII. | Die Wipperlandschaft. — Mansfelder Bergbaugebiet | 108 |
XVIII. | Die Helmelandschaft | 118 |
Register | 126 |
Der Harz.
„Mag Samaria und Judäa ein sehr fruchtbares Land gewesen sein, ich lobe mir dafür meine Güldene Au.“ So sprach, wie D. Luther erzählt, Botho der Glückselige, Graf zu Stolberg, als er am 9. Februar 1494 von seiner „Meerfahrt“ in das Gelobte Land in seine harzische Heimat zurückkehrte. Ja, und wenn es auch gar viel gewaltigere Gebirge gibt mit himmelanstrebenden, von den Wolken benetzten Spitzen und Hörnern, mit glitzernden Gletschern und ewigem Firn: ich lobe mir doch meinen bescheidenen Harz und ich liebe ihn und preise ihn, so gut ich kann.
singt Heinrich Rosla (gegen 1300) in seiner Herlingsberga; und Konrad Celtis, der die Vorlande unseres Gebirges im Jahre 1498 durchreiste, rühmt an diesem die Fülle mannigfaltigen Erzes, die mit Taxus und Fichte geschmückten Höhen, die dunkelschattigen Thäler, die rauschenden, jählings durch die Felsen herabstürzenden Gießbäche, wodurch die matterleuchtete Gegend das Ansehen der Unterwelt gewönne.
„Vom Harz der Fichte“ leitet Celtis den Namen unseres Waldgebirges ab, und noch Johann Rauws spricht's hundert Jahre später ihm nach. Aber wenn sie hierin auch irren, strömt uns nicht aus dem Worte „Harz“ gleichsam der würzige Duft der unabsehbaren Nadelwälder erfrischend entgegen, hören wir nicht bei seinem Klange gleichsam das geheimnisvolle Rauschen und Flüstern der weithin schauenden Wipfel unserer „nordischen Palme“? Und die Töne der Schwarzdrossel und ihrer sangeskundigen Schwestern klingen melancholisch darein, und über die klaren, blinkenden Teiche hallt leise und feierlich wie aus „verlorener Waldkirche“ das harmonische Geläut der friedlich weidenden braunen Rinderherden herüber, und der Gießbach stimmt murmelnd ein in den Abendpsalm. Und wenn die Schwingen des Waldes ruhen und die Töne mählich verklingen und nur noch die Saiten des Herzens andächtig nachzittern, und der letzte Sonnenstrahl, der so eben noch hier die grüne Nacht des Hochwaldes zu durchdringen sich bemühte, dort auf dem weichen, dichten Moospolster und den dichtgedrängten, losen Farnwedeln neckisch spielte, scheidend erlischt — dann erheben Sage und Märchen ihr Haupt. Schaut hier nicht König Hübich Gaben verheißend aus dem Felsenspalt, schreitet dort nicht der Bergmönch[4] mit flackerndem Grubenlicht hinter dem ältesten der Baumriesen hervor? Und das zottige Flechtengewirr an den Zweigen und die knorrigen, weit hervorragenden Wurzeln nehmen gar seltsame Gestalten an, und wie ein Geisterhauch fliegt's durch die Kronen.
Wohl ist die Rottanne oder Fichte dem Harze nicht ausschließlich eigen, aber es gibt in Deutschland kaum ein zweites Gebirge von gleicher Höhe, in dem ihre Herrschaft so wenig beschränkt wird; und mindestens dem Westharz, seinen hohen Bergen und tiefen Thälern prägt sie durch ihre dunklen, lang hinziehenden Massen, in denen der einzelne Baum gleichsam untergeht, den eigenartigen Charakter auf.
Den Inseln gleich im grünen Waldmeere liegen, weithin, doch nicht planlos verstreut, große und kleine Wiesenfluren und inmitten einer jeden, meist der Form und dem Zuge des Thales sich anschmiegend, die Bergstädte und oberharzischen Ortschaften, auf den kleinsten Eilanden wenigstens ein Forsthaus, oder ein Zechenhaus oder eine Mühle. Längst hat der rote Ziegel die schwärzlich graue Holzschindel verdrängt, und mit frischen Farben leuchten diese kleinen Siedelungen — in den unabsehbaren grünen Teppich gewobene Blumen — zu der Höhe herauf, von der wir Umschau halten, und fesseln unsere Augen.
Und wie ganz anders rollt das Bild sich ab, wenn wir unsern Fuß rüstig wandernd gen Osten setzen. Sind wir denn wirklich im Gebirge? Kein Bergzug umrandet die Ebene, versteckt und verdeckt liegt selbst der Vater Brocken, der sonst nach allen Seiten seine Grüße versendet; kein Gießbach schäumt, fast unhörbar und in Mäanderschlingen schleichen träge die Bäche vorüber. Nur die kärglich bestandenen Fluren mit ihren sich verspätenden Saaten und die in der Ferne sich kräuselnden Rauchwolken, die einem Hüttenwerke entstammen müssen, heben unsere berechtigten Zweifel.
Doch weiter! Bald ist sie überwunden — diese Einförmigkeit der unterharzischen Hochebene, die doch niemals zur Langweiligkeit ausartet, vielmehr dem Wanderer nur einige Stunden ruhiger Beschaulichkeit gewährt und sein Gemüt vorbereitet zu rechter Würdigung und zu vollem Genusse des Kommenden.
Mählich beginnen die Thäler sich einzuschneiden und die buchenbestandenen Höhenzüge[5] zu wachsen; die kleinen Flüßchen bekommen Leben, und nicht lange, so erhält das anmutige Hügelgelände überzeugend den wirklichen Gebirgscharakter. Berg türmt sich auf Berg, wunderliche Felsgebilde steigen empor und recken sich höher und höher, um hier in die schwindelnde Tiefe mit ihrem brausenden Bergstrom, dort wie eine Gefahr dräuende Riesenburg weit hinaus zu schauen in die blühenden Vorlande.
Hart dem Saume des Gebirges folgend, reihen sich hier blühende Städte, rührige Flecken und schmucke Dörfer zu einem lieblichen Kranze. Wo auch nur ein Fluß oder Bächlein aus dem Harze heraustritt, da haben — gerade an diesem Austrittspunkte — unsere Vorfahren mit Verständnis einst ihre Wohnungen aufgeschlagen und von hier aus nach dem Vorbilde eines Klosters, unter dem Schutze einer Burg den Kampf mit der Wildnis aufgenommen, und unermüdlich die blanke Axt schwingend dem Urwalde die fruchtbaren Fluren abgerungen, auf denen sich jetzt der goldige Weizen mit schwerer Ähre im Winde wiegt und die gehaltvolle Zuckerrübe reichen Ertrag gewährt.
Nur spärlich ist die Zahl der Urkunden, welche aus jener Zeit berichten, wo dieser engste Saum von Ortschaften, von denen dann allmählich unternehmende Pioniere in den inneren Harz eindrangen, um unser Gebirge gelegt wurde, und vielfach verstummt sogar verschämt die sonst selten verlegene Sage. Aber die Städte und Ortschaften selbst tragen in ihrem Namen eine untrügliche Inschrift, ein unauslöschliches Merkmal der Zeit ihrer Entstehung.
Das Harzgebirge liegt zwischen 51° 28,5′ und 51° 51′ nördl. Breite und zwischen 10° 10′ und 11° 26′ östl. Länge von Greenwich und hat die Gestalt einer von West-Nordwest nach Ost-Südost gerichteten unvollständigen Ellipse, deren Brennpunkte auf den 1142 Meter hohen Brocken und den 595 Meter hohen Ramberg fallen; und deren lange Achse, welcher der nordöstliche Rand als Sehne parallel läuft, zwischen Hahausen und Hettstedt 95 Kilometer lang ist, während ihre größte Breite (vom Südwestrande bis zur Sehne) 34 Kilometer beträgt.
Am imposantesten wirkt der Harz von Norden gesehen. In scharfer Markierung, ohne vermittelnden Uebergang steigt er mauerartig auf der etwa 25 Kilometer langen Strecke von Harzburg bis Hahausen aus dem Vorlande auf. Die Luftlinie zwischen der bei 256 Metern liegenden Grenzlinie und den diese um die doppelte Meereshöhe überragenden Bergspitzen beträgt noch nicht 1 Kilometer; zwischen den Hüttenorten Oker und Langelsheim kulminieren der Adenberg bei 538 Meter, der Hahnenberg bei 520 Meter, der Gelmkeberg bei 538 Meter, der Steinberg bei 479 Meter und der Nordberg bei 455 Meter; ja der Rammelsberg und der Herzberg, die den unmittelbaren Hintergrund Goslars bilden, erheben sich sogar zu 635 und 638 Meter. Den vollen, überwältigenden Eindruck eines völlig geschlossenen Gebirgswalles[6] macht dieser Rand indes nur aus der Ferne; von den austretenden Flüssen und Bächen (Radau, Oker, Gose, Grane, Barley, Töllebach und Innerste) außerordentlich stark zerschnitten, löst er sich in der Nähe in Einzelberge auf.
Im Westen prägt sich die Gebirgsgrenze von Hahausen bis Lauterberg in einem Thale, das der Zechsteinbildung angehört, deutlich aus. Von großer landschaftlicher Schönheit ist es besonders in der Gegend von Osterode und Herzberg, wo die schneeweißen Felsen des Gipszuges, der den Thalrand auf der ganzen Strecke zur Rechten begleitet, im wirkungsvollen Gegensatze zu den weniger steil abfallenden grünen Harzbergen aus dem Thale, in dem sich die wassergefüllten Erdfälle der Teufelsbäder aneinander reihen, bis zu 100 Meter jäh emporsteigen.
Von Lauterberg über Walkenried bis Questenberg folgt die Grenze, noch erkennbar, aber weniger scharf hervorgehoben, dem Laufe der Helme, wird dann aber, bis Mansfeld, durch die sich unmittelbar an das Gebirge anschließende „Thüringer Grenzplatte“, einen in südöstlicher Richtung bis zur Unstrut laufenden Höhenrücken mit flachgerundeten Gipfeln, fast völlig verwischt. Von Mansfeld ab bis Harzburg bezeichnen die Orte Hettstedt, Ballenstedt, Thale, Blankenburg, Wernigerode, Ilsenburg die Grenze in überall deutlich erkennbarer Ausprägung.
Der Südrand, der mit 267 Meter mittlerer Meereshöhe den Nordrand um etwa 11 Meter — der in Deutschland allgemein geltenden Regel entsprechend — übertrifft, hat seine größte relative Höhe in dem die Wasserscheide zwischen Weser und Elbe bildenden Höhenrücken bei Osterhagen, von dem der Rand fast gleichmäßig nach Westen (Seesen 204 Meter) und Osten (Riestdorf 178 Meter) abfällt.
Der ganze so umrandete Harz bedeckt eine Fläche von 2468 Quadratkilometer und ist demnach genau so groß wie das Herzogtum Sachsen-Meiningen und fast doppelt so groß wie Sachsen-Altenburg. Wenn man das Gebirge auf dieser Grundfläche einebnen könnte, so würde man die mittlere Höhe von 442 Meter erhalten.
Man hat den Harz einen einzigen Berg mit verschiedenen Köpfen und Thalfurchen genannt; und dieser Vergleich ist auch nicht ganz unzutreffend. Aber auf den Sockel dieser scheinbar ununterbrochenen Bergwand ist — wie ein Blick aus der nördlich sich vorlagernden Ebene zeigt — im Westen die Granitmasse des Brockens als ein zweites, fast ebenso hohes Gebirge und im Osten der kleine Ramberg-Kegel gestellt; und auf der Hochebene von Klausthal oder auf dem Aussichtspunkte der Schalke tritt auch der Bergzug des „Langen Ackers“ (jetzt Acker-Bruchbergs) als bedeutende Überragung klar neben dem scheinbar nicht viel höheren Brockengebirge ins Auge. Sollte aber der Vergleich mit einem einzigen Berge den Trugschluß auf langweilige Einförmigkeit nahelegen, so belehrt uns der umfassende Rundblick vom Brocken auf die von immer tiefer werdenden Furchen und Flußthälern zerschnittenen Hochebenen des Ober- und Unterharzes eines Besseren.
Unter dem Oberharz versteht man den höheren westlichen, unter dem Unterharz den allmählich an Höhe abnehmenden östlichen Teil des Gebirges. Aber die Grenze zwischen beiden steht keineswegs von vornherein fest. Daß dabei die vormalige Praxis der hannover-braunschweigischen Bergbehörden, nach welcher mit dem Unterharze die Gegend von Goslar, Oker, Gittelde gemeint war, völlig außer Betracht zu bleiben hat, liegt auf der Hand. Doch auch nach Flußgebieten läßt jene sich nicht angeben, denn die dem Elbegebiet angehörende Bode entspringt auf dem Brockenfelde, der höchstgelegenen Hochebene des Gebirges. Ohne uns in den — übrigens bedeutungslosen — Streit weiter einzulassen, wollen wir unter dem Oberharz das ganze Brockengebirge samt dem Brockenfelde, die im Mittel 580 Meter hohe Hochebene von Klausthal mit ihren Randbergen und der Bruchberg-Kette und das Andreasberger „Dreieck“ verstehen; und den Unterharz, der in seinem westlichen Drittel noch gleich jenem vorwiegend mit Fichtenwald bedeckt ist, in das Bode- und das Selkeplateau einteilen.
Von den Randgesteinen abgesehen, die den deutlich begrenzten Gebirgskern mantelartig umgeben, besteht das Massiv des Harzes zum bei weitem größten Teile aus sedimentären, zum kleineren aus eruptiven Gesteinen.
Die Sediment- oder geschichteten Gesteine — sie heißen auch paläozoische d. i. alttierische — welche sich, die erste, ursprüngliche Grundlage für unser Gebirge bildend, aus den trüben Fluten des noch alle Lande bedeckenden Meeres als Schlamm, Sand und Kies horizontal oder in geringer Neigung niederschlugen, ablagerten und erhärteten, gehören im Westharze dem Devon-, im Ostharze vorwiegend der Kohlenformation an. Die devonische Bildung kommt im Harze in allen ihren Niveaus, als Unter-, Mittel- und Ober-Devon vor.
Von dem Unter-Devon hat man in neuester Zeit die ältesten Schichten abgetrennt und dieser Gruppe den Namen Obersilur zuerkannt. Es sind dies namentlich die Graptolithenschiefer bei Lauterberg, Wernigerode, Harzgerode, Treseburg und der feste, feinkörnige und helle Quarzit, aus dem der Rücken des Bruchberges und des Ackers besteht.
Dem Unter-Devon gehören zum größten Teil die „Unteren Wieder-Schiefer“ — harte Schiefer mit eingelagerten Kalklinsen — und ähnliche Schiefern bei Zorge, Harzgerode und Mägdesprung, sowie der „Hauptquarzit“ des Unterharzes, die sich südöstlich an den Oker-Bruchberg anschließenden Quarzite und neben sandigen Schiefern des Rammelsberges, der nach seinen zahlreichen Versteinerungen, den zu den Armfüßern gehörenden Spiriferen oder Windungsträgern benannte Spiriferen-Sandstein an, welcher die Berggruppe zwischen Oker und Innerste, also den Rammelsberg, den Kahlenberg und Bocksberg, die höchsten Kuppen der Klausthaler Hochebene, bildet.
In das Mittel-Devon rechnet man außer einem Teile der Wieder-Schiefern (bei Hasselfelde, im Selkethal) besonders die „Wissenbacher“ (oder Goslarer) und die Calceola-Schiefer. — Die Calceolaschichten,[10] welche sich eng an den Spiriferen-Sandstein anschließen und sich durch ihren großen Reichtum an Petrefakten auszeichnen (Leitmuschel Calceola sandolina, gemeine Pantoffelmuschel) finden sich zwischen Oker und Innerste in schmalen Säumen, in Mulden und in sattelförmigen Hervorragungen. Die auf ihnen folgende Zone der Goslarer Schiefer ist von hervorragender Bedeutung: nicht nur werden die härtesten dieser blau- oder grauschwarzen, dichten Thonschiefer als Dachschiefer benutzt, sondern es ist ihnen auch das berühmte, trotz fast tausendjährigen Betriebes noch immer nicht erschöpfte Erzlager des Rammelsberges eingeschaltet. — Mitteldevonisches Gestein findet sich auch in dem Zuge, welcher — wegen der in ihm auftretenden Diabase und Roteisensteine meistens als Diabas- (Grünstein-) oder Eisensteinszug bezeichnet — von Osterode bis über Altenau hinaus in gerader Linie als 400 Meter breiter Streifen verläuft. Es steht den Wissenbacher Schiefern gleich und wird von Tentakuliten-Schiefern überlagert.
Die jüngsten Schichten des Mittel-Devon sind die durch reiche Eisensteinslager ausgezeichneten Stringocephalenkalke (Leitmuschel Stringocephalus Burtini, Burtins Eulenkopf) der Elbingeroder Mulde, die auch in dem soeben genannten „Eisensteinszuge“ zwischen Herzberg und Altenau auftreten.
Das Ober-Devon ist in seiner unteren, älteren Zone vorwiegend Intumescenskalk, in seinen oberen, jüngeren Schichten Cypridinenschiefer. Jener ist nach der zu den Ammonshörnern gehörenden Goniatites intumescens, dieser nach dem Muschelkrebs benannt. In die Intumescensstufe gehört vor allem der völlig ungeschichtete Massenkalk des höhlenreichen Iberges und Winterberges bei Grund, eines Korallenriffes mit dem reichsten Schatze von Versteinerungen, und der „Iberger Kalk“ der Elbingeroder Mulde mit den berühmten Rübelander Höhlen. Auch die schwarzen Kalke (mit Cardiola angulifera) am Wasserfallfelsen bei Romkerhalle, am Kellwasser u. s. w. gehören diesem unteren Niveau an. — Cypridinenschiefer finden sich u. a. im Diabaszuge der Klausthaler Hochebene, und als Clymenienkalk bei Lautenthal, am genannten Wasserfall, bei Mägdesprung u. a. O.
Die nicht devonischen Schichten des Oberharzes gehören dem Karbon (der Kohlenformation) an, für den der englische Lokalname Kulm hier zuerst in Anwendung gebracht ist. Seine unteren Schichten bestehen aus Kiesel- und Posidonienschiefern, seine oberen aus Grauwacke.
Die Kieselschiefer, meist grau oder schwärzlich, vom Messer nicht ritzbar, S-förmig gestaucht und gefaltet, finden sich in geringer Mächtigkeit in der Gegend von Lautenthal und im mehrgenannten Diabaszuge,[11] vielfach im Wechsellager mit hellem Wetzschiefer, schwarzem Alaunschiefer und (z. B. am Lerbacher Hüttenteiche) bunten, rotgrünen Adinolen (Bandjaspis). Die Charakter-Versteinerung Posidonia Becheri (Bechers Poseidon-Klaffmuschel), die den mit den Kieselschiefern unmittelbar verknüpften, doch auch — in zwei breiten Zonen zwischen Schulenberg und Laubhütte — unabhängig auftretenden eigentlichen „Posidonienschiefern“ eignet, findet sich nicht selten auch in jenen. Vereinzelt (z. B. zwischen Hübichenstein und Iberger Kaffeehaus) sind schwärzlich-graue Kalke eingelagert, die gleichfalls dem unteren Kulm angehören.
Dagegen nehmen die Kulm-Grauwacken, die jüngsten Schichten des Kerngebirges, am Tage große Flächen ein. Im frischen Zustande blaugrau, durch Verwitterung rostbraun, auch rot, besteht dieses meist in dicken Bänken abgelagerte Gestein im wesentlichen aus Sandkörnern, die nebst Bruchstücken von Gangquarz, Kieselschiefer und Thonschiefer sowie Feldspat- und Kalkspatkörnern in ein thonig-sandiges Bindemittel gebettet sind. In der Gegend von Grund haben diese Bestandteile, unter denen sich Granit- und Porphyrgerölle nichtharzischen Ursprungs finden, oft Faustgröße. Die pflanzlichen Versteinerungen, unter denen neben undeutlichen kohligen Blattabdrücken namentlich die Calamiten (baumartige Schachtelhalme) vertreten sind, kommen nur sporadisch, von tierischen nur die Posidonienmuschel ganz vereinzelt vor. Als Baustein — namentlich bei Klausthal — schön zu bearbeiten, liefert die Grauwacke in den großartigen Steinbrüchen bei Wildemann treffliche Pflastersteine.
Dem gleichen Niveau wie die von erzreichen Gangspalten durchsetzte Oberharzer Grauwacke gehören die Tanner und Elbingeroder Grauwacke, sowie die „Zorger Schiefer“ an.
Zu Ende der Kulmzeit wurden die bis dahin vom Meere bedeckten paläozoischen Sedimente in Mitteleuropa zu einem gewaltigen Kettengebirge zusammengeschoben, dessen Falten sich vom Centralplateau Frankreichs durch ganz Deutschland, wo sie um das böhmische Gebirgsviereck in einem gegen Norden konvexen Bogen herumliegen, bis nach Rußland verfolgen lassen.
Darum hat der Harz wie der Thüringer Wald und das rheinisch-westfälische Schiefergebirge, deren ursprünglicher Zusammenhang erst allmählich durch die „abradierende“ Thätigkeit des Meeres und durch wiederholte Abbrüche aufgehoben wurde, „niederländisches Streichen“ d. i. seine Schichten haben die Richtung von Südwest nach Nordost. Dieses Zusammenschieben der erhärteten Sedimente geschah durch seitlichen („tangentialen“) Druck und konnte nicht anders, als unter Faltung, Zerreißung und Aufrichtung, selbst Kippung der Schichten geschehen. In die entstandenen Spalten und Risse ergossen sich die sogenannten prägranitischen Eruptivgesteine, besonders Diabas, auch Kersantit und gewisse Porphyre, die feuerflüssig aus dem Innern emporquollen. So ist es auch zu erklären, daß der „Grünstein“ des Diabaszuges zwischen Osterode und Altenau trotz seiner deckenartigen Ausbreitung stets der Richtung der Schichten folgt und an deren späteren Knickungen und Verwerfungen teilnimmt.
Das Harzgebirge sah damals nur wenig und nur in seinen bedeutend emporgehobenen Teilen aus dem Meere hervor. Dieses begann nun seine „abradierende“ Thätigkeit: wie es noch heute an felsiger Meeresküste geschieht, zernagten und unterspülten Wogen und Brandung die trocken gelegten Massen, bis diese zusammenstürzten, zertrümmerten und zerrollten dann die Brocken zu Kies und Schlamm, füllten damit die bei der Faltung entstandenen Vertiefungen aus und bildeten fast ebene „Abrasionsflächen“.
Man nennt diese aus Konglomeraten von Harzgesteinen bestehende Ausfüllung der Mulden das untere Rotliegende. Am stärksten entwickelt ist diese Formation in der Grafschaft Mansfeld, wo sich zwischen ihr mächtige zu Mühl- und Bausteinen geeignete thonige Sandsteine finden, in der Gegend von Ilfeld, wo sie hoch in das Gebirge hinaufsteigt, und im Ermsleber Becken; doch umzieht sie, mehrfach unterbrochen, auch über Lauterberg den Harz bis Hahausen. An drei Stellen, bei Meisdorf und Opperode östlich von Ballenstedt, bei Grillenberg in der Nähe von Wippra und bei Sülzhain-Ilfeld-Neustadt enthält sie auch dunkle Schieferthone und wenig (¾-1½ Meter) mächtige Steinkohlen.
Die Eruptionen dauerten fort. Zunächst entquollen, die Sedimente gewaltsam durchbrechend, dem Innern des noch immer mit Wasser bedeckten Harzes, besonders nördlich von Ilfeld, Ströme schwarzen Melaphyrs und ergossen sich über die unteren Schichten des Rotliegenden; ihnen folgte, weithin alles bedeckend, feuerflüssiger grauer Porphyr, der zum Teil auch in den darüber lagernden mächtigen postporphyrischen Konglomeraten als Geröll noch erhalten ist. Vielleicht sind zur selben Zeit — jedenfalls nach der Kulmperiode und nach der Entstehung des Diabases — die Porphyrmassen aufgestiegen, welche die fast[13] parallelen, von Nord nach Süd streichenden Gangspalten des Kerngebirges zwischen Ilfeld und Wernigerode und Diabaszüge nach ihrer Faltung ausfüllten und durchsetzten; höchst wahrscheinlich auch die gewaltigen Ströme von Quarzporphyr, deren Reste wie im Auerberge bei Stolberg und in der Gegend von Lauterberg (Knollen, Ravenskopf) erkennen, wo einzelne Gänge eine Mächtigkeit von 20 Meter und eine Länge von 11 Kilometer erreichen.
Ebenso jung ist der Granit, den man einst für das eigentliche Urgestein unseres Planeten hielt. Er tritt in zwei großen Massiven auf: Ramberg-Bodethal und Brocken-Okerthal. (Der Okergranit ist eine nur oberflächlich abgetrennte Partie des Brockengranits.) Die vom Hexentanzplatz auslaufenden Apophysen („Auswüchse“, Ausläufer), denen das Brockenmassiv bei Hasserode kleinere Gänge derselben Facies entgegensendet, lassen keinen Zweifel darüber, daß der Granit erst nach der Faltung des Gebirges und später als der Diabas emporgequollen ist. — Rings um beide Granitmassen sind durch die schnellere Abkühlung und Erstarrung der feuerflüssigen Ströme die Sedimentsteine in der Weise verändert, daß sie sich durch krystallinische Beschaffenheit und massige Struktur, größere Härte und muschligen Bruch von den gleichnamigen nicht veränderten Gesteinen unterscheiden. Durch diese „Kontaktmetamorphose“ sind[14] der Hornfels und seine Verwandten entstanden.
Nach diesen Ergüssen und Bildungen, die in die lange Periode des Rotliegenden fallen, erfolgte in dem größten Teile Deutschlands eine allgemeine Senkung der Erdrinde. Das Meer, welches über dem Harze flutete, wurde somit tiefer und lagerte seinen Schlamm gleicherweise auf den abradierten Ebenen der alten Sedimente, wie auf den in den Becken und Mulden neu entstandenen Geröllmassen des Rotliegenden ab. Bei ihrer Erhärtung bildete diese neue Ablagerung Zechstein und Kupferschiefer. Diese stets zusammen auftretenden Schichten — die mit dem Rotliegenden auch Perm heißen — umziehen den ganzen Südrand des Harzes von Hahausen bis in die Grafschaft Mansfeld, doch hat sich bis jetzt nur in dieser, wo Silbererze die vom Schiefer eingeschlossenen Kupfererze begleiten, das Flöz bauwürdig erwiesen. Die oberen Schichten der „Zechsteinformation“ bestehen aus Anhydriten und Gipsen, die besonders aus dem an Höhlen und Erdfällen reichen Zuge bekannt sind, der — vielfach pittoreske Felspartieen bildend — den Südrand des Harzes von Badenhausen bis Sangerhausen mauerartig umwallt; ferner aus Dolomiten und Letten; und auch die bis 1000 Meter mächtigen Steinsalze und die darüber lagernden Kalisalze, deren Abbau im letzten Jahrzehnt mit regem Eifer begonnen hat, gehören noch in diese Formation. —
Die Bildung der Bergzüge und Hügelreihen, welche den Harz im Norden mantelartig umziehen, und die Ausfüllung der von da in das Gebirge eingreifenden Thäler ist in den nun folgenden drei geologischen Perioden der Trias-, der Jura- und der Kreideformation erfolgt.
Die Trias (d. i. bunter Sandstein, Muschelkalk und Keuper) legen sich bandförmig von Hahausen bis Gernrode in der Weise um den Nordrand, daß der Sandstein — dem die Solquelle bei Harzburg entspringt — und der Keuper, der meistens[15] als Letten und Mergel auftritt, die Thäler, der Muschelkalk die — später umgekippten — Höhen bildet. (Am Südrande liegen die Trias wegen der Breite der Zechsteinformation weit ab vom Gebirge.) — Der Jura kommt nur in dem Busen des Schiefergebirges zwischen Langelsheim und Harzburg und in der Nähe von Quedlinburg vor; seine Liasschichten liefern der Harzburger Hütte schönen Roteisenstein. — Die Kreide, mit ihren unteren Schichten, Hils und Gault, bis Harzburg, mit jüngeren bis Ballenstedt reichend, führt in der unteren Lage des Gault guten Quadersandstein, der vor dem Breitenthor vor Goslar den zu einer Kapelle ausgehöhlten Felsen der Klus bildet und am angrenzenden Petersberge zur Anlage eines großartigen Steinbruchs Anlaß gegeben hat. Den Schichten der senonen Kreide gehören der durch seinen Reichtum an Petrefakten ausgezeichnete Sudmerberg bei Goslar und die Quadersandsteinreihe Regenstein-Teufelsmauer an.
Die Tertiärformation (Braunkohlenbildung) ist nur ganz schwach am Harzrande vertreten. —
Zur Zeit, als Trias, Jura, Kreide und Braunkohlen sich nacheinander ablagerten, war der Harz noch völlig vom Meere bedeckt. Hätte er auch nur teilweise soweit aus den Fluten hervorgeragt, daß eine Brandung entstehen konnte, so müßten sich Gerölle vom Harzgestein, von Grauwacke, Kieselschiefer u. s. w. in jenen vier Formationen finden. Dem ist aber nicht so. Sie sind eben keine Strandbildungen, sondern genau so zusammengesetzt, wie die in größerer Entfernung vom Harze in ganz Norddeutschland vorhandenen gleichnamigen Gesteine, also Ablagerungen aus flacherem oder tieferem Wasser. Vereinzelte Stückchen Kieselschiefer, welche in der oberen Kreide am Sudmerberge vorkommen, können einesteils aus dem Rotliegenden stammen, andernteils gleichen sie nicht im geringsten dem Schutt, den heutzutage die Flüsse vom Harze hinunterspülen. Und kleine Bröckchen Kieselschiefer, welche sich in der Gegend von Gittelde im Miocän (der mittleren Stufe der Tertiärgebilde) finden, werden aus dem rheinischen Schiefergebirge stammen, da ihre Häufigkeit in der Richtung auf Kassel stetig zunimmt.
Wie am Rande, so müssen sich auch auf dem unter den Wellen liegenden Gebirge selbst die mesozoischen Schichten (welche Tierreste enthalten, die den noch jetzt vorhandenen sich annähern, also Trias, Jura u. s. w.) nacheinander abgelagert haben. Diese mesozoische Decke aber mag in Bewegung gekommen und teilweise fortgespült sein, als der Harz, ohne vorerst noch aufzutauchen,[16] sich zu heben begann. Auf diese Weise sind vielleicht die mesozoischen Gerölle in das „Hilskonglomerat“ des unteren und in das „Sudmerbergkonglomerat“ und das „Heimburggestein“ der oberen Kreide gekommen. Jedenfalls aber ist seine Decke ganz fortgespült und weggewaschen, als der Harz sich mählich aus der Flut erhob.
Dies geschah am Ende der Miocänzeit, zu derselben Zeit, als die Göttinger und Kasseler Berge, der Meißner, die Rhön und fast alle andern Gebirge emporstiegen und auftauchten. Infolge eines Druckes, der „tangential“, in der Richtung der kurzen Achse unserer Gebirgsellipse, also von Südsüdwest nach Nordnordost, wirkte, bauchte und wölbte sich der Harz allmählich auf, die Gesteinsschichten rissen und spalteten dabei senkrecht zur Druckrichtung, also parallel der langen Achse, und brachen in bajonettartig absetzenden Linien von den Vorlanden ab. Die Wirkung dieser Pressung ist verschieden: während die Schichten am Südrande nur eine Aufbauchung von etwa 20° aufweisen, ist im Norden die ehemalige Oberfläche der Kernschichten samt dem darauf gelagerten Zechstein u. s. w. ganz steil aufgerichtet, ja nach Westen sogar übergekippt. Und ebenso ist der massige Granit dem Nordrande näher als dem Südrande in die Höhe gepreßt. Vielleicht wirkte der Druck, der den Harz zum heutigen Gebirge umwandelte und zurecht schob, von Süden; wahrscheinlich war aber schon damals, was zur Erklärung ausreicht, die Erdoberfläche den Südrand entlang höher als im Norden.
Die Überkippung der bei der Zusammenschiebung der Schichten entstandenen Falten hatte auch den (inneren) Bruch derselben und das Hinüberschieben des einen Flügels über sein Liegendes zur Folge: die älteren übergeschobenen Schichten sind jüngeren Bildungen aufgelagert. Diese Überschiebungen, die also nur aus übergekippten Falten hervorgehen können, nennt man Faltenverwerfung. Sie ist besonders bei den sogenannten Ruscheln, schmalen Gesteinsklüften im Innern des Gebirges, die meist mit Gangthonschiefer ausgefüllt sind, klar zu ersehen; hie und da beträgt die Höhe der Verschiebung kaum ein Meter, andernorts aber (am Devonzuge) wenigstens mehrere hundert Meter.
Mit ihnen dürfen die vormals offenen Spalten nicht verwechselt werden; diese sind jünger, denn sie werden von den (innern) Klüften der Ruscheln in der Richtung abgelenkt.
Die Spaltenverwerfung umfaßt also ein zweites System von Störungslinien. In den „Spalten“, die sich mehrfach bis in die Vorlande verfolgen lassen, lagerte das einsickernde Wasser neben Quarz, Kalkspat und andern Gesteinen namentlich die wertvollen Erze ab und schuf sie dadurch zu „Erzgängen“ um; und wo der Hohlraum nicht ganz gefüllt ward, bildeten sich Quarz- und Erzdrusen mit ihren oft prachtvollen Krystallen.
Eine spätere entgegengesetzte Aufbauchung des Harzes in der Richtung der großen Achse — also von Südost nach Nordwest, durch welche die Schichten auch in der Richtung der kurzen Achse zerrissen und gespalten[17] wurden, so daß nun die einzelnen Schollen oft in unregelmäßig viereckigen Stücken mosaikartig verschoben nebeneinander liegen — scheint auch durch Bildung der Thalfurchen den Flüssen und Bächen den Lauf vorgezeichnet zu haben. Es wäre sonst auffällig, daß das Gebirge die Flüsse nicht auf beiden Ufern gleichweit begleitet. Daß sich diese Spalten auch in den dem Harze vorgelagerten jüngeren Gesteinen unterirdisch fortsetzen, beweisen die mächtigen Quellen bei Altwallmoden und Baddekenstedt, die unzweifelhaft das bei Langelsheim teilweise versiegende (d. i. in die Tiefe fallende) Wasser der Innerste — doch auch das damit verbundener Nebenspalten, denn nach Abteufung der Kalischächte hat es an Reinheit eingebüßt — in gewaltigen Massen wieder zu Tage fördern.
Während durch die schwache, aber stetige Arbeit des Minerallösungen einführenden Wassers die Klüfte, Gänge und Spalten bis auf die Drusenräume immer wieder verkittet und ausgefüllt wurden, erweiterte es, oft bachartig auftretend, die weit klaffenden Hohlräume im Kalk und Dolomit, in Gips und Steinsalz durch seine auflösende Eigenschaft zu großen Höhlen, füllte diese mit Lehm und schmückte ihre Wandungen in späteren Zeiten, als das Gebirge sich weiter gehoben hatte, mit den wundersamen Tropfsteingebilden. Auch die sogenannten Gletschertöpfe beim Iberger Kaffeehause, schlotartige Vertiefungen, sind wohl — ähnlich wie die Erdfälle — auf diese auflösende, nicht auf die mechanische Thätigkeit des Wassers zurückzuführen und als „geologische Orgeln“ anzusprechen. Grundmoräne und Moränenschutt, die Gletscherprodukte im Flachlande, fehlen auf dem Harze; die Geschiebe nordischer Gesteine, welche sich auf der Hochfläche des Unterharzes finden, waren vermutlich in Eisberge eingefroren, welche die Fluten der Eiszeit hierher wälzten.
Auch an der Umwandlung, der „Metamorphose“ der Gesteine ist das sickernde Wasser stark beteiligt. Es löste die Kieselsäure der Eruptivgesteine und „verkieselte“ die mit diesen im „Kontakt“ stehenden Sediment- und Kulmschichten; wo Kalk in den Gesteinen war, bildete es „Silikate“ — Granaten und „Katzenaugen“ und andre — und neben Diabas und Schalstein verwandelte es den Kalk in Eisenstein.
Finden sich in den erwähnten Moränen des Flachlandes große Massen von Harzgesteinen, die es beweisen, daß schon in jener Zeit der Harz soweit als Gebirge hervorragte, daß seine Flüsse Gerölle hinunterführen konnten, so verstärkte eine letzte Heraushebung des Harzes, deren Zeitpunkt wir nicht kennen, diese Wirkung des Wassers bedeutend, denn nun wurden die Berge höher, die Schluchten und Thäler tiefer, das Wassergefälle bedeutender; und der bis heute dauernden Erosion verdanken wir den anmutigen Wechsel von Berg und Thal, der jedwedes Herz erfreut.
Auf dem Brocken begann bereits im Jahre 1836 der Wirt Nehse mit meteorologischen Beobachtungen. Sie sind aber von seinen Nachfolgern nicht regelmäßig fortgeführt, die längste völlige Unterbrechung währte sogar neun Jahre, und die später von Postbeamten und Oberkellnern gemachten Beobachtungen lieferten kein zuverlässiges Resultat. Dagegen reichen die sachkundigen und regelmäßigen Beobachtungen in Klausthal, wo sich seit 1876 sogar zwei Stationen in verschiedener Meereshöhe befinden, bis 1854 zurück.
Das aus vierzigjährigen Barometerbeobachtungen gewonnene Mittel des Luftdrucks beträgt in Klausthal 710,51 Millimeter; seinen höchsten Stand behauptet das Barometer in den Monaten Juni bis September, seinen niedrigsten in den Monaten März, April, November und Dezember. Der Sonnenberg hat ein Jahresmittel von 692,92, der Brocken von 662,2, Nordhausen 741,76, Sangerhausen 747,85 Millimetern.
Das früher für Klausthal zu 6,2℃ angenommene Jahresmittel der Lufttemperatur sinkt bei Berücksichtigung der vierzig Jahre von 1856–1896 auf 6,03℃, übertrifft also das von Stockholm (5,7℃) nur um ein Geringes. Doch sind die Unterschiede der einzelnen Jahre beträchtlich: so hatte das Jahr 1872 eine Temperatur von 7,58℃, das Jahr 1879 nur 4,41℃. Die größte Kälte wurde am 4. Januar 1894 mit -21,80℃, die größte Wärme am 23. August 1892 mit 31,60℃ erreicht.
In der zweiten Hälfte der vierzigjährigen Beobachtungsperiode ist ein auffälliger Rückgang der Temperatur eingetreten. Während nämlich das Mittel der 10 Jahre von 1856 bis 1866 6,17℃, das der folgenden 10 Jahre 6,22℃ betrug, erreichte es in den Jahren 1876–1886 nur 5,87℃ und in den Jahren 1887–1896 nur 5,68℃.
In dem vorletzten Abschnitt waren die Tage vom 25. bis 29. Juni mit einer mittleren Temperatur von 15,22℃, im letzten die Tage vom 25. bis 29. Juli mit einer mittleren Temperatur von 15,27℃ die wärmsten, während sich in der Zeit vom 11. bis 15. Januar mit einer mittleren Temperatur von -3,63℃ in jenem, und in den Tagen vom 1. bis 5. Januar mit[19] einer mittleren Temperatur von -4,82℃ in diesem Abschnitt die größte Kälte geltend machte. Der erste fünftägige Zeitabschnitt mit einer mittleren Temperatur unter 0℃ fiel auf den 17. bis 21. November (27. November bis 1. Dezember), der letzte auf den 22. bis 26. März (12. bis 16. März). Klausthal hat also etwa 120 Tage mit einer mittleren Temperatur unter 0℃.
Charakteristisch ist für das Klima des Oberharzes der jähe Wechsel der Temperatur an ein und demselben Tage. Beträgt der Unterschied zwischen dem Maximum und Minimum eines Tages im Sommer oft 20℃, so ist er doch auch in den andern Jahreszeiten nicht unbedeutend. So stieg am 2. März 1877 die Temperatur von -13,81 um 7 Uhr morgens auf +3,56 um 2 Uhr nachmittags und fiel wieder auf -10,65℃ um 9 Uhr abends. Dem Oberharz ist ferner eigentümlich, daß sich hier die „drei gestrengen Herren“ im Monat Mai nicht bemerkbar machen (so daß auf der Hochebene die Spuren der Nachtfröste, die in den Vorbergen den ersten Trieb der Laubbäume beschädigen, kaum zu sehen sind); und daß im Monat Dezember nach der ersten Frost- und Schneeperiode fast regelmäßig eine Zunahme der Temperatur unter reichlichen Regengüssen eintritt. (So stieg z. B. im zweiten Drittel des Monats Dezember 1893 die Temperatur von -0,20° bis auf +6,20° und sank im letzten Drittel auf -14,30℃.) Diese „Weihnachtsflut“ bringt den als Kraftspeicher für den Bergbau dienenden Sammelteichen sehr erwünschte Zuflüsse.
Das niedrige Jahresmittel von Klausthal ist keineswegs die Folge einer abnormen Kälte des Winters. Erreichten doch z. B. im Jahre 1883 Nordhausen und Braunschweig eine um 1,5° und 3,9℃ größere Kälte, als jenes. Vielmehr hat das niedrige Jahresmittel seinen Grund in der langen Dauer des Winters und in der niedrigen Sommertemperatur. Auch der Vergleich mit Stockholm fällt ganz anders aus, wenn man statt des Jahresmittels die mittlere Temperatur der Jahreszeiten zu Grunde legt. Während diese in Stockholm auf -3,31℃ sinkt und im Sommer auf 22,04℃ steigt, sinkt sie in Klausthal (nach vierzigjährigem Durchschnitt) nur auf -1,79℃ und steigt nur auf +14,14℃. Diese durch die Höhenlage bedingten Unterschiede[20] erklären die sonst auffällige Thatsache, daß in Lappland, welches mit dem Brocken etwa gleiche mittlere Jahrestemperatur hat, noch Getreidebau getrieben werden kann, der im Harze schon auf der Hochebene von Elbingerode aufhört, daß hier dagegen noch Buche und Roßkastanie gedeihen, die nordwärts den kalten Winter schon des mittleren Schwedens nicht vertragen.
Mit dem 3,96℃ betragenden Jahresmittel des Sonnenbergs (774 m) ist zugleich die Temperatur für die andern Einzelsiedelungen bis zum Brockenfelde — Königskrug, Oderbrück, Torfhaus — gegeben. Zum Vergleiche zwischen den beiden Stationen des Oberharzes mit dem am Gebirgsrande und in der Nähe des Harzes belegenen mögen noch folgende Angaben — für die ich das Jahr 1883 zu Grunde lege — dienen: Das Thermometer sank zum letztenmal unter 0° in Sangerhausen am 13. April, in Nordhausen, Göttingen und Braunschweig am 23. April, in Heiligenstadt am 7., in Salzwedel am 4., in Klausthal am 11. Mai und auf dem Sonnenberge am 19. Juni; zum erstenmal wieder auf dem Sonnenberg am 18. August, in Klausthal am 6., in Nordhausen am 7., in Göttingen am 23. Oktober, in Sangerhausen und Heiligenstadt am 16., in Braunschweig und Salzwedel am 17. November. — Die höchste Temperatur wurde in Braunschweig am 2. und 3., auf allen übrigen Stationen am 4. Juli erreicht; sie betrug in Salzwedel 35,5, in Magdeburg 34,5, in Göttingen 32,8, in Sangerhausen 32,6, in Braunschweig 32,0, in Nordhausen 31,4, in Heiligenstadt 31,2, in Klausthal 29,6, auf dem Sonnenberge 29,1℃. — Die niedrigste Temperatur betrug in Göttingen -10,5 (am 23. März und 8. Dezember), in Sangerhausen -11,1 (23. und 24. März), in Heiligenstadt -12,3 (24. März), in Salzwedel -13,0 (9. Juni), in Magdeburg -14,7 (15. März), in Klausthal -15,1 (23. März), in Nordhausen -16,4 (17. und 23. März), auf dem Sonnenberge -18,7 (13. März), in Braunschweig -19,6℃ (16. März).
Das Jahresmittel des Brockens soll nach den letztjährigen Beobachtungen nur +0,87℃ betragen; doch ist bis zur Gewinnung eines längere Perioden umfassenden Durchschnitts vorläufig noch an dem aus sämtlichen früheren Beobachtungen berechneten Mittel von 2,40℃ festzuhalten. Der Brockengipfel hat demnach fast genau das gleiche Mittel mit Tromsö im nördlichen Norwegen.
Die mittlere Temperaturabnahme beträgt auf je 1 m Erhebung nach dem Brockengipfel hin von Osterode 0,71°, von Klausthal 0,68°, von Goslar 0,66°, von Wernigerode 0,65℃.
Die mittlere jährliche Schwankung, die Differenz zwischen Januar (-5,40℃) und Juli (+10,7℃), beträgt auf dem Brocken nur 16,1℃; in Klausthal (Januar -2,43, Juli +14,85℃) 17,28℃. Diese sonst auffällige Thatsache findet ihre Erklärung darin, daß der Brockengipfel in die Region der stärksten Wolkenbildung hineinragt, und daß die starke Bewölkung die Temperaturextreme erheblich mildert.
Die höchste beobachtete Temperatur war +27,7, die niedrigste -28,0°. Da im Mittel auf den 30. Mai der letzte und auf den 7. Oktober der erste Frost fällt, so sind etwa vier Monate frostfrei. Doch kommen starke Abweichungen vor: im Jahre 1840 waren nur 89 Tage (vom 26. Juni bis 21. September), im Jahre 1848 dagegen 186 Tage (vom 5. Mai bis 3. November) frostfrei. — Perioden lang andauernder Kälte sind auf dem Brocken nicht häufiger als in der Ebene; die längste bis jetzt beobachtete fiel in den Januar 1838, wo an achtzehn aufeinanderfolgenden Tagen das Mittel unter -19℃ lag; alle Gewässer, sogar der Gerlachsbrunnen, froren völlig aus, trotzdem war die Kälte, da Windstille und Sonnenschein herrschte, sehr gut zu ertragen. —
Inbetreff der Niederschlagshöhe, des zweiten Hauptfaktors des Klimas, steht der Harz mit dem übrigen Mitteldeutschland unter dem Einfluß des Atlantischen Ozeans. Nur die von diesem heranstreichenden Winde können uns die erforderliche Feuchtigkeitsmenge bringen, denn im Süden sperrt uns die Gletschermauer der Alpen gegen den Einfluß des Mittelländischen Meeres ab, und im Nordosten und Osten sind uns weite, zusammenhängende Landmassen vorgelagert, die um so größer erscheinen, wenn wir hierbei auch die Ostsee als Land behandeln; ihr Einfluß auf die Niederschlagshöhe ist nämlich aus drei Gründen außerordentlich gering: sie hat nur geringen Umfang, ist meistens kälter als die offene See und liegt nicht in unserer Hauptwindrichtung.
Das Vorwalten der Südwestwinde in Mitteldeutschland ist nicht nur die Folge der Rechtsablenkung der Winde durch die Drehung der Erde, sondern wird zugleich durch das sogenannte Azorische Maximum, das ist ein Gebiet hohen Luftdruckes im Südwesten über dem Atlantischen Ozean (in der Gegend der Azoren), durch das im größten Teil des Jahres über dem Atlantischen Ozean im Nordwesten (in der Gegend von Island) ruhende Gebiet niedrigen Luftdruckes, und durch die konstante Abnahme des Luftdruckes vom 45. bis 50. Breitengrade nach Norden zu verursacht.
Kein Punkt in Mitteldeutschland ist
nun für diese Klarlegung so geeignet wie
der hochragende Brockengipfel, da auf diesem
die Windrichtung durch örtliche Hemmung
und Ablenkung nicht beeinflußt werden[23]
[24]
kann. Nach der achtteiligen Windrose kommen
auf dem Brocken 15% aller beobachteten
Windrichtungen auf NW, 23% auf W, 24%
auf SW, zusammen also 62% — nach
dem Wolkenzuge sogar 74% — auf die
für uns Regen führenden Winde (auf S
nur 10, SO und O je 8, NO und N je 6%.)
Dieser herrschenden Luftströmung stellt sich nun das Harzgebirge mit seiner Breitseite, und zwar mit seinem hohen NW-, W- und SW-Rande, fast rechtwinkelig quer in den Weg, dadurch erfährt der Luftdruck eine Steigerung, die Luft wird zum Ansteigen gezwungen, kühlt sich dadurch ab und verdichtet ihren gasförmigen Wassergehalt zu Nebel und Wolken, dann zu Regen und Schnee. So kommt es, daß die auf der Luvseite liegenden Osterode 820, Grund 880 Millimeter, die auf der Leeseite, im „Regenschatten“ des Harzes liegenden Wernigerode nur 613, Blankenburg 518 Millimeter Niederschlag haben. Wenn man nun ferner berücksichtigt, daß der dichte Fichtenbestand des Westharzes die Feuchtigkeit der Luft gleichsam aufsaugt, die Wolken anzieht und ihren Inhalt zum großen Teil absorbiert und in den ausgedehnten Mooren festhält, so ist es klar, daß unser isoliert aufsteigendes Gebirge auf die Niederschläge eines großen Teiles von Norddeutschland einen ganz bedeutenden Einfluß haben und als der Hauptkondensator für die vor und hinter ihm liegenden Lande angesehen werden muß.
Im hohen Westharze ist selbstverständlich der Niederschlag am bedeutendsten. Für den Brocken berechnet Hellmann aus sämtlichen vor dem Jahre 1879 liegenden Beobachtungen das Jahresmittel auf 1669 Millimeter; in Klausthal betrug das Mittel aus den 40 Jahren 1856–1895 1338 Millimeter, auf dem Sonnenberge (dessen Station leider jetzt eingegangen ist) das Mittel der 18 Jahre 1878 bis 1895 1283 Millimeter gegen 1316 Millimeter derselben Jahre in Klausthal. Zwischen den einzelnen Jahren sind außerordentlich große Unterschiede: in Klausthal stehen den 1930 Millimeter Niederschlag des Jahres 1867 als Minimum 824 Millimeter im Jahre 1857 gegenüber.
Daß der Sonnenberg, und damit wohl auch das Brockenfeld, etwas geringere Niederschläge hat, als Klausthal, erklärt sich daraus, daß jener im Regenschatten des Bruchberg-Ackers liegt; in Andreasberg und Braunlage mit 1093 und 1096 Millimeter macht sich dieser noch stärker geltend, und den[25] Unterharz charakterisiert Allrode mit 620 Millimeter. Bei den nur teilweise in diesem Regenschatten liegenden Orten des Südharzes (Wieda 993, Walkenried 820, Ilfeld 640 Millimeter) sprechen auch lokale Umstände mit. Die Jahressumme der Tage mit Niederschlägen steht in anderem Verhältnisse als diese: Klausthal hat im Mittel 152 Regen- und 64 Schneetage, der Sonnenberg aber gar 216 und 180.
Von großer Bedeutung für das Klima ist auch die Verteilung der Niederschläge auf die einzelnen Monate. In Klausthal folgen diese nach 40jährigem Mittel: Juli 145, Dezember 134,5, August 129,6, Juni 125,6, März 120,7, November 115,9, Oktober 108,3, Januar 105, Februar 104,8, September 88,6, Mai 81,8, April 76,4 Millimeter. Ähnlich ist das Verhältnis auf dem Sonnenberge, nur daß hier im Juli mehr Regen und im Dezember und März verhältnismäßig mehr Schnee fällt.
Ist der Westharz reicher an Niederschlag, so fällt der Regen auf der Leeseite massenhafter, bei einem einzigen Gewitter zuweilen 1⁄10, ausnahmsweise ⅕ des Jahresbetrages. So fielen in Schierke am 21. September 1882 129, in Harzgerode am 1. August 1887 121 Millimeter, während als Maximum in Klausthal nur 97,5 Millimeter auf den 29. Juli 1883 kommen.
Mit dem Nebel, der fast zur Hälfte auf den Winter fällt, ist es auf der Hochebene des Oberharzes nicht so arg, wie man oft denkt. Allerdings hat Klausthal durchschnittlich 95 ganz trübe und nur 27 ganz helle Tage, aber es ist damit nicht schlechter gestellt als manche Städte im Lande. Im Jahre 1883 z. B. wurden die 81 Nebeltage Klausthals von Braunschweig mit 83, Magdeburg mit 97 übertroffen, und seinen 25 ganz heiteren Tagen hatte Salzwedel nur 19 gegenüberzustellen. Der Sonnenberg hat beinahe doppelt so viele Nebel- und doppelt so viele ganz helle Tage als Klausthal. Auf den Rauhreif und „Anhang“, auf den Brocken im Nebel kommen wir am andern Orte zu sprechen.
Wenn sich in dem weit wilderen Alpengebirge uralte Pfade schon in der vorgeschichtlichen Zeit nachweisen lassen, so ist die Annahme, daß solche auch im Harze vorhanden gewesen sein müssen, um so weniger gewagt, als der einzige dem Oberharze angehörende Fund aus der Steinzeit, ein gebrauchfertiges und gut erhaltenes Steinbeil aus nichtharzischem Gestein (Oberharzer Museum) gerade auf dem Brockenfelde gemacht ist, über das der „Heidenstieg“ lief,[26] der später in den fahrbaren „Kaiserweg“ umgestaltet ward.
Im übrigen wurde in vorgeschichtlicher Zeit das Innere des Harzes und insbesondere der hohe Westharz mit seinen undurchdringlichen Urwäldern, seinem wegsperrenden Klippengewirr und seinen Gefahr drohenden Mooren wohl nur hin und wieder von einzelnen kühnen Jägern betreten, die Elch und Schelch, Ur und Wisent, Bär und Wolf bis in ihre geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen wagten.
Zu dauernder Ansiedelung aber konnten den Menschen der Steinzeit, dem Waldwirtschaft und Bergbau, die Vorbedingungen der späteren Besiedelung des eigentlichen Harzes, völlig fremd blieben, nur die dem Harze vorgelagerten Hügellandschaften und Flußebenen einladen.
Die Pfahlbauten in den Brüchen und trockenen Seen am Ostrande, die Feuerstätten unter dem Tropfsteinboden der Einhornhöhle, die zahlreichen in neuerer Zeit ausgegrabenen Wohn- und Grabstätten mit ihren Hausurnen und Steinkisten, die noch unverwischten Befestigungen mit all ihren wertvollen Funden reden eine gar deutliche Sprache, und eine Zusammenstellung der Orte, die durch ihren Namen als heidnische Opferstätten gekennzeichnet sind (Wodansberg, Hübichenstein, Thorsthor, Pholidi, d. i. Pöhlde, die Bocksberge und andre) ergänzt als zweite wichtige Urkunde jenen Bericht.
Beim Eintritt in die geschichtliche Zeit müssen die Harzlande freilich vorerst stumm von ferne stehen, wenn Süddeutschland und die Rhein- und Weserlande so viel des Interessanten aus der Römerzeit zu erzählen haben; aber dafür dürfen sie sich dessen rühmen, daß in ihnen der erste Versuch und Ansatz einer reindeutschen Staatenbildung gemacht ist: die südlichen und östlichen Vorlande bildeten das Mittel- und Kernstück des Königreichs Thüringen, das sich im ersten Viertel des sechsten Jahrhunderts von der oberen Donau bis an die Grenze des Bardengaues erstreckte. Die zahlreichen Ortsnamen auf —leben (das ist Aufenthaltsort) und —stedt (Wohnstätte) erinnern noch daran.
Als die Franken 529–531 die Macht der Thüringer mit Hilfe der Sachsen brachen, blieb ihnen nur der Helmegau (Walkenried, Nordhausen), der ganze Süd- und Ostrand vom Sachsgraben bei Wallhausen bis an die Oker fiel den Sachsen als Kriegsbeute zu, doch mußten sie für die südliche Hälfte den Franken jährlich 500 Kühe als Tribut liefern. Um sich von dieser drückenden Fessel der Unfreiheit zu befreien, folgten die Bewohner dieses Gaues 568 gern dem Rufe des Longobarden Alboin zum Einmarsch in Italien, und in die verödeten Lande zogen nun Nordschwaben, Friesen und Hessen ein, denen es 575 gelang, die zurückkehrenden Sachsen in zwei mörderischen Schlachten zu vernichten.
Das Christentum ist in die Harzlande zuerst in der abgeschwächten Form des Arianismus durch die Thüringerkönigin Amalaberga, Theoderichs des Ostgoten Nichte, gekommen; doch hat die schwache Pflanze die Stürme jenes Vernichtungskrieges nicht überdauert. Erst Bonifatius und sein Schüler Wigbert haben es in den drei südlichen Gauen (Helme, Hessen, Friesen) sicher begründet, und in dem Schwabengau, in dem sich nur einige vorpostenartig vorgeschobene Wigbertikirchen (z. B. in Quedlinburg) finden, ist es vom Hausmeier Karlmann und seinem Bruder Pipin im Kampfe gegen den auf seine „Hoseoburg“ trotzenden Häuptling Theoderich 746–748 mit Waffengewalt eingeführt.
Wie weit dann auf friedlichem Wege das Christentum am Westrande des Harzes vorrückte, zeigt die Grenze des Mainzischen Sprengels, die im Pandelbach bei Münchehof mit der Nordgrenze des Lisgaues, des einzigen von Engern bewohnten harzischen Gaues, zusammenfällt. Die nördlich anschließenden Lande, der Ambergau (Seesen, Bockenem), der Wenzigau (Goslar), der Lerigau (Wöltingerode) und der Harzgau (Wernigerode, Blankenburg) sind erst durch den Schwertapostel Karl den Großen bekehrt. Ströme des Bluts, wie in Westfalen, sind im Harze nicht geflossen. Schon 775 unterwarf sich der Ostfalenherzog Hessi freiwillig an der Oker und hielt die gelobte Treue; seine Tochter gründete in Wenthausen, dem heutigen Thale, das erste Kloster in den Harzlanden.
Als Karl 809 für Ostfalen rechts der Oker in Halberstadt ein Bistum gründete, wies er diesem auch den Südrand bis zum Sachsgraben zu, so daß dem fernen Mainz nur der Helme- und der Lisgau verblieben. Für Ostfalen links der Oker gründete Karl 818 das Bistum Hildesheim; und an der Vertiefung des vielfach nur äußerlich angenommenen Christentums arbeiteten mit jenen Bischöfen auch die Klöster Fulda und Hersfeld weiter.
Die Ortschaften, welche bis zu dieser Zeit etwa in den Harzlanden entstanden waren, gehören drei verschiedenen Gruppen an. Die älteste umfaßt diejenigen, deren Namen auf —hausen und —heim (—um, —em), auf —leben und —stedt endigen, also auf eine Einzelsiedelung, auf das von den zugehörigen Hütten der Laten umgebene Haus eines seßhaften freien Mannes hinweisen, die zweite solche, deren Namen auf —ingen und —ungen endigen,[28] Siedelungen einer ganzen Sippe. Auch die Orte mit bloßen Naturnamen, wie z. B. Goslar (Einöde am Gießbach), Steina (Siedelung an der Grenze, nämlich zwischen Sachsen und Thüringern), sowie die, welche auf —a, —see, —leite, —berg u. s. w. ausgehen, gehören zum größten Teil der frühesten Zeit an. Die dritte Gruppe bilden die Orte, welche sofort als „Dorf“ entstanden sind.
Die Volksmenge ward allmählich dichter, die unter dem Pfluge liegenden Ackerflächen genügten nicht mehr, und notgedrungen nahmen die Bewohner der Vorlande auch die öden Gebiete in Angriff, lichteten den Urwald mit Axt und Feuer, legten die Sumpfgegenden durch Gräben und Dämme trocken und machten den so dem Walde und dem Wasser abgewonnenen Boden durch den Pflug zu ertragsfähigem Lande.
Liegen die Orte, welche in dieser Zeit der „ausbauenden Kolonisation“ entstanden sind, auf ehemaligem Waldboden, so endigt ihr Name auf —loh, d. i. Wald (Braunlage = brauner Wald), auf —feld (Mansfeld u. s. w.), auf —hain und —hagen, —rode und —schwende; ist ihre Flur durch Entwässerung des Sumpfes gewonnen, auf —riet. Noch jetzt umzieht ein dichter Kranz solcher Ortschaften den Harz, die meisten aber sind längst wieder eingegangen, weil die Länderei die Arbeit nicht lohnte. Ganz besonders trifft dies die zahlreichen „Hagen“, d. i. auf Waldblößen angelegte Ortschaften mit eingefriedigter Feldmark, und die noch häufigeren Rodungen. Von den an der Endung —schwende (von suantjan, schwinden machen) kenntlichen Brandrodungen, die nur im Ostharze vorkommen, ist Molmerschwende die bekannteste.
Das Jahr, selbst das Jahrhundert der Erbauung all dieser späten Siedelungen läßt sich nur bei einigen annähernd angeben. —
Hatte einst das mächtige Thüringerreich im Südostharze seinen Mittelpunkt, so stand später, als das von Karls des Großen Weltreich abgetrennte und in Selbständigkeit erstarkte Deutsche Königreich, bald vom Glanze der römischen Kaiserkrone umstrahlt,[29] den Höhepunkt seiner Macht erreichte, zur Zeit der Ludolfinger, Salier und Staufer, der Harz hellleuchtend im Vordergrunde der deutschen Reichsgeschichte. Wie nirgends sonst im ganzen Deutschland reihten sich um den Harz Königshöfe und Pfalzen zu einem prächtigen Kranze zusammen: im Norden Dahlum, Seesen, Werla, Ilsenburg, im Osten und Süden Frose, Walbeck, Quitelingen, Allstedt, Tilleda, Wallhausen, Nordhausen und Pöhlde.
Unter den ludolfingischen Kaisern liegt der Schwerpunkt vorerst im Süden und Osten: in Wallhausen, Nordhausen und Quedlinburg, zu denen dann noch aushelfend Pöhlde und Gernrode kommen. So dankbar die Aufgabe wäre, diese Könige, besonders Heinrich I. und Otto den Großen, von einer Harzpfalz zur andern zu begleiten: wir müssen es uns um des Raumes willen versagen. Mit dem Erlöschen der Ludolfinger trat die alte Kaiserstadt Quedlinburg in den Hintergrund. An der stolzen Stiftung des ausgestorbenen einheimischen Hauses nehmen die fränkischen Kaiser nur geringen Anteil, ihr Lieblingsaufenthalt ward Goslar, dem unter dem mächtigen Heinrich III. eine wahrhaft glänzende Zeit erstand. Auf der Höhe des Kaiserbleekes erbaute er den großartigen Reichspalast (Abb. 3) und in dessen Nähe den herrlichen Dom, einen leuchtenden Schmuck für das ganze Sachsenland. Damals war Goslar in Wahrheit das clarissimum regni domicilium. Und wenn unter Heinrich IV., dem Harzer von Geburt, der Glanz zu erblassen schien und die burggekrönten Harzberge trauernd das Haupt neigten, so kehrten jene Tage des Ruhmes unter dem Sachsen Lothar und unter den beiden Friedrich von Staufen noch einmal wieder auf lange Zeit: ja der Reichstag, den Barbarossa im Juni 1154 in Goslar hielt, überstrahlte alle andern, die der Harz je gesehen hat.
Viermal spitzte sich die deutsche Reichsgeschichte zu einem Kampfe zwischen dem Kaiser und dem Sachsenherzoge zu, aber keiner von ihnen, auch kein späterer Krieg, hat je die Harzlande so schwer betroffen, so viel Städte in Asche gelegt, so viel Burgen gebrochen, als der letzte, in dem um jedes Panier, um das des Welfen Heinrich des Löwen und das waiblingische Barbarossas Harzer Grafen und Harzer Bürger sich scharten.
Im Jahre 1253 sah Goslar zum letztenmal einen Kaiser in seinen Mauern: Wilhelm von Holland, der König der welfischen Partei, ließ sich hier vom Glanze der alten Kaisererinnerungen bestrahlen. Dann stand die Kaiserpfalz öde und vergessen, bis in unseren Tagen in die alten Mauern, die länger als sechs Jahrhunderte trauernd und verlangend nach einem Kaiserantlitz ausgeschaut hatten, der greise Kaiser[30] Wilhelm der Große, der siegreiche Einiger und Mehrer des Reichs, einzog.
Mit dem Untergange der Hohenstaufen und der Zertrümmerung des starken sächsischen Stammesherzogtums verliert die Harzer Geschichte ihren einheitlichen Charakter. Eine Vielheit von Territorien, geistlichen und weltlichen, umspannten den Harz und hatten das Innere in größeren Bruchstücken und kleinen Splittern zu eigen. Der Oberharz gehörte dem 1235 in seiner Herzogswürde anerkannten Welfenhause, im Osten griffen — wie noch heute — die Besitzungen des Hauses Anhalt, der Selke folgend, tief in das Gebirge hinein; dem Süd- und Ostrande aber gaben die Harzgrafschaften Wernigerode, Regenstein, Falkenstein, Mansfeld, Stolberg, Hohnstein, Scharzfeld u. a. ihr charakteristisches Gepräge. Bis auf das durchlauchtige Haus Stolberg, mit dem jeder Harzer sich gleichsam landsmännisch verwachsen fühlt, sind diese mächtigen Geschlechter, allen voran das kaisertreue Woldenberg-Harzburgische, dessen Glanz fast schon mit dem der Hohenstaufen erbleicht, eins nach dem andern erloschen. Nach manchen Wechselfällen breitet heute der preußische Königsadler, dem braunschweigischen Löwen und dem anhaltischen Bären ihren Raum gönnend, schirmend seine Flügel über den Harz und dessen Vorlande.
Es gibt in Deutschland kein zweites Beispiel dafür, daß sich auf einem so eng umgrenzten Gebiete, wie es der Harz einnimmt, so viel verschiedene Volksstämme nachweisen und noch heute, namentlich in ihrer sprachlichen Verschiedenheit, klar erkennen lassen. An der Hand der Geschichte haben wir in der Völkerwanderung Schwaben und Silinger, Friesen und Hessen und nicht lange danach auch Holsteiner (Elbingerode) neben den alteingesessenen Thüringern, Engern und Ostfalen sich niederlassen und in der Kaiserzeit Slaven und Flamländer die sumpfigen Vorlande besiedeln sehen. Dazu kamen noch zur Zeit der Reformation die mit wenig Franken untermischten Obersachsen, die heutigen Bewohner des Oberharzes.
Nach der bis vor kurzem landläufigen Ansicht stammen diese aus Franken. Aber man verwechselt sie dabei mit der ersten, in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts der Pest erlegenen schwachen Bevölkerung, die es bis zur Städtegründung nicht gebracht hat. Als im sechzehnten Jahrhundert fast gleichzeitig in den Gebieten von Braunschweig-Wolfenbüttel (Zellerfeld, Wildemann), Braunschweig-Grubenhagen (Klausthal) und Hohnstein (St. Andreasberg) an den Stellen, wo einst jener „Alte Mann“ oberflächlich Bergbau getrieben hatte, edle Gänge erschürft wurden, und die Strahlen, die aus der silberblinkenden Teufe aufschossen, den im Winterschlafe liegenden, verödeten Oberharz zu neuem Leben erweckten, vermochte ihm der infolge der Fehde mit Heinrich dem Jüngeren schwer krankende Rammelsberg durch Abgabe von Bergleuten um so weniger zu helfen, als die Goslarschen nur mit dem „Feuersetzen“ (dem Anzünden großer Holzstöße zum Mürbemachen des Gesteins) zu arbeiten wußten, nicht aber zu „sinken“ (Schächte abzuteufen), zu „längen“ (Stollen und Strecken zu treiben) und zu „gewältigen“ (das Grubenwasser abzuführen) verstanden; dazu bedurfte man „meißnischer Berggesellen“. Und angelockt durch die viel verheißenden „Bergfreiheiten“ strömten jene dem deutschen Peru namentlich aus dem westlichen Erzgebirge, der Gegend von Schneeberg, Annaberg und Joachimsthal, wo der Bergbau stark im Niedergang begriffen war, in großen Scharen zu, so daß die Städte fast wie Pilze aus der Erde schossen.
Die Verschiedenartigkeit der Volksstämme im Harze zeigt sich vor allem in der Mannigfaltigkeit der hier herrschenden Mundarten.
Der größte Teil des Harzes spricht niedersächsisch („Plattdeutsch“), der ganze Westrand vom Ravensberg (zwischen Sachsa und Lauterberg) bis Hahausen und der Nord- und Ostrand von Hahausen bis Ballenstedt, sowie bis auf die Sprachinsel des Oberharzes der ganze Nordosten des Gebirges bis Braunlage, Benneckenstein, Trautenstein, Hasselfelde, Suderode und Gernrode. Dieser ganze niedersächsische Harz gehört zu dem einen der beiden großen[33] „Michquartiere“ in Deutschland: der Akkusativ mek und dek (mich und dich) wird auch für den Dativ gebraucht; auch wird dem zweiten Partizip statt des hochdeutschen ge ein kurzes e vorgeschlagen, z. B. bei hett mek eraupen oder eröupen (er hat mich gerufen), hei hett et mek egeeben (er hat es mir gegeben). Ek und mek wird im Osten lang, im Westen kurz, und das s in den Anlauten sm, sl, sn, sw, sp, st nur im Osten sch gesprochen. Auffällig ist auch die Verschiedenheit in der Konjugation des Präsens; der Westen und Norden sagt: weï drinket, jei (jï) drinket, sei drinket, das südöstliche Drittel wie im Hochdeutschen wei (in Elbingerode, Schierke, Benneckenstein mei), jï,[34] sei drinken. Die nördlichsten Orte dieses Drittels sind Braunlage, Elend, Schierke, Elbingerode, Blankenburg, Börnecke.
Im einzelnen lassen sich die Mundarten der Gaue, wenn auch deren alte Grenzen hierbei nicht überall scharf hervortreten, an charakteristischen Eigentümlichkeiten gut unterscheiden. Nur im engernschen Lisgau, also auch in den der oberdeutschen Sprachinsel nicht angehörenden oberharzischen Ortschaften Lerbach, Buntenbock, Riefensbeek, Kamschlacken, Lonau und Sieber hört man ssehr (sehr), chout (gut), loapen (laufen). Die ostfalische Mundart, welche im Ambergau, Densigau und Lerigau den Harz berührt, in der Nähe des Gebirges aber auch auf das rechte Ufer der Oker hinüberspringt, wird durch eine Fülle von Diphthongen gekennzeichnet, deren nach den Orten wechselnde Färbung längst nicht mit den hochdeutschen Vokalen wiedergegeben werden kann. Mein Haus lautet (bis dicht vor Hannover, wo zuerst der einfache Vokal mîn hûs auftritt) etwa maïn oder meïn hius, greulich gruilich, gräulich gröulich. Vielfach wird g wie j gesprochen: gut jiut, geben jeeben; Gott lautet in der Einzahl gott, in der Mehrzahl aber jötter; ebenso hochdeutsch Garten in der Mehrzahl järten. In andern Wörtern wie grot (groß), Goslär (Goslar), Gurke tritt das j nie auf.
Die sich östlich anschließende Harzgauische Mundart kennt die ostfalischen Diphthonge und das anlautende scharfe st, sl etc. nicht und spricht nur in dem östlichen Streifen (Halberstadt, Quedlinburg) an der Bode das anlautende g wie j: Joslar, jut, jross. Zum Vergleiche zwischen dieser und der ostfalischen Mundart diene folgende Strophe aus der „willen Jagd“:
Wernigerode:
Bockenem:
Einlautig ist auch die Mundart des Schwabengaues, die ohne scharfe Umgrenzung etwa von Westerhausen und Thale bis an den Streifen bei Suderode und Ermsleben reicht, in dem seit Jahrhunderten das Mitteldeutsch kämpfend weiter nach Norden vordringt. Sie spricht stets anlautendes g wie j und — wie schon manche Orte des Harzgaues — hiser, nicht hüser für Häuser.
Die niederdeutschen Mundarten haben denselben Konsonantenstand wie das Gotische. Sie sind von der konsonantischen Lautverschiebung, welche schon zur Zeit der Völkerwanderung zunächst bei den Alemannen in der Schweiz begann, und wellenförmig nach Norden fortschreitend im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert in die südlichen Harzlande gelangte und die niederdeutsche Mundart in eine hochdeutsche umwandelte, nicht beeinflußt; sie halten noch das altdeutsche t fest, wo unsere hochdeutsche Schriftsprache z setzt (tämen = zähmen); für das hochdeutsche t haben sie noch d (Dochter = Tochter), für f noch p (lopen = laufen), für ch k (eck und ick = ich) beibehalten. Dagegen haben die Thüringer im Helmegau nebst den dort eingewanderten Flamländern, sowie die Hessen und Friesen diese Lautverschiebung angenommen, so daß der ganze Südharz bis zum Ravensberge jetzt hoch-(mittel-) deutsch spricht. An die frühere Zugehörigkeit auch dieser Gegenden zum niederdeutschen Sprachgebiet erinnern nur noch wenige Spuren, so im Mansfeldischen die Flexion des Infinitivs bei zu (ze thune für zu thun) und mant für nur.
Es lassen sich hier, wenn auch nicht in genauem Anschluß an die Gaugrenzen, drei mitteldeutsche Mundarten unterscheiden: süd- oder unterharzisch, mansfeldisch und nordthüringisch. Ihr Konsonantenstand ist derselbe wie der des Hochdeutschen, nur ist das niederdeutsche pp und mp am Ende[36] der Wörter geblieben: Kopf und Strumpf werden noch Kopp und Strump gesprochen; und das niederdeutsche p im Anlaut ist nicht in pf, sondern in f umgewandelt: Pferd und Pfennig lauten Ferd und Fennig.
Stimmen hierin die drei Mundarten überein, so ist dagegen die sogenannte bayerische Vokalverschiebung, die Verbreiterung der alten Vokale î und û zu ei und eu, welche durch die süddeutschen Kanzleien und namentlich durch Luthers Bibelübersetzung in unser Neuhochdeutsch gedrungen ist, nur von der mansfeldischen Mundart angenommen; sie spricht mei haus, feier, ihr, eich (euch), eier (euer), wo jene beiden min hûs, fier, ji, uch, uer sprechen. Die wesentlichsten unterscheidenden Merkmale zwischen der unterharzischen und der nordthüringischen Mundart sind, daß nur diese den Infinitiv um n verkürzt; im Osten: ich kann spreche, im Westen: ich kann gespreche; und das anlautende g nicht wie j, sondern wie g und k spricht: nicht wie Mansfeld und Unterharz jestern und janz, sondern gestern und ganz neben kestern und kanz. Zum Michquartier gehören sie alle drei.
Nicht aber, als die einzige im ganzen Harzgebiete, die in das niederdeutsche Sprachgebiet inselartig eingesprengte oberharzische Mundart, welche sich auf die Städte und Ortschaften beschränkt, die dem Silberbergbau ihre Entstehung verdanken: Klausthal, Zellerfeld, Andreasberg, Wildemann, Lautenthal, Hahnenklee, Bockswiese, Festenburg, Oberschulenberg und teilweise Unterschulenberg und Altenau. Die Lautverschiebungen sind nicht bis hierher gedrungen, sondern die Einwohner haben ihre oberdeutsche Mundart schon aus ihrer Heimat mitgebracht, und da sie keine anders sprechende Bevölkerung vorfanden, unbeeinflußt bewahren können.
Das Oberharzisch hat die bayerische Vokalverschiebung (mei haus), aber andern Konsonantenstand als die vorhin genannten drei mitteldeutschen Mundarten: im Anlaute ist das alte p in pf umgewandelt (also Pfeng, nicht Fennig). In ganz Deutschland hat nur noch die Mundart des oberen Erzgebirges diese Merkmale. In beiden hört man Pfâr für Pferde neben schtoppen für stopfen und Napp für Napf; in beiden klingt kn im Anlaut fast wie[37] gn (Gnabe statt Knabe), wird mr (mer) für wir und für man gebraucht, rsch für rs im Auslaut gesetzt (des Schteiersch = des Steigers), dasselbe helle a mit weitgeöffnetem Munde gesprochen (Ahng = Augen). Bei weiterem Vergleiche zeigt sich die völlige Übereinstimmung der oberharzischen gerade mit der Mundart des westlichen Erzgebirges (der sächsischen Städte Schneeberg und Annaberg und der böhmischen Stadt Joachimsthal). Nur hier, nicht im Osten desselben, wird z. B. das n der Endung gen in die vorausgehende Silbe versetzt und als Nasenlaut gesprochen (Morring Morgen, mit solling Leitn mit solchen Leuten), der Infinitiv auf a (kumma kommen, brenga bringen) und das Adjektiv öfter auf et (narbet narbig, lampet abgetrieben) gebildet. Diese gemeinschaftlichen Besonderheiten der westerzgebirgischen und oberharzischen Mundarten, die letztere allgemeiner festgehalten hat, als erstere, sind auf fränkische Einwirkung zurückzuführen. Fränkisch sind z. B. die erwähnte Adjektivendung et, die Verkleinerungssilbe le la (Heisl, Mehrzahl Heisla Häuschen), das häufige ä für hochdeutsches ei (Äch Eiche, Gäst Geist, dräzen dreizehn, Schrä Schrei etc.). Fränkisch sind auch viele oberharzische Wörter, die im Erzgebirge heutzutage nicht mehr üblich sind (z. B. wallen gin spuken, zochen umziehen, zipperig furchtsam, porren reizen, kâzen vor Uebermut laut schreien, greina weinen).
Die fränkische Färbung der beiden Mundarten weist darauf hin, daß die Auswanderung aus dem Erzgebirge nach dem Oberharze in einer Zeit stattfand, in der dort fränkische Bergleute unter der aus dem Meißnischen zuströmenden Bevölkerung sich seßhaft machten; und der Umstand, daß diese Färbung im Oberharze stärker ist als im Westerzgebirge, findet schon in der inselartigen Abgeschlossenheit des Oberharzes ausreichende Erklärung; daneben steht aber auch fest, daß bei der Aufnahme des oberharzischen Bergbaues einzelne Knappen direkt aus Franken zuwanderten.
Inbetreff des Hausbaues weisen die einzelnen Gaue kaum noch nennenswerte Eigentümlichkeiten auf. Mag einst, wie einige der am Ostsaum aufgefundenen „Hausurnen“ schließen lassen, der altsächsische „Einbau“, der Menschen- und Viehhaus samt den Kornfächern unter einem Dache vereinigt, bis an den Fuß der Harzberge gereicht haben, so waren doch schon zur Zeit der Abfassung des Sachsenspiegels in dem ehemaligen Nordthüringen getrennte Scheunen üblich, und heute hat das fränkische Haus das sächsische völlig verdrängt: denn obgleich am Nordrande[38] die Bauernhäuser bis über Bockenem hinaus vielfach die Giebelseite der Straße zukehren, so befindet sich doch der Eingang in der den Wirtschaftsgebäuden zugekehrten Breitseite.
Abgesehen von den in die engen Gebirgsthäler eingeklemmten und sich oft fast stundenlang ein- oder zweireihig hinziehenden Ortschaften bieten die übrigen fast sämtlich das Bild des unregelmäßigen Haufendorfes, denn wenn auch die ursprüngliche Hufeisen- und Rundlingsform der Wendendörfer in der Goldenen Au sich aus dem jetzigen Befunde meist noch herausschälen läßt, so haben doch Durchbrechungen des Ringes und Anbauten außerhalb desselben für das nicht historisch geschulte Auge den Unterschied vom Haufendorfe so gut wie verwischt.
Wenn auch der Harz in seinen Steinbrüchen[39] von jeher eine Fülle und Mannigfaltigkeit vorzüglichen Baumaterials namentlich zu seinen herrlichen und großartigen Kirchen und ähnlichen Bauten geliefert hat, und wenn sich gleich in letzter Zeit selbst in oberharzische Städte, das Auge beleidigend, hie und da in das stimmungsvolle Bild sich harmonisch und komplementär nicht einfügende rote Backsteinbauten eingedrängt haben, so erfreut sich doch der alte Harzer Fachwerksbau, zu dem die schier unerschöpflichen Wälder geradezu aufforderten, auch in den Städten noch immer der wohl begründeten Vorliebe, und manches in verständnisloser Zeit dem Abbruch oder doch dem Verfall bestimmte künstlerisch oft reich gestaltete Haus ist als eine Perle der Baukunst erkannt und soweit möglich in seiner ursprünglichen Schöne restauriert.
Von den alten Volkstrachten hat sich in den Harzlanden wenig erhalten. Die kleidsame Tracht des Bergmanns — grüner Schachthut ohne Rand, schwarzer Leinwandkittel mit Puffen, blankes Hinterleder mit Messingschloß und schwarzen Beinkleidern (Abb. 4) — sieht man fast nur noch an bergmännischen Festen und bei Beerdigungen, sie ist zur bloßen Uniform geworden; den blauen Leinwandkittel des Bauern hat vielerorts bereits ein langer Rock von unbestimmter grauer oder brauner Farbe verdrängt, nur der Fuhrmann, besonders auch der oberharzische, trägt ihn noch — wie die früher allgemein üblichen Gamaschen — regelmäßig als Arbeitsgewand; aber der schneeweiße Leinwandkittel des Fuhrherrn (Abb. 5), zu dem gelbe Gamaschen und hoher schwarzer Seidenhut gehörten, ist seit einigen Jahrzehnten völlig verschwunden. — Und auch die Frauentracht fügt sich, wenn auch mit einiger Verspätung, mehr und mehr der Mode. Den mit breiten farbigen Samtstreifen mehrfach umsäumten Rock und die schwarze, mit Band und Spitze verzierte Mütze sieht man nur noch bei der älteren Generation, und auch bei dieser nur ganz vereinzelt das kleine tütenförmige Mützchen mit den breiten, fast bis auf die Fersen herabhängenden Seidenbändern, wie es z. B. die Bäuerinnen im Ambergau noch vor wenigen Jahrzehnten allgemein trugen. Aber die „Landgängerinnen“ des Oberharzes kennzeichnet noch ausnahmlos der buntgeblümte, die mit Butter und Eiern gefüllte [40]„Kiepe“ vor neugierigen Blicken schützende langkragige Kattunmantel (Abb. 6).
Inbetreff des Charakters und der Begabung läßt sich zwischen den Bewohnern der einzelnen Gaue kaum eine Grenzlinie ziehen, wohl aber zwischen dem Niedersachsen, dem der meist starkknochige, etwas lebhaftere und redegewandtere thüringische Harzer nahesteht, und dem Obersachsen des westlichen hohen Harzes. Im Norden und Osten meistens gedrungen und kräftig, im Lisgau lang und hager, aber sehnig, ist jener bedächtig, aber nachhaltig, nicht beredsam, doch nicht sprechfaul, etwas zugeknöpft gegen Fremde, aber treu in Zuneigung und Freundschaft, rechthaberisch, doch versöhnlich, starrköpfig, wo seine Rechte in Frage kommen, aber ein Feind arglistiger Schädigung, fleißig, genügsam und sparsam, doch fast verschwenderisch, wo es die Ehre des Hofes und der Familie gilt, karg im Geben, doch bereit zu jeder Hilfe, die kein bares Geld kostet; ohne sprudelnden Witz und lebhafte Phantasie, aber klaren Verstandes und gesunden Urteils; konservativ, doch nicht unzugänglich für Neuerungen, kirchlich und gottesfürchtig, doch nicht frei vom Vertrauen auf Kartenschlagen und Besprechen.
Der Oberharzer erscheint neben dem Nordthüringer und Niedersachsen fast schmächtig und schwächlich, übertrifft beide aber an Gewandtheit und Ausdauer. Er ist gastfrei und gesellig, mäßig und nüchtern, sucht seine Freude in der Familie, in Wald und Halde, in Vereinigungen zu Gesang und Musik; entschlossen und überlegend, ausgerüstet mit bewundernswerter Geistesgegenwart, ist er ein anstelliger, vorzüglicher Arbeiter. An Mutterwitz und Schlagfertigkeit übertrifft er den Niedersachsen weit, doch keineswegs an Schärfe des Verstandes und Tiefe des Gemüts.
Wir beginnen unseren Rundgang mit den sieben „Bergstädten“ des Oberharzes und folgen dann den dort entspringenden Flüssen bis in die Vorlande.
Von den sich eng aneinander schmiegenden Schwesterstädten Klausthal (Abb. 7) und Zellerfeld (Abb. 8), deren erstere, einer langgestielten dreizinkigen Gabel nicht unähnlich, von 535 Meter am gemeinschaftlichen Bahnhofe bis zu 605 Meter beim[41] Schützenhause aufsteigt, ist das fast schachbrettgeformte Zellerfeld die ältere. Da, wo jetzt hart an der Grenze das städtische Brauhaus steht, erbaute das reiche Simon-Judasstift in Goslar gegen das Jahr 1200 das Benediktinerkloster Cella und schuf damit an dem alten von Goslar nach Osterode zum Anschluß an die Nürnberger Straße führenden Wege dem Warenzuge des Kaufherrn wie dem einsam pilgernden „Elenden“ eine bessere Erholungs- und Zufluchtsstätte, als solche die dürftigen Klausen, von deren einer Klausthal den Namen führt, zu bieten vermochten. Und bald erklang die Axt der fleißigen Klosterleute im ungelichteten Urwalde, auf der geschaffenen Lichtung, dem „Zellerfelde“, erstanden Außenhöfe mit Viehwirtschaft, und fränkische Bergleute siedelten sich unter dem Schutze des Klosters und seiner Schirmherren an und erschürften Gang um Gang des edlen Silbers. Anderthalb Jahrhunderte wirkte so das am höchsten und einsamsten gelegene Harzkloster im Segen; da brach im Jahre 1348 der schwarze Tod, der wie ein Würgengel ganz Europa durchschritt, auch hier herein, raffte Mönche und Bergleute dahin und brachte durch die Unsicherheit und Verwilderung, die ihm auf dem Fuße folgte, den Oberharz wieder zu völliger Verödung. Doch heute noch befährt der „Bergmönch“ als der aufsichtführende Geschworene mit silbernem, bis zur Firste flackerndem Grubenlichte die Schächte und Strecken, und beredter noch als die Sage führen die Gruben des „alten Mannes“ mit seinem Gezäh und seinen Gebeinen, die „Burgstätte“, auf der vielleicht der letzte Rest der von der Pest Verschonten im Kampfe mit den Räuberbanden erlag, der Frankenscherven (jetzt Frankenscharn), die „Abtshöfe“ und andre ihre stumme Sprache.
Erst unter der Regierung des Herzogs Heinrich des Jüngeren erstand der im Todesschlafe liegende Oberharz zu neuem Leben. Nachdem schon die Herzogin Elisabeth von ihrem Witwensitze Staufenburg aus sich des Eisensteinbergbaues bei Grund mit großem Erfolge angenommen hatte, beschloß ihr Enkel Heinrich, auch die Silbergruben des „alten Mannes“ wieder in Betrieb zu setzen, erließ 1524 eine Bergordnung „für Grund und umliegende Gebirge“ und berief auf den Rat des Herzogs Georg von Sachsen erfahrene Beamte und Bergleute aus dem Erzgebirge. Im Jahre 1526 nahmen die in großen Haufen Herzuströmenden in der Nähe des jetzigen Johanneser Kurhauses die erste Grube auf der Hochebene des „Zeller Feldes“ auf, und schon sechs Jahre später erhielt die um die Klosterruine entstandene Ansiedelung die Stadtgerechtsame.
Und auch im Fürstentum Grubenhagen, das bis unmittelbar an den die Klosterpforte bespülenden Zellbach reichte, blieben die reichen Schätze der Teufe nur noch kurze Zeit unerschlossen. Schon im Jahre 1544 wird das Bergwerk des Herzogs Philipp „an dem Zeller Felde“ erwähnt, und als auch bei der verfallenen Klause („im Klausthale“) edle Erze zu Tage traten, nahm die neue Ansiedelung, die man anfangs Zellerfeld grubenhagenschen Teils nannte, so raschen Aufschwung, daß sie bereits in[42] der Bergfreiheit von 1554 freie Bergstadt heißt.
Daß eine Landesgrenze (bis 1788) die beiden Städte schied, ward im dreißigjährigen Kriege verhängnisvoll für Zellerfeld: nachdem Tilly am 19. März 1626 Klausthal von Dänen und Braunschweigern, seinen Bedrängern, durch sein bloßes Erscheinen befreit hatte, eroberte er das von seinen Bürgern unter dem Geschwornen Thomas Merten heldenmütig verteidigte Zellerfeld und überließ es seinen Truppen zur Plünderung.
Kämpfte schon zu Beginn jenes verderblichen Krieges der Bergbau um seine Existenz, so kam er während desselben völlig zum Erliegen: die Gruben „ersoffen“, die Pochwerke standen still, die Hütten lagen kalt. Dazu überfiel die schier verzweifelnden Bewohner noch die Pest, und verheerende Feuersbrünste raubten ihnen die letzte Habe.
Nur langsam erholten sich die beiden Städte. Aber dann brachten regenarme Jahre die Gruben wieder zum Stillstand, und am 18. Oktober 1672 legte eine schreckliche Feuersbrunst in Zellerfeld 465 Häuser, die Kirchen, Pfarrhäuser und Schulen, Rathaus, Münze und Zehnten in Asche; und in dem dürftigen Reste der Stadt und in Klausthal, wo man die Obdachlosen nachbarlich aufnahm, brach der Hungertyphus aus: die Not war entsetzlich.
Als im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts endlich wieder die Gruben gut „silberten“, entwickelten sich im Glanze des Bergsegens die Städte so ersichtlich, daß die Hauptstadt Klausthal im Jahre 1736 ohne Garnison 8930 Einwohner zählte. Die Feuersbrünste von 1725 und 1737, von denen die erste 391 und die zweite 192 Wohngebäude zerstörte, wurden damals leichter überwunden. Dagegen sank die Einwohnerzahl unter den Drangsalen des siebenjährigen Krieges um 2000. Allein am 3. September 1761 erpreßten die Franzosen in der Doppelstadt 40000 Thaler, und zum Dank für seine Milde mußte Klausthal dem General Vaubecourt gar eine Medaille prägen lassen.
Als 1799 der großartige Georgstollen durchschlägig wurde, konnte man die Erze auch aus größerer Teufe holen. Aber dieser Vorteil kam bald der westfälischen Fremdherrschaft zu nutze. König „Lustik“ von Bonapartes Gnaden, der sich zweimal in Klausthal-Zellerfeld anjubeln ließ, konnte kaum mit Hilfe des Raubbaues den sich immer steigernden Bleibedarf für seines Bruders Kriege und Festungen decken. Doch die enormen Summen, die nach Kassel flossen, genügten ihm nicht: er bot dem Juden Jakobson den ganzen oberharzischen Bergbau zum Kauf an; indes, wenn dieser sein „Kammeragent“ auch preußische, hannoversche und braunschweigische Domänen billig zu erwerben kein Bedenken trug, so erschien jener große Bissen dem Schlauen doch im Werte zu unsicher. Trotzdem es Titel und Gehaltszulagen regnete, sammelten die Bergbehörden einen Teil der Überschüsse für die angestammte Landesherrschaft heimlich im Zehnten an und schickten falsche Abrechnungen nach Kassel. Aber viele Handels- und Kassenbeamte trieben auch „Matzhammelei“: sie steckten manches Tausend in die eigene Tasche; und des Geldes war ja so viel, daß die Franzosen es nicht merkten — erst die hannoversche Regierung hat später diese Unterschleife bestraft. Da sah man den Oberfaktor in Goslar wie[43] einen Grafen mit vier Rappen, einen Jockei vorn auf, durch die Straßen fahren, und sein Bruder in Osterode legte einen Marstall an und baute ein Reithaus. — Flotter ist der Bergbau nie umgegangen. Aber der Harzer ließ sich durch die hohen Löhne nicht gewinnen; obwohl vom westfälischen Kriegsdienste befreit, schlichen sich die jungen Männer bis zur Küste durch und bluteten auf den Schlachtfeldern Spaniens für Deutschlands Ehre und Freiheit; allein vom siebenten Bataillon der deutschen Legion trafen einmal an einem Tage elf Totenscheine beim Rate von Klausthal ein.
Als mit dem Frieden der großartige Bleibedarf aufhörte, sanken die Harzprodukte gewaltig im Preise, ja waren teilweise sogar unverkäuflich, und die englische und spanische Konkurrenz zwangen den Harzer Bergbau, sich sehr haushälterisch einzurichten. Die Bergbehörde begünstigte, trüb in die Zukunft sehend, die Auswanderung, besonders als 1844 300 und 1852 101 Wohnhäuser in Klausthal niederbrannten. Doch brach mit der Verstaatlichung des (gewerkschaftlichen) Bergbaues, mit der Vollendung des Ernst-August-Stollens, mit dem Erschließen neuer Erzmittel eine bessere, hoffnungsvollere Zukunft an. Heute zählt die Stadt 8600 Einwohner.
Von den Tillyschanzen bei der Windmühle, dem Wahrzeichen Klausthals, gesehen, gewährt die von weiter Wiesenflur eingeschlossene Doppelstadt ein eigenartig schönes Bild. Die in den flachen Thälern zu einer glänzenden Perlenschnur aneinandergereihten Teiche, der dunkle, breite Waldsaum ringsherum, der Blick auf die wellenförmige Hochebene mit ihren grünen Halden, ihren blinkenden Gruben und dem in der Ferne aufwirbelnden Hüttenrauche, ihren nach allen Seiten strahlenförmig in den Wald auslaufenden Alleen, auf die immer höher sich auftürmenden Berggruppen, und wieder zurück auf die wunderbar gestaltete Stadt mit ihren rotbedachten schmucken Häusern, von denen einzelne Gruppen sich bis in die unabsehbare Ferne zu erstrecken scheinen: leihen ihr Züge und Farben, wie sie sich so wirkungsvoll in ihrer schlichten Anmut im ganzen Harze nicht zum zweitenmal zeigen.
Architektonisch bedeutsame Gebäude hat Klausthal nicht aufzuweisen. Die Marktkirche ist die größte Holzkirche Deutschlands (Abb. 9). Im geräumigen Amthause hat das[44] Oberbergamt für den größten Teil der Provinz Hannover, für Schleswig-Holstein, Hessen, Schaumburg und den Gemeinschaftsharz seinen Sitz. Aus der früheren, jetzt als Bibliothek und Berginspektion dienenden Münze — und teilweise aus der den verschiedenen Linien des Welfenhauses gemeinsamen Münze in Zellerfeld, die nur den heil. Andreas nicht im Stempel führte — sind die meisten der feinen Wildemanns- und Andreasmünzen und Ausbeutethaler hervorgegangen, welche die Münzsammlungen zu ihren wertvollsten Stücken zählen.
Zur Erläuterung der abgebildeten Münzen (Oberharzer Museum) diene folgendes:
1. Zweithalerstück, in Zellerfeld vom Münzmeister Rudolf Bornemann (R. B.) 1688 geprägt (Abb. 10). Den Namenszug des Kurfürsten Ernst August von Hannover umgeben folgende fünfzehn Wappen: Das sechsspeichige Rad von Osnabrück — der Kurfürst war, worauf auch der Bischofsstab hinweist, zugleich Bischof von Osnabrück —, die Löwen des Herzogtums Lüneburg, der Grafschaft Eberstein und der Herrschaft Homburg (mit gestückter Einfassung), der einköpfige Adler der Herrschaft Stemmwede (Lemförde), die Lutterberger Querfäden, die Regensteiner (rote) Hirschstange, der Clettenberger Hirsch, die Blankenburger (schwarze) Hirschstange, das Hohnsteiner Schach, die verschobenen Kreuze von Alt-Bruchhausen mit den Neubruchhäuser (Oldenburger) Balken, die Bärenklauen von Hoya, die Löwen von Diepholz und Lutterberg, die Leoparden von Braunschweig. Oben der Wahlspruch des Kurfürsten. Der Revers zeigt uns eine Grube über und unter Tage. Radstube und Geipel, durch ein Feldgestänge verbunden, nähern sich in der Form noch der Köte; die Fahnen auf ihrer Spitze melden, daß die Grube in Ausbeute steht. Ein Bergmann, das Grubenlicht in der Hand, tritt den Heimweg an, ein andrer fördert auf dem Stürzkarren Erz nach dem Pochwerk. Ein „Rutengänger“ mit der edle Erze verratenden Wünschelrute schreitet heran; unterhalb des auf der Höhe liegenden Zechenhauses ist ein Haldenarbeiter beschäftigt. In der Tiefe schrämen zwei Bergleute, zwei andere drehen den Haspel, daneben führt der Schacht mit Fahrt und Tonne hinunter. — Über der Landschaft das Sachsenroß; von oben reicht ein aus Wolken ragender Arm einen Kranz.
2. Wildemannthaler des Herzogs August
von Braunschweig, in Zellerfeld 1665 vom
Münzmeister Henning Schlüter (H. S. und zwei
gekreuzte Schlüssel) geprägt (Abb. 11). Im
Wappenbilde sind Hoya und Bruchhausen, Regenstein
und Blankenburg, Hohnstein und die Lutterbergschen[45]
[46]
Querfäden zu je einem Felde vereinigt
und das Lüneburgsche durch die gekrönten Herzen
von den andern Löwen unterschieden. Auf dem
Schilde stehen fünf gekrönte Helme; der mittlere
(Braunschweig-Lüneburg) trägt zwischen zwei
mit den Spitzen gegen einander gekehrten Sicheln,
welche außen mit fünf Pfauenfedern besetzt sind,
eine Säule mit Krone und gesterntem Pfauenkranz,
vor der ein Pferd springt. Der Helm mit
Bärenklaue bezeichnet Hoya, der mit sechs Fähnchen
zwischen Büffelhörnern Bruchhausen, der mit
zwei Hirschstangen, zwischen denen ein Pfauenschwanz
steckt, Hohnstein und Lutterberg, der mit
zwei Büffelhörnern und zwei Hirschstangen Diepholz
und Regenstein-Blankenburg. — Auf der
Rückseite hält der Wildemann, Laubkränze um
Haupt und Hüften, den mit der Wurzel ausgerissenen,
auf beiden Seiten mit Zweigen besetzten
Baum wie eine zum Stoß eingelegte Lanze
mit beiden Fäusten. Eine bestimmte Regel bildete
sich um 1670 aus: auf den in Zellerfeld für
Braunschweig-Wolfenbüttel geprägten Münzen
hält der Wildemann den zweireihig besetzten Baum
in der Linken, auf den dort für Calenberg-Hannover
geprägten die nur rechtsseitig besetzte
Tanne in der Rechten. Die nach Aufhebung der
Zellerfelder Münze von 1788 an in Klausthal
geprägten hannoverschen Münzen zeigen den
Wildenmann mit einer zweiseitig besetzten Tanne
in der Rechten.
3. Ausbeutethaler der Grube Lautenthals Glück (Jungfrau mit der Laute zwischen Grubengebäuden), in Zellerfeld vom Münzmeister Joh. Benj. Hecht geprägt, Wildemänner als Schildhalter (Abb. 12).
4. Andreasthaler, 1726 in Klausthal vom Münzmeister Chr. Phil. Spangenberg geprägt (Abb. 13). Die Umschrift lautet: Georgius Dei gratia Magnae Britanniae Franciae et Hiberniae rex, fidei defensor (Verteidiger des Glaubens), Brunsvic. et Luneburg. dux, Sancti Romani imperii archithesaurarius (Erzschatzmeister) et elector. Der Wappenschild hat im ersten Felde die englischen Leoparden und den schottischen Löwen, im zweiten die französischen Lilien, im dritten die irische Harfe, im vierten die braunschweigischen Leoparden, den lüneburgischen Löwen, das Sachsenroß und in der Mitte die Kaiserkrone. Schildhalter Löwe und Einhorn.
Die von 200 bis 250 Studierenden besuchte Bergakademie, welche mit ihren Anfängen bis in das Jahr 1775 reicht, wird in den nächsten Jahren ein ihrer Bedeutung würdiges Heim erhalten. Begünstigt durch ihre Lage inmitten der mannigfaltigsten und musterhaft eingerichteten Montanwerke des Harzes, dieser Pflanzstätte für den gesamten deutschen Bergbau, steht diese Hochschule auch im Auslande in hohem Ansehen und bringt den Namen Klausthal in allen bergbautreibenden Ländern der Erde zu Ehren.
Das interessanteste Profanhaus des Oberharzes ist die im Jahre 1674 erbaute Bergapotheke in Zellerfeld (Abb. 14) mit ihren fratzenhaften Köpfen an Front und Giebel bis zum Dache hinauf — dem Wahrzeichen der Stadt —, schönen Zimmerdecken, die in Stuck Christi Leidensgeschichte, Jagdscenen, allegorische und mythologische Bilder und andres vorstellen, und zwei mächtigen Kaminen mit kunstvoll eingemeißelten Verzierungen.
Die Umgebung von Klausthal bietet des Interessanten gar viel. Wir schlagen einen der wohlgepflegten, sauber mit Gräupchen (Kies) bestreuten Anfahrwege ein, welche von allen Straßen und Gassen den Gruben zuführen, und schließen uns einer Schar schwarzer Gestalten an, die unter den von den Kirchtürmen leise herüberzitternden Klängen der Anfahrglocke, das Grubenlicht in der Hand, im Busenraum des Kittels ein tüchtiges Stück Brot und ein „Einschteckel-Wirschtel“, dem Schachte zueilen.
Der Vorbeter, ein alter, würdiger Bergmann, leitet im Betsaale des Zechenhauses die Andacht am Eingange der Arbeitswoche.
Nun wird das Grubenlicht entzündet, das uralte, offen brennende Licht, denn dem Harzer Bergmann drohen keine „schlagenden Wetter“, und von den Zurückbleibenden mit dem Wunsche: „Es gieh eich wull!“ (Es gehe euch wohl!) begrüßt, tritt einer nach dem andern auf die Fahrkunst, die — jetzt von Dampfkraft getrieben — den Bergmann ruckweise binnen kurzem in die Tiefe führt. Wie Sterne, die nach und nach erblassen, leuchten die Grubenlichter noch eine Zeit lang herauf, dann umhüllt rabenschwarze Nacht den Fahrschacht bergestief.
Nicht mehr wie vor alters mit „Schlegel und Eisen“, wie er es zum Kreuze zusammengefügt als Schmuck und Standesabzeichen führt, schrämt vor Ort der Bergmann mühsam am Gestein, nein mit Bohrer und Fäustel und gar mit komprimierter Luft treibt er seine Bohrlöcher wuchtig in den Felsen und sprengt diesen mit Pulver und Dynamit (Abb. 15). Und elektrische Bahnen[47] unter und über Tage schaffen an Stelle der vor kurzem noch so berühmten unterirdischen Schiffahrt die Erze nach den Aufbereitungsanstalten, Sortierhäusern, Wäschen und Pochwerken, die das zerkleinerte Stufferz und den mittels mancherlei hydraulischen Separations- und Anreicherungsmaschinen gewonnenen Schliech der Hütte zuführen.
Die tiefsten Schächte, voran der Kaiser Wilhelm II., bringen an 900 Meter Teufe ein, der 157 Meter hohe Kölner Dom ließe sich darin sechsmal aufeinanderstellen. Welch winzige Zwerge sind dagegen die nur 22 Meter tiefen Schächte des „Alten Mannes“, der die Wasser noch nicht zu bewältigen verstand. Aber völlig gelungen ist dies auch erst den riesenhaften Arbeiten der Neuzeit, dem 1799 fertiggestellten Georgstollen, der unterhalb der Bergstadt Grund mündet, und dem 1864 eingeweihten Ernst-August-Stollen, der sein mit Türmen und Zinnen geschmücktes Mundloch auf der Schützenwiese bei Gittelde hat und mit seiner Länge von 26 Kilometern mehr wie die Hälfte länger ist als der große Gotthardtunnel.
Und großartig wie die Abführung der Wasser der Tiefe ist auch die Zuführung der Tagewasser, deren Grube, Pochwerk und Hütte trotz der in Dienst genommenen mächtigen Dampfmaschinen nicht entraten können. Wo man auch nur wandert im Oberharze, überall trifft man Sammelgräben und meist „im Festen“ stehende Wasserläufe, als dürfe kein Tropfen des kostbaren Wassers verloren gehen. Die größte dieser Pulsadern des Bergbaues, der 1732 angelegte und 1840 erweiterte Dammgraben, zwingt selbst die Moorwasser des fernen Brockenfeldes zur Bergarbeit; nachdem er in 790 Meter Meereshöhe die Abbe, ein Nebenflüßchen der Ecker, abgefangen hat, durchschneidet er das Quellgebiet der Bode, Oker und Söse, überschreitet auf dem 1 Kilometer langen und 16 Meter hohen Sperberhaier Damme die Wasserscheide zwischen Oker und Söse und speist, mit seinen Zufuhrgräben 63 Kilometer lang, die terrassenförmig untereinanderliegenden Teiche bei Klausthal, von denen der Hirsch bei einer Bodenfläche von 15,7 Hektar mehr als 600000 Kubikmeter[48] Wasser faßt. Die Hauptpulsader des Andreasberger Bergbaues ist der in den Granitfels gesprengte 7½ Kilometer lange Rehbergergraben, der die in dem 22 Hektar deckenden Oderteiche durch einen aus mächtigen mit Eisen verklammerten Granitmassen aufgetürmten Riesendamm aufgestauten Quellwasser der Oder den dortigen Werken zuführt.
Die Randberge der Klausthaler Hochebene bieten viele herrliche Aussichtspunkte. Von der Schalke, dem 763 Meter hohen Gipfel des Kahlenbergs, an deren Fuße die Festenburg idyllisch aus dem Grün hervorlugt, überblickt man die ganze Hochebene wie eine ausgebreitete Landkarte; und der Blick nach Osten, auf das Brockenfeld mit dem Brockengebirge im Hintergrunde und auf die Harzburger Berge ist von wunderbarem Reiz. Über den Auerhahn, die Paßhöhe zwischen Zellerfeld und Goslar, wandern wir dem erst vor wenigen Jahrzehnten von den Sommerfrischlern entdeckten Bergdörfchen Hahnenklee (Abb. 16) zu und erfreuen uns unterwegs am Bocksberge an dem wunderhübschen Blick auf die von Bächen durchschnittene Gebirgspartie zwischen Gose und Innerste und die schön bewaldeten Berg- und Hügelreihen der Vorlande, den Steinberg und die fast unzählbaren schmucken Dörfer. Auf dem Rückwege über Bockswiese folgen wir eine Strecke dem lieblichen Spiegelthale, dessen friedlich stille Teiche langgezogen das schmale, scharf geschnittene Thal füllen.
Den Kaltenborn zwischen Frankenscharner Hütte und Windhausen (Grund), die Kuckholzklippe über dem in die Thalspalte förmlich eingeklemmten Lerbach und die schroff über der Söse hängende Siebenwochensklippe am Morgenbrotsgraben jenseit des Dammhauses muß man am Vormittage besuchen: sie eröffnen sämtlich, doch in verschiedener Begrenzung, den Blick über den Harz hinaus in die westlichen und südwestlichen Vorlande bis zum Bramwalde, dem Meißner und der Eichsfeldischen Pforte, in der Ferne kaum von den Wolkenzügen zu unterscheiden.
Erst auf diesen Wanderungen lernen wir auch den oberharzischen Wald in seinem ganzen Reiz, in seiner zauberhaften Wirkung auf das Gemüt würdigen und kennen.
Laß uns einmal einem vom Touristenheere noch nicht ausgetretenen, vom fürsorglichen Harzklub noch nicht bezeichneten Pfade folgen. Durch die grüne Nacht[49] hoher, dichter Tannen, die nur hin und wieder durch zitternd einfallendes Licht, durch das hellere Grün des Torfmooses und der großen Farnkräuter, die in dicken Büscheln die Baumwurzeln bekleiden, gemildert wird, gelangen wir auf einen „Hai“, auf dem tausend und abertausend Exemplare des roten Fingerhutes, wie von der Hand des Gärtners gezogen und wirkungsvoll gruppiert, blendend ihre Pracht entfalten. Sieh, dort vom Rande äugt ein Rudel Hirsche halb scheu, halb neugierig herüber; den ausdrucksvollen Kopf mit dem vielzackigen Geweih dir zugewendet, zucken sie nicht einmal mit der Wimper. Aber nun fliegen sie in wilden Sätzen den Abhang hinab. Und nun wieder kein Laut ringsum, nur der Abendwind fängt an, leise und warnend in den Wipfeln der Bäume dort unten zu rauschen, und das seine Thalfahrt beginnende Wasser sickert flüsternd durch das Moos und tröpfelt kaum hörbar von einem Stein auf den andern. Doch jetzt trägt der anschwellende Wind Klänge einer harmonischen Musik herüber, erst geisterhaft leise, allmählich klarer und bestimmter: mitten in der Wildnis, dem Abendgeläut eines Eremiten gleich, das Glockengeläut einer den Ställen zuwandernden Rinderherde. Es sind schmucke, kräftige Tiere, rot- und hellbraun, mit großen Hörnern, deren Spitzen nach oben gerichtet sind; die reine Harzrasse. Würdevoll schreitet der Hirt, mit derben Schuhen, grauen Gamaschen, schwarzem Leinwandkittel und breitkrempigem Filzhut bekleidet, ihnen voran; das handliche Beil, das, an der scharfen Schneide mit einem Stück Hirschhorn verwahrt, an einem über die rechte Schulter laufenden, mit blanken Messingschildern verzierten schwarzen Lederbande ihm an der Seite hängt, gebraucht er, um die Kühe loszuhacken, die sich mit den Hörnern im Gestrüpp, oder mit den Füßen im Wurzelgeflecht verwickelt haben (Abb. 17). Die Stiere seiner Herde, auf der Tierschau prämiiert, und sechs bis zwölf der schönsten Kühe sind sein Eigentum, er ist ein wohlsituierter Mann. Im Winter ist er Fleischer und Hausschlächter, und sein Knecht, der dort den Beschluß der Herde macht, ist dann sein Gehilfe. Wahrscheinlich versteht er auch selbst sein achtstimmiges Glockenspiel neu zu stimmen, „Stimmbeulen“ von außen oder innen hineinzuschlagen.
Vom Hirten freundlich zurecht gewiesen, gelangen wir binnen kurzem auf eine wohlgepflegte, mit Ahorn und Vogelbeere dicht begrenzte Straße, deren Nähe wir nicht vermuten konnten. Einsam windet sie sich durch den unabsehbaren Wald. Die zur Rüste gehende Sonne umspielt nur noch die mit Zapfen dicht behangenen Wipfel der stattlichen Bäume; in den schluchtenartigen Waldthälern lagert schon der weiße Abendnebel. Das Herdengeläut verklingt allmählich in der Ferne; nun ringsum sabbatliche Stille. Verstohlen[50] tritt eine Rehfamilie aus dem Hochwalde zur Rechten, huscht wie ein Schatten über die Straße und fliegt dann in eleganten Sätzen über die „Schonung“ zur Linken dem Dickicht zu, in dem die Sauen ihren Kessel haben (Abb. 18). Schon erhebt die Königin der Harzer Waldsänger, die Schwarzdrossel, klagend und doch voll Hoffnung ihren schwermütigen, herzergreifenden Gesang, um der sinkenden Sonne einen letzten Abschiedsgruß nachzurufen. Doch nun — klingt's da nicht in der Ferne wie leiser melodischer Gesang? und ist's nicht gar ein gemischter Chor? Es kommt näher und näher: frische, fröhliche Mädchenstimmen, ohne Schule und Kunst, naturwüchsig wie der Wald ringsum und ansprechend eben in dieser Harmonie. Rein und hell singt der Sopran seine einfach-schöne Melodie hinaus, und der Alt, von einer einzelnen Männerstimme kräftig unterstützt, begleitet sie mit der „zweiten Stimme“, wie sie das gesangfreudige Volk fast instinktiv findet. Jetzt verstehen wir auch die Worte:
Die Kiepe auf dem Rücken, in den flinken Händen das Strickzeug, verfolgen die kräftigen, gedrungenen Gestalten, aufgeschürzt bis über das Knie, festen Schrittes ihren unsere Waldstraße kreuzenden Pfad. Es sind Harzer „Kulturmädchen“ mit ihrem „Kulturaufseher“, niedersächsischen Stammes, aus Lerbach oder Riefensbeek oder Wolfshagen. Vom Morgen bis zum Abend beschäftigt, die drei- bis fünfjährigen Pflänzchen mit dem Ballen aus dem Saatkamp, dem Tannengarten, auszuheben und auf die von den Stuken gesäuberten Blößen im Abstande von 1,2 bis 1,5 Metern zu versetzen, sind sie nun auf dem Heimwege nach ihrer Waldherberge, jenen Köten dort am Saume der Dickung. Ob wir ihnen einen Augenblick dahin folgen? Im Nu sind die Kiepen abgeworfen, und wenige Augenblicke später prasselt auf dem Herde, der die Mitte der Köte einnimmt, ein lustiges Feuer. Jetzt siedet das Wasser in dem darüber hängenden offenen Kessel, nun werden Brotscheiben hineingeschnitten, etwas Butter, Salz und Kümmel daran gethan, und das einfache Mahl ist bereitet. Zum Kosten eingeladen, folgen wir doch der Warnung der herannahenden Dämmerung und erreichen im[51] beschleunigten Tempo die Stadt.
Die Einrichtung einer Köte oder Bucht, an deren Stelle jetzt vielfach kleine, feststehende Waldhäuschen treten, praktischer wohl und wohnlicher, aber nicht so voll wie jene von der Poesie des Waldzaubers umweht, sehen wir uns ein andres Mal auf einer Hauung an.
Wir treffen es günstig: eine ganze Schar von Waldarbeitern, scharfe Äxte auf der Schulter und auf dem Rücken die große Waldsäge, schreitet gemessenen Schrittes vor uns her. Die neu geflickten und frisch gewaschenen Kittel und Beinkleider aus ungebleichtem Drell, welche mit der mit Seitenklappen versehenen grünen Tuchmütze oder einem beulenreichen Filzhute, dicken Gamaschen und derben Schuhen ihre Kleidung ausmachen, sagen uns, daß sie aus ihrem heimatlichen Dorfe kommen; sie haben in ihrer Familie den Sonntag verlebt und wollen nun heute, am Montag Morgen die am Freitag Abend unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen (Abb. 19). Jetzt nehmen ihre Frauen, die ihnen bis zur Stadt das Geleit gegeben und ihnen in ihrer Kiepe den aus einem nicht enthaarten Kalbfell kunstlos gefertigten Ranzen — den Urahn des modernen Rucksacks — getragen haben, in dem sie außer Pulverhorn und Eisenkeil („Fimmel“) Lebensmittel auf eine Woche mit sich führen, unter Scherzreden Abschied, und schwerer noch bepackt als vorher setzen die Arbeiter ihren Marsch fort. In seinem ruhigen, aber nichtsdestoweniger fördernden Schritt vermag den Holzfäller auch der jetzt leise niedertröpfelnde Regen nicht zu beirren: er schlägt nur die alte Pferdedecke, die ihm im Walde als Bettdecke zu dienen bestimmt ist, als Regenmantel um sich und seine blanken Werkzeuge.
Nun sind sie auf ihrer Arbeitsstätte angekommen, und in ruhiger Geschäftigkeit tritt jeder an seinen Platz. In taktmäßigem Strich frißt sich die breite, schwanke Säge in den dicken Stamm ein, bis die Waldriesen krachend niederstürzen, dröhnend fallen die Axthiebe auf das Holz, wuchtig treibt das Fäustel den spaltenden Keil ein, dazwischen hallt von drüben Schuß auf Schuß dumpf herüber, wo die Stuken, die anders nicht zu bewältigen sind, mit Pulver gesprengt werden. — An jenem vor dem Winde etwas geschützten Rande der Hauung, da wo das Feuer qualmt, steht die Köte, mit deren Erbauung die Arbeit begonnen[52] hat. Viel Kunst und Mühe hat sie nicht erfordert: junge, armdicke Fichten sind in Kreisform in den Boden geschlagen, oben zu einem Kegel zusammengebogen, außen mit großen Stücken Baumrinde bekleidet und innen in den Zwischenräumen mit Moos verstopft. Eine niedrige, verschließbare Öffnung mit kleinem Überbau dient als Thür und Fenster. In der Mitte der Bucht sind Steine zu einem Feuerherde zusammengelegt, und rings um diesen, dicht an der Außenwand, breite, niedrige Bänke angebracht. Mit Tannhecke, Heidekraut und einigen Moossäcken überdeckt, dienen sie zugleich als Schlafstätten. Hier um das knackende und prasselnde Feuer, dessen Rauch vergeblich zu entweichen sich bemüht, lagern sich am Abend die ermüdeten Arbeiter, bereiten sich ihre beliebte Scheibensuppe und schließen ihr Mahl mit einem Stück Brot nebst Wurst und einem Schluck Branntwein. Dann wird das Feuer noch einmal geschürt, die Thür verschlossen, und bald verkünden nur noch die Atemzüge der Schlafenden, daß die Waldeinsamkeit nicht völlig ausgestorben ist.
Während die Waldarbeiter wenigstens einmal wöchentlich mit ihrer Familie unter einem Dache weilen, sehen die Köhler ihr Dorf im ganzen Sommerhalbjahre nur bei besonderem, hochwichtigen Anlasse, denn die Meiler brennen am Sonntage wie in der Woche, und wenn der eine „ausgeladen“ wird, stehen andre schon wieder im Brande. Aber einmal wöchentlich macht sich die Frau des Köhlers mit der Kiepe auf, um diesen mit Brot und „Zubrot“ und andern Vorräten zu versorgen.
Einem Köhlermeister bei seiner Arbeit zuzuschauen, ist indes heutzutage nicht so gar leicht. Seit Heran- und Heraufführung der Eisenbahnen auf den Harz und der dadurch ermöglichten Verwendung der Steinkohle ist nämlich die Holzkohlenproduktion für die Hütten um 97% zurückgegangen; und Köhlerei im größeren Umfange wird eigentlich nur noch getrieben, wenn ein bedeutender Wind- oder Schneebruch diese rasche Verwertung des Holzes fordert.
Da im „Kohlhai“ eines Meisters gewöhnlich
vier bis sechs Meiler gleichzeitig,
und zwar in den verschiedenen Stadien
der Entwickelung, im Gange sind, so belehrt
schon ein Besuch über alle Arbeiten[53]
des Köhlergeschäftes. Hier sehen wir dem
„Richten“, dem Aufbau eines Meilers zu.
Um die beiden Quandelpfähle im Mittelpunkte
der kreisförmigen Kohlstätte werden
die glattgehauenen Rundhölzer so
dicht als möglich fast senkrecht herum- und
schichtweise aufeinandergestellt, daß zwischen
jenen Pfählen ein senkrecht bis auf den
Boden reichendes Luftschächtchen bleibt,
in das in der Richtung des Halbmessers
am Boden ein wagerechter Luftkanal eintritt.
Dort sind die Gehilfen dabei, einen
fertig gerichteten Meiler, einen Kugelabschnitt
von 3 Meter Höhe, so fest erbaut,
daß man ihn ohne Gefahr besteigen kann,
mit Tannhecke und Rasen zu „bedecken“
und mit einem Gemenge von Erde und
Kohlengestübbe zu „bewerfen“. Wenn sie
fertig sind, wird der Köhler den Meiler
mittels eines zusammengelegten und mit Harz
gefüllten Stückes trockener
Baumrinde, das
er mit der Steckrute
durch den Luftkanal
bis zu den am Fuße
der Quandelstangen
aufgehäuften Spänen
und Reisern schiebt,
anzünden. Mehrere
Meiler stehen bereits
im Brande; der eine
raucht weißgrau, er
ist erst vorgestern angezündet,
der andre
blau an allen Seiten,
„die Kohlen garen“
bereits. Das „Regieren“
des Feuers ist
das Meisterstück des
Köhlers, bei dem er
seine ganze Kunst und
Erfahrung zeigen
kann. Bald muß er
die Windschauer umstellen
und auf der vom
Winde abgekehrten
Seite — denn das
Feuer brennt stets
diesem entgegen —
„Räume“ (Zuglöcher)
mit dem Raumpfahle
an richtiger Stelle anbringen;
bald Ritzen
und Borsten im Bewurf
— denn das Feuer ist stets bestrebt,
die Decke zu durchbrechen — mit der Klopfstange
beseitigen, oder gar faustgroße „Reißlöcher“,
deren blauer Rauch ihn warnend
herbeiruft, mit einem Rasenstück heilen.
So hat er Tag und Nacht keine Ruhe und
muß diese wie der Schiffer in bestimmte
Wachen teilen. — Ein aufregender Genuß
ist es, am Abend dem Füllen der brennenden
Meiler zuzusehen: im Widerschein der
hell aufleuchtenden Kohlenglut hantieren
die rußigen Gestalten, vom Rauch umwirbelt,
hastig an und auf dem oben geöffneten
Meiler. So viel dieser nämlich
am Tage herunter brennt, um so viel muß
er eine Woche hindurch jeden Abend wieder
mit Holz gefüllt werden. Der Köhler legt
den „Steg“, einen dicken, langen Knüppel
mit eingehauenen Stufen, am Meiler hinauf,
besteigt ihn, schaufelt Bewurf und[54]
Decke von der eingesunkenen Haube, stößt
mit der Füllstange die Kohlen nieder, treibt
das Holz, das ihm die Gehilfen zureichen,
mit dem Wehrhammer ein und schützt die
Haube wieder durch Decke und neuen Bewurf:
alles in größter Eile, denn je länger der
Meiler offen brennt, um so mehr Kohlen
werden zu Asche. — Wenn die Verkohlung
beendet ist, so „eimert“ sich der Meiler,
d. h. der ganze Erdbewurf wird glühend,
— ein schauerlich-schöner Anblick in dunkler
Nacht.
Die Köhlerbucht ist der Waldarbeiterköte gleich, nur ist sie durch einige Schränkchen und Vorratskasten mehr für dauernden Aufenthalt eingerichtet, und da die Zeltgenossenschaft weniger Köpfe zählt, so können sich alle, der Meister zur Rechten, die Gehilfen zur Linken und die Buben oder Haijungen im Hintergrunde, etwas wohnlicher einrichten. Die Hillebille (von hille d. i. rasch und Bell d. i. Glocke), ein zwischen zwei Bäumen in der Schwebe hängendes Buchenbrett mit hölzernem Hammer, mit dem sie ehemals die Kameraden von den entfernten Meilern zu Tisch und im Notfall alle Berufsgenossen aus beträchtlicher Entfernung mittels althergebrachter Signale herbeirufen konnten, findet sich heute wohl kaum noch bei einer Köte.
Mit den Tieren des Waldes lebt der Köhler, dessen Einsamkeit gewöhnlich ein zottiger Hund teilt, in bester Freundschaft: friedlich spielt das scheue Reh in seiner Nähe, und unbedenklich trabt der vorsichtige Hirsch durch den Meilerrauch.
Im übrigen legt der edle Hirsch (Abb. 20) seine Scheu nur im Winter auf den Futterplätzen ab, die für ihn bei den Förstereien, doch auch beim Waldhäuschen am Fortuner Teich, beim Johanneser Kurhause und andernorts eingerichtet sind. Pünktlich wie die Uhr und nach und nach mit größerem Vertrauen stellen sich die Tiere einzeln und in Rudeln ein und sättigen sich an dem duftigen Heu, das ihnen in hölzernen Raufen dargeboten wird. Verstohlen äugen sie dabei zu uns herüber, jeden Augenblick bereit, wenn wir uns verdächtig zeigen sollten, mit einem kühnen[55] Satze den schützenden Wald zu gewinnen. Eine neue Schar hungernder Tiere trifft ein. Sie kommen zum ersten Mal, aus weiter Ferne. Den mageren Leib noch zwischen den jungen Fichten bergend, schauen sie bald verlangend auf die gefüllten Raufen, bald ängstlich auf die gefürchteten Menschen. Jetzt tritt hier und da ein Tier vorsichtig einen Schritt vor, die knuspernden, hier schon heimischen Gefährten machen ihnen Mut, ein Alttier, weniger argwöhnisch als die Kälbchen, wagt sich heran, und nun eilt plötzlich das ganze Rudel herbei und umdrängt die wohlthätigen Futterstände. — Ohne diese Futterplätze würde der größte Teil des reichen Wildbestandes während der Schonzeit eingehen, denn Rindenstückchen und Fichtenspitzen können auf die Dauer nicht als Nahrung genügen, und durch das „Plätzen“ (Scharren) vermag das hungernde Wild bei anhaltendem Winter Gräser und Heidekraut selbst an den Quellen nicht mehr freizulegen. Aber trotz der ausgiebigsten Fütterung fällt nicht nur manches verwaiste Kälbchen, sondern auch manches stattliche Tier dem Oberharzer Winter alljährlich zum Opfer. Auf der hohen Schneelage, die sich bei mildem Wetter gesetzt hat, bildet wieder einfallender Frost eine harte Eiskruste, und diese reibt den Tieren binnen kurzem die Läufe wund und blutig. Langsam, das edle Haupt gesenkt, ein Bild des Elendes, zieht das kranke Wild seinen Weg, den es sonst im Fluge zu durcheilen gewohnt war; seine Kraft reicht kaum noch hin, die kranken, mit eiternden Wunden bedeckten Läufe aus dem harten Schnee, in den sie bei jedem Schritte tief einsinken, emporzuziehen; es kann den Futterplatz nicht mehr erreichen, verlassen und hilflos geht es an Entkräftung zu Grunde und wird eine Beute der Füchse.
Die Wasser der Klausthaler Hochebene fließen der Söse, der Innerste und der Oker zu. Die Söse entspringt als große und kleine Söse am jähen Abfall des Bruchberges unter den Söseklippen in der Nähe des Dammhauses. In raschen Sprüngen (Gefälle 1 : 14) eilt sie in ihrem tiefen, engen Thale bis Kamschlacken (410 Meter), wird hier etwas ruhiger und tritt beim Scherenberge oberhalb Osterode mit einem Gefälle von 1 : 60 in das Land. Von besonderer Schönheit ist ihr Thal von Kamschlacken über Riefensbeek bis zur Limpicher Brücke.
Wo die Söse bei ihrem Austritt aus dem eigentlichen Gebirge den Lerbach aufnimmt, an dem sich, eng und tief zwischen die Berge eingeklemmt, das gleichnamige große Eisenhütten- und Waldarbeiterdorf stundenweit bis unter die Kuckholzklippe und den Heiligenstock hinaufzieht, liegt hart zwischen dem Harze und einem Hügelzuge freundlich die wichtige Fabrikstadt Osterode (Abb. 22). Im Jahre 1130 zuerst erwähnt, erhielt der Ort zwischen 1218 und 1223 vom Pfalzgrafen Heinrich Stadtgerechtsame und trat im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts — wo die Stadt, sonst auf Ackerbau und Handel angewiesen, Mittelpunkt einer bedeutenden Eisenindustrie ward — in den Bund der Hansa. Doch war die Blüte nur von kurzer Dauer. Daß ihr Handel und Wandel mehrfach vom räuberischen Adel der Nachbarschaft und von gemeinen „Räubern und Strodern (dies ist das deutsche Wort für Vagabund) auf dem Harze“ geschädigt ward, war nicht das Schlimmste. Der übermütige, trotzige Sinn ihrer Bürgerschaft verwickelte sie in Fehden, deren eine ihr gar die Reichsacht zuzog, und die langjährigen Zwistigkeiten jener mit dem Rate gediehen im Jahre 1510 zu offenem Aufruhr und grauenhaftem Morde: die Bürger stürzten ihren Bürgermeister Freienhagen vom Rathause in die Spieße der untenstehenden, die seine Leiche schmählich in Stücke hieben. Zu diesen das Gemeinwesen schwer schädigenden Vorgängen gesellten sich Verheerungen durch Brand und Seuchen: am 1. September 1545 ward die ganze Stadt bis auf 46 Häuser und die Vorstädte ein Raub der Flammen, und in die Zeit von 1566 bis 1625 fallen sechs schwere Pestjahre. — Die Schrecken des dreißigjährigen Krieges, Brandschatzungen durch Braunschweiger, Kaiserliche und Schweden, Belästigung durch die sogenannten Harzschützen brachten die Stadt an den Rand des Verderbens. Die schwerste Heimsuchung knüpft sich an den Namen Merode. Vom 17. bis 22. Oktober 1631 legte sich dieser Pappenheimische General mit acht Regimentern vor die Stadt, forderte 40000 Thaler Kontribution und ließ, als diese Summe nicht gezahlt werden konnte, sofort seine Geschütze und Mörser spielen, auch die nicht geschützten Vorstädte zum schreckenden Beispiel „gänzlich ruinieren und ausplündern“. Vergebens bat der Rat „um Christi Blutes und Todes willen“ fußfällig um Gnade, vergebens versuchten die Schulknaben und Mägdlein den harten Kriegsmann milde zu stimmen, vergebens war die Bitte der Bürger, mit Weib und Kind unter Zurücklassung aller Habe die Stadt verlassen zu dürfen. Die Kirchen wurden erbrochen, das Regierungsgebäude ausgeraubt, den Bürgern Wollen- und Leinentuch und andre Ware, auch Pferd und Wagen genommen, und Merode selbst nahm alles vorhandene Geld, Gold und Silber als Abzahlung, für den Rest hafteten die Geiseln, die er mit sich führte.
Nach jenem verderblichen Kriege hat sich die Stadt in stetiger und ruhiger Entwickelung zu einer der ersten Fabrikstädte des Harzes emporgeschwungen (7100 Einw.).
Unter der aus Flußkieseln erbauten
Marktkirche ist die Fürstengruft der letzten
Herzöge von Grubenhagen, deren Stamm
1596 mit Philipp II. erlosch, und ihrer
Gemahlinnen. Das älteste Gebäude ist die
mit der zwei Meter höher gelegenen Schloßkirche
verbundene sehr starke viereckige Wegsklause.
Eine malerische Gruppe bildet vor
dem Johannisthore die Ruine der landesherrlichen
Burg mit ihren in Gärten umgewandelten
Gräben und der wie jene aus
Flußkieseln in Gips erbauten Johanniskirche
an ihrem Fuße. Wohl von den
Grafen von Catlenburg vor 1130 erbaut,
ging sie 1143 an deren Erben Heinrich
den Löwen über und diente noch bis 1512
als Witwensitz der grubenhagenschen Herzoginnen.
Jetzt wohnt in dem epheuumrankten,
zur Hälfte abgespaltenen mächtigen[57]
[58]
runden Turme nur noch die holde
„Osterjungfrau“, die Wohlthäterin der
Armen.
Die Söse, welche in der Stadt das große Kornmagazin bespült, aus dem die oberharzischen Bergleute ihr „Herrenkorn“ zu billigem Preise erhalten, folgt gleich den andern Flüssen dieses Harzrandes erst noch eine längere Strecke dem Gebirge in nördlicher Richtung; erst zwischen Badenhausen und Eisdorf gelingt es ihr, angesichts der Ruinen der Hindenburg und des Lichtensteins durch eine Lücke im Gipszuge nach Süden zu entschlüpfen, um sich dann, bei Dorste sich westlich wendend, bei Elvershausen in die Ruhme zu ergießen.
Die Innerste, der zweite und wichtigste Fluß der Klausthaler Hochebene, hat ihre Quelle in dem auf alten Karten Innerstesprung genannten Entensumpfe, unfern des Dorotheer Zechenhauses, verstärkt sich durch die Abflüsse der großen Bergwerksteiche, von denen der Bärenbrucher, der Pixheier, der Schwarzenbacher, der Ziegenberger und der Große Sumpfteich bei Buntenbock die bedeutendsten sind, sammelt ihre Wasser in dem schön gelegenen, 477000 Kubikmeter fassenden Prinzenteiche bei der Ziegelhütte und schlägt in einem von hier ab deutlich ausgeprägten Thale nördliche Richtung ein. Wo ihr der Zellbach die Wasser von 19 Teichen von rechts zuführt, wirbelt die Klausthaler oder Frankenscharner Silberhütte ihre Rauchwolken verwüstend in die Luft.
Wenn wir uns einer im Walde oder in der Nähe desselben belegenen Silberhütte, nicht bloß der Klausthaler, nähern, so fällt es uns auf, daß die Fichten an den Berghängen statt des normalen Grün ein eigentümliches Blaugrau oder ein schmutziges Dunkelgrün, oder häufiger noch ein ganz helles Gelbgrün zeigen. Und treten wir, um ihn näher zu betrachten, an einen solchen Baum heran, so finden wir neben normalgrünen fahle, mißfarbige, gelb-, trocken-, rotspitzige und ganz rote Nadeln; je näher wir der Hütte kommen, desto mehr nimmt diese Entfärbung von Grün in Rot zu, und da die roten Nadeln meist abfallen, so überzieht eine hohe, lose Nadelschicht den Waldboden, die Bäume werden fast kahl, die Äste und bei jüngeren Bäumen auch der Stamm dunkel bis kohlschwarz, die Äste trocken, die Kronen licht, und noch ehe wir die Hütte erreichen, endet der Wald mit weit auseinanderstehenden, ganz dünn benadelten Baumkrüppeln, die aussichtslos den letzten Kampf um ihr Leben kämpfen.
In unmittelbarer Nähe der Hütte aber wächst weder Baum noch Strauch noch Grashalm. Diese Rauchblöße der Klausthaler Hütte umfaßt 200 Hektar früheren Waldboden gegen 10 Hektar im Jahre 1750. Daran schließen sich aber noch 180 Hektar stark beschädigte Bestände mit spärlicher Heide und kümmerlichem Grase. Wie von dem völlig vegetationslosen Blößenterrain, dessen zusammenhaltende Grasnarbe längst weggeräuchert ist, der Boden bis[59] auf den letzten Rest von den Regengüssen abgespült wird, so daß demnächst nur der nackte Fels erhalten bleibt; so werden die jetzt lückigen Bestände allmählich in vollständige Blößen übergehen und die mäßig und schwach geschädigten nacheinander lückig werden. Aber da die klimatischen Verhältnisse und die Terrainbildung dieselben bleiben, so wird wenigstens das Gesamtschädigungsgebiet sich schwerlich noch vergrößern.
Was den Wald vergiftet und tötet, ist nicht etwa der metallische Flugstaub, den die Hütten im Hüttenrauch in die Luft senden. Der schadet wohl dem Rindvieh, das in der Nähe der Hütten weidet — der zuweilen tödliche „Kopfjammer“ ist eine Bleivergiftung; der ruft auch bei Hirschen, die dort äsen, die abnormen Geweihbildungen hervor, die wir in den Harzer Forsthäusern mit Verwunderung betrachten; und die halbgelähmten Drosseln und Finken, die wir im Herbste kraftlos von einem Steinhaufen an der Chaussee zum andern flattern sehen, haben sich an den mit feinem Bleistaub bedeckten, verlockenden Vogelbeeren den Tod geholt. Aber das Gift, das den Pflanzen durch den Hüttenrauch zugeführt wird, ist die schweflige Säure. Wie die Chausseebäume bei Silbernaal zeigen, ist die schädliche Wirkung dieser Säure bei den Laubbäumen bedeutend geringer als bei den Nadelbäumen, denn während das im Rauch erkrankte Laubblatt bald durch ein gesundes ersetzt wird, summiert sich in den Nadeln die Schädigung für mehrere Jahre. Nach den gemachten Erfahrungen und angestellten Versuchen sind die Eiche und die Ahornarten am widerstandsfähigsten, und nur mit dem Eichenniederwalde kann der Verwüstung mit Erfolg Halt geboten und dann vom Bestandesrande aus auch den Rauchblößen schrittweise wieder Terrain abgerungen werden.
Ehe wir in die Hüttengebäude eintreten, werfen wir einen kurzen Blick in die oberhalb des Hüttenbahnhofes terrassenförmig aufsteigende Aufbereitungsanstalt, die größte der Welt. Oben beim Ottiliäschacht beginnend,[60] wo bis vor kurzem die mit Erz gefüllten Eisenkästen unmittelbar aus den Schiffen 400 Meter hoch gehoben und gestürzt wurden und jetzt die Wagen der elektrischen Bahn, welche die Erze des Burgstätterzuges herzuführt, entladen werden, nehmen wir die entsetzlich prasselnden Steinbrecher und weiter die Walzwerke (zur Zertrümmerung) und Trommeln (zur „Klassierung“, Sonderung nach dem spezifischen Gewicht) in Augenschein, durchwandern die Sortierhäuser, wo das Klauberz durch der Pochknaben flinke Hand in Bleiglanz, Blende, Kupfer- und Schwefelkies, „Pocherz“ und „Berg“ geschieden wird, die Pochwerke, wo 176 je 180 Kilogramm schwere eiserne Stempel mit ihrem stählernen „Schuh“ die Erze in Tiegeln aus Hartguß unter so entsetzlichem Lärme zerschmettern, daß man auch den lautschreienden Nachbar kaum versteht, sehen dann Stoßherd, Setzmaschine und Kehrrad arbeiten und treten durch die Schlammwäsche wieder ins Freie.
Auch auf der Hütte steigen wir zunächst in die oberen Räume, sehen hier die Schliechvorräte der einzelnen Gruben lagern und abwägen, dann nieder steigend auf der „Gicht“ die Beschickung der Öfen (Schliech, Niederschlagsmaterial, Flußmittel) und im Hüttengebäude selbst von den von den bläulichen Flammen umzuckten und umspielten Öfen die glühenden Metallmassen zischend und wieder aufwallend in die kesselartigen Vertiefungen strömen, die Kruste des Bleisteins herausheben und das Werkblei in lange, schmale Formen füllen und nehmen zum Schluß, mit dem Silberblick auf Lautenthal vertröstet, auf dem Hüttenhofe die Röstung des Bleisteins, die jenen die Vegetation zerstörenden Hüttenrauch hinaussendet, in Augenschein (Abb. 21).
Weiter der Innerste folgend, gelangen
wir unterhalb des „Silbernaals“ an die[61]
[62]
Stelle, wo der Fluß einen Teil seiner
Wasser den Gruben bei Grund durch den
den Bauersberg durchsetzenden Schultestollen
zusendet.
In ein nach oben sich verzweigendes, aber nur nach dem Lande zu offenes Thal eng und geschützt eingebettet, ist die Bergstadt Grund (Abb. 24) der älteste der oberharzischen Kurorte, übt aber, nur durch einen rings umher laufenden, meist stark ansteigenden grünen Wiesenstreifen vom frischen Laub- und Nadelwald getrennt, durch die Anmut seiner Lage und die Schönheit seiner Umgebung noch immer seine alte Anziehung aus. Obwohl nur etwa 300 Meter hoch und fast am Rande des Oberharzes gelegen, erhält es durch die einschließenden Berge, namentlich durch den fast jäh aufsteigenden Iberg (das ist Eibenberg) wirklichen Gebirgscharakter. Unsern Weg zu diesem 562 Meter hohen Korallenriff nehmen wir über den Hübichenstein und die Tropfsteinhöhle. Jener ist der 40 Meter hohe feinkörnige Kalksteindoppelfelsen, unter dem der wohlthätige Zwergkönig Hübich, der verzwergte Wuotan, seine reichen Schätze bewacht; diese enthält eine ganze Reihe schöner Gebilde, von denen der „versteinerte Wasserfall“ am überzeugendsten wirkt; in der Nähe seines Einganges steht die einzig übriggebliebene Gruppe alter Eiben (Taxus), von denen der Berg seinen Namen hat. Von der Plattform des die hohen Buchen überragenden Holzturmes überblickt man einen Teil des westlichen Oberharzes, vor allem aber über das zu den Füßen „im Grunde“ liegende Städtchen hinaus die welligen Hügellandschaften bis zum Turmberge bei Hackenstedt und Griesberge bei Almstedt im Norden und den die Kahle Zelle bei Grünenplan überragenden Wesergebirgen im Westen und dem Herkules und Meißner und den Thüringer Bergen im Süden.
Ein bequemer Abstieg führt uns über den „Schweinebraten“ zurück in das sich immer tiefer einschneidende Innerstethal. In eine halbkreisförmige Krümmung desselben und in das hier mündende Spiegelthal liegt Wildemann (Abb. 23), die kleinste der sieben Bergstädte, hart eingeklemmt. Die Berge steigen unmittelbar hinter den Häusern so steil an, daß das duftige Heu der Bergwiesen nur in „Säumen“ auf dem Rücken von den Frauen eingeschafft werden kann, und daß vor einigen Jahren ein Riß am Berge eine Häuserreihe in die Innerste zu schieben drohte. Bei der Linde vor dem Rathause, die nach der Inschrift der wilde Mann höchst eigenhändig gepflanzt hat, erinnern wir uns daran, daß der zum Sinnbild des Harzes gewordene Wildemann, der die Moosweibchen (die Wolken) jagt, mit dem Sturmgott Wuotan, dem wilden Jäger, identisch ist.
Da die Innerste das Gebirge in „widersinniger“ Richtung zerreißt, so bietet ihr in seinen Windungen so abwechselungsvolles Thal neben dem Flußbett kaum Platz für die Fahrstraße, schon die Eisenbahn hat sich durch und in die Felsen graben müssen. So sind denn auch Siedelungen an ihr, selbst die Zechen- und Forsthäuser und Sägemühlen, nur da möglich gewesen, wo durch Einmündung eines Baches eine Thalerweiterung entsteht. Die Berge um Lautenthal (Abb. 25) sind noch höher als bei Wildemann, aber die nur noch 300 Meter — 125 Meter tiefer als diese — belegene Stadt konnte sich etwas behäbiger ausbreiten: die Straßen ziehen sich im Thale der Laute und auf einem mählich steigenden Berghange auf dem rechten Ufer ziemlich weit hinauf. Von der Höhe über der „Prinzeß Karoline“, die der schöne Fußweg über die Schildauköte nach Seesen erklettert, hat man einen großartig schönen Blick auf die Stadt.
Bei Langelsheim, wo — wie in Lautenthal — eine Silberhütte dampft, tritt der Fluß durch eine majestätische Gebirgspforte in das Vorland. Bei niedrigem Wasserstande erscheint sein Wasser schon hier fast durchsichtig; der giftiges Bleioxyd führende Pochsand hat sich im kiesigen Flußbett nach und nach niedergeschlagen. Rührt aber Hochwasser diese Schlammmassen auf und reißt sie brausend mit fort, dann ist die Innerste eine graue, dicke Flüssigkeit, und wo sie über ihre Ufer steigt, lagert sie unglaubliche Mengen des feinen Pochsandes auf Wiesen und Äcker im unteren Innerstethal ab.
Auf ihrem linken Ufer eilt der Innerste das Flüßchen Neile zu, die das Schlachtfeld von Lutter und die Heimat des sagenhaften „Thedel von Wallmoden Unverfehrt“ bespült.
Längeren Laufes und wasserreicher als die Neile, die bei der Darmpfuhlsmühle mündet, ist die Nette, welche der Innerste alle Wasser zuführt, die von dem hohen Bergzuge auf dem linken Ufer dieses Flusses bei Wildemann nach Westen rinnen. Am höchsten greift der Pandelbach, die alte Grenze zwischen Engern und Ostfalen, zwischen Mainz und Hildesheim, hinauf; seine Quelle liegt an dem allen Harzwanderern bekannten „Keller“, einem haustief in das bröcklige Gestein steil eingeschnittenen schmalen Hohlwege, auf dem einst den Walkenrieder Hütten im oberen Nettethal die Rammelsbergschen Erze zugeführt wurden. Welch ein beschwerlicher Umweg! Aber die Gegend zwischen Langelsheim und Hahausen war ehemals — und noch zur Zeit der Schlacht bei Lutter — ein unpassierbarer Sumpf.
Bei Münchehof (das ist Hof der Walkenrieder Mönche) tritt der Pandelbach, in dessen klaren Wassern das üppige Buchengrün flimmernd sich spiegelt, aus dem Oberharze heraus. Gleich darauf bespült der verstärkte Bach das alte, aber außen und innen modernisierte Schloß Kirchberg, das mit seinem Burggraben und seinem von prächtigen Baumgruppen begrenzten Schloßteiche sich von dem fruchtbaren Gefilde gar ausdrucksvoll abhebt. Nach ihm benannten sich Heinrichs des Jüngeren legitimierter Sohn Heinrich Theuerdank und dessen Mutter Eva von Trott.
Die nicht bedeutenden Ruinen der Staufenburg — namentlich ein dicht von Epheu umwobener zerspaltener Turm und Reste des Eingangsthores, vor dem eine mächtige Linde von hohem Alter steht — finden sich auf einem Kegel, der aus dem buchenbestandenen Muschelkalkzuge, der den Oberharz im Westen in geringem Abstande begleitet, wenig auffällig hervorragt. Hervorragende Bedeutung für die Kulturgeschichte des Oberharzes erhielt die Burg, als 1505 hier die Herzogin Elisabeth von[64] Braunschweig-Wolfenbüttel ihren Witwensitz nahm und dem Bergbau ihre ganze Liebe zuwandte. Um sich an der sich mehr und mehr ausdehnenden Montanindustrie zu erfreuen, besuchte sie gar oft persönlich den rasch aufblühenden Ort „im Grunde“, dessen Kapelle sie zur Pfarrkirche erhob. In ihre Fußstapfen trat 1521 ihr Großsohn und Erbe, Herzog Heinrich der Jüngere. Mochte ihn vielfach auch die Sehnsucht nach seiner geliebten Eva, an deren Statt er eine ausgestopfte Puppe nach fein gespielter Todeskomödie mit Sang und Klang in Gandersheim hatte begraben lassen, nach der Staufenburg ziehen, wo sie in stillster Einsamkeit, mehr einer Gefangenen als einer fürstlichen Geliebten ähnlich, ihre Jugendjahre verlebte; so besuchte er doch auch später, als er 1541 Eva mit ihren Kindern nach der festeren Liebenburg geschickt hatte, häufig die Staufenburg, um von hier aus seine neu entstandenen Bergstädte Zellerfeld und Wildemann, deren Gruben und Hütten in Augenschein zu nehmen. — Von seinen Nachfolgern aber hat keiner auf der verschwiegenen Burg auch nur vorübergehend residiert. So verfiel sie nach und nach, und 1778 fand man den Aufenthalt in dem alten Gemäuer selbst für die Gefangenen und deren Wärter zu lebensgefährlich.
Die Nette, welcher der Pandelbach und mehrere andre größere und zahlreiche kleine Bäche ihr Wasser zuführen, entspringt am Netteberge bei Herrhausen. Ihr Gebiet führt — sogar noch im Volksmunde — den Namen Ambergau.
Von rechts nimmt die Nette die aus dem Oberharze kommende Schildau auf. Der Weg von der Schildauköte am Fuße des Schildberges, der die unbedeutenden Ruinen einer vom Grafen Hermann von Winzenburg um 1148 erbauten Burg trägt, auf dem „Forellenstieg“ an dem schäumenden Flüßchen hinunter über den „Grünen Jäger“ nach Seesen gehört zu den schönsten im ganzen Harze.
Seesen, in den Friedensverhandlungen zwischen Heinrich dem Zänker und den sächsischen Großen 984 zuerst erwähnt, hat erst nach Anlage der Eisenbahnen, die von ihm strahlenförmig nach fünf Seiten laufen, kräftigen Aufschwung genommen und weniger begünstigte Städte raschen Schrittes überholt. Unter den wenigen alten Häusern, welche die häufigen Feuersbrünste überstanden haben, ist außer dem früheren Schlosse kaum ein architektonisch bedeutsames.
Obwohl Seesen in einer Höhe von nur 219 Meter am Rande des Oberharzes liegt, fühlt und glaubt man sich hier[65] mitten im Gebirge, denn die Höhen, welche den Ambergau im Westen begrenzen, und die Berge, welche von Hahausen das rechte Netteufer begleiten, erscheinen dem Auge fast von gleicher Höhe wie der eigentliche Harz. Mit besonderem Wohlgefallen aber ruht es auf dem Bergzuge des Heber, dessen helles Laubgrün zu dem gegenüberliegenden dunkeln Harzwalde einen freundlichen Kontrast bildet. Gleich einem verwitterten, halb zertrümmerten Felsen ragt aus den hohen, schlanken Buchen ein altes Gemäuer hervor und überschaut wie ein Herrschersitz den Gau thalauf und -ab. Es ist die Ruine der Burg Woldenstein, der Sage nach die Heimat des vom heiligen Bernward, seinem Verwandten, erzogenen gelehrten Bischofs von Meißen (1066–1106) und eifrigen Bekehrers der Wenden, des vom Papste Hadrian VI. 1523 heilig gesprochenen St. Benno. Aber die Burg ist erst 1295 von den Grafen von Woldenberg erbaut. Ihr Ende fand sie 1519 in der verwüstenden „Stiftsfehde“.
Der Nette folgend, treten wir bei Rhüden, wo aus den oberen Schichten des bunten Sandsteins eine schwache Sole quillt, in die Gegend des erst einige Jahrzehnte alten, aber lohnenden Kalibergbaues ein, der von hier den Nordrand des eigentlichen Harzes im Halbbogen umzieht.
Über die durch ihre geschmackvollen Gußwaren rühmlichst bekannte Wilhelmshütte und die durch Steinbrüche zerwühlte Stätte der Pfalz Königsdahlum gelangen wir nach Bockenem, der anmutig gelegenen, alten Hauptstadt des Ambergaues, die von den Grafen von Woldenberg, deren Wappen sie noch heute führt, schon im Jahre 1300 Stadtgerechtsame erhielt. Nach den großen Feuersbrünsten von 1685 und 1847 arm an altertümlichen Bauwerken, macht doch die vom Flußufer sanft aufsteigende Stadt mit ihren breiten, sauberen Straßen und behäbigen Bürgerhäusern, ihrem geräumigen, mit Linden bepflanzten und von zwei Kirchen begrenzten Marktplatze einen wohlthuenden Eindruck. Weit blickt der mächtige 60 Meter hohe Turm der Pancratii-Kirche, dessen unterer, festungsartiger Teil wohl noch aus der Zeit Ludwigs des Frommen stammen mag, rings in die Lande hinaus. Im Innern des einfach-schönen Gotteshauses, einer dreischiffigen, gotischen Hallenkirche, fallen besonders die sehr alten aus Holz geschnitzten Standbilder der Apostel und der heiligen Jungfrau, welche[66] — lange unter Steingeröll begraben — vom Professor Küsthardt kunstverständig renoviert, das in Formen der Spätrenaissance reich dekorierte messingene Taufgefäß und das von dem aus Bockenem stammenden Maler Nepperschmidt herrührende Wandgemälde „der barmherzige Samariter“ ins Auge. In ihrer Nähe liegt das einzige Fachwerkhaus aus dem sechzehnten Jahrhundert, die alte Generalsuperintendentur; im Winter 1626 diente sie Tilly als Hauptquartier.
Vom Dorfe Werder aus, nach dessen Burg sich das Dynastengeschlecht der Grafen von Werder und später ein Zweig der Woldenberger schrieb, ersteigen wir auf bequemem Waldpfade den Weinberg, der uns bis dahin das Schloß Söder verdeckte. Da, wo die Bockenem-Hildesheimer Chaussee vom Dorfe Nette aus die Höhe des Weinbergs in Schlangenwindungen erklettert, hat man einen großartig schönen Blick über die wellenförmige Bockenemer Ebene auf das Harzgebirge: auf den üppig bewaldeten Muschelkalkzug der Nauer Berge und der Osterköpfe türmen sich terrassenförmig die dunklen oberharzischen Berge von Lautenthal, Goslar und Klausthal auf, und über sie alle schaut aus weitester Ferne der Vater Brocken mit dem Königsberge herüber, oft noch weißgelockt, wenn hier schon alles grünt und blüht, oft auch im Strahl der scheidenden Sonne mit flammenumspieltem Scheitel. Wirkungsvoller als dieser ist kein andrer Blick auf den Harz.
Eine viertelstündige Wanderung durch stattlichen Buchenwald führt uns nach dem Schlosse Söder (Abb. 26). Überraschend schön liegt es inmitten seines herrlichen Parkes mit blinkenden Teichen, prächtigen Baumgruppen und sammetartigen Rasenflächen. Anfang des vorigen Jahrhunderts war dieses Schloß des kunstsinnigen Domherrn Moritz von Brabeck der Sammelpunkt berühmter und hochstehender Personen; von seinen Gästen nenne ich nur C. von Strombeck, den Freiherrn zum Stein, Graff und Iffland, Karoline von Humboldt und Marie Körner; auch die Königin Luise von Preußen war hier im Jahre 1805.
Bildet Söder mit seiner Flur eine stille,[67] liebliche Waldoase, so blickt das Schloß Derneburg (Abb. 27), der Familiensitz des Fürsten Münster, frei ins Land hinaus. Gar wirkungsvoll heben sich die rotbedachten Schloßgebäude mit ihren vielen Türmchen vom dahinter aufsteigenden buchengrünen Donnersberge ab.
Ein noch fahrbares Stück der mittelalterlichen Augsburger Straße benutzend, ersteigen wir von dem Marktflecken Holle aus, der Heimat des Ritters Berthold von Holle, der als der erste in diesem Teile Deutschlands im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts in deutscher (höfischer) Sprache dichtete, den Woldenberg, den alten Herrschersitz dieser Lande weit und breit. Dem weitverzweigten Grafengeschlecht der Woldenberger, dessen Stammvater Ludolf vom Kaiser Lothar ausdrücklich zu den „Fürsten“ gezählt wird, kam zur Zeit der Staufer in den Harzlanden kein andres an Macht und Ansehen gleich; im Besitze vieler Burgen und Schirmvogteien, übten sie den Königsbann in acht Gauen. Die „Seele der kaiserlichen Partei“ in Norddeutschland, haben die Woldenberger ihre Kräfte im Kampfe für die Hohenstaufen verzehrt, und Graf Gerhard, der Letzte des Geschlechts, starb 1383 ziemlich verarmt.
Vorübergehend Residenz des Fürstbischofs, ward der Woldenberg 1641 durch Kaiserliche teilweise zerstört, doch konnte die Burg noch anderthalb Jahrhunderte als Amthaus bewohnt werden, ehe man sie als Steinbruch benutzte. Vor etwa 50 Jahren ist der hohe Bergfried, aus dem oben die Bäume ihre grünen Arme herausstreckten, vor der weiteren Zerstörung geschützt und zu einem herrlichen Aussichtspunkte umgewandelt. Nach allen Seiten reicht der Blick weit über Wald und Land, über fruchtbare Thäler und immer höher sich auftürmendes Gebirge. Überaus anmutig leuchtet im westlichen Vordergrunde das Schloß Henneckenrode (Abb. 28), die Blumsche Waisenstiftung, mit seinen Teichen über das Waldgrün hervor, und nicht weniger herzerquickend ist der Blick auf den mittleren Teil des Ambergaues mit seinen reichen, gesegneten Fluren, seinen schmucken Dörfern, die sich um die einst woldenbergsche Stadt Bockenem gruppieren. Wohl erhalten ist auch das von zwei Türmen flankierte Thorhaus, von denen der eine in Form eines Dreiviertelkreises in den trockenen, in den Fels gebrochenen Burggraben vorspringt und in seinem Obergeschoß ein polygonales, aus Fachwerk gebautes Turmzimmer trägt.
An der Felsschlucht unterhalb des Binnenhofs, die uns den Wahlspruch eines „Drosten“: „Solitudo solo beatitudo!“ nachruft, vorüber, lenken wir unsere Schritte den lauschigen Wald uralter Eichen und Buchen hinab, wie man sie in solcher Schönheit nur selten noch zu sehen bekommt, dem auf scharf abfallendem Felsvorsprunge in stiller Waldeinsamkeit des Hainbergs belegenen St. Hubertus-Jägerhause zu, an dessen Felsenkapelle (Abb. 29) sich die Sage von der Bekehrung des heiligen Hubertus, des Schutzpatrons der Jäger, knüpft. Das von Künstlerhand zu beiden Seiten des Altars in die Felswand gehauene Relief — hier der Hirsch mit dem zum Kruzifix gewordenen Jagdspieß im Geweih, dort auf den Knieen der Jäger mit anbetend erhobenen Händen, hinter ihm der Knappe mit dem Jagdroß, — stammt nach der an der gegenüberliegenden Grottenwand eingehauenen Inschrift aus dem Jahre 1733; älter ist die arg beschädigte und vom Rauch geschwärzte Darstellung am äußeren Felsen, nach welcher der vom Hirsch durch eine Schlucht getrennte Hubertus sein Roß selbst hält.
In etwa einer Viertelstunde erreichen wir vom Jägerhause die „Bodensteiner Klippen“, aus dem üppigen Buchenwalde hoch und steil aufsteigende, kahle Sandfelsen, ähnlich der Teufelsmauer bei Blankenburg und offenbar derselben geognostischen Bildung angehörend. Der Aufstieg auf eine der zugänglich gemachten Klippen gewährt bei guter Beleuchtung der Landschaft hohen Genuß.
Der dritte Fluß der Klausthaler Hochebene, die Oker, das ist reißender Strom, schlägt dieselbe „widersinnige“ Richtung ein wie die Innerste. Sie entspringt beim Okerstein am Westabhange des Bruchberges in 800 Meter Meereshöhe, stürzt bis Altenau 320 Meter in einem Querthale steil herab und vereinigt sich innerhalb der Stadt mit der kleinen Oker, der jetzt Schneid- das ist Grenzwasser genannten Altenah und dem durch den Rotenbach verstärkten Gerlachsbach.
Eine Oase im grünen Waldmeere, liegt
die jüngste Bergstadt Altenau, — fast nur
auf einer Seite von einer blumenreichen
Wiesenflur, die aber einen steilen Berg
darstellt, begrenzt, in die schützenden Thäler
eingesenkt. Prächtige Spaziergänge namentlich
den Dammgraben entlang, der den
Bruchberg in Schlangenwindungen umzieht,
ein herrlicher Blick über den ganzen Westharz
von der Wolfswarte, vor allem aber
der großartig schöne Weg über den Nabenthaler
Wasserfall und an der Steilen Wand
hin nach dem Torfhause fesseln gleichmäßig
den Sommerfrischler wie den Harzwanderer.[69]
[70]
Den Ahrendsberg mit seinen Klippen, einen
Glanzpunkt des Harzes, ersteigen wir am
besten von dem unterhalb der Hütte gelegenen
Gemkenthal auf dem Wege nach
Harzburg.
Sich windend und krümmend zwängt sich die durch das Weißewasser, durch Kellwasser und Kalbe und kleinere muntere Bäche verstärkte Oker nach Norden durch eine enge Spalte festen, weißen Granits. Schäumend umtanzt sie die Granitbrocken, die ihr den Weg versperren möchten; umspielt den Jaspisfelsen der hellschimmernden Birkenburg; finster blickt der Ahrendsberg hernieder; wunderbare Felsgebilde, manche durch eine einzelne Föhre oder durch eine kleine Gruppe dieser „Harzceder“ ausdrucksvoll bezeichnet, schauen von den fichtendunklen Höhen herab, wie der Mönch, der große Kurfürst, die Madonna, Zieten, der schlafende Löwe; großartiger aber noch sind die Granitkolosse am Wege nach Harzburg, die sich nicht in den Vordergrund drängen: die Grotte und die Mausefalle, diese unheimlichen Bauwerke der Natur, die jeden Augenblick zusammenzubrechen drohen, die Hexenküche und die Bastei der „Käste“. Die interessanteste und wildeste Strecke des Okerthals ist die vom Gasthaus Romkerhalle, wo von rechts die Romke mit etwas Nachhilfe in drei Absätzen 65 Meter hoch vom buntgebänderten Felsen springt (Abb. 30), von ferne gesehen einem herabhängenden breiten Silberbande nicht unähnlich, und die zerschäumten, zersprengten und zerstäubten klaren Wasser in dem der buntgemischten, allstündlich sich erneuernden Gesellschaft erfrischende Kühle zuhauchenden Becken zu sammeln sucht, bis abwärts zum Waldhause am Beginn des Goslarschen Fußweges: im frühen Mittelalter führte kein Weg neben dem Flusse herauf, und die später hergestellte gefährliche Fahrstraße hielt sich streckenweise in respektvoller Entfernung; erst um 1860 ist ihr durch Sprengung der Felsen überall Raum neben dem Flußbett geschaffen; großartige neue Bilder erschließt aber der Fußweg durch das bisher unzugängliche Klippengewirr zur Linken, an dem der Harzklub eifrig arbeitet.
An majestätischer Schönheit läßt sich
mit dem Okerthale nur das Bodethal in[71]
[72]
Parallele stellen; wem der Preis gebührt,
ist nicht zu sagen. Sind die Bodefelsen
kühner gestaltet, wilder, schroffer, aber durch
das helle Buchengrün doch gleichsam warm
abgetönt, so wird der Ernst der weniger
jähen, aber immerhin trotzig und mehr in
Einzelgestalten herausspringenden Okerfelsen
durch das düstere Tannengrün der mächtigen
Bergwände, von denen sie sich kräftig abheben,
stimmungsvoll verstärkt: verschieden
wie die Meisterwerke zweier großer Maler,
aber gleich in ihrem bestrickenden Eindruck
auf Sinn und Gemüt.
Auf der 14 Kilometer langen Strecke von Altenau bis zu dem großen Hüttenorte Oker, wo der Fluß in 210 Meter Meereshöhe in das Land tritt, hat er ein Gefälle von 1 : 52.
Zwischen dem Sudmerberg, auf dem eine alte Warte weithin die Straßen überblickt, und dem Petersberge, auf dem oberhalb der Klus, eines vom großen Christoph als Sandkorn aus dem Schuh geschütteten Felsen mit eingehauener Kapelle, die Grundmauern des Petersstiftes bloßgelegt sind, eilt der Innerste die beim Auerhahn entspringende Gose zu, nach der Goslar (Abb. 32) seinen Namen führt.
Die erste Blütezeit dieser Kaiserstadt (die 979 zum erstenmale urkundlich genannt wird) schließt mit dem Ende der Staufer. Ihres Glanzes als Residenz nach und nach entkleidet, gewann sie doch bald unter den Städten der Hansa einen festen, Achtung gebietenden Stand. Von grundlegender Bedeutung war die Erlangung der vollen Selbständigkeit: im Jahre 1290 traten ihr die Grafen von Woldenberg die Reichsvogtei ab: an die Stelle des Woldenbergischen Dienstmannes trat nun der städtische Vogt, an die Stelle der Grafen selbst ein von der Stadt auf bestimmte Jahre gewählte Schutzherr; bald darauf ward auf Grund der von den Kaisern verliehenen Rechte und der alten Weistümer (Gerichtsentscheidungen) das Rechtsbuch entworfen, das als Goslarsches Recht in vielen Städten Eingang fand, so daß der Rat zu Goslar der Oberhof für ein ganzes Land wurde. Mit Geschick und Nachhaltigkeit wußte sie auch den freien Stiftern in und vor ihren Mauern wertvolle Rechte abzugewinnen und sich in den Besitz der vom Bergbau zu zahlenden Vogteigelder zu setzen. Ihren nach Flandern, Wisby und Nowgorod reichenden Handel schützte sie durch ihre Bündnisse mit den benachbarten Städten, durch ihre Freundschaft mit den Bischöfen von Hildesheim und den Herzogen von Braunschweig, durch Erwerbung des Pfandbesitzes der sie einengenden Burgen. Im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts, wo sie Luthers Reformation annahm, hatte Goslar, eine „der acht fürnembsten von allen Erbarn- Frey- und Reichs-Städten“, den zweiten Höhepunkt der Entwickelung und Wohlstandes erreicht. Ihre Befestigungswerke waren verstärkt und Wälle und Türme mit grobem Geschütz reichlich ausgestattet. 40 gottesdienstliche Stätten zeugten vom frommen und wohlthätigen Sinne der Bürger.
Trotz und Übermut gegen ihren Bergherrn knickte die zweite Blüte der Stadt gewaltsam, brach ihre Macht für alle Zeiten. Im Jahre 1235 hatte Friedrich II. dem Herzog Otto dem Kinde den kaiserlichen Bergzehnten und damit das volle Bergregal erblich zu Lehen gegeben, und Ottos Sohn Albrecht als Bergherr 1271 die älteste Bergordnung des Harzes erlassen. 1375 waren dann Zehnten und Berggericht in den Pfandbesitz des Rates der Stadt gekommen, der mehrfach, zuletzt noch 1509, die Pfandsumme erhöhte, um die Einlösung zu erschweren. Der energische Heinrich der Jüngere aber, der eifrige Bergmann im Oberharz, kündigte der Stadt die Pfandschaft und zahlte die mit Hilfe der vermittelnden Städte Magdeburg und Braunschweig auf fast 25000 rheinische Gulden für seine Hälfte festgesetzte Pfandsumme trotz ihres Widerstrebens aus und ließ sich auch von seinem Vetter Philipp von Grubenhagen dessen Hälfte der Pfandschaft abtreten. Da weigerte sich die Stadt, den Herzog als Bergherrn anzuerkennen und seinem Berggericht sich zu fügen, stellte trotzig den ganzen Bergbau ein, ergriff die Waffen gegen den in Riechenberg lagernden Herzog und verwüstete am 22. Juli 1522 alle innerhalb der Landwehr belegenen geistlichen Stiftungen, das berühmte Petersstift, das reiche Kloster Georgenberg und die Kirche des heiligen Grabes. Doch gewann Goslar infolge der Verwickelungen des Herzogs in die großen Händel der Zeit und seiner Gefangennahme in der[73] Schlacht bei Calefeld noch einmal eine kurze Frist. Im Jahre 1552 fand Heinrich endlich Zeit, mit Ernst gegen Goslar vorzugehen. Und so übermütig die Reichsstädter einige Jahrzehnte zuvor gewesen waren, so demütig zogen sie nun nach Riechenberg hinaus und baten um Frieden. In diesem Vertrage zu Riechenberg mußte der Rat mit seinen Zugeständnissen weit über das früher vom Herzog Geforderte hinausgehen, diesen auch zum Erbschutzherrn annehmen und ihm den größten Teil der Forsten abtreten. Mit der Selbständigkeit der Stadt war's für immer vorbei, und der Bergbau am Rammelsberge gehörte fortan den Herzögen von Braunschweig.
Zu Ende des dreißigjährigen Krieges, der auch noch den Handel der im Rückgange begriffenen Stadt lahm legte, war die Kämmerei tief verschuldet und die durch die Pest gezehntete Bürgerschaft entkräftet. Eine verheerende Feuersbrunst von 1728 führte zu weiterer Verarmung, so daß Goethe sie 1777 die vermodernde Reichsstadt und der spätere Minister von Schön, der sie 16 Jahre nach der Feuersbrunst von 1780 sah, die 244 Gebäude in Asche legte, sie „einen sehr kleinen, traurigen, menschenleeren Ort“ mit einem Magistrat von 99 Personen (wobei er die 55 Gildevertreter mitzählt) nennen konnte. Die Käuflichkeit ihrer Justiz war sprichwörtlich, die in hohem Grade verarmte Bürgerschaft wurde vom kleinlichsten Zunft- und Kastengeist beherrscht.
Der Übergang an Preußen im Jahre 1802 legte den ersten Grund zu neuem Aufschwung: die Landstadt Goslar erhielt das bedeutende Vermögen der reichsunmittelbaren Stifter zugewiesen, das die Reichsstadt niemals besessen hatte, und erhielt ein geordnetes Kirchen- und Schulwesen. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts begann dann die Stadt, namentlich nach ihrem Anschluß an das Eisenbahnnetz, sichtbar fröhlich aufzublühen; und wie der wiedererwachte Sinn für Geschichte und Altertumskunde ihr jährlich einen starken Strom wißbegieriger Reisenden zuführt, so veranlaßt ihre schöne und gesunde Lage gar manchen auch zu dauernder Niederlassung. Sie hat jetzt 16400 Einwohner.
Unsern Rundgang durch die Stadt, die uns noch immer ein gut Stück mittelalterlicher Baukunst vorführt, beginnen wir beim Bahnhofe. Zwischen dem „Achtermann“ aus dem Jahre 1500, einem der vier mächtigen Zwinger des Rosenthores, und dem Kloster Neuwerk, dessen malerisch im wohlgepflegten Klostergarten belegene Kirche, eine zweitürmige romanische Pfeilerbasilika mit Querhaus, um das Jahr 1200 erbaut ist, gelangen wir durch die enge Fischmäkerstraße auf den von zwei Seiten durch hochinteressante Häuser eingeschlossenen Marktplatz.
Am wirkungsvollsten ist die 1494 als Gildehaus der Gewandschneider erbaute Wort (jetzt Hotel Kaiser-Wort) mit einem auf konsolenartigem Unterbau vorspringenden achteckigen Mittelturm und vier erkerartigen Ausbauten. Die acht hölzernen — vom Spötter Heinrich Heine mit gebratenen Universitätspedellen verglichenen — aus Holz verfertigten lebensgroßen Figuren, welche in gotischen Nischen zwischen den rechteckigen Fenstern stehen, werden gewöhnlich als acht um Goslar verdiente Kaiser, vom Professor Küsthardt aber als „die acht guten Helden“ angesprochen.
Das Rathaus, in Heines Augen nur „eine weiß angestrichene Wachtstube“, besteht aus einer Gruppe einen kleinen Lichthof einschließender Gebäude aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, deren Frontseite auf einem von achteckigen Pfeilern getragenen Bogengange mit Kreuzgewölbe ruht (Abb. 31). Durch die ehemalige Gerichtslaube betreten wir die „Rathausdiele“, den alten Huldigungssaal; von ihren alten Kronleuchtern trägt einer der aus Hirschgeweihen gefertigten die schöne Inschrift:
Das jetzt Huldigungszimmer genannte Zimmer mit reichem, wertvollem Bilderschmuck an Wand und Decke, welcher die Weissagungen vom Messias im Heidentum durch die Sibyllen, im Judentum durch die Propheten und die durch die Evangelisten bezeugte Menschwerdung Christi zum Grundgedanken[75] hat, wird die alte Ratskapelle sein; es enthält wertvolle Urkunden und Altertümer, darunter ein prachtvolles, mit farbenschönen Miniaturen geziertes Evangelienbuch aus dem dreizehnten Jahrhundert, und in der kleinen Altarconcha, deren Gemälde Christi Leiden und den Heiland als Weltenrichter darstellen, besonders die silberne Bergkanne, eine ausgezeichnete Arbeit aus dem Jahre 1477. — Das wunderlichste Baudenkmal ist das vom Magister Thalling 1521 erbaute Brusttuch, ein Patrizierhaus mit trapezförmiger Grundfläche und völlig windschiefem Dache, Glasmalereien an den gotischen Fenstern und reichem Schnitzwerk — Ornamenten, Figuren und phantastischen Gestalten — an Schwellen, Ständern und Konsolen. Zierlicher und anmutiger ist das 1557 erbaute Bäckergildehaus.
Durch die Breite Straße, die noch hübsche alte Häuser mit Erker und vorgekragtem Obergeschoß und geschnitzten Balkenköpfen aufzuweisen hat, gelangen wir an das Breite Thor mit seinen vier starken Türmen und über den Annenwall mit seinen Teichen und alten Ulmen an dem 1517 erbauten dicken Zwinger, der in seinen sechs Meter starken Mauern drei Reihen Geschütze und 1000 Bewaffnete aufnehmen konnte, vorüber auf das Kaiserbleek. Von dem 1819 für 4515 Mark auf Abbruch verkauften herrlichen Dome ist nur die um 1200 angefügte Vorhalle (Abb. 33) mit dem sogenannten Krodoaltar, einem aus niedersächsischer Gießerei hervorgegangenen tragbaren Altar, und andre von Kaisererinnerungen umwehte Andenken erhalten. Aber das einst zum Schauspielhause entweihte, dann glücklicherweise als Kornmagazin benutzte Kaiserhaus (vergl. Abb. 3), in dessen Thronsaale einst der Sachsen, Salier und Staufer ruhmreicher Schild hing, blickt als ein Wahrzeichen der Einigung unseres Volkes wieder hoch und stolz auf die alte Stadt herab, und wieder prangt in dem 48 Meter langen großartigen Reichssaale der auf vier steinernen Kugeln ruhende metallne Kaiserstuhl, — im Anfange dieses Jahrhunderts[76] für 28 Thaler meistbietend verkauft, hat ihn das Vermächtnis des verewigten Prinzen Karl auf seinen alten Platz zurückgestellt.
Die herrlichen Wandgemälde von der Hand des Professors Wislicenus zu beschreiben, fehlt hier der Raum; ich muß mich auf Andeutung des Grundgedankens beschränken. Das große Mittelbild der Westwand stellt in koloristischer und dekorativer Vollendung und genialer Komposition die Wiedergeburt des Deutschen Reiches im Jahre 1871 dar: Germania mit dem Antlitz der edlen Königin Luise reicht dem siegreich heimkehrenden Kaiser Wilhelm dem Großen am Triumphbogen die Kaiserkrone dar (Abb. 34). Die sechs Hauptbilder derselben Wand, jedes mit zwei Predellen, veranschaulichen sechs Akte eines Dramas, die Geschichte des ersten Kaisertums von Heinrich II. bis Friedrich II.: Heinrich II. wird in der Peterskirche gekrönt, Heinrich III. führt den Papst Gregor VI. gefangen über die Alpen, Heinrich IV. büßt zu Canossa, Friedrich I. demütigt sich vor Heinrich dem Löwen, Friedrich I. siegt bei Ikonium, Friedrich II. empfängt in Palermo eine arabische Gesandtschaft. Die acht Nebenbilder derselben Wand behandeln im engen Anschluß an die Hauptbilder die Geschichte des Kaiserhauses.
Die Gemälde der Südwand, drei größere (Karl der Große zerstört die Irmensäule [Abb. 35], Karls des Großen Sieg über die Sachsen, seine Krönung zu Rom, Wittekinds Taufe) mit drei Predellen bilden den Prolog, die der Vorderwand (Luther zu Worms [Abb. 36], die schmalkaldischen Bundesgenossen empfangen zusammen das heilige Abendmahl, Karl V. in St. Just) den Epilog zum Schmuck der Hauptwand; und die Fensterwand ist Darstellungen aus dem Märchen (Dornröschen) und der Sage (Barbarossa) gewidmet.
Von dem Teil des Kaiserhauses, der die kaiserlichen Wohnräume enthielt, hat nur ein Stück der Grundmauer bloßgelegt werden können, dagegen ist die an sie grenzende, ehemals zur Feldhüterwohnung erniedrigte St. Ulrichskapelle, ein Meisterstück architektonischen Erfindungsgeistes, denn sie bildet unten ein griechisches Kreuz, oben ein Achteck, wieder zu Ehren gebracht, so daß sie dem Herzen und den Eingeweiden des großen Kaisers Heinrich III. eine würdige Ruhestätte gewährt. Dem Kaiserbeet ist jüngst durch[77] die bronzene Reiterstatue Barbarossas (von Toberentz) und das gleichfalls bronzene Standbild Wilhelms des Großen (von Schott) ein prächtiger Schmuck zu teil geworden.
Von den Kirchen erwähne ich nur noch die ehrwürdige Frankenberger Kirche mit ihren wieder aufgefrischten großartigen Wandmalereien; am Aufstieg zu dem bepflanzten Nonnenberge und den in einen hübschen Park umgewandelten Schieferhalden belegen, durch die sich schattige Spazierwege nach dem Gosewasserfall und dem durch eine wundervolle Aussicht lohnenden Steinberge schlängeln, gewährt sie einen wahrhaft malerischen Eindruck.
Von der Klausthaler Hochebene, deren Flüsse uns bislang als Wegweiser gedient haben, wird das „Andreasberger Dreieck“ durch den Bruchberg-Acker abgetrennt. Eine Wanderung den auf dem Kamme des Ackers laufenden Fastweg entlang wird durch die stetig wechselnden Bilder, die sich bald rechts nach Klausthal hin, bald links über Andreasberg auf den Ravensberg und Jagdkopf (Stöberhai) aufthun, zuletzt aber durch den großartigen Fernblick von den ruinenartigen Felsgruppen, welche sich, von Rentier- und isländischer Flechte, von Sumpf- und Moosbeere überwuchert, aus dem Tannendickicht meist nur wenig erheben, der Hanskühnenburg (810 Meter) und den Seilerklippen (750 Meter), reichlich belohnt. Und welchen Genuß gewährt eine Fahrt von der Stieglitzecke (828 Meter), wo unfern des Hammersteins (800 Meter) mit seinem Blick in die schluchtenartigen Seitenthäler jener Fastweg sich abzweigt, auf der Klausthal-Andreasberger Poststraße nach dem als Sommerfrische rühmlichst bekannten Sonnenberge und von hier, links abbiegend, der imponierenden Achtermannshöhe entgegen nach dem waldumschlossenen Oderteiche (Abb. 37) und den Rehbergergraben entlang nach Andreasberg.
Ganz gegen den Charakter des Harzes zeigt sich in dem „Dreieck“ nicht einmal der Ansatz zur Plateaubildung; aus tief eingeschnittenen Thälern steigt man 200 bis 250 Meter hoch auf schmale Bergrücken oder abgerundete Kegel und wieder hinunter in ein schluchtenartiges Thal. Den besten Blick in dies wunderbar zerstückelte[78] Gebiet gewähren die Porphyrkegel des Knollen bei Lauterberg (687 Meter), des Ravensberges (660 Meter) und des Stöberhais (719 Meter). Der Ravensberg heißt nicht mit Unrecht der Brocken des Südharzes. Wohl ist das Panorama hier und auf dem mit ihm zusammenhängenden Stöberhai enger begrenzt, aber es gewinnt dadurch an plastischer Klarheit und Schönheit. Im Norden und Westen umfaßt der Blick den ganzen hohen Harz bis zum Brocken und Acker, im Osten und Süden aber thut sich das Land weit auf bis zum Possen bei Sondershausen und zum Thüringerwalde, bis zu dem Ohmgebirge und dem Göttinger- und Habichtswalde.
Ist regellose Abwechselung von schroffer Bergeshöhe und wildem Thalsturz der Charakter des „Dreiecks“, so macht die Stätte, auf der die Stadt Andreasberg erbaut ist, davon keine Ausnahme; fast jäh schießen ihre Straßen von eng begrenzten Bergkuppen (640 Meter) in das „Unterland“ (520 Meter) hinunter. Aus einem Hause sieht man in zwei Thäler hinunter, ein andres hängt, als wäre es aus Wildemann hierher versetzt, wie ein angeklebtes Schwalbennest an der Bergwand, und ein drittes liegt fast so geschützt zwischen aufsteigenden Höhen, wie manche Stadtteile in Grund oder Altenau. Solche interessanten Gegensätze bietet nur diese einzigartige Stadt (Abb. 38).
Die erste urkundliche Nachricht über Bergbau „am Andreasberge“ ist aus dem Jahre 1487, aber zu rascher Entwickelung gelangte es erst im Jahre 1521, als am Beerberge in einer Klippe ein handbreiter Gang mit Glanzerz und reichhaltigen Nestern Rotgülden erschürft wurde, so daß die Grafen von Hohnstein sich beeilten, für ihr Gebiet die erste Bergfreiheit zu erlassen; Stadtrechte erhielt der Ort anscheinend schon 1535. — In fieberhaftem Eifer drängten sich Gewerken und Bergleute herzu, um des gepriesenen Dorado Schätze zu heben, aber gar bald folgte eine gewaltige Ernüchterung. Wohl wurden 116 Gruben aufgenommen, aber in den acht Jahren 1542 bis 1549 zahlte nur eine einzige Ausbeute, und zwar auch nur einmal einen Thaler auf den Kux. Am Ende des Jahres 1577 waren nur noch 39 Gruben, von denen aber 37 Zubuße erforderten, im Betriebe, und 40 Häuser standen unbewohnt und unverkäuflich; zu Anfang des dreißigjährigen Krieges gingen die beiden letzten Gruben ein, und die Silberhütte ward abgebrochen. Unsäglich war das Elend in der verarmten Stadt. Und doch war ihr noch einmal eine Blütezeit beschieden: in den Jahren 1700 bis 1730 betrug die jährliche Ausbeute durchschnittlich 60000 Mark. Von da aber ging's erst allmählich, dann immer rascher abwärts, zumal 1796 eine Feuersbrunst 249 Wohnhäuser in Asche legte. Doch geht der Bergbau noch heute auf der Grube Samson in vier Schächten mit Vorteil um, und trotz deren bedeutender Teufe gibt es noch viel unverritztes Feld für die Zukunft. Die Silberhütte, welche mit dem Bahnhofe 3¼ Kilometer von der Stadt entfernt liegt, verarbeitet neben den bei Andreasberg gewonnenen namentlich südamerikanische Kauferze. Nicht unbedeutenden Erwerb gewährt den Andreasbergern die Kanarienvogelzucht, mehr Geld aber noch bringen ihnen die Sommerfremden, deren Zahl etwa 5000 jährlich beträgt. Den schönsten Blick auf die Stadt hat man von der Jordanshöhe. Sankt Andreasberg hat 3800 Einwohner.
Die starke Gliederung der Andreasberger Berglandschaft ist gleichsam ein Verdienst der Sieber mit ihren Zuflüssen und des Flußsystems der Oder: durch die Furchen, die sie in das Gelände, dieses in Einzelberge auflösend, gezogen, haben sie die große Mannigfaltigkeit geschaffen, die wir bewundernd betrachten.
Die Oder hat ihre Quellen bereits auf dem Brockenfelde. Nachdem sie ihre Wasser im Oderteiche gesammelt und den größten Teil derselben der Stadt Andreasberg zugesandt hat, um ihn später durch die Sperrlutter zurückzuhalten, rauscht sie zwischen dem Rehberge (894 Meter) und dem Königsberge in starkem Gefälle, bis zur Forstkolonie Oderhaus das unbekannteste der prächtigen Harzthäler bildend, gen Süden, geht unter dem Jagdkopfe in südwestliche Richtung über und verstärkt sich bei Lauterberg (d. i. Lutterberg) durch die Lutter (Abb. 39 u. 40).
Die Burg, unter deren Schutze der gleichnamige Flecken sich bildete, stand auf dem 421 Meter hohen Hausberge, einem schön geformten, mit Buchen bewaldeten Kegel. Zuerst im Jahre 1190 erwähnt,[79] gehörte sie einem Zweige der Grafen von Scharzfeld, den Grafen von Lutterberg, als welfisches Lehen. Der Ort verdankte sein rasches Wachstum dem regen Bergbau, und als dieser erlosch, übernahm 1839 die Kaltwasserheilanstalt des Dr. Ritscher, dem ein Denkmal auf dem Scholm errichtet ist, nachhaltiger die Entwickelung des jetzt 5300 Einwohner zählenden Fleckens; aus den 170 Kurgästen des ersten Jahres sind inzwischen 5000 geworden.
Aber die Umgebung Lauterbergs, das nicht wie Herzberg, Osterode und Seesen am Harzrande liegt, sondern sich so in das Oderthal hineinpreßt, daß es auf drei Seiten hohe Berge hat, ist auch wunderschön. Alle diese Höhen, der Hausberg, der Kummel (601 Meter), der Scholm (572 Meter) bieten prächtige Aussicht, hier ein weithin Berg und Land umfassendes Vollbild, dort gleichsam einen eingerahmten Ausschnitt aus dem großen Gemälde. Über den idyllisch in Buchengrün und Wiesenflor gebetteten Wiesenbeeker Teich (Abb. 41), der seine Wasser der Königshütte liefert, und die Hohe Thür mit ihrem Durchblick auf die ruinenartige zackige Felsgruppe des Römersteins, den Sagen von Riesen und Zwergen umspielen, führt uns der Weg auf den Ravensberg; über den Hassenstein ersteigen wir den Stöberhai, den höchsten Punkt der Wasserscheide zwischen Weser und Elbe, mit seinem bezaubernd schönen Blick über die Tiefe des Oderthales hinaus auf die Riesen des hohen Harzes, den Acker und Rehberg, den Wurmberg und die Achtermannshöhe, denen der Brocken und die Hohneklippen über die Schulter sehen; und auch der Große Knollen liegt für den rüstigen Wanderer nicht zu fern.
Auf dem schattigen Philosophenwege wandern wir nun, der rauschenden Oder folgend, dem Dorfe Scharzfeld zu, das mit einer Felsenburg, einer Tropfsteinhöhle und einer Felsenkirche dreifach anzieht.
Die Burg Scharzfels (Abb. 42), eigentlich Scharzfeld, zu der wir 120 Meter hoch durch Buchenhochwald hinaufsteigen, wird zuerst 1130 genannt. 1157 gab Friedrich Rotbart sie Heinrich dem Löwen gegen das Schloß Baden in Tausch, und die Grafen von Scharzfeld wurden damit Lehnsmannen des Welfen. Nach ihrem Erlöschen traten die Grafen von Hohnstein an ihre Stelle; und nach dem Tode des letzten dieses Geschlechts fiel 1590 die Grafschaft Scharzfeld-Lauterberg, in der die[80] Bergstadt Andreasberg entstanden war, an die Welfen, und zwar zunächst an die Herzöge von Grubenhagen, zurück.
Bei der Erbauung der Burg ist der natürliche Felsen benutzt. Besonders stark war die Hochburg, die man nur durch einen rundbogig ausgehauenen Felsengang, zu dem man auf einer hohen Steintreppe gelangt, betreten kann. Von den Gebäuden auf dem Felsenkamme haben sich nur unbedeutende Mauerreste erhalten: die Burg ist 1756 in rühmlichem Kampfe zu Grunde gegangen; 10 Tage verteidigte sich die schwache Besatzung von noch nicht 400 Mann gegen ein Franzosenheer von 6000 Mann, das 562 Bomben und andre Geschosse hineinwarf; da war die zerschossene Burg nicht mehr zu halten, die freiwilligen Harzschützen schlugen sich in die Wälder, und die zurückbleibenden Invaliden kapitulierten mit Ehren. Welch ein Erfolg! Ganz Paris illuminierte und sang unter Freudenschüssen ein Tedeum. Und eiligst steckte der Sieger, der General Vaubecourt, den wir von Klausthal her schon kennen, die Gebäude in Brand, ließ die Mauern von Lauterberger Bergleuten sprengen, und machte sich dann, auf die Sprengung der Felsen verzichtend, aus dem Staube, denn die Hannoveraner unter dem Herzog Ferdinand waren im Anmarsch.
Ein kurzer Gang durch den herrlichen
Buchenwald, der hier die Höhen schmückt,
führt uns nach der Einhornhöhle. Viel
früher bekannt, als die größeren und durch
schönere Tropfsteingebilde ausgezeichneten
Höhlen bei Rübeland, hatte sie hohen Ruf
als die Fundstätte eines wertvollen und fast
unfehlbar wirkenden Heilmittels, des „Einhorns“
d. i. der verkalkten Knochen vorweltlicher
Tiere. Heute haben diese Knochen
als die Schriftzeichen der fernsten Zeit einen
ungleich höheren Wert, sie erzählen uns,
daß die weiten Hallen dieser Höhle einst
von Gletscherbächen durchspült wurden, denn
die Knochen sind durch Rollung im Wasser
gleich den Flußkieseln gerundet, daß aber[81]
[82]
die vor der jüngeren Eiszeit trockene Höhle
von Menschenfressern bewohnt war, denn
die Markknochen, darunter auch die von
Menschen, sind zerschlagen.
Wenn wir unsere Wanderung durch den lauschigen, schattigen Wald ein Stündchen fortsetzen, stehen wir plötzlich unter dem Gipfel eines Berges, der mit wunderbaren Felsgebilden bedeckt ist, die an die Teufelsmauer oder die Bodensteiner Klippen erinnern, vor dem Eingange zur Steinkirche, einer natürlichen Höhle, deren Einrichtung als Kirche von der Sage dem heiligen Bonifatius zugeschrieben, von den Bauverständigen in dessen Zeit, in das achte Jahrhundert (spätestens in das neunte) gesetzt wird: der Steinaltar, die Kanzel, die Nischen für den Weihwasserkessel und ein Heiligenbild, die Balkenlöcher für das Schiff der Kirche sprechen deutlich für die Benutzung der Steinkirche als des Chores eines uralten Gotteshauses.
Von Scharzfeld wendet sich die Oder auf Pöhlde, die Klosterstiftung der edlen Königin Mathilde, bespült die vorgeschichtlichen Wallburgen des Rotenbergs und gibt ihre durch die Sieber verstärkten Wasser bei Catlenburg an die Ruhme ab, deren Quelle, die mächtigste in Deutschland, südlich von Pöhlde hervorbricht.
Die Sieber, diese Schwester der Oder, entspringt am Ostabhange des Bruchberges, verstärkt sich kräftig aus den Mooren des Rotenbruchs und hüpft und sprudelt zwischen dem Bruchberge und dem Sonnenberge in einem tief eingerissenen Thale, das trotz seiner malerischen Schönheit von den Touristen erst kaum entdeckt ist, an dem gleichsam aus den Alpen hierher versetzten Dörfchen Sieber vorüber, dem 250 Meter hoch gelegenen Flecken Herzberg zu, dessen hochragendes, weithin schimmerndes Schloß uns zu einem Besuche einladet.
Wie Scharzfeld und Pöhlde war Herzberg (Abb. 43), das von Kaiser Lothar erbaut sein soll, ursprünglich Reichsgut und gelangte erst 1157 durch Tausch in den Besitz der Welfen. Nachdem es schon der Kaiserin Maria und mehreren Herzoginnen von Braunschweig als Witwensitz gedient hatte, nahm es Heinrich der Wunderliche (mirabilis), der Stifter der Linie Grubenhagen, zur Residenz, und solche ist es bis zum Erlöschen derselben im Jahre 1596 geblieben; und als 1617 infolge einer reichskammergerichtlichen Entscheidung das von Wolfenbüttel okkupierte Fürstentum der Celleschen Linie als der nächstberechtigten zugesprochen war, nahm hier Herzog Georg, der allein von den sieben Brüdern des Hauses Celle sich standesgemäß vermählen durfte, seine Residenz; unter den acht Kindern,[83] die ihm hier geboren wurden, ist Ernst August, der erste Kurfürst von Hannover und Vater Georgs I., des ersten Königs von England aus dem Hause Hannover. Von der alten Burg sind nur noch die Keller vorhanden; der größte Teil des jetzigen Schlosses ist nach einem schrecklichen Brande im Jahre 1510, der alle Urkunden und Lehnbücher vernichtete und dem Herzog Philipp und seiner Gemahlin kaum die Möglichkeit ließ, unangekleidet durch einen Sprung aus dem Fenster das Leben zu retten, neu aufgeführt; der Graue Flügel stammt aber erst aus dem Jahre 1861.
Das auf der südlichsten, mit seinem Abfall dem Harz zugekehrten Kuppe des Osteroder Gipszuges malerisch gelegene Schloß wirkt bei seiner einfachen Architektur besonders durch seine große Ausdehnung.
Nördlich vom Andreasberger Dreieck und östlich von der Klausthaler Hochebene erstreckt sich stundenweit die eigenartigste Hochebene des Harzes, wie sie mit denselben Charakterzügen sich schwerlich zum zweitenmal in deutschen Gebirgen findet, das Brockenfeld. Im Westen von dem 926 Meter hohen Bruchberge und den sanfteren Erhebungen des Sonnenberges (842 Meter) und des Rehberges (894 Meter), im Süden von dem Rücken der Achtermannshöhe, dessen Hornfelskegel (926 Meter) die Alten für einen Vulkan hielten, und dem bis zu 968 Meter aufsteigenden Wurmberge begrenzt, reicht sie im Osten bis an den Brocken und seine rechte Schulter, den durch die hochragenden Hirschhörner gezeichneten Königsberg. Im Norden stellen die Lärchenköpfe und der Quitschenberg eine schwache Verbindung zwischen dem Bruchberge und dem Brocken her, doch rechnen wir auch das nördlich dieser gleichsam nur angedeuteten Begrenzung belegene, von Ecker und Radau durchschnittene Stück, das man als ein durch den Einschnitt des Okerthales abgetrenntes Glied der Klausthaler Hochebene ansehen könnte, um der gleichartigen Natur willen zum Brockenfelde.
Im Mittel 810 Meter hoch, erhebt sich diese höchste Ebene unseres Gebirges in ihrer Mitte in den „Oberen Schwarzen Tannen“ nur zu 877 Meter. Diese fast völlige Einebnung ist durch die Torfmoore erfolgt, sie haben alle Vertiefungen und[84] Einschnitte des Untergrundes allmählich ausgefüllt. In vorgeschichtlicher Zeit war diese Wüstenei ebenso bewaldet, wie die Harzberge von gleicher Höhenlage. Die starken Fichtenstämme, die kräftigen Kiefern, die weißleuchtenden Birken (Betula alba), die Haselnußstaude, die man in den unteren Torfschichten findet, liegen sämtlich mit der Spitze nach Südwest, als hätte ein Nordoststurm den Wald niedergeworfen. Aber die Moorbildung läßt doch nur den Schluß zu, daß diese Niederlegung des Waldes auf Eruptionen des Brockengranits zurückzuführen ist, durch die zugleich Senkungen in der Oberfläche hervorgerufen wurden, in denen sich Hochmoore bilden konnten. Und die Scheereritkrystalle, die sich zwischen Rinde und Holz der in der Tiefe von dreiundeinhalb Meter liegenden wie frisch erscheinenden 60 Centimeter starken Kiefernstämme[1] gebildet haben, weisen jenes Ereignis in sehr frühe, wohl in die vorgeschichtliche Zeit.
Die kleine verkrüppelte Birke, welche auf dem Brockenfelde und in den andern Hochmooren des Oberharzes an die Stelle des Hochwaldes getreten ist, ist die grauborkige Betula pubescens, doch findet sich auch, namentlich auf dem Lärchenfelde beim Torfhause in großer Ausdehnung, die eigentliche Zwergbirke (Betula nana). Von den Weidenarten sind besonders Salix aurita und repens sowie die Bastardform S. repenti-aurita vertreten. Unter den Moosen überwiegt die Gattung Sphagnum in zehn Arten. Wegen ihrer holzigen Stengel und dichten Blätter ist die sehr häufig vorkommende Gattung Polytrichum, in geringerem Grade auch Bryum, Hypnum und Orthotrichum an der Torfbildung beteiligt. Von den Heidekräutern finden sich die Besenheide (Calluna vulgaris) und fleischfarbene Glockenheide (Erica carnea), nicht aber die Sumpfheide (Erica tretalix). Auch die Heidel- und die Kronsbeere, die Rauschbeere (Vaccinium uliginosum) und die Moosbeere (Oxycoccos palustris) gehören dem Torfgrunde an; und überall finden sich Simse und Sonnentau, Rispen- und Wollgräser, Seggen und Binsen, Knaben- und Habichtskräuter und an weniger feuchten Stellen auch der Bärlapp in sechs Arten, Labkraut und andre Harzpflanzen.
Der Torfstich hat in diesen Hochmooren trotz wiederholter Versuche aufgegeben werden müssen, da in der feuchten Luft der Torf nur selten trocken wird. Doch verdanken wir jenem die Kolonie „Torfhaus“, die größere der beiden Oasen des Brockenfeldes.
Den Gletschern der Alpen gleich, die zahlreichen Bächen und Flüssen das Leben geben und diese unausgesetzt mit ihrem Abfluß speisen, sind die Torfmoore des hohen Harzes die unerschöpflichen Wasserreservoire, aus denen seine Flüsse sich unaufhörlich versorgen, aus denen selbst Quellen, die erst am Fuße des Gebirges zu Tage treten, auf dem reinigenden Wege durch die Gesteinsklüfte ihr Wasser erhalten. Und auch die Wasserleitungen, die den Gruben und Hütten das Betriebswasser zuführen, schöpfen aus diesem unversieglichen Quell, ohne den sich niemals der großartige Betrieb bei Andreasberg und Klausthal hätte entwickeln können.
Und welche wunderbare Wirkung übt das Brockenfeld mit seiner hehren Stille, mit seiner allgewaltigen Einsamkeit auf Herz und Gemüt! Diese finsteren, warnend abwehrenden Moore bilden mit den flechtenbehangenen, spärlich genährten Fichten und Birken, die sich in Streifen hindurchziehen oder in losen Gruppen darüber verstreut sind, mit den vom Beerengestrüpp überwucherten mächtigen Granitklippen, die hier in den Breitensteinen riesigen Opferaltären vergleichbar emporragen, dort als Magdbett und Hopfensäcke von mählich verklingenden Sagen leise umweht werden, mit dem in Vergessenheit versunkenen Kaiserwege, auf dem einst schon der „Heiden“ Fuß wanderte, mit der das Feld beherrschenden Achtermannshöhe und den andern so ausdrucksvollen Bergkuppen ringsherum einen vollen und reinen Akkord, durch den der Wahlspruch der Benediktiner: Solitudo sola beatitudo gleichsam sehnsuchtsvoll und doch erquicklich als Grundton hindurchklingt und in deinem Gemüt wie einst in dem unsers Dichterfürsten Goethe die Saiten mitklingend in Schwingungen setzt.
Der 1142 Meter hohe Brocken, der zweite Berg Preußens, überragt das Brockenfeld nur um etwa 370 Meter und imponiert von hier aus nur durch seine massige Form. Dagegen schiebt er im Nordosten[85] seinen Fuß bis an den Rand des Gebirges vor, um 900 Meter hoch aus der Ebene von Wernigerode und Ilsenburg aufzusteigen, und gewährt von dieser Seite einen imposanten Anblick.
Sein Fuß steht in der Region des Nadelwaldes. Es sind dunkle, hohe Fichten, zwischen denen wir hinansteigen. Aber bald wird der Wald lichter, Granitbrocken und Scherben bedecken den Boden, Himbeer- und Brombeerstrauch erklettern die mit Flechten überzogenen Trümmer; hier hält eine Fichte einen Granitblock, ihre Wurzeln immer tiefer in seine engen Spalten treibend, fest umklammert, dort breiten Heidelbeere und Heidekraut über den mit Erde gemischten „Hexensand“, einer Anemone oder einem Habichtskraut Schutz gewährend, ihr dunkelglänzendes Gewand. Doch auch anspruchslose Gräser finden ihre spärliche Nahrung auf geeigneten Fleckchen. So ist dieser Brockengürtel, der im Norden und Nordosten fast die Form der Hochebene annimmt, zugleich die Region der Viehhöfe.
Bei weiterem Ansteigen gelangen wir in die Region der Brüche und Moore, zu denen außer dem Brockenfelde das Jakobs-, das Landmannshohne- und das Hannekenbruch gehören. Nur einige Forsthäuser liegen in dieser Einöde.
Und nun noch ein kräftiges Ansteigen durch wirre Klippenfelder, die wunderlich gestaltete Fichten tragen, wie sie sich eignen würden für die Faust des Wilden Mannes auf unseren Münzen; das Wurzelwerk oft hochhin freistehend oder eingekeilt von Felsengebröckel, der Stamm knorrig und wetterhart, in dichte Moosdecke wie in wärmenden Pelz gehüllt, der Gipfel fast immer gebrochen oder in Knickung seitwärts gelenkt, die zerzausten Zweige fest anliegend, dicht mit weißgrauer Flechte bedeckt und hie und da mit langen Zotten der Bartflechte behangen; und unter jedem Steine fast und jedem Baume flüstert geschwätzig und surrt und brodelt das quellende Wasser. Doch schon befinden wir uns auf dem abgerundeten Gipfel des Brockens (Abb. 44). Schneidend fegt der Wind über die baumlose Kuppe, Wolken umtanzen gespensterhaft die Granitkolosse, für die man die Namen Teufelskanzel, Hexenaltar, Hexenwaschbecken erfunden hat, und plötzlich umfängt uns beängstigend der dichte Nebel. Beschleunigten Schrittes eilen wir dem gastlichen[86] Brockenhause zu. Welche Enttäuschung! Vielleicht werden wir — wie sogar der Oberlehnsherr des Brockens König Friedrich Wilhelm III. mit seiner Gemahlin am 31. Mai 1805 — den Rückweg antreten müssen, „ohne etwas gesehen zu haben“.
Doch ruhig nur! uns ist der Vater Brocken hold. Sieh, da kommt ein Riß in die Wolken, und durch den Spalt erblicken wir wie durch eine Waldschneise sonnbeschienen, hellstrahlend das herrliche Fürstenschloß Wernigerode und darüber in dem hellen Streifen Türme und Dörfer bis in die weite Ferne. Da saust eine neue Wolke herein, und das Bild ist verschwunden. Aber wie durch Zauberkunst thut bald hier bald da ein andrer Wolkenspalt sich auf, jetzt über das Brockenfeld hinaus bis nach Klausthal, jetzt gar bis nach dem Possenturm bei Sondershausen, dem Gothaer Schlosse und dem Inselsberge.
Und nun legt sich der Wind, und die Sonne beginnt den Kampf mit den Wolken und erringt den Sieg: schon ist der Brockengipfel frei, und rings an der Kuppe sinkt der Nebel tiefer und tiefer. Wir stehen auf einer hellbeleuchteten Insel im weiten, wallenden Wolkenmeere, jetzt tauchen auch Königsberg und Heinrichshöhe auf und verbinden sich mit dem Brocken. Wurmberg, Acker, Kahlenberg und andre Inseln erscheinen, die Buchten werden kleiner, die Halbinseln wachsen, der ganze Oberharz wird zum Festlande. Mählich tritt dann der Nebel auch im Südosten zurück, der Unterharz taucht auf, und nun liegt das ganze Gebirge so klar, so wunderschön vom weißen Meere unabsehbar umflutet und umspült, — ein entzückendes Schauspiel. „Heiterer, herrlicher Anblick!“ jubelt unser Goethe, „die ganze Welt in Wolken und Nebel, und oben alles heiter!“
Auch das Relief des Brockengebirges, das man vom 18 Meter hohen Turm gewinnt, ist unter allen Umständen interessant. Die Brockengruppe im engeren Sinne, von der Kalten Bode, der Ecker und der Ilse begrenzt, umfaßt außer dem Brocken die 1045 Meter hohe Heinrichshöhe und den 1030 Meter hohen Königsberg, seine beiden „Schultern“. Im weiteren Sinne gehören zum Brockengebirge namentlich noch: im Norden der Pesekenkopf (645 Meter), der Scharfenstein (696 Meter), der Meinekenberg und der Sandthalskopf; im Osten der Gebbersberg (685 Meter), der Renneckenberg mit den wilden Zeterklippen (929 Meter) und den nicht weniger wilden Hohneklippen (902 Meter), der Erdbeerkopf (857 Meter) und der Arensklint; im Süden der Barenberg[87] mit den Schnarcherfelsen, der große und kleine Winterberg (902 und 837 Meter) und der Wurmberg (968 Meter).
Bei völlig klarem Himmel, wie ihn wohl ein heller Wintertag oder ein Sommertag, dem eine recht warme Nacht vorangegangen ist, bieten kann, umfaßt der Gesichtskreis mehr als den 200. Teil von Europa, und zwischen den 250 Kilometer voneinander entfernten äußersten Punkten — wie dem Rhöngebirge und dem Hagelsberge bei Brandenburg, oder dem Kolm bei Oschatz und der Westfälischen Pforte — kann man nach des Brockenwirts Nehse Verzeichnis 89 Städte und 668 Dörfer erkennen. „Ja, man könnte das Meer sehen, wenn es möglich wäre,“ sagt treuherzig der alte Happel. Wir aber begnügen uns, in der endlosen, einförmigen Ebene, in der Hügel und Berge wie Maulwurfshaufen untergehen, die Türme von Hannover und Braunschweig, von Leipzig und Halle, von Magdeburg und Stendal und einigen andern Städten, das Schloß zu Gotha und die Wartburg, den Petersberg und die Gleichen, den Herkules auf der Wilhelmshöhe und den Klüt bei Hameln zu erkennen und richten von den in der Ferne mit etwas auffälligeren Strichen eingetragenen Bergketten des Meißner, des Westerwaldes, des Rothaargebirges, des Vogelsberges, der Rhön, des Thüringerwaldes und des Süntels, um dem Auge abschließend einen sammelnden Ruhepunkt zu bieten, noch einmal auf das Brockenfeld und die Außenkuppen und Thäler des Brockengebirges.
Dieser tadellose Rundblick bei völlig wolkenfreiem Himmel ist keineswegs das Schönste, was der Brocken bietet, aber zu verachten ist er doch auch nicht. Was hat man „an diesen langen charakterlosen Horizontallinien, die dick aufeinander liegen, ohne Anfang und Ende? Da ist gar nichts, was sich hebt und die Aufmerksamkeit zusammenhält und leitet, kein Vorgrund, kein Mittelgrund, kein Gedanke von Einheit des Ganzen. Die Kirchtürme sind angeklebt an die Wiesen wie behauene Balken, und das Licht schiebt sich dick und gleichförmig über das alles weg.“ So sagt Leopold von Buch, der berühmte Geologe, in seinem launigen Vortrage vom Brocken freilich, aber wenn er abschließend fortfährt: „Nicht die Schönheit, nicht die Ferne der Gegenstände“ ist es, was uns auf dem Brockengipfel so mächtig bewegt, „sondern die Wirklichkeit, die Wahrheit und das aus ihr hervortretende lebendige Gefühl der Freiheit“, so müssen wir ihm zustimmen.
Von überwältigendem Eindruck kann ein[88] Besuch des Brockens im Winter werden, wenn der sich in Rauhreif umsetzende Nebel nicht nur jede einzelne Tannennadel gleichsam überzuckert hat und die teilweise ineinander geflossenen, in der Sonne glitzernden und blitzenden Krystalle und Eisdiamanten die Form des Baumes überwältigen, so daß die wunderbarsten Gestalten, die Märchen und Phantasie ersinnen können, manche fast gespensterhaft und beängstigend, uns rechts und links erwarten und einander ablösend begleiten. Aber auch schon die bloße Schneedecke hebt das Bild, das der Brocken uns bietet, gar wirkungsvoll. Und wer ein Gewitter dort oben erlebt — vom Brockengespenst gar nicht zu reden — dem wird der Tag für immer unvergeßlich sein.
Wenn sich außer den nach Schätzen suchenden Venedigern auch einzelne kühne Jäger und andere ortskundige Waldleute schon verhältnismäßig früh ausnahmsweise auf den „Brakenberg“ hinaufgearbeitet haben mögen — eine dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts angehörende Hand berichtet in einem Zusatz zu der Abhandlung „von der Herkunft der Sachsen“ von einem Quell auf seinem höchsten Gipfel — so ist doch der berühmte Arzt und Botaniker Johann Thal († 1583) der erste dem Namen nach bekannte Brockenbesucher, und erst im achtzehnten Jahrhundert wurden die Brockenfahrten häufiger. 1736 ward deshalb auf dem Gipfel das Wolkenhäuschen, 1743 auf der Heinrichshöhe zunächst für Torfstecher, und 1800 auf dem Brocken selbst ein Gasthaus und 1835 der erste Turm erbaut. Die Zahl der Besucher stieg von 138 im Jahre 1753, 292 im Jahre 1778 auf etwa 30000 im Jahre 1896: seitdem aber führt das Dampfroß (Abb. 45) im Sommer ungezählte Scharen hinauf, und die Verallgemeinerung des selbst im Oberharze noch vor wenigen Jahrzehnten unbekannten Schneeschuhsports (Abb. 46) macht den Brocken auch im Winter zugänglicher und seine Besteigung weniger gefährlich.
Vom Thüringer Wendelin Helbach, Thals Zeitgenossen, an hat manch Dichter den Brocken besungen, aber ein Denkmal für alle Zeiten hat ihm, und zwar ihm allein unter allen deutschen Bergen, Goethes gewaltige, Natur und Sage zur Einheit verschmelzende Dichtung im „Faust“ gesetzt.
Fußnote:
[1] Die Ansicht einiger, daß Fichte und Kiefer erst in geschichtlicher Zeit (aus dem Vogtlande, sagt Hampe noch dazu) in den Harz eingeführt seien, ist grundfalsch.
Das Brockenfeld entsendet nach Norden zwei jugendlich übermütige Flüßchen, die Radau und die Ecker.
Die Stelle, wo die Radau nach kurzem Laufe aus dem Gebirge tritt, ist die schönste im Westharze. Steil fallen die hohen und mannigfaltig geformten, mit freundlichem Buchenwald bewachsenen Berge zu der jungen Stadt Harzburg ab (Abb. 47), die sich mit ihren großartigen Gasthöfen (Abb. 48) und glänzenden Villen dazwischen und davor lagert, und bieten mit dieser vor allem dem Wanderer, der vom Ahrendsberger Forsthause oder auch vom Torfhause über den „Dreckpfuhl“ kommt, ein überraschend prächtiges Bild. Und ein Gang durch dies vornehmste unserer Bäder über die der Gesellschaft zum Sammelpunkt dienenden „Eichen“ an der plätschernden Radau und weiter an den großen Gabbrobrüchen hinauf bis zu den Radaufällen (Abb. 49) und zurück über das Molkenhaus gehört zu den lohnendsten und lieblichsten Partien unseres Gebirges.
Der Burgberg, der zweimal eine Kaiserburg trug, ist mit seinen 482 Metern nicht der höchste und weitschauendste, aber durch seine hart vorspringende Lage und seinen finstern Tannenwald der bedeutendste und wirksamste. Trotz seiner Steilheit ist er auf wohlgepflegten Fußwegen bequem zu ersteigen.
Die erste, von Heinrich IV. erbaute Burg ward im März 1074 von dem durch die aufständischen Sachsenfürsten aufgestachelten Pöbel schmählich zerstört. Die zweite, zum Schutz der Reichsstadt Goslar gehörend, erstand i. J. 1180 auf Befehl Barbarossas, der den Oberbefehl über die hineingelegten Reichsdienstmannen den Grafen von Woldenberg übertrug. Am 18. August 1218 endete hier beim Grafen Heinrich I. der Welfe Otto IV. sein Leben.
Im Jahre 1269 von den Grafen von Woldenberg an die Grafen von Wernigerode verpfändet, ward diesen die Burg hundert Jahre später von dem Herzog von Braunschweig[90] in einer Fehde abgenommen. Im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts machten von hier aus die Herren von Schwiecheldt, die als Amtleute und Pfandinhaber auf der durch ihre Lage überaus festen Burg hausten, weit und breit die Lande durch ihre Räubereien unsicher, und erst den Bombarden der verbündeten Fürsten, Bischöfe, Grafen und Städte gelang es 1415, ihre Mauern zu brechen (Abb. 50). Im dreißigjährigen Kriege in den Händen der Dänen, war sie ein Stützpunkt der Harzschützen. Aber 1650 wurden ihre 500jährigen Mauern auf Befehl des Herzogs in das Thal gestürzt und die Burg als Steinbruch benutzt. Nur geringe Mauerreste und der 57 Meter tiefe Brunnen sind von dieser berühmtesten aller Harzburgen auf unsere Tage gekommen. Aber Tausende von Fremden führt alljährlich die Erinnerung an die Geschichte dieser Stätte, auf der 1877 auch die „Canossasäule“ errichtet ist, mehr noch der, wenn auch beschränkte, doch hübsche Blick in das tiefe, schmucke Radauthal und über die zu den Füßen liegende Stadt hinaus auf Braunschweig und Wolfenbüttel mit dem Fallstein, dem Elm und der Asse im Hintergrunde auf die tannenumrauschte Höhe.
Nachdem die Radau noch Vienenburg bespült hat, dessen Domanialgebäude mit den Umfassungen auf den Mauern der alten Burg ruhen, gibt sie am Fuße des Harlyberges Namen und Wasser an die Oker ab.
Die Ecker hat ihre Quelle unter den Hirschhörnern unfern des zum Königsberge führenden schönen Goethe-Weges, in unmittelbarer Nachbarschaft des Bodesprunges. Ihr Thal wird von dem von Harzburg auf den Brocken führenden Fußwege bei der Dreiherrenbrücke (dem früheren Grenzpunkte zwischen Hannover, Braunschweig und Wernigerode) und von den von Harzburg nach Ilsenburg über die Rabenklippen (Abb. 51) und durch den Schimmerwald führenden schönen Wegen oberhalb des Eckerkruges, der den Austritt der Ecker aus dem Gebirge bezeichnet, gekreuzt; doch auch eine Wanderung durch den ernsten, düsteren Fichtenwald den rauschenden, felsigen Bach entlang, hat in der erquickenden friedlichen Einsamkeit ihre Reize. An den Ruinen der Stapelnburg vorüber, auf der Graf Gerhard, mit dem 1383 das einst so berühmte Geschlecht der Woldenberger erlosch, seine letzten Jahre verlebte, wendet sich die Ecker der Oker zu.
Das eigentliche, echte Brockenkind ist die Ilse. Sie entspringt an der Heinrichshöhe und sammelt, rechts vom Renneckenberg begleitet, alle dem Brocken nordöstlich abströmenden Bächlein und Rinnsale. Wo sie in den Stromschnellen der Ilsefälle fröhlich und geschwätzig über die Felsgebilde tänzelt, wendet sie sich nordöstlich, durchbricht das großartige Felsenthor, das die Granitpfeiler des 460 Meter hohen, 150 Meter das Thal überragenden Ilsesteins und des gewaltigen Westerberges bilden, und eilt, immer noch mutwillig, aber etwas ruhiger, dem sich an den Gebirgsrand drängenden Flecken Ilsenburg zu.
Das Ilsethal ist wohl das anmutigste und lieblichste im ganzen Harze. Eine Wanderung von den „Roten Forellen“ an der klaren Ilse hinauf, deren silberne Wellen kühlend uns entgegenrauschen, bis zu den Ilsefällen (Abb. 52), wo die Wasser, in denen die wunderschöne, alle Guten beglückende Prinzessin sich badet, sich bald zu einem breiten, glänzenden Spiegel ausbreiten, bald in zahllose Bänder aufgelöst, kraus die Felsen umschlingen, bald wild aufschäumend und zischend sich zwischen einengenden Felsen hindurchdrängen oder aus Steinspalten neckisch hervorsprudeln, gehört, wenn die Touristenschwärme nicht allzu sehr stören, zu den höchsten und nachhaltig wirkenden Genüssen im Harze. Auch den Ilsestein mit seinem Kreuze, dem vom Grafen Anton den im Befreiungskriege Gefallenen errichteten Denkmal, besteigen wir, so befriedigend auch die Aussicht in die liebliche Landschaft ist, vor allem doch nur, um auch von hier aus das unvergleichlich reizvolle Thal zu genießen. Vielleicht setzen wir aber unsern Spaziergang noch um ein Kleines fort, um unter den schattigen Eichen der 530 Meter hoch gelegenen Plessenburg ein Viertelstündchen zu rasten und uns dabei des vom Förstertöchterchen verschmähten Ernst Schulze, des Dichters der „Bezauberten Rose“ und der „Cäcilie“, zu erinnern.
Im Flecken Ilsenburg (Abb. 53), der sich in das stimmungsvolle Bild des Thales harmonisch einordnet, zieht uns von allem[91] das fürstliche Schloß an, das außer einem Neubau auch die stilvoll restaurierten Überreste der romanischen Klosterbauten umfaßt. Ursprünglich ein königliches Besitztum, wurde die Elysinaburg unter der Gunst der Kaiser Otto II. und Heinrich II. vom Halberstädter Bischof Arnulf in ein Kloster umgewandelt, das schon unter dem Abte Herrand, dem Neffen des Bischofs Burchard zu hoher Blüte gelangte, später aber unter Kriegen und Fehden schwer zu leiden hatte. Am 1. Mai 1525 von den Bauern erstürmt, wurde es von seinem erlauchten Schirmherrn nach Annahme der Reformation in eine Schule umgewandelt, die erst unter den Schrecken des dreißigjährigen Krieges zu Grunde ging. Eine neue, bessere Zeit hatte sich aber bereits dadurch vorbereitet, daß Graf Heinrich das Kloster 1609 zum Witwensitz für seine Gemahlin ausbaute, und zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war es sogar Residenz des regierenden Grafen.
Während die Ilse noch der Oker und damit der Weser zuströmt, gehört die am Renneckenberge entspringende Holtemme bereits der Bode und also dem Elbegebiete an. Fast so eilfertig wie die Ilse, hat sie nächst dieser (1 : 10½) das stärkste Gefälle (1 : 18) von allen Harzgewässern. Durch einen unter den wilden Hohneklippen, welche die Hochebene um 400 Meter steil überragen, entspringenden Bach verstärkt, hat sie ihren Glanzpunkt in der Steinernen Renne (Abb. 54): in einer engen, finstern Waldschlucht stürzen ihre fast zu Schaum sich auflösenden Wasser in einer langen Reihe von Kaskaden, die zur Zeit der Schneeschmelze oder nach einem kräftigen Gewitterregen wohl an alpine Wasserstürze erinnern können, über die von Granitblöcken gebildeten Terrassen wild in das Thal hinab.
Von rechts vereinigt sich mit dem Thal[92] der Holtemme das Drängethal, in welchem Chaussee und Eisenbahn von Wernigerode aus über „Drei Annen-Hohne“, die Hochebene, Schierke und den Brocken erklettern. In dem bei der Vereinigung sich weitenden und seine Schönheit einbüßenden Thale erstreckt sich unendlich lang das Dorf Hasserode, ein Vorort Wernigerodes, und im rechten Winkel dazu setzt sich östlich an die Stadt der Flecken Nöschenrode, der sich fast in gleicher Länge im Zillier- (oder Mühlen-) Thale hinaufzieht. Der Zillierbach hat seine Quellen südlich von den Hohneklippen am Erdbeerkopfe und wird auf seinem linken Ufer von nicht unbedeutenden Höhen, dem 535 Meter hohen Salz- und dem 518 Meter hohen Hilmarsberge, begleitet, sein Thal hat aber, im Gegensatz zum Thal der Holtemme, unterharzischen Charakter.
Auf mächtigem, waldigem Berge erhebt sich, 120 Meter über der Stadt, inmitten herrlicher Gärten und Parkanlagen, mit stattlichen Türmen und blinkenden Zinnen das fürstliche Schloß (Abb. 55), ein prachtvoller Neubau, in den sich die benutzbaren Reste der alten Grafenburg harmonisch einfügen. Entzückend schön ist dort oben der Blick über die reizvollen Waldthäler, unter denen das Christianenthal (Abb. 56) mit seinen Teichen und Wiesen, seinen Weiden und Riesenfichten sich durch Lieblichkeit auszeichnet, in die tannengekrönten Harzberge bis hin zum alles beherrschenden Brocken und über die stattliche Stadt zu Füßen hinweg in die weite, lachende Ebene mit den dicht hingestreuten Ortschaften. Nimmt es unter den Harzschlössern jetzt entschieden die erste Stelle ein, so werden ihm überhaupt nur wenige Bergschlösser in Bau und Lage an Schönheit gleichkommen.
Die erste Burg über dem von einem unbekannten Werniger angelegten Dorfe erbaute zwischen 1117 und 1121 der Graf Adalbert von Haimar und schrieb sich seitdem Graf von Wernigerode. Als dessen Nachkommen am 3. Juni 1429 mit dem Grafen Heinrich ausstarben, gingen die Besitzungen des Geschlechts an die mit ihm erbverbrüderten Grafen zu Stolberg über. In den nächsten Jahrhunderten war Wernigerode nicht die ständige Residenz des regierenden Grafen, sondern meistens nur der Wohnsitz der jüngeren Söhne und Brüder; doch feierte Graf Wolfgang, das Haupt der Familie, hier im Juni 1541 seine Vermählung mit der Gräfin Dorothea von Blankenburg. Erst Graf Christian Ernst, der 1712 nach dem Tode seines Oheims Ernst zur Regierung kam, versetzte die Hofhaltung von Ilsenburg, das seit der Erbteilung von 1645 Residenz geworden war, dauernd nach Wernigerode. Die von seinen Brüdern begründeten Linien Gedern und Schwarza erloschen 1804 und 1748, so daß die reichen Besitzungen des durchlauchtigen Hauses wieder sämtlich vereinigt sind.
Die Einwohnerzahl der Stadt hat sich von 4036 im Jahre 1813 auf 11600 im Jahre 1900 gehoben. Damals durch ihre engen, schmutzigen Straßen mit abscheulichem Pflaster bekannt, gehört „die Stadt vor dem Brocken“ (Abb. 57) mit ihren ansehnlichen, schmucken Neubauten, ihren breiten, wohlgepflegten Straßen, mit denen schöne Promenaden wetteifern, jetzt entschieden zu den schönsten unserer Harzstädte. — Von mittelalterlichen Bauwerken hat sich außer dem stilgerechten Rathause (Abb. 58) von 1498 noch manches interessante Wohnhaus erhalten, von denen besonders das Gadenstedtsche aus dem Jahre 1582, das Gotische und das Frankenfeldsche der Besichtigung wert sind (Abb. 59).[93] Von Wernigerode wendet sich die Holtemme über Halberstadt der Bode zu.
Der berühmte Bischofssitz Halberstadt (Abb. 61) ist eine der ältesten Städte in unsern Gegenden und trägt in seinen alten Straßen ein ehrwürdiges, mittelalterliches Gepräge. Besonders interessant ist der in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts in Fachwerk erbaute Ratskeller am Fischmarkte. Ihm gegenüber erhebt sich das altertümliche Rathaus (Abb. 60), ein gotischer Steinbau aus der Zeit von 1360 bis 1381 mit späteren, jedoch die Wirkung des Bildes nicht störenden Anbauten. Den Domplatz, an dem auch der Petershof, die frühere Residenz der Fürstbischöfe, liegt, begrenzen zwei alte Gotteshäuser, die mit vier Türmen gezierte romanische Liebfrauenkirche, deren älteste Teile fast bis zum Jahre 1000 zurückreichen, und der majestätische Dom (Abb. 62), das herrlichste, großartigste Gotteshaus der Harzlande: bald nach dem Jahre 1179, in dem Heinrich der Löwe die erste bischöfliche Kirche niederbrannte, begonnen, konnte er erst 1491 geweiht werden, und die Türme, an denen auch gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts gebaut wurde, sind gar erst vor wenigen Jahrzehnten in Abschluß der 1847 angefangenen Restauration der Kirche in ihrer ganzen Höhe fertig gestellt. Wie vor dem Rathause ein riesengroßer Roland, so befindet sich vor dem Dome der Lügenstein, das Wahrzeichen der Stadt. Hinter dem Domchor liegt das einfache Haus des „Vaters“ Gleim, der hier von 1747 bis 1803 als Domsekretär lebte. In seinem „Freundschaftstempel“ umschließt es mehr als hundert Bildnisse von Dichtern und Schriftstellern, Fürsten und Helden, einst fast alles Gäste dieses Hauses, sowie ihren Briefwechsel mit Gleim und eine wertvolle Bibliothek.
Im Süden wird Halberstadt fast von dem Goldbache berührt, der sich bei Wegeleben in die Bode ergießt. Von diesem Bache erstrecken sich drei parallele Hügelketten von Nordwest nach Südost bis an die Ufer der Bode. Die nördliche beginnt mit den Spiegelsbergen, einem schönen öffentlichen Parke, den der Domdechant von Spiegel, Gleims Zeitgenosse, auf der[94] bis dahin öden Anhöhe geschaffen hat; unter den wirkungsvollen Baumgruppen fallen besonders die alten Kiefern ins Auge. An diesen Park, dessen Turm auch eine hübsche Aussicht bietet, schließt sich die hochinteressante Felsenstadt der bewaldeten Klusberge, die sogenannte Halberstädter Schweiz. Am nordwestlichen Fuße des dritten Zuges, der im Hoppelberge bis zu 309 Meter aufsteigt und einen wundervollen Blick auf Berg und Land gewährt, liegt, vom Goldbach bespült, inmitten eines herrlichen Parkes das Schloß Langenstein, in dem einst Goethe die schöne Frau von Branconi, die Geliebte des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig und Freundin Lavaters, besuchte. An der Ruine der benachbarten Altenburg und weiterhin finden sich in den Felsen gehauene Höhlungen, die noch heute — wohl ein Unicum in ganz Deutschland — als Wohnungen benutzt werden.
Dem Goldbach aufwärts bis zum Gebirge und dann im lauschigen Klostergrunde dem Rippenbach folgend, gelangen wir bei seinem Quell, dem Volkmarsbrunnen, an den Volkmarskeller, zwei in den Fels gehauenen Gewölbe, in denen im Anfange des zehnten Jahrhunderts die fromme Klausnerin Liutburg, die selbst der heilige Ansgar von Bremen besuchte, und später der Einsiedler Volkmar mit seinen Genossen hauste. Die auf der benachbarten Klippe jüngst bloßgelegten Grundmauern sind die letzten Reste des ältesten Klosters Michaelstein, das sich zwischen 1139 und 1148 aus jener Brüderschaft entwickelte. Aber den Cisterziensern, die aus Altenkampen hier einzogen, war der Ort zu rauh und abgeschieden, schon nach einigen Jahrzehnten zogen sie thalabwärts und gründeten am anmutigen Ausgange des Klostergrundes Neu-Michaelstein (Abb. 63 und 64). Von allen Seiten reich begabt, gedieh das Kloster trefflich bis in das sechzehnte Jahrhundert. Im Frühling 1525 aber stürmten es die Rotten wütender Bauern, und acht Jahre später ward[95] es von Wilhelm von Haugwitz, einem Feinde des Herzogs Georg von Sachsen, niedergebrannt. In dem wieder erstandenen und zu Luthers Lehre übergetretenen Kloster, in dem zeitweilig eine Schule eingerichtet war, führten bald die Grafen von Regenstein und nach deren Erlöschen die Herzöge von Braunschweig den Abtsstab. Der letzte dieser fürstlichen Abte ist der „tolle Christian“ des dreißigjährigen Krieges, zugleich Bischof von Halberstadt. Auf unsere Tage sind vom alten Kloster nur der schöne gotische Kreuzgang, das romanische Refektorium und eine Krypta gekommen.
Dem Klostergut Michaelstein gegenüber, das jetzt ein Vorwerk der Domäne Heimburg bildet, steigt 100 Meter hoch aus der Ebene der Regenstein (Abb. 65) auf, ein 2 Kilometer langer Quadersandsteinfelsen, eine natürliche Festung mit ruinenartigen Türmen und Thoren. An der kleinen Roßtrappe, einer interessanten Felsbildung, vorüber, gelangen wir an die Trümmer der um das Jahr 1100 erbauten Grafenburg. Alle Gemächer, auch die im Anfange dieses Jahrhunderts zum Tanzsaal entweihte Kapelle, sind in den gewachsenen Felsen eingehauen, von den auf den jäh abstürzenden Platten und Kuppen einst vorhanden gewesenen Türmen, Mauern und Gebäuden sind nur noch Spuren vorhanden.
Das mächtige Grafengeschlecht, dem auch die Linien Blankenburg und Heimburg angehören, beherrschte nicht nur das heutige braunschweigsche Fürstentum Blankenburg, sondern besaß auch noch einen großen Teil der Vorlande des Harzes, und die ihm zustehende Edelvogtei des Kaiserstiftes Quedlinburg verlieh ihm noch besondere Bedeutung und Glanz. Da begannen im vierzehnten Jahrhundert die Bischöfe von Halberstadt, vor allem Albrecht V. aus dem Hause Braunschweig, mit großer Beharrlichkeit die Grafen aus ihrer Machtstellung im Harzgau zu verdrängen. Nicht ohne Bewunderung und Teilnahme kann man das mannhafte, aber unglückliche Ringen der Grafen gegen den mächtigen Nachbar, der auch unwürdiger Waffen sich zu bedienen keinen Anstand nahm, ihr einmütiges Zusammenhalten im Kampfe um ihr gutes Recht im einzelnen verfolgen, und der Heimburger Albrecht III., den die Volkssage als den Raubgrafen bezeichnet,[96] diesen thatkräftigsten aller Regensteiner, der auch in der Notwehr das Recht des andern achtet, darf unsrer wärmsten Sympathie sicher sein, wenn wir ihn 1348 unter tückischem Schwert verbluten sehen.
Albrechts Nachkommen verarmten im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert trotz aller Sparsamkeit — Graf Ulrich verbrauchte für seine Person jährlich nur 939 Gulden — mehr und mehr, und am 4. Juli 1599 ging still und ruhmlos, in Elend und Dürftigkeit, von niemanden beklagt, von niemanden beachtet, der Letzte des Grafenstammes zu Grabe, der einst zu den mächtigsten, geachtetsten und gefürchtetsten gehört, der Hunderte von Rittern, Kirchen und Klöstern mit reichen Besitzungen beschenkt und beliehen hatte, dessen Waffen einst im fernen Norden ebenso laut und siegreich erklangen wie im fernen Süden am Grabe des Erlösers.
Im Jahre 1670 bemächtigte sich der Große Kurfürst als Inhaber des Bistums Halberstadt des Regensteins und begann nach Fargells Plane den Umbau der Festung, der sich 50 Jahre lang hinzog. Die zahlreichen in den Felsen gesprengten Kasematten rühren aus jener Zeit. Aber als sich die Festung im Ernstfalle nicht bewährte — zweimal fiel sie im siebenjährigen Kriege in die Hände der Franzosen — ließ Friedrich sie schleifen, die Mauern bis auf den Boden, die Gebäude bis auf den Grund zerstören. Noch heute ist der Regenstein eine preußische Enklave im braunschweigischen Gebiete.
Einer Lilie gleich im Kranze grüner Waldberge, die sie im Halbkreise umgeben, leuchtet die Blankenburg (Abb. 66) von dem hellen Kalkfelsen des Blankensteins weit hinaus in die Vorlande.
Während alle andren Randstädte des Harzes am Ausgange eines Flußthales liegen, steigt Blankenburg (Abb. 67 u. 68), als wollte es an die schützende Burg sich anschmiegen, terrassenförmig, wie aus südlichen Landen hieher versetzt, den Schloßberg hinan. Vom hochgelegenen Marktplatze, an dem wir das in seinem ältesten Teil schon aus dem Jahre 1233 stammende Rathaus betrachten, klimmen wir auf 76 Stufen zur Bartholomäuskirche hinauf, von der ehemals statt des jetzigen steilen Weges eine Treppe von 266 Stufen zur Schloßrampe hinaufführte.
Die älteste Blankenburg fand ihren Untergang in den Kämpfen Heinrichs des Löwen und Kaiser Barbarossas. Das neue Schloß, anfangs ein einfacher Bau, ward im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, als es den Grafen auf dem Felsenneste im Regenstein ungemütlich wurde, bedeutend erweitert und umgebaut, doch brannte 1546 das „Haupthaus“ in einer entsetzlichen Feuersbrunst, aus welcher Graf Ulrich, ohne seiner erstickenden Gemahlin helfen zu können, kaum das Leben rettete, wieder nieder; und kaum war nun endlich 1595 der Bau vollendet, da schloß der letzte Blankenburger, ein Knäbchen von drei Jahren, die Augen.
Im Jahre 1690 wurde Blankenburg, sehr zur Freude und zum Vorteil der durch den dreißigjährigen Krieg schwer geschädigten Bürger, ständige Residenz. Herzog Ludwig Rudolf schlug hier seinen glänzenden Hof auf und suchte Ludwig XIV. in üppigen Festen und Jagden und Komödien zu überbieten und was sonst an Zeit noch blieb, mit Pegnitzer Schäferspielen und adeligen Bauernhochzeiten auszufüllen. Und als die älteste Prinzessin die Gemahlin des (späteren) Kaisers Karl VI. und die zweite die des russischen Thronfolgers Alexei ward, gestaltete sich die Hofhaltung noch luxuriöser. Doch bald waren die Tage des Glanzes vorüber, denn als Ludwig Rudolf 1731 auch Braunschweig erbte, verlegte er dahin seine Residenz.
Daß die Kaiserin Maria Theresia einen großen Teil ihrer Kinderjahre bei den Großeltern in Blankenburg verlebt hatte, kam der Stadt im siebenjährigen Kriege zu gute: die österreichischen Truppen mußten sie schonend behandeln.
Von 1796–98 war Blankenburg die Zufluchtsstätte des späteren französischen Königs Ludwig XVIII.; da wohnten Grafen, denen in der Heimat kaum ein Schloß geräumig genug gewesen war, in engen Dachkammern.
Das außen nüchtern sich darstellende Schloß enthält viele Prunkzimmer und wertvolle Gemälde, aber schöner noch ist der Blick durch die Fenster auf die waldumkränzten Berge, in die reichgeschmückten Thäler, und ein Gang durch die prächtigen Gartenanlagen, die unmittelbar in hohen Buchenwald übergehen.
Wir kehren noch einmal auf das Brockenfeld zurück, um auch der Bode, dem bedeutendsten seiner Flüsse, das Geleit durch den Harz zu geben.
Von ihren Quellflüssen entspringt die Kalte Bode unter dem Königsberge, mit der Ecker in demselben, höchst gelegenen Moore, und plätschert zwischen Königsberg und Erdbeerkopf einer- und Wurmberg und Barenberg anderseits der „Gegend der Elenden und Schurken“ zu.
Schierke (Abb. 70), das seit 1888, dem Jahre seiner „Entdeckung“, sich mit fast fieberhafter Bauthätigkeit zu einem der besuchtesten und vornehmsten Badeorte aufgeschwungen hat, ist das einzige Dorf mit Brockencharakter (Abb. 69). In gleicher Höhenlage mit der Stadt Klausthal, wird es eng von hohen, finsterbewaldeten Bergen eingeschlossen; wunderbare Granitfelsen, wie die regelmäßig geschichtete Mauseklippe, die „langen Felsennasen“ der magnetischen Schnarcher, zwei von Riesenhand roh erbaute 26 Meter hohe Türme, von denen sich Thal und Dorf prächtig übersehen lassen, die Schersthor- (das ist Thors Thor) Klippen, der Arensklint (d. i. Adlerklippe) (792 Meter) und die Feuersteinsklippen, ragen seitwärts empor, und Waldgrund und Wiese sind mit großen und kleinen Granitbrocken dicht übersät. Bei Elend, das dem 100 Meter höher gelegenen Schierke als Sommerfrische nachzukommen sucht — wir gelangen dorthin auf herrlichem, die rauschende Bode begleitenden Pfade — tritt diese aus dem Granitgebiete heraus und wird, wie um sich von dem Gefälle von 400 Meter zu erholen, ein stilles, harmloses Wiesenflüßchen. Es gibt im Harze keinen gleich großen landschaftlichen Gegensatz so unmittelbar nebeneinander.
Unterhalb des Hüttenortes Königshof, der eine Fortsetzung der Rotenhütte bildet, nimmt die Kalte die Warme Bode auf. Am Südende des Brockenfeldes, nördlich von der Achtermannshöhe entsprungen, drängt sie sich zwischen dieser und dem Wurmberg durch und schlägt über den 560 Meter hoch belegenen Flecken Braunlage[99] (Abb. 71), der als Sommerfrische zusehends aufblüht, und Tanne, dem Anfangspunkte der Zahnradbahn nach Blankenburg, einen halbkreisförmigen Bogen. Den 968 Meter hohen Wurmberg besteigen wir auf roher Steintreppe von Braunlage aus; die bewaldete Kuppe gestattet aber nur den Durchblick durch einige Schneisen.
Von Königshof führt die Bahn nach der 467 Meter hoch zwischen Kornfeldern und großen Weideflächen gelegenen Stadt Elbingerode, in der am 20. März 1744 der französische Marschall von Belle-Isle vom Amtmann Meyer auf eigene Hand gefangen genommen wurde. Wir aber folgen dem Fußpfade, der uns über die vor einigen Jahren wieder bloßgelegte Königsburg, das ist die alte Jagdpfalz Bodfeld, auf der Kaiser Heinrich III. in den Armen eines Papstes starb, und an der Susenburg, einer vorgeschichtlichen Wallburg in der ersten der wunderlichen Krümmungen der Bode, vorüber nach dem Hüttenorte Rübeland (378 Meter) führt.
Von den drei berühmten Tropfsteinhöhlen, welche dem übrigens hübsch gelegenen Rübeland zahllose Fremde zuführen, war die Baumannshöhle schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts allgemein bekannt, dagegen ist die Hermannshöhle (Abb. 72) erst 1866 entdeckt. Wenn auch jene durch die Höhe und Weite ihrer prächtig gewölbten Räume die Hermannshöhle übertrifft, so hat diese doch schönere und reinere Tropfsteingebilde. Wunderniedlich sind die schneeweißen Figürchen in ihrer Krystallkammer, hübsch auch die Blaue Grotte und andre Naturspiele.
Von Rübeland ersteigt die Zahnradbahn das auf einer baumlosen Hochebene, 447 Meter hoch, inmitten einer weiten Ackerflur belegene Dorf Hüttenrode. Nichts in der Umgebung, nur das rauhere Klima, das den Roggen erst im September reifen läßt, sagt uns, daß wir uns wirklich im Gebirge befinden.
Um der Bode nach Altenbraak ungestört folgen zu können, holen wir zunächst auch die Rappbode heran. Sie entspringt am hohen Südrande des Gebirges, wendet sich[100] aber nördlich auf das 535 Meter hoch gelegene Städtchen Benneckenstein, eine Station der Harzquerbahn, fällt durch Wald bis zu dem von Sommerfremden noch nicht entdeckten Trautenstein um 80 Meter und schlängelt sich, von rechts die Hassel aufnehmend, in einem lieblichen Thal dem Hauptflusse zu. An der Hassel liegen in einer Gegend, wo vom Gebirge wenig wahrzunehmen ist, der schon oberdeutsch redende Flecken Stiege (482 Meter) an hübschen Teichen und das Städtchen Hasselfelde, die Endstation der über Güntersberge herangeführten Selkebahn.
Felsen wie bei Rübeland treten im Bodethal zunächst nicht wieder auf. Ohne starkes Gefälle (1 : 300) rauscht der breite Fluß, von einem Wiesensaum friedlich eingefaßt, zwischen den mächtigen Höhen dahin, an denen das heitere Buchengrün mehr und mehr das Fichtendunkel verdrängt. Zwischen der Mündung der Rappbode und der Luppbode in der Gegend von Wendefurt und Altenbraak häufen sich seine Windungen in so wunderbarer Weise, daß er oft in sich selbst zurückzukehren scheint, ja daß man einmal den Fluß an sechs verschiedenen Stellen erblickt.
Von Treseburg (Abb. 73) ab, wo die Bode in dem schluchtenartigen Thal der „Engen Wege“, dem nur durch bedeutende Felsensprengungen ein schmaler Pfad hat abgerungen werden können, mit starkem Gefälle (1 : 90) das Granitgebiet des Rambergs zu durchbrechen unternimmt, steigert sich die herzerquickende Schönheit des Thales von Schritt zu Schritt. Die Klippen, welche aus den Buchenhängen hervortreten oder streckenweise ganz mit ihnen wechseln, werden schroffer und nehmen abenteuerlichere Gestalten an, bis sich von den Gewitterklippen abwärts ihr Charakter zur Wildheit steigert. Aber um die starren Glieder schlägt überall sänftigend der üppige Laubwald in allen Schattierungen sein prächtiges Gewand. Welche entzückende Mannigfaltigkeit in buntem Wechsel! In den „gemischten Bestand“ der Fichte und Buche, mit dem der Harz auch sonst seine Thalhänge schmückt, treten hier auch noch Ahorn und Esche, Linde und Ulme, die Eiche mit ihrem dunkelglänzenden Blatte und die flimmernde, weißborkige Birke ein, ja selbst die knorplige Eibe mit ihrem schwarzgrünen, schweren Nadelbehange, gleichsam die Vertreterin einer aussterbenden Generation, beteiligt sich an der festlichen Ausschmückung des Thales, und von den höchsten Felsen schaut die Kiefer, mit ihrem hellbraunen Stamme eine gar ausdrucksvolle Zierde, jählings in die Tiefe. Was aber all den Felsgebilden und der bestrickenden Üppigkeit des Baumwuchses erst das rechte Leben gibt, das ist das tosende, schäumende Wasser des eng eingeklemmten, leidenschaftlich aufgeregten Flusses, der wie wütend zwischen den Felstrümmern hindurchrast, um brausend in den tiefen, wirbelnden „Kessel“ zu stürzen (Abb. 74).
Aber auch der Weg von Thale an der schäumenden Bode aufwärts bis zu der über den Bodekessel führenden Teufelsbrücke, an der früher der Pfad endete, ist geeignet und ausreichend, das ob des zauberhaft schönen Bildes staunende Auge mit Wohlgefallen[101] zu sättigen und das Herz mit heiligem Schauer zu erfüllen. Die tiefe, kühle Felsspalte (Abb. 75), in welche die Sonne kaum herunterzublicken vermag, verengert sich Schritt für Schritt; hier sind die Seitenwände durch die Verwitterung zu seltsamen Zacken zersägt oder zu Gebilden umgestaltet, denen man die Namen Bodethor, Bergkanzel, Mönch hat geben können, dort scheint gar die Ruine einer ganzen Ritterburg am Felsen zu hängen; hier drohen die Felsenmauern herniederzubrechen, dort überbrückt der Pfad mühsam einen Abgrund; oft scheint die Schlucht sich völlig zu schließen, aber hinter der vorspringenden Wand öffnet sich, oft kesselartig, an der sich krümmenden Bode eine neue ebenso wilde und großartige Spalte.
Auf dem Zickzack der Schurre ersteigen wir die Roßtrappe (375 Meter), genießen den glänzenden Rundblick vom Turme der „Winzenburg“, einer durch Gräber und andre Funde bezeugten vorgeschichtlichen Wallburg, und treten auf den 25 Meter unter dem Gasthause liegenden, von keines Menschen Hand erbauten Turm des Felsenthores, durch welches das wilde Harzkind in das Land hinaustritt. Kaum zwei Meter breit, aber auf sicheren Pfeilern ruhend, schiebt sich seine (vorgeschichtlich befestigte) Plattform aus dem Granitwalle näher an den Fluß heran, so daß das Auge unbehindert aufwärts und niederwärts in die Felsenwelt eindringen und 200 Meter tief in die Thalschlucht, aus der das Brausen und Rauschen der alten Bode wie leises Gemurmel unverdrossen heraufklingt, sich senken kann. Und siehe hier die Trappe, welche der Huf des Riesenpferdes in die harte Granitplatte, beim gewaltigen Sprunge quer über das Thal hart aufschlagend, eingegraben hat!
Der zweite Pfeiler des Bodethores, der Hexentanzplatz (Abb. 76), überragt den Roßtrappfelsen um 80 Meter. Der Blick in die Tiefe und in die zerspaltenen Granitwände und dann in die Höhe zum blauen Brocken, der sich unmittelbar auf die Felswand aufzusetzen scheint, und wieder in die lachende Ebene mit ihren Dörfern und Städten: das alles bewegt das Herz gewaltig und wunderbar, wenn anders die[102] Flut der Gäste, die nur auf dem Brocken noch größer ist, uns den Genuß nicht verkümmert.
Ehe wir der Bode von dem 9600 Einwohner zählenden Dorf Thale, mit dem als Sommerfrische ersten Ranges nur noch Harzburg und Schierke konkurrieren, nach Quedlinburg folgen, werfen wir zur Linken einen Blick auf die Teufelsmauer. Vom Blankenburger Schlosse durch einen tiefen Einschnitt getrennt, zieht sich dem Harzrande parallel ein schmaler Bergzug nach Osten, dessen bewaldeter Abhang der Heidelberg heißt. Auf dem Rücken selbst ragt ein wunderbares Felsenriff aus Quadersandstein in vielen Unterbrechungen, hier anmutig mit Bäumen und Kräutern bewachsen, dort kahl und nackt, hervor. Wie von Riesenhand absichtlich zusammengewälzt, zeigt es sich hier als schroffe Klippe, senkt sich dort zerklüftet und zerteilt nieder, läßt sich streckenweise nur in zersplitterten, unordentlich umhergeworfenen Gesteinsbrocken verfolgen und verschwindet dann völlig, um in der Nähe der Bode, Thale gegenüber, wieder aufzutauchen. Die Sage bezeichnet diese Riesenmauer als ein Werk des Teufels, der sich mit Gott um die Herrschaft über die Erde stritt. Auf dem Löbbekensteige, der über den ganzen Zackenkamm führt, gelangen wir zu ihren besten Aussichtspunkten, dem Brockenblick und dem Großvater.
Auf dem von der Bode unmittelbar bespülten, einem lieblichen Blumengarten gleichenden Gottesacker der Servatius- oder Schloßgemeinde lag der alte Königshof Quitelingen (d. i. Niederlassung auf der Flußgabel), von dem die Ottonen so oft das Reich regierten. Die angrenzende seit 1816 zur Scheune erniedrigte Sankt Wipertikirche ist die älteste weit und breit. Auf scharf von der Bode aufsteigendem Sandsteinfelsen erhebt sich neben dem aus dem sechzehnten Jahrhundert stammenden Schlosse der Äbtissinnen, dessen Einrichtung Hieronymus Napoleon zu Gelde gemacht hat, der wertvollste Schmuck Quedlinburgs (Abb. 78), die lange vernachlässigte und erst in neuester Zeit wieder zu Ehren gekommene herrliche Schloßkirche, die als ein Wahrzeichen der Stadt weit in die Lande leuchtet. In ihrer Krypta ist König Heinrich I., ihr Erbauer, mit seiner Gemahlin beigesetzt. Die Oberkirche, eine frühromanische, dreischiffige Basilika mit gerader Balkendecke, stammt im wesentlichen aus der von 1070 bis 1129 reichenden Bauperiode, der Chor ist jedoch im vierzehnten Jahrhundert gotisch umgebaut. In der Cither, der zugleich als Sakristei dienenden Schatzkammer (Abb. 79), werden unter andern Kostbarkeiten der von der Kaiserin Teophano geschenkte „Krug von der Hochzeit in Kana“, ein von König Heinrich I. geschenktes wertvolles Reliquienkästchen, mit Elfenbeintäfelchen ausgelegt, auf denen Scenen aus Christi Leben in Hochrelief dargestellt sind, und ein Bruchstück einer mit prachtvollen byzantinischen Miniaturen bedeckten Itala, der ältesten lateinischen Bibelübersetzung aufbewahrt. Unter der Kirche ziehen sich weite in den Sandsteinfelsen eingehauene Grabgewölbe hin, in denen die Leichen nicht verwesen; besonders schön erhalten ist die der schönen Pröpstin Aurora von Königsmark, doch darf sie nicht gezeigt werden.
Die Vogtei über das auch nach der Reformation fortbestehende Stift ging 1697 von den Wettinern an Brandenburg über. Reichsunmittelbar war dieses dem Namen nach bis zu seiner Aufhebung[103] und Einverleibung in Preußen im Jahre 1801.
Vom Schloßplatze, an dem Klopstocks Geburtshaus aus dem sechzehnten Jahrhundert uns besonders anzieht, gelangen wir durch den „Finkenherd“ in die altertümliche Stadt mit ihren schönen Kirchen und dem mit wildem Wein dicht überwucherten im Jahre 1615 im Renaissancestil umgebauten Rathause (Abb. 77). Um das Jahr 1000 mit Stadtrechten begabt und zur Zeit ihres blühenden Handels ein angesehenes Glied der Hansa, ist Quedlinburg, dessen Einwohnerzahl von 10000 im Jahre 1807 auf 23400 im Jahre 1900 gestiegen ist, heute vorwiegend Gärtnerstadt.
Die vielgetürmte Innenstadt, das aus dem „Westendorf“ hochragende Schloß, die neuen Vorstädte mit ihren Villen und Fabriken vereinigen sich mit dem Kranze der in allen Farben prangenden Fluren, dem Lustwäldchen des Brühls, in welchem dem Sänger des Messias und dem Geographen Karl Ritter Denkmäler (Abb. 80 u. 81) errichtet sind, mit den mittelalterlichen Warten rings auf den Höhen und der Felsreihe der Teufelsmauer und den dunklen Harzbergen im Hintergrunde zu einem Bilde von eigenartiger Schönheit.
Wir kehren noch einmal nach Thale zurück, um durch das waldumkränzte Steinbachthal über die Georgshöhe (386 Meter) nach dem mit seinen Obstgärten idyllisch in den Laubwald des Wurmbachthales eingebettete Dorf Stecklenberg zu wandern, das sich, noch frei von Kurhäusern und Villen, seine jungfräuliche, ländliche Anmut und Einfachheit bewahrt hat. Und von den benachbarten Ruinen der Stecklenburg und der höheren Lauenburg, von deren noch besteigbarem Turme (348 Meter) man auch den fernen Brocken über den dichten Massen saftgrünen Buchenwaldes erblickt, weht ein romantischer Hauch über das friedliche Dorf.
Den Gebirgsrand entlang schreitend, gelangen wir an zwei schwesterlich aneinander geschmiegte Orte, das preußische Dorf Suderode (Abb. 82, 198 Meter) und das anhaltische Städtchen Gernrode (Abb. 83, 224 Meter), die zusammen etwa 4500 Einwohner haben. Der lieblich am Waldsaum gelegene Kurort Suderode heißt nicht mit Unrecht das Harzer Montreux. Lieblich ist die Aussicht vom 314 Meter hohen Stubenberge in das waldumschlossene stille Hagenthal und auf das Hügelgelände um Quedlinburg mit etwa 40 Ortschaften; auch die Gegensteine, mit denen die Teufelsmauer nach langer Unterbrechung wirksam abschließt, reihen sich malerisch in das Bild ein. In das Innere von Gernrode lockt uns ein Prachtstück ersten Ranges, die einfach-derbe Stiftskirche, ein romanischer Bau aus dem zehnten Jahrhundert, wie es in dieser Vollständigkeit keinen zweiten in ganz Deutschland gibt. Im Jahre 959 vom Markgrafen Gero, dem gewaltigen und gewaltthätigen Besieger der Slaven, begonnen, ward sie erst von seiner Schwiegertochter Hedwig, der ersten Äbtissin des von ihm[104] gegründeten vornehmen Frauenstiftes, vollendet. Nach mancherlei Unbilden früherer Zeit wurde die Kirche des im Jahre 1614 von Anhalt eingezogenen Stiftes 1832 mit dem Klostergute verkauft; nun wurden die Kreuzgänge zu Viehställen, die Krypta zum Kartoffelkeller, der Raum über der flachen Decke zum Getreideboden entweiht. Der Dank für die Erhaltung und Wiederherstellung gebührt dem edlen Fürstenhause Anhalt: Herzog Alexander Karl kaufte sie zurück, und er und seine Nachfolger ließen sie seit 1859 mit einem Kostenaufwande von 400000 Mark würdig restaurieren. Eine Basilika mit Querschiff und westlichem Turmbau, ist sie in ihren Formbildungen gewissermaßen ein Spiegel der Roheit, aber auch der Solidität des im zehnten Jahrhundert noch völlig von der Kultur unberührten kräftigen Sachsenstammes (Abb. 84).
Vor dem Kreuzaltar im Mittelschiff befindet sich die Grabstätte Geros. Das prächtige Denkmal in Sarkophagenform hat 1519 die Äbtissin Elisabeth von Weida (Reuß) durch einen Künstler der Nürnberger Schule anfertigen lassen. Diese Elisabeth, welche von 1504 bis 1532 regierte, ist die größte unter den Fürstinnen-Aebtissinnen von Gernrode. Auf dem Reichstage zu Worms ließ sie sich durch einen besondern Bevollmächtigten vertreten, erlangte 1521 vom Kaiser Karl V. die Bestätigung der Privilegien und trat in demselben Jahre noch als die erste aller reichsunmittelbaren Äbtissinnen, ohne sich durch die benachbarten Fürsten und Bischöfe irre machen zu lassen, zur Lutherischen Lehre über; und als 1525 der große Bauernkrieg auch die Gründung Geros mit Vernichtung bedrohte, trat sie unerschrocken und im Bewußtsein geistiger Überlegenheit den Aufrührern entgegen und brachte sie durch verständige Vorstellung zum Gehorsam gegen ihre Obrigkeit zurück.
Durch das Hagenthal steigen wir zum
Ramberge hinauf. Gleich dem Brocken
Mittelpunkt einer Graniterhebung und wie
dieser mit Granittrümmern übersät, welche[105]
[106]
auf seinem abgerundeten Gipfel die sogenannte
Teufelsmühle bilden, erhebt er sich
zwischen Bode und Selke zu einer Höhe
von 595 Meter, 200 Meter über die Hochebene
an seinem Fuße. Von dem auf ihm,
der „Viktorshöhe“, 1829 erbauten Holzturme
hat man einen weit umfassenden, doch ziemlich
einförmigen Rundblick.
Die Selke entspringt auf der einförmigen Hochebene des Unterharzes in 500 Meter Meereshöhe nördlich von Friedrichshöhe, fließt als einfaches Rinnsal, immer von der Bahn begleitet, über Güntersberge (410 Meter) nach Lindenberg-Straßberg und schlägt hier nordöstliche Richtung auf Mägdesprung ein. Erst bei der Silberhütte erhält das bis dahin flache Thal durch die von Fichten und Kiefern umsäumten Wiesengründe einen gewissen Reiz. Von dem 325 Meter hoch in einem freundlichen Laubwaldkessel belegenen Alexisbad (Abb. 85) an erschließen sich aber dem Wanderer von Schritt zu Schritt wechselnde liebliche Bilder. Aus dem herrlichen, mit Eichen, Birken und andern Laubbäumen, auch mit Fichten, durchsprengten Buchenwalde, welcher die Gehänge des Thales schmückt, starren hie und da, manche wie verstohlen, einzelne Klippen und ganze Felswände heraus; die bedeutendste ist die sagenhafte Mädchentrappe über dem durch seinen vorzüglichen Kunstguß rühmlichst bekannten Hüttenorte Mägdesprung (Abb. 86). Doch ist der Blick von der anliegenden Freundschaftsklippe noch schöner als von der mit einem drei Meter hohen eisernen Kreuze bezeichneten Trappe. Der Wellenschlag der vom Winde bewegten Wipfel der düsteren Waldung, über welche die ruhige Kuppe des Ramberges ernst herüberblickt, das frische, kräftige Grün unmittelbar über nacktem Fels, die weichen, geschwungenen Linien der Höhenzüge machen das für die Selkelandschaft charakteristische Bild trotz seiner Einfachheit anziehend und erhebend.
Seitwärts liegt auf einer 395 Meter hohen Ebene, die nach altem Spruche „Korn und Geld“ trägt, im Mittelpunkte von acht großen strahlenförmig von hier ausgehenden Straßen, das 4300 Einwohner zählende Städtchen Harzgerode, einst Residenz einer Linie des Hauses Anhalt, deren Glieder unter der Kirche ihre Ruhestätte gefunden haben. In dem derben, doch würdigen Schlosse, aus dessen Münze die schönen anhaltischen Ausbeutethaler und auch jüngere Münzen tadellosen Gepräges (Abb. 87) stammen, befindet sich jetzt eine große Mineraliensammlung, welche seltene Prachtstücke aus den Gruben des Herzogtums enthält. Von Mägdesprung, wo die Eisenbahn sich an der Ruine der Heinrichsburg vorüber auf Gernrode wendet, schlängelt sich die Selke, von Wiesen besäumt, mäanderartig durch das breite, sich mehr und mehr vertiefende Thal, an dessen schönster Stelle, bei der Selkemühle, ein verbotener Aufstieg zu den spärlichen Trümmern der von Otto dem Reichen und seinem Sohn Albrecht dem Bären erbauten Burg Anhalt führt; und kurz vor ihrem Eintritt in das Flachland schaut der schimmernde Falkenstein 150 Meter auf die Thalsohle hernieder.
Um das Jahr 1080 erschlug Egeno von Konradsburg den Grafen Adalbert von Ballenstedt in hinterlistigem Überfall; zur Sühne dieses Mordes verwandelte sein Sohn Burchard die über Ermsleben belegene Stammburg in ein Kloster und erbaute sich die Burg Falkenstein, nach der er sich 1120 zum erstenmal benannte. Sein Enkel Graf Hoyer ließ um das Jahr 1230 auf dem Falkenstein durch den Schöffen Eike von Repgow aus dem Gewohnheitsrecht des alten Sachsenlandes und den Weistümern (Urteilen) der Freien- und Godinge den berühmten Sachsenspiegel zusammenstellen, der in seiner eigentlichen Gestalt in Norddeutschland, Preußen, Polen und einem Teil der russischen Ostseeprovinzen, in einer Nachahmung als „Spiegel aller deutschen Leute“ und dem auf diesem beruhenden Schwabenspiegel im übrigen Deutschland das nationale Gesetzbuch wurde. 100 Jahre später, 1332, verkaufte der letzte seiner Nachkommen, Graf Burchard, ohne die Rechte seiner an den Grafen Albrecht von Regenstein verheirateten Schwester Oda zu achten, die 1296 durch die Herrschaft Arnstein vergrößerte Grafschaft an den Bischof von Halberstadt, und die darob entbrennende, von dem Quedlinburger Julius Wolff im „Raubgrafen“ so anschaulich geschilderte Fehde vermochte daran[107] nichts zu ändern. Wieder 100 Jahre später ging dann der Falkenstein, 1437 als Pfand-, 1449 als Lehnsbesitz, an die Herren von der Asseburg, die Nachkommen des zur Zeit des Kaisers Otto IV. hervorragenden Gunzel von Wolfenbüttel über, und diese „Grafen von der Asseburg-Falkenstein“ besitzen die noch immer bewohnbare Burg noch heute.
Niemals in Krieg und Fehde beschädigt, nie von Feuersbrunst heimgesucht, bietet das herrliche Schloß (Abb. 88 u. 89) das einzige Beispiel im ganzen Harze, noch jetzt das völlig getreue Bild eines mittelalterlichen Grafensitzes dar. Dazu ist die Aussicht von der Galerie des gewaltigen runden Bergfrieds, der Blick auf das grüne Waldmeer mit den hochragenden Felsinseln des Rambergs und des Brockens und in das Flachland hinaus bis zu den Bergzügen des Huy und Hakel und zu den Domtürmen von Magdeburg wahrhaft entzückend.
An dem im schönen Parke belegenen Schlosse Meisdorf, dem jetzigen Grafensitze, über dem 275 Meter hoch die Reste des Klosters Konradsburg liegen, und an dem als Gleims Geburtsstadt bekannten Ermsleben, der Hauptstadt der Grafschaft, vorüber, strebt nun die Selke der Bode zu.
An der ihr vorher zufließenden Krummen Getel, dem „anhaltinischen Mäander“, liegt inmitten blumengeschmückter Gärten und einträglicher Obstplantagen 217 Meter hoch die freundliche, stille Stadt Ballenstedt (Abb. 91), die Sommerresidenz des Herzogs von Anhalt.
Der erste aus dem schwäbischen Geschlechte der Askanier, der sich nach Ballenstedt nennt und demnach auf dieser Burg wohnte, ist Esike, Graf im Schwabengau. Als dessen Sohn Adalbert auf dem Wege nach Aschersleben erschlagen wurde, wandelten seine Nachkommen — sein Sohn Otto der Reiche und sein Enkel Albrecht der Bär — den Stammsitz Ballenstedt in ein Kloster um und erbauten sich auf einer Höhe im Selkethal die Burg Anhalt, nach der jetzt das ganze Herzogtum genannt wird. Doch war das Kloster geräumig genug, neben Abt und Konvent auch dem Stifter und Schirmherrn einen Wohnsitz zu gewähren. Als Albrecht der Bär, der große Markgraf von Brandenburg, der nach völliger Niederwerfung der Wenden die verödeten Gegenden an der Elbe, Havel und Spree mit niederländischen und rheinischen Kolonisten neu besiedelte und den Rest der Wenden durch Einführung des Christentums, deutscher Sprache und deutscher Gesetze germanisiert hat, 1168 lebenssatt die Regierung seinem Sohne Otto übergab,[108] zog er sich auf sein väterliches Erbschloß und Stift am Harze zurück und ist hier in Ballenstedt, wo er 1106 das Licht der Welt erblickt hatte, auch am 18. November 1170 verschieden und an der Seite seines Vaters Otto und seiner Mutter Eileke, der reichen Tochter des letzten Billungers, und seiner Gemahlin Sophie, der Schwester des mächtigen Grafen Hermann II. von Winzenburg, beigesetzt.
Nachdem das Kloster 1525 im Bauernkriege sein Ende gefunden hatte, diente es den Fürsten hin und wieder, namentlich zur Zeit der Jagden, als Absteigequartier, von 1627 an aber mehrfach auf Jahre als Residenz oder Witwensitz. In den Jahren 1704 bis 1720 bedeutend vergrößert, erfuhr das Schloß unter dem Fürsten Friedrich Albrecht, der 1765 hier dauernd seine Residenz nahm, eine völlige Umgestaltung; und nach all diesen Bauten, die dem Schlosse (Abb. 90), dessen schönster Schmuck die edle, geschmackvolle Einfachheit ist, ein wahrhaft fürstliches Ansehen gegeben haben, ist vom Kloster außer Turm und Küche nicht viel mehr geblieben.
Die Gräber Albrechts und seiner Familie und jüngerer Glieder seines Geschlechts sind erst 1880 unter dem Glockenturm wieder aufgefunden; es sind sargähnliche in den Fels gehauene Höhlungen mit steinernen Deckeln.
Aus den Fenstern der mit wertvollen Gemälden älterer Meister (darunter Rembrandt und Van Dyck) geschmückten Zimmer hat man eine entzückende Aussicht. Aber auch auf der Terrasse in dem 1765 angelegten herrlichen Parke ist sie wunderschön. Hinter den scharf hervortretenden Felsen der Gegensteine breitet sich, mit Städten und Dörfern übersät, eine lebensvolle Landschaft aus; Quedlinburg und das ferne Halberstadt, links Blankenburg mit seinem hochragenden Schlosse und der Regenstein mit seinen verfallenen Türmen, rechts Hoym, Ermsleben und das Bernburger Schloß begrenzen den Horizont, hinterwärts lagert sich, von der Brockenkuppe überragt, das aufsteigende Gebirge mit seinen Wäldern, Bergen und Schluchten, — bei voller Beleuchtung, etwa an einem sonnigen Morgen nach einem Regentage, ein köstlicher Anblick!
Aus dem Gebiet der Selke treten wir in das der Wipper über, die sich in der Nähe von Bernburg in die Saale ergießt. Der erste ihr dienstbare Bach, die Eine, läuft, zumal wenn wir die bei Stangerode einmündende Leine als Hauptbach ansehen, von ihrer[109] Quelle auf der Hochebene von Harzgerode bis Aschersleben der Selke in geringem Abstande parallel. Zwischen den beiden genannten Bächen liegt zwischen Kartoffelfeldern, auf baum- und poesieloser Ebene das ärmliche Dörfchen Molmerschwende, Bürgers Geburtsort, und links von der Leine das Dorf Pansfelde, das „Taubenhain“ einer fast vergessenen Bürgerschen Ballade. Oberhalb des hübsch von bewaldeten Bergen umschlossenen Stangerode finden wir bei der Einmündung des Wiebeeks in einem freundlichen Waldthale am Fuße des Hakeberges die interessanteste Wüstung des Harzes, das zuerst 1043 erwähnte Volkmannsrode: unter den weitschattenden Linden bei der Kirchenruine dieses schon ein halbes Jahrtausend verlassenen Dorfes wurde noch vor drei Jahrzehnten zweimal im Jahre das uralte Rügegericht gehegt, ein in unsere nüchterne Zeit fremdartig hineinreichender Rest des alten germanischen Gerichtsverfahrens. Ruine, Gerichtslaube und Linden werden auf Weisung der Herzoglichen Regierung noch jetzt mit Pietät erhalten.
Aber das Eineflüßchen hat noch eine dritte Überraschung für uns bereit: unfern des Dorfes Harkerode erhebt sich auf steilem Felsen die Ruine Arnstein, eine der besterhaltenen unserer Lande. Da die Edlen von Arnstedt, die mit dem aus Württemberg stammenden Erzbischof Hanno von Köln eines Geschlechts waren, sich zuerst 1136 von Arnstein nennen, so muß die Burg damals erbaut sein. Es war ein angesehenes Geschlecht: ein Walther hatte eine Enkelin Albrechts des Bären zur Gemahlin, ein Gebhard, mütterlicherseits mit den Staufen verwandt, war lange Zeit Kaiser Friedrichs II. Stellvertreter in Italien. Graf Walther V., der letzte des Geschlechts, übergab 1296, um in den deutschen Orden einzutreten, die Herrschaft seinem Schwager Otto von Falkenstein. Die Nebenlinie der „Grafen von Barby“ erlosch erst 1659.
Durch Kauf 1387 in den Besitz der Grafen von Mansfeld gelangt, wurde sie 1530, als hier eine der Linien des „Vordernorts“ ihre Residenz nahm, gründlich restauriert. Aber zwei Jahrhunderte später war sie bereits Ruine. Die Mauern des fünfstöckigen Hauptgebäudes stehen noch 20 Meter hoch, und der riesige Rundturm ist noch auf 100 Stufen im Treppenturm zu ersteigen.
Unterhalb Stangerodes verflachen sich die Hügel, und Kornfelder verdrängen völlig den Wald. Doch folgen wir der Eine noch bis Aschersleben zu flüchtigem Besuche. Schon zur Zeit der Karolinger als Ascegeresleben in Thüringen in einer Schenkungsurkunde für das Stift Fulda erwähnt, hat sich die im Mittelalter mit Quedlinburg und Halberstadt stets eng verbündete Stadt zu einer der wohlhabendsten und gewerbfleißigsten der Harzlande entwickelt und zählt jetzt 27250 Einwohner. Neben dem Reichtum an Altertümern, mit denen ihre Schwesterstädte prunken dürfen, kann sie nur wenig mehr als die gotische Stephanikirche, das schöne Rathaus im Stile der Renaissance und die unbedeutende Ruine der schon 1140 zerstörten Askanierburg stellen.
Die Wipper, welche mit der Selke fast gleiche Länge und Richtung hat, entspringt am Ostabfall des Auerbergs, greift aber mit andern Quellbächen nach allen Seiten weit hinaus, im Norden bis Neudorf, im Süden fast bis nach Dietersdorf. Kurz vor dem Flecken Wippra vereinigt sie die in der Alten und der Schmalen Wipper gesammelten Wasser.
Ihr Oberlauf ist anmutiger als der der Selke; besonders wirkungsvoll ist die Bewaldung der Schmalen Wipper: auf der Sonnenseite Buchen, auf der Winterseite Fichten. Ein Prunkstück, wie es die Selke zwischen Alexisbad und Mägdesprung uns vorhält, hat die Wipper dagegen nicht aufzuweisen; aber ihr Thal von Wippra abwärts hält den Vergleich mit dem Selkethal unterhalb Mägdesprungs wohl aus, wenn auch die sanft gewellten Höhen das breite Wiesenthal nirgends um 100 Meter übersteigen. Ihr Gefälle bis Leimbach beträgt 1 : 156, das der Selke bis Meisdorf 1 : 104 (das der Bode von der Quelle bis zur Blechhütte bei Thale 1 : 77).
Wippra liegt mit seinen Feldern und Wiesen freundlich in üppige Wälder gebettet, hat aber außer spärlichen Resten einer Burg nichts von Bedeutung aufzuweisen. Doch bald schon schimmert über prachtvolle Laubwälder das schöne im dreizehnten Jahrhundert erbaute Schloß Rammelburg, halb Brandruine, halb bewohnt, auf einem von drei Seiten umflossenen Bergvorsprunge sich mitten in das Thal schiebend, uns entgegen. Mögen andre Harzschlösser mit der Rammelburg um großartige Schönheit streiten, aber diese thalauf und -ab fast gleich wirkungsvolle Schaustellung ist nur dieser eigen. Und wenn andre Burgen uns aus alter Zeit des Interessanten viel zu berichten wissen, so erinnert uns die Rammelburg an zwei schlichtbürgerliche bedeutende Männer der neueren Zeit: der große Forstmann Pfeil, der „Erzieher des deutschen Waldes“, ist hier als Sohn eines Justizamtmannes geboren, und in der Schloßkapelle ist Hermann August Francke getraut.
Harzluft und Waldesduft zu atmen und uns an friedlicher Stille zu erquicken, ist uns nur eine kurze Strecke im Wipperthale beschieden: turmhohe, rauchwirbelnde Schornsteine, mächtige schwarze Schlackenhalden, das Thal beengend und täglich noch wachsend, Schächte und Hütten mit ihrem geschäftigen Treiben, mit allem Geklapper und Gerassel der Maschinen melden uns wuchtig, daß wir hier bei Leimbach an einer der Hauptarbeitsstätten der heiligen Barbara angekommen sind, der neuen Patronin des Bergbaues, die mit ihrem Pulver und Lärm die alten ruhigeren Bergheiligen Sankt Joachim und Sankt Anna vom Stuhle gestoßen hat. Bis Hettstedt und darüber hinaus reiht sich, miteinander wechselnd, Schacht an Schacht und Hütte an Hütte. Hier im Freiesleben-, dort im Eduardschacht und in den Lichtlöchern des 31 Kilometer langen Schlüsselstollen werden die Kupferminern gewonnen, hier in der Eckard-, dort in der Kupferkammerhütte gebrannt und geschmolzen, hier in der Katharinenhütte wird Silber und Kupfer aus dem Rohprodukt geschieden, dort auf der Saigerhütte die Raffinierkrätze zugute gemacht (Abb. 92 u. 93). Und in all das Getriebe schaut verwundert die stille Ruine der alten Burg Örner vom Waldhügel hernieder.
Bei Hettstedt, dem östlichsten Punkte des Harzes, entlassen wir die Wipper aus unserm Geleit und wenden uns der mit Leimbach fast verbundenen Stadt Mansfeld und ihren Erinnerungen an D. Luther zu.
Doch zuvor statten wir schon an dieser Stell „seines Vaters lieben Schlägelgesellen“ einen kurzen Besuch ab.
Nach alten Nachrichten sollen zwei[111]
[112]
Bauern, Nappian und Naucke, am 12. Juni
1199 beim damaligen Dorf Hettstedt den
ersten Kupferschiefer gewonnen haben, und
die Grafen im Jahre 1215 vom Kaiser
Friedrich II. mit dem Bergregal belehnt
worden sein. Wenn nun auch jene Angabe
richtig sein und die Ortschaft Kupferberg
bei Hettstedt 1199 entstanden sein mag,
so haben doch die Grafen von Mansfeld
schon lange vor dieser Zeit Bergbau betrieben.
1364 gab ihnen Kaiser Karl IV.
diesen auch innerhalb einer über die Grafschaft
hinausreichenden Grenze zu Lehen.
Kaiser Friedrich III. aber verwies sie damit
1480 an die Herzöge von Sachsen. Im
vierzehnten und fünfzehnten und auch noch
im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts
gelangte der Bergbau zu großer Blüte, aber
sein Verfall bereitete sich schon vor: die
stets um Geld verlegenen Grafen nahmen
Vorschüsse von den Kupferhändlern, verpfändeten
Hütten und gaben andre zu
Lehen. Die Teilung der damals vorhandenen
95 Hütten („Feuer“) unter die sechs
Grafenlinien im Jahren 1536 konnte den
Vermögensverfall nicht aufhalten. Als die
Schuldenlast der Grafen die für jene Zeit
ungeheure Summe von zweiundeinhalb Millionen
Gulden erreichte, nahmen Sachsen und
Magdeburg als Lehnsherren 1570 Bergbau
und drei Fünftel der Grafschaft in Sequester;
damit waren die Grafen trotz ihres Protestes
mediatisiert. Während des dreißigjährigen
Krieges und noch mehrere Jahrzehnte
nachher beschränkte man sich darauf,
alte Halden und offene Schächte auszuklauben.
Erst durch die „Freilassung“ im
Jahre 1671, die jedermann gestattete, Bergwerke
zu muten und zu bauen, kam der
Bergbau wieder in geordneten Betrieb.
Die fünf Gewerkschaften, welche sich nun
nach und nach bildeten, haben sich im Jahre
1852 zu einer einzigen, der „Mansfeldschen
Kupferschiefer bauenden Gewerkschaft“ vereinigt,
die ihren Sitz in Eisleben hat.
Es ist ein einziges muldenförmiges Kupferschieferflöz, auf dem die Mansfelder Gruben bauen. Das Erz kommt in diesem in der Regel als „Speise“ vor, d. h. in sehr feinen Stäubchen eingesprengt, die auf dem Querbruch metallisch schimmern. Doch treten neben dieser Speise, die goldgelb, blau, rot und grau sein kann, auch feine Schnüre von Buntkupfererz und Kupferglas auf, wie in den Sanderzen bei Sangerhausen dicht zusammengedrängte Kupferkiesstäubchen als „gelbe Tresse“.
Die „gültigen“ Schieferlager sind nur
sieben bis dreizehn
Centimeter mächtig,
doch muß das Nebengestein,
damit der
Bergmann Platz findet,
bis zur Gesamthöhe
von einem halben
Meter mit weggehauen
werden. Der
Häuer liegt bei der
Arbeit auf der linken
Seite und schützt sich
gegen das kalte und
nasse Gestein durch ein
angeschnalltes Beinbrett
und ein lose liegendes
Achselbrett. Die
durch Schrämen (Abb.
94) und Sprengen[113]
[114]
gewonnenen Schiefer werden durch die
Schlepper, 14- bis 19jährige Burschen,
in Hunden (Förderwagen) an die Förderstrecke
gezogen. Der Schlepper schnallt sich
ein mit acht Centimeter hohen Stollen
(Langeisen) versehenes Beinbrett vorn auf
den linken Oberschenkel, nimmt das Achselbrett
zur Hand und legt sich vor den Hund.
Dann richtet er sich soweit auf, daß er
das Knöchelgelenk des rechten Fußes mit
einem Riemen an den Hund knebeln kann,
legt sich, wenn dies geschehen ist, mit dem
linken Oberarm auf das Achselbrett, stützt
sich mit der rechten Hand auf das Liegende
(den Boden) und hakt mit den Stollen des
Beinbretts auf dieses auf. Nach dieser
Vorbereitung kann die Fortbewegung des
Hundes beginnen. Der Schlepper zieht das
freie linke Bein an, stemmt die Fußsohle
desselben, um einen festen Halt zu gewinnen,
gegen das Dach und streckt sich, das Achselbrett
mit der linken Hand weiterschiebend,
gerade; dabei zieht das gefesselte rechte
Bein den Hund selbstverständlich ein Stückchen
mit fort.
Enthielten die Mansfelder Schiefer nur Kupfer, so hätte der Bergbau längst eingestellt werden müssen. Denn nachdem Spanien, Colorado, die Gegend am Oberen See und andere Länder Amerikas in die erste Reihe der Kupferproduzenten getreten sind, kommt jetzt jährlich mehr als das Vierfache der früheren Jahresproduktion in den Handel. Nur der hohe Silbergehalt, ½ Pfd. Silber im Zentner Kupfer, sichert dem Mansfelder Bergbau trotz der Entwertung des Silbers um die Hälfte seinen Fortbestand. Aber die Gewerkschaft hat noch mit andern Schwierigkeiten zu kämpfen. Bei der Abteufung (Abb. 95) neuer Schächte ist man mehrfach auf weit verzweigte Schlotten gestoßen, von Gips eingeschlossene Hohlräume, welche durch Auflösung des ursprünglich hier abgelagert gewesenen Steinsalzes entstanden und jetzt mit Wasser angefüllt sind. Die Bewältigung dieser Wassermassen ist aber sehr schwierig und kostspielig; um dem Übel gründlich beizukommen, hat man darum in der Annahme einer unterirdischen Verbindung den Salzigen See trocken gelegt.
Welche Bedeutung das Wohl und Gedeihen des Mansfelder Bergbaues auch für den Staat hat, folgt schon daraus, daß er 80000 Personen — Berg- und Hüttenleuten mit deren Familien — ihr ausreichendes Brot gewährt.
Mit dem ‚Mannesfeld‘, welches das Stift Fulda im Jahre 974 tauschweise an[115] Magdeburg abtrat, ist das Dorf Kloster-Mansfeld gemeint, denn die nach dieser „Rodung des Mano“ benannte Burg ist erst im elften Jahrhundert erbaut, und die Stadt (Thal-) Mansfeld erst unter dem Schutze der Burg an deren Fuße entstanden.
In diesem Städtchen, das vor 100 Jahren erst 1000 Einwohner zählte, hat Luther seine Kinderjahre verlebt. Das Haus, das sein Vater im Jahre 1484 erwarb und 1530 auf seinen Sohn Jakob vererbte, ist nur noch teilweise vorhanden: über der vermauerten rundbogigen Hofpforte aus rotem Sandstein findet sich noch erkennbar das alte Luthersche Wappen, Rosen und Armbrust, mit den Buchstaben J. L. 1530.
Nicht viel besser ist es dem Grafenschlosse ergangen, das 65 Meter tief auf die an den Seitenhängen eines Thales sich hinziehende Stadt hinabsieht. Der erste, der sich nach ihm nennt und auch wohl sein Erbauer sein wird, ist Kaiser Heinrichs V. Feldherr Hoyer, der 1115 am Welfesholze fiel. Mit dem Tode des Grafen Burchard gingen 1230 Burg und Namen auf seinen Schwiegersohn, den Edelherrn Burchard von Querfurt über. Zu Luthers Zeit spalteten sich seine Nachkommen in drei Linien mit sieben Zweigen, aber ein und einhalb Jahrhunderte später war nur noch die in den Reichsfürstenstand erhobene Linie Bornstedt übrig, und auch diese erlosch, nachdem bereits 1710 der Eislebensche oder lutherische Zweig verdorrt war, am 31. März 1780 mit dem in Österreich lebenden Fürsten Joseph Wenzel von Fondi. Nun fielen die Besitzungen bis auf einige Allodialgüter, welche auf Joseph Wenzels Schwiegersohn, den Fürsten Coloredo und seitdem „Grafen von Mansfeld“, vererbten, zu ⅗ an Kursachsen und zu ⅖ an Preußen (Magdeburg).
Der meistens nur „Ernst von Mansfeld“ genannte Held des dreißigjährigen Krieges, den der Tod am 26. November 1626 im bosnischen Dörfchen Wrakowicz ereilte, war der Sohn des Fürsten Peter Ernst I. aus dessen morganatischer Ehe mit der schönen Anna von Eicken.
Im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts wurde die Burg durch Hinzufügung eines dritten Schlosses, des „Hinterortes“, bedeutend erweitert und in ihrem ganzen Umfange stärker befestigt. Aber gerade das sollte ihr den Untergang bringen: da sie im dreißigjährigen Kriege, statt das Land schützen zu können, die Heere aller Parteien angelockt hatte und bald erobert wurde, bald wieder verloren ging, so verfügte der Landesherr 1674 unter Zustimmung der Grafen ihre Zerstörung; 400 Mann arbeiteten daran, aber da Kalk und Gestein untrennbar verkittet waren, mußte ihnen[116] noch ein Trupp von 30 Bergleuten mit Bohrer und Pulver zu Hilfe kommen.
Aber noch immer stehen einzelne Reste der Mauer stolz und fest, als wären sie mit dem natürlichen Fels, der sie trägt, zu einem Stück verwachsen. Ein breiter, tief in den Fels gehauener Graben, der die Burg von Nordost bis Nordwest umgibt, zeugt von den ungeheuren Anstrengungen, die einst auf die Befestigung des Platzes verwandt sind. Ein einziges, ehemals noch durch Außenwerke gedecktes Thor führt auf dieser Seite in den noch jetzt von festen, zum Teil doppelten Mauern und Kasematten umschlossenen öden Burghof, auf dem uns von allen Seiten in romantisch-malerischen Gestaltungen die alten Wohnsitze entgegentreten. Vom Vorderort hat sich fast nichts als ein starker Wallturm, die Gewölbe der Münze und ein altes Wachthaus auf den Umfassungsmauern erhalten. Im Mittelort, in dem sich neben der würdig restaurierten gotischen Kirche das jetzige Herrenhaus inmitten hübscher Gartenanlagen befindet, fallen die Umfassungsmauern eines stattlichen Gebäudes, in dem hohe Fichten wurzeln, besonders ins Auge: es ist der 1532 erbaute „Goldene Saal“, der gemeinschaftliche Prunksaal der Häuser Mittel- und Vorderort; und im Anschauen der über den Nebenpforten eines großen Turmgebäudes angebrachten Steinbilder, eines auf dem Fasse sitzenden Bacchus und zweier Männer, von denen der eine mit seiner leeren Weinkanne nach dem den vollen Humpen leerenden Kumpan schlägt — Umschrift: Quid est? bapsi! — Darstellungen, welche den schwelgerischen Humor der Erbauer wiedergeben, müssen wir des strafenden Wortes gedenken, das D. Luther seinen lieben alten Landesherren zurief, da ihm der Wein auf der Treppe entgegenrann: „Die Herren düngen gut, es wird brav Gras danach wachsen.“ Auf und in den völlig zusammengebrochenen Mauern des Hinterorts, dessen ausgedehnte Gebäude einst als die schönsten gepriesen wurden, wuchern schon lange Bäume und Gesträuch.
Die Grafen von Mansfeld hatten sich den heil. Georg zum Patron erkoren, den vom wütenden Volke am 24. Dezember 361 beim Regierungsantritt des Kaisers Julian ermordeten Bischof von Alexandria, der sich gegen das Ende der Kreuzzüge in den ritterlichen Drachentöter, den Schutzpatron der Waffenübungen und des englischen Ordens vom blauen Kniebande verwandelte. Gleich den ungarischen wurden die mansfeldischen Georgsthaler schon im dreißigjährigen Kriege als Amulett gegen Hieb, Schuß und Stoß getragen. Der abgebildete (Abb. 96), i. J. 1620 geprägte Thaler der drei vorderortschen Grafen Volrat († 1627), Wolfgang I. († 1638) und Johann Georg II. († 1647) zeigt den Heiligen im Harnisch auf rechts schreitendem Turnierpferde, wie er mit der Lanze den Kopf des Lindwurms durchbohrt. Die Inschrift Ora pro (nobis) auf der Decke ist nicht zu erkennen. Die Umschrift ist zu lesen: Volrat, Wolfgang, Johann Georg, „patroni, comites et domini in Mansfeld, nobiles domini in Heldrungen“. Der quadrierte Wappenschild enthält im ersten und vierten, wieder viergeteilten Felde die sechs Querstreifen von Querfurt und die sechs, in zwei Reihen gestellten Wecken (oder Gerstenkörner) von Mansfeld, im zweiten den Adler von Arnstein und im dritten den Löwen von Heldrungen mit doppeltem Zagel. Als Helmzier dienen die acht mansfeldischen Fähnchen und der Arnsteiner Adler.
Der zweite, 1811 geprägte Thaler (Abb. 97) zeigt den Kopf des lustigen Hieronymus, von seines Bruders Gnaden Königs von Westfalen. Der dritte (Abb. 98) ist bereits in Berlin i. J. 1862 geprägt, mit dem beim Übergange der Verwaltung an die Gewerkschaft die besondere Vermünzung des im Mansfeldischen gewonnenen Silbers aufhört.
Unser letzter Besuch an diesem Harzrande
gilt der Lutherstadt Eisleben. (Abb.
99 und 100) Nach den großen verheerenden
Feuersbrünsten, namentlich im sechzehnten
und siebzehnten Jahrhundert, hat
sie trotz ihres hohen Alters kein altertümliches
Gepräge. Unser Rundgang darf sich
deshalb im wesentlichen auf die Lutherstätten
beschränken. Das Lutherhaus (Abb.
101) enthält im Erdgeschoß, das bei
einem Brande im Jahre 1689 unversehrt
blieb, das Geburtszimmer des großen Bergmannssohnes
und in den Sälen des 1694
im Stil der Renaissance erneuerten Oberstocks
eine Art Luthermuseum. — Um mit
seinem Rate die zwischen den Grafen,[117]
[118]
namentlich inbetreff des Bergbaus schwebenden
Streitigkeiten beseitigen zu helfen, war
Luther im Winter 1545/46 dreimal in
Eisleben; „abgelebt und müde“ kam er am
28. Januar, von den Grafen und einem
Gefolge von 113 „Pferden“ von der Grenze
ab ehrenvoll geleitet, zum drittenmal hier
an und stieg bei dem ihm befreundeten
Stadtschreiber Dr. Drachstedt ab. In Gemeinschaft
mit den beiden andern gewählten
Schiedsrichtern, dem Fürsten Wolfgang
von Anhalt und dem Grafen Heinrich
von Schwarzburg, gelang ihm zu seiner
großen Freude der völlige Ausgleich; und
obwohl schwach und hinfällig, unterschrieb
er am 17. Februar 1546 auch noch den
letzten, abschließenden Vertrag. Doch bald
darauf steigerte sich die Krankheit; das Einhorn,
das Graf Albrecht ihm schabte, und
das stärkende Wasser, mit dem die Gräfin
ihm den Puls rieb, blieben wirkungslos,
und in der dritten Morgenstunde des 18. Februar
ging der große Reformator zur ewigen
Ruhe ein. Das Sterbezimmer ist die kleine,
trauliche straßenwärts liegende Kammer im
oberen Stock des wohl erhaltenen gotischen
Hauses (Abb. 102). In der gegenüberliegenden
Andreaskirche hat Luther seine
letzten vier Predigten gehalten, die letzte
zwei Tage vor seinem Tode ( 99).
Diese mit ihren aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden Hausmannstürmen stolz aufragende Hauptkirche, als deren Pfarrer 1609–11 der in Ballenstedt geborene Johann Arnd sein „Wahres Christentum“ schrieb, gibt auch dem ansteigenden Marktplatze, auf den von der Rathausecke der gekrönte Kopf des hier gewählten Königs Hermann von Salm, das Wahrzeichen der Stadt, herunterblickt, den wirkungsvollen Hintergrund. Auf der Mitte des Platzes ist am 400. Geburtstage Luthers das Bronzestandbild (Abb. 103) des Mannes enthüllt, in dessen Hand nach den Worten des Katholiken Döllinger „Sinn und Geist der Deutschen wie die Leier in der Hand des Künstlers“ waren. In der Linken die Bibel, schickt sich der Reformator an, die Bannbulle ins Feuer zu werfen; die Reliefs am Sockel zeigen ihn in der Disputation mit Dr. Eck und der edlen Musika pflegend im Kreise seiner Familie.
Ein großartiges Fest andrer Art sah der wundervoll geschmückte Marktplatz am 12. Juni 1900: die 700jährige Jubelfeier des Mansfelder Bergbaues, verherrlicht durch die Gegenwart unsers allgeliebten Kaiserpaares.
Die Helme, deren Flußgebiet zu durchwandern uns allein noch übrig bleibt, gehört dem Harze durch ihre Nebenflüsse Zorge, Thyra, Leine und Gonna an. Da der Südrand des Harzes höher liegt, als der[119] Nordrand, so greifen diese nicht weit in das Gebirge hinein.
An den Rinnsalen, welche vom Grenzpunkte des Ravensbergs nach Süden eilen, um sich mit dem Flüßchen Wieda zu vereinigen, liegt das waldfrische, freundliche Städtchen Sachsa (Abb. 104). In dem im oberen Teile schön bewaldeten Wiedathale steigt die Harzsüdbahn von der mittleren Hochebene herab; wir folgen ihr nach dem schon außerhalb des Gebirges belegenen braunschweigischen Flecken Walkenried zur Besichtigung der großartigen Ruinen seines berühmten Cisterzienserklosters (Abb. 105), von dem die Trockenlegung der Sümpfe und Riede, die einst durch die Goldene Au hin den Südrand des Gebirges begleiteten, in so vorzüglicher Weise durchgeführt ist. Die Besitzungen des von der Gräfin Adelheid von Klettenberg um 1127 gegründeten und reich ausgestatteten Klosters erstreckten sich bald über die Harzlande und deren Nachbarschaft hinaus bis nach Lüneburg, in das Brandenburgische und die Uckermark, nach Aachen und Würzburg, und in allen Thälern des Westharzes verschmolzen seine Hütten die ihm aus dem Rammelsberge zustehenden Erze auf Silber, Blei und Kupfer. Die im Jahre 1137 von fünf Bischöfen geweihte Kirche mit acht Altären entsprach nicht mehr der Bedeutung und dem Ansehen des Klosters; schon bald nach dem Jahre 1200 begannen kunstverständige Brüder südlich von Alt-Walkenried einen Prachtbau, an dem sich Tausende von freiwilligen Arbeitern päpstlichen Ablaß verdienten. Nach 80jähriger Bauzeit konnte 1290 das neue Gotteshaus, das — halb so lang wie der Kölner Dom — seine Gewölbe mit 26 Pfeilern stützte, feierlichst eingeweiht werden. Im fünfzehnten Jahrhundert stand Walkenried, das Mutterkloster von Marienpforte (Schulpforta) bei Naumburg und Sittichenbach bei Mansfeld, in seiner höchsten Blüte. Damals konnte der Abt auf der Reise nach Rom — wie man sagte — jede Nacht im eigenen Hause schlafen. Der Bauernkrieg knickte diese Blüte jäh mit frevelnder Hand, der dreißigjährige brach sie völlig. Mit wildem Jubel stürmten die aufständischen hohnsteinschen Bauern im Mai 1515 das von den flüchtenden Mönchen verlassene Kloster, plünderten, zerschlugen, verwüsteten; Urkunden und Manuskripte[120] streuten sie den Pferden unter, Bücher warfen sie als Schrittsteine in den Schmutz. Vergeblich versuchten sie, das kunstvolle Metallbecken im Kreuzgange, das der Klosterbruder und Hüttenmeister Almante 1218 gegossen hatte, mit Hämmern zu zerschlagen, im offenen Holzstoß zu schmelzen, vergeblich die Glocke durch unaufhörliches Läuten zu zersprengen. Da knüpften sie Seile an die Turmspitze und in eine uralte Linde, verbanden diese mit dem Turm durch eine Kette, sägten das Gebälk rings herum ein, hieben den Baum um und rissen mit diesem unter Freudengeheul den Turm vom Dache herunter, daß er durch das Kirchendach und die Gewölbe schlug, und die Glocke zersprang. Bald stürzte der Chor nach, und 1570 mußte der Gottesdienst in die Kapitelstube verlegt werden, die noch heute als Fleckenskirche dient.
Seitdem steht das Kloster, eine malerische Ruine, öde und verlassen. Nach dem letzten Einsturz im Jahre 1899 sind von der Kirche, die — einzig in ihrer Art — eine in frühgotischem Stil gehaltene dreischiffige Basilika mit Kreuzarmen war, nur wenige Teile der Außenmauern erhalten, am besten das Hauptportal mit einem sehr großen Spitzbogenfenster. Unversehrt ist außer der Kapitelstube, die u. a. das kunstvoll aus Holz geschnitzte Epitaphium (Abb. 106) des 1591 gestorbenen letzten Hohnsteiner Grafen Ernst und den sehr schönen romanischen Taufstein von Alt-Walkenried enthält, nur der einen rechteckigen Hof, in welchen das Baptisterium mit fünf Seiten des Achtecks einspringt, umschließende Kreuzgang (Abb. 107), und besonders der in doppelter Breite sich an die Kirche lehnende Flügel, der durch eine Säulenreihe mit reichen Blattkapitälen in zwei Schiffe geteilt ist.
Unmittelbar vor Walkenried durchschneidet die Bahn den hohen Gipsfelsen des Sachsensteins, auf dem 1073–74 eine der Burgen Heinrichs IV. stand. Eine vor wenigen Jahren vom Geheimen Baurat Brinkmann unternommene Ausgrabung hat indes erwiesen, daß die Ruinen vier verschiedenen Zeiten angehören, und daß eine dieser Burgen in jene frühe Zeit zurückreicht, wo man noch statt des Bergfrieds eine Schildmauer aufführte; vielleicht war dies die Hocseoburg des Häuptlings Theoderich. Neben dieser interessanten archäologischen Belehrung bietet der Sachsenstein aber auch eine hübsche Aussicht.
Die Zorge, in die sich die Wieda ergießt, erhält ihre ersten Wasser von einem Kamme, dessen Mitte der 687 Meter hohe Ebersberg einnimmt. Von seinem Holzturme hat man einen großartig schönen Blick von eigenartigem Charakter. Während im Norden die Thäler des Bodegebiets flach nach Osten streichen, laufen auf der entgegengesetzten Seite die tiefer einschneidenden Thäler des Helmegebietes nach Süden. Im Westen und Norden setzen Acker und Brockengebirge dem Blick die Grenzen, im Osten fliegt er unbehindert über die endlose Hochebene, aus der die Kuppe des Rambergs kaum merklich hervortritt, und im Süden bildet erst der Thüringerwald seinen Abschluß. Im Abstieg wenden wir uns nach dem braunschweigschen Flecken Hohegeiß, der mit seinen 642 Metern der höchstgelegene Ort im Harze ist. Ähnlich wie Andreasberg von kahler Höhe steil ins Thal abfallend, verdankt es diese den Ackerbau ausschließende Lage dem um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts aufgenommenen Bergbau, der nach langer Unterbrechung erst jetzt wieder in Betrieb gesetzt wird; und seinen Namen der Elendskapelle „zum hohen Geist“, die in dieser einsamen, durch Räubereien berüchtigten Gegend an einer alten Gebirgsstraße schon im dreizehnten Jahrhundert vorhanden war.
Durch den üppigen Laubwald des Wolfsbachthales gelangen wir nach dem in 356 Meter Meereshöhe sehr schön tief in den Bergen gelegenen früheren Eisenhüttenort Zorge, einem braunschweigschen Flecken, gleichen Alters mit Hohegeiß. Am 554 Meter hohen Staufenberge vorüber wendet sich die das Flüßchen begleitende Straße, die bei der Drahthütte den alten Kaiserweg aufnimmt, nach der einst hohnsteinschen Stadt Ellrich (Abb. 108); an dem unterhalb dieser einmündenden Sülzbache liegt in einem rings durch hübsche Waldberge geschützten Thalkessel idyllisch das Dorf Sülzhain und noch etwas höher in entzückendem Waldfrieden das Sanatorium für erholungsbedürftige Knappschaftsgenossen. Auch der nördlich davon zu 635 Meter ansteigende Große Ehrenberg verdient um seiner herrlichen Aussicht willen einen Besuch. Von hier zum Jägerfleck hinabsteigend, wo sich die Straßen Ellrich-Benneckenstein[121] und Ilfeld-Hohegeiß-Braunlage kreuzen, wandern wir über das hübsch am nördlichen Fuße des 610 Meter hohen Kleinen Ehrenbergs gelegene wernigerodische Dorf Rotesütte im wunderschönen Schoppenthal zum Netzkater hinunter.
Die Kleinbahn, welche sich bei Dreiannen-Hohne von der Brockenbahn in der Richtung auf Elend abzweigt und in Sorge an der Warmen Bode die Kleinbahn Tanne-Braunlage, die Fortsetzung der Zahnradbahn Blankenburg-Tanne, kreuzt, erklettert südöstlich von Benneckenstein von der Luppbode aus die 582 Meter hohe Wasserscheide und eilt im Tiefenbachthal der von Nordosten kommenden Behre zu, um von der nur noch 352 Meter hoch gelegenen Eisfelder Thalmühle ab dem herrlichen Thale dieses Flüßchens zu folgen. Das Stück bis Ilfeld, in das wir beim Netzkater eintreten, darf sich mit seinen romantischen Klippen und üppigen Laubwaldhängen getrost den bekanntesten Glanzpartieen des Harzes zur Seite stellen.
Im Jahre 1103 überfiel Elger I. von Ilfeld den Grafen Kuno von Beichlingen in der Nacht und tötete ihn in seinem Bette. Wohl zur Sühne für diese Gewaltthat stiftete sein Sohn Elger II. „an der Pforte Hercyniens“ das Kloster Ilfeld; sein Enkel Elger III. vollendete den Bau, überließ die Burg Ilfeld, von der sich nur noch geringe Reste über der Johannishütte vorfinden, seinem Bruder Friedrich, von dessen ältestem Sohne Heinrich die Fürsten zu Stolberg abstammen, und nahm auf dem durch Heirat erworbenen Hohnstein seinen Wohnsitz. Das reich ausgestattete Kloster ward — wie Walkenried — im Bauernkriege ausgeplündert und hart mitgenommen. Im Jahre 1546 nahm der Abt Stange die Reformation an und verwandelte das Kloster auf Luthers und Melanchthons Rat und mit Unterstützung der Grafen zu Stolberg in eine Schule, als deren ersten Rektor er 1550 den berühmten Michael Neander, der damals erst 25 Jahre alt war, berief. Noch heute blüht dies Pädagogium, aus dem berühmte Männer hervorgegangen sind (Abb. 109).
Über den 612 Meter hohen Poppenberg, dessen Gipfel, die Fürst-Ottos-Höhe, einen Eisenturm trägt, der die diesem schönen Harzgebiete charakteristische Aussicht bietet: nach dem Harze zu die wellenförmige Hochebene mit dem Brocken, nach dem Lande hin die Goldene Au mit dem Kyffhäuser und der Thüringer Wald, wandern wir dem Hohnstein zu, der schönsten und bedeutendsten aller harzischen Burgruinen (Abb. 110).
Der Hohnstein ist zwischen 1110 und 1130 von einem Grafen Konrad, dem Brudersohne Ludwigs des Springers von Thüringen, erbaut. Seit 1162 nannten sich die damit von Heinrich dem Löwen belehnten Ilfelder „Grafen von Hohnstein“. Nach dem Tode des letzten dieses berühmten und in seiner Glanzzeit reichbegüterten Geschlechts traten 1593 die ihm stammverwandten und erbverbrüderten Stolberger in den Lehnsbesitz ein. So kommt es, daß sowohl ein Stück der Grafschaft Stolberg-Wernigerode[122] (Rotesütte, Sophienhof, Hufhaus), wie der Grafschaft Stolberg-Stolberg (die Gegend von Neustadt bis nach Urbach und Steigerthal nördlich von Heringen) innerhalb der Provinz Hannover liegt.
In der dunklen Nacht vom 14. auf den 15. September 1412 erstieg, von einem treulosen gräflichen Knechte geführt, Friedrich von Heldrungen mit seiner Fleglerbande die Burg, nahm den alten Grafen im Bette gefangen, und kaum gelang es dem jungen Grafen Heinrich IX., nur mit dem Hemde bekleidet, mit Hilfe seiner Gemahlin Margarete von Weinsberg, an einem Seile durch das Fenster zu entkommen. Und im Mai 1525 erstürmten die aufständischen Bauern die Burg, um den hierher geflüchteten Ilfelder Abt und dessen Eigentum zu holen. Aber beide Male schonten die Bauern die Burg. Erst der dreißigjährige Krieg brachte ihr das Ende: in der Christnacht des Jahres 1627 steckte sie der kursächsische Oberst Vitzthum von Eckstädt mittels großer Mengen ringsum gehäuften Wellholzes in Brand, und als die Neustädter herbeieilten, um die schauerlich ins Thal leuchtende Feste zu retten, ließ er sie durch Soldaten hinuntertreiben.
Trotz der Trümmerhalde, die einem natürlichen Bergsturz gleich den 90 Meter hoch aus dem Thale aufsteigenden Burgfelsen umgibt, sind noch umfangreiche Teile, Mauern, vier Thore, Türme, die Umfassungsmauern vieler Gebäude, vorhanden, und die Bäume und Sträucher, die aus den Trümmern aufgeschossen sind, und der gewachsene Fels, der zwischen ihnen zu Tage tritt, verstärken den malerischen Eindruck.
Bei dem Dorfe Niedersachswerfen, das wir über den Flecken Neustadt (Abb. 111) erreichen, wendet sich die Zorge bis Nordhausen südlich, um sich bald darauf in südöstlicher Richtung bei Heringen in die Helme zu ergießen.
Die ehemalige Reichsstadt Nordhausen (Abb. 112), die als solche in den Harzlanden nur Goslar zur Schwester hat, gehört zu den wenigen Städten, deren Befestigung bestimmt auf Heinrich I. zurückgeführt werden kann. Zugleich ist sie die dritte der harzischen Königsstädte, denn die sächsischen und fränkischen, auch noch die staufischen Kaiser nahmen hier oftmals ihren[123] Aufenthalt. Von Heinrich dem Löwen 1180 eingeäschert, erscheint sie doch schon 1270 als Reichsstadt; und erst der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 nahm ihr die Unmittelbarkeit.
An altertümlichen Bauwerken hat Nordhausen weniger aufzuweisen, als Goslar, Halberstadt und Quedlinburg. Von den sieben Kirchen ist die älteste und sehenswerteste der gotische Dom zum heiligen Kreuz mit romanischem Turm. Trotz seiner Einfachheit recht wirkungsvoll zeigt sich das Rathaus (Abb. 113), ein Renaissancebau aus dem Jahr 1510 mit einem hölzernen Roland aus dem Jahre 1717. In ihrem „Gehege“ besitzt die Stadt einen wundervollen Waldpark.
Die Wasser des Auerberges und der Gegend bei Stolberg führt der Helme, die sich bei Heringen westlich gewendet hat, die nordöstlich vom Birkenkopf (585 Meter) entspringende Thyra zu.
Der 575 Meter hohe Porphyrkegel des Auerberges setzt sich wie der Ramberg, doch etwas steiler, um etwa 200 Meter auf die Hochebene auf. Nach dem Grafen Joseph zu Stolberg, der auf der flach gewölbten Kuppe im Jahre 1822 einen von Schinkel entworfenen 22 Meter hohen hölzernen Turm in Kreuzform errichten ließ, heißt er auch Josephshöhe. Dieser 1880 durch Blitzschlag zerstörte ist 1896 durch einen durchbrochenen Eisenturm nach demselben Plane ersetzt. Mit seinen Doppelarmen bildet er das größte Kreuz der Welt (Abb. 114).
Die Rundsicht ist ungleich schöner als die von der Viktorshöhe, voller Abwechselung und Leben. Denn die schwachgewellte Ebene des Unterharzes tritt hier nur im Osten auf, und der dort nur angedeutete Brocken stellt sich hier mit all seinen Neben- und Vorbergen in voller Breite und größerer Nähe offen zur Schau, und Berg und Thal vor ihm bildet gleichsam ein tiefgehendes, grünes Gewoge. Über der Goldenen Au tritt das Kyffhäusergebirge markig hervor. Und wundervoll glänzt im nächsten Vordergrunde das Schloß Stolberg in seiner frischgrünen Umrahmung.
Heinrich von Voigtstedt in der Goldenen Au, der 1210 zum erstenmal als Graf von Stolberg vorkommt, gehört dem Hause der Ilfelder an. Waren seine Stammbesitzungen, wenn auch zerrissen, nicht unbedeutend, so sind doch als die eigentlichen Begründer des Reichtums und des Ansehens des durchlauchtigen Hauses die beiden Grafen Botho anzusehen, von denen „der Ältere“ 1450, „der Glückselige“ 1500 regierte. In der Erbteilung von 1645 fielen die Grafschaften Stolberg und Roßla Johann Martin, dem jüngeren Sohne des Grafen Christoph, zu; seine Nachkommen spalteten sich 1706 in die noch heute blühenden Zweige Stolberg-Stolberg und Stolberg-Roßla.
Das Schloß (Abb. 1), in dessen ältestem Flügel sich die Schloßkirche mit einem prächtigen Altar aus Alabaster, mit großen silbernen Leuchtern und schönen Statuen befindet, hebt sich von dem Hintergrunde des grünen Buchenwaldes der überragenden[124] Berge blendend weiß gar ausdrucksvoll ab. Die unter seinem Schutze und an seinem Fuße an einer alten Straße entstandene Stadt mußte klein und unbedeutend bleiben, denn für den Handel lag sie nicht günstig genug, ihr Bergbau hat nie Bedeutung erlangt, und Ackerbau gestatten die schroffen Berghänge nicht. Aber ihre wundervolle Umgebung — lauschiger Wald, weitschauende Höhen — fangen an, ihre Zugkraft zu üben.
Keine andre Harzstadt kommt ihr in seltsamer Lage gleich. Von allen Seiten durch hohe Berge eingeengt, erscheinen ihre langen Gassen gleichsam in die vier hier zusammentreffenden Thäler eingegossen, und die Berge wie zerrissen, als ob ein gewaltiger Blitz die Gebirgsmassen in riesige Furchen zerteilt hätte, die strahlenförmig vom Markte auslaufen. Im Mittelalter war der Marktplatz durch vier Thore befestigt, und auch am Außenende jeder der vier Gassen erhob sich ein Thor, aber Wall und Mauern hatte die Stadt nicht; denn oft unmittelbar hinter den Häusern, auch hinter dem interessanten Rathause (Abb. 115) steigen die Felsen auf. Die uralten Bürgerhäuser in malerischer Holzkonstruktion finden sich nicht, wie z. B. in Goslar, vereinzelt und verstreut, nein, die ganze Stadt mutet uns an wie ein unversehrt gebliebenes Stück Mittelalter.
Die dritte stolbergsche Residenz, das neue, schöne Schloß Roßla, liegt anmutig halb im Park versteckt am Ufer der Helme. Von hier oder von der benachbarten Station Bennungen machen wir einen kurzen Abstecher nach dem Dorfe Questenberg, das sich überaus malerisch in ein von schroffen Gipswänden eingefaßtes, enges Thal einschmiegt, deren Weiß durch die dunklen Waldhänge noch blendender wird. Auf einem dieser Felsen erhebt sich die bedeutende Ruine der Burg Questenberg, die noch im dreißigjährigen Kriege militärisch besetzt war. Unser Besuch aber gilt dem gegenüberliegenden, von einem vorgeschichtlichen Erdwalle umgebenen „Questenberge“, und insbesondere dem hier aufgerichteten Questenbaume, einer 12 Meter hohen entrindeten Eiche, an deren Kreuzarmen ein riesengroßer Kranz mit Birkenzweigen befestigt ist. Hierher zieht die Dorfgemeinde alljährlich am dritten Pfingsttage nach einem Festgottesdienste in feierlichem Zuge, führt einen Reihentanz um den Baum und kehrt zu Tanz und Schmaus nach dem Dorfe zurück. Die Sage führt diesen unzweifelhaft[125] alten Brauch recht oberflächlich darauf zurück, daß ein Kind, welches sich Pfingsten im Walde verirrt hatte, nach langem Suchen wiedergefunden wurde, als es sich gerade einen Kranz (eine „Queste“) flocht. Unschwer aber ist in dem Questenfeste noch heute das altgermanische Maienfest zu erkennen: der Kranz ist ein Sinnbild der Sonne, der Tanz um den Baum ein Bild ihres scheinbaren Rundganges um die Erde.
In einem schmalen, hoch in die Berge hinausgreifenden Thale, dessen Wasser, wie der Questenberger Bach, der bei Bennungen in die Helme mündenden Leine zurinnt, liegt in einem reizenden Waldversteck das Dörfchen Morungen mit einem prächtigen Schlosse; die nicht unbedeutende Höhe, an die sich westlich das Dorf schmiegt, trägt die stark verfallenen Ruinen der gleichnamigen Burg. Der Blick hier über das Dorf hinaus in die liebliche Berg- und Waldlandschaft wirkt überraschend, aber noch größeres Interesse gewinnt die wenig bekannte Ruine dadurch, daß diese Burg Morungen die Heimat des Minnesängers Heinrich von Morungen ist, des bedeutendsten Vorläufers Walthers von der Vogelweide.
Von der Ruine gelangen wir auf einsamem Waldpfade über den Kunstteich nach den Ruinen der Burg Grillenberg, die sich auf einem waldigen Bergrücken über dem gleichnamigen Dorfe erheben. Das Burgplateau gewährt nur nach Süden, durch das Gonnathal, eine Fernsicht, aber eben dieser Blick aus dem Waldversteck über Sangerhausen auf die Allstedter Höhen und den Kyffhäuser und bis zur Finne und Schmücke bei Sachsenburg gehört zu dem Lieblichsten, was der Südharz zu bieten vermag.
Die Gonna führt uns nach dem freundlichen Sangerhausen, der zweitgrößten Stadt des Südharzes. Schon im Hersfelder Zehntregister von 899 erwähnt, hat sie sich, wenn auch sonst modernen Ansehens, manche wertvolle Erinnerung an alte, ruhmreiche Zeiten bewahrt. Von den Kirchen stammt die romanische Ulrichskirche mit fünf Apsiden und einem Turme über der Vierung schon aus dem zwölften Jahrhundert; Graf Ludwig der Springer erbaute sie kurz nach seiner Gefangenschaft unter Kaiser Heinrich V. (1116–1120); von den Profangebäuden sind das 1586 erbaute und um 1620 erweiterte Amtsgericht mit Turm und schönen Erkern und das aus dem Jahre 1437 stammende Rathaus, das infolge eines Anbaues von 1556 „einen Sparren zu viel oder zu wenig“ hat, die sehenswertesten. Das um 1250 vom Markgrafen Heinrich dem Erlauchten von Meißen erbaute „alte Schloß“ bietet dagegen in seinem jetzigen Zustande kaum ein kunstgeschichtliches Interesse.
Gleich den jungen Bergstädten Klausthal und Zellerfeld, von denen wir unsern Rundgang durch die schönen Harzlande aufgenommen haben, führt das alte Sangerhausen, in dem wir nun den Wanderstab aus der Hand legen, das Berggezäh, „Schlägel und Eisen“, im Wappen. Das mag uns ungesucht Anlaß und Berechtigung geben, uns mit dem schönen, alten Harzer Spruche voneinander zu verabschieden:
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Der Schmutztitel wurde entfernt.
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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. 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