Project Gutenberg's Hier Zensur - wer dort?, by Heinrich Hubert Houben

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.

Title: Hier Zensur - wer dort?
       Antworten von gestern auf Fragen von heute

Author: Heinrich Hubert Houben

Illustrator: Thomas Theodor Heine

Release Date: November 13, 2020 [EBook #63744]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK HIER ZENSUR - WER DORT? ***




Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
https://www.pgdp.net






Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Cover

H. H. Houben

Hier Zensur – wer dort?

Antworten von gestern
auf Fragen von heute

Mit Umschlagbild von

Th. Th. Heine

Signet

Leipzig · F. A. Brockhaus · 1918

Zensurstempel

Dieses Büchlein ist ein Auszug aus einem gleichnamigen größeren Werk, das später im selben Verlag erscheinen wird.

Als Fortsetzung folgt ein ebenfalls in sich abgeschlossenes Bändchen von gleichem Umfang und gleichem Preis unter dem Titel: »Biedermaier-Zensur«, das folgende Kapitel enthalten wird:

1. Friedenshoffnungen und -enttäuschungen. 2. Metternich »karlsbadert«. 3. Friedrich von Gentz als Zensor. Eine Komödie in 1 Vorspiel und 5 Akten. 4. »Es soll der Sänger mit dem König gehn.« 5. Der Musterstaat Preußen. 6. Aus den Memoiren eines Berliner Zensors. 7. Redaktionsgeheimnisse. 8. Zensurstriche und -streiche. 9. Biedermaier vor und hinter den Kulissen. 10. Franz Grillparzer – ein besonderes Kapitel.

Copyright 1918 by F. A. Brockhaus, Leipzig.


[3]

Vorwort.

Der Kampf der Literatur mit der Zensur, wie sie ehemals in deutschen Landen betrieben wurde, ist der ewige Widerstreit zweier Weltanschauungen, der Kampf des Lichtes gegen die Finsternis, der Aufklärung gegen den Obskurantismus. Der unselige Krieg, der in der ganzen »Kulturwelt« soviel längst überwundenes Menschliche, allzu Menschliche wieder lebendig machte, hat auch diesen uralten Zwist aufs neue entfesselt. »Hier Zensur!« ertönt's heute allüberall, wo ein neues Werk der Literatur – oder auch nur der Druckerpresse – zum Lichte drängt, im Vaterland, in Feindesland und in Neutralien. Mit allgemeinen Redensarten für oder wider ist da nichts geholfen. Die unbestechlichen Tatsachen haben diesen Kampf zu entscheiden, in dem Fürsten und Völker, die Götter, Helden und Don Quichotes unserer Kultur eine merkwürdig wechselnde Rolle als Sieger und Besiegte spielen.

»Wer dort?« Wer sind diese Leute, die vor dem Richterstuhl des Zensors als Angeklagte zu stehen pflegten, und was waren ihre Verbrechen? Diese Frage soll mein Büchlein beantworten. Die »gute, alte Zeit« hängt es in farbenlustigen Miniaturbildern und ernsthaft-schwarzen Schattenrissen an die Wand. Da purzelt höfische und militärische, politische, religiöse und moralische Zensur nur so übereinander. Ehrlichen Gewissenskonflikt höhnt herausfordernder Übermut, das Recht des Staates, der Allgemeinheit, und das der Persönlichkeit übertrumpfen einander in Gewalttaten oder diplomatischen Listen, stolze Gelassenheit triumphiert über stichflammende Leidenschaft, und diese Hahnenkämpfe auf Leben und Tod werden anmutig unterbrochen durch kurieuse Begebenheiten, groteske Saltomortales und unfreiwillige Humore verblüffendster Art. Zuletzt kommt dann immer das große Messer und befördert alle die geschwollenen Kämme in den großen Kochtopf der Geschichte.

Vielleicht daß ein Blick in das, was gestern war, uns stärkt, im Heute durchzuhalten. Daher der Untertitel meines Buches: »Antworten von gestern auf Fragen von heute

Prof. Dr. H. H. Houben.

Leipzig,
zu Anfang des fünften Weltkriegsjahres.


[4]

Inhalt.

Seite
1.Friedrichs des Großen königliche Freiheit 5
2.Kaiser Josephs II. Zensurreform 30
3.Des gottseligen Herrn Ministers von Wöllner Blumen-, Frucht- und Dornenstücke 47
4.An der Wiege des Theaterzensors 84
5.Die Furcht vor der Revolution 101
6.Der Kampf gegen die Klassiker 118
7.Kleine Kulissengeheimnisse der Theaterzensur 135
8.Im Banne Napoleons 143
9.Ein Opfer der Zensur 165
10.Bürokratie und Militarismus 178
Nachweis der wichtigsten Quellenschriften 208

[5]

1. Friedrichs des Großen königliche Freiheit.

»Die Religionen Musen alle Tolleriret werden und Mus der Fiskal nuhr das auge darauf haben das Keine der andern abruch Tuhe, den hier mus jeder nach Seiner Fasson Selich werden.«

Erlaß Friedrichs II. vom 23. Juli 1740.

Vom Ursprung der Zensur.

Die Zensur, die Prüfung von Druckschriften vor ihrem Erscheinen im Buchhandel, ist eine Erfindung der geistlichen Machthaber zu Ende des 15. Jahrhunderts. Die Buchdruckerkunst hatte dem geknechteten Gedanken befreiende Flügel verliehen. Nachträgliche Verbote schon gedruckter und verbreiteter Bücher konnten deren Wirkung nicht mehr ersticken; also mußte man die Quellen selbst zu erfassen und einzudämmen suchen, ehe sie erquickend und befruchtend – nach Ansicht der geistlichen Kulturträger vergiftend und verheerend – ins Freie hinaussprudelten.

Dem Kurfürsten Berthold von Mainz gebührt der zweifelhafte Ruhm, 1486 in seinem Sprengel die erste Zensurbehörde eingerichtet zu haben; Exkommunikation und schwere Geldstrafe bedrohten jeden, der ein Buch druckte oder auch nur las, dem die geistliche Behörde nicht ihre Genehmigung (Imprimatur, d. h. es werde gedruckt) gegeben hatte, und die Päpste beeilten sich, diese nützliche Einrichtung durch Erlasse und Konzilienbeschlüsse in der ganzen katholischen Christenheit zur Geltung zu bringen. Papst Leo X., der die Kosten zum Bau der Peterskirche durch den Handel mit Ablaßzetteln bestritt und dadurch den Anstoß zur Reformation gab, erließ noch 1515 ein allgemeines Zensuredikt, zwei Jahre bevor Luther seine Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg heftete, und in dem damit ausbrechenden, Jahrhunderte dauernden Kulturkampf war die Zensur, die Unterdrückung aller ketzerischen Schriften und die Verfolgung ihrer Verfasser und Drucker, eine der wirksamsten und immer rücksichtsloser gehandhabten Waffen der klerikalen Heerscharen, ihrer geistlichen und weltlichen Bannerträger.

[6]

Politische Zensur.

Allmählich wucherte die Zensur auch auf das politische Gebiet hinüber. In Brandenburg-Preußen führte der Große Kurfürst sie 1654 ein; sie richtete sich aber zunächst nur gegen theologische Schriften. Der erste Preußenkönig, Friedrich I. (1701–1713), dehnte sie 1703, während des spanischen Erbfolgekrieges, auf politische Bücher aus, »so den Statum publicum und die in Krieg verwickelten Potentaten betreffen«. Die politische Zensur darf daher als eine Begleiterscheinung kriegerischer Verwicklungen bezeichnet werden. Preußische Zeitungen wurden schon im 17. Jahrhundert durch besondere Zensoren beaufsichtigt.

1708 ernannte Friedrich I. die Berliner Sozietät der Wissenschaften, die Vorläuferin der Akademie, zur obersten brandenburgischen Zensurbehörde. Sie hatte alle »politischen und die Zeit-Geschichte enthaltenden alß gelahrten zur Literatur und Scientien gehörigen Schriften« zu prüfen und alles zu verbieten, »worin der Ehre Gottes und der Würdigkeit der christlichen Religion zu nahe getretten und dieselben einigermaßen verletzet« wurden und was »wider die gesunde Moral oder auch ärgerliche und der christlichen Ehrbarkeit zuwiderlauffende Dinge« enthielt; ebenso alles, worin »von der Regierung oder hohen Obrigkeit insgemein verächtlich und verfänglich geredet, oder in Absicht auf dieselbe gefährliche Principia insinuiret oder zur Unruhe und Zerrüttungen in geist- und weltlichen Stande abziehlende Sätze eingestreuet« waren oder wodurch der Respekt gegen die »höchsten Häubter«, die Ehre und das Interesse des Königs, seines Hauses oder seiner zufälligen Verbündeten verletzt wurde.

Von einer einheitlichen Gesetzgebung für alle brandenburg-preußischen Staaten war man aber noch weit entfernt. Für das Herzogtum Magdeburg z. B. besaß die Universität Halle seit 1697 die Zensurhoheit, und mehrfache Versuche, die damit verbundenen beträchtlichen Einkünfte der Berliner Akademie zuzuwenden, stießen auf heftigen und erfolgreichen Widerstand der Hallenser Professoren. Auch ihre eigene Zensurfreiheit wollten sie sich nicht nehmen lassen. Da aber die politischen Schriften, die von der Universität ausgingen, den Fürsten allmählich unbequem zu werden begannen, wurde 1720 ihre[7] Druckfreiheit in einem Punkte beschränkt: das Rechtsverhältnis zwischen dem Kaiser und den Reichsständen durfte in Universitätsschriften, Doktordissertationen usw., überhaupt nicht mehr erörtert, höchstens berichtweise dargelegt werden. Um dieselbe Zeit verbot Friedrich Wilhelm I. einem Kriegsrat von Happe in Halle, jemals wieder Bücher drucken zu lassen, mit den freundlichen Worten: »Werdet ihr es euch dennoch unterstehn, wil ich euch aufhengen und eure Schriften durch den Büttel verbrennen lassen«.

Genau so wie die geistlichen Fürsten hatten auch die weltlichen es bald gelernt, sich der gefährlichen Erörterung ihrer Rechte durch Zensurverbote zu entledigen.

Das tapfere Generaldirektorium.

Bald genügten die bisherigen Verordnungen über politische und religiöse Schriften nicht mehr. Von 1716 bis 1731 wurden in Preußen nur neun Bücher verboten. Vom kaiserlichen Hof in Wien und besonders von Rußland liefen Beschwerden ein, und am 20. September 1732 befahl Friedrich Wilhelm, daß alle Schriften, »in welchen Unser und Unserer hohen Alliirten Interesse versiren möchte«, nicht nur »durch verordnete tüchtige Censores approbiret«, sondern außerdem noch, nebst dem Urteil des Zensors, dem Kabinettsministerium in Berlin eingesandt werden sollten.

Gegen gotteslästerliche Schriften war der fromme König besonders empfindlich. Als im Jahre 1737 eine anonyme satirische Komödie der Frau Gottsched, »Die Pietisterey im Fischbein-Rocke«, seinen heftigsten Unwillen erregte, entwarf der Minister von Cocceji ein erstes allgemeines Zensuredikt. Eine Verordnung des Königs vom 19. März bestimmte ferner, daß im Berliner Packhof von auswärts ankommende Bücher nicht eher ausgeliefert werden dürften, bis der Generalfiskal ein Verzeichnis davon erhalten und die Einfuhr genehmigt habe.

Dieser damals in Österreich schon längst üblichen Ausdehnung der Zensur auf alle im Lande gedruckten oder von auswärts eingeführten Schriften widersetzte sich aber das Generaldirektorium, die damalige preußische Verwaltungsbehörde, so[8] nachdrücklich, daß Coccejis Zensuredikt, obgleich es schon gedruckt war, zurückgezogen und die Verfügung des Königs auf theologische Schriften beschränkt wurde. »Das Bücherwesen«, erklärte das Generaldirektorium, »hat seit der Reformation in ganz Deutschland, nicht weniger in allen civilisirten Landen freien Lauf gehabt, wodurch die Gelehrsamkeit zu sehr hohem Grade gestiegen ist, in welchem wir sie heut zu Tage sehen. Wollte nun diese Freiheit durch dergleichen Ordre in Ihro Majestät Landen eingeschränkt werden, so würden die Gelehrten hiedurch nicht allein sehr niedergeschlagen, und der Buchhandel gänzlich zu Grunde gerichtet werden, sondern auch die Barbarei und Unwissenheit, welche Ihro Majestät glorwürdigste Vorfahren mit so vieler Mühe und Kosten vertrieben, auf's Neue, zum größten Praejudiz der gegenwärtigen und zukünftigen Zeit überhand nehmen.«

»Gazetten dürfen nicht geniret werden.«

Dies vielzitierte Wort Friedrichs des Großen, der am 31. Mai 1740 seine Regierung antrat, findet sich in einem Schreiben des Kabinettsministers Grafen Podewils vom 5. Juni 1740 an den Kriegsminister, das lautete:

»Sr. Königl. Mayestät haben mir nach auffgehobener Taffel allergnädigst befohlen des Königl. Etats undt Krieges Ministri H. von Thulemeier Excellenz in höchst Deroselben Nahmen zu eröffnen, daß dem hiesigen Berlinschen Zeitungs Schreiber eine unumbschränckte Freyheit gelaßen werden soll in dem articul von Berlin von demjenigen was anizo hieselbst vorgehet zu schreiben was er will, ohne daß solches censiret werden soll, weil, wie höchst Deroselben Worthe waren, ein solches Dieselbe divertiren, dagegen aber auch so denn frembde Ministri sich nicht würden beschweren können, wenn in den hiesigen Zeitungen hin undt wieder Passagen anzutreffen, so ihnen misfallen könten. Ich nahm mir zwar die Freyheit darauff zu regeriren, daß der Rußische Hoff über dieses Sujet sehr pointilleux wäre, Sr. Königl. Mayestät erwiederten aber daß Gazetten wenn sie interessant seyn solten nicht geniret werden müsten; welches Sr. Königl. Mayestät allergnädigsten Befehl zu folge hiedurch gehorsahmst melden sollen.«

[9]

Gegen diese Liberalität des neuen Herrn hatte Herr von Podewils selbst gewichtige Bedenken, und auch der Kriegsminister von Thulemeyer, der damalige Chef der Zeitungszensur, machte dazu die vorsichtige Randbemerkung: »Wegen des articuls von Berlin ist dieses indistincte zu observiren wegen auswärtiger Puissancen aber cum grano salis und mit guter Behuetsamkeit.«

Ein zweifelhafter Fortschritt.

Unter »Zeitungen« verstand König Friedrich nichts anderes als die einzelnen Nummern der seit 1721 dreimal wöchentlich erscheinenden »Berlinischen Privilegirten (später Vossischen) Zeitung«, der einzigen, die damals in Berlin bestand. Die ihr jetzt gewährte Zensurfreiheit bezog sich aber durchaus nur auf den lokalen Teil. Das war immerhin ein Fortschritt, denn nun durfte sich der Berichterstatter doch wieder getrauen, Nachrichten über das Leben am königlichen Hofe zu bringen, was Friedrichs Vorgänger sich stets sehr ungnädig verbeten hatte, so daß die Zeitungsleser über ausländische Potentaten stets weit mehr erfuhren denn über ihren eigenen Herrn.

Andererseits war der russische Gesandte über alles, was die Zeitung von Rußland erzählte, stets »ungemein sensibel«, so daß schon Friedrich Wilhelm I. 1724 dem Verleger Rüdiger befohlen hatte, keine noch so unbedeutende selbständige Nachricht über das Zarenreich mehr zu bringen; nur was der russische Gesandte selbst einsandte, durfte gedruckt werden. Gab man nun, so meinte der junge König, den eigenen Hof den Lokalreportern preis, so konnte sich auch der russische nicht mehr beklagen.

Im übrigen stand die Zeitung nach wie vor unter Zensur, die nach dem Tode Thulemeyers der Kriegsrat von Ilgen übernahm, und bald zeigte sich, daß es auch mit der »unumbschränkten Freiheit« des lokalen Teils nicht weit her war. Schon im September wurde die Zeitung strenge ermahnt, die ihr »erlaubete Freyheit mit mehrer Ueberlegung und Behutsamkeit zu gebrauchen … wiedrigen Falls nachdrückliche Ahntung zu gewärtigen« sei. Der Zensor von Ilgen hielt sich zwar an des Königs Befehl und strich im lokalen Teil nichts, aber die nachträgliche »Ahntung« konnte weit unangenehmer werden[10] als die strengste Zensur, die den Verleger wenigstens von der Verantwortlichkeit für die zensierten Artikel befreite. Weder der König noch die Minister oder das Generaldirektorium waren an Öffentlichkeit der politischen Vorgänge oder auch nur der staatlichen Personalien gewöhnt, und als schon im Dezember 1740 der erste Schlesische Krieg begann, wurde die Zeitungsredaktion sehr bald aus dem Traume ihrer vermeintlichen Zensurfreiheit aufgerüttelt. Über die wichtigsten Tagesvorgänge in Schlesien usw. durfte sie nichts bringen ohne den ausdrücklichen Auftrag des Etatsministers.

Mit königlicher Freiheit.

Nicht viel bessere Erfahrungen machte der Verleger Ambrosius Haude, der vom 30. Juni 1740 an in den »Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen« (der späteren »Spenerschen Zeitung«) der »Vossischen« eine gefährliche Konkurrenz entgegenstellte.

Haude war ein literarischer Vertrauensmann des jungen Fürsten. Als der strenge Vater die Bibliothek des Sohnes in einem Tapetenschrank entdeckte und verkaufen ließ, hatte Haude sie erstanden und in einem Hinterzimmer seines Buchladens aufgestellt, wo nun der Kronprinz verbotener Lektüre in Ruhe frönen konnte. Der Lohn dafür war jetzt ein Privileg zur Herausgabe einer deutschen und einer französischen Zeitung; die letztere, das »Journal de Berlin«, bestand nur ein Jahr.

Zunächst erfreute sich Haude tatsächlich völliger Zensurfreiheit. Da niemand wußte, wieweit das ihm vom König gewährte Privileg ging, wagte man sich an ihn nicht heran. Als aber im Dezember 1740 die Kriegszensur einsetzte und der Verleger der »Vossischen« sich beschwerte, daß der Zensor ihm Artikel streiche, die in dem Konkurrenzblatt ungehindert erschienen, fragte man Haude nach seiner Konzession, und da er nichts Schriftliches vorweisen konnte, wurde ihm am 31. Dezember befohlen, in seinen beiden Blättern »von Seiner Königlen Mt. höchsten affairen und Angelegenheiten, von nun-an, weiter nicht das geringste, es habe Nahmen wie es immer wolle«, ohne Zensur zu drucken.

[11]

Mit der »unumbschränkten Freiheit« auch nur des lokalen Teils der Berliner Zeitungen war es also schon im Dezember 1740 gründlich vorbei. Haude sperrte sich zwar noch eine Weile, aber als man ihm mit Verlust seines Privilegs drohte, blieb ihm nichts übrig, als sich der Zensur Ilgens zu unterwerfen.

Schon am 9. Juli 1743 machte dann der König selbst diesem unklaren Zustand ein Ende, indem er die drei Jahre zuvor verliehene Zensurfreiheit zurücknahm und die Gazetten nicht eher mehr zum Druck zu geben befahl, »bis selbige vorher durch einen vernünftigen Mann censiret und approbiret worden seynd«.

Kriegsrat von Ilgen übte also die Zensur weiter, bis er 1750 wegen mangelnder Aufmerksamkeit seines Amtes entsetzt und durch einen strengeren Herrn, den Geh. Rat Vockerodt, abgelöst wurde.

Bis Ende 1742 hatte die »Spenersche Zeitung« den Wahlspruch »Wahrheit und Freiheit« geführt, von Beginn des folgenden Jahres ab erschien sie nur noch »Mit königlicher Freiheit«. Das sollte jedenfalls heißen »mit königlichem Privilegium«, klang aber jetzt wie Ironie.

Die Berliner Zeitungen unter Friedrich II.

Man darf es nicht allzu tragisch nehmen, daß Friedrich der Große mit der Tagespresse genau so willkürlich umsprang wie nur irgendein Despot. Die damaligen Zeitungen waren nichts weiter als Nachrichtenblätter und strebten noch kaum danach, sich aus dieser Niederung zu erheben. Die Geheimdiplomatie war noch die alleinige Lenkerin der Staaten, und bei den häufigen kriegerischen Verwicklungen war es eine Vorbedingung des Sieges, die Karten verdeckt zu halten. Die Berichte der Berliner Zeitungen über die beiden ersten Schlesischen Kriege stammten fast nur aus dem Hauptquartier, besonders die »Schreiben eines Preußischen Offiziers«; meist hatte der König selbst sie verfaßt oder wenigstens durchgesehen. Durch diese königliche Berichterstattung wurden die Berliner Zeitungen zum erstenmal wichtige Quellen für die gesamte europäische Presse. Was Friedrichs nächsten Zwecken widersprach oder seine Pläne verraten konnte, wurde nach dem Gebot der Kriegszensur[12] unnachsichtig unterdrückt. Man fahndete auf die Verbreiter falscher und flauer Kriegsgerüchte, und fremde Zeitungen, die mit Tatarennachrichten die Stimmung verdarben, wurden verboten.

Im übrigen wurden noch keine Partei- und Überzeugungskämpfe in den Berliner Zeitungen ausgefochten. Der Verleger Haude hatte in seinem Blatte zuerst den Artikel »Von gelehrten Sachen« eingerichtet; die »Vossische« begann erst 1748 diesem Vorbild zögernd zu folgen, übertrumpfte dann aber die Konkurrentin bald dadurch, daß sie 1749 Lessing als Mitarbeiter gewann; eine nur kurze Episode, die aber den Beginn der schöpferischen literarischen Kritik in Berlin nicht nur, sondern in der deutschen Literatur überhaupt bedeutete.

Im Jahre 1744 beschwerte sich Haude einmal, daß der Kriegsrat von Ilgen ihm jede tadelnde Kritik eines Buches verbiete, wodurch sich das Feuilleton seines Blattes lächerlich machen müsse, und es scheint, daß der König den Eifer des Zensors ein wenig gedämpft hat. Von sonstigen Zensurgefechten der Zeitungsschreiber in den vierziger Jahren melden die Akten aber nichts, woraus sich von selbst ergibt, daß sich das Fähnlein der damaligen Journalisten nicht sonderlich herausfordernd, angriffslustig und neuerungssüchtig erwiesen hat.

Auch das Feuilleton der damaligen Berliner Blätter bot nur einen kümmerlich matten Abglanz vom Geist der Zeit, der sich dagegen in der Buchliteratur und den schon ziemlich zahlreichen Wochen- und Monatsschriften seinem innersten Wesen nach offenbarte.

Das Zeitalter der Aufklärung.

Das Jahrhundert Friedrichs des Großen nennt sich das der Aufklärung. Nicht als ob der preußische König diesen Stempel seiner Zeit gewaltsam aufgedrückt hätte. Ihr Gepräge schuf sich, unabhängig von ihm, aus der geistigen Kraft der Nation. Ihm gebührt aber das Verdienst, dieser kulturellen Flut keinen Damm entgegengesetzt, sondern ihr freien Lauf gelassen zu haben.

Das Wesen der Aufklärung liegt in ihrem Kampf um Gott. Es wurzelte in religionsphilosophischen Problemen und griff erst allmählich auch auf das Verhältnis des Menschen zum Staat und zur Obrigkeit hinüber. Die sich hieraus entspinnenden Kämpfe gehören aber einem spätern Zeitalter an.[13] Wenn daher Friedrich in politischen Fragen keine Duldung abweichender Meinungen kannte, so versündigte er sich damit noch nicht am Geist seiner Zeit, der nur nach Aufklärung in theologischer Hinsicht verlangte.

Im ersten Jahrzehnt seiner Regierung war sich der junge König, der selbst die bittere Qual geistiger Knechtschaft unter der brutalen Faust seines gewalttätigen Vaters bis zum Äußersten gekostet hatte, über seine Haltung gegenüber dem Geist seiner Zeit noch nicht klar, was seine hin- und hertastenden ersten Zensurverfügungen zeigen.

Das Zensuredikt von 1749.

Unterm 11. Mai 1749 erschien in Preußen ein »Edikt wegen der wiederhergestellten Censur derer in Königlichen Landen herauskommenden Bücher und Schriften, wie auch wegen des Debits ärgerlicher Bücher, so außerhalb Landes verleget werden«.

Der König, so heißt es in der Einleitung, »habe höchst mißfällig wahrgenommen, daß verschiedene scandaleuse theils wider die Religion, theils wider die Sitten anlaufende Bücher und Schriften in Unseren Landen verfertiget, verleget und debitiret werden«. Um diesem »Unwesen« abzuhelfen und »die ehemalige seit einiger Zeit in Abgang gekommene Bücher-Censur wiederum herzustellen«, werde nunmehr in Berlin eine Zensurkommission eingesetzt, die »alle Bücher und Schriften, die in Unseren sämmtlichen Landen verfertiget und gedruckt werden, oder die Unsere Unterthanen außerhalb Landes drucken lassen wollen«, vor dem Druck zu genehmigen habe.

Zensurfrei waren nur die Schriften der Akademie der Wissenschaften. Was in Universitätsstädten erschien (mit Ausnahme politischer Schriften), mußte die Universität selbst durch die in Betracht kommenden Fakultäten auf eigene Gefahr zensieren lassen. Politische Schriften, die den »Statum publicum« des Deutschen Reiches oder des preußischen Königshauses und »die Gerechtsame« Preußens betrafen oder bei denen »auswärtige Puissancen und Reichsstände interessiret sind«, unterstanden ohne Ausnahme dem »Departement derer auswärtigen Sachen«. »Bloße Carmina« schließlich konnte, wenn keine Universität am Orte war, die Landes-Provinzialregierung oder die städtische Ortsbehörde zum Druck freigeben.

[14]

Im übrigen sollte »nicht das Geringste« ohne vorherige Genehmigung gedruckt werden. Auf Umgehung der Zensur stand eine Strafe von 100 Talern. Ebensowenig durften die Buchhändler »scandaleuse und anstößige« Bücher von auswärts kommen lassen und verkaufen; konnten sie ihre Ahnungslosigkeit nicht beschwören, so hatten sie ihre Unvorsichtigkeit in jedem Fall mit 10 Talern Strafe zu büßen.

Die gekränkten »Schulbedienten«.

Der Ruhm, Friedrichs des Großen Zensuredikt veranlaßt zu haben, gebührt hauptsächlich den Berliner Schulmeistern.

Seit dem 2. Januar 1749 gab der Verleger der »Vossischen Zeitung«, Christian Friedrich Voß, der Schwiegersohn Rüdigers, eine Zeitschrift »Der Wahrsager« heraus, die der Redakteur der »Vossischen«, Christlob Mylius, zum größten Teil selbst schrieb. Zu ihren Mitarbeitern gehörte auch Lessing.

Das 7. Stück des »Wahrsagers« vom 13. Februar 1749 brachte nun einen sehr amüsanten Aufsatz, der gegen Schule und Lehrerschaft heftige Angriffe voll Spott und Ironie enthielt, und prompt lief eine Beschwerde einiger Berliner »Schulbedienten« ein, die darüber Klage führten, daß in diesem Aufsatz »der Schulstand ziemlich durchgenommen und lächerlich gemachet werde, welches ihn bei der ohnehin boshaften Jugend zum Despekt gereichte und aus der nöthigen Autorität setzte«.

Der Adjunctus fisci Kornmann beschied also den Verleger zu sich. Dieser erklärte, der inkriminierte Aufsatz habe nicht »vernünftige Schulleute attaquiren« wollen; übrigens »gäbe es auch dergleichen, wie sie in dem Stück charakterisiret wären«. In Zukunft versprach Voß, seine Zeitschrift »allenfalls moderater« einzurichten.

Aber acht Tage später brachte das 9. Stück des »Wahrsagers« eine Plauderei über Hahnreie, worin Kornmann die versprochene Mäßigung vermißte. Er setzte daher einen Bericht an das Ministerium auf; in dem letzten Stück geschehe »bei einer satyrischen Materie gewisser Straßen in Berlin Erwähnung, welche Leuten, so sich mit dergleichen Schriften amüsiren, leicht Gelegenheit giebet, allerhand Applicationes zu machen, anderer Folgen, so daraus entstehen könnten, nicht zu gedenken«.

[15]

Der Etatsminister von Bismarck fragte daraufhin beim Großkanzler von Cocceji an, »da so viele Misbräuche vorgehen, wie noch kürzlich mit denen Schriften des de La Mettrie geschehen«, ob nicht ein Zensor einzusetzen sei. Cocceji stimmte zu: am 7. März 1749 wurde dem Verleger anbefohlen, Anstößiges im »Wahrsager« zu vermeiden, und am selben Tage schlugen Cocceji, Bismarck und Danckelmann dem Könige die Bestellung eines Zensors vor, »ohne dessen Approbation nicht das geringste zum Druck befördert werden dürfe«.

Am 16. März billigte eine Kabinettsorder des Königs den Vorschlag, verfügte aber zugleich, »Druck und Debit« des »Wahrsagers« sofort zu verbieten, ein Befehl, der um so auffälliger war, als die Minister diesen Vorschlag gar nicht gemacht hatten. Die Minister beeilten sich auch nicht, dem Befehl Folge zu leisten, denn das Verbot wurde erst zwei Monate später ausgefertigt – wenige Tage nachdem der Verleger das Blatt mit dem 20. Stück vom 15. Mai hatte eingehen lassen.

Vielleicht hatten die Minister gehofft, den König mittlerweile noch umstimmen zu können; aber dieser stand damals unter dem Einfluß des vorhin erwähnten französischen Philosophen Lamettrie, der seiner polemischen und satirischen Schriften wegen aus Frankreich und Holland hatte flüchten müssen und in Berlin als Vorleser des Königs ein Asyl gefunden hatte. Auch ihn hatte der »Wahrsager« in dem Aufsatz über das Schulwesen heftig mitgenommen, und der Ausländer, der unter Friedrichs blinder Vorliebe für alles Französische in Preußen Preßfreiheit genoß, die er in seinem Vaterland nicht hatte finden können, entblödete sich nicht, seinen königlichen Gönner gegen die einheimische Presse scharfzumachen. Die Beschwerde der Berliner »Schulbedienten« bot ihm dazu die willkommene Handhabe, die er geschickt zu benutzen wußte, um seinen Widersacher Mylius mundtot zu machen.

Der Berliner Schriftsteller und Verleger Friedrich Nicolai, der Freund Lessings, versichert dagegen, die treibende Kraft beim Erlaß des Zensuredikts sei der zelotische Probst Süßmilch gewesen, der nachdrücklich gegen die vielgelesenen Schriften des »berüchtigten« Aufklärers Edelmann vorgehen wollte. Dieser freigeistige Polterer hatte sich 1749 in Berlin niedergelassen[16] und bald eine große Gemeinde um sich versammelt; der König ließ ihn gewähren, da sich Edelmann verpflichtet hatte, nichts mehr zu schreiben, und es gelang den orthodoxen Hetzern auch nicht, das räudige Schaf aus ihrer Hürde zu entfernen.

Die erste Berliner Zensurkommission.

Wer waren nun die Männer, denen Friedrich der Große 1749 die oberste Zensurgewalt anvertraute?

Als der König am 16. März die Anstellung eines Zensors guthieß, bestimmte er ausdrücklich, »daß ein ganz vernünftiger Mann zu solcher Censur ausgesuchet und bestellet werden soll, der eben nicht alle Kleinigkeiten und Bagatelles releviret und aufmutzet«. Aber die Minister, vor allem wohl der Großkanzler Cocceji, der schon 1737 eine strenge Zensur hatte einführen wollen, legten den königlichen Willen in ihrem Sinne aus und bildeten die Zensurkommission aus vier Männern, von denen allen kaum zu erwarten war, daß sie ihr Amt im friderizianischen Geiste ausüben würden, deren Wahl aber doch der König genehmigte.

Die juristischen Schriften sollte der Geheime Tribunalsrat Buchholtz überwachen, die historischen der französische Prediger und Konsistorialrat Poloutier, die philosophischen der Kirchenrat und Prediger Dr. Elsner und die theologischen der vorhin genannte Probst und Konsistorialrat Joh. Peter Süßmilch. Die medizinischen Werke waren gar nicht erwähnt; ihre Zensur besorgte schon seit 1709 das Oberkollegium medicum.

Ein Jurist also und drei Theologen. Im Stil der Zeit war demnach auch diese Zensurkommission des freigeistigen Königs eine vorwiegend theologische. Über das, was wider die Religion und die guten Sitten verstieß, hatten Prediger und Konsistorialräte zu entscheiden. Nur die juristische Literatur erfreute sich der Aufsicht eines Fachgelehrten.

Der verwunderte Zensor.

Von nachhaltiger Wirkung ist aber dieses Zensuredikt nie gewesen. Der persönlichen Initiative des Königs war es nicht entsprungen, und seine ministeriellen Ratgeber merkten wohl bald, daß sie mit einer allzu bürokratischen Auslegung des Gesetzes wenig Beifall bei ihm fanden. So war es, nach Nicolais Versicherung, bald vergessen, und statt seiner entwickelte sich in Preußen[17] eine beispiellose Preßfreiheit, die für den Aufschwung der deutschen Literatur von unberechenbarem Einfluß war. Schriften, die nirgendwo in Deutschland offen verkauft werden durften, vor allem solche philosophischer und theologischer Art, die den erfolgreichen Kampf des Zeitalters der Aufklärung gegen die Orthodoxie führten, wurden in Berlin nicht beanstandet, zum Teil dort verlegt, und es fiel bald niemandem mehr ein, die Zensurbehörde auch nur um Erlaubnis zu fragen. Sah sich schließlich auf das Drängen eines Angebers hin der Generalfiskal veranlaßt, einen Verleger zu maßregeln, so schlug der König das Verfahren meist nieder. Im Jahre 1763 war die Zahl der (seit 1716!) verbotenen Bücher noch nicht auf über 26 gestiegen.

Als Friedrich Nicolai im Jahre 1759 den damaligen Zensor der philosophischen Schriften, Dr. Heinius, ersuchte, die Zensur der berühmten »Literaturbriefe« zu übernehmen, die Nicolai mit Lessing, Mendelssohn und Abbt 1761–1767 herausgab, war der Zensor höchst überrascht, daß einmal jemand etwas wolle zensieren lassen, was »ihm lange nicht vorgekommen« sei. Die »Literaturbriefe«, dann desselben Herausgebers »Allgemeine Deutsche Bibliothek«, die von 1765–1792 ungehindert in Berlin erscheinen konnte, und seit 1783 Gedike und Biesters »Berlinische Monatsschrift«, die den großen Philosophen Kant zu ihren Mitarbeitern zählte, sind die bedeutendsten der zahlreichen kritischen Zeitschriften, die unter Friedrichs des Großen Regierung emporblühten und, trotz seiner persönlichen Abneigung gegen alles deutsche Schrifttum, der machtvollen Entwicklung der deutschen Literatur bahnbrechend vorgearbeitet haben.

Wie Friedrich II. gegen die österreichische Jesuitenzensur ein Exempel statuierte.

Wie wenig Friedrich trotz seines Zensurediktes gewillt war, die fanatische Verfolgung aller Denk- und Redefreiheit, wie sie namentlich in Österreich ausgeübt wurde, mitzumachen, zeigt ein köstlicher Streich, den er 1750 den dortigen Jesuiten spielte.

Der König traf im Jahre 1750 im Schloßgarten von Sanssouci einen jungen Mann, dessen fremdartige Tracht ihm auffiel. Er ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein und erfuhr, daß er einen Reformierten aus Ungarn vor sich habe,[18] der in Frankfurt an der Oder Theologie studiert hatte und vor der Heimreise noch die Residenz des Königs sehen wollte. Friedrich fand an dem jungen Manne so viel Wohlgefallen, daß er ihm nahelegte, in seinen Staaten zu bleiben, und ihn daselbst zu versorgen versprach. Der Kandidat lehnte diesen Vorschlag seiner Familienverhältnisse wegen ab. Nun forderte ihn der König auf, sich eine andere Gnade zu erbitten, und als der Kandidat meinte, er wisse nicht, was er verlangen solle, fragte Friedrich, überrascht durch diese seltene Bescheidenheit, ob er ihm denn nicht irgendeinen Gefallen erweisen könne?

»Ich habe mir«, antwortete nun der Theologe, »verschiedene philosophische und theologische Werke gekauft, die in Österreich verboten sind. Die Jesuiten werden sie mir wegnehmen, sobald ich in Wien eintreffe. Wollten nun Eure Majestät mir diese Bücher –«

»Nehme Er seine Bücher«, unterbrach ihn Friedrich, »in Gottes Namen mit, kauf' Er sich noch dazu, was Er denkt, das in Wien recht verboten ist, und was Er nur immer brauchen kann. Hört Er? Und wenn sie Ihm in Wien die Bücher wegnehmen wollen, so sag' Er nur, ich habe sie Ihm geschenkt. Darauf werden die Herren Patres wohl nicht viel achten, das schadet aber nichts. Laß Er sich die Bücher nur nehmen, geh' Er aber dann gleich zu meinem Gesandten und erzähl' Er ihm die ganze Geschichte und was ich Ihm gesagt habe. Hernach geh' Er in den vornehmsten Gasthof und leb' Er recht kostbar. Er muß aber täglich wenigstens einen Dukaten verzehren, und bleib' Er so lange, bis sie Ihm die Bücher wieder in's Haus schicken.«

Der König ging darauf ins Schloß, kehrte aber bald nachher zu dem Kandidaten zurück und übergab ihm ein Blatt Papier, das die Worte enthielt: »Gut, um auf Unsere Kosten in Wien zu leben. Friedrich.« Dieses Blatt sollte er in Wien dem preußischen Gesandten übergeben und sich im übrigen genau nach der erhaltenen Vorschrift benehmen. Außerdem versprach der König, ihm die beste Pfarre in Ungarn zu verschaffen; dann entließ er den jungen Theologen, Hedheßi war sein Name, in Gnaden, ihm Glück auf die Reise wünschend.

Hedheßi kaufte so viel verbotene Bücher zusammen, als er vermochte, und reiste nach Hause. Vor den Linien Wiens[19] wurden seine Bücher beschlagnahmt. Er wandte sich also an den preußischen Gesandten, um seine Bücher zurückzuverlangen.

Der Gesandte, bereits vom König gehörig instruiert, ließ den Theologen in den ersten Gasthof der Residenz führen und berichtete über den Stand der Sache nach Berlin. Plötzlich erging aus dem Kabinett des Königs der Befehl, die Bibliothek der Jesuiten in Breslau zu versiegeln und mit Wachen zu besetzen.

Die bestürzten Jesuiten in Breslau forschten vergebens nach der Ursache der königlichen Ungnade und sandten, um das Gewitter abzuleiten, eine Deputation nach Potsdam. Friedrich ließ die Abgeordneten vier Wochen auf eine Audienz warten, während welcher Zeit der junge Hedheßi in Wien nach der königlichen Vorschrift lebte. Endlich ließ sie der König vor, verwies sie aber an seinen Gesandten in Wien und bat sie, ihn den dortigen Bücherrevisoren zu empfehlen.

Die frommen Väter verstanden diesen Wink ebensowenig wie ihre Brüder in Breslau. Diese sandten eine andere Deputation nach Wien, um hier endlich die dringend notwendige Aufklärung zu erlangen. Aber der preußische Gesandte in Wien, an den sich die Abgeordneten wandten, bedauerte, ihnen keinen Aufschluß erteilen zu können; nur so nebenher warf er die Bemerkung hin, es sei hier ein junger Mann, dem die Jesuiten eine Kiste mit Büchern weggenommen hätten.

Nun ging den Abgeordneten plötzlich ein Licht auf. Sie eilten zu ihren Kollegen, und ehe eine Stunde verging, erhielt Hedheßi die konfiszierten Bücher zurück. Auch beeilten sich die Herren, seine teure Zeche zu bezahlen.

Mit leichterem Herzen gingen sie jetzt wieder nach Potsdam, um ihre Bitte zu erneuern. Friedrich empfing sie diesmal freundlich, übergab ihnen einen Kabinettsbefehl, der die Wiedereröffnung der versiegelten Bibliothek anordnete, und ein Schreiben an den Pater Rektor in Breslau, des Inhalts, daß das Kollegium zu Breslau dafür einstehen müsse, wenn die Reformierten in Ungarn wegen dieser Sache gekränkt würden und Hedheßi nicht die beste Pfarre in seiner Heimat erhalte.

Und es geschah, wie der König wünschte.

[20]

Wenn die Katze nicht zu Hause ist …

Länger als drei Jahre waren die »Literaturbriefe« unter vorschriftsmäßiger Zensur ungestört erschienen, als sie plötzlich am 18. März 1762 kurzerhand für jetzt und künftig verboten wurden und der Generalfiskal Geheimer Rat Uhden den Auftrag erhielt, dem Herausgeber den Prozeß zu machen.

Um die Gründe des Verbots zu erfahren, begab sich Nicolai sogleich zu Uhden, der ihm sonst wohlgewogen, aber in Amtssachen ein unparteiischer und strenger Richter war, konnte von ihm jedoch nichts anderes erfahren als die Versicherung: »Man wisse sehr wohl, was für höchst strafbare und unverzeihliche Sachen in den ›Literaturbriefen‹ enthalten seien.« Nicht wenig betroffen war allerdings der Generalfiskal, als ihm Nicolai die Zensurbogen vorwies; unter diesen Umständen, meinte er, habe der Herausgeber nichts zu befürchten; den Verfasser der verbrecherischen Aufsätze »werde man aber zu finden wissen«.

Auf den nächsten Tag war auch schon einer der Hauptmitarbeiter der Zeitschrift, der Philosoph Moses Mendelssohn, vorgeladen, ein sanfter und ruhiger Mann, dem es aber nicht an Charakterfestigkeit fehlte, wo es auf Standhaftigkeit ankam. Zwischen ihm und dem Generalfiskal, der den jüdischen Philosophen noch gar nicht kannte und den Eintretenden mit finsterer Amtsmiene empfing, entwickelte sich nun folgendes Gespräch:

Uhden: »Hör' Er! Wie kann Er sich unterstehen, wider Christen zu schreiben?«

Mendelssohn: »Wenn ich mit Christen Kegel spiele, so werfe ich alle Neune, wenn ich kann.«

Uhden: »Untersteht Er sich zu spotten? Weiß Er wohl, mit wem Er redet?«

Mendelssohn: »O ja! Ich stehe vor dem Herrn Geheimen Rat und Generalfiskal Uhden, vor einem gerechten Manne.«

Uhden: »Ich frage Ihn noch einmal: Wer hat Ihm erlaubt, wider einen Christen, und noch dazu wider einen Hofprediger, zu schreiben?«

Mendelssohn: »Ich muß nochmal wiederholen, und wahrlich ohne allen Spott: Wenn ich mit einem Christen Kegel schiebe, wäre es auch ein Hofprediger, so werfe ich alle Neune, wenn ich kann. Das Kegelspiel ist eine Erholung für den[21] Leib, wie die Schriftstellerei eine Erholung für meinen Geist ist; jeder welcher schreibt, macht es so gut wie er immer kann. Übrigens wüßte ich nicht, daß ich je wider einen Hofprediger noch einen andern Prediger geschrieben hätte.«

Uhden: »Oh! ich merke, Er will leugnen; man wird Ihm schon die Künste abfragen. Er hat wider die christliche Religion geschrieben.«

Mendelssohn: »Wer Ihnen dieses gesagt hat, hat Ihnen eine große Unwahrheit gesagt.«

Uhden: »Leugne Er nur nicht! Man weiß es schon besser. Dies ist wider das Judenprivilegium. Er hat den Schutz verwirkt.«

Mendelssohn: »Ach, ich habe hier keinen Schutz zu verwirken. Ich habe kein Privilegium; ich bin Buchhalter bei dem Schutzjuden Bernhard.«

Uhden: »Desto schlimmer! Die geringste Strafe für seinen Frevel wird sein, daß man Ihn aus dem Lande weiset.«

Mendelssohn: »Wenn man mich gehen heißt, so werde ich gehen. Ich habe mich nie den Gesetzen widersetzen wollen; und der Gewalt kann ich mich noch weniger widersetzen.« …

Mittlerweile hörte Nicolai, der Staatsrat sei der Urheber des Verbotes gewesen, und durch den Geheimrat von Podewils, der das Protokoll der Staatsratssitzung geführt, die »Literaturbriefe« gelesen und die Haltlosigkeit der übereilten Maßregel sofort erkannt hatte, erfuhr er den genauern Zusammenhang:

Ein Vielschreiber namens Justi hatte sich für die scharfe Kritik eines seiner Bücher in den »Literaturbriefen« dadurch gerächt, daß er die Zeitschrift denunzierte, ein Jude habe darin in einem Aufsatz wider den Hofprediger Cramer in Kopenhagen die Gottheit Christi bestritten und außerdem durch ein freches Urteil über ein Werk des Königs, die »Poésies diverses«, eine Majestätsbeleidigung begangen. Justi, der später wegen Unterschleife Festungsstrafe erhielt, war durch die Protektion des königlichen Leibarztes Dr. Eller soeben nach Berlin gekommen und galt als ein großer Chemiker, der das verfallene preußische Bergwerkswesen wieder in Flor bringen sollte. Der Anzeige dieses Mannes hatte der Staatsrat blindlings Glauben geschenkt. Dem damaligen Großkanzler von Jariges, der sich[22] um deutsche Literatur nie bekümmert hatte, war zudem die Denunziation höchst gelegen gewesen: Manche freie Äußerung des Königs selbst über Religion hatte er mit stiller Entrüstung hören müssen und an der dadurch eingerissenen allgemeinen Urteilsfreiheit in religiösen Dingen längst heftigen Anstoß genommen. Jetzt war die Gelegenheit günstig: der König, der »dergleichen Sachen zu leicht zu nehmen pflegte«, weilte im Felde – es war die Zeit des Siebenjährigen Krieges –, jetzt ließ sich über den Kopf des Philosophen von Sanssouci hinweg durch eine drakonische Strafe dem einreißenden Mißbrauch Einhalt tun. In diesem Sinne hatte er dem Staatsrat die Sache vorgetragen und ohne Widerspruch das Verbot der »Literaturbriefe« durchgesetzt.

Justis Denunziation war aber eine doppelte Lüge: einmal hatte nicht Mendelssohn, sondern Lessing den Aufsatz gegen des Hofpredigers Cramer Wochenschrift, den »Nordischen Aufseher«, geschrieben und dabei nichts weiter gesagt, als daß Cramers Vorstellung von der Person Christi sozinianisch sei, eine noch heute in den Unitariern fortbestehende, sektirerische Auffassung, die der göttlichen Verehrung Christi keinen Abbruch tat. Die Kritik über Friedrichs des Großen »Poésies diverses« im 6. Bande der »Literaturbriefe« dagegen hatte Mendelssohn allerdings geschrieben, aber sie enthielt so wenig eine Majestätsbeleidigung, daß der König selbst sie mit Zufriedenheit gelesen hatte!

Nach dieser Aufklärung war es für Nicolai leicht, die Aufhebung des Verbotes zu erwirken; er machte eine Eingabe an den Staatsrat, bei der ihm der eigene Sohn des Generalfiskals, der für Musik und Literatur lebhaft interessierte Kammergerichtsrat Uhden, durch Einfügung etlicher kräftiger Sprüchlein über das leichtsinnige Vorgehen der Behörde unterstützte; gleichzeitig beschwerte sich der Zensor Dr. Heinius über die Nichtachtung der von ihm ausgeübten Zensur, und vier Tage nach dem Verbot waren die »Literaturbriefe« wieder freigegeben.

Der Vorfall hatte wenigstens das eine Gute, daß der Lärm, den er erregte, manche Leute auf die neuere deutsche Literatur aufmerksam machte, um die sie sich nach dem Beispiel des Königs bisher wenig oder gar nicht gekümmert hatten.[23] Denn es war allerdings merkwürdig, daß, nachdem die »Literaturbriefe« schon bis in den 13. Band fortgesetzt waren und in der deutschen gelehrten Welt nicht wenig Aufsehen gemacht hatten, dennoch die damaligen preußischen Staatsminister nebst dem Generalfiskal weder von der Existenz noch von der Bedeutung der Zeitschrift eine Ahnung hatten!

Was dem einen recht ist …

Der Berlinische Kalender für das Jahr 1771 brachte zwölf Blätter von Chodowiecki, die Szenen aus dem »Don Quichote« darstellten. Das Titelkupfer zu diesem Bande bildete ein Porträt Josephs II.

In dieser zufälligen Zusammenstellung witterte man in Wien eine Verhöhnung des Kaisers, und die dortige Zensurbehörde beschwerte sich dieserhalb beim König von Preußen. Der aber dachte nicht daran, gegen die Herausgeber einzuschreiten; um die Wiener von der Grundlosigkeit ihres Verdachtes zu überzeugen, befahl er vielmehr, für die Bilder des nächsten Kalenderjahrgangs ein noch viel lächerlicheres Thema zu nehmen und – sein eigenes Porträt voranzustellen.

Chodowiecki wählte Ariosts »Rasenden Roland«, und Daniel Berger stach des Königs Bildnis dazu.

Neuordnung der preußischen Zensur 1772.

Die geschilderten Vorfälle zeigen, daß die preußische Zensur auch nach dem Gesetz von 1749 allmählich wieder »in Abgang« gekommen war, sicher aber ohne sonderliche Strenge durchgeführt wurde. Nicht anders ging es mit der neuen Auflage des Zensurediktes, die 1772 ans Licht trat.

Auch dies neue »Circular« vom 1. Juni 1772 beklagte, daß die alten Vorschriften »mehrfach hintangesetzt« worden seien; außerdem seien die alten Zensoren gestorben. Die Ernennung der neuen regelte es zunächst. Die historischen Schriften hatte der Geheime Finanzrat Kahle zu zensieren, der dieses Amt schon seit einigen Jahren versah; die juristischen sollte von jetzt an der Geh. Tribunalsrat Stuck, die theologischen der freisinnige Oberkonsistorialrat Teller, und die philosophischen der Professor der Ritterakademie Sulzer beaufsichtigen.

[24]

Die Wahl der Persönlichkeiten zeigt, wo Friedrich hinaus wollte: unter den vier Männern ist nur noch ein Konsistorialrat, und die übrigen drei, besonders der angesehene Philosoph und Ästhetiker Sulzer, sind Sachverständige, jeder auf seinem Gebiet. So nahm Friedrich 1772 der Zensurkommission ihren vorwiegend geistlichen Charakter und schuf eine Fachzensur.

Außerdem ist dieses neue Zensuredikt ein charakteristischer Spiegel der literarischen Bewegung der Zeit.

Die schöne Literatur war in dem Edikt von 1749 nur durch die »Carmina« vertreten gewesen; jetzt fand auch die Masse der »kleinen Schriften: Carmina, Wochenschriften, gelehrte Zeitungen, ökonomische Schriften und alle andere kleine Piecen«, Berücksichtigung; sie sollten, wenn sie nicht zu den Büchern gehörten, die den vier Zensoren vorgelegt werden mußten, von der Landesregierung oder den Magistraten begutachtet werden, in Universitätsstädten von der Universität. Nur Berlin machte eine Ausnahme: hier hatte der »historische Zensor« auch diese kleinen Schriften zu begutachten.

Und schließlich wurden jetzt in das Zensuredikt auch die Zeitungen mit aufgenommen, deren Zahl seit 1749 stattlich gewachsen war. Die Zensur der »teutschen und französischen Zeitungen« hatte der Geheime Rat von Beausobre unter der Direktion des Auswärtigen Amtes zu besorgen; sie war ihm schon vor siebzehn Jahren übertragen worden. Außerhalb Berlins sollte die Zeitungszensur von der Regierung oder den Justizkollegien erledigt werden; wenn diese Behörden nicht am Orte waren, hatten sie einen Vertreter zu stellen.

Die bessere Organisation verlangte aber auch mehr Aufwand. Daher wurden jetzt die Zensurgebühren eingeführt; außer einem Freiexemplar des geprüften Buches, auf das den Zensoren schon seit 1749 ein Anspruch zustand, durften sie von 1772 an zwei Groschen für den Druckbogen berechnen.

Das erweiterte Edikt von 1772 schärfte den Zensoren noch ein, daß »Unsere Allergnädigste Absicht keineswegs dahingerichtet ist, eine anständige und ernsthafte Untersuchung der Wahrheit zu hindern, sondern nur vornehmlich demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion und sowohl moralischer als bürgerlicher Ordnung entgegen ist«.

[25]

Dieser Grundsatz, der auch von spätern, ganz anders gehandhabten preußischen Zensuredikten übernommen wurde, blieb bis zum Tode des großen Königs die Richtschnur der preußischen Zensur. In einem Befehl an die theologische Fakultät in Halle vom 7. Februar 1780 erklärte Friedrich geradezu, daß »die den Schriftstellern ohnedem äußerst lästige Zensur soviel als möglich eingeschränkt werden sollte, wann wider Religion und Sitten nichts vorkommt«.

Kleine Ursachen – große Wirkungen.

Wenn Nicolai recht hat, ging auch dieses erneuerte Zensuredikt von 1772 nicht auf den eigenen Willen des Königs zurück, sondern auf die ängstliche Betriebsamkeit seiner Ratgeber. Die einfältige preußische Dichterin Anna Luise Karschin soll die schuldige Ursache dazu gewesen sein. »Die Frau Karschinn«, erzählt Nicolai, »hatte in einem gedruckten Gedichte die erste Teilung Polens erwähnt, welche damals schon genugsam bekannt, aber noch nicht offiziell angezeigt war. Dem Ministerium mochte dieses wohl nicht angenehm seyn, aber der Minister von Fürst, bekanntlich ein sehr ängstlicher Mann, welcher sich vor dem Könige sehr fürchtete, glaubte der Sache durch ein geschwind zu machendes Zensuredikt abzuhelfen, damit, wenn der König je von dem Gedicht der Frau Karschinn etwas erführe und dem Ministerium darüber einen Vorwurf machte, man ihm gleich sagen könnte, es sey schon Remedur geschehen. Wirklich war auch das Edikt so geschwind gemacht, daß man verschiedenes Nöthige darin vergaß und verschiedenes sehr unbestimmt ausdrückte.«

Friedrich und die »Bullenbeißer«.

Geradezu vorbildlich ist Friedrich der Große im Punkte der »Majestätsbeleidigungen«. Zwar hatte er am 24. Dezember 1752 ein unter dem Pseudonym Dr. Akakia (Dr. Harmlos) erschienenes Pamphlet Voltaires durch den Henker auf den öffentlichen Plätzen Berlins verbrennen lassen, obgleich der Verfasser, seit zwei Jahren Gast des zuerst von ihm so überschwenglich verherrlichten Königs, noch in den Mauern der Stadt weilte. Aber diese Maßregel war nicht von kleinlicher[26] Empfindlichkeit verfügt, sondern Voltaire hatte durch seine Hinterlist, Rachsucht, Treulosigkeit und Habgier die Langmut des Königs schon bis zum äußersten herausgefordert; jene Schrift war zudem eine blutige Verhöhnung der von Friedrich gegründeten Akademie der Wissenschaften und ihres Präsidenten Maupertuis; und obendrein hatte sich Voltaire die Druckerlaubnis durch eine freche Fälschung verschafft.

Nachdem dann diese Koryphäe der französischen Literatur auf drastische Weise aus Preußen hinauskomplimentiert war, legte sich Friedrichs begreifliche Erregung bald, und als Voltaire aus sicherer französischer Hut eine persönliche Schmähschrift gegen ihn losließ, schrieb der Angegriffene am 23. Oktober 1753 voll überlegenen Humors an seinen Ministerresidenten George Keith in Paris: »Jeder im öffentlichen Leben stehende Mann muß der Kritik, der Satire, ja oft genug der Verleumdung als Zielscheibe dienen. Jeder, der einen Staat regiert hat, sei es als Minister, als General oder als König, hat Sticheleien zu ertragen gehabt; es wäre mir also sehr unangenehm, wenn ich der einzige sein sollte, dem dieses Schicksal erspart bliebe. Ich verlange weder eine Widerlegung des Buches noch die Bestrafung des Verfassers, sondern habe es mit großer Gemütsruhe gelesen und sogar einigen Freunden mitgeteilt.«

Im Lauf der Jahre nahm dieser königliche Gleichmut gegen persönliche Angriffe jeder Art nur zu. Zahllos sind die Schmähschriften, die gegen Friedrich erschienen und sogar von dem Verleger seiner eigenen Werke, dem Buchhändler Pitra in Berlin, verkauft wurden. Der König ignorierte sie und gab einmal seinen darüber aufgebrachten Beamten den Rat, nicht alle »Sottisen«, die geschrieben würden, auf ihn zu beziehen.

Mit Voltaire hatte er sich so weit wieder versöhnt, daß ein lebhafter Briefwechsel fortbestand; in einem dieser Briefe an den Franzosen vom 2. März 1772 schrieb er – vielleicht in Erinnerung an die Akakia-Episode –: »Ich denke über die Satire, wie Epiktet: ›Sagt man was Böses von Dir, und ist es wahr, so bessere Dich; sind es Lügen, so lache darüber.‹ Ich bin mit der Zeit ein gutes Postpferd geworden, lege meine Stazion zurück und bekümmere mich nicht um die Bullenbeißer, die auf der Landstraße bellen.«

[27]

Exemplarische Strafe.

Die Langmut des großen Königs gegen Majestätsverbrechen stand oft in drastischem Gegensatz zu der Empfindlichkeit der Behörden, die, just so wie heute, auch damals bei jedem herben Tadel ihrer Amtshandlungen zum Kadi liefen.

Einmal gab ihnen der alte Fritz eine kräftige Lehre. Als man einen Bürger bei ihm verklagte, weil er Gott, Se. Majestät und den Stadtmagistrat gelästert habe, verfügte er:

»Daß der Arrestant Gott gelästert hat, ist ein Beweis, daß er ihn nicht kennet; daß er mich gelästert hat, vergebe ich ihm; daß er aber einen edlen Rat gelästert hat, dafür soll er exemplarisch bestraft werden und auf eine – halbe Stunde nach Spandau kommen.«

Niedriger hängen!

Wie schlagfertig überlegen Friedrich der Große selbst Angriffen gegen seine Regierungshandlungen auch ohne Verbot zu begegnen wußte, zeigt eine Anekdote, die ein Augenzeuge, der früher in Berlin, später in Upsala wirkende Kapellmeister Heffner, erzählt:

Im Jahre 1781 hatte der König die Kaffeeregie eingeführt, um dem übermäßigen Verbrauch dieser Auslandsware zugunsten der einheimischen Bierproduktion zu steuern, eine Maßregel, die das Volk sehr erregte; denn nicht nur in Sachsen, sondern auch in Preußen zog man schon damals ein Schälchen Kaffee der Biersuppe vor, mit der Friedrich selbst noch groß gezogen worden war.

Eines Tages kam der alte Fritz mit seinem Heiducken die Jägerstraße heraufgeritten und bemerkte in der Nähe des Schlosses, auf dem Werderschen Markt, einen großen Auflauf. Man drängte sich um ein hoch an der Mauer angeschlagenes Papier, aber nur die Nächsten konnten erkennen, was es bedeutete. Bei der Annäherung des Königs flogen die Mützen herunter, man gaffte ihn mit verlegenen und erschrockenen Mienen an und wich beiseite. Aber niemand wagte ein Wort zu sagen. Der König schickte nun seinen Begleiter näher, um zu erfahren, was los sei. Bald kam der Heiduck ebenfalls verlegen lächelnd wieder und wollte nicht recht mit der Sprache heraus: »Sie haben etwas auf Ew. Majestät angeschlagen …«

[28]

Nun ritt der König dicht heran und sah, daß eine Karikatur auf ihn selbst dort hing: In höchst kläglicher Positur saß er auf einem Fußschemel, hielt zwischen den Beinen eine Kaffeemühle, und während die eine Hand emsig mahlte, griff die andere gierig nach jeder herausfallenden Bohne.

Sobald der alte Fritz die Bedeutung der Karikatur erkannt hatte, winkte er mit der Hand und rief: »Hängt es doch niedriger, daß die Leute sich nicht den Hals ausrecken müssen!«

Kaum waren die Worte gefallen, als ein allgemeiner Jubel ausbrach. Man riß das Bild herab und in Stücke, die Jungen warfen die Mützen in die Luft, und unter allgemeinem »Vivat der alte Fritz!« ritt der König langsam von dannen.

Was heißt Aufklärung?

Diese Frage stellte Oberkonsistorialrat Zöllner im Dezemberheft der »Berlinischen Monatsschrift« 1783. Mendelssohn und Kant beantworteten sie; Mendelssohn im September, Kant im Dezember 1784.

Kants Aufsatz begann mit der vielzitierten Definition:

»Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. … Sapere aude! Habe Muth, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

»Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter Allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen … Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den Jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publicum der Leserwelt macht.«

Kant verlangte für den Offizier das Recht, über Fehler im Kriegsdienste Anmerkungen zu machen, für den Bürger, über die Ungerechtigkeit der ihm auferlegten Lasten öffentlich seine Gedanken zu äußern; für den Geistlichen, seine sorgfältig geprüften und wohlmeinenden Gedanken über das Fehlerhafte des Symbols der Kirche oder über bessere Einrichtung des Religions- und Kirchenwesens dem Publikum mitzuteilen.

[29]

Kants Huldigung vor Friedrich.

Die Frage: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? beantwortete Kant in dem vorhin erwähnten Aufsatz aus dem Jahre 1784 kurzweg mit: Nein, wohl aber in einem Zeitalter der Aufklärung. Es fehle noch viel, daß sich die Menschen in Religionsdingen ihres eigenen Verstandes bedienten, aber der Hindernisse der Unmündigkeit würden doch weniger. »In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friedrichs

Ebenso, führte Kant weiter aus, müsse der Untertan der Gesetzgebung gegenüber öffentlichen Gebrauch von seiner Vernunft machen dürfen und seine Gedanken darüber mit freimütiger Kritik der Welt öffentlich vorlegen, »davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren«.

Die Kehrseite der Medaille.

Obgleich sich aber Preußen unter Friedrich dem Großen fast völliger Preßfreiheit erfreute, darf doch nicht vergessen werden, daß diese Freiheit keine gesetzliche, sondern eine durchaus willkürliche, eine mit königlicher Erlaubnis ungesetzliche war.

»Il pense en philosophe et so conduit en roi« (er denkt als Philosoph und handelt als König – soll heißen: als Despot), schrieb einmal der französische Philosoph Jean Jacques Rousseau unter ein Bild Friedrichs; und als sein pädagogischer Roman »Emile« (1762) vom Pariser Parlament für gottlos erklärt, im Hofe des Justizpalastes zerrissen und verbrannt wurde und dem Verfasser die Häscher auf den Fersen waren, flüchtete selbst er in Friedrichs Schutz, in den damals preußischen Kanton Neuchâtel.

Jenes vieldeutige Wort Rousseaus gilt in gewissem Sinne auch für Friedrichs Behandlung der Zensur. Friedrich der Große ist und bleibt der Schöpfer auch der preußischen Zensurgesetze; er selbst handhabte sie nur so freimütig und ging so willkürlich über sie hinweg, daß ihre tatsächlichen Schärfen den Zeitgenossen gar nicht zum Bewußtsein kamen; um so empfindlicher aber der nächsten Generation, als nach seinem Tode (1786) ein andrer Geist in Preußen zur Herrschaft gelangte.


[30]

2. Kaiser Josephs II. Zensurreform.

Ach, was ich Armer streute,
Fiel auf ein wüstes Land;
Dein Walten büß' ich heute,
Du zweiter Ferdinand,
Du hast dem Licht gewehret,
Du hast die Luft verdumpft,
Östreichs Gefild verheeret,
Das keiner mehr entsumpft.

D. F. Strauß, Kaiser Joseph im Sterben. 1859.

Eine Kaiserin der Zensur.

Es ist genugsam bekannt, welch heftige, unversöhnliche Feindin der religiösen Aufklärung die deutsche Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) war und mit welch harter Unduldsamkeit sie alles verfolgte, was Macht und Ansehen der katholischen Kirche und ihrer Diener verletzen konnte. Mit »Inquisition und Mission« führte sie gleich ihren Vorgängern die Gegenreformation in den österreichischen Erblanden durch, und die Pflege der kulturellen Güter sah sie am liebsten ausschließlich in der Hut der Jesuiten.

Die Kaiserin ärgerte sich wohl gelegentlich, wenn einer der Hoftheologen und Beichtväter seine Bücherrazzia bis in den kaiserlichen Palast ausdehnte und jagte den allzu Dreisten davon; auch hob sie wohl einmal das Verbot eines Buches auf, wenn sie selbst es gelesen und gut gefunden hatte. Aber für die Schmach der geistigen Knechtschaft, in der sie ihre Völker hielt, hatte sie keine Empfindung. Der beschränkte Untertanenverstand hatte das auf Treu und Glauben hinzunehmen, was ihm von einer über alle Zweifel erhabenen, von Jesuiten beherrschten Regierung als allein seligmachend verkündigt wurde. Die Absperrmaßregeln gegen die im Reich, besonders in Preußen, herrschende Cholera der Aufklärung waren großzügig organisiert – kein Wunder, daß Österreichs geistige Entwicklung um Jahrhunderte zurückblieb. An der schönen blauen Donau nahm man an dem Aufschwung des deutschen Schrifttums so wenig Anteil, daß man noch zur Zeit der großen Kaiserin diejenigen verlachte, die sich, statt des einheimischen Dialektes, der hochdeutschen Schriftsprache, des »lutherisch Deutsch« bedienten.[31] Noch im Jahre 1780 war, wie Friedrich Nicolai versichert, auf der Universität Innsbruck ein Werk wie Jöchers Gelehrten-Lexikon, das 1750/51 erschien, nicht einmal dem Namen nach bekannt, und ein Mann wie Joseph von Sonnenfels, der Reformator des österreichischen Schrifttums, bewarb sich vergeblich um eine Stellung, weil er seiner hochdeutschen Aussprache wegen als Protestant und überhaupt als verdächtig galt.

Jesuitenzensur in Wien.

Die wirksamste Waffe in der Hand des Protestantismus war von jeher das Buch; ihm galt deshalb der glühende Haß der geistlichen Machthaber. Seit 1623 war die Wiener Universität unter Verwaltung der Jesuiten, ihnen lag auch fast die gesamte Bücherzensur ob, und ohne ihre Genehmigung durfte in Österreich nichts gedruckt und kein fremdes Buch verbreitet werden. Gegen die katholische Kirche oder ihre Vertreter durfte infolgedessen nichts, gegen die Ketzer alles geschrieben werden. Wissenschaftliche Werke hatten keinen Anspruch auf mildere Behandlung. Noch im Jahre 1750, versichert Sonnenfels, konnte es Stand und Glück kosten, wenn man sich anmerken ließ, in einem Buche wie Montesquieus »Esprit des lois« geblättert zu haben.

Die Verfasser protestantischer und antikatholischer Schriften erwartete Verbannung und Kerker. Schon der Besitz lutherischer, ketzerischer, überhaupt unkatholischer Schriften war aufs strengste verpönt; sie standen außerhalb allen Eigentumsrechtes, jeder Geistliche durfte sie konfiszieren, wo er sie fand, jeder Privatmann war bei Strafe verpflichtet, anzugeben, wo immer er sie gesehen hatte. Wer ein Buch kaufte, mußte es innerhalb vier Wochen seinem Pfarrer zur Prüfung vorlegen, sonst erhielt er 3 Gulden Strafe, die sich im Wiederholungsfall empfindlich steigerte. Ein Drittel der Strafgelder fiel dem Denunzianten zu; daher stand die niederträchtigste Spionage in voller Blüte. Haussuchungen waren an der Tagesordnung. Die Koffer der Reisenden wurden auf den Zollämtern durchsucht, alle bedenklichen Bücher weggenommen, verbotene verbrannt. Verkleidete Beamte der geistlichen Bücherpolizei besuchten als harmlose Kunden die Buchläden, schlichen sich in das Vertrauen der Händler und drangen in sie, ihnen verbotene Bücher zu[32] verschaffen; ließen die Buchhändler sich überreden, so entdeckten sich die Spitzel als Polizisten, beschlagnahmten die Werke und nahmen die Verkäufer in Strafe.

Das Allerheiligste.

Als die Kaiserin Maria Theresia eines Tages gerade am Spieltisch saß, wurde ihr durch eine vertraute Kammerfrau, die Mutter der bekannten Dichterin Caroline Pichler, Hofrat von Sonnenfels gemeldet, der sie dringend in Zensurangelegenheiten zu sprechen wünschte. Ungemein lebhaft, wie die Kaiserin noch in ihren letzten Tagen war, eilte sie nach wenigen Minuten ins Vorzimmer, strich sich mit den Fingern Haube und Haar aus dem Gesicht, und heftig die Karten drehend fragte sie den Besucher:

»Nun, was ist's denn? Sekieren sie Ihn schon wieder? Hat Er etwas gegen uns geschrieben? Das ist Ihm von Herzen verziehen. Ein echter Patriot muß wohl manchmal ungeduldig werden; ich weiß aber schon, wie Er's meint. Oder gegen die Religion? Er ist ja kein Narr. Oder gegen die guten Sitten? Das glaube ich nicht; Er ist ja kein Saumagen. Aber wenn Er etwas gegen die Minister geschrieben hat, ja mein lieber Sonnenfels, dann muß Er sich selber heraushauen; da kann ich Ihm nicht helfen. Ich habe Ihn oft genug gewarnt.«

Damit machte die Kaiserin kehrt und eilte wieder an ihren Spieltisch zurück.

Van Swieten und die Zensurhofkommission.

1745 wurde der Holländer Gerard van Swieten (1700–1772) als Leibarzt der Kaiserin nach Wien berufen. Er war ein frommer Katholik, aber ein Gegner der Jesuiten und vor allem ein strenger Vertreter der Wissenschaft, dem der geistige Aufschwung Österreichs unendlich viel zu verdanken hat. Auf seinem eigensten Gebiete gewann er schnell Raum, denn die praktische Kunst des Arztes war ja die einzige, die die Jesuiten nicht übten; er gewann berühmte Ärzte für Wien und wurde der Begründer der dortigen medizinischen Schule.

Daß die Geistlichkeit anatomische Lehrbücher der unvermeidlichen »Nuditäten« wegen verbot, hörte nun gänzlich auf. Bald aber dehnte Swieten seine kraftvolle Reformarbeit auf das[33] ganze geistige Leben Österreichs aus und stieß nun überall auf die Schranke der geistlichen Zensur. Unerschrocken nahm er den Kampf gegen sie auf. Der Übermut seiner Gegner selbst drückte ihm die siegreiche Waffe in die Hand: als die geistliche Behörde sich anmaßte, sogar den Reichshofrat ihrer Zensur zu unterstellen, setzte es van Swieten bei der Kaiserin durch, daß die Prüfung zunächst der philosophischen und historischen Werke der Universität abgenommen und besonderen Zensurkommissionen in Wien und in den Provinzen anvertraut wurde. Von 1753 an mußten auch alle zum Druck bestimmten Manuskripte der unterdes gebildeten Bücherzensurhofkommission in Wien und nicht mehr den Jesuiten der Universität vorgelegt werden, und die bisherige völlige Zensurfreiheit der geistlichen Orden für ihre eigenen theologischen und philosophischen Schriften wurde aufgehoben – eine gewaltige Kraftprobe van Swietens, die der späteren josephinischen Reform mächtig vorarbeitete.

An die Spitze dieser Wiener Zensurkommission trat 1759 van Swieten selbst. Sie war jetzt eine rein staatliche Behörde, aber die Hälfte ihrer Mitglieder bestand noch aus Geistlichen; zwar wurden diese nicht mehr vom Jesuitenorden, sondern von der Kaiserin im Einverständnis mit dem Erzbischof gewählt, und seit 1764 war kein Jesuit mehr darunter, aber den persönlichen Einfluß des Ordens auf die fromme Fürstin vermochte auch van Swieten nicht völlig auszuschalten.

Auch konnte er sich auf seinem heftig angefochtenen Posten nur dadurch halten, daß er gegen alles, was der Religion, dem Staate, den Sitten und überhaupt der »guten Denkungsart« gefährlich erschien, fast ebenso unduldsam vorging wie seine geistlichen Gegner. Noch 1759 wurden alle Buchbinder angewiesen, jedes ihnen anvertraute Buch vor dem Einbinden ihrem Seelsorger vorzulegen, und der Katalog der verbotenen Bücher (»Catalogus librorum prohibitorum«), der von 1765 bis 1780 in mehreren Ausgaben erschien, ist alles eher denn ein Ruhmesdenkmal für seine Zeit.

Swieten lagen nur die »nützlichen Bücher« der Fachwissenschaft wahrhaft am Herzen. Deshalb setzte er, den Jesuiten zum Trotz, 1753 die Freigabe von Montesquieus »Esprit des lois« durch, und des Weihbischofs von Hontheim (Febronius)[34] Buch über die rechtmäßige Gewalt der römischen Päpste wurde nach langjährigem, erbittertem Kampf wenigstens in den Händen der Gelehrten geduldet. Aber van Swieten selbst verbot zahlreiche Schriften von Rousseau und Voltaire, von Maupertuis und Lamettrie, Thomas Hobbes und Christian Thomasius, von Crébillon und Fielding, Boccaccio und Sterne, Swift und Holberg, den Macchiavell und Ariosts »Rime satire«, Grimmelshausens »Simplizissimus« und »Vogelnest« und Rollenhagens »Froschmäusler«, Philander von Sittewalds »Gesichte« und Reuters »Schelmuffsky« und von Erzeugnissen der neu aufblühenden deutschen Literatur Albrecht von Hallers »Kleine Schriften« und Gedichte von Joh. Christ. Günther, Wielands »Idris«, »Agathon« und »Sieg der Natur« nebst seiner französischen Übersetzung, die Leipziger und Göttinger Musenalmanache, Mendelssohns »Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele« und die Schriften Lessings von 1753.

Gegen van Swietens übertriebene Strenge einzuschreiten, war eine der ersten Regierungshandlungen des Kaisers Joseph nach seiner Erhebung zum Mitregenten seiner Mutter (1765).

Wien und Rom.

Wie engherzig und despotisch van Swieten als Zensor seine Urteile ganz nach seinen persönlichen Ansichten fällte, darüber berichtet Friedrich Nicolai in seiner »Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz« die bezeichnende Anekdote:

»Als mein sel. Freund Meinhard, dessen vortreffliche Versuche über die italiänischen Dichter allgemein berühmt sind, mit dem Hrn. Grafen Moltke nach Wien kam, wurden ihm, wie allen Fremden, seine Bücher weggenommen. Es waren darunter die Opere di Macchiavello und der Emile des Rousseau. Hierüber entstand der größte Lärm, daß sich jemand unterstanden hätte, diese Bücher einzuführen. Meinhard gieng selbst zum Freyherrn von Swieten, um ihn nur zu bitten, daß die Bücher versiegelt und an der Gränze ihm wieder ausgeliefert werden möchten. Aber er erhielt ganz trocken zur Antwort: Die Bücher wären schon verbrannt; und ›es wäre eine Schande, daß jemand sich unterstände, ein Buch wie den Macchiavell in die Hände zu nehmen‹. Meinhard wollte wenigstens den[35] Emile vertheidigen, aber die Antwort war: ›Reden Sie mir nicht von Rousseau! Der ist ein schlechtes Subjekt!‹ Und nun kam ein so heftiges Schelten auf Rousseau als den verderblichsten Menschen, daß der gute Meinhard, der ohnedieß leicht ängstlich ward, sogleich das Zimmer verließ.

»Indessen fand Meinhard bey seiner Abreise nach Italien unvermuthet zu Klagenfurt einen Macchiavell, der ihm, ob es gleich eine schlechte Ausgabe war, großes Vergnügen machte, da Macchiavell, wegen der Zierlichkeit seiner Schreibart, einer der Lieblingsschriftsteller meines Freundes war. Als er nach Rom kam, wurden seine Bücher wieder angehalten. Er gieng deshalb den folgenden Tag zum Sekretar des Magister Palatii, der ein Dominikaner war. Dieser gab ihm die Bücher sogleich zurük. Er setzte hinzu: ›Es sind einige verbotene darunter. Aber Sie sind ein Gelehrter, und zu verständig, als daß Sie dieselben öffentlich zeigen und sich und mir Verdruß machen sollten. Da Sie so gut italiänisch sprechen, so merke ich wohl, daß Sie den Macchiavell fleißig studirt haben. Aber Sie haben eine gar schlechte Ausgabe davon. Suchen Sie die beste zu bekommen; sie ist –.‹ Hier nannte der Dominikaner gerade die Ausgabe, die in Wien verbrannt worden war.«

Kaiserliche Handbillette.

Nach van Swietens Tode 1772 fiel die Zensur bald in ihre alten Übel zurück, und der Klerus gewann in der Kommission wieder das Übergewicht. Der neue Präsident der Zensurhofkommission stand den mit frischer Keckheit auftretenden Anmaßungen der Geistlichkeit hilflos gegenüber, und so konnte es nicht fehlen, daß die Jesuiten, obgleich ihr Orden 1773 auch in Österreich aufgelöst wurde, verstärkten Einfluß auf den Gang der Zensurgeschäfte gewannen. Besaßen sie doch noch immer das Ohr der Kaiserin, der jetzt ein energischer Berater wie van Swieten fehlte. Hatte ein Jesuit oder sonst ein Betbruder, erzählt Nicolai, an einem Buche Ärgernis genommen, so steckte er sich hinter eine Kammerfrau der Fürstin; er zeigte ihr etliche mit Rotstift angestrichene Stellen des Buches, die anstößig erscheinen konnten, und die Kammerfrau legte sie der Kaiserin vor. Auf den Zusammenhang des Textes wurde[36] keine Rücksicht genommen, und ein kaiserliches Handbillett verfügte kurzweg das Verbot.

Das Verbot des Katalogs verbotener Bücher.

Statt vor der anstößigen unmoralischen, kirchenfeindlichen und gotteslästerlichen Literatur zu warnen, war der seit 1765 in mehreren Ausgaben bei verschiedenen Verlegern erscheinende Katalog der verbotenen Bücher gerade ein Führer zu diesen unsauberen Quellen geworden und wurde von Liebhabern und Sammlern besonders erotischer Literatur niederster Sorte fleißig benutzt. Zu dieser Erkenntnis kam im Jahre 1777 endlich auch die Zensurhofkommission und zog daraus die einzig richtige Konsequenz: der Katalog der verbotenen Bücher wurde nun selbst auf den Index gesetzt.

Der Thronfolger.

Es ist das Schicksal aller Thronfolger, daß sich die Hoffnung der Unzufriedenen an sie klammert und die Enttäuschungen wie aufgescheuchte Dohlen ihren Thron umflattern. Mit welcher Gloriole umgaben die deutschen Idealisten die Lichtgestalt des Sohnes, der im Schatten seiner großen Mutter heranwuchs! Man wußte, daß Kaiser Joseph ein unbedingter Verfechter des Deutschtums in Österreich war, daß er deutsche Bücher las und in schaler Hofgesellschaft eine Gruppe der Geistigen zu sammeln suchte. Je rücksichtsloser Friedrich der Große seiner Verachtung der deutschen Literatur Ausdruck gab, um so inbrünstiger erwartete man von dem jungen Kaiser den Werderuf zu einem neuen perikleischen Zeitalter.

Der Gnadenpfennig.

Dem Mißverständnis von der literarischen Mission des jungen Kaisers huldigte keiner so begeistert wie der Sänger des »Messias«, Klopstock, und bei ihm verdichtete sich dieser Glaube zu einem großzügigen »Plan zur Beförderung der Wissenschaften in Deutschland«, der, ohne die steifen Formen einer Akademie anzunehmen, die freigebige Unterstützung deutscher Gelehrter und Schriftsteller durch den Deutschen Kaiser zum Ziele hatte. Auch ein Finanzprojekt spielte mit hinein: der unerhörte[37] gesetzlich begünstigte Nachdruck, der in Wien mit außerösterreichischen Büchern getrieben wurde, schädigte die deutschen Autoren empfindlich, Lessings »Hamburgische Dramaturgie« war daran zugrunde gegangen. Diese »Nachdruckerbande«, wie Lessing sich ausdrückte, sollte beseitigt, dafür aber als Entschädigung unter Josephs Schutz in Wien eine Reichsdruckerei begründet und darin Werke der deutschen Literatur zum Vorteil ihrer Verfasser gedruckt werden; »unglaubliche Summen«, versicherte Gleim, sollten dadurch ins Land kommen.

Durch einen diplomatischen Freund sandte Klopstock 1767 diese Anregung nach Wien. Zugleich aber auch das Manuskript einer Widmung an Kaiser Joseph, die der »Hermanns Schlacht«, seinem neuesten Werk, einem »Bardiet für die Schaubühne«, vorangestellt werden sollte. Die Naivetät des Messiassängers hat etwas Rührendes; er stellte allen Ernstes an Joseph das Ansinnen: nimmst du meine Widmung an, so verpflichtest du dich damit auch, den beigefügten literarisch-sozialen Plan auszuführen!

Klopstocks Entwurf kam dem Kaiser nie vor Augen, er verschwand in den Akten des Staatskanzlers Fürst Kaunitz, nur die Widmung gelangte an ihre Adresse. Aber der deutsche Dichter würde aus allen seinen Himmeln gestürzt sein, wenn er geahnt hätte, wie geringschätzig diese Angelegenheit an höchster Stelle behandelt wurde. Joseph fragte seinen Kanzler, was er tun solle und ob vor allem der Text der Widmung nichts Anstößiges enthalte. Fürst Kaunitz erwiderte, dergleichen Dedikationen entsprängen gewöhnlich aus eigennützigen Absichten, auch gehöre das Werk gar nicht zur »nützlichsten Wissenschaft«. Da aber Klopstock in Deutschland große Achtung genieße und ein enthusiastisches Publikum habe, sei die Sache als ein »ersprießlicher Einfluß in Staatsangelegenheiten« zu betrachten, und man könne deshalb wohl eine goldene Kette oder Medaille daranwenden. Auf keinen Fall aber dürfe in der Widmung die darin enthaltene Spitze gegen Friedrich den Großen wegen seiner Verleugnung deutscher Literatur stehenbleiben, weil dadurch »der auch für andere Souveräne zu tragenden Achtung zunahe getreten werde«.

Daraufhin nahm der Kaiser auf rein amtlichem Wege die Widmung an und schenkte dem Dichter als »Gnadenpfennig«[38] sein Medaillonporträt in Brillanten. Im übrigen aber hatte dieser Akt für Klopstock keine weiteren Folgen, als daß er sich der Zensur des Kaisers, der damals noch seinen Zeitgenossen Friedrich bewunderte, ausgesetzt hatte und sich ihr wohl oder übel unterwerfen mußte. Denn er gab sich noch lange der Täuschung hin, daß der Kaiser schließlich doch seinen Plan durchführen werde.

Josephinismus.

Der Vorfall mit Klopstock ist bezeichnend: es fiel Joseph nie ein, sich als Gönner der deutschen Literatur aufzuspielen. So sehr er Friedrich den Großen verehrte, über den Verse drechselnden König lächelte er nur, und Gelehrte, die Bücher schrieben, galten ihm als gewinnsüchtige Geschäftsleute. Für das »Federvieh« hatte er wenig übrig, und in verdrießlicher Stimmung nannte er den Buchhandel »ebenbürtig dem Käsehandel«. Daß ihn Aloys Blumauers Travestierung der »Aeneide« höchlichst belustigte, richtet seinen Geschmack. Ebenso wie seine Mutter begünstigte er den Büchernachdruck, weil dadurch zum Nutzen der heimischen Industrie viel Geld umgesetzt wurde, und als er seine Grundregeln für die Zensurreform entwarf, war sein oberster Leitsatz: Besser, daß ein paar schlechte Bücher unter die Leute kommen, als daß durch übertriebenen Zwang ein »wesentlicher Handlungszweig« lahmgelegt wird. Den Volkswohlstand zu fördern, war nach dem Siebenjährigen Krieg die Losung der österreichischen Regierung. Wissenschaft und Kunst um ihrer selbst willen zu schützen, kam Joseph gar nicht in den Sinn, er hatte durchaus praktisch-politische Ziele: Vereinfachung der Regierungsgeschäfte durch Zentralisation und Gleichmäßigkeit, Entlastung der Beamten, Verminderung ihrer Zahl und damit Ersparnis an Gehältern, Förderung der einheimischen Industrie auf allen Gebieten und die dafür notwendige Hebung der Volksbildung. Mit gerechtem Neid sah Joseph das Emporblühen der protestantischen Nachbarstaaten, besonders Preußens. Gesunde Aufklärung und religiöse Toleranz, das sah er, machten unzählige wirtschaftliche Kräfte frei, die bisher durch veraltete, von der Kirche eifersüchtig gehütete Gesetze verkümmert waren. Diese Kräfte sollten nun mit einem Schlag geweckt werden. Wenn er zu diesem Zweck den Kampf[39] aufnahm gegen Privilegien des Adels und der Kirche, gegen Standesvorurteile und Aberglauben, Kurpfuscher und Alchimisten, Teufelsaustreiber und Geisterbeschwörer und den ganzen mittelalterlichen Spuk, der sich in Kirchen- und Klosterwinkeln unter religiösem Gewande hartnäckig zu erhalten wußte, so war die bisher verfehmte Aufklärung, die Errungenschaft der Naturwissenschaft und Philosophie, seine gegebene Bundesgenossin. Die geistliche Zensur hatte sie bisher des Landes verwiesen; also mußte die Zensur geändert werden. Nicht um der schönen Augen der deutschen Schriftsteller und Dichter willen, sondern aus rein praktischen Erwägungen.

Daß die Literatur selbst durch diese freiere Regung des geistigen Lebens unendlich viel gewann, darüber hat Joseph sich niemals weiterdenkenden Betrachtungen hingegeben. Das war ein Verdienst, das seiner Politik ohne, vielleicht gegen ihren Willen in den Schoß fiel.

Zensurreform in Österreich.

Nach dem Tode seiner Mutter (29. Nov. 1780) fühlte sich Joseph frei von den drückenden Fesseln, die er bis dahin als guter Sohn getragen hatte, und sofort ging er daran, den dumpfen Geistesbann zu lösen, der wie ein Dornröschenschlaf Österreich gefangenhielt.

Zunächst hob er die bisherigen Zensurkommissionen auf und ersetzte sie durch eine einzige Bücherzensur-Hauptkommission in Wien. Ihr übergab er die von ihm selbst entworfenen »Grundregeln zur Bestimmung einer ordentlichen künftigen Bücherzensur«, und am 13. Oktober 1781 erschien ein neues Zensurgesetz.

Verboten sollte nach des Kaisers Willen nur mehr das sein, was »unsittliche Auftritte und ungereimte Zoten« enthielt, die katholische und überhaupt die christliche Religion systematisch verfolgte und lächerlich machte oder den Staat und den Landesfürsten »geradezu auf eine gar anstößige Art« angriff. Im übrigen aber sollte der Grundsatz gelten: »Kritiken, wenn es nur keine Schmähschriften sind, sie mögen nun treffen wen sie wollen, vom Landesfürsten bis zum Untersten, sollen, besonders wenn der Verfasser seinen Namen dazu drucken läßt und sich also für die Wahrheit der Sache dadurch als Bürgen dargestellt,[40] nicht verboten werden, da es jedem Wahrheitliebenden eine Freude sein muß, wenn ihm solche auf diesem Wege zukommt.«

Mit dem, was der »große Haufen« oder »schwache Köpfe« lesen, bestimmte Joseph, soll man streng, um so nachsichtiger aber mit gelehrten Werken sein, die nur »schon bereiteten Gemütern« und »standhafteren Seelen« in die Hände kommen. Einzelner anstößiger Stellen wegen braucht man also wissenschaftliche Werke und Zeitschriften nicht zu verbieten.

Der bisherige Katalog verbotener Bücher wurde einer gründlichen Revision unterzogen. Zahlreiche hervorragende Schriften von Abbt, Basedow, Bernis, Bodmer, G. A. Bürger, Chesterfield, Goethe, Haller, Home, Jacobi, Moses Mendelssohn, Schroeckh, Süßmilch, Zimmermann, Yorick (Sterne) und anderen wurden nun endlich aus der Haft entlassen. Was man bisher nur Gelehrten oder Protestanten »erga schedam« (gegen besondern Erlaubnisschein) zu lesen gab, wurde alles freigegeben; die unbedingt verbotenen Werke wurden einer nochmaligen Zensur unterworfen und daraufhin ein neuer Katalog der verbotenen Bücher angefertigt.

Was verboten blieb oder neu verboten wurde, sollte jetzt nicht mehr vernichtet, sondern in die Bibliotheken eingestellt werden, so daß es Gelehrten »erga schedam« zugänglich blieb. Protestantische Religionsbücher zu kirchlichen Zwecken durften frei verkauft werden; das galt auch für unkatholische Volksliteratur, Erbauungsbücher, Hauspostillen und dergleichen, in den Landesteilen wie Ungarn und Schlesien, wo der Protestantismus geduldet war; in Österreich selbst und den Provinzen, wo der Katholizismus noch die einzige staatlich anerkannte Religion war, durfte solche Volksliteratur der andersgläubigen Bevölkerung wenigstens »erga schedam« geliefert werden. Auch diese Beschränkung wurde bald darauf beseitigt.

Kaiser Josephs Volkszensur.

Für die Zensur der in den Erblanden zum Druck kommenden Manuskripte erfand Joseph eine Neuerung, die seinen Scharfsinn ins hellste Licht setzt und mit sicherer Hand den Lebensnerv des ganzen Zensurproblems berührt; sie befreite die ängstliche, um Amt und Brot besorgte Bürokratie von einem[41] Teil ihrer Verantwortung und schuf neben ihr einen weiten Areopag gänzlich unabhängiger Männer, die keine Berufszensoren waren, auch nicht von Staats wegen ernannt, sondern – von den Schriftstellern selbst gewählt wurden!

Kein Manuskript, so bestimmte Josephs Gesetz, soll von der Zensurbehörde zur Prüfung angenommen werden, wenn es nicht schon eine Bescheinigung irgendeines sachkundigen Gelehrten oder einer angesehenen Persönlichkeit mitbringt, die bekundet, daß in dem neuen Werk nichts gegen die guten Sitten, die Religion und die Landesgesetze enthalten, »dasselbe demnach dem gesunden Verstande angemessen« ist. Diesen seinen Vorzensor konnte sich jeder Schriftsteller unter seinen Freunden und Gönnern suchen, er konnte auch mehrere in Anspruch nehmen, wenn ihm die Ansicht des ersten nicht behagte, und da diese freigewählten Zensoren keinerlei Verantwortung traf, war die Unbefangenheit ihres Urteils gesichert. So verwandelte Joseph die bisherige ausschließliche Beamtenzensur in eine Art Volkszensur, denn das Urteil eines unabhängigen, angesehenen Mannes konnte auf die entscheidende Zensurbehörde nicht ohne Einfluß sein. Er wies damit auf einen Ausweg aus der Sackgasse der Zensur hin, der zu einer Lösung des ganzen Problems führen konnte, leider aber von spätern Gesetzgebern nie betreten worden ist.

»Wen's juckt, der kratze sich!«

Einen sympathischen Zug hatte Joseph mit seinem großen Zeitgenossen Friedrich II. gemeinsam: er besaß eine sehr geringe Empfindlichkeit im Punkte der Majestätsbeleidigungen. »Ich habe eine heile Haut,« pflegte er zu sagen, »wen's juckt, der kratze sich!« Nicht nach dem vorschnellen Urteil der Broschürenschreiber, sondern auf Grund seiner Handlungen hoffte er beurteilt zu werden, und als er 1780 den lutherischen Historiker M. I. Schmid als Direktor des Hof- und Staatsarchivs nach Wien berief, legte er ihm dringend nahe, in seinen Geschichtswerken niemanden zu schonen, am wenigsten ihn selbst. »Die Fehler meiner Vorfahren und meine eigenen sollen die Nachwelt belehren«, war sein Wahlspruch. Als man ihn einmal auf eine eben erschienene neue Schmähschrift gegen ihn aufmerksam machte, antwortete er: »Es ist mir gleich, ob man[42] Gutes oder Schlimmes von mir spricht; dem einen wird sie gefallen, dem andern mißfallen. Wenn man sich nur selbst nichts vorzuwerfen hat. Die innere Ruhe ist ein Gut, das man nicht nehmen und geben kann.«

Ein Zensurgespräch zwischen Kaiser und Erzbischof.

Gleichzeitig mit dem neuen Zensurgesetz erschien Josephs berühmtes Toleranzedikt, das den Protestanten und nichtunierten Griechen freie Religionsübung in allen Ländern des Kaiserstaates zusicherte. Dies und die übrige reformatorische Tätigkeit des Kaisers, die Aufhebung zahlreicher Klöster, die Auflösung der Orden, die sich keiner gemeinnützigen Tätigkeit widmeten, die Bevorzugung der Weltpriester usw. veranlaßte den Papst Pius VI., 1782 persönlich nach Wien zu kommen, um Einspruch zu erheben. Dieses Ereignis rief eine Fülle von Schriften hervor, deren meist anonyme Verfasser die ihnen soeben erst gewährte größere Meinungsfreiheit weidlich ausnützten. Zahlreiche dieser Broschüren unter dem Titel »Was ist der Papst?«, »Was ist die Kirche?«, »Was ist der Teufel?« usw. ließen an Deutlichkeit dessen, was man bisher in Österreich-Ungarn nie hatte sagen, geschweige denn drucken dürfen, nichts zu wünschen übrig; die meisten wurden sogleich auch ins Ungarische übersetzt. Der Erzbischof von Calocza, Baron Patachich, hoffte daher beim Kaiser Joseph Verständnis für seine und der Geistlichkeit Entrüstung über diese massenhaften Auswüchse der Preßfreiheit zu finden. Bei dieser Audienz entwickelte sich folgendes Gespräch:

Kaiser: »Nun itzt wird hier auch allerley geschrieben und die Leute fangen an freyer und aufgeklärter zu dencken und zu schreiben.«

Erzbischof (mit aufgehobenen Händen): »Ach du lieber Gott! ja leider wird nur mehr als zu viel geschrieben, und ich bitte E. M. um Gottes willen diesem Frevel einhalt zu thun, durch den selbst Ew. M. geheiligte Person gemißbraucht wird.«

Kaiser: »Ey warum – lesen Sie die brochuren die heraus kommen?«

Erzbischof: »Ich lese sie alle und muß sie kraft meines Amtes lesen, damit ich sehe, ob denn diese Leute auch etwas Neues sagen und ob die Gefahr, in die solche Schriftsteller die Kirche setzen, von würklichen Folgen seyn kann.«

[43]

Kaiser: »Man muß schon die Leute reden lassen, verschonen sie doch mich auch nicht, sie haben ja gar auch ein Buch herausgegeben, wo sie mich mit Luthern zusammensetzten – haben Sie das auch gelesen?«

Erzbischof: »Ach ja wohl – habe ichs gelesen und bin erstaunt, wie sich der Verfasser so entsetzlich an Ew. M. vergehen kann. Der Tittel ist schon Majestät beleidigend, ›Kaiser Joseph und Luther‹; dann erzählt er alles, was Luther in seinem sogenannten Reformations-Wercke gethan hat, nennt ihn durch das ganze Buch NB. den seligen Luther und endlich schließt er damit: so weit sey der sel. Luther gekommen, nun wäre es Kaiser Joseph aufgehoben, das vollends auszuführen, was jener angefangen oder nur zum Theil vollbracht habe.«

Kaiser: »Ich habe aber das Buch in die Censur geschickt, und man hat mir gesagt, daß nichts unanständiges darinn sey.«

Erzbischof: »Das ists eben Ew. Majestät, die Censur –«

Kaiser: »Ja aber ich habe es der Theologischen Fakultät und besonders dem Rautenstrauch [Abt von Braunau], der doch ein geschickter Mann in theologischen Sachen seyn soll, geschickt.«

Erzbischof (mit Achselzucken): »Ja eben das ist das Unglück, ich will den Prälat Rautenstrauch nicht verachten, aber –«

Kaiser: »Ja, wenn diese Leute es nicht verstehen, da kann ich mir weiter nicht helfen.«

»Danach wurde«, meldet der Berichterstatter, »der Discours auf etwas anderes gelenckt und weiter dem Erzbischof mit vieler Höflichkeit die Gelegenheit benommen, von dieser Materie wieder anzufangen.«

Preßfreiheit in Wien.

Im Mai 1786 ging Joseph noch einen Schritt weiter. Mehrfach war es vorgekommen, daß Drucker statt der Handschrift den schon abgesetzten Text an die Zensurbehörde geschickt hatten. Das erschien dem Kaiser überaus praktisch: ein gedruckter Text las sich besser als eine schlechte Handschrift, und der Verleger gewann dadurch Zeit, er konnte schneller mit einem neuen Buche erscheinen und bessere Geschäfte machen. Aus diesen rein praktischen Erwägungen heraus erlaubte der Kaiser jetzt den Wiener Verlegern, ihre Bücher auf eigene Gefahr drucken zu lassen. Das erste fertige Exemplar aber mußte der[44] Zensur eingereicht, und vor der Genehmigung durfte das Werk nicht ausgegeben werden. Wurde es dann von der Zensur verboten, so mußte der Drucker für jedes dennoch im Inland verbreitete Exemplar 50 Gulden Strafe zahlen. Ursprünglich wollte Joseph dieses Vergehen sogar mit körperlicher Züchtigung ahnden, was ihm aber der damalige Präsident der Zensurhofkommission auszureden wußte.

Tatsächlich schuf Joseph durch diese Verfügung einen Zustand, der einer Preßfreiheit sehr nahe kam. Denn nun erst kam den Schriftstellern die frühere Bestimmung zugute, daß ein sonst nützliches Werk einzelner anstößiger Stellen wegen nicht verboten werden durfte; sie konnten sich also manches zu drucken getrauen, was in der Handschrift von dem ängstlichen Zensor zweifellos getilgt worden wäre. Und wenn wider Erwarten ein Buch dem Verbot verfiel, durfte es zwar in Österreich nicht verbreitet werden; die schon gedruckte Auflage blieb aber Eigentum des Verlegers, und nach dem Ausland durfte er sie ungehindert verkaufen. Für Bücher, die nur im Ausland verbreitet wurden, hatten also die österreichischen Schriftsteller völlige Preßfreiheit. Verantwortlich blieben sie natürlich immer für die strafrechtlichen Folgen ihrer Werke, wie ja Preßfreiheit niemals und nirgends mit Gesetzlosigkeit zu verwechseln ist.

Das Ende der Wiener Preßfreiheit.

Drei Jahre dauerte die Wiener Preßfreiheit, dann machte ein Federstrich Josephs ihr wieder ein Ende.

Unlautere Elemente hatten sie arg mißbraucht, und die Fälle, daß Bücher umliefen, die der Zensurbehörde gar nicht vorgelegt worden waren, mehrten sich. Die Masse der schnell fertigen Skribenten, der Wiener »Büchelschreiber«, die Tagesfragen in seichten Broschüren erörterten, widerte den Kaiser an; besonders verhaßt waren ihm die zahllosen anonymen und pseudonymen Machwerke dieser Art, ohne daß er sich jedoch entschließen konnte, ihnen völlig den Garaus zu machen; es waren immerhin etliche »nützliche« Schriften darunter, deren Verfasser einleuchtende Gründe für die Verschweigung ihres Namens beibrachten.

Ob der ungeduldige Reformator, der niemals die Ernte seiner Aussaat mit Ruhe erwarten konnte, unter der Enttäuschung[45] über den mangelnden Aufschwung des österreichischen Schrifttums litt? Diese sentimentale Note klingt bei ihm nie wieder, wie sich seine nüchternen Zweckmäßigkeitsgründe ja auch niemals zu hoffnungsvollen Verheißungen gesteigert hatten. Verbittert war er gewiß durch so manche Fehlschläge seiner Politik, und der Beginn der Französischen Revolution machte auf ihn einen um so tieferen Eindruck, als er schon an der Krankheit hinsiechte, der er am 20. Februar 1790 erlag.

In dieser Verfassung beherrschten ihn die gereizten Stimmungen des Augenblicks mehr als je, und die plötzliche Zurücknahme der Preßfreiheit von 1786 kostete ihn um so weniger Überwindung, als er sich, das steht nach den Zensurakten fest, 1789 ihrer überhaupt nicht mehr entsann, sich ihrer kulturellen Bedeutung also wohl nie bewußt geworden war! Zur größten Bestürzung der Zensurkommission erging er sich Ende 1789 in Entscheidungen despotischer Willkür und mußte erst auf die von ihm selbst geschaffenen Gesetze hingewiesen werden. Die Zeit war aber schon vorüber, wo der Geist der josephinischen Reform in seinen Beamten einen festen Rückhalt gefunden hatte. Sie gingen auf die plötzliche Laune des Kaisers bereitwilligst ein, sprachen ihm von Büchern, die »die Grundfeste aller Religion, aller Sittlichkeit, aller gesellschaftlichen Ordnung untergraben, die Bande aller Staaten, aller Nationen aufzulösen fähig sind« und von der »Pflicht gegen die Menschheit«, der Verbreitung solcher Bücher nach Möglichkeit Einhalt zu tun. Daraufhin erfolgte im Dezember 1789 des Kaisers neue Verfügung:

Von jetzt ab darf kein Manuskript mehr ohne vorherige Zensur gedruckt werden. Für jedes in Umlauf gebrachte Exemplar einer unzensierten Druckschrift ist wie bisher eine Strafe von 50 Gulden festgesetzt, im Wiederholungsfall tritt Schließung des Geschäftes hinzu. Wer aber unzensierte Bücher ins Ausland sendet, wird außerdem mit einer körperlichen Strafe belegt!

So bricht dieser Kitzel mittelalterlicher Gewaltherrschaft, der Trieb zu körperlicher Züchtigung, wie eine Jahre hindurch ehrlich unterdrückte Leidenschaft in Josephs letzter Zensurverfügung wieder durch. Obendrein wurde am 20. Januar 1790 der gesamte Hausierhandel mit Büchern schlankweg verboten.

Dieser plötzliche Rückschritt zeigt, daß bereits ein anderer als[46] der frühere josephinische Geist in Österreich wieder mächtig zu werden begann; die gleichzeitige Reaktion in Preußen wird darauf nicht ohne Einfluß gewesen sein. Zehn Jahre hatte der freigegebene Kampf gegen die Kirche sich als trefflicher Blitzableiter aller Opposition erwiesen: jetzt war seine Kraft erschöpft, und gegen die aus dem Westen anstürmende Flut der Revolution mußten in Eile neue Dämme aufgeworfen werden. Bisher hatte Joseph die österreichischen Schriftsteller ihre schärfsten Pfeile ungehindert ins Ausland verschießen lassen, wenn nur die Ruhe des Kaiserstaates nicht gestört wurde; in der Abwehr der Revolution fühlte sich plötzlich auch Österreich mit dem Ausland solidarisch. Nach kurzer Zeit übernahm es sogar die Führung in diesem Kampfe und wußte sie fast ein halbes Jahrhundert lang zu behaupten.

Der letzte Rest …

Ein hohes Verdienst der Zensurreform Josephs ist schließlich noch, daß sie das Recht des Privateigentums wieder anerkannte, der Polizei und Geistlichkeit die Schwelle des Privathauses zu achten befahl und damit die niederträchtige Spionage nach verbotenen Büchern beseitigte. In seinen Grundregeln hatte der Kaiser mit derben Worten den unwürdigen Gebrauch gebrandmarkt, »jedem Reisenden, jedem Inländer, der nur von seinen Landgütern in eine Stadt kömmt, alle seine Truhen und Bett-Säcke zu durchsuchen, um entweder ein Buch zum Verbrennen zu finden oder ein hier noch nicht bekanntes zu censuriren«, und wenn auch das Zensurgesetz selbst keine ausdrückliche Bestimmung darüber enthielt, so beschränkte der Wille des Kaisers von da ab die Vollmacht der Zensurbehörden auf den öffentlichen Bücherhandel. Verbotene Bücher waren von nun an in den Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer und im Koffer der Reisenden unantastbar, wenn sie nicht als Handelsware dienten, und verfielen erst wieder der Beschlagnahme, wenn sie öffentlich weiterverkauft werden sollten.

Diese Bestimmung ist die einzige von Josephs Zensurreform, die auf die Dauer bestehen blieb. Alle übrigen wurden bald nach seinem Tode ebenso geräuschlos wie gründlich beseitigt, als die Furcht vor der Revolution über die Regierungen ganz Europas hereinbrach.


[47]

3. Des gottseligen Herrn Ministers von Wöllner Blumen-, Frucht- und Dornenstücke.

Visitator.

Oeffnet die Coffers. Ihr habt doch nichts contrebandes geladen? Gegen die Kirche? den Staat? Nichts von französischem Gut?

Goethe-Schiller, »Xenien«. (1797.)

Preßfreiheit und Preßfrechheit.

Ganz anders als unter Friedrich dem Großen pfiff der Wind unter seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1786–1797), nach dessen Regierungsantritt es bereits in Frankreich bedenklich zu kriseln begann. Unter dem Einfluß seines bigotten Justiz- und Kultusministers von Wöllner, der den freisinnigen Minister von Zedlitz abgelöst hatte, erließ der neue Herr zunächst das Religionsedikt vom 9. Juli 1788, das der friderizianischen Aufklärung den Krieg bis zum Äußersten ansagte und die auch den morschen Staatsgebäuden gefährliche Aufklärung mit Stumpf und Stiel ausrotten sollte.

Gegen dieses mit dem Geist des Protestantismus unvereinbare Religionsedikt lehnten sich sogar fünf Mitglieder des Oberkonsistoriums auf; der ehrwürdige Propst Spalding an der Nikolaikirche und Propst Teller an St. Petri dankten seinetwegen ab, und die gesamte Presse machte heftig dagegen mobil. Um ihr den Mund zu stopfen, sahen der König und Wöllner kein anderes Mittel als ein neues Zensurgesetz, dessen Bearbeitung am 10. September 1788 dem Großkanzler von Carmer mit folgenden Worten aufgetragen wurde:

»Da Ich auch vernehme, daß die Preßfreiheit in Berlin in Preßfrechheit ausartet, und die Bücher-Censur völlig eingeschlafen ist, mithin gegen das Religions Edict allerlei aufrührerische Schriften gedruckt werden, so habt ihr gegen den Buchdrucker und Buchhändler sofort fiscum zu excitiren, und Mir übrigens Vorschläge zu thun, wie die Büchercensur auf einen bessern Fuß eingerichtet werden kann. Ich will Meinen Unterthanen alle erlaubte Freiheit gern accordiren; aber Ich[48] will auch zugleich Ordnung im Lande haben, welche durch die Zügellosigkeit der jetzt sogenannten Aufklärer, die sich über alles wegsetzen, gar sehr gelitten hatt.«

Durch diese Kabinettsorder Friedrich Wilhelms II. ist der Gleichklang »Preßfreiheit – Preßfrechheit« geflügelt geworden.

Das »Erneuerte Censur-Edict« von 1788.

Neue Besen kehren gut. Schon zwei Monate später war das befohlene Zensurgesetz fertig und wurde am 19. Dezember 1788 vom Könige unterzeichnet. Es ist schon dadurch von besonderer Bedeutung, daß es bis 1819 gültig und darüber hinaus von vorbildlicher Wirkung blieb, obgleich das berüchtigte Religionsedikt, dessen dornenvollen Weg es ebnen sollte, 1797 wieder aufgehoben wurde.

Dieses erneuerte Zensuredikt erkannte zwar »die großen und mannigfaltigen Vortheile einer gemäßigten und wohlgeordneten Preßfreyheit zur Ausbreitung der Wissenschaften und aller gemeinnützigen Kenntnisse« an und wollte ebenfalls »keinesweges eine anständige, ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern oder sonst den Schriftstellern irgend einen unnützen und lästigen Zwang auflegen«. Der Vorbehalt »bescheiden« ist neu, Friedrichs Zensurgesetz von 1772 führt ihn noch nicht, und er gehört von jetzt an zum regelmäßigen Wortschatz solcher Verfügungen.

Aber eine »gänzliche Ungebundenheit der Presse«, klagt der Gesetzgeber, werde »besonders in den sogenannten Volksschriften häufig von unbesonnenen oder gar boßhaften Schriftstellern mißbraucht zur Verbreitung gemeinschädlicher praktischer Irrthümer über die wichtigsten Angelegenheiten der Menschen, zum Verderbniß der Sitten durch schlüpfrige Bilder und lockende Darstellungen des Lasters, zum hämischen Spott und boßhaften Tadel öffentlicher Anstalten und Verfügungen, und zur Befriedigung niedriger Privat-Leidenschaften, der Verläumdung, des Neides und der Rachgier, welche die Ruhe guter und nützlicher Staatsbürger stöhren, auch ihre Achtung vor dem Publiko kränken«.

Um solchen Männern, denen es nicht um die Wahrheit zu tun sei, sondern die nur aus Gewinnsucht oder aus andern[49] Nebenabsichten die Schriftstellerei ausübten, das Handwerk zu legen, sei es nötig, das ganze Literaturgewerbe der öffentlichen Aufsicht und Leitung des Staates zu unterstellen, um allem zu steuern, »was wider die allgemeinen Grundsätze der Religion, wider den Staat, und sowohl moralischer als bürgerlicher Ordnung entgegen ist, oder zur Kränkung der persönlichen Ehre und des guten Namens anderer abzielet«. Daher dürfe kein Buch ohne Erlaubnis der Zensur gedruckt oder verkauft werden.

Die Ausübung der Zensur wurde jetzt nicht mehr einer besonderen Kommission und bestimmten Personen anvertraut, was sich schon früher als unpraktisch erwiesen hatte, sondern ganzen Kollegien, die ihrerseits einen Zensor stellen mußten. Die Zensur der theologischen und philosophischen Schriften wurde den Konsistorien, die der juristischen dem Kammergericht bzw. den Regierungen und Landesjustizkollegien, die der medizinischen den jeweiligen Medizinalkollegien und die der staatswissenschaftlichen Schriften dem Departement des Äußern übertragen.

Die Zensur der schönen Literatur (»Wochen- und Monatsschriften vermischten Inhalts, gelehrte Zeitungen, oeconomische Aufsätze, Romane, Schauspiele und andere kleine Schriften«) blieb Aufgabe der Universitäten oder der Landesjustizkollegien; letztere hatten wie bisher auch die Verantwortung für die politischen Zeitungen, die nur in Berlin ebenfalls dem Departement des Äußern unterstanden. Da außerhalb des lokalen Teils der Inhalt der Provinzzeitungen damals noch ganz von dem der Berliner abhing, war also durch die Berliner Zensur auch die preußische Provinzpresse besorgt und aufgehoben.

Die Wöllnersche Note.

Man pflegt gemeinhin das »Erneuerte Censur-Edict« mit dem berüchtigten Religionsedikt in einen Topf zu werfen und beide mit dem Namen des Ministers Wöllner zu bezeichnen, den Friedrich der Große mit den Worten charakterisiert hatte: »Der Wöllner ist ein betrügerischer und intriganter Pfaffe, weiter nichts.« So lautete eine der lapidaren Randbemerkungen des Königs an einem Gesuch der Familie Itzenplitz, die 1765 für ihren bisherigen Hauslehrer, jetzigen Schwiegersohn Wöllner den Adel erbeten hatte. Es war eine der ersten Regierungshandlungen[50] Friedrich Wilhelms II., seinem Günstling diese Standeserhöhung zu gewähren.

Daß der Wortlaut des Zensurediktes von 1788 nicht von Wöllner stammt, sondern von dem berühmten damaligen Juristen Svarez, dem Reformator des gesamten preußischen Justizwesens, berichtete schon Fr. Nicolai in seinen »Gedanken über die Verbesserung der Einrichtung der Censur« 1801; ihm gestand auch Svarez zu, daß er, »da er die Sache nicht ändern konnte«, sie wenigstens durch Weglassung und ungenaue Fassung einiger Paragraphen zu mildern gesucht habe, »um einer günstigen Auslegung Platz zu lassen«. Damit gab er indirekt Wöllners bestimmenden Einfluß zu, der sich ja auch aus der ganzen Sachlage von selbst ergab. Zweifellos bildet die gemäßigte Form des Zensurediktes, wie Svarez' Biograph Stölzel sagt, »einen scharfen Kontrast zu der gereizten, wenig objektiven Sprache des Religionsediktes. Dort redet Svarez, hier Wöllner«. Auch die Gründlichkeit des neuen Gesetzes verrät überall die sorgsam überlegte Arbeit eines erfahrenen Juristen.

Aber war das Edikt von 1788 wirklich nur eine »Erneuerung« der Zensurvorschriften Friedrichs des Großen? »Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen.« Aber wenn man die Einzelheiten genau betrachtet, fallen doch mehrere sehr wichtige Änderungen auf.

Daß in der moralisierenden Einleitung, durch deren schlechten Stil ein Wöllnerscher eigener Entwurf durchzuschimmern scheint, dem erst aufwachsenden selbständigen Schriftstellerberuf noch keine Existenzberechtigung zugestanden wird, ist nur ein Zeichen der Zeit. Über dieses »Gewerbe« dachte der alte Fritz kaum anders. Aber die neue Verfügung rüttelte an einer der Grundfesten seines Gesetzes von 1772, indem sie die Zensur der wichtigsten aller Disziplinen, der philosophischen, dem Fachgelehrten wieder entzog und den Konsistorien überwies, also die unter Friedrich durchgesetzte Fachzensur zum wesentlichen Teil wieder in eine geistliche Zensur verwandelte. Diese Neuerung war zweifellos die am tiefsten einschneidende.

Es finden sich aber noch andere. Die Zensurfreiheit der Akademiker blieb zwar bestehen, aber sie wurde jetzt beschränkt auf Schriften »über Gegenstände derjenigen Classe, bei welcher[51] sie angesetzt sind«, galt also nur mehr für die Fachschriften. Wenn sich demnach etwa ein Mediziner der Akademie auf das Gebiet der Philosophie oder Religion verirrte, war er keineswegs mehr immun, sondern hatte sich über diesen Schritt vom Wege wie jeder andere vor der Zensur des zuständigen Kollegiums zu verantworten.

Die »historischen Schriften« des alten Zensurgesetzes nennt das erneuerte überhaupt nicht mehr. Aber vergessen waren sie nicht, sondern ganz unauffällig in einen andern Paragraphen geschoben: neben den politischen mußten jetzt auch »alle in die Reichs- und Staatengeschichte einschlagenden Schriften« dem auswärtigen Departement vorgelegt werden. Man wollte jetzt auch die Literatur schärfer beaufsichtigen, die unter dem Gewande der Geschichte oft sehr unbequeme Politik trieb.

Aus diesen sehr bedeutenden Verschärfungen des Zensurediktes von 1788 klingt die Wöllnersche Note deutlich hervor, und wenn die unkritische öffentliche Meinung den bigotten Minister zum Vater auch des Zensurediktes machte, so sollten ihr die nächsten Ereignisse doppelt recht geben: denn nicht der Wortlaut macht die Schärfe eines Gesetzes, sondern seine Anwendung.

Prometheus.

Prometheus hatte kaum herab in Erdennacht
Den Quell des Lichts, der Wärm' und alles Lebens,
Das Feuer, vom Olymp gebracht,
Sieh, da verbrannte sich – denn Warnen war vergebens –
Manch dummes Jüngelchen die Faust aus Unbedacht.
Mein Gott! Was für Geschrei erhuben
Nicht da so manches dummen Buben
Erzdummer Papa,
Erzdumme Mama,
Erzdumme Leibs- und Seelenamme!
Welch Gänsegeschnatter die Klerisei,
Welch Truthahngekoller die Polizei! –
Ist's weise, daß man dich verdamme,
Gebenedeite Gottesflamme,
Allfreie Denk- und Druckerei?

Gottfried August Bürger. 1789.

Die gehörige Bescheidenheit.

Einer der ersten, die das Recht des Königs, für die »ursprüngliche Reinigkeit« der Religion zu sorgen, nachdrücklich[52] bestritten, war ein in Berlin lebender Hamburger, Dr. Würzer, der in seinen »Bemerkungen über das preußische Religions-Edict nebst einem Anhang über Preßfreiheit« (Berlin, 1788) jede Einwirkung des Staates auf die Entwicklung der Religion und jede Maßregel gegen die Aufklärung als unzulässig nachwies und auch an dem Stil des Ediktes, an seinen Ausdrücken »Dreistigkeit und Unverschämtheit«, scharfe Kritik übte.

Er wurde verhaftet und vom Kammergericht zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, aber nicht seiner theologischen Überzeugung wegen, sondern weil er diese nicht mit der »gehörigen Bescheidenheit« vorgetragen und die Achtung vor dem Monarchen verletzt habe. Er hatte es nämlich gewagt, seine Streitschrift dem Könige zu widmen und ihm ein Exemplar zu überschicken.

Das Kammergericht gegen Wöllner.

Von der erhofften heilsamen Wirkung des neuen Zensurgesetzes war Wöllner sehr bald bitter enttäuscht, denn die jetzt mit der Zensur beauftragten Kollegien, sogar die Konsistorien, arbeiteten ihm wenig zu Dank. Er sorgte deshalb mehrfach durch Kabinettsorders, die der König meist ungelesen zu unterzeichnen pflegte, dafür, daß über seine Auslegung des Zensurediktes und die von ihm bezweckte Anwendung kein Zweifel mehr bestehen konnte.

Zur bessern Kontrolle der Rechtgläubigkeit hatte König Friedrich Wilhelm II. die Einführung eines allgemeinen Landeskatechismus befohlen, die bei der Geistlichkeit auf ebenso starken Widerstand stieß wie das Religionsedikt. Eine in Züllichau erschienene anonyme Abhandlung war für den Landeskatechismus eingetreten, und der Berliner Prediger Gebhard schrieb eine Entgegnung darauf, die vom Berliner Oberkonsistorium die Druckerlaubnis erhielt. Kaum aber war sie erschienen, so verbot Wöllner als Chef des geistlichen Departements dem Verleger Joh. Christ. Unger den Verkauf der Gebhardschen Schrift bei 100 Dukaten Strafe für jedes Exemplar. Außerdem erhielt der schuldige Zensor, der Oberkonsistorialrat Zöllner, einen derben Verweis, weil er eine »Scharteke« zugelassen habe, die die geplante Einführung des Landeskatechismus als unnötig, unnütz und sogar schädlich bezeichnete, also einen[53] sträflichen Tadel landesherrlicher Verordnungen und wenig Achtung vor königlichen Befehlen enthalte.

Wer zahlte nun dem Verleger seine Unkosten zurück? Daß die Zensoren selbst sich so gröblich irren konnten, hatte der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Wöllner riet dem Verleger ironisch, er möge sich an Verfasser und Zensor halten, und Unger folgte seinem Rat, wohl um über diese noch mehrfach zu befürchtende Streitfrage eine Gerichtsentscheidung herbeizuführen.

Aufs neue bewährte das preußische Kammergericht seinen alten Ruf unbestechlicher Gerechtigkeit. Die Klage gegen den Verfasser nahm es gar nicht an, da dieser ja sein Buch ordnungsgemäß der Zensur vorgelegt hatte, und die Klage gegen den Zensor wies es kostenpflichtig ab. Die Kritik auch schon bestehender, »von der Regierung beliebter« Staatseinrichtungen, so erklärte es in seiner Urteilsbegründung, sei nicht nur Recht, sondern Pflicht jedes, der sich zu Belehrungen der Staatsmänner berufen glaube, sonst würden »alle Kompendien der Staatswissenschaft unter die verbotenen Bücher, und Plato, Montesquieu und Thomasius unter die Staatsverbrecher gehören«. Wenn jemals über Gesetze und öffentliche Anstalten mit Nutzen geschrieben werden könne, so sei es gewiß zu der Zeit, da sie eben entworfen würden. Zöllner habe deshalb als Zensor nur seine Pflicht erfüllt und verdiene statt eines Tadels »öffentlichen Dank, daß er ohne Nebenabsichten, als ein gewissenhafter und verständiger Staatsdiener, seine Stimme gegeben, und so viel an ihm ist, die Rechte der Vernunft und die mit ihnen verbundene Ehre der Preußischen Regierung aufrecht erhalten« habe. Protokollführer bei dieser denkwürdigen Sitzung des Kammergerichts war der damalige Referendar Wilhelm von Humboldt.

Die Grenzen der Wirksamkeit des Staates.

Vorfälle dieser Art waren es, die einen Augen- und Ohrenzeugen des Unger-Zöllnerschen Prozesses, eben jenen Referendar am Kammergericht Wilhelm von Humboldt, mit einem so starken Ekel gegen alle Vielregiererei erfüllten, daß er im Sommer darauf dem preußischen Staate den Dienst aufsagte, um sich einem freien Schriftstellerleben innerlichster Arbeit und geistigster[54] Selbsterziehung hinzugeben. Seine Mittel erlaubten ihm das. Die Entwicklung der eigenen Individualität, das hatte ihn seine kurze Beschäftigung an der Staatsmaschine gelehrt, ist unmöglich ohne die ungebundenste Freiheit. Diese ist daher das ursprüngliche Recht, das Naturrecht des Menschen, ohne die er sein Ziel, sich selbst in seiner Eigentümlichkeit voll und ganz zu entwickeln, nicht erreichen kann. Der Staat aber tötet die Individualität, schwächt die Energie, die Haupttugend des Menschen, und hindert durch die Gleichmachung aller den einzelnen an der Erfüllung seiner individuellen Bestimmung.

Deshalb soll der Staat nur soweit bestehen, als er schlechterdings nicht zu entbehren ist. Er hat die »Sicherstellung der Bürger gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde« zu besorgen, im übrigen aber sich aller Maßregeln zu enthalten, die mit jener Aufgabe nicht unmittelbar zusammenhängen. Jeder weitere Versuch, »direkt oder indirekt auf die Sitten und den Charakter der Nation« einzuwirken, durch Beaufsichtigung der Erziehung, der Religion, der Ehe, des »freien Untersuchungsgeistes« usw., liegt außerhalb der Wirksamkeit des Staates und muß daher abgelehnt werden. Jede aufdringliche Sorgfalt des Staates für das »positive Wohl« der Bürger kann den einzelnen nur schädigen. Wieviel Raum in diesem Idealstaat für ein Wöllnersches Religionsedikt oder die Zensur übrigblieb, ergibt sich von selbst. »Wer Dinge äußert«, lautete eine der wichtigsten Thesen Humboldts, »oder Handlungen vornimmt, welche das Gewissen oder die Sittlichkeit des andern beleidigen, mag allerdings unmoralisch handeln, allein, so fern er sich keine Zudringlichkeit zu Schulden kommen läßt, kränkt er kein Recht.« Und nur darauf kommt es an.

Gedanken dieser Art bestürmten Humboldt, den Freund Georg Forsters, im Herbst des Jahres 1791, während der Posaunenchor der Französischen Revolution über den Rhein herübertönte. Er entwickelte sie in einem Briefe, der im Januar 1792 in der »Berlinischen Monatsschrift« erschien und zu einem lebhaften Meinungsaustausch mit dem Humboldt nahestehenden Reichsfreiherrn Karl von Dalberg führte, dem damaligen kurfürstlich mainzischen Statthalter zu Erfurt und späteren Kurfürsten von Mainz, der ebenfalls von dem Fieber[55] der Vielregiererei ergriffen war. So entstand Humboldts erste größere Schrift »Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen«. Mehrere Kapitel daraus erschienen noch in der »Berlinischen Monatsschrift« 1792 (Stück 10–12), ein anderes in Schillers »Thalia« (Heft 5). Das Ganze aber wurde erst ein halbes Jahrhundert später, 1851, aus Humboldts Nachlaß veröffentlicht, und das kam folgendermaßen:

Humboldt brannte darauf, seine Streitschrift gegen Absolutismus und Wöllnerschen Despotismus so schnell wie möglich herauszugeben, und sie sollte in Berlin gedruckt werden. Am 12. September 1792 aber mußte er dem Freunde Schiller melden: »Der eine Censor verweigerte sein Imprimatur ganz, der andere hat es zwar ertheilt, allein nicht ohne Besorgnis, daß er [genau so wie der Konsistorialrat Zoellner] deshalb noch künftig in Anspruch genommen werden könne. Da ich nun alle Weitläufigkeiten dieser Art in den Tod hasse, so bin ich entschlossen, die Schrift außerhalb drucken zu lassen.« Der geschäftskundige Schiller sollte einen Verleger ausfindig machen und, wie Humboldt wünschte, eine Vorrede dazu schreiben, da es ihm besonders wertvoll erschien, wenn ein Mann von Schillers Geist, »ohne vorhergehendes eigentliches Studium dieser Materien, und also von ganz anderen, neuen und originellen Gesichtspunkten ausgehend, diesen Gegenstand behandelte«.

Der Verlag Göschen, an den sich Schiller wandte, lehnte ab. Dadurch verzögerte sich der Druck, und als Schiller im Januar 1793 einen andern Verleger gefunden hatte, war Humboldt über den Wert seiner Schrift unsicher geworden. Die letzten Ereignisse der Französischen Revolution, die Verurteilung und Hinrichtung Ludwigs XVI. und seiner Gemahlin am 17. bzw. 21. Januar 1793, hatten den ausgelassenen Tanz der Deutschen um den französischen Freiheitsbaum auf furchtbare Weise unterbrochen. Humboldt, der, wie Graf Stolberg sich ausdrückte, bis dahin »von dem Gifthauche des Genius der Zeit getroffen« war, verfiel plötzlich in eine Krisis, die zu einem starken Wandel seiner politischen Ansichten führen sollte. Innerhalb dieser Krisis mit einer Schrift hervorzutreten, zu der er sich schon nicht mehr ganz bekennen konnte, widerstrebte[56] ihm. Erst wollte er sie ändern; dann schob er die Veröffentlichung weit hinaus, und später verbarg er dies Zeugnis seines jugendlichen Sturms und Drangs sorgfältig im Schreibtisch.

So hat in diesem Falle der Berliner Zensor die Rolle der Vorsehung gespielt und die weitere Entwicklung Wilhelm von Humboldts entscheidend beeinflußt. Die damals unterdrückte Schrift entsprach der Wöllnerschen Forderung der »Bescheidenheit« keineswegs und hätte ihren Verfasser vielleicht wieder mit dem Kammergericht in Beziehung gebracht, aber nicht als Beisitzer, sondern als Angeklagten. Außerdem ist es bei aller Ehrlichkeit des jungen Staatsmanns doch wohl fraglich, ob ihm die Neuorientierung so leicht gefallen wäre, wenn er sich durch das Erscheinen jener Schrift auf ein so radikales Programm öffentlich festgelegt hätte. Gerade er hätte schwerlich so leicht den Selbstvorwurf haben abschütteln können, daß das gedruckte Wort mehr als anderes verpflichtet.

Die Immediat-Examinationskommission von 1791.

Bei Wöllners Charakter war nicht zu erwarten, daß ihn der unzweideutige Spruch des Kammergerichts zur Selbsteinkehr bewogen hätte. Wenn die vom Gesetzgeber bestellten Behörden ihres Amtes nicht in dem erhofften Sinne walteten, so mußten andere Mittel gefunden werden. Und darum war er nicht verlegen. Die reaktionäre Kraft des Zensurediktes hatte sich unerwarteterweise als nicht stark genug erwiesen; also mußte ihm mit ergänzenden Verfügungen nachgeholfen werden.

Dem so wenig verläßlichen Berliner Oberkonsistorium wurde am 14. Mai 1791 eine von ihm unabhängige geistliche Prüfungs- und Aufsichtsbehörde auf die Nase gesetzt, die Immediat-Examinationskommission, die die Prüfung der Pfarramtskandidaten nach einem einheitlichen Schema regeln sollte. Ihre Mitglieder waren der Oberkonsistorialrat Silberschlag, der Prediger an der Berliner Georgenkirche Woltersdorf, der frühere Breslauer Prediger, jetzige Oberkonsistorialrat Hermes und der Geh. Konsistorialrat Hillmer, vier »elende, aus aller Wissenschaft herausfallende Männer, die der Wöllnerschen Verwaltung die verdiente Verachtung zuzogen«. Hermes (1731–1807) hatte die neue scharfe Prüfungsordnung für die Kandidaten der Theologie[57] ausgearbeitet und ebenso den neuen Landeskatechismus, der vom Abt Henke »eine Frucht der Unwissenheit« genannt und auch bald wieder außer Gebrauch gesetzt wurde. Hillmer (1756–1831), ehemaliger Oberlehrer ebenfalls in Breslau, ein Mann ohne jede wissenschaftliche Leistung, hatte durch seine mystischen Neigungen das Vertrauen des Königs gewonnen; er war der Haupthahn unter den vieren, der geborene Großinquisitor, und bald die rechte Hand Wöllners. Nach Silberschlags baldigem Tode wurde der etwas gemäßigtere Oberkonsistorialrat Hecker sein Nachfolger.

Diese geistliche Prüfungskommission erhielt aber noch einen zweiten Auftrag: ihr oder vielmehr ihren beiden besonders zuverlässigen Mitgliedern Hillmer und Hermes übertrug eine Kabinettsorder vom 1. September 1791 auch die Zensur aller theologischen und moralischen Schriften, da sich »die bisherigen Bücherzensoren [also das Konsistorium!] an das Censuredikt gar nicht gekehrt, sondern viel zu leichtsinnig verfahren« seien. Eine Berufungsinstanz gegen diese neue Zensurbehörde gab es überhaupt nicht.

Das war Wöllners Antwort auf das Urteil des Kammergerichts im Falle Unger gegen Zöllner.

Schärfere Anziehung der Zensurschraube.

Der ehemalige Oberlehrer Hillmer war aber mit seinem neuen Amte keineswegs zufrieden. Mit der strengeren Zensur theologischer und moralischer Schriften, die nur Gelehrten in die Hände kamen, versprach der Kampf gegen die Aufklärung wenig Erfolg. Viel gefährlicher waren die Zeitschriften, die durch ihren volkstümlichen und unterhaltenden Charakter einen großen Leserkreis besaßen und Mitarbeiter aller Parteien und Geistesrichtungen, auch der radikalsten, zu Wort kommen ließen. Schon am 14. Oktober stellte er also dem Könige vor, »daß grade diese Monats-, Zeit- und Gelegenheitsschriften von allen Classen und Ständen des Volks am meisten gelesen werden, und durch diese Art Schriften der Religion, der Ruhe und guter Ordnung in Deutschland wie in Frankreich mehr als durch größere theologische und moralische Werke geschadet« werde, und erbat für sich und seinen Kollegen Hermes die Ausübung der Zensur über »alle Monatsschriften, Zeit- und Gelegenheitsschriften,[58] Bibliotheken, Pädagogischen Schriften und alle dergleichen Broschüren, philosophischen und moralischen Inhalts«. Am 19. Oktober wurde dieser Antrag genehmigt, und sämtliche Buchhändler Berlins erhielten die Anweisung, alle derartigen Schriften von nun an dem Herrn Geheimen Konsistorialrat Gottlob Friedrich Hillmer zur Zensur einzureichen.

Literaturflucht aus Berlin.

Diejenigen, die es anging, wußten nun Bescheid, und die beiden Zeitschriften, die Hillmer am ersten im Auge gehabt haben dürfte, verließen fluchtartig die preußische Hauptstadt.

Kurz nach seinem Regierungsantritt hatte Friedrich Wilhelm II. den Herausgebern der »Berlinischen Monatsschrift« für ein Exemplar ihrer Zeitschrift mit dem Wunsche gedankt, daß »ihre gemeinnützigen Bemühungen um Aufklärung und Philosophie recht viel Gutes stiften« möchten (13. Dez. 1786), Wöllner selbst hatte es nicht verschmäht, ihr 1787 einen Beitrag (über nachgelassene Handschriften Friedrichs des Großen) zu geben, und noch 1790, bei dem plötzlichen Aufstieg des neuen Ministers, war sein Bildnis, von Berger gestochen, darin erschienen.

Jetzt (Januar 1792) verlegten Gedike und Biester, beide Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, den Druck ihres Blattes, das Kant und Fichte, Gleim und Ramler, F. A. Wolf und die Brüder Humboldt, Heyne und Garve, J. H. Voß, Fr. Schlegel und Adam Müller, Justus Möser und Moses Mendelssohn zu seinen Mitarbeitern zählte, nach Jena (bei Joh. Mich. Mauke), von Juli 1793 an nach Dessau (bei H. Heybruch, Hoffürstl. Hof- und Regierungs-Buchdrucker). Als Verleger zeichnete aber nach wie vor die Haude- und Spenersche Buchhandlung in Berlin.

Nicolai, der seine »Allgemeine deutsche Bibliothek« als Schriftsteller und Buchhändler in einer Person bisher selbst redigiert und verlegt, aber sie schon seit 1775 auswärts hatte drucken lassen, nahm am 12. März 1792 (im Vorwort zum 2. Stück des 106. Bandes) gerührten Abschied von seinen Lesern und trat mit Beginn dieses Jahres seine Zeitschrift, die früher gleichfalls Wöllner zu ihren Mitarbeitern zählen durfte, dem[59] Hamburger Buchhändler Bohn ab, der sie in seiner Universitätsbuchhandlung in Kiel, also auf dänischem Boden unter dortiger Preßfreiheit, weiter erscheinen ließ. Über den Grund des Verlags- und Redaktionswechsels drückte sich Nicolai sehr diplomatisch aus: infolge seiner augenblicklichen »Lage« könne er dem Blatte nicht mehr so nützlich sein wie bisher. Nur der Schluß deutete vorsichtig auf den geistigen Luftwechsel Preußens hin: die »Morgenröthe der Aufklärung, die über Deutschland aufgegangen«, könne nie ganz verdunkelt werden; zwar könne wohl ein Nebel vor ihr aufsteigen, aber die Sonne werde ihn wieder zerstreuen. Erst 1801, als er die Bibliothek aufs neue übernahm, schilderte er in der Vorrede, welcher Verfolgungen wegen er sie 1792 hatte aufgeben müssen.

Diesem Beispiel der beiden weitverbreiteten Zeitschriften folgten bald noch andere Verleger. Anfang 1793 wollte der Generalsuperintendent Ewald in Dessau eine Monatsschrift »Urania; für Kopf und Herz« im Verlag der Frankeschen Buchhandlung in Berlin herausgeben. Das erste Heft sollte u. a. eine Abhandlung von Lavater über die Vielseitigkeit Gottes enthalten. Der Berliner Zensor, die Firma Hillmer und Hermes, verbot aber den Druck mit der Begründung: Lavater habe »nicht die rechte Meinung von Gott«. Daraufhin erschien die Zeitschrift bei der Kgl. privil. Helwingschen Hofbuchhandlung in Hannover, ohne von der dortigen Zensur angefochten zu werden. Erstaunlich ist nur, daß die beiden Verleger es wagten, im Anzeigenteil (Umschlag) des Februarheftes der »Berlinischen Monatsschrift« diesen Verlagswechsel bekanntzumachen und ausdrücklich mit der »strengen Berliner theologischen Zensur« zu begründen.

Rückgang des Druckgewerbes in Preußen.

Die naturgemäße Folge dieser Strenge war ein starker Rückgang des Berliner Druckereigewerbes, das sich in den letzten Jahrzehnten sehr bedeutend entwickelt und Berlin zu einem Hauptstapelplatz des Buchhandels erhoben hatte. Ein Gutachten der Kurmärkischen Kammer vom 2. August 1794, das der Willkürherrschaft der neuen Zensoren Hillmer und Genossen energisch zuleibe ging, lieferte dafür unanfechtbare[60] Zahlen. Es stellte fest, daß im Jahre 1788 81 Druckpressen in Berlin im Gange waren; fünf Jahre später war ihre Zahl auf 67 gesunken. Und während bei Erlaß des Zensurediktes noch 6–700 Personen vom Druckgewerbe lebten, war die Zahl der Druckereiarbeiter 1795 auf 150 gefallen! Diese Verödung der preußischen Druckereien schädigte den Staatssäckel ganz empfindlich, und der Fehlbetrag in der Steuerkasse sollte sich allemal als das wirksamste Argument gegen eine weitere Anziehung der Zensurschraube erweisen.

Theologische Zensurblüten.

Das vorhin erwähnte Gutachten der Kurmärkischen Kammer aus dem Jahre 1794 führte auch eine Reihe von Fällen an, die das sinnlose Gebaren der neuen Berliner Inquisition drastisch brandmarkten.

Der Sprachforscher Professor Heynatz aus Frankfurt a. O. hatte in einer Abhandlung erwähnt, daß »viele Philologen die Stelle des 1. Joh. V. 7 für unächt« hielten. Dieser textkritischen Bemerkung wegen wurde der Druck seiner Abhandlung untersagt!

Das »Journal für Gemeingeist« brachte einen Aufsatz: »Darf ein Protestant die Vertilgung des Katholizismus wünschen?« Die Druckerlaubnis dafür wurde nur unter der Bedingung gegeben, daß eine längere Anmerkung des Zensors mit aufgenommen würde. Dagegen hatte der Verfasser nichts einzuwenden, aber der Zensor bestand darauf, daß die Fußnote so abgedruckt werde, als ob sie vom Autor selbst stamme; ihre wahre Herkunft durfte nicht gemeldet werden!

Selbst der fromme Prediger und Dichter Ludwig Theobul Kosegarten in Schwedisch-Pommern war den Mitgliedern der Immediat-Prüfungskommission noch nicht kirchlich genug. Als er 1794 in Berlin Predigten drucken ließ, unterstand sich der Zensor, Stellen, die ihm nicht paßten, auszustreichen und andere dafür einzusetzen!

Unter diesen Umständen war es begreiflich, wenn die Berliner Buchhändler 1794 beantragten, die Zensoren Hermes und Hillmer »in die eigentlichen Schranken des Censur-Edicts« zurückzuweisen und sie selbst »bei Veränderung der Censur-Gesetze mit ihrer Nothdurft zu hören«.

[61]

Kants Zusammenstoß mit der preußischen Zensur.

Obgleich die »Berlinische Monatsschrift« in Jena gedruckt wurde, gab sie doch unbeabsichtigterweise Anlaß zu einem Vorfall, der dem Wöllnerschen System die Krone aufsetzte.

Der bedeutendste ihrer Mitarbeiter, der Königsberger Philosoph Kant, schrieb in eben den Monaten, da die Berliner Zionswächter auf das Pack der Aufklärer mit Keulen dreinzuschlagen begannen, eine Folge von Aufsätzen, die 1793 vereint unter dem Titel »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« erschienen und in der Geschichte der Religionsphilosophie Epoche machten.

Einzeln sollten sie vorher in dem Organ Biesters gedruckt werden. Obgleich nun die Monatsschrift gar nicht mehr der Berliner, sondern Sachsen-Weimarischer Zensur unterlag, bestand Kant darauf, daß seine Beiträge der neuen Berliner Zensurbehörde unterbreitet würden, da er jeden Schein »literarischer Schleichwege« vermeiden wollte.

Wie die Immediat-Prüfungskommission ihm gesinnt war, ahnte er wohl nicht; sogleich nach ihrer Einsetzung hatte eines der vier Mitglieder, der Prediger Woltersdorf, den Antrag gestellt, dem freimütigen Philosophen das Schreiben überhaupt zu verbieten! Von dieser Zensurbehörde war also für Kant wenig Gutes zu erwarten.

Gegen den ersten Aufsatz »Über das radikale Böse in der menschlichen Natur« hatte Hillmer nichts einzuwenden, da »doch nur tief denkende Gelehrte« die Kantschen Schriften läsen; er erschien im April 1792.

Unglücklicherweise brachte aber das nächste Heft der Monatsschrift unter dem Titel »Über die Pflicht der Ergebung, in Zeiten wann die Wahrheit verfolgt wird« einen anonymen Beitrag, der nichts weniger als ein energischer Angriff gegen die neue Organisation der Berliner Zensur war! Er gab sich als eine »Predigt (über 2. Tim. 4, 17), gehalten in England unter König Jakob II.«, und auch in mancherlei Anmerkungen wurde die Fiktion durchgeführt, als ob diese Predigt wahrscheinlich von dem »berühmten Tillotson« zu König Jakobs Zeiten gehalten worden sei, der »eine wahre Inquisition, the court of high commission«, errichtete und »sechs Bischöfe, welche ihm[62] Vorstellungen machten, in den Tower setzen ließ«. Die Beziehung auf die preußische Immediat-Prüfungs-Kommission und den Protest der fünf Konsistorialräte gegen das Religionsedikt war gar zu durchsichtig, und wenn der Prediger gegen den geistlichen Despotismus, »den ärgsten Feind der Wahrheit« wetterte, so wußte gewiß jeder preußische Leser, gegen wen sich das schwere Geschütz seiner apokalyptischen Worte richtete.

Die Berliner Zensoren verstanden jedenfalls nur zu wohl, was hier mit dem »großen Drachen« der Apokalypse gemeint war, und als unmittelbar darauf Kants zweite Abhandlung »Von dem Kampfe des guten Princips mit dem bösen, um die Herrschaft über den Menschen« vorgelegt wurde, versagte Hillmer im Einverständnis mit seinem Kollegen von der Theologie, Hermes, am 14. Juni die Druckerlaubnis.

Der Herausgeber der »Monatsschrift« aber war ein streitbarer Mann. Biester verlangte zunächst von Hermes Aufklärung darüber, wieso der Kantsche Aufsatz gegen das Zensuredikt von 1788 verstoße. Hermes dagegen berief sich auf das Religionsedikt, das für theologische Schriften maßgebend sei; im übrigen verlange man von ihm wohl nicht, »mit einem Schriftsteller es auszumachen, auf welcher Seite, bei verschiedenen Meinungen, Wahrheit sei«.

Damit ließ sich Biester nicht abfertigen; am 20. Juni protestierte er in einer umfangreichen Beschwerde energisch gegen die Anwendung des Religionsediktes in Zensurfragen, verlangte zu wissen, ob etwa neue, geheime Zensurverfügungen erlassen seien, die also keine Rechtsverbindlichkeit hätten, legte mit Scharfsinn und Ironie die Willkür der jetzigen Zensoren dar und bat aufs neue um Druckerlaubnis für den Kantschen Aufsatz. Für einen preußischen Beamten – Biester war Vorsteher der Königlichen Bibliothek und seit 1788 Mitglied der Berliner Akademie – war dieser freimütige Protest ein nicht alltäglicher Akt des »Mannesstolzes vor Königsthronen«.

Biester würde unter den Mitgliedern des Ministeriums gewiß Bundesgenossen gefunden haben, wenn nicht gerade damals eine scharfe Kabinettsorder des Königs vom 21. Februar ebendieses Jahres noch auf den freisinnigsten Gemütern gelastet hätte. Mit seiner Vermutung einer neuerdings erfolgten oder[63] doch wenigstens vom Könige erstrebten Verschärfung der Zensur hatte ja Biester nicht so unrecht. Aber das war Staatsgeheimnis! Also wurde seine Beschwerde am 2. Juli 1792 kurzweg abgewiesen.

Kant zog deshalb sein Manuskript zurück. Nur der erste Akt dieser Zensurkomödie war damit zu Ende; der zweite spielte zwei Jahre später.

Ein Wink aus Österreich.

Mit der zu dieser Zeit geplanten abermaligen Verschärfung der preußischen Zensur hatte es folgende Bewandtnis:

Am 3. Dezember 1791 hatte sich Kaiser Leopold II., der Bruder der damals schon in Lebensgefahr schwebenden französischen Königin Maria Antoinette, veranlaßt gefühlt, allen Reichsständen zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und zum Schutz der gegenwärtigen Verfassung vor dem Umsturz eine strengere Handhabung der Zensur zu empfehlen.

Friedrich Wilhelm II. übergab am 3. und 4. Februar die kaiserliche Warnung seinem Staatsministerium zu sorgfältigster Überlegung, denn auch in Preußen habe das Übel aufrührerischer Schriften so um sich gegriffen, »daß am Ende die äußerste Rigoueur und Leib- und Lebensstrafen nöthig sein werden, um boshafte Schriftsteller, Drucker und Verleger im Zaum gebührender Ordnung zu halten«. Die Zensoren seien zu größter Schärfe anzuhalten, besonders seitens des geistlichen Departements, da »schriftstellerische Aufklärer unter den Theologicis« den meisten Schaden anrichteten. Strengste Beaufsichtigung aller Druckereien und Buchhandlungen durch besondere »Polizei-Anstalten« sei erforderlich, und der Druck unzulässiger Schriften solle »bei zehnjähriger Vestungs-Arbeit« verboten werden! Alles, was an Büchern nach Preußen hereinkomme, dürfe in den Buchläden nicht eher verkauft werden, als bis die Zensur es erlaube. Einwände, als ob der Buchhandel dadurch leiden würde, seien hinfällig; dem Übel müsse gesteuert werden, »wenn auch der Buchhandel zu Grunde ginge«.

Also eine völlige Absage sogar an das eigene Zensuredikt von 1788, das wenigstens noch einige Rücksicht auf das »dem Staate so nützliche Gewerbe der Druckerei und des Buchhandels«[64] zur Pflicht gemacht hatte. Von Leibesstrafen war in den Zensurgesetzen Friedrichs des Großen nie die Rede gewesen; wohl aber in der letzten Zensurverfügung Kaiser Josephs vom Dezember 1789. Dieses Beispiel Österreichs übertrumpfte Preußen noch: im Dunstkreise Wöllners steigerte sich die Leibesstrafe zu »Leib- und Lebensstrafen« und zu »zehnjähriger Vestungs-Arbeit«! Und auch gegen die Büchereinfuhr von auswärts sollte jetzt das alte österreichische Abwehrmittel nachgeahmt werden: jedes fremde Buch sollte erst die preußische Zensur passieren, ehe es in Preußen verkauft werden durfte. Bisher hatte man das dem Takt und Risiko der Buchhändler überlassen, wie ja, entsprechend dem Stand des gesamten Buchwesens, Preußen in seinen Edikten immer das Hauptgewicht auf den Druck neuer Bücher, die Zensur der Manuskripte legte, Österreich dagegen, wo die literarische Industrie mit Ausnahme des Nachdrucks nur vegetierte, auf die Büchereinfuhr von außen.

Preußens Ehrenrettung durch sein Ministerium.

Das preußische Ministerium kam durch die Kgl. Kabinettsorder in nicht geringe Verlegenheit. Die einzelnen Departements, die jedes für sich berieten, hatten von aufrührerischen Gesinnungen in Preußen »noch nicht die mindeste Spur oder Neigung bemerkt« und ihr Gesamtbericht vom 17. Februar wurde, statt einer Anklage, das denkbar rühmlichste Zeugnis für die vaterländische Gesinnung ihrer Landsleute: Preußen habe sich stets durch »pflichtvolle Treue, Liebe und Verehrung des Landesherrn« ausgezeichnet, in Fällen öffentlicher Not durch willigste Aufopferung von Leben und Vermögen den »musterhaftesten Patriotismus« bewiesen, und das »Exempel der in Aufruhr befangenen Völker« werde auf diese Nation daher »nie die geringste Würkung haben«. Zur Aufrechterhaltung der Religiosität, meinten sie, reichten die bestehenden Gesetze völlig aus, »ohne die rechtmäßige Denk- und Gewissens-Freiheit zu unterdrücken«, und die »nach dem Charakter der Literatur und Menschheit unvermeidlichen kritischen Untersuchungen dieser und jener der Religion beigemischten nicht wesentlichen Streitigkeit« hätten auf die »allgemeine Religiösität des Volkes keinen Einfluß«. Wolle man aber von jetzt an auch die Büchereinfuhr[65] der Zensur unterwerfen, die jährlich etwa 6000 verschiedene, »zum Theil weitläuftige« Werke betrage, so sei dazu ein neuer Stab von Mitarbeitern nötig, eine besondere Zensurkommission oder, wie das Justizministerium sich ausdrückte, »ein ganzes Heer besoldeter Censoren«. Minister von der Reck erklärte geradezu, das müsse »den Banquerut aller Buchhändler zur nothwendigen Folge haben«.

Mit dieser Ehrenrettung Preußens kam das Ministerium beim Könige aber übel an! Schon vier Tage später erhielt es eine Kabinettsorder vom 21. Februar 1792, die den Ministern vorwarf, daß sie den Aufklärern das Wort redeten. Es sei gewiß ein Glück, wenn »die bisherigen von so vielen Geistlichen und andern Aufklärern so dreiste unternommenen Verfälschungen der alten reinen christlichen Religion«, die das Ministerium als außerwesentliche Untersuchungen beschönige, die allgemeine Religiosität noch nicht geschädigt hätten. Dies Glück könne aber nicht mehr lange dauern, wenn »hier nicht zeitig genug kräftige Maßregel genommen würden«, stehe doch jedermann »das traurige Exempel jenes großen Staates« vor Augen, »wo der Keim der unglücklichen Revolution in jenen Religionsspöttern zu suchen ist, die noch jetzt von der bethörten Nation im Grabe vergöttert werden«!

Es kam zwar ganz anders, als es die ungnädige Kabinettsorder bestimmte. Aber es ist menschlich verständlich, wenn die Staatsminister jetzt im Falle Kant durch Parteinahme für den Philosophen den König und seinen bösen Geist Wöllner nicht noch mehr reizen wollten. Wenn Kant den Druck seines Aufsatzes wünschte, standen ihm ja neben der »Berlinischen Monatsschrift« viele Wege offen. Sie zogen es daher vor, der Sache den Lauf zu lassen, den sie nach dem ausgesprochenen Willen des Königs nun einmal nehmen sollte.

»Äußerst gefährliche und übelgesinnte Leute.«

Trotz des z. T. sehr ungnädigen Tones der Kabinettsorder vom 21. Februar 1792 hatten die preußischen Staatsminister durch einmütiges Zusammenhalten einen vollständigen Sieg gegen Wöllner und seine Kreaturen erfochten.

Unter anderm hatte der König am 4. Februar befohlen,[66] die »Gothaische Gelehrte Zeitung« und die »Jenaische Allgemeine Literaturzeitung« in ganz Preußen sofort zu verbieten, »weil diese beiden Blätter sich bisher vorzügliche Freiheiten gegen hiesige, sowohl als in andern Ländern gemachte Einrichtungen erlaubt« hätten.

Diesem Befehl aber widersetzten sich die Staatsminister wie ein Mann! Die Gothaer Zeitung hatte offenbar in Berlin wenig Leser und fand daher nur schwachen Schutz; für die Jenaer Literaturzeitung trat aber das Ministerium mit einer bewundernswerten Entschiedenheit in die Schranken, denn die lasen sie alle! Eine Tatsache, die nicht nur diesen Männern zum Ruhme gereicht, sondern auch ein schlagender Beweis ist für den Umschwung, der in den letzten dreißig Jahren, seit dem Erscheinen der dem preußischen Ministerium völlig unbekannt gebliebenen »Briefe, die neueste Literatur betreffend« (1761–67), mit ebendieser Literatur vor sich gegangen war.

Das Generaldirektorium erklärte am 7. Februar, es habe in beiden Blättern »noch nie etwas befunden, was der wahren Christl. Religiösität oder der Sicherheit und Ruhe des Staates nachtheilig, und zu Empörung und Aufruhr beförderlich wäre«, ein deutlicher Hinweis auf die Beschränkungen, die das bestehende Zensurgesetz solchen Verboten auferlegte; der königliche Befehl hatte sie willkürlich überschritten! Zu einem die Herausgeber beider Blätter kränkenden Verbot läge keine »billige und gerechte Ursache« vor. Im Gegenteil, sie beschäftigten sich »mit dem besten und wichtigsten Theile der ganzen Literatur, wären mit vorzüglicher Gründlichkeit, Einsicht und Unpartheilichkeit verfaßt, und wären die vollständigste, angenehmste und am meisten belehrende Lektüre aller Gelehrten, Geschäftsmänner und Freunde der Literatur«.

Das Justizministerium gab am nächsten Tag zu Protokoll, die Literaturzeitung enthalte »freilich in einigen Recensionen Anpreisungen sogenannter chimerischer Menschen-Rechte«, man habe aber nichts darin gefunden, was der preußischen Staatsverfassung nachteilig oder für den König beleidigend sein könne. Sollten sich etwa »Kgl. Bediente« durch »zuweilen unglimpfliche Urtheile« darin gekränkt fühlen, so könne man doch ihretwegen das Blatt nicht dem ganzen Publikum entziehen; sie müßten sich eben mit dem Bewußtsein ihrer Tadellosigkeit trösten und hätten ja dann das öffentliche Urteil nicht zu scheuen.

[67]

Im gleichen Sinne äußerte sich dann das gesamte Staatsministerium am 17. Februar, und mit dem Erfolg, daß der Jenaischen Literaturzeitung gar nichts zuleide geschah. Das Ministerium, das die letztere so eifrig in Schutz nehme, müsse aber auch, so lautete die Antwort des Königs vom 21., »dafür sorgen, daß nichts unzulässiges darin gedruckt werde, bei Strafe der Konfiskation und des unausbleiblichen Verbots derselben, weil S. K. M. bekannt ist, daß die Direkteurs derselben äußerst gefährliche und übelgesinnte Leute sind«. Diese »Direkteurs« aber waren der angesehene Weimarer Schriftsteller Bertuch, der Philologe Schütz und der berühmte Arzt Hufeland, der damals in Jena lebte und 1798 eine der vornehmsten Zierden der – Berliner Akademie der Wissenschaften wurde.

Die Herausgeber der Literaturzeitung erhielten durch den Berliner Hofpostmeister und den Grenzpostmeister in Halle nur eine freundschaftliche Verwarnung, »nichts dem Preußischen Staat nachtheiliges« aufzunehmen und »bei dem Debit in hiesigen Landen vorsichtig zu Werke zu gehen«, und hatten alle Ursache, sich beim Ministerium für die »erhabene Protektion« zu bedanken.

Nur die »Gothaische Gelehrte Zeitung« mußte daran glauben, weil sich ihrer niemand energisch angenommen hatte.

Zensur und – Bierkonsum.

Daß der Humor auch der immer grämlicher werdenden Zensur nicht untreu wurde, zeigt ein scherzhafter Vorfall, von dem der berühmte Philologe Friedrich August Wolf, damals in Halle, an den Herausgeber der »Jenaischen Literaturzeitung«, den Kollegen Schütz in Jena, am 21. Februar 1792 berichtete.

Die »Gothaische Gelehrte Zeitung« war in ganz Preußen verboten, also auch in Halle, aber nicht im nahen Passendorf jenseits der Saale, das damals zu Kursachsen gehörte. Hier, wo die Hallenser Burschen seit altersher manche Bierschlacht zu schlagen liebten, legte deshalb ein spekulativer Wirt namens Währmann gleich mehrere Exemplare des verbotenen Blattes »bei sein Merseburger Bier« auf, »um mehr Gäste hinauszuziehen«. »Barkhausen«, schreibt Wolf, »will daher in seinem nächsten Berichte als Stadtpräsident auf meinen Rath mit[68] einfließen lassen, daß die hiesige Bier-Consumtion seit den Tagen des Verbots der Gothaer Zeitung beträchtlich zum Nachtheil der Stadt gefallen sei, indem die Bier trinkenden studiosi und Un-studiosi, zumal die studiosi noch studentes, weit häufiger als sonst die sächsischen Dörfer besuchten, weil dort neben dem Biere auch Gothaische Zeitungen zu haben wären.«

Ob der Stadtpräsident von Halle den Spaß wirklich von Stapel ließ, ist nicht überliefert; aber Wolf »steht dafür, daß er ausgeführt werden soll«.

Die Büchereinfuhr.

Der Sieg, den 1792 die Besonnenheit des preußischen Ministeriums über den blinden Eifer des Königs und seiner Ratgeber davontrug, beschränkte sich aber nicht auf die Freigabe der Jenaer Literaturzeitung. Auch der andere, tiefer einschneidende Befehl, daß künftig die gesamte ausländische Büchereinfuhr einer besondern Zensur unterworfen werden müsse, fiel vor den Bedenken der Minister lautlos in die Versenkung.

Der König wunderte sich zwar »äußerst«, daß man offenbar »den Flor des Buchhandels auf den Verkauf unzulässiger Schriften gründen wolle«, und meinte, es sei eben Sache der Herren Minister, die Schwierigkeiten einer neuen Maßregel zu heben, da er selbst doch unmöglich »das Detail vorschreiben« könne. Aber er bestand nicht mehr auf seinem Willen. Die »zehnjährige Vestungs-Arbeit« und die »Leib- und Lebensstrafen« verschwanden wie eine schöne Fata Morgana vor den Augen der Großinquisitoren, und der ganze umfangreiche Aktenwechsel hatte nur folgendes Gesamtergebnis: die »Gothaische Gelehrte Zeitung« blieb das eigentliche Opfer; außerdem wurden durch ein Rundschreiben die »Bülletins«, die handschriftlichen Zeitungen, die noch immer von kleinen Beamten unter Ausnützung ihres amtlichen Wissens verbreitet und bis dahin von keinem aufmerksamer gelesen wurden als vom – Könige selbst, trotz ihrer Indiskretionen über sein nicht unanfechtbares Privatleben, bei Festungshaft verboten. Im übrigen begnügte man sich damit, allen Behörden die strengste Befolgung des Zensuredikts einzuschärfen und allen Übeltätern die Anwendung der »gesetzlichen Strafen mit äußerster Rigueur« anzudrohen.

[69]

Diese – orthographisch berichtigte! – Redewendung war das einzige, was der entsprechende Erlaß des Ministeriums vom 28. Februar 1792 aus dem stachlichten Teil der Kabinettsorder vom 21. übernahm, aber zugleich durch das Festhalten an den »gesetzlichen Strafen« sorgfältig abzustumpfen wußte.

Ein ehrsamer Buchhändler.

Wie heftig sich das Ministerium gegen eine Zensur der Büchereinfuhr sträubte, zeigt noch viel drastischer ein anderer Vorfall. Ein Jahr später erlaubte sich ein Buchhändler namens Ferdinand Oehmigke in einem »Promemoria« darüber Klage zu führen, welche Masse »modischer Schriften« gegen Religion und Untertanentreue nach Preußen eingeschwärzt würde; als ehrsamer Buchhändler, der jeden Gewinn »auf Unkosten der Religion, der wahren Verehrung des Monarchen, der guten Sitten und also der allgemeinen Glückseligkeit« verabscheue, könne er diese »unverantwortliche Volksverführung« nicht ruhig mit ansehen. Zwar würden die ankommenden Bücherpakete auf dem Packhof von einem Akzisebeamten einer flüchtigen Durchsicht unterworfen; aber was in den Büchern stehe, ob die Verleger nicht falsche Titelblätter einzögen, auswärts gedruckte Verlagswerke als Kommissionsgut einführten, in erlaubten Büchern die Druckbogen verbotener verbärgen und was solcher Praktiken mehr seien, das könne nur ein – »geübter, mit den gehörigen Befehlen versehener Buchhändler« beurteilen. Zu diesem saubern Geschäft gestatte er sich, »gegen ein billiges Gehalt« seine Dienste anzubieten.

Hillmer fand, daß der Vorschlag Oehmigkes nähere Erwägung sehr verdiene. Er tappte dabei aber ganz übel in die Nesseln. Das Ministerium lehnte das »unbesonnene und gewinnsüchtige Projekt des Oehmigke«, der selbst »bei seinem Metier keinen rechten Fortgang« gehabt habe, mit heftigster Entrüstung ab; das Departement des Auswärtigen nannte es sogar »unter aller Kritik« und meinte, der Mann müsse »die ganze Unwürdigkeit seiner Vorschläge einsehen und fühlen«, und das Generaldirektorium wies ohne weitere Begründung »den Oehmigke mit diesen seinen Anträgen ein für allemal zur Ruhe«.

[70]

Die Maßregelung Kants.

Nach seiner bösen Erfahrung mit der Berliner Zensurbehörde 1792 wollte Kant nun seine unterdes vollendeten vier religionsphilosophischen Aufsätze als Buch erscheinen lassen. Der Berliner Zensor hatte den strittigen Aufsatz ein Werk der »biblischen Theologie« genannt und deshalb seinen Kollegen Hermes dabei zu Rate gezogen. Kant fragte also der Vorsicht halber zunächst die theologische Fakultät: Maßt ihr euch an, mein Buch zu zensieren? Die Königsberger Theologen bedankten sich aber und verwiesen ihn an die philosophische Fakultät, die auch ohne Zögern das Imprimatur erteilte.

So konnte die »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« Ostern 1793 bei Nicolovius in Königsberg erscheinen. Schon ein Jahr später machte sich eine zweite Auflage nötig, obgleich sofort zwei Nachdrucker den Erfolg des Buches ausgebeutet hatten.

In der Vorrede seines Werkes hatte Kant einen Vorstoß gegen die »Kritik, die Gewalt hat«, gegen die geistliche Zensur, gewagt und den »Bücher richtenden Theologen«, der nur für das Heil der Seelen, nicht für das der Wissenschaft Sorge trage, auf dem Felde der letzteren nur Zerstörung anrichte und sich wohl gar auch in die Astronomie, Erdgeschichte und andere Dinge einmischen wolle, sehr energisch abgeschüttelt. Hermes und Hillmer verstanden den Wink. Aber den widerspenstigen Philosophen mußte ja bald sein Schicksal ereilen. Der Kampf des Ministeriums Wöllner gegen die Lehrfreiheit der Universitäten sollte eben auf der ganzen Linie beginnen. Die »Neologen«, wie man die aufgeklärten Theologen nannte, wurden aufs nachdrücklichste verwarnt, Geistliche, Schul- und Universitätslehrer mußten sich schriftlich verpflichten, weder in- noch außerhalb der Unterrichtsstunden, weder mündlich noch schriftlich, weder direkt noch indirekt etwas gegen die Hl. Schrift, gegen die christliche Religion und gegen die landesherrlichen Anordnungen und Verfügungen in Religions- und Kirchenwesen vorzubringen, und Hermes und Hillmer erhielten den Auftrag, die Rechtgläubigkeit der Schulen, Gymnasien und theologischen Fakultäten einer scharfen Prüfung zu unterwerfen. In Halle, der »Pflanzschule der irrgläubigen Geistlichen«, warfen die[71] Studenten den beiden apostolischen Gesandten die Fenster ein, so daß sie schleunigst wieder verdufteten. Eine Untersuchung des Skandals endete ohne Ergebnis, und die theologische Fakultät verteidigte mit Nachdruck, Geschick und Erfolg ihre Lehrfreiheit. Dann kam Königsberg an die Reihe, und am 1. Oktober 1794 erhielt der Mann, der der Immediat-Prüfungskommission längst ein Dorn im Auge war, der siebzigjährige Kant, eine Kabinettsorder, deren Wirkung hier durch keine Textkürzung beeinträchtigt werden soll:

Von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm, König von Preußen
usw. usw.

Unsern gnädigen Gruß zuvor!
Würdiger und hochgelahrter lieber Getreuer!

Unsere höchste Person hat schon seit geraumer Zeit mit großem Mißfallen ersehen, wie Ihr Eure Philosophie zur Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der Heiligen Schrift und des Christentums mißbraucht; wie Ihr dieses namentlich in Eurem Buch: »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«, desgleichen in andern kleineren Abhandlungen getan habt. Wir haben uns zu Euch eines bessern versehen; da Ihr selbst einsehen müsset, wie unverantwortlich Ihr dadurch gegen Eure Pflicht, als Lehrer der Jugend, und gegen unsere, Euch sehr wohlbekannten, landesväterlichen Absichten handelt. Wir verlangen des ehesten Eure gewissenhafteste Verantwortung, und gewärtigen uns von Euch, bei Vermeidung unserer höchsten Ungnade, daß Ihr Euch künftighin nichts dergleichen werdet zuschulden kommen lassen, sondern vielmehr, Eurer Pflicht gemäß, Euer Ansehen und Eure Talente dazu anwenden, daß unsere landesväterliche Intention je mehr und mehr erreicht werde, widrigenfalls Ihr Euch, bei fortgesetzter Renitenz, unfehlbar unangenehmer Verfügungen zu gewärtigen habt.

Sind Euch mit Gnade gewogen.

Auf Seiner Königl. Majestät allergnädigsten Spezialbefehl

Berlin, den 1. Oktober 1794.

Wöllner.

Das genügte Wöllner noch nicht; er ließ außerdem am 14. Oktober 1795 den Gebrauch des Kantschen Buches auf preußischen Universitäten »Ein für allemal« verbieten.

Kant ließ die Kabinettsorder nicht ohne Erwiderung. In würdiger Weise, die von dem Ton jener Order merkbar absticht, rechtfertigte er sich gegen den Vorwurf des Mißbrauchs und der Pflichtwidrigkeit; doch zog er die unvermeidliche Folgerung und versprach feierlich »als Ew. Königl. Maj. getreuester[72] Unterthan«, sich fernerhin aller öffentlichen Vorträge über Religion in Vorlesungen und Schriften zu enthalten, ein Versprechen, das seine akademische und schriftstellerische Tätigkeit in den letzten kostbaren Jahren seines Lebens in bedauerlichster Weise lahmlegte und die Nachwelt unwiederbringlich um die Früchte dieser Tätigkeit gebracht hat.

Die Akademie schweigt.

All diese Vorgänge drängen die Frage auf: War denn »kein Dalberg da«, der es gewagt hätte, seine gewichtige Stimme gegen diesen täppischen Obskurantismus zu erheben? Wo blieb der vornehmste Hort der Geistesschätze der Nation, die Akademie der Wissenschaften? Was erwartete sie für sich, wenn sie einen Mann wie Kant, der seit 1786 ihr Mitglied war, so mißhandeln ließ?

Die Geschichte der Akademie weiß nichts von flammenden Protesten, die sich gegen die Willkürherrschaft der Dunkelmänner erhoben hätten. Die Akademie seufzte zwar selbst unter dem Joche Wöllners, der sich als ihr Kurator aufspielte, aber kein Widerspruch wurde laut. Man hatte mit der bestehenden Gewalt einen schimpflichen Baseler Frieden geschlossen. »Mit Händen kann man es hier greifen,« sagt der Biograph der Akademie, Adolf Harnack, »daß diesen Teller, Engel, Zoellner bei allem Tugendgerede das thatkräftige Pflichtgefühl und bei allem ›Fortschritt‹ das begeisternde und führende Ideal fehlte. Nicht nur ihre Ästhetik, mit der im Jahre 1796 die Xenien abrechneten, auch ihr Patriotismus und ihre Weltanschauung war bankerott.«

Nur im vertraulichen Kreise der »Philosophischen Gesellschaft«, zu der sich etliche Akademiemitglieder wie Biester, Dohm, Spalding, Engel mit Nicolai und andern im Bedürfnis geselliger Anregung allwöchentlich zusammenfanden, pflegte man noch bei sorgfältig verschlossenen Türen frei von der Leber weg zu reden. In den Hallen der Akademie aber war das freie Wort erstorben, und in der Vorsicht, die der bessere Teil der Tapferkeit ist, wagten sich die würdigen Herren erst an eine Kritik des Wöllnerschen Regimes, als der »verabscheute Mann« gestürzt war.

[73]

Ein Zensurerlebnis des Philosophen Fichte.

Einer nur erhob seine Stimme, ein junger Kandidat der Theologie, dessen Name gern mit dem seines Zeitgenossen Wilhelm von Humboldt genannt wird und hier vor allem mit ihm zusammenstimmt, da beide Männer zu gleicher Zeit im selben Ideenwirbel umgetrieben wurden, Johann Gottlieb Fichte.

Auch er hatte schon sein persönliches Zensurerlebnis hinter sich. Im Sommer 1791 war er als mittelloser Mensch nach Königsberg gekommen und hatte dort sein erstes Buch geschrieben: »Versuch einer Kritik aller Offenbarung«, das, als es Ostern 1792 ohne Namen des Verfassers in der Heimat Kants erschien, allgemein für dessen Werk gehalten wurde, so daß Kant durch eine öffentliche Erklärung die wahre Urheberschaft enthüllen mußte. Der Königsberger Philosoph hatte an dieser Schrift nur so weit teilgenommen, daß er sie im Manuskript gelesen und dem ihm befreundeten Verleger Hartung empfohlen hatte.

Hartung wollte das Buch in Halle, der »Pflanzschule der irrgläubigen Geistlichen«, drucken lassen. Dort sollte es auch die Zensur passieren. Dekan der theologischen Fakultät war aber zufällig einer der dortigen Pietisten, der Professor Joh. Ludwig Schulze, kein großes Kirchenlicht, und dieser verweigerte als derzeitiger Zensor das Imprimatur. Er beanstandete eine der Hauptthesen der Schrift: Daß der Beweis für die Göttlichkeit einer Offenbarung nicht durch die Berufung auf die dabei geschehenen Wunder geführt werden dürfe, sondern daß einzig aus dem Inhalte derselben darüber entschieden werden könne – ein Satz, der heute längst zu den selbstverständlichen Voraussetzungen theologischer Forschung gehört.

Vergebens erklärte Fichte, sein Buch gehöre vor die philosophische Fakultät. Die theologische hatte ihr Urteil gesprochen, und dabei blieb es.

Schon sollte das Manuskript im Auslande gedruckt werden, als der Wechsel des theologischen Dekanats in Halle die Schwierigkeit beseitigte. An die Stelle Schulzes trat Professor Knapp, der trotz seiner Orthodoxie das Recht der freien Forschung anerkannte und dem Erstlingswerk Fichtes ohne Anstand die Druckerlaubnis gab.

[74]

Ein Jahr nach Erscheinen verschaffte die Schrift ihrem Verfasser den Ruf als Professor der Philosophie nach Jena.

Zurückforderung der Denkfreiheit.

Dieses persönliche Erlebnis gehörte dazu, um in der Seele Fichtes die flammende Entrüstung zu entfachen, die aus seiner nächsten Schrift emporlodert. Wieder sandte er sie anonym in die Welt, in der Vorrede aber erklärte er, sich jedem nennen zu wollen, der sich ernsthaft über das Thema des Büchleins mit ihm auseinanderzusetzen wünsche. »Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten. Eine Rede. Heliopolis, im letzten Jahre der alten Finsternis« (1793), so lautete der Titel dieses Manifestes, das wie der helle Schrei eines jungen Falken schrill zum Himmel stieg und den mühsam verhaltenen Ingrimm aller, die sich geknechtet fühlten, in glühende Worte faßte.

Wie sein Zeitgenosse Humboldt steht Fichte ganz auf dem Boden des Naturrechts: der Staat ist nur Mittel zum Zweck, dem Menschen sein ursprüngliches Recht zu sichern oder wiederzuverschaffen. Er ist ein Notstaat, wie sich Fichte später einmal ausdrückte, und der Zweck der Regierung ist, die Regierung überflüssig zu machen. Während aber der künftige Staatsmann Humboldt diese Grundsätze in der gemessenen, zum Teil trockenen Sprache des Philosophen vorträgt, ist der junge Philosoph ganz Temperament und flackernde Empörung. Es ist die eindringlichste, aufwühlendste »Rede an die deutsche Nation«, die Fichte je gehalten hat, auch wenn ihr die Wirkung versagt blieb, die der eifernde Patriot später auf dem Katheder der Berliner Akademie in dem von den Franzosen besetzten Berlin erzielte. Fast die ganze Rede ist eine einzige Apostrophe an die Fürsten und Völker. »Glückseligkeit erwarten wir nicht aus eurer Hand,« ruft er den ersteren zu, »wir wissen es ja, daß ihr Menschen seyd – wir erwarten Beschützung und Rückgabe unserer Rechte, die ihr uns doch wohl nur aus Irrtum nahmt … Fürst, du hast kein Recht, unsere Denkfreiheit zu unterdrücken: und wozu du kein Recht hast, das mußt du nie thun, und wenn um dich herum die Welten untergehen, und du mit deinem Volke unter ihren Trümmern begraben[75] werden solltest. Für die Trümmer der Welten, für dich, und für uns unter den Trümmern wird der sorgen, der uns die Rechte gab, die du respectirtest …

»Und besonders ihr alle, die ihr Kräfte dazu habt, kündigt doch jenem ersten Vorurtheile, woraus alle unsere Uebel folgen, jener giftigen Quelle alles unseres Elendes, jenem Satze: daß es die Bestimmung des Fürsten sey, für unsere Glückseligkeit zu wachen, den unversöhnlichsten Krieg an; verfolgt ihn in alle die Schlupfwinkel, durch das ganze System unseres Wissens, in die er sich versteckt hat, bis er von der Erde vertilgt und zur Hölle zurückgekehrt sey, daher er kam.«

Und zu einer Zeit, da die deutschen und österreichischen Heere gegen die französische Republik im Kampfe lagen, beschwört er die Völker: »Alles, alles gebt hin, nur nicht die Denkfreiheit. Immer gebt eure Söhne in die wilde Schlacht, um sich mit Menschen zu würgen, die sie nie beleidigten, oder von Seuchen entweder aufgezehrt zu werden, oder sie in eure friedlichen Wohnungen als eine Beute mit zurückzubringen; immer entreißt euer letztes Stückchen Brot dem hungernden Kinde und gebt es dem Hunde des Günstlings – gebt, gebt alles hin; nur dieses vom Himmel abstammende Palladium der Menschheit, dieses Unterpfand, daß ihr noch ein anderes Loos bevorstehe, als dulden, tragen und zerknirscht werden, – nur dieses behauptet. Die künftigen Generationen möchten schrecklich von euch zurückfordern, was euch zur Ueberlieferung an sie von euren Vätern übergeben wurde. Wären diese so feige gewesen als ihr – ständet ihr dann nicht noch immer unter der entehrendsten Geistes- und Leibes-Sklaverei eines geistlichen Despoten? Unter blutigen Kämpfen errangen jene, was ihr nur durch ein wenig Festigkeit behaupten könnt.«

Solche Worte mochten den neuen preußischen Machthabern sonderbar in die Ohren klingen, und wenn Wöllner sie gelesen hat, wird er mehr als einmal drohend die Faust gegen den kühnen Ankläger geballt haben. Besonders bei der Aufforderung an die Völker: »Ruft es in jedem Tone euren Fürsten in die Ohren, bis sie es hören, daß ihr euch die Denkfreiheit nicht werdet nehmen lassen, und beweist ihnen die Zuverlässigkeit dieser Versicherung durch euer Betragen. Lasset[76] euch nicht durch die Furcht des Vorwurfs der Unbescheidenheit abschrecken. Gegen was könntet ihr denn unbescheiden seyn? Gegen das Gold und die Diamanten an der Krone, gegen den Purpur am Kleide eures Fürsten; nicht – gegen ihn.«

Während sich Fichtes übrige Rede in pathetischen Allgemeinheiten erschöpfte, traf dieser Pfeil das Wöllnersche Zensuredikt mitten ins Herz.

Ein preußischer Index verbotener Bücher.

Der Ingrimm der Examinationskommission gegen das preußische Ministerium nach der Niederlage von 1792 ist begreiflich. Aber Rom ist nicht in einem Tage erbaut. Hillmer und Genossen ließen nicht locker und kamen immer wieder auf die gefährliche Büchereinfuhr zurück.

Am 5. März 1794 verlangten sie, um angeblich der Einführung auswärts gedruckter Verlagswerke der Berliner Verleger zu steuern, daß letztere halbjährlich ein genaues Verzeichnis ihrer Verlags- und Kommissionsartikel einreichen und auf Verlangen der Kommission jede Schrift zur Durchsicht vorlegen müßten gegen unbeschädigte Rückerstattung.

Diese Anregung fiel beim König auf fruchtbaren Boden; er hatte offenbar unterdes die österreichischen Zensureinrichtungen »durchaus studiert, mit heißem Bemüh'n«, und am 17. April befahl er, über den gestellten Antrag hinausgehend, dem Großkanzler von Carmer, von der Examinationskommission »ungesäumt eine Liste von allen solchen Büchern und Schriften« zu verlangen, die »schädliche Principia wider den Staat und die Religion« enthielten. Es sollte also ein Catalogus librorum prohibitorum nach österreichischem Muster hergestellt werden!

Den Großkanzler beehrte der König zugleich mit der ganzen Verantwortung für die strengste Ausübung dieser Zensur. Carmer aber erklärte, er habe »weder Zeit noch Kenntnis genug, alle herauskommenden Schriften und Journale selbst zu lesen und zu beurtheilen«, und wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er in einem sehr scharfen Zirkular vom 26. April 1794 die Verantwortung für die Zensur der eingeführten Bücher den Buchhändlern selbst aufhalste. Diese aber erklärten gleichfalls, zur Prüfung aller eingeführten Bücher hätten sie weder[77] Zeit noch Kenntnis; wie könnten sie sich ein Urteil über Dinge anmaßen, über die sich oft die »gelehrten Censoren und ganze Kollegia« nicht einig seien! Wie könnten sie den Gelehrten vorschreiben wollen, was sie zu lesen hätten! Das müsse zu einem »gründlichen Umsturz des Buchhandels« und zum Ruin ihrer Familien führen.

Das Generaldirektorium, dem Carmer auch einen Teil der Verantwortung zuschieben wollte, bedankte sich ebenfalls energisch dafür und erklärte obendrein, weder mit dem Zensuredikt noch mit dem seit dem 5. Februar d. J. eingeführten Allgemeinen Preußischen Landrecht lasse sich vereinbaren, »daß es künftig lediglich von dem Gutbefinden der angeordneten theologischen Examinations-Kommission abhangen soll, welche Bücher im Lande zu verbieten und ohne weitere Umstände zu konfisciren« seien. Es wollte also von einem preußischen Index durchaus nichts wissen.

Dem Gesamtministerium wurde infolgedessen die Entscheidung schwer, und die Sache schleppte sich bis in den Winter hinein. Am 16. Dezember mahnte die Examinationskommission. Das Generaldirektorium war aber noch immer von der »äußersten Schädlichkeit und Zwecklosigkeit der beabsichtigten strengen Maßregeln« überzeugt, und ein ausführliches Gutachten der Kurmärkischen Kammer hatte es darin nur noch bestärkt.

Gleichwohl beschloß der Staatsrat am 23. März 1795 »auf Vortrag des H. Geh. Oberjustizraths Suarez«, dem Antrag der Examinationskommission zuzustimmen. Den Herren Hillmer und Hermes wurde aber zugleich bedeutet, die Buchhandlungen »nicht ohne Noth und allzuhäufig« mit Anforderungen verdächtig erscheinender Bücher zu »belästigen« und für die »prompte und unbeschädigte Zurückgabe« zu sorgen.

Und der geplante Index? Von ihm berichten die Akten weiter nichts! Indem der Staatsrat trotz seines Widerstrebens auf den Antrag der Examinationskommission einging, stopfte er ihr vorerst den Mund. Durch wohlüberlegtes Nachgeben in der weniger wichtigen Sache, wenn diese auch für den Buchhandel sehr lästig war, wußte er, ebenso wie zwei Jahre vorher, das Hauptübel, die Zensur des gesamten Buchwesens durch die Examinationskommission, stillschweigend zu beseitigen; von dem Index, den sie herstellen sollte, verlautete kein Wort mehr!

[78]

Ein Jahr später raffte sich die Kommission nochmals zu einem Vorstoß auf; sie verlangte abermalige Verschärfung der Zensur und Erhöhung der Strafen; Wöllner unterstützte ihr Gesuch nachdrücklich. Aber seine Uhr begann schon abzulaufen, und das Ministerium hüllte sich auch diesem neuen Attentat gegenüber in beredtes Schweigen.

Das Verbot der »Allgemeinen deutschen Bibliothek« in Preußen 1794.

Gleichzeitig mit der versuchten Einführung eines Index spielte sich noch ein anderes Ereignis ab, das viel Staub aufwirbelte und Hunderte von Aktenseiten mit Gutachten füllte.

Im Jahre 1794 vergriff sich die Examinationskommission an der »Neuen Allgemeinen deutschen Bibliothek«, die seit zwei Jahren in Kiel verlegt wurde. Dieselbe Kabinettsorder, die die Aufstellung eines Index befahl, verbot auch jene in Berlin noch immer am meisten gelesene Zeitschrift »als ein gefährliches Buch gegen die christliche Religion«, und zwar, da keinerlei Einschränkung ausgesprochen wurde, nach österreichischem Muster für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft! Eine Stelle im 8. Band (I. Stück, S. 88) soll der Anlaß des Verbots gewesen sein. Hier wurde die Auferstehung verstorbener Menschen beim Tode Jesus' als eine von Matthäus leichtgläubig untergeschobene Anekdote erklärt.

Das Verbot der »Allgemeinen deutschen Bibliothek« verursachte aber einen Sturmlauf von Protesten, wie ihn aus gleichem Anlaß das Ministerium wohl noch nicht erlebt hatte. Zunächst erklärte der Buchhändler Joh. Friedr. Hartknoch in Riga seinem Berliner Kommissionär Friedr. Vieweg d. Ä., wenn dies Verbot nicht zurückgezogen werde, breche er alle Beziehungen über Preußen ab; er werde sich dann seinen ganzen Bücherbedarf über Braunschweig und Lübeck verschreiben, wo ihn keine Zensur behellige, und außerdem in Berlin nie wieder etwas drucken lassen. Er und seine Kunden, die zum »aufgeklärtesten« Publikum gehörten, ließen sich so etwas nicht gefallen, und andere würden wohl seinem Beispiel folgen.

Vieweg wandte sich nun mit einer ausführlichen Beschwerde an das Ministerium, wies nach, daß die preußische Post von[79] seinem Geschäft allein 3000 Taler jährlich einnehme und durch Verschärfung der Zensurgesetze der ganze preußische Buchhandel zugrunde gehen müsse. Nicolai belegte diese Prophezeiung mit wirksamem Zahlenmaterial und sang ein bewegliches Klagelied: Was solle er jetzt mit seinen Vorräten der von ihm verlegten alten Jahrgänge anfangen, die er gerade im Preise herabgesetzt habe? Der neue Verleger schulde ihm noch 5000 Taler der Kaufsumme, die er unter diesen Umständen verlieren müsse.

Die Halleschen Buchhändler versicherten ebenfalls, das Verbot »eines der besten und gangbarsten Bücher« sei der Ruin ihres Gewerbes, und die Kurmärkische Kammer, die das Generaldirektorium mit einem Gutachten beauftragt hatte, machte sich alle diese Beweisgründe zu eigen. Am wenigsten sei das Verbot der früher mit preußischer Zensur erschienenen Bände zu rechtfertigen, an denen übrigens Wöllner selbst mitgearbeitet hatte. Die von Wöllner gereizte Hallesche Universität sprach sich durch ihren Direktor Klein gleichfalls gegen das Verbot aus.

Am 27. Februar schloß sich das Generaldirektorium dem Gutachten der Kurmärkischen Kammer vollständig an, und am 31. März beantragte der gesamte Staatsrat die Aufhebung des Verbots. Der jetzige Verleger Bohn habe sich erboten, »künftighin bei der theologischen Recension alle den hiesigen Landesgesetzen angemessene Vorsicht und Behutsamkeit gebrauchen zu wollen«.

Abermals triumphierte das Ministerium. Am 1. April 1795 hob der König das Verbot auf, unter der Bedingung, daß »künftig in keiner einzigen Abhandlung das Mindeste gegen die christliche Religion oder den Staat oder die guten Sitten« enthalten sein dürfe. Nicolai trage dafür die Verantwortung.

Nicolai lehnte natürlich schleunigst die ihm aufgeladene Verantwortung für eine Zeitschrift, auf die er keinen Einfluß mehr hatte, ab. Das Ministerium begnügte sich aber, die Eingabe beim Staatsrat zirkulieren zu lassen und ohne weitere Verfügung zu den Akten zu geben.

Nicolais Vorsicht war begründet: Schon ein Jahr später gab die »Allgemeine deutsche Bibliothek« abermals zu theologischen Klagen Anlaß. Sogleich erhielt er ein von Hillmer entworfenes königliches Reskript, das ihn an seine »angelobte Pflicht« erinnerte und ein neues Verbot in Aussicht stellte.

[80]

Die Sache verlief aber im Sande, denn die Tage der Examinationskommission waren bereits gezählt.

Eine Fabel.

Vor etwa achtzig, neunzig Jahren,
Vielleicht sind's hundert oder mehr,
Als alle Thiere hin und her
Noch hochgelahrt und aufgekläret waren,
Wie jetzt die Menschen ohngefähr;
– Sie schrieben und lectür-ten sehr,
Die Widder waren die Scribenten,
Die andern: Leser und Studenten,
Und Censor war: der Brummelbär –
Da kam man supplicando ein:
»Es sei unschicklich und sei klein,
Um seine Worte und Gedanken
Erst mit dem Brummelbär zu zanken,
Gedanken müßten zollfrei sein!«
Der Löwe sperrt den Bären ein,
Und that den Spruch: »Die edle Schreiberei
Sei künftig völlig frank und frei!«
Der schöne Spruch war kaum gesprochen,
So war auch Deich und Damm gebrochen.
Die klügern Widder schwiegen still,
Laut aber wurden Frosch und Crocodil,
Seekälber, Scorpionen, Füchse,
Kreuzspinnen, Paviane, Lüchse,
Kauz, Natter, Fledermaus und Staar,
Und Esel mit dem langen Ohr etc. etc.
Die schrieben alle nun und lieferten Tractate;
Vom Zipperlein und von dem Staate,
Vom Luftballon und vom Altar,
Und wußten's alles auf ein Haar,
Bewiesen's alles sonnenklar,
Und rührten durcheinander gar,
Daß es ein Brei und Gräuel war.
Der Löwe gieng mit sich zu Rathe
Und schüttelte den Kopf und sprach:
»Die besseren Gedanken kommen nach:
Ich rechnete, aus angestammtem Triebe,
Auf Edelsinn und Wahrheitliebe –
Sie waren es nicht werth, die Sudler, klein und groß,
Macht doch den Bären wieder los

Matthias Claudius.

[81]

Der König und der Adler. Keine Fabel.

Das obige reaktionäre Gedicht von Matthias Claudius, dem biedern Wandsbecker Boten, erschien am 3. Oktober 1795 in der »Hamburger neuen Zeitung«. Prompt gab darauf im selben Blatt am 28. Oktober der freisinnige und streitbare Homerübersetzer Johann Heinrich Voß, der erbitterte Feind aller Dunkelmänner, seine Antwort: »Der König und der Adler. Keine Fabel.« Der Uhu läßt durch ein Käuzlein den Hahn beim Könige der Vogelwelt, dem Adler, verklagen:

Wann noch dein wohlbeherrschter Staat,
Nach sanftem Thun gewohnter That,
Sanft schläft und träumet und verdauet,
Und unser Nachtlied früh und spat …
Den Frommen, welcher wacht, erbauet;
Schnell kräht uns der Illuminat
Die Sonn' empor, um aufzuklären,
Und Ruh und Andacht uns zu stören:
Fink, Lerche, Schwalb' und Meis' empören
Gefild' und Wald in freien Chören;
Man kann sein eigen Wort nicht hören!
Die tolle Rotte spricht gar Hohn
Der mystischen Religion …
Ja, König, strafst du nicht, so drohn …
So drohn dem Münster und dem Staat
Aufruhr, Empörung, Hochverrath …
Die Nachtigall singt ohne Scheu
Am hellen Tag' Aufklärungslieder;
Daß ohne Scheu das Waldgefieder
Aufklärung nachsingt hin und wieder.
Aufklärung? nein Aufklärerei! …
Herr König, laß dir doch gefallen:
(Wir Kauz' und Eulen flehn gesamt!)
Dem Hahn und seinen Schreiern allen,
Die immerfort Aufklärung hallen,
Zum Bändiger, im Censoramt
Den frommen Uhu zu bestallen!
Der Adler that, als hört' er nicht,
Und sah ins junge Morgenlicht.

In Vossens »Lyrischen Gedichten« (1802) hat sich diese Fabel zu einem Epos von fünf Fabeln ausgewachsen, das dem Oberkonsistorialrat Spalding gewidmet ist. Der Uhu und sein Nachtgevögel lassen sich durch die vornehme Verachtung des[82] Adlers nicht von ihrer finstern Wühlarbeit abschrecken; mit allen Mitteln suchen sie die lichtfrohen Anhänger des Königs zu sich herüberzuziehen, und es gelingt ihnen schließlich sogar, den kecken Hahn zu ihrer »nachtfrohen Münsterklerisei« zu bekehren. Nun glauben sie gewonnen Spiel zu haben, bis sie schließlich sehen müssen, daß sich der Sonnenaufgang darum nicht um einen Augenblick verspätet:

Die hehre Himmelssonne gehet
Unwandelbar die große Bahn,
Sorglos ob krächzet oder krähet
Auf seinem Mist ein Hühnerhahn …
Nicht lehrt der Hahn die Sonn' aufgehn;
Nein, Sonnenaufgang lehrt ihn krähn.

Licht und Sonnenschein.

Ein marokkanischer Kaiser verbannte einmal alle Lichtzieher, Lampen- und Ölverkäufer aus seinem Lande.

»Wozu brauchen meine Sklaven zu sehen? Dies verdirbt ihnen nur die Augen« – sagte er.

»Aber was wird es dir helfen?« erwiderte sein Wesir; »kannst du die Sonne auslöschen und den Mond verdunkeln? Scheinen sie nicht von selbst?«

Christian August Fischer, »Politische Fabeln«. 1796.

Götzendämmerung.

Es liegt eine poetische Gerechtigkeit darin, daß der Minister Wöllner über eben das stürzte, was so vielen aufrechten Männern das Rückgrat hatte brechen sollen.

Als er sich nach dem Tode Friedrich Wilhelms II. (16. Nov. 1797) herausnahm, das verhängnisvolle Religionsedikt nochmals einzuschärfen, kam er bei dem Thronfolger übel an. Eine scharfe, vom Geheimrat Mencken, dem Großvater des Fürsten Bismarck, entworfene Kabinettsorder vom 11. Januar 1798 bedeutete ihn, daß die Religion »Sache des Herzens, des Gefühls und der eigenen Überzeugung sein und bleiben« müsse und nicht »durch methodischen Zwang zu einem gedankenlosen Plapperwerk herabgewürdigt« werden dürfe. »Vernunft und Philosophie«, so lauteten die wahrhaft königlichen Worte,[83] »müssen ihre unzertrennlichen Gefährten sein, dann wird sie durch sich selbst feststehen, ohne die Autorität derer zu bedürfen, die es sich anmaßen wollen, ihre Lehrsätze künftigen Jahrhunderten aufzudringen, und den Nachkommen vorzuschreiben, wie sie zu jederzeit denken sollen.«

Schon im Dezember 1797 war die Examinationskommission nebst allen ihren jüngeren Schwestern in den Provinzen aufgehoben und das Oberkonsistorium wieder in seine alten Rechte eingesetzt worden, und am 11. März 1798 erhielt auch Wöllner seine Entlassung. Hermes und Hillmer wurden mit 500 Taler Pension (statt 2000 Taler Gehalt) abgefunden, und Minister von der Schulenburg gab ihnen das Abgangszeugnis, daß sie »in ihren bisherigen Verhältnissen nichts geleistet hätten und auch fernerhin keinen Nutzen bringen würden«.

Kants Schlußwort.

Durch den Tod des Königs fühlte sich Kant von seinem Schweigegelöbnis befreit; in diesem Sinne waren seine Worte »als Ew. Maj. getreuester Unterthan« ein wohlüberlegter Vorbehalt gewesen. Mit dem ganzen Aufgebot seines Scharfsinns untersuchte er nun in einem neuen Buche »Der Streit der Facultäten« (Königsberg 1798) das Verhältnis der Theologie zur Philosophie, der Kirche zur modernen Wissenschaft, und als Beispiel einer falschen Bekämpfung der Philosophie erzählte er in der Vorrede seinen Zusammenstoß mit der preußischen Zensur im Jahre 1792 und seine Maßregelung zwei Jahre später. Die Kabinettsorder des Königs und seine Antwort druckte er wörtlich ab und errichtete so der Regierung Friedrich Wilhelms II. und seines Günstlings Wöllner den verdienten Pranger. »In seinem systematischen Denken«, sagt Wilhelm Dilthey und nach ihm E. Fromm, »gelangte erst mit dieser Arbeit der im Jahre 1792 begonnene Streit zum Abschluß. Preßfreiheit hat Kant – trotz Fichtes Vorgang – nicht verlangt. Die Censur solle bestehen bleiben, aber sie sollte zu einer Funktion des Universitäts-Organismus als der obersten wissenschaftlichen Körperschaft erhoben und so zum Nutzen der Wissenschaft und des Kulturfortschrittes der Willkür der Verwaltung und den theologischen Vorurtheilen entzogen werden.«


[84]

4. An der Wiege des Theaterzensors.

Der Schrei nach der Theaterzensur.

Es ist nützlich, daran zu erinnern, daß nicht zuerst die Behörden die Zensurpolizei ins Theater riefen, sondern – die deutschen Schriftsteller. Der erste bedeutende Literarhistoriker, Daniel Morhof (1639–1691), hat das zweifelhafte Verdienst, die Einsetzung von Personen gefordert zu haben, »ohne deren Bewilligung kein Stück aufgeführt werden sollte«. Allerdings war die deutsche Bühne damals durch die Zügellosigkeit der Stegreifkomödie so verwildert, daß alle Tugendwächter sich davor bekreuzigen durften. Die deutsche Sprache und Literatur drückte sich noch als Aschenbrödel zaghaft im Lande herum; kein Wunder, daß sie verwahrlost war. Fürsten und Adel würdigten in der Regel nur die italienische und französische Komödie ihres Besuches; das 1742 als Theater eingerichtete Hofballhaus in Wien, das spätere Burgtheater, war bis 1776 fast nur ausländischen Schauspielergesellschaften vorbehalten.

Für das Volk der deutschen Kaiserstadt waren die »ordinari Comödie« am Kärntner Tor, dem eigentlichen Stadttheater, und die übrigen Harlekinaden der Vorstadtbühnen gut genug. Die kaiserliche Regierung schenkte dieser niedern Art Volksbelustigung noch keine Aufmerksamkeit, während sich die berüchtigten Tierhetzen des kaiserlichen Schutzes rühmen durften; wenn sie die Abgaben der Theaterunternehmer pünktlich hereinbekam, überließ sie der Stadtbehörde die Sorge dafür, daß es nicht allzu wild dort zuging. Von einer vorhergehenden Prüfung der dort gespielten burlesken Komödien konnte schon deshalb keine Rede sein, weil diese Stücke zum größten Teil extemporiert und nicht, wie die »regelmäßigen« Schauspiele der fremden Komödianten, niedergeschrieben oder gar gedruckt wurden. Das galt besonders von den Reden der lustigen Person, des ursprünglich italienischen Arlecchino, den der Schauspieler Stranitzky (seit 1708 in Wien) in Charakter und Tracht eines dummdreisten salzburger Bauern namens Hanswurst neu zu gestalten wußte. Seine[85] unkontrollierbaren, der zufälligen Situation entspringenden Späße und schlagfertigen Einfälle pflegten auf die Theaterbesucher der Wiener Vorstädte die größte Anziehungskraft auszuüben.

Nun begab es sich im Oktober 1737 zu Leipzig an der Pleiße, daß der biedere Magister Gottsched durch die Schauspielerin Caroline Neuberin dem gottlosen Hanswurst, der stets die Lacher auf seiner Seite hatte und keine regelmäßige Komödie nach dem Vorbild der Alten und der Franzosen aufkommen ließ, coram publico den Prozeß machen und ihn auf der Neuberschen Bühne wie einen Mörder und Strauchdieb in effigie verbrennen ließ. Die Gottschedianer, die Mehrzahl der damaligen Intelligenz, zogen nun allesamt wacker gegen Hanswursten zu Felde, und es war Wasser auf ihre Mühle, als Maria Theresia 1752 gebot, keine andern Komödien zu spielen, »als die aus dem frantzösisch oder wällisch, oder spanisch theatri herkommen«, und alle »hiesigen compositionen« zu unterdrücken; »wann aber einige gute doch wären von weiskern [einem Wiener Komiker], sollten sie ehender genau durchlesen werden und keine equivoques noch schmutzige Worte darinnen gestattet werden«.

Damit wurde das gesamte Bühnenrepertoire Wiens der schon bestehenden Bücherzensur unterstellt, denn die »regelmäßigen« Stücke wurden vorher gedruckt; die Erlaubnis zum Druck war zugleich auch die zur Aufführung.

Verbot der extemporierten Komödie.

Geholfen war aber mit dieser gewaltsamen Einführung der regelmäßigen Komödie noch nicht viel; die Possenreißer, die zeitlebens durch ihre Improvisationen geglänzt hatten, ließen sich so leicht nicht ihr Spiel verderben, in dieser oder jener Gestalt kam der alte Hanswurst immer wieder zum Vorschein, und gegen seine Extempores gab es keine Präventivzensur, nur Repressivmaßregeln: der mit der Theaterinspektion beauftragte Beamte konnte allzu »verdächtige und grobe Redensarten« zur Anzeige bringen, die Schauspieler bestrafen und ungeziemende Vorstellungen nachträglich verbieten.

Die Gottschedianer aber ließen nicht locker. Einer von ihnen, Heinrich von Engelschall, forderte 1760, »daß kein Wort von einem Schauspieler auf der Bühne gesprochen werde,[86] das nicht in dem vorher gänzlich schriftlich abgefaßten und zur Censur eingereichten Stücke befindlich sei«. Nicht nur, was Religion, Staat und gute Sitte beleidige, müsse verboten werden, sondern das Schlechte an und für sich, um den guten Geschmack zu bilden. Also moralische und ästhetische Zensur zugleich.

Diese Bestrebungen führte Joseph von Sonnenfels zum Siege. Mit ehrlicher Leidenschaft zog er in seiner Zeitschrift »Der Mann ohne Vorurteil« (1765 f.) und in seinen »Briefen über die wienerische Schaubühne« (1768) gegen die »Sittenlosigkeit und Unanständigkeit, diese Schandflecken der Schaubühne und Nationalsitten« zu Felde; er beschwor den Kaiser, das deutsche Theater als das eigentliche Nationaltheater »der Gegenwart des Hofes und des gesitteten Theiles der Nation würdig zu machen«, und erreichte durch hartnäckigen Eifer und Freimut sein Ziel: 1769 wurde von Kaiser Joseph, dem Mitregenten seiner Mutter Maria Theresia, die extemporierte Komödie endgültig verboten; alle früher erlaubten Stücke wurden einer nochmaligen Prüfung unterzogen, und neue Stücke mußten vor der Aufführung in zwei Abschriften eingereicht werden. Damit verschwand der alte Hanswurst von der Bildfläche.

Der erste Theaterzensor.

Der war Sonnenfels selbst. Am 15. März 1770 wurde er zum Theaterzensor ernannt, erhielt eine Instruktion und sollte nun alles streichen, »was die Religion, den Staat im mindesten beleidiget oder auch offenbarer Unsinn und Grobheit, folglich des Theaters einer Haupt- und Residenzstadt unwürdig ist«.

Er sollte aber an seinem neuen, von ihm selbst erfundenen Amt wenig Freude erleben. Sein Fall ist schon typisch. Lessing, der über Gottscheds moralische Entrüstung gelacht und in seiner »Hamburgischen Dramaturgie« den Harlekin zu retten versucht hatte, schüttelte den Kopf auch zu des Österreichers »allzu strengem Eifer gegen das Burleske«. Als er das am 25. Oktober 1770 an seine Braut Eva König schrieb, ahnte er noch nicht, daß der erste Theaterzensor bereits ausgelitten hatte. Der Unglückswurm hatte ein Stück erlaubt, worin ein Sultan seiner Schönen sein Schnupftuch reicht. Erst mußte das bedenkliche Tuch durch einen Spiegel ersetzt werden; nach der dritten Aufführung[87] aber wurde die ganze Komödie verboten, und Sonnenfels erhielt am 13. Oktober seinen Abschied. Obendrein hatte er sich in den sieben Monaten seiner Regierung zu einem kleinen Tyrannen ausgewachsen, der »gar niemanden neben sich leiden« mochte.

Sonnenfels ist der vorwitzige Zauberlehrling, und das Theater wurde die Geister nicht mehr los, die er gerufen hatte.

Die notwendigen Eigenschaften eines Zensors.

Sonnenfels' Nachfolger war der um die Hebung des österreichischen Schulwesens hochverdiente Regierungsrat Franz Karl Hägelin. Wen muß nicht ein Schauer heiliger Ehrfurcht überlaufen, wenn er hört: dieser Mann war Rat der niederösterreichischen Regierung, im Nebenamte vierzig Jahre lang Bücherzensor hauptsächlich für schöne Literatur, und außerdem von 1770 bis Ende 1804, also fünfunddreißig Jahre lang Theaterzensor, ohne daß ihm für diese Tätigkeit je ein Pfennig Gehalt gezahlt wurde! Ihm unterstand das Repertoire aller Bühnen Wiens, obendrein hatte er die Anschlagzettel der Tierhetzen und Feuerwerke zu überwachen, und zeitweilig mußten ihm alle Theater Österreichs ihre Manuskripte einreichen! Was ist mehr zu bewundern: die märchenhafte Selbstlosigkeit dieses Mannes oder die Dauerhaftigkeit seiner geistigen Konstitution, die länger als ein Menschenalter den Kelch der Literatur bis zur untersten Hefe auskostete?!

Dabei nahm Hägelin sein Amt keineswegs leicht. Über alle von ihm gelesenen Stücke verfaßte er ausführliche Gutachten, die den Majestäten selbst vor Augen kamen. Er war zwar ein eifernder Katholik, aber doch nicht ohne eine gewisse Unbefangenheit, hatte er doch Wielands »Deutschem Merkur«, dem »Deutschen Museum« und den Schriften des Barons von Archenholz, des Geschichtschreibers des Siebenjährigen Krieges, den Weg nach Österreich geebnet. Er war jeder Willkür abhold, besaß wenigstens den Willen zum Verständnis, sogar einen grimmigen Humor, wenn »ein geübter Verhunzer aller beinschrötigen Theatralprodukte« als »Bearbeiter« eines klassischen Stückes es gar zu toll getrieben hatte, und stellte an die Persönlichkeit eines Zensors die höchsten Anforderungen, die er einmal in die Formeln zusammenfaßte:

[88]

»Ein Censor muß viele Belesenheit, eine bescheidene Urtheilskraft, historische Kenntnisse alter und neuer Gelehrsamkeit, eine gute philosophische Kritik, Geschmack um den Ton eines Authors zu bestimmen und hauptsächlich keine insulirte Wissenschaft seines sonstigen Amtes, sondern eine hinlängliche Kenntnis von der Verwandtschaft zwischen den Wissenschaften besitzen, um zu wissen, was ein Satz für einen Einfluß auf die Wahrheiten einer andern Disciplin haben kann. Der Author erscheint vor seinem Richterstuhl ohne Vertreter, der Censor muß also seine vorgefaßten eigenen Systeme einen Augenblick auf die Seite legen können und den Author mit Billigkeit behandeln und wohl unterscheiden können, ob seine Sätze bloß irrig oder auch zugleich schädlich sein können.«

Man kann nicht gerade sagen, daß diese kluge Erkenntnis Hägelins von der Schwierigkeit seiner Aufgabe später der Leitsatz bei Handhabung der Zensur, im besonderen der österreichischen, geworden wäre. Im Gegenteil!

Die Schaubühne als moralische Anstalt.

Zu seinem fünfundzwanzigjährigen Jubiläum als Theaterzensor verfaßte Hägelin eine ausführliche Denkschrift über dies Metier, eine Art Katechismus für alle Zensoren der Gegenwart und Zukunft, worin er mit Scharfsinn die tausend Rücksichten, Vorsichten und Nachsichten darlegt, von denen ein Zensor nach dem Herzen Gottes auszugehen hat, um den oft so versteckten Fußangeln der Frivolität, des politischen und religiösen Nihilismus eines Dichters zu entgehen. Manche seiner Gesichtspunkte haben sich zu den weiter unten folgenden Anekdoten verdichtet. Hier seien nur einige Leitsätze jener Denkschrift, des Ergebnisses einer fünfundzwanzigjährigen Erfahrung, skizziert:

Die Zensur darf keineswegs in steinernen Gesetzestafeln erstarren, vielmehr sind zeitliche und örtliche Umstände für ihr Urteil entscheidend. Dieser an sich ganz einleuchtende Grundsatz diente nur meist zur Ausdehnung der Verbote, statt zu ihrer Aufhebung. Geschmack ist Sache der Kritik [Bravo!], aber doch auch des Zensors »insoweit, als er das Schickliche, das Anständige und Vernunftmäßige in Absicht auf die Sitten selbst und das Konventionelle oder auch das natürliche und politische[89] Decorum, welches widersinnige, den Wohlstand [soll heißen: Anstand] verlezende Ungereimtheiten verabscheuet, angehet«. Auch das ästhetisch Schöne kann unmoralisch sein. Das Theater ist eine Schule des guten Geschmacks, aber ebenso der guten Sitten. Das Trauer- oder Lustspiel bezweckt »die Beförderung der Tugenden des Willens oder des Verstandes«. Jede Fabel, d. i. Handlung, eines Dramas hat ihre Moral so gut wie eine äsopische Fabel, und da der Eindruck von der Bühne her viel stärker ist als aus der Lektüre, muß diese Moral, wenn sie nicht verderblich wirken soll, stets so sein, daß die Tugend liebenswürdig, das Laster verabscheuenswert erscheint. Erstere darf nie scheitern, letzteres nie triumphieren. Ein »ungeahndetes Laster« widerspricht der »moralischen und poetischen Gerechtigkeit« und ist nur der »Modephilosophie« eigen. Wenn also Stoff oder Moral eines Stückes gegen Religion, Staatsverfassung oder Sitte verstößt, »mithin im Grunde fehlerhaft ist«, kann es nicht aufgeführt werden.

Der Dialog mußte sich daher durchaus auf das beschränken, was in einer »gesitteten, wohlerzogenen Gesellschaft« ohne Anstoß gesagt werden konnte. Alles, was irgendwie zweideutig klang, wurde beseitigt, und der Zensor hatte auch bei der Vorstellung darauf zu achten, daß nicht etwa der Schauspieler durch Pausen, Pantomimen oder Extempores in harmlose Worte Zweideutigkeiten hineinbrachte. Schon damals also herrschte in Wien die vollendete »Komtessenästhetik«, über die Heinrich Laube, der erfolgreiche Burgtheaterdirektor, sich so oft ärgern mußte.

Hägelin hatte Schillers Abhandlung von 1784, »Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet«, nicht ohne Nutzanwendung gelesen; aber über die Kluft zwischen dem moralisch und ästhetisch Schönen kam er ebensowenig wie Sonnenfels hinweg, und der von ihm ausgearbeitete, in seiner Wirkung noch heute nicht erschöpfte Zensorenkatechismus lief auf die gleiche Losung hinaus, die hundert Jahre vorher der Wiener Barfüßermönch und berühmte Kanzelredner Abraham a Santa Clara ausgegeben hatte: »Die Komödien und Schauspiel hat man aufbracht, damit die Tugenden erlernt und die Laster sollen gemeidet werden.« Punktum!

[90]

Keine Religion auf der Bühne!

Ebenso engherzig wie in moralischer Beziehung war man im Punkte der Religion, besonders der katholischen. Religiöse Gegenstände, erklärte Hägelin, sind überhaupt kein Stoff theatralischer Vorstellungen; die Religion ist zu erhaben und kann durch das profane Theater nur herabgewürdigt werden. Keine Priestergestalt vom Papst herunter bis zum geringsten Klosterangehörigen durfte auf der Wiener Bühne erscheinen; ein Pastor wurde in einen Küster, Magister oder Rektor verwandelt. Selbst Eremiten und Klausner waren nur erlaubt, wenn »ihre Handlung ernsthaft« war, ohne jedoch religiös zu sein, und ihre Kleidung nichts Kirchliches an sich hatte. Gegen »Vertreter der türkischen und heidnischen Religion« hatte man nichts einzuwenden, nur durften sie natürlich nicht wie Satiren auf die christliche Geistlichkeit wirken. Die Geschichte der Juden durfte nach den Daten des Alten Testaments dramatisiert werden, soweit »ihre Handlungen aus natürlichen Triebfedern entsprungen sind«.

Im Dialog waren alle Ausdrücke biblischer, katechetischer oder hierarchischer Herkunft verboten. Man durfte nicht sagen »alt wie Methusalem«, sondern nur »alt wie Nestor«, nicht »weise wie Salomo«, sondern »weise wie Solon«, nicht »stumm wie Loths Salzsäule«, sondern »stumm wie ein Fisch«, nicht »fett wie ein Dompropst«, sondern »fett wie ein reicher Pächter«. (Die Rücksicht auf die Agrarier kannte man damals offenbar noch nicht!) Selbst »Bileams Esel« war vom Theater verbannt! Das Wort fromm sollte möglichst vermieden werden; Heilige durfte es auf der Bühne gar nicht geben, nur Verklärte, und statt in den Himmel kam man nur in das Paradies. Man durfte nicht beichten, sondern nur bekennen, kein »Te Deum«, sondern nur »Loblieder« singen, nicht in der Bibel lesen, nur in einem Buch. Für Aberglauben mußte man Irrwahn sagen, und an Dinge wie Aufklärung durfte man nicht erinnern. Selbst das Wort Sünde mußte durch andere Wendungen ersetzt werden. Für Todsünde sagte man »schweres Verbrechen«. Anrufe Christi und der Heiligen waren streng verboten, und fromme Seufzer wie »allmächtiger ewiger Gott!« deshalb verpönt, weil dem Zuhörer »gleich auch die Fortsetzung des Kirchengebetes ›Himmlischer Vater‹ etc. dabei einfallen« könne!

[91]

Joseph II. und die Theaterzensur.

Kaiser Joseph übertrug seine liberalen Grundsätze über Bücherzensur keineswegs auf das Theater. Auch er behandelte es als eine Anstalt für sich, der andere Grundsätze frommten. Wenn er auch die polemische Literatur über religiöse Fragen freigab – auf der Bühne wollte er nichts davon hören; aber er war konsequent und verbot ebenso die geistlichen Spiele, mit denen der Klerus an kirchlichen Festtagen das Volk zu erbauen pflegte.

In moralischer Beziehung stand er gleichfalls noch ganz unter dem Einfluß seiner sittenstrengen Mutter Maria Theresia. Kaiser Joseph hat das große Verdienst, das bisher an Unternehmer und ausländische Schauspielertruppen verpachtete Burgtheater 1776 in ein deutsches Hof- und Nationaltheater umgewandelt zu haben, aber er befreite das deutsche Schauspiel doch nicht aus den Ketten, die ihm der Theaterzensor umgelegt hatte. Seine Zensurreformen setzten ja überhaupt erst nach dem Tode seiner Mutter ein. Die Übernahme des Theaters »in Regie des Hofes« gab dem Wiener Bühnenwesen in sozialer und künstlerischer Hinsicht einen gewaltigen Aufschwung, und die endliche Alleinherrschaft des deutschen Schauspiels auf dem Hoftheater sicherte den Siegeszug der hochdeutschen Sprache, die bis dahin in Wien als »lutherisch Deutsch« verachtet war. Aber die ästhetisch-moralische Neuorientierung, die gerade jetzt, bei der Morgenröte unseres klassischen Zeitalters, notwendig wurde, unternahm Joseph II. nicht. Wenn, wie Heinrich Laube erzählt, das neubegründete Hof- und Nationaltheater 1776 keine Bibliothek anlegen konnte, weil die noch in aller Schärfe bestehende Bücherzensur nicht einmal das Lesen zahlreicher Stücke erlaubte, so machte Josephs neues Preßgesetz von 1780 diesem unwürdigen Zustand zwar ein Ende. Die Theaterzensur wurde von jetzt ab ausschließlich von der Wiener Zensurhofkommission ausgeübt, und die Revision des Katalogs der früher verbotenen Bücher gab auch eine Masse älterer Stücke frei. Die Tortur im Gerichtsverfahren schaffte der Kaiser ab, und die Todesstrafe schränkte er ein; vor dem Richterstuhle des Theaterzensors dagegen wurde die Anwendung beider Mittel von Jahr zu Jahr beliebter. So kam es, daß schon unter Josephs Regierung die Werke unserer großen Klassiker, wenn man sie nicht kurzweg mit dem Zensurschwert[92] vom Leben zum Tode brachte, mit all den Daumschrauben und spanischen Stiefeln gefoltert wurden, die gerade die Wiener Theaterzensur zum Gespött der Welt machen sollten, leider aber auch in Deutschland, besonders auf den Hoftheatern, als nachahmenswertes Beispiel Geltung gewannen.

Das vierte Gebot.

Klingers »Zwillinge«, die 1776 in einem Hamburger Preisausschreiben gekrönt wurden, kamen am 11. Januar 1777 auf dem Burgtheater zur Aufführung, wurden aber am nächsten Tage durch Allerhöchsten Befehl verboten, »für jetzt und für alle Zukunft«! Den Schauspieler Lange beschenkte zwar Kaiser Joseph für sein treffliches Spiel mit 100 Dukaten, erklärte ihm aber zugleich, dies Stück enthalte gar zu viel gegen das vierte Gebot, das er in Ehren halten müsse. Am 2. Juli schrieb Regierungsrat Gebler an Friedrich Nicolai, der Kaiser selbst habe nicht nur dieses Drama Klingers, sondern überhaupt »alle dergleichen gräßliche, unsinnvolle Shäkespearischen Nachäffungen künftig« auf dem Theater verboten.

Das Konkurrenzstück zu den »Zwillingen«, »Julius von Tarent« von Leisewitz, das ebenso wie Klingers Werk einen Brudermord behandelt, durfte erst am 15. November 1785 gegeben werden; es stand bis 1780 im Katalog der verbotenen Bücher.

Schauspielerzensur.

Kaiser Joseph hatte dem neuen Burgtheater von 1776 eine Art republikanischer Verfassung gegeben: ein Ausschuß von Theatermitgliedern selbst, Männern und Frauen, sollte über Auswahl der Stücke, Besetzung der Rollen usw. beraten und seine Beschlüsse der obersten Direktion vorlegen. Die Protokollführung und die damit verbundenen Geschäfte besorgten die sogenannten »Wöchner«, die von der Versammlung der Kollegen gewählten Regisseure, die wöchentlich abwechselten.

Diese Einrichtung hatte aber nur dreizehn Jahre Bestand; die Kabalen der Herren und Damen untereinander führten zu endlosen Streitigkeiten, und der Ausschuß wurde 1789 noch vom Kaiser selbst beseitigt.

[93]

Auch die Literatur hat dieser Schauspielerrepublik nichts zu verdanken, denn der literarische Ehrgeiz dieser k. k. Hofschauspieler ging nur darauf aus, dem Zensor vorzuarbeiten und nichts in Vorschlag zu bringen, was ihnen höheren Orts Vorwürfe hätte eintragen können. Statt mit allem, sonst so verschwenderisch vorhandenen Pathos für jede neue literarische Regung einzutreten, waren es, noch bevor der Zensor seines Amtes waltete, die Schauspieler, die über die politische Harmlosigkeit der aufzuführenden Stücke wachten, menschliche Schwächen gekrönter Personen vom Dichter nicht behandelt sehen wollten, ja sogar Stoffe der deutschen Geschichte »für ein gutes deutsches Theater nicht passend« fanden und diese von Shakespeare beeinflußte Vorliebe der Dramatiker nicht als eine Bereicherung, sondern als eine Verarmung der Theaterliteratur bezeichneten! Auch sie fügten sich all den Gesetzen des damaligen Zensurkatechismus, und es ist kein Fall bekannt geworden, daß ihr künstlerisches Gewissen einmal gegen den Stachel geleckt hätte. Im Gegenteil! Ausgerechnet die damaligen Schauspieler gingen besonders scharf mit den moralischen Qualitäten eines von ihnen beurteilten Stückes ins Gericht. So lehnten sie einmal ein Schauspiel »Nanis« mit der Begründung ab, »die Zensur könne niemals ein Weib auf der Bühne leiden, die ohne Scheu bekennt, wie sehr sie ihren Mann haßt und ihren Liebhaber liebt«.

Entsprechend hieß es auch in dem von diesem Schauspielerausschuß 1778 bearbeiteten »Organisationsstatut«, daß der Geschmack nicht durch »Mißgeburten« schwankend gemacht werden dürfe und kein Stück anzunehmen sei, »so dem System widerspricht, wenn auch irgend ein Financier eine gute Einnahme davon prognosticirte«. Es gab also schon vor dem späteren Staatskanzler Fürsten Metternich ein »System«, und die »Mißgeburten« waren vorwiegend die Stücke, die sich als klassische Literaturwerke durch ein Jahrhundert durchgesetzt haben.

»Traurige Auftritte.«

Shakespeares »Romeo und Julia« wurde von den Schauspielern des Burgtheaters am 2. Juli 1777 vom Repertoire entfernt, mit der Begründung: die Kaiserin wolle keine Stücke, »worin Leichenbegängnisse, Kirchhöfe, Todtengruften und solche[94] traurige Auftritte vorkommen«. Die erste Aufführung in der Umgestaltung des Shakespeareschen Stoffes von C. F. Weiße hatte am 12. September 1772 stattgefunden.

Der Teufelsbanner.

Shakespeares »Zähmung der Widerspenstigen« wurde 1782 unter dem Titel »Die bezähmte Widerbellerin oder Gaßner der Zweite« von Schink frei bearbeitet und dem Hofburgtheater eingereicht. Gaßner hieß ein berüchtigter österreichischer Teufelsbanner, und die Handlung begab sich dementsprechend in Wien und dem benachbarten Nußdorf. Petrucchio hatte sich in einen Hauptmann von Gaßner verwandelt! Der Schauspieler Müller lobte als »Wöchner« die Bearbeitung; sie habe »die Hauptcharaktere beibehalten, das Langweilige glücklich herausgeworfen (!), die Handlung wahrscheinlicher gemacht, die Wortspiele weggelassen und weniger sentenzirt«. Aber er war doch gegen die Aufführung, da das Stück der Moralität nachteilig sei!

Shakespeares unsterbliches Lustspiel gelangte erst am 19. März 1838 unter dem Titel »Die Widerspenstige« aufs Burgtheater.

Der dumme Engel.

In seiner Zensurdenkschrift erklärte Hägelin den »Doktor Faust« von dem Wiener Dramatiker C. F. Weidmann für unzulässig, nicht nur weil überhaupt darin ein Engel auftrat, der eigentlich, wie alle himmlischen, »durch übernatürliche Gnadenmittel gestärkten« Personen, für das Burgtheater tabu war, sondern weil dieser Engel »viel weniger Verstand in seinen Reden wider den Verführer zeigte, als Mephistopheles, der viel mehr Witz in seinen Gegengründen für das Laster« entwickelte.

Die Mannheimer »Räuber«.

Bekannt ist, wie Schiller als Regimentsmedicus auf der Karlsschule in Stuttgart seine »Räuber« schrieb, und der Intendant Heribert von Dalberg in Mannheim das Erstlingswerk des Dichters am 13. Januar 1782 zur Aufführung brachte.

So freimütig und vorurteilslos, wie diese Initiative erwarten läßt, war aber Dalberg keineswegs; vielmehr mußte Schiller mit Rücksicht auf den kurfürstlichen Hof sein Stück einer strengen Zensur unterwerfen und sich selbst zu einer Umarbeitung[95] bereitfinden, die als die Mannheimer Theaterbearbeitung der »Räuber« auch im Druck erschien.

Der Dichter hatte die Szenenfolge vereinfacht und mit Rücksicht auf den zu erwartenden »Unverstand der Gallerie« vieles gestrichen; des katholischen Hofes wegen mußte der die Räuber zur Übergabe auffordernde Pater in eine Magistratsperson verwandelt werden und Pastor Moser ganz fortfallen; in den Räuberszenen selbst wurde vieles gekürzt und gemildert, besonders die »räsonnirenden« Monologe Karls; sogar das Räuberlied mußte fortbleiben. Die stärkste Umgestaltung hatte der Schluß zu erleiden: Franz Moor erhängt sich nicht mehr an der bekannten Hutschnur, sondern wird von den Räubern gefangen; sie halten über ihn Gericht, werfen ihn in den Turm, in dem der alte Vater hat umkommen sollen, und reinigen sich dadurch gewissermaßen von ihrer eigenen Schuld.

Auf Dalbergs Verlangen mußte Amalie sich selbst töten, statt als echte Räuberbraut von ihrem Geliebten Karl Moor erstochen zu werden, eine Änderung, die Schiller aber bei aller Nachgiebigkeit gegen Dalberg in der Druckausgabe der Bearbeitung nicht beibehielt. Außerdem wurde die ganze Handlung aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges in die des ewigen Landfriedens, also nach 1495, verlegt, die »Räuber« mußten dementsprechend im Ritter-, statt im Rokokokostüm gegeben und alle zeitgeschichtlichen und politischen Anspielungen diesem veränderten Milieu angepaßt werden.

Und wozu sich schließlich der Dichter selbst nicht bequemen wollte, das änderte der Intendant eigenmächtig. Alles »Unschickliche« wurde beseitigt. Hatte bei Schiller Franz der Amalie gedroht: »Meine Mätresse sollst du werden, daß die Weiber mit Fingern auf dich deuten«, so hieß es nun bei Dalberg in lächerlicher Entstellung: »Ich will dich so mißhandeln, daß die Weiber mit Fingern auf dich deuten.« Und sogar den epigrammatisch wuchtigen Schluß »Dem Mann kann geholfen werden« hat Dalbergs Hand nicht verschont, sondern durch leere Breite abgeschwächt: »Dem Mann kann geholfen werden – Er führe mich vor den Richter – ein Glücklicher mehr. (Sonnen-Untergang.) Ich sterbe groß durch eine solche That! und vielleicht Verzeihung vom Himmel durch diese That!«

[96]

Herzogliche Zensur.

Der Uraufführung der »Räuber« in Mannheim hatte Schiller selbst beigewohnt; ohne Urlaub hatte er sich aus Stuttgart fortgestohlen. Dieser Verstoß gegen die Disziplin der Karlsschule war dem Herzog von Württemberg verraten worden.

War Herzog Karl auch großsinnig genug, die Aufführung der »Räuber« hinter seinem Rücken nicht gerade als ein unerhörtes Verbrechen zu betrachten, und auf den durch ganz Deutschland widerhallenden Erfolg eines seiner Karlsschüler wohl auch ein wenig stolz, so ging ihm doch die militärische Zucht über alles, und neben einem vierzehntägigen Arrest erhielt der Dichter den strengen Befehl, nichts mehr außer medizinischen Arbeiten zu schreiben oder drucken zu lassen und jeden Verkehr mit dem »Auslande« zu meiden.

Diese Präventivzensur, die der Herzog von Württemberg über Schillers noch ungeborene Geisteskinder ausübte, zwang den Dichter zu seiner tollkühnen Flucht aus Stuttgart, die bei seiner militärischen Stellung und dem jähzornigen Charakter des Herzogs auf Leben oder Tod ging. Am 22. September 1782 führte er sie in Begleitung seines Jugendfreundes Andreas Streicher glücklich aus.

Die »Räuber« in Wien.

Welche Schwierigkeiten ein in jedem Nerv so revolutionäres Stück wie Schillers »Räuber« in Wien zu überwinden hatte, ist leicht zu ermessen. Auf das Burgtheater kamen sie überhaupt erst 1850 durch Heinrich Laubes Energie; auf den kleineren Theatern hatte der Zensor sie gelegentlich schon früher passieren lassen. Aber in welcher Vermummung! Ihre Wiener Erstaufführung erlebten sie 1784, also zwei Jahre nach der Mannheimer Uraufführung, auf dem Kärntnertortheater, wo sonst meist Hofoper, Ballett und Singspiel heimisch waren. Der Lustspieldichter Rautenstrauch hatte Schillers Erstling »bearbeitet« und mit Rücksicht auf das vierte Gebot den Vater Moor in einen – Oheim verwandelt! Der »Oheimmord«, über den Karl Moor im vierten Akt bei Öffnung des Hungerturmes schaudert, muß eine erschütternde Wirkung gehabt haben! »Schweizer, so ist noch kein Sterblicher geehrt worden, wie du: räche meinen – Oheim!«

[97]

Nur in dieser und ähnlichen Verballhornungen durften die »Räuber« bis 1850 auf den Wiener Nebenbühnen erscheinen.

Außerdem wimmelte das Stück von Dingen, die nie an das Ohr eines gesitteten Wiener Theaterbesuchers dringen durften. Das Renommieren der Räuber mit ihren Schandtaten im Nonnenkloster, ihre Blasphemien, die Anklagen Karl Moors gegen Gott und die Welt waren unbedingt verboten. »Gott«, so bestimmte der Zensurkatechismus, »darf als Urheber der Natur nie zum Urheber des Übels gemacht werden«; Flüche und Verwünschungen mußten entsprechend gemildert werden, und Ausdrücke wie Sackerment usw. waren strengstens verpönt.

Der »verplümickte« Schiller.

Schlimmer noch als Rautenstrauch wirtschaftete mit den »Räubern« der Berliner Theaterdichter Karl Plümicke. Er degradierte Franz Moor zu einem Halbbruder Karls, die tote Gräfin von Moor mußte sich dieserhalb einen Ehebruch zuschieben lassen, und Karl Moor fiel durch den Dolch Schweizers. In dieser Verbesserung gingen die »Räuber« am 1. Januar 1783 über die Bretter des Doebbelinschen Theaters zu Berlin.

Ein anderer Bearbeiter namens Thomas trieb es noch ärger. Er brachte die Tragödie zu einem gemütlichen Ende: Nur Franz Moor war und blieb tot; den Vater, Amalie, Schweizer, Karl, alle ließ er am Leben, Karl und die Räuber umkehren, Amalie mit ihrem Geliebten glücklich werden, den Alten ins Kloster gehen und die übrigen in die weite Welt. An diesem beruhigenden Ausgang sollen sich die Biederleute in Stralsund und Rostock weidlich ergötzt haben. In Danzig aber legte sich die Polizei ins Mittel und verbot die »Räuber« als ein »unmoralisches, sittenbeleidigendes Stück«.

Ein Leipziger Zwischenspiel der »Räuber«.

In Leipzig, berichtet der Schillerbiograph Brahm, ereignete es sich, daß, während man auf der Bühne die »Räuber« spielte – die dortige Uraufführung fand am 20. September 1782 statt –, in der Stadt sowohl wie im Theater Kollegen des Schufterle feste Griffe in fremdes Eigentum taten, »welches natürlich viel Gerede verursachte und den dortigen Magistrat bewog, die fernere Aufführung des Stücks zu verbieten«.

[98]

Der Schauspieler Anschütz versichert sogar, daß sich in Leipzig einmal eine Anzahl Studenten, »im Enthusiasmus über diese wilde Dichterphantasie«, nach den böhmischen Wäldern aufgemacht habe, um nach dem Vorbilde dieses »Carl Moor« eine leibhaftige Räuberbande zu bilden.

Aus Anstandsrücksichten.

»Die Verschwörung des Fiesco zu Genua. Ein republikanisches Trauerspiel« erschien in Wien zuerst auf dem Kärntnertortheater am 11. Januar 1784 und stand mit vollem Titel am 1. Dezember 1787 auf dem Anschlagzettel des Burgtheaters; nur der Name des Dichters fehlte. Man hatte nach Angabe des Zensors nur »einige wenige Korrekturen« angebracht; aber schon bei der zweiten Aufführung mußte die unglückliche Bertha, Verrinas geschändete Tochter, »aus Anstandsrücksichten« ganz wegbleiben.

Zwei verliebte Personen, heißt es in Hägelins Denkschrift von 1795, dürfen nie miteinander allein das Theater verlassen; deshalb wurde in dem Stück »Das Landmädchen, oder Weiberlist geht über alles«, »den beiden Verliebten, die sich am Ende des Stücks in ein Haus begeben, um ihre Heyrath richtig zu stellen, ein Prokurator beygegeben«.

Amerikanische Beziehungen.

Eines der großen Siegesfeste des bürgerlichen Schauspiels ist der 15. April 1784: da fand auf dem Mannheimer Nationaltheater in Anwesenheit des Dichters die Uraufführung von »Kabale und Liebe« statt. Iffland spielte den Sekretär Wurm.

Im benachbarten Frankfurt hatte die Theatergesellschaft des Direktors Großmann das neue Werk Schillers schon zwei Tage vorher herausgebracht, ohne bei der Mangelhaftigkeit der Truppe einen sonderlichen Erfolg damit zu erzielen. Der stellte sich dort erst ein, als der Dichter selbst nach Frankfurt kam und Iffland am 3. Mai die Rolle des Kammerdieners spielte. Großmann hatte vorher die ganze Kammerdienerszene im 2. Akt, diesen erschütternden Protest gegen die Willkürherrschaft und den schmählichen Untertanenhandel deutscher Duodezfürsten – die nicht allzu weit von Frankfurt residierten –, gestrichen, und Schiller hatte seine liebe Not, Ifflands neue Rolle mit »Wegwerfung aller amerikanischen Beziehungen« wiedereinzufügen.

[99]

Mätresse und Kammerdiener.

Auf das Wiener Burgtheater gelangte »Kabale und Liebe« erst 1807, denn eine fürstliche Mätresse, so heißt es in Hägelins Zensurkatechismus, »ist anstößig, also das ganze Stück nicht zulässig, außer das vitiose würde weggeschafft.« Die Mätresse war aber nicht allein das Anstößige; die Kammerdienerszene war natürlich auf dem Wiener Hoftheater vollends unmöglich. Schon der Ausdruck »Tyrannei« war dort verboten! Im Privattheater an der Wieden hatte man 1788 eine Aufführung zugelassen; die Scheu vor der Kammerdienerszene hielt auf der Burg aber bis 1807 vor.

Die Moral des »König Lear«.

Shakespeares »König Lear« war auf dem Wiener Burgtheater am 29. Januar 1780 in einer Bearbeitung von Schröder und Bock gegeben worden; die Originalfassung wurde dort nicht geduldet. Warum? Regierungsrat Hägelin führt in seiner Denkschrift von 1795 die Fabel dieser Tragödie und ihre Moral als Beispiel verwerflicher Stücke folgendermaßen an:

»Der König Lear, ein wohlthätiger Vater, legt seine Krone bey Lebzeiten in die Hände zwoer undanckbarer Töchter nieder, welche ihn verstoßen und im äußersten Elende schmachten lassen, bis ihm die dritte Tochter Cordelia zu Hilfe kömmt und ihn rettet. Die Moral dieses Stückes ist, daß ein Regent bey Lebzeiten die Krone an seine Nachfolger nicht abtretten soll, weil er Gefahr läuft, für seine Wohlthat mit Undanck belohnt und mißhandelt zu werden.«

Und dabei war dieser Hägelin noch ein verhältnismäßig aufgeklärter Mann!

Die Wiener Putzmacherinnen.

Ausdrücke, die ein »sinnliches Laster« andeuteten, wie Kuppler, durften auf der Bühne nur in »ernstem und strafendem Tone« fallen, daher allenfalls im Trauerspiel, aber nicht im Lustspiel. Allen Gelegenheitsmachern war ihr Geschäft auf der Bühne gründlich verdorben, denn ein Frauenzimmer durfte in einem Theaterstück nie in »sträfliche Anträge« willigen, höchstens scheinbar, um den Liebhaber zu beschämen, und das[100] Publikum mußte über diese pädagogische Absicht vom Dichter rechtzeitig beruhigt werden. »Heurathsstifter und Unterhändler unsträflicher Liebschaften« aber, sagt Hägelin, sind erlaubt, »nur auf die Putzhändlerinnen muß Acht gegeben werden.«

Die Wiener Putzmacherinnen besaßen offenbar im »Einfädeln« eine ganz besondere Gewandtheit.

Schutz der Ehe!

Ehekonflikte, die nicht beizulegen waren, durfte es nach Vorschrift der Zensur auf Wiener Theatern nicht geben; die Ehe mußte auch auf der Bühne geschützt werden, da »dem Staat an der Erhaltung rechtmäßiger Ehen und Geburten viel gelegen ist«. »Philosophische Winkelehen« konnten nach Hägelins Denkschrift nie Stoff in Wien aufzuführender Stücke sein, »besonders wenn sie als gegründet in dem Naturrecht approbirt würden«. Von »wilden Ehen« durfte überhaupt nicht die Rede sein. Stücke mit Ehebrecherinnen waren nach Hägelins Denkschrift ebenso streng verboten wie die mit Mätressen. Schon das Wort »Ehebruch« war verpönt.

Verliebte mußten vor Ende des Stückes »stets gesetzmäßig« verbunden werden, und zwar durch Notare; denn von kirchlicher Trauung durfte wieder nichts gesagt werden, da das Sakrament der Ehe als zu heilig für die Bühne galt.

Die Hinrichtung auf der Bühne.

Im Jahre 1792 führte das Landstraßer Theater in Wien eine »Maria Stuart« von dem Räuberromanschriftsteller C. H. Spieß auf, und »um dieses vortreffliche Stück noch interessanter zu machen«, wurde »die Enthauptung der Königin von Schottland öffentlich auf dem Theater exekutiert«! 1795 aber dekretierte Hägelin: Das moderne Theater »darf nie mit Blut befleckt werden«. Denn zwei Jahre vorher war jene Vorstadttheaterromantik furchtbare Wirklichkeit geworden: Maria Antoinette, die Tochter Maria Theresias, die Tante des Kaisers Franz, starb auf der Guillotine.

Auch für die Theatergeschichte bedeutete die Französische Revolution eine neue Epoche, denn von jetzt an hatte sich die Theaterzensur nicht nur nach der moralischen und religiösen Seite, sondern vor allem nach der politischen hin zu orientieren.


[101]

5. Die Furcht vor der Revolution.

»Man sagte mir, Spanien habe Preßfreiheit und ich könnte, natürlich unter Aufsicht von zwei, drei Zensoren, schreiben, was mir beliebte, wenn es nur nicht gegen den Staat wäre, oder gegen den Hof, gegen die Kirche, gegen die guten Sitten und schlechte Beamte, gegen privilegirte Tänzerinnen usw.«

Beaumarchais, »Figaros Hochzeit«. V, 3.

»Ein toller Tag.«

Am 27. April 1784 – zwölf Tage nach der Uraufführung von Schillers »Kabale und Liebe« in Mannheim – ging über die Bretter des Théâtre français zu Paris ein Lustspiel, dessen Zensurschicksal bereits seit drei Jahren die Bevölkerung der französischen Hauptstadt belustigt und aufgeregt hatte, »Figaros Hochzeit oder ein toller Tag« von Beaumarchais. Gerade die Spitzen der Gesellschaft, Prinzen und Herzöge, Minister und Fürstinnen, bahnten in wahnsinniger Verblendung einem Stück den Weg, das durch seine blutige Verspottung des Adels der gefährlichste Feind ihrer Standesinteressen war und als die literarische Ouvertüre der fünf Jahre später hereinbrechenden Französischen Revolution bezeichnet werden darf. Das ahnten weder der Dichter noch die ihm behilfliche verrottete Gesellschaft, nur König Ludwig XVI. erkannte, wie einer der deutschen Übersetzer des Lustspiels, Franz Dingelstedt, sagt, »in Figaros Scheermesser das erste, ferne Wetterleuchten der Guillotine«. Die endlich durchgesetzte Aufführung ist eines der sensationellsten Ereignisse der französischen Theatergeschichte; selbst der Dichter meinte: »Das Tollste am Tollen Tag bleibt sein Erfolg.«

Diesseits des Rheines nahm man hauptsächlich an der übermütigen Frivolität des Stückes Anstoß, die doch nur ein getreues Abbild ihrer Zeit war. Kaiser Joseph verbot in einem Handschreiben vom 31. Januar 1785 die Aufführung, und die Wiener lernten den »Tollen Tag« erst in der wundervollen musikalischen Verkleidung kennen, die Mozart ihm in seiner Oper »Le nozze di Figaro« gegeben hat. Erst am 14. September[102] 1802 gelangte auch das Lustspiel, in entsprechender Bearbeitung von Jünger, auf das Burgtheater.

Auch in München wußte die maßgebende Geistlichkeit die Aufführung zu hintertreiben; in Mannheim dagegen, der zweiten Residenz des Kurfürsten von Pfalzbayern, ging es noch 1785 in Anwesenheit Karl Theodors mit dem aus Schillers Biographie bekannten Schauspieler Beck in der Titelrolle in Szene. Der sonst so allmächtige Beichtvater des Kurfürsten, Pater Frank, soll, wie der berühmte Schauspieler Iffland erzählt, warnend an das Münchener Verbot erinnert, der Kurfürst aber gelacht und geantwortet haben: »Das hat hier in Mannheim nichts zu sagen!« Er selbst zeichnete bei der Aufführung Stück und Schauspieler durch lauten Beifall aus.

Die Zeitgenossen Karl Theodors aber teilten seine Sorglosigkeit nicht, sondern suchten zunächst durch drakonische Zensurgesetze gegen die rote Sturmflut einen Damm aufzuwerfen. Nur einige charakteristische Episoden aus diesem Abwehrkampfe können hier gestreift werden.

Verschärfung der Berliner Zeitungszensur.

Die Zeitungszensur war in den ersten Jahren nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. ganz beim alten geblieben, denn das Ministerium des Äußern, dem sie unterstand, wahrte dem Chef des geistlichen Departements Wöllner gegenüber seine Selbständigkeit. Da die Minister noch im Februar 1792 überzeugt waren, daß die Französische Revolution in Preußen kein Wässerlein trüben würde, hatten sie auch keinen Drang gefühlt, den harmlosen Berliner Zeitungen trotz der alles umstürzenden Nachrichten, die sie pflichtschuldigst bringen mußten, genauer auf die Finger zu sehen. Noch am 12. Juli 1791, als der im Zensurdienst ergraute Geheimrat Marconnay seinen Abschied nahm und den Zeitungen als sein Nachfolger der Geh. Legationsrat Renfner vorgestellt wurde, hatten die Minister es ausdrücklich abgelehnt, sich selbst außer in »zweifelhaften Fällen« mit der Zeitungszensur zu befassen.

Da fiel die Warnung aus Wien vom 3. Dezember 1791 (vgl. S. 63) plötzlich wie ein schwerer Stein in den idyllisch-glatten Spiegel behaglicher Sicherheit, und den preußischen[103] Ministern erschien es nun doch an der Zeit, durch sichtbare Regierungsakte zu zeigen, daß sie hinter der österreichischen Staatsklugheit nicht zurückstanden, wenn auch ihre eigene noch keineswegs so düster gefärbt war wie jene.

Zunächst sprachen sie am 5. Januar 1792 den Wunsch aus, von allen in Preußen gelesenen in- und ausländischen Zeitungen ein – Freiexemplar zu erhalten, um sich darüber zu unterrichten, »wie die öffentlichen Ereignisse in den Landeszeitungen bekannt gemacht würden«. Aber da war guter Rat im wahrsten Sinne des Wortes teuer! Denn wer sollte ihnen diese Freiexemplare liefern? Die Post versandte die bei ihr bestellten auswärtigen Zeitungen an die Abonnenten, und ein Generalabonnement auf alle diese Blätter kostete ein Heidengeld, das in keinem Etat vorgesehen war. Für den französischen »Moniteur« zahlte man damals bei der Post jährlich 30, für englische Blätter sogar 70 Taler. Der Generalpostmeister konnte also den Ministern nicht helfen.

Als sich aber nun im Anschluß an die kaiserliche Warnung der Schriftwechsel mit dem ängstlich gewordenen Könige entspann, sahen die Minister, daß sie auch im Punkt der Zeitungszensur etwas tun mußten, und sie erließen am 28. Februar an die Berliner Blätter den Befehl, »mit größter Schärfe alle aufrührerischen Artikel zu unterdrücken und die Verbreitung aller revolutionären Grundsätze zu verhindern«.

Das hatte zunächst für die Berliner Zeitungsverleger eine finanzielle Folge. Dem Legationsrat Renfner wuchs jetzt die Arbeit über den Kopf; er mußte den ganzen Tag bis spät am Abend zur Verfügung stehen, wenn er, wie das Ministerium gefordert hatte, »bei eigener schwerer Verantwortung« für den Inhalt der Zeitungen bürgen sollte. Ohne eine Entschädigung, meinte er, sei das nicht zu machen. Bisher war die Zeitungszensur gebührenfrei gewesen.

Die beiden Berliner Zeitungsverleger, die Vossische und die Haude-Spenersche Buchhandlung, sahen denn auch die »Billigkeit« seines Anspruchs ein und verstanden sich dazu, vom 1. August 1792 ab die Bemühungen des vielgeplagten Zensors mit einem jährlichen Honorar von 100 Talern zu belohnen. Für diesen Beweis ihrer »Resignation« sprach ihnen das Ministerium wie billig seine besondere Zufriedenheit aus.

[104]

Dies Entgegenkommen kam die Verleger teuer zu stehen, denn das Ministerium nahm statt des kleinen Fingers die ganze Hand. Auf ihre Erklärung, daß sie dieses Honorar mit Rücksicht auf die »gegenwärtigen Zeitläufte« nur dem jetzigen Zensor zahlen würden, nicht aber seinem Nachfolger, antwortete man ihnen, sie allein zögen ja den Gewinn aus ihren Zeitungen, sie hätten deshalb auch in Zukunft dieselbe Zensurgebühr zu entrichten.

Die werdende Journalistik.

Waren denn die Berliner Zeitungen so stark mit »aufrührerischen Artikeln« gefüllt, daß die Mahnung des Ministeriums begründet war?

Etwas Farbe hatten die Blätter unterdes tatsächlich angenommen. Die Weltgeschichte mußte sich ja doch in ihnen widerspiegeln, und wenn der Horizont in Flammen stand, mußte schließlich ein roter Widerschein auch auf Preußen fallen. Wie konnte der dabei gleichgültiger, trockener Chronist bleiben, der am ersten dazu veranlagt ist, den elektrischen Strom neuen Lebens zu empfinden, der werdende Journalist? Der eine wollte löschen helfen, der andere auch schüren, und wenn die deutsche Presse auch noch nichts von Leitartikeln wußte, in denen sich eine öffentliche Meinung kundgab oder auch nur die private des Redakteurs, die sich für die öffentliche hielt, so konnte es doch nicht fehlen, daß die Art der Berichterstattung besonders über die Pariser Ereignisse allmählich einen eigenen Ton annahm, der in der Tat die Musik machte. Über die Berichterstattung im alten Nachrichtenstil ging man noch nicht hinaus, aber der Zensor Renfner hatte schon seine liebe Not mit allerhand versteckten Anmerkungen, »Anspielungen« und »Seitenblicken«, die sich der Zeitungsschreiber von ehedem nie herausgenommen. So entfesselte der Geist der Revolution eigentlich erst den selbständigen Journalismus, den der deutsche Zeitungsleser bis dahin noch nicht gekannt hatte, und unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. gewannen die Zeitungen trotz aller dämpfenden Bestimmungen eine Bedeutung, die sie unter Friedrich dem Großen, auch bei geringerer Unfreiheit, nie hätten erringen können, es sei denn, daß der König, in Voraussicht[105] der Zukunft, sie als die Pioniere einer großzügigen nationalen Politik hätte brauchen wollen, was seinem unnahbaren und selbstsichern Souveränitätsgefühl aber ganz fernlag.

Von den Berliner Zeitungen nahm die »Spenersche« am stärksten jenen Ton an, und schon am 24. Februar 1793 mußte sie sich darüber von dem nun aufmerksamer und strenger werdenden Ministerium energisch den Text lesen lassen. Der Ton der Pariser Artikel, hieß es, lasse sich besonders seit der »schrecklichen Verurtheilungs-Epoche des Königs von Frankreich« mit den »Gesinnungen eines treuen Preußischen Untertans schwer vereinbaren« und steche auffallend ab von dem »wärmeren, biederen Ton, durch den sich die Vossische Zeitung bei den jetzigen Umständen auszeichne«. Zensurstriche allein könnten daran nichts ändern, die Redaktion habe daher streng darauf zu sehen, daß »von nun an die ganze Stimmung jener Artikel umgeändert werde«. Sonst werde man das Privilegium »sichereren Händen« anvertrauen.

Die erste ministerielle Zeitung in Preußen.

Mit der Zensur allein sei es nicht getan, hatte das Ministerium im Februar 1793 der »Spenerschen Zeitung« erklärt, die »ganze Stimmung« des Blattes müsse eine andere werden. Da sich aber diese Stimmung bei andern nicht erzwingen ließ, kam man 1794 auf den Einfall, sie selbst zu erzeugen. Der Geh. Legationsrat le Coq hatte den Vorschlag gemacht, eine ministerielle Zeitung herauszugeben, und in ihrer Herzensangst gingen die Minister sogleich darauf ein; früher hatten sie solche Pläne immer zurückgewiesen.

Ein Verleger war zur Stelle; der Hofbuchdrucker Decker besaß schon lange ein Privileg zu einer französischen Zeitung, ohne es bisher ausgenutzt zu haben. Das war doppelt willkommen, denn so konnte man den guten Geist Preußens auch in das französisch sprechende Ausland hinüberleiten, und alle Diplomaten mußten sich ja um solch eine in ihrer Umgangssprache geschriebene preußische Kabinettszeitung reißen.

Vom Januar 1794 an erschien also in Berlin die »Gazette françoise de Berlin. Avec approbation et privilège du Roi«, und zwar fünfmal in der Woche. Bisher hatte man noch jedem Berliner Verleger abgeschlagen, mit seinem Blatte[106] mehr als dreimal wöchentlich herauszukommen, und zwar lediglich aus Bequemlichkeit, weil die Zensur dem Ministerium zu einer fast »unerträglichen« Last geworden war, worauf »billig Rücksicht genommen werden sollte«. Jetzt sah die erstaunte Reichshauptstadt auf einmal fast jeden Tag eine neue Nummer der preußischen Amtszeitung erscheinen.

Die Verleger der »Vossischen« und »Spenerschen« wurden über diesen Vorzug natürlich unwirsch und beschwerten sich. Erst sagte man ihnen: Ihr könnt ja auch fünfmal in der Woche herauskommen! Aber dieses ungeheure Anwachsen der Zensurarbeit schreckte doch zuletzt ab, und man kam dann friedlich überein, vom 1. April ab auch das ministerielle Blatt – auf drei Nummern die Woche zu beschränken.

Die Konkurrenz sorgte weiter dafür, daß die sonstigen sehr unbequemen Vorzüge des Hofblattes paralysiert wurden. Dieses brachte eine Fülle offizieller Mitteilungen aus allen Departements des Ministeriums, Kriegsnachrichten von der preußischen Armee, die damals mit den Österreichern gegen das revolutionäre Frankreich im Felde stand, Meldungen von Ernennungen und Auszeichnungen, die einen wesentlichen Teil des Stadtgesprächs beherrschten – alles Dinge, mit denen die andern Zeitungen traurig hinterherhinken mußten. Also beschwerte man sich auch darüber, und richtig wurde jetzt durch die ziellose Gutmütigkeit des Ministeriums, das keinem königlichen Privileg zunahe treten wollte, dieses ganze amtliche Material vom Juli 1794 an allen Berliner Zeitungen zugestellt.

Damit war natürlich dem ministeriellen Blatte jeder Anreiz genommen, es siechte kümmerlich dahin und mußte schon Ende 1797 sein Erscheinen einstellen.

Ein verblüffender Erfolg.

Das vorschnelle klägliche Ende der amtlichen »Gazette françoise de Berlin« hatte noch einen besondern Grund, der drastisch zeigt, welch unglückliche Hand das preußische Ministerium schon damals in der Behandlung der Presse bewies.

Es hatte sich so ehrliche Mühe gegeben, der Forderung des Königs Genüge zu tun und allen aufrührerischen Geist aus den Berliner Zeitungen zu entfernen. Was hatte es zu diesem[107] Zweck in den letzten Jahren nicht alles verfügt: Nicht weniger als 26 Freiexemplare mußten die Berliner Verleger von ihren Blättern liefern, und man hatte es wirklich durchgesetzt, daß auch alle Provinzzeitungen regelmäßig zur Kontrolle eingereicht wurden. Die Minister lasen sich an all dem schlechten Druck auf Löschpapier fast die Augen blind, es regnete Verwarnungen und Drohungen, und besonders der alte Graf Finckenstein, der noch ganz in friderizianisch-absolutistischer Weltanschauung lebte, überbot sich in strengen Maßregeln. Selbst die Inserate unterlagen seit 1788 noch einer besonderen Zensur der Polizei. Durch die Gründung der »Gazette« war ein regelrechtes Preßbureau entstanden, das die Berliner Blätter mit wichtigen politischen Mitteilungen versorgte. So lieferte es alle Nachrichten über den Aufstand in Polen nach dessen zweiter Teilung, dafür durfte aber nichts Selbständiges aus andern Quellen über die polnischen Angelegenheiten gedruckt werden. In den Pariser Artikeln wurden unermüdlich alle »Neben-Reflexionen und Raisonnements« gestrichen, und die Zeitungen mußten sich durchaus auf die »Darstellung bloßer That-Sachen« beschränken. Die »General- und Spezialpardons«, die das Ausland preußischen Deserteuren zusicherte, durften nicht mitgeteilt werden, ebensowenig die Beschreibung republikanischer Feste, bei denen »im Namen der Weltgeschichte die Verdienste der französischen Nation um die Menschheit« gefeiert wurden. Alle Notizen über Aufstände, besonders über militärische Revolten wie die Meuterei der englischen Matrosen 1797 waren strengstens verboten, ebenso die über die Ankunft und Abreise der Kuriere, weil dies »für den Königl. Dienst« nachteilig sei, und selbst fremde Gesandten durften nichts mehr in die Zeitungen einrücken lassen ohne besondere Genehmigung des Ministeriums.

Und das Resultat all dieser krampfhaften Bemühungen? Dem Könige mochten seine willigen Beamten zu Dank arbeiten, einem aber genügten sie damit noch lange nicht: dem Kaiser von Rußland! Im Oktober 1797 schmetterte die Minister die plötzliche Nachricht nieder, daß ihre Sorgenkinder, die so streng behüteten Berliner Tageszeitungen und die »Berlinische Monatsschrift«, samt und sonders in Rußland verboten seien! Und die preußische Amtszeitung, das Fähnlein der preußischen Aufrechten,[108] stand in der Reihe der Kolleginnen mit am russischen Pranger! Die »Gazette françoise« scheint aber jenseits des Niemen die meisten Leser gehabt zu haben und war dadurch »beinahe gänzlich ruiniert«.

Den Anlaß des Verbotes konnte niemand ergründen, am wenigsten – wie üblich – der preußische Gesandte in Petersburg. Von jeher war ja Rußland über jede deutsche Preßnotiz »ungemein sensibel« gewesen, und das revolutionäre Schauspiel in Frankreich hatte seine Empfindsamkeit zur Hysterie gesteigert. Vergebens suchten die Minister nach einem plausibeln Grund des Verbotes. Sie dachten nicht mehr an ihr eigenes Wort, daß ja die Zensur allein, die Ausmerzung jeder kleinen Anzüglichkeit, das Verbot alles Anstößigen und dergleichen Flickarbeit, nicht Rot in Weiß verwandeln konnte, daß die ursprüngliche Färbung trotz allem noch durchschimmerte. Die ganze »Stimmung« der Berliner Presse war es eben, die dem Kaiser der Russen zuwider geworden war.

Lichte Augenblicke.

Ab und zu in dieser Zeit der Bedrängnis dämmerte den betrübten Lohgerbern an der Spree so etwas wie die Erkenntnis, daß sie dem Kinde glichen, das in der hohlen Hand das Meer ausschöpfen zu können wähnt. Dem blinden Eifer des alten Ministers von Finckenstein trat sein eigener Amtskollege Graf Haugwitz entgegen, und am 12. Juli 1797 erklärte ihm das Generaldirektorium geradezu: »Überhaupt glauben wir nicht, daß in einer solchen weit getriebenen Einschränkung der Preßfreiheit das wahre Mittel liege, um revolutionäre Bewegungen und gefährliche Nachfolge der darunter gegebenen üblen Beispiele benachbarter Nationen zu hintertreiben.«

Und als ein Jahr später der Graf von der Schulenburg von dem neuen Herrn mit der Leitung der geheimen Polizei betraut wurde und davon fabelte, den revolutionären Skribenten durch Bestechung einen goldenen Maulkorb umhängen zu wollen, bekannte sich das preußische Ministerium in völliger Zerknirschung zu dem reumütigen Glauben, daß all sein Bemühen nur dann Erfolg verspreche, »wenn Männer von anerkannten Talenten, von bewährter Moral, aus eigner inniger Ueberzeugung,[109] als Schriftsteller wider Revolutionen und wider revolutionaire Greuel aufträten«.

Man vergaß nur eine Kleinigkeit, diese guten Elemente, die gewiß vorhanden waren, freizumachen und durch soziale Reformen von Staats wegen die »gute Stimmung« zu erzeugen, die man gern der Presse als Schminke aufgelegt hätte. So wirkt diese weise Erkenntnis wie eine Leuchtrakete am dunkeln Nachthimmel und ist es bis heute geblieben.

Die Jagd auf die Bulletinschreiber.

Wie machtlos die regierende Gewalt der Presse gegenüber war, zeigte nichts deutlicher als das Scheitern aller Bemühungen, die geschriebenen Zeitungen zu vertilgen, mit denen sich kleine Beamte eine Nebeneinnahme zu verschaffen wußten.

1792 war die Bulletinschreiberei aufs strengste untersagt worden. Aber man hatte, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden, diesen Befehl nicht veröffentlicht, sondern nur durch ein Rundschreiben allen amtlichen Stellen mitgeteilt, wo die Verfasser dieser »Bülletins« an irgendeinem staubigen Aktentisch zu sitzen pflegten, alles sammelten, was ihnen an offiziellen Brocken erreichbar war, und dieses Gemisch von Vertraulichem und längst Bekanntem zu Korrespondenzen besonders für Hamburger Blätter verarbeiteten.

Mit jenem Verbot glaubte man das Handwerk mit Stumpf und Stiel ausgerottet zu haben. Aber 1794 blühte es wie nie zuvor, denn die strengere Zensur des gedruckten Wortes machte ja das geschriebene um so wertvoller! Das ganz Automatische dieser Erscheinung wollten aber die Minister nicht einsehen, und statt auf der einen Seite die Zügel lockerer zu lassen, verdoppelten sie nun ihren Eifer auch auf der andern. Eine vollständige Detektivkomödie wurde in Szene gesetzt, um diese kleinen Zeilenschreiber dingfest zu machen. Es gab zwar schon so etwas wie ein Postgeheimnis, das störte aber den Postmeister Seegebarth nicht, unverdrossen alle ihm verdächtig erscheinenden Briefe, vor allem die nach Hamburg gerichteten, zu erbrechen, aufmerksam zu lesen und, wenn ein Indizium vorlag, freudestrahlend dem Ministerium zu unterbreiten. Als man schließlich einen der Verbrecher erwischte – er hieß Woltersdorf und[110] war schon 1791 mit drei Tagen Gefängnis bestraft worden, weil er zu melden sich erdreistet hatte, die Französische Nationalversammlung wolle dem König Ludwig und seiner Gemahlin den Prozeß machen –, entpuppte er sich als Hofagent des Herzogs von Mecklenburg, und die Geheimräte in Neustrelitz nahmen ihn so energisch in Schutz, daß man zufrieden war, als er versprach, sein Korrespondenzeln zu lassen. Auch hatte er mit verblüffender Dreistigkeit gefordert, wenn man ihm verwehre, sein Brot auf diese »redliche und anständige Weise« zu erwerben, so möge man ihm gefälligst eine Anstellung mit auskömmlichem Gehalt geben, da er als kläglichst besoldeter »Prokurator« seine Familie nicht ernähren könne.

Aber die Hetzjagd ging weiter. Die 100 Taler, die der »Hamburgische Korrespondent« für diese Berliner Berichte ausgeworfen hatte, wollte sich nun ein armes zweiundzwanzigjähriges Magisterlein der Philosophie namens Stein verdienen. Bald hatte das Falkenauge des Postmeisters durch Handschriftenvergleichung auch dies herausgebracht. Aber Stein fand wieder Nachfolger, und wenn man sie beim Kragen nahm, versicherte jeder hoch und teuer, von dem Verbot keine Ahnung gehabt zu haben; und das Gegenteil konnten ihm die Minister nie beweisen! So kamen die Übeltäter mit einem Verweis davon – und alles blieb hübsch wie zuvor.

Die Bildung des kleinen Mannes.

Was die Literatur von Leopolds Sohn und Nachfolger, Kaiser Franz II., dem letzten deutschen Kaiser (bis 1806), zu erwarten hatte, brachte gleich zu Anfang der neuen Regierung ein Gutachten des Polizeiministers Grafen von Pergen klassisch zum Ausdruck. 1793 hatte der angesehene Schriftsteller Joh. Bapt. von Alxinger die »Österreichische Monatsschrift« begründet, die im Sinne der Josephinischen Aufklärung arbeitete und mit großer Kühnheit gegen die bald einreißende Jakobinerriecherei und deren Werkzeuge, Spione und Denunzianten, kämpfte.

Bald sah sich der Polizeiminister veranlaßt, auf die häufige Darstellung von »Revolutionsgeschichten« in dieser Zeitschrift aufmerksam zu machen, »wodurch das Publicum mit der Idee von Staatsumwälzungen familiarisiret und demselben einleuchtend[111] gemacht werden soll, daß Revoluzionen von jeher entstanden sind und daß sie nicht das Werk von Aufklärern und geheimen Orden waren, sondern von Menschen aller Klassen, und selbst von der Geistlichkeit vorbereitet und zu Stande gebracht worden sind«.

Bei dieser Gelegenheit entwickelte Graf Pergen über den Wert der so viel gerühmten »Aufklärung« eine Ansicht, die zugleich als ein Programm der eben begonnenen Regierung des Kaisers Franz bezeichnet werden darf.

»Die Erfahrung hat gelehrt,« so heißt es in diesem Aktenstück, »daß Brochurenaufklärung bisher sicher mehr geschadet, als genützt habe, weil durch solche einer Klasse von Menschen, die von allen Kenntnißen entblößt ist, die vorausgehen müssen, um die Dinge im Zusammenhange zu sehen, eine Menge unverdaute Begriffe über Religion, Menschenrechte und Menschenglück beygebracht worden sind, die nun in den Köpfen derselben eine gräßliche Verwirrung anrichten … Die Bildung der untern Klassen muß verhältnismäßig mit ihrem Stande und ihrer Bestimmung seyn. Wenn der gemeine Mann einen einfachen, auf das Herz wirkenden Religionsunterricht erhält, wenn ihm von den wissenschaftlichen Kenntnissen nur dasjenige beygebracht wird, was ihm in seinem Geschäftsbetriebe zur Beförderung seines bürgerlichen Glücks brauchbar und nützlich ist, so ist er für seine Sphäre aufgeklärt, und diese Aufklärung ist heilsam für ihn, vortheilhaft für den Staat; wird hingegen der gemeine Mann mit Dingen beschäftiget, welche in das Spekulative der Religion und Philosophie einschlagen, so verwirren sich seine Begriffe, er giebt sich mit unnützen Grübeleyen ab, wünscht sich in eine höhere Klasse aufzuschwingen, wird für sich selbst unglücklich und für den Staat gefährlich. Höhere Kenntnisse sollen also nur für jene seyn, welche vermöge ihres Standes bestimmt sind, andere zu leiten, und diese können und sollen ohne Beschränkung aufgeklärt werden, und je mehr sie aufgeklärt werden, desto vollkommenere brauchbarere Menschen werden sie seyn und desto besser wird sich die Staatsverwaltung hiebey befinden.« …

Schon im Juni 1794 mußte die »Österreichische Monatsschrift« eingehen. Ihre Redakteure Alxinger und Schreyvogel sahen keine andere Möglichkeit, wenn sie sich nicht als »Jakobiner« den schwersten Verfolgungen aussetzen wollten.

[112]

Das österreichische Zensurgesetz von 1795.

Februar 1795 erschien in Österreich ein neues Zensurgesetz, das in allem genau das Gegenteil dessen bestimmte, was Josephs Preßreform an kulturellen Fortschritten ausgezeichnet hatte.

Nicht das mindeste durfte mehr ohne vorschriftsmäßige Zensur gedruckt werden, weder Buch noch Zeitung, weder Lied noch Gebet, Einblattdruck oder Kupferstich, weder Erstdruck noch neue Auflage eines bisher erlaubten Buches. Wer sich dagegen verging, wurde sofort mit Verlust des Gewerbes gemaßregelt, außerdem mußte er für jedes verbreitete Exemplar einer unzensierten Druckschrift 50 Gulden Strafe zahlen. War er dazu nicht imstande, so durfte er jeden Gulden – mit einem Tage Gefängnis absitzen! Ein Buchdrucker oder Verleger brauchte also nur durch ein Versehen einige hundert Exemplare eines unzensierten Liedes zu verbreiten, und er hatte, wenn er ein armer Teufel war, lebenslängliche Haft verwirkt! Handelte es sich gar um 1000 Exemplare oder mehr, so ergab diese lichtvolle Rechnung etliche hundert Jahre Gefängnis!

Da Lieder, Gebete, Kriegsnachrichten, überhaupt die ganze Einblattliteratur häufig durch Hausierer so schnell vertrieben wurden, daß der Arm des Gesetzes sie nicht mehr erreichte, blieb der gesamte Hausierhandel mit Drucksachen verboten, und auf Übertretung dieser Bestimmung wurde Zuchthausstrafe gesetzt.

Jede Ausrede oder Entschuldigung für irgendeine Verfehlung gegen das Zensurgesetz wurde von vornherein als ungültig abgewiesen; mildernde Umstände gab es in keinem Fall! Auch galt bei Umgehung der Zensur keinerlei Unterschied zwischen einem Andachtsbuch und etwa einer unsittlichen Schrift; für den Inhalt der nicht zensierten Drucksache hatten sich Verfasser, Verleger, Drucker oder Verbreiter »nach dem Grade der Anstößigkeit« noch besonders zu verantworten. Ebensowenig wie in Österreich selbst durfte ein k. k. Untertan irgend etwas ohne Zustimmung der einheimischen Zensur im Ausland drucken lassen.

Die freie Wahl eines Vorzensors durch den Schriftsteller, wie sie Kaiser Joseph eingeführt hatte, wurde durch dieses Gesetz von 1795 ausdrücklich abgeschafft. Ein Zensor durfte überhaupt kein Manuskript mehr selbst empfangen oder gar genehmigen; dies geschah ausschließlich durch ein neugebildetes[113] Revisionsamt, das mit anonymen Zensoren arbeitete. Jeder Versuch, den Zensor irgendeines Buches festzustellen, sich ihm zu nähern, um Beschleunigung zu bitten oder gar zu beeinflussen, war verboten. Jeder sollte, so hieß es, die Entscheidung »ruhig abwarten, sich ihr ohne Widerrede fügen« und sich besonders hüten vor aller »Verunglimpfung der Zensoren oder des Revisionsamtes, welche allerdings nach dem Grade des Frevels geahndet werden würde«. Das Revisionsamt war also unfehlbar; von irgendeinem Berufungsrecht war von jetzt an nicht mehr die Rede!

Und diese beispiellose Knebelung der Geistesfreiheit, die nicht dem finstersten Mittelalter, sondern dem goldenen Zeitalter der deutschen Klassiker angehört, nannte sich noch obendrein »eine Zusammenfassung der in verschiedenen Zeiten, unter verschiedenen Regierungen ergangenen Verordnungen«, also auch der Josephinischen!

Hägelins Denkschrift über die Zensur.

Eine bürokratische Ausgeburt der Furcht vor der Revolution, die zu jener Zeit die Regierungen ergriff, ist auch Hägelins mehrfach erwähnte Denkschrift über die Zensur, und ihr Entstehungsjahr 1795 macht es begreiflich, daß neben der Religion und Moral die Politik darin die Hauptrolle spielt.

Alles, was gegen die monarchische Regierungsform oder die ständische Verfassung Österreichs Stimmung machte, war nicht nur im Leben, sondern auch auf der Bühne streng verboten. Das schließe, meint Hägelin, große Helden, Heerführer und Politiker des Altertums nicht vom Drama aus, aber Stoffe wie der Tod Cäsars, Brutus, die Vertreibung des Tarquinius usw. seien natürlich unmöglich. Im besonderen seien alle Begebenheiten der vaterländischen Geschichte, deren »Ausschlag diesen Regenten nachtheilig sei«, nicht zu dulden. Widerstand gegen die hohe Obrigkeit auf der Bühne verherrlicht – das fehlte gerade! Tyrannei, Despotismus waren überhaupt keine Ausdrücke auf einem Theater, auf dem man nicht einmal über die verschiedenen Regierungsformen debattieren oder gar einer andern als der monarchischen Vorzüge einräumen durfte. Ausfälle gegen Regenten, bestehende Gesetze oder ganze Stände,[114] »besonders die höheren«, waren ebenso unstatthaft; ließ sich das, was man gegen sie auf dem Herzen hatte, im Zusammenhang des ganzen Stücks schlechterdings nicht ganz unterdrücken, so mußte es wenigstens durch ein eingeschobenes »Manchmal« gemildert werden.

Völlig unantastbar war der Adel auf der Bühne Österreichs. Zwar durften einige adelige Personen im Stücke mitspielen, aber sie durften nichts verüben, was ihren Stand bloßstellte. Die Wörter Adel, Kavalier usw. sollten überhaupt möglichst vermieden werden. Zwischen dem adeligen Gutsherrn und seinen Tagelöhnern gab es keine Gegensätze; von Unterdrückung der Untertanen, Übermut der Junker, Schädigung des bäuerlichen Grundbesitzes durch das uneingeschränkte Jagdrecht, von Bauernschinderei seitens der Gutsherren »oder sogar der Beamten« wußte man in diesem paradiesischen Theaterstaat nichts. Ebensowenig von Menschenrechten und Menschenwürde, diesen Erfindungen der Revolution und der »Modephilosophie«, die nur darauf ausgehe, mit der Religion »die jetzigen Verfassungen entbehrlich zu machen«. Berüchtigte Wörter wie Freiheit und Gleichheit wurden unbarmherzig gestrichen, selbst wenn die Schriftsteller gegen diese modernen Begriffe polemisierten, denn das sei, erklärt Hägelin, ein beliebtes Mittel, um »die Ohren des Publikums mit denselben zu familiarisieren«. Daß von den revolutionären Tagesereignissen nicht einmal andeutungsweise die Rede sein durfte, versteht sich von selbst.

Außer dem Adel und der Geistlichkeit beanspruchte der staatserhaltende Militärstand auf der Bühne besondere Schonung wegen des »point d'honneur«. Die Uniformen mußten »ideal« sein, niemals »kennbaren inländischen Regimentern« angehören, und »höhere Oberoffiziere«, überhaupt »Männer gesetzten Alters«, durften nie »Helden verliebter Streiche und anderer Ausgelassenheiten« sein. Mit den jüngeren Leutnants nahm man es offenbar nicht so genau. Die nach dem Alter und seiner Leistungsfähigkeit abgestufte Moral ist eine besonders köstliche Blüte dieser Zensurbürokratie. Vor allem aber durfte nichts vorkommen, was »den gemeinen Mann vom Militärdienst abschrecken könnte oder es müßte nach Umständen zureichend widerlegt werden«!

[115]

Der Verfasser dieser Denkschrift, Hägelin, besaß eine fast abergläubische Furcht vor der Wirkung einer Anstalt, der er doch selbst fast seine ganze Lebensarbeit gewidmet hat, und er gab ihr oft unfreiwillig komischen Ausdruck. »Das Theater«, sagt er einmal, »ist das wahre vehiculum, wodurch die Modephilosophie ihre Grundsätze in Umlauf zu bringen sucht, denn ihre Absicht ist Verminderung der Kirchen und Vermehrung der Theater, wenn auch das Kammergut dieser oder jener Stadt dadurch leiden müßte«!

»Es lebe die – Fröhlichkeit!«

In der Oper »Don Juan« waren seit der Französischen Revolution die Verse:

Es lebe die Freiheit,
Die Freiheit soll leben!

auf allen österreichischen Bühnen von der Zensur verpönt; nur die genehmigte Variante durfte gesungen werden:

Es lebe die Fröhlichkeit,
Die Fröhlichkeit soll leben!

Auf dem Hoftheater in Darmstadt ließ man später statt der »Freiheit« die »Zufriedenheit« leben.

Die Polizei als Zensurbehörde.

Der Greifraum des österreichischen Zensurgesetzes von 1795 schien aber nicht zu genügen; er wurde in den nächsten Jahren noch stattlich erweitert. 1798 verbot man glattweg alle Lesekabinette, die Kaiser Joseph gegründet hatte, dann die Leihbibliotheken und das Auflegen literarischer Journale und anderer Flugschriften in den Kaffeehäusern. Von der einheimischen Zensur verworfene Manuskripte durften andern nicht mitgeteilt, ja »mit Gefahr weiterer Ausbreitung« nicht einmal aufbewahrt werden! Und schließlich schritt man dazu, die Ausübung der Bücherzensur, die bis 1791 die Bücher-Zensurhofkommission, dann die Hofkanzlei und das Revisionsamt besorgt hatten, nebst der Theaterzensur der Polizei zu übertragen.

Schon 1793 hatte der Polizeiminister Graf Pergen diesen Vorschlag gemacht, weil die Polizei am leichtesten in der Lage sei »zu beurteilen, ob in gewissen Augenblicken eine Schrift schädlich oder unschädlich sei«; im September 1801 erst wurde[116] er von Kaiser Franz genehmigt und damit die Literatur einer Behörde überantwortet, die auf diesem neuen Wirkungsfeld eine traurige Berühmtheit erlangen sollte.

Es dürfte angebracht sein, sich die Regierungsjahre dieser bürokratischen Despoten, die von da an fast ein halbes Jahrhundert das Schicksal der Literatur in Österreich souverän bestimmten, zu merken. Der Polizeiminister Graf Pergen selbst regierte bis 1804; sein Vizepräsident und Nachfolger Freiherr von Sumerau bis 20. Juli 1808. Von da an bis 5. März 1813 war Freiherr von Haager Vizepräsident und bis 1. August 1816 Präsident der »Polizei- und Zensurhofstelle«.

Ihm folgte am 15. Mai 1817 der seit zwei Jahren amtierende Vizepräsident Graf Sedlnitzky, der bis zum März 1848 ein literarisches Schreckensregiment führte, das mit dem zugleich einsetzenden »System« des Ministers Metternich der Geschichte jener Zeit seinen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt hat. Sein Name wurde bald »geflügelt«, er bedeutete wie der Metternichs einen Begriff, und der ganze Haß der geknechteten Literatur heftete sich mit Recht an seine Fersen. Doch darf er, wie der Wiener Literarhistoriker Karl Glossy hervorgehoben hat, nicht als der eigentliche Begründer des Geistesdruckes in Österreich in Anspruch genommen werden; dieser Ruhm gebührt dem Grafen von Pergen. Sedlnitzky aber wurde der Nero dieser Polizeicäsaren.

Die Polizei begann ihre Wirksamkeit damit, daß sie, ganz nach Josephinischem Muster, eine Rezensurierungskommission einsetzte, aber nicht etwa um verbotene Bücher dem Verkehr zurückzugeben, sondern um bisher erlaubte zu verbieten, und sie arbeitete mit solchem Erfolg, daß sie innerhalb zweier Jahre nicht weniger als 2500 unter Joseph II. unbeanstandete Druckwerke auf den jetzt ins Ungeheuerliche anschwellenden Index setzte. In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Zahl der verbotenen Bücher derart, daß die Polizei selbst den Plan einer übersichtlichen Katalogisierung der anstößigen Literatur als übermenschliche Riesenarbeit aufgeben mußte.

Das Kunstideal des Kaisers Franz.

Seit Errichtung der Polizeidiktatur schnitt die Zensur dem Schrifttum immer tiefer ins Fleisch. Schon Hägelins Denkschrift[117] über die Theaterzensur hatte besonders beliebte Stoffe der damaligen Literatur, wie Femgerichte, Ausübung des Faustrechts usw., als bedenklich bezeichnet. Am 22. August 1799 befahl Kaiser Franz, alle »Nachrichten von geheimen Verbrüderungen, Ritterromane, Geister- und Betrügergeschichten« ohne weiteres zu verbieten, um »die Köpfe nicht mit Ideen aus der Romanwelt anzufüllen, die Einbildungskraft nicht zu überspannen und dem Geiste keine falsche Richtung zu geben«.

Auf Veranlassung des Polizeiministers wurden zwei Jahre später (22. Dezember 1801) in dieses Verbot auch ausdrücklich alle Ritterschauspiele, die damals besonders die Volkstheater füllten, als Ausgeburt barbarischer und anarchischer Zeiten einbezogen.

Die tollste Ausgeburt dieser Polizeiherrschaft ist aber das Generalverbot gewisser Romane, das Kaiser Franz am 18. März 1806 erließ. Es richtete sich

1. gegen »alle schwärmerischen Liebesromane, die zu einer den gesunden Menschenverstand tötenden Empfindelei führen«;

2. gegen alle »Genieromane, die für Wildfänge einnehmen, deren Kraftgenie die bürgerlichen Verhältnisse durchbricht«;

3. gegen alle »Gespenster-, Räuber- und Ritterromane, die Roheit und Unglauben erzeugen«; und

4. gegen »die ganze Gattung, welcher man im verächtlichen Sinne den Namen Roman beilegt«, eine Kautschukbestimmung, die der albernsten Willkür freieste Hand ließ.

Ausgenommen von diesem Verbot wurden alle »Schriften, die im Gewande des Romans ganze Wissenschaften abhandeln, moralische Vorlesungen anbringen, Länder-, Völker-, Natur- und Kunstkenntnisse verbreiten, eine tiefe Kenntnis der menschlichen Natur verraten, das sittliche Leben mit Rührung und Bekehrung des Lesers in einem lebhaften Vortrag darstellen oder mit Witz und Laune die Torheiten und Laster der Menschen züchtigen«.

Das also war das künstlerische Ideal des Kaisers Franz, wenn dabei von Kunst überhaupt noch die Rede sein kann. Es war nur ein wenig – um ein Jahrhundert etwa – veraltet und auch insofern originell, als es die Schonung des »gesunden Menschenverstandes« anbefahl, der doch sonst, als ein Götze der bösen Aufklärung, in Österreich längst auf der kulturellen Verlustliste stand.


[118]

6. Der Kampf gegen die Klassiker.

Die Wiener Scharfmacher.

Schon ein Jahr vor dem österreichischen Zensurgesetz vom 22. Februar 1795 war die neue scharfe Richtung von der Theaterbehörde verkündet worden. Am 24. August 1794 hatte die Obersthofdirektion des Burgtheaters an die deutschen Autoren einen Aufruf erlassen, der zur Einsendung neuer Stücke ermunterte. Vor zwei Dingen aber sollten sich die Schriftsteller hüten:

»1. Wird nie ein Stück angenommen werden, das den guten Sitten zuwider ist, welche durch das Theater befördert, nicht umgestürzt werden müssen.

»2. Wird jedes Schauspiel verworfen, das anstößige politische Grundsätze predigt, und auch nur von ferne dahin zielet, die heiligen Bande zu zerreißen, welche die Bürger an den Staat binden.«

Ein kaiserliches Hofdekret vom 5. Februar 1795 hatte dann nochmals darauf hingewiesen, daß »auf dem Theater, dieser Schule der guten Sitten, der Tugend und des Patriotismus, alles vermieden werden müsse, was die guten Sitten beleidigen oder sonst gefährliche Grundsätze in Rücksicht auf gute Ordnung und das Wohl des Staates verbreiten könnte«.

Die unmittelbaren Folgen dieser verschärften Theaterzensur bezeichnet der Wiener Schauspieler Anschütz trefflich mit den Worten: »Man organisirte ein überängstliches Polizeiwesen und als dessen nächsten Ausfluß eine doppelt strenge, völlig unerbittliche Censur, welche platte und frivole Schaustellungen ungehindert passiren ließ, dagegen aber größere und geistreiche Werke in der empörendsten Weise verschnitt, verstümmelte, vom ämtlichen Standpunct bearbeitete und am liebsten ganz von der Bühne ausschloß, denn gerade die vorzüglichsten Geister der Nation, die Classiker, wurden als die verhaßten Vertreter jener gefürchteten Ideen verpönt, welche die Schrecken der französischen Revolution hervorgerufen haben sollen.«

[119]

Eine Maßregelung Lessings.

Der Dichter der »Minna von Barnhelm« und der »Emilia Galotti« stand zu Kaiser Josephs Zeiten zu Wien in hohem Ansehen, und als er sich im Mai 1775 einige Wochen dort aufhielt, wurde er, wie Staatsrat Gebler an Nicolai in Berlin schrieb, »mit solcher Distinktion« behandelt, wie »noch nie ein deutscher Gelehrter, und das von unseren Souverains anzufangen bis auf das allgemeine Publikum«.

Durch seine Polemik gegen die orthodoxe Theologie und durch seinen »Nathan« hatte er es aber dann mit dem offiziellen Wien so arg verschüttet, daß die Direktion des Burgtheaters 1795 einen Beitrag zum Wolfenbütteler Lessingdenkmal verweigerte, weil dieser Dichter »mit seinen Schriften sowohl wider Religion als wider die souveräne Staatsverfassung so schlechte und irrige Lehren seinen allerorten verbreiteten Schülern hinterlassen habe«.

Da jedoch die Direktion schon 1791 den Beitrag versprochen hatte, verfügte Kaiser Franz, daß es dabei zu verbleiben und das Burgtheater 100 Dukaten zu zahlen habe.

Der sittlich entrüstete Schauspieler.

Für kurze Zeit, von Oktober 1797 bis Januar 1799, war auch der meerschweinchenhaft fruchtbare Dramatiker August von Kotzebue Theatersekretär der Wiener Hofburg und besorgte als solcher die dramaturgischen Geschäfte. Da er es bekanntlich mit der Moral nicht so genau nahm, hatte er ohne Bedenken Goethes Lustspiel »Die Mitschuldigen« aufs Repertoire gesetzt. Am 30. Januar 1799 sollte es gegeben werden.

In diesen Wochen aber hatte Kotzebue auf seinen Dramaturgenposten verzichtet, war als »Dichter des Hoftheaters« auf Lebenszeit pensioniert worden, und ein neuer Schauspielerausschuß hatte wieder die Leitung der Burg übernommen. Zu diesem gehörte der berühmte Künstler Brockmann. Ihm war Goethes übermütiges Jugendlustspiel ein Greuel; es sei »zu niedrig, voll Zoten, und man könne es auf keinem Hoftheater geben«, erklärte er. Daraufhin ließ der Schauspielerausschuß noch am Tage der Aufführung, mittag 12 Uhr, die schon aushängenden Zettel entfernen und zog das Stück zurück.

[120]

»Die Mitschuldigen« haben auch nie die Bretter der Burg betreten. 1815 noch versuchte Schreyvogel, sie einzuschwärzen, aber seine der Zensurbehörde eingereichte Bearbeitung kam mit einem ausdrücklichen Verbot versehen wieder an ihn zurück.

Wallenstein im Militärstaat.

Schiller vollendete seine Wallenstein-Trilogie im Jahre 1799 und brachte sie im nächsten Winter auf der Weimarer Hofbühne zur ersten Darstellung.

Nach Weimar war das von Iffland dirigierte Kgl. Schauspielhaus in Berlin das erste Theater, das den »Wallenstein« aufnahm. Aber nur die »Piccolomini« und »Wallensteins Tod«, nicht das »Lager«, an das sich Iffland nicht herantraute. Das Kgl. Theater unterstand damals keiner Zensur, und Iffland hütete sich wohl, etwas zu unternehmen, was die Einsetzung einer besonderen Zensurbehörde hätte veranlassen können.

Nach Rücksprache mit »mehreren bedeutenden Männern« setzte er also dem Dichter auseinander, es sei bedenklich, »in einem militärischen Staate ein Stück zu geben, wo über die Art und Folgen eines großen stehenden Heeres so treffende Dinge, in so hinreißender Sprache gesagt werden. Es kann gefährlich seyn oder doch leicht gemißdeutet werden, wenn die Möglichkeit, daß eine Armee in Masse deliberirt, ob sie sich da oder dorthin schicken lassen soll und will, anschaulich dargestellt wird.«

Er habe deshalb den Ausfall des Vorspiels mit den zu hohen Kosten begründet, auf die Gefahr hin, dieses »platten Grundes« wegen getadelt zu werden. Zugleich beschwor er Schiller hoch und teuer, ja nichts von dem wahren Grund zu verraten, da sonst der »schreibselige Pöbel« alle »Broschüren« mit der Notiz überschwemmen werde, »Wallensteins Lager« sei aus politischen Gründen in Berlin unterdrückt worden.

Schiller antwortete darauf kurz und schlagend: »Das Skandal wird genommen und nicht gegeben«; doch versetzte er sich in Ifflands heikle Lage, deren Erschwerung seine und die gesamte zeitgenössische Dichtung hätte schädigen können, und gab sich mit der Aufführung der beiden andern Teile zufrieden. Am 18. Februar 1799 gingen »Die Piccolomini«, am 17. Mai »Wallensteins Tod« über die Bretter des Kgl. Schauspielhauses.

[121]

Erst vier Jahre später waren die Bedenken gegen »Wallensteins Lager« geschwunden; am 28. November 1803 durfte es seinen Siegeslauf endlich auch in Berlin beginnen, ohne daß von einer bedenklichen Wirkung etwas verlautet hätte. Im Gegenteil! Vor der Schlacht bei Jena mußte »Wallensteins Lager« immer wiederholt werden, weil die Berliner sich im Absingen des Reiterliedes gar nicht genug tun konnten.

Der empfindliche Konsistorialpräsident.

Im dem Örtchen Lauchstädt, wo bekanntlich unter Goethes Theaterleitung das Weimarer Ensemble die sommerlichen Badegäste mit theatralischen Belustigungen zu unterhalten pflegte, hatte man »Wallenstein« im Juli 1799 gegeben, eine Aufführung, die nach des Hofrats Kirms Bericht an Schiller »von Halle und besonders von Leipzig eine Menge Gelehrte und Ungelehrte nach Lauchstädt in Bewegung gesetzt« hatte.

Als man aber 1800 die Aufführung wiederholen wollte, verbot sie der Kanzler des noch zu Kursachsen gehörenden Stifts Merseburg, wenn nicht »der Pfaffe herausgelassen« werde. »Man hat sich in Dresden darüber beklagt,« schrieb der Schauspieler Heinrich Becker an Schiller, »daß man in Lauchstädt einen Ordensgeistlichen im vorigen Sommer auf das Theater gebracht, welcher von den Soldaten verspottet und unter Drohungen fortgebracht wäre: welches der jetzt dirigirende Consistorial-President sehr Uebel aufgenommen hat.«

Derselbe Kanzler verbot im selben Jahr mit Rücksicht auf die zarten Nerven der Lauchstädter Badegäste auch die »Räuber«.

Die gestrichene Freiheit.

Als man auf dem Wiener Burgtheater 1794 Schillers »Verschwörung des Fiesco« wiederholte, machte sie eine so »widrige Sensation«, daß Hägelin in seiner mehrfach genannten Denkschrift von 1795 sehr bestimmt erklärte, dies werde der veränderten Zeitumstände wegen »künftig unterlassen«, denn »Freiheit und Gleichheit sind Wörter, mit denen nicht zu spaßen ist«.

Am 21. März 1800 ließ man das Stück unter dem harmloseren Titel »Fiesco« wieder zu. Die Aufführung ist schon dadurch denkwürdig, daß bei ihr der Name Schiller zum ersten[122] Male auf dem Theaterzettel der Burg genannt wurde. Der Theatersekretär Escherich hatte aber durch eine »Bearbeitung« in sechs Aufzügen dafür gesorgt, daß die Polizei nichts mehr zu beanstanden hatte. Fiesco war von allen politischen Anstößigkeiten gereinigt, sogar vieles in der Fabel geändert. Das »Haupt der Verschwörung«, Fiesco, war nur mehr »Graf von Lavagna«, und die »Verschworenen« und »Mißvergnügten« waren in harmlose »Edle von Genua« verwandelt. Man fand sogar im ganzen Stück das Wort Freiheit nicht mehr, und am Ende mußte die deutsche Garde des Dogen Andreas Doria ihn vom Tode retten. Selbst der Zensor Hägelin besaß Verstand genug, sich über diese Verballhornungen lustig zu machen.

Nach viermaliger Aufführung wurde aber auch diese Bearbeitung vom Polizeipräsidenten als »nicht geeignet« vom Repertoire abgesetzt und erst 1807, nach der neuen Verpachtung der Hoftheater, mit abermaligen Änderungen wieder zugelassen.

Die Polizeifliege.

Der Bearbeiter des »Fiesco«, Escherich, war Adjunkt der Zensurbehörde. Der Wiener Dichter Jos. Fr. Edler von Retzer, der selbst eine Zeitlang bei der Bücherzensur beschäftigt war, nannte ihn in Briefen an Nicolai (15. Juni 1802 und 31. Aug. 1803) eine »Polizeifliege«, ein »thätiges Werkzeug der Obscuranten und unwissenden Bücherbeschauer auf der Hauptmaut in Wien«. Dieser Tölpel wurde 1802 zusammen mit Joseph Schreyvogel zum Burgtheatersekretär ernannt, und seinem irrsinnigen Rotstift fielen vor allem Schillers Meisterwerke zum Opfer, so daß seinem Kollegen Schreyvogel eine Lebensaufgabe daraus erwuchs, diese schauderhafte Patina nach und nach wieder von ihnen zu entfernen.

Das Gebet der Jungfrau.

Schillers »Jungfrau von Orleans« wurde am 27. Januar 1802 auf dem Burgtheater gegeben, aber unter dem Titel »Johanna d'Arc«, den schon das Wort Jungfrau erschien aus religiösen oder sittlichen Gründen anstößig, ohne Namen des Autors und, wie »Fiesco«, in einer sechsaktigen Bearbeitung (der Monolog war Akt 1) des berüchtigten Escherich, der, wie selbst Hägelin meinte, »Personen und Stellen geändert, manche[123] Blätter und Passagen ausgestrichen, Lücken ausgeflickt und alles getan hatte, um ein anderes Stück herzustellen«. Sein Machwerk erschien sogar im Druck. Selbst der damalige Polizeiminister soll darüber so empört gewesen sein, daß er es nur unter dem Namen des Bearbeiters aufgeführt sehen wollte, was aber Escherich zu verhindern wußte. Daß man Schillers Namen verschwieg, war daher wohl mehr ein Akt wohlwollender Rücksicht.

In dieser Escherichschen Verhunzung waren Frankreich und England fast gar nicht mehr genannt; Karl VII., jetzt nur noch König Karl, regierte nicht Frankreich, sondern ein »Reich« im Monde, die Engländer hießen nur die »Inselbewohner« und waren auch nicht mehr »frech«, sondern »kühn«. Der Bearbeiter fürchtete jedenfalls, durch Erinnerung an alte Konflikte die Friedensverhandlungen zu stören, die damals gerade zwischen beiden Ländern im Gange waren und am 25. März zum Frieden von Amiens führten. Auch der um sein Leben bettelnde Walliser Montgomery fiel nicht mehr dem Schwert der Jungfrau, sondern dem Rotstift des Zensors zum Opfer.

Isabeau war nicht mehr des Königs Mutter, sondern nur seine auch sonst von allen sittlichen Makeln gereinigte Schwester, und ihre Treulosigkeit gegen den Bruder wurde sogar dadurch »motiviert«, daß er sich einmal »am Haupt der Schwester« vergangen habe.

Noch weniger als eine unnatürliche Mutter durfte sich eine Mätresse auf dem Hoftheater zeigen. Also wurde des Königs Geliebte Agnes Sorel in seine rechtmäßige Gemahlin verwandelt, und Herzog von Burgund wurde nicht mehr, wie es »Herrenrecht zu Arras« ist, zum Kuß auf die Stirn, sondern nur zum Handkuß bei der jetzt rechtmäßigen Königin zugelassen. Im 3. Akt wurde Johanna zwar noch durch den König geadelt, aber »Du sollst die Lilie im Wappen tragen« wäre gar zuviel Ehre für ein Bauernmädchen gewesen; dieser Vers blieb also fort.

Der sterbende Talbot vermachte auch die Welt nicht mehr dem »Narrenkönig«, sondern dem Narrenfürsten, und die Verse Dunois' an Talbots Leiche:

Erst jetzo, Sire, begrüß ich euch als König!
Die Krone zitterte auf euerm Haupt,
Solang' ein Geist in diesem Körper lebte,

waren gestrichen.

[124]

Der Bastard Dunois war in einen »Prinzen Louis, Vetter des Königs«, verwandelt; nach Hägelins Zensurdenkschrift mußte ja das Wort Bastard vermieden und im Notfall durch »Wechselbalg« ersetzt werden. Erzbischof und Bischöfe waren ganz verschwunden und ihre Reden andern Personen in den Mund gelegt.

Den Feinden war Johanna kein Blendwerk mehr des »Teufels«, höchstens des »Satans«, selbst der derbe Talbot nannte sie einen »jungfräulichen Satan«, und von »Ketzerei« war nicht mehr die Rede, nur von »Irrglauben«; die Heldin wurde auch nicht mehr »verflucht«, nur noch »verwünscht«.

Die Mutter Gottes, die in Johannas Leben die entscheidende Rolle spielt, war ganz beseitigt; nicht die »Königin des Himmels«, die »Heilige« erschien der Jungfrau im Schlaf und gab ihr Fahne und Schwert zur Befreiung ihres Vaterlandes von der englischen Knechtschaft in die Hand, sondern eine anonyme »Lichtgestalt«. Johanna betete nicht mehr:

Wärst du nimmer mir erschienen,
Hohe Himmelskönigin,

sondern:

Hoher Geist der Schäferin,

und ihre Fahne zeigte nicht das Bild der Heiligen, »die über einer Erdenkugel schwebt«, sondern nur einen roten Saum. Johanna selbst war kein »heilig«, nur noch ein »himmlisch Mädchen« oder eine »würdige Prophetin«, und der Krönungszug in Reims mit seinem geistlichen Pomp war völlig abgesagt. Der Schlachtruf: »Gott und die Jungfrau!« lautete jetzt: »Der Himmel und das Recht.«

Außerdem waren alle romantischen Ausschweifungen wie die Erscheinung des schwarzen Ritters beseitigt; ebenso die ganze Köhlerszene.

»Schiller stand damals auf der Höhe seines Ruhmes«, sagt Heinrich Laube. »Er lebte nur noch zwei Jahre und einige Monate, und in solchem Augenblicke hatte das Nationaltheater den Mut, ein neues Stück von ihm so umzuändern, seinen Namen wegzustreichen und eine große Tragödie von ihm so aufzuführen, daß er gar keinen Teil daran zu haben schien und sicherlich auch nicht das kleinste Honorar dafür erhielt, denn ein gedrucktes Stück war vogelfrei für die Bühnen!« –

[125]

»Johanna d'Arc« mißfiel übrigens in dieser Bearbeitung den Wienern sehr und wurde im Frühjahr 1802 nur fünfmal gegeben; dann verschwand sie für achtzehn Jahre vom Repertoire des Burgtheaters. Erst 1820 durfte die richtige »Jungfrau von Orleans« dort erscheinen.

Die Dresdener »Jungfrau«.

Nicht ganz so schlimm, aber ähnlich erging es der »Jungfrau von Orleans« auf dem Hoftheater zu Dresden, das der Hofmarschall von Racknitz leitete. Die dortige Erstaufführung fand am 26. Januar 1802 statt, und Schillers Freund Körner berichtete darüber am folgenden Tage:

»Die Veränderungen waren zahllos und von einer Art, die Du kaum errathen solltest … Racknitz hatte die anstößigen Stellen nur angestrichen, und die Schauspieler, besonders Opitz, hatten andere Lesarten substituirt (!). Nur einige Beispiele: Jungfrau erinnerte zu sehr an Jungfrau Maria, daher war der Titel ›Johanna d'Arc‹, und anstatt: ›Gott und die Jungfrau‹ hieß es: ›Tod den Feinden, Sieg den Franken!‹ – ›Vor diesen fränkischen Weichlingen zu fliehen?‹ hätte den französischen Gesandten beleidigen können; es hieß also: ›vor dieser Handvoll Feinde‹. – Für Gott wurde Himmel, für Teufel: böser Geist gesagt. – Agnes hatte Freundschaft für den König, und in dem 2ten Gebete hieß es anstatt Deiner Agnes Liebe: Deines Volkes Liebe … Sonderbar war indessen, daß der Prinz Anton und die Prinzessin Maria Anna, Schwester des Churfürsten, gedruckte Exemplare mitgenommen hatten, worin sie oft nachlasen.«

»Ein unmoralisches, höchst gefährliches Theaterstück.«

Jahre hindurch hatte man Schillers »Räuber« auf den kleineren Theatern Wiens ihr Wesen treiben lassen, selbst die Furcht vor der Revolution hatte vor diesem Meisterwerk die Segel gestrichen. Natürlich waren nur die früheren, von der Zensur genehmigten Bearbeitungen erlaubt. 1804 wurde Freiherr von Sumerau Präsident der Polizei- und Zensurhofstelle, und eine seiner ersten Regierungshandlungen war ein kategorisches Verbot der »Räuber«, die, wie er am 31. August 1805 zu[126] Protokoll gab, »als ein unmoralisches, alle Bande der Gesellschaft auflösendes, höchst gefährliches Theaterstück, weder nach der Idee des Verfassers noch in irgendeiner Umarbeitung zur theatralischen Vorstellung geeignet« seien.

Kurz vor seiner Amtsentsetzung (20. Juli 1808) aber steckte er ein Loch zurück. Die adligen Unternehmer, die seit 1807 das Hoftheater, das Kärntnertortheater und das an der Wien gepachtet hatten, ließen im Juni 1808 das Stück neu bearbeiten und baten dringend um die Erlaubnis zur Aufführung, »da vorzüglich bei der jetzt eingetretenen Sommerzeit für gute und interessante Spektakel gesorgt werden muß«. Dieser Notschrei der Kavaliere machte Eindruck. Zwar habe sich »von jeher die allgemeine Stimme gegen diese Jugendarbeit Schillers erhoben«, antwortete Sumerau am 13. Juli, aber er sei doch einem Versuch nicht abgeneigt, »ob dieses Stück nicht einen widrigen Eindruck auf das Publikum zurücklasse«. Einige Änderungen wurden noch verlangt, der Titel in »Carl Moor« verwandelt, und in dieser Gestalt das Stück erlaubt.

Von einem »widrigen Eindruck« der »Räuber« melden die Akten der Polizeihofstelle nichts, und der Versuch wurde ebenfalls auf der Leopoldstädter und Josefstädter Bühne gemacht, ohne daß die Ruhe der Kaiserstadt dadurch gestört wurde.

»Franz heißt die Canaille?«

Diese Frage des Räubers Schweizer an seinen Kollegen Roller, als sie den Absagebrief des »zuckersüßen Brüderchens« Franz Moor an Karl lesen, war während der Regierung des Kaisers Franz in Wien streng verboten, denn, meinte der Zensor, »das könnte als eine Anspielung auf Se. Majestät den Kaiser genommen werden«!

Tells Geschoß.

Bei der Weimarer Erstaufführung des »Wilhelm Tell« am 17. März 1804 war der ganze fünfte Akt gestrichen, »weil wir des Kaisermords nicht erwähnen wollten«, wie Schiller an seinen Freund Körner schrieb. Das war zweifellos auf Wunsch Goethes geschehen, der bekanntlich in einem späteren Gespräch mit Eckermann (16. März 1831) die Gegenüberstellung Tells[127] und Joseph Parricidas als eine »kaum begreifliche« Geschmacklosigkeit bezeichnete und auf weibliche Einflüsse zurückführte. Aber auch die vier ersten Akte waren stark verkürzt, viele Personen in wenige verwandelt und zahlreiche »schwierige und bedenkliche Stellen« fortgelassen.

Die erste Berliner Aufführung fand am 4. Juli desselben Jahres statt. Iffland wollte aber nicht nur die Parricida-Szenen, sondern auch den großen Monolog Tells im 4. Akt, »Durch diese hohle Gasse muß er kommen«, gestrichen sehen. Dem aber widersetzte sich Schiller nachdrücklich. Außerdem fand Iffland noch drei andere Textstellen bedenklich, und der Dichter ließ sich überreden, sie nach dem Wunsche des ängstlichen Theaterdirektors zu ändern, obgleich er meinte, ein Sujet wie Tell müsse notwendig gewisse Saiten berühren, »welche nicht jedem gut ins Ohr klingen«.

In der großen Rede Stauffachers im 2. Akt (2. Szene) wurden die Verse »Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden« bis »Der Güter höchstes dürfen wir verteid'gen Gegen Gewalt« abgeschwächt:

Wenn es zum letzten, äußersten gekommen,
Wenn rohe Willkür alles Recht zertritt,
Wenn kein Gesetz mehr hilft, dann hilft Natur,
Das altererbte dürfen wir beschützen
Gegen Gewalt.

In der Unterhaltung Tells mit seinem Sohne Walther (3. Akt, 2. Szene) wurde das ganze Frag- und Antwortspiel, daß Land und Wild und Strom und Meer alles dem Könige oder dem Bischof gehöre, das Volk aber nicht den Segen seiner Arbeit genieße, gestrichen und durch die sinnlosen Verse ersetzt:

Das Land ist frei und offen wie der Himmel,
Doch die's bewohnen sind in große Dörfer
Mit Mauern eingesperrt. Sie nennen's Städte.

Und in der letzten Vision des sterbenden Attinghausen, der den Entscheidungskampf zwischen Adel und Bauerntum vorhersagt, wurde dieser Gegensatz der Stände vorsichtig verwischt. Es hieß nicht mehr:

des Adels Blüte fällt,
Es hebt die Freiheit siegend ihre Fahne,

[128]

sondern:

errungen ist der Sieg,
Hoch triumphierend schwebt die Landesfahne.

Das Verbot des »Fidelio«.

Selbst Beethovens unsterblicher »Fidelio« entging vor seiner Uraufführung nicht dem Zensurverbot! Ein spanischer Minister, der sein Amt zur Befriedigung persönlicher Rache mißbrauchte, und wenn er auch aus dem sechzehnten Jahrhundert stammte – das hätte ja die Achtung der guten Wiener vor den k. k. Hof- und Staatsbeamten untergraben können! Erst als der Verfasser des Textbuches und damalige Hoftheatersekretär Joseph Sonnleithner darauf hinwies, daß der Missetäter ja bestraft, und »durch den Hof« bestraft werde, und der Heroismus der weiblichen Tugend dadurch um so heller strahle, ließ sich der Polizeipräsident von Sumerau »nach einiger Abänderung der grellsten Szenen« erweichen, und die Aufführung durfte am 20. November 1805 im Theater an der Wien vor sich gehen.

Sieben Tage vorher hatten die Franzosen Wien besetzt, und auf das Parterre der französischen Offiziere machte dies Hohelied der Gattentreue wenig Eindruck. Der europäische Erfolg des »Fidelio« setzte erst 1814 ein, als Beethoven sein Meisterwerk neu bearbeitet hatte.

Der Sohn als Neffe.

1807 gelang es endlich den neuen Pächtern der drei Haupttheater Wiens, dem Zensor die Erlaubnis zur Aufführung von Schillers »Kabale und Liebe« abzuzwingen. Aber welche Mißhandlung hatte sich Schillers Meisterwerk gefallen lassen müssen! Wieder war ein Theatersekretär, diesmal Joseph Sonnleithner, darüber gekommen. »Die derben Stellen,« schrieb Fürst Esterhazy am 30. September an den Polizeipräsidenten, »welche sich Schiller in seinen späteren Lebensjahren selbst nicht mehr erlaubt haben würde, sind, darf ich sagen, ebensosehr aus Rücksicht auf den Dichter selbst, als auf den Ton der Sittlichkeit überhaupt weggelassen«. Die »Behutsamkeit« des Bearbeiters ging aber der Polizei noch immer nicht weit genug, vielmehr verlangte Herr von Sumerau, daß noch »manche allzu grelle Tiraden, in welche der Dichter teils das religiöse,[129] teils das sittliche Gefühl beleidigende Ausdrücke legte, entweder ausgemerzt oder gemildert und [mit Rücksicht auf das vierte Gebot] der Vater des Majors in einen Oheim verwandelt werden möchte«! Und so geschah es: aus dem Sohn des Präsidenten wurde der Neffe, und die Wiener Witzbolde Castelli und Bauernfeld erzählten gern von der überwältigenden Wirkung des Ausrufs Ferdinands: »Es gibt eine Gegend in meinem Herzen, wo das Wort – Onkel noch nie gehört wurde!« Diese allzu lächerlichen Stellen waren aber gestrichen.

Ein so niederträchtiger Präsident durfte ebenfalls nicht auf dem Burgtheater erscheinen; man hätte ja am Ende dabei an den Polizeipräsidenten denken können! Er wurde daher in einen »Vizedom« (Vicedominus = Statthalter) verwandelt, und aus dem Hofmarschall von Kalb wurde ein märchenhafter »Obergarderobemeister«, wobei es dann nicht minder schön klang, wenn Ferdinand am Anfang des 4. Aktes wütend in die Szene hineinrief: »War kein Obergarderobemeister da?« Oberhofmeister, Bürgermeister und ähnliche respektable Leute pflegten, wie August Klingemann erzählt, zu protestieren, wenn Leute ihres Ranges auf der Bühne nicht mit den höchsten Tugenden und Verdiensten ausgestattet waren; daher mußten der Zensor oder der Bearbeiter derartige Phantasiechargen erfinden. Der Zensor scheint aber selbst für den Humor dieser Änderung nicht ohne Verständnis gewesen zu sein; sie brachte ihn in so gute Laune, daß er den Obergarderobemeister durch den Sohn oder vielmehr Neffen des Präsidenten nicht, wie Schiller vorschreibt, »mein Allervortrefflichster« anreden ließ, sondern »mein Allerwertester«!

Lady Milford schwebte ebenfalls völlig in der Luft; die Bezeichnung »Favoritin des Fürsten« mußte natürlich fallen, und damit auch jede Stelle des Textes, die ihr Verhältnis zum Fürsten näher bezeichnete, vor allem die Kammerdienerszene. Daß Serenissimus »von einer britischen Fürstin Erbarmen gegen sein deutsches Volk lernen« solle, wie es in dem Billett der Lady an den Fürsten im 4. Akt heißt, war ebenfalls nicht erlaubt.

Das reizendste aber war, daß der schuftige Sekretär Wurm in der letzten Abrechnungsszene, als er seinen Spießgesellen,[130] den Vizedom, preisgibt, diesen keineswegs, wie der Dichter will, als »Kameraden« behandeln, als Bube titulieren und ihm in blutigem Galgenhumor auf die Schulter klopfen durfte, sondern auch da noch den schuldigen Respekt vor dem Vorgesetzten und der Standesperson zu wahren hatte, demnach alle jene groben Verstöße gegen die gute Lebensart fallen mußten!

So zugerichtet erschien »Kabale und Liebe« am 23. Juli 1808 zum ersten Male auf dem k. k. Hofburgtheater, und dieser Unsinn wurde bis 1848 geduldet!

Die unglückliche »königlich spanische Familie«.

Im Herbst 1808 hatte der Hofschauspieler Krüger den in Wien noch nicht zugelassenen »Don Carlos« »bearbeitet« und wollte ihn zu seinem Benefiz auf dem Theater an der Wien geben. Der Vizepräsident der Polizei von Haager aber erhob Einwände, weil »das Verhältnis des Prinzen zum König, seinem Vater, einige entfernte Ähnlichkeit mit den letzten Ereignissen in Spanien« habe, wo Karl IV. und sein Sohn Ferdinand VII. um die Krone kämpften, bis sie Napoleon beide an die Luft setzte und seinen Bruder Joseph zum König von Spanien erhob. Hier standen also nicht nur das vierte Gebot, sondern auch die wandelbaren »Zeitumstände« einer Aufführung im Wege, und selbst der freiheitliche Minister Graf Stadion meinte, daß man es »dem unglücklichen Zustande der königlich spanischen Familie schuldig sei, selbe nicht zum Gegenstand von Beziehungen zu machen, die zwar keineswegs in dem Stück selbst liegen, bei der durch die letzten Ereignisse in Spanien veranlaßten Stimmung des Publikums aber doch schwer zu vermeiden sein würden«.

Am 14. Mai 1809 aber zogen die Franzosen in Wien ein, denen die »königlich spanische Familie« Hekuba war, und während ihrer Herrschaft bis zum November wurde gerade »Don Carlos« die einzige Novität des Burgtheaters. Am 23. August 1809 erfolgte die erste Aufführung.

Ohne Änderungen aber hatte die einheimische Zensur ihn doch nicht passieren lassen. Der Großinquisitor war gestrichen; aus dem Beichtvater Domingo war ein gleichgültiger »Höfling Don Antonio Perez« geworden, eine Änderung, die Schiller[131] selbst für das Hamburger Theater gemacht hatte, die Rolle des ebenfalls gestrichenen Herzogs Alba wurde, so gut es ging, mit der jenes Höflings zusammengezogen, und Carlos durfte beileibe nicht in seine Stiefmutter verliebt sein. Jede Andeutung davon war noch unter Laubes Direktion streng untersagt!

Geßler das Karnickel.

Schillers »Wilhelm Tell« kam erst 1827 aufs Burgtheater, dagegen schon am 30. Mai 1810 aufs Theater an der Wien, das 1814 bis 1817 eine Art Filiale der Burg war. Der Schauspieler Wilhelm Grüner hatte die Bearbeitung übernommen. Wes Geistes Kind sie war, ergibt sich aus dem Gutachten des Zensors von Haager vom 12. Dezember 1809: »Österreich wird gar nicht erwähnt, und kein Schatten fällt auf den Kaiser, sondern alles wird der Tyranei des Vogts Geßler zugeschrieben.«

Schon Hägelin hatte den Schweizerheld Wilhelm Tell und jede Empörung einer Eidgenossenschaft gegen das österreichische Zepter zu den Stoffen gezählt, die seitens der Zensur nicht zu dulden seien. Daß man 1809 ein Stück, worin der Widerstand gegen die hohe Obrigkeit als ein Akt gerechter Selbsthilfe verherrlicht wurde, nicht mehr schroff ablehnte, war immerhin ein Fortschritt. Im übrigen aber hatte sich der Bearbeiter Grüner streng an Hägelins Vorschrift gehalten, die besagte: »Nie darf eine Schuld an den Mängeln der Militärverwaltung auf den Landesfürsten oder den Dienst selbst fallen.« Stets mußte, genau so wie in der hohen Politik, ein Untergebener das Karnickel sein. Der vierte und letzte Akt schloß mit Geßlers Tod.

Auch Grüners Bearbeitung wurde nicht sofort genehmigt, da man auf der Bühne nicht gern an Länder erinnern ließ, die Österreich einst besessen und später verloren hatte und da »die neuesten Ereignisse in Tirol zu gewissen peinlichen Rückerinnerungen Anlaß« gaben. Erst Graf Palffys hartnäckiges Drängen erzielte im März 1810 die Freigabe des Stückes.

Isabellas Ahnungen.

Gegen Schillers »Braut von Messina« hatte der Wiener Zensor im Januar 1804 nichts weiter einzuwenden, als daß[132] das Innere einer Kirche auf dem Theater nicht vorgestellt werden könne, sondern diese in eine Familiengruft wie in »Romeo und Julia« umzuwandeln sei. Dennoch verbot der Polizeipräsident die Aufführung.

Als die Tragödie endlich zum 23. Januar 1810 freigegeben wurde, mußten die Worte »Kirche« und »Kloster« in »Tempel« und »Eiland« (!) verwandelt werden, und im 4. Aufzug mußte Isabella statt

So haltet ihr mir Wort, ihr Himmelsmächte!

ausrufen:

So haltet ihr mir Wort, ihr Ahndungen!

Denn, sagte schon Hägelins Zensurkatechismus von 1795, an der Vorsehung darf nur dann gezweifelt werden, wenn die handelnde Person sich selbst korrigiert oder von andern widerlegt wird!

»Egmont« in Wien.

Zu den klassischen Werken, welche die Kavalierdirektion des Wiener Burgtheaters der Polizei abzutrotzen wußte, gehörte auch Goethes »Egmont«, der am 24. Mai 1810 seine dortige Uraufführung erlebte. 1795 hatte Hägelin die Rebellion der Vereinigten Niederlande als unzulässig auf dem Burgtheater bezeichnet. 1810 endlich erklärte die k. k. Hof- und Staatskanzlei (Graf Metternich), daß gegen »Egmont« keine Bedenken bestünden. Jedoch mußten die Worte »Franzosen«, »wälsche Hunde«, »wälsche Majestät« und »vierzehn neue Bischofsmützen« ersetzt werden durch die Ausdrücke »der Feind«, »die fremden Hunde«, »welsche Regierung« und »vierzehn neue Kirchenvorsteher« (!). Und statt der »Freiheit« mußten die unruhigen Bürger Brüssels die »Freundschaft« leben lassen!

Wallensteins Reinigung.

Gleich nach Erscheinen des »Wallenstein« machte sich der Wiener Zensurbeamte und berüchtigte »Verhunzer« zahlreicher Klassiker, Escherich, auch an eine »Bearbeitung« dieses Werkes. Aber selbst ihm gelang es nicht, den widerspenstigen Stoff nach dem gewohnten Zensurrezept zurechtzuschneidern, denn den Hauptanstoß konnte auch er nicht beseitigen. Alle Begebenheiten der[133] vaterländischen Geschichte, deren »Ausschlag diesen Regenten nachtheilig ist«, jede Empörung gegen einen Regenten überhaupt, war ja nach den Grundsätzen der Burgtheaterzensur ausgeschlossen. Die »höhere Entscheidung« fiel denn auch ablehnend aus. Ebenso ging es 1810, als die Hoftheaterdirektion nur die »Piccolomini« der Zensur einreichte. Graf Metternich, der spätere allmächtige Minister, erklärte seitens der geheimen Hof- und Staatskanzlei, das Stück sei »keineswegs zur öffentlichen Darstellung geeignet«.

Erst am 1. April 1814 durfte Schillers Meisterwerk »in die Kürze gezogen und für einen Abend eingerichtet von H. W-r« auf dem Burgtheater erscheinen, nachdem Hofrat Friedrich Gentz, die rechte Hand Metternichs, das »von allen anstößigen Stellen gereinigte« Trauerspiel noch einmal durchgesiebt und am 9. Februar zu Protokoll gegeben hatte, daß man in politischer Hinsicht »gegen keine einzelnen Stellen des Stückes« in dieser Fassung mehr etwas erinnern könne. Die Bedenken gegen das Ganze waren also auch jetzt nicht völlig beseitigt.

Das Vorspiel »Wallensteins Lager« aber war der Kapuzinerpredigt wegen von Wiener Bühnen bis 1848 ausgeschlossen.

Maria Stuart – Maria Antoinette.

Als Schillers »Maria Stuart« 1801 erschien, wurde sie in Österreich sofort verboten, aber der Intelligenz »erga schedam« (gegen persönlichen Erlaubnisschein) zur Lektüre gestattet; in den »Gesammelten Werken« des Dichters beanstandete man sie nicht weiter.

Die Hinrichtung eines gekrönten Hauptes und die religiösen Elemente des letzten Aktes schlossen Schillers Drama vom damaligen Wiener Hofburgtheater natürlich aus.

In Prag wagte man sich gleichwohl schon am 17. Juni 1804 an die Aufführung, und zwar nach einer Bearbeitung, die auch das Dresdener Hoftheater angenommen hatte. Als aber daraufhin 1805 der Wiener Polizeipräsident von Sumerau die Aufführung auch für Wien befürwortete, stieß er auf den energischen Widerstand des Kaisers.

Die »Theater-Unternehmungs-Gesellschaft« streckte aber ihre Hände auch nach »Maria Stuart« aus. Der Leiter des[134] deutschen Schauspiels, Graf Palffy, kam in immer erneuten Eingaben auf dieses Werk zurück. Der Zensor von Haager sogar befürwortete die Aufführung, obgleich die Hinrichtung Marias »an ein ähnliches unglückliches Ereignis der jüngsten Vergangenheit« erinnere.

Doch der Kaiser blieb unzugänglich: an das Schicksal seiner Tante Maria Antoinette wollte er nicht gemahnt sein. Haager wurde geradezu beredt in der Verteidigung Schillers; die Haupttendenz des Stückes, legte er 1812 dem Kaiser dar, könne zwar nicht verwischt werden, Marias leichtsinniges Leben, die Geschichte ihrer vielen Männer und Liebhaber komme zur Sprache, aber sie sei »ganz Reue und Ergebung und sterbe auf dem Schafott als ein Opfer der neidischen und herrschsüchtigen Elisabeth«; »die in katholischen Ländern nicht zuzulassenden, sehr verwerflichen Szenen, wo sie kurz vor ihrem Tode beichtet«, seien leicht zu beseitigen.

Aber dreimal, 1810, 1812 und 1813, lehnte der Kaiser ab. Da versammelte der Wiener Kongreß in der österreichischen Hauptstadt »beinahe alles, was Europa Großes und Glänzendes enthält«; das fremde Publikum verlangte »Spektakel, die eines so außerordentlichen Zeitpunktes doch nicht ganz unwürdig seien«; die Finanzen des Hoftheaters waren aber so herunter, daß Graf Palffy, seit März dieses Jahres alleiniger Pächter, vor dem Ruin stand; in einer beweglichen Eingabe vom 25. September 1814 legte er seine mißliche Lage dem Kaiser dar und bat um die Freigabe einer ganzen Reihe von Stücken, die »die Strenge der Zensurnormalien« bisher verboten hatte. Darunter war »Maria Stuart«, und am 20. Oktober gestattete endlich Kaiser Franz die Aufführung der Tragödie unter der Bedingung, »daß alle in diesem dramatischen Werke vorkommenden Anstößigkeiten sorgfältig gehoben und durchaus gestrichen werden«.

Daraufhin ging »Maria Stuart« am 29. Dezember 1814 in der Prager Bearbeitung auf dem Wiener Burgtheater zum ersten Male in Szene, volle vierzehn Jahre nach ihrer Uraufführung in Weimar.


[135]

7. Kleine Kulissengeheimnisse der Theaterzensur.

Die lästigen Autoren.

»Felix, oder: Die Laune des Zufalls« hieß ein Manuskript, das ein unbekannter Autor im Jahre 1802 der Wiener Zensur für die Leopoldstädter Bühne einreichte. Da es beanstandet wurde, ließ sich der Verfasser die Mühe nicht verdrießen, es nach dem polizeilichen Sittenkodex umzuarbeiten.

In neuer Aufmachung unterbreitete er es zum zweiten Male dem Zensor, und dieser – jedenfalls der alte Hägelin – gab es seiner vorgesetzten Behörde mit dem charakteristischen Stoßseufzer weiter: »Es ist ein Jammer, was die Zensur in solchen Fällen von hier befindlichen Autoren für Plagen auszustehen hat, weil diese jungen Leute ein kleines Geld sich verdienen wollen.«

Anständigere Eselsohren.

Ausdrücke wie Ehebruch, Hörner tragen usw., die »keusche und gesittete Ohren« beleidigen konnten, mußten auf dem Wiener Burgtheater fortfallen. 1802 wurde in einem romantisch-komischen Singspiel »Das Zauberschwert« auf Verlangen der Zensur »das Hirschgeweih, das der Autor dem Knappen Pitschili gegeben hatte, in anständigere Eselsohren verwandelt«.

Ein falscher Reim.

Von dem Freiherrn von Haager, der seit 1803 Hofrat, später Präsident der Polizei- und Zensurhofstelle in Wien war, erzählt der österreichische Humorist Castelli: Er war so übel nicht, aber er hatte seine eigenen kleinen Marotten. So durfte unter ihm der Ausruf »O Gott!« nur auf den Hoftheatern gesprochen werden; in Stücken der Vorstadtbühnen wurde der liebe Herrgott immer gestrichen und dafür »O Himmel!« hingeschrieben. Am spaßigsten nahmen sich solche Korrekturen an Stellen aus, die gereimt waren. Da hieß es z. B. in einem Drama Castellis:

[136]

Treibe nicht mit Heil'gem Spott,
Und bedenk', es lebt ein Gott!

Der Zensor verbesserte kaltblütig:

Und bedenk', es lebt ein Himmel!

Ein Feind der Zweideutigkeiten.

Der gute alte Haager war auch, und gewiß mit vollem Recht, ein Feind aller Zweideutigkeiten. Wo er eine witterte, suchte er ihr mindestens ein Mäntelchen umzuhängen; er tat das aber meist so ungeschickt, daß dadurch eine größere Zweideutigkeit zum Vorschein kam. So änderte er z. B. »Sie besitzt einen weißen üppigen Busen« um in »Sie ist vorne sehr schön gebaut«.

Selbst Anmerkungen des Soufflierbuchs, die nur den Schauspieler betrafen und gar nicht gesprochen wurden, verletzten oft sein Zartgefühl; so litt er nie die Worte: »Er küßt sie«, sondern verbesserte dafür stets: »Er gibt ihr einen Kuß.«

Ottokar, Attila und Napoleon.

Als nach dem unglücklichen Frieden von Preßburg (26. Dez. 1805) die Franzosen aus Wien abgezogen waren, schrieb der Hofschauspieler Ziegler ein Stück »Thekla, die Wienerin«, das den Kampf Kaiser Rudolfs von Habsburg gegen König Ottokar von Böhmen im Jahre 1278 zum Gegenstand hatte.

Die Aufführung wurde aber am 30. April 1806 auf Geheiß des Kaisers verboten, aus Furcht, die französische Botschaft könne in dem gehässig geschilderten Ottokar und seinen Böhmen eine Anspielung auf Napoleon und die Franzosen sehen.

Erst drei Jahre später, als Österreich aufs neue den Krieg gegen Frankreich erklärt hatte (9. April 1809), wurde die Aufführung im Burgtheater gestattet.

Derselben Angst fiel 1807 Zacharias Werners »Attila« zum Opfer, obgleich der Dichter sein Ehrenwort gab, daß er dabei nicht im entferntesten an Napoleon gedacht habe. Erst nach völliger Umarbeitung durfte es Ende 1809 gegeben werden, da der Zensor Armbruster jetzt versichern konnte, »daß man auch an den Haaren keine Parallele herziehen könne«.

[137]

»So kriegt man die Luise.«

»Mord und Totschlag, oder: So kriegt man die Luise«, so lautete der ulkige Titel eines Lustspiels, das ein Wiener Theater aufführen wollte, just nachdem sich eben Napoleon mit der Tochter des Kaisers Franz, der Erzherzogin Maria Luise, verlobt hatte. Die Hochzeit fand am 1. April 1810 statt. Natürlich wurde das Stückchen verboten.

Kurz vorher war es Kotzebue mit seinem Stück »Sorge ohne Not« ebenso ergangen, nur daß hier der Zensor auf eigene Gefahr den Staatsmann gespielt und die Erstaufführung am 11. Januar 1810 erlaubt hatte. »Wer der Urheber der unglücklichen Zeiten sei, darüber kann kein Zweifel herrschen«, meinte er, und die Mißstimmung gegen den ehrgeizigen und unersättlichen Weltstürmer müsse von Staats wegen mit allen Mitteln geschürt werden. Dieses ausnahmsweise intelligente Urteil bekam ihm aber schlecht: er erhielt einen scharfen Verweis, und das Stück mußte sofort vom Spielplan verschwinden.

Von jetzt an durfte auch in Österreich von Napoleon nur mit der größten Hochachtung gesprochen werden. An dieser Courtoisie hielt man dort fest, solange Kaiser Franz lebte, und was irgendwie Erinnerungen an Napoleon weckte, mußte sich auf die heftigsten offenen und mehr noch versteckten Widerstände gefaßt machen. Das sollte vor allem Franz Grillparzer, Österreichs größter Dichter, erfahren, als er 1823 »König Ottokars Glück und Ende« dem Burgtheater einreichte.

Spiel bringt Gefahr.

Am 13. Dezember 1810 wurde Hamburg nebst Bremen, Lübeck, Oldenburg und einem Teil von Hannover dem französischen Kaiserreich einverleibt, und die Willkür des Feindes schaltete nun auch in den Hansestädten nach Belieben. Vor allem in Hamburg vollführte Marschall Davoust ein wahres Schreckensregiment.

Während dieser Zeit brachte das Hamburger Stadttheater ein Stück »Spiel bringt Gefahr« von F. L. W. Meyer aus Bramstedt. Darin kam ein Lied auf das Kartenspiel vor, dessen Schlußvers lautete:

Und alles erbeutet der Bube!

[138]

Ein Denunziant benachrichtigte nun die französische Behörde, mit dem »Buben« sei keineswegs die Spielkarte, sondern – der Kaiser Napoleon gemeint! Daraufhin wurde der Theaterdirektor Herzfeld sogleich zur Verantwortung gezogen, und aus diesem nun doppelt gefährlichen Spiel befreite ihn nur die Versicherung: das Lied sei extemporiert gewesen.

Die Kontinentalsperre.

Seit jenem Vorfall hatte die französische Behörde ein scharfes Auge auf das Hamburger Theater. Schon der Name eines mißliebigen Autors genügte, um seine Stücke vom Repertoire zu streichen. Worte wie Vaterland, Freiheit, Tyrann, Unterdrückung usw. wurden nicht mehr geduldet, wo sie auch vorkamen; mit besonderer Sorgfalt aber tilgte der französische Zensor jede Erwähnung der Mächte, mit denen Frankreich damals im Kriege lag, vor allem Englands, gegen das Napoleon die Kontinentalsperre erklärt hatte. Obgleich Schiller eine »Jungfrau von Orleans« geschrieben hatte, wurde seine »Maria Stuart« ganz verbannt, weil sie in England spielte. Kotzebues »Brief aus Cadix« mußte nun »aus Marseille« kommen, und seine »Indianer in England« wurden nach Irland übergesiedelt.

Der unmoralische Theodor Körner.

Körners Lustspiel in Alexandrinern »Die Braut« kam am 17. Januar 1812 auf dem Burgtheater zur Aufführung, brachte aber dem Vizepräsidenten der Polizei- und Zensurhofstelle von Haager als verantwortlichem Zensor eine heftige Rüge ein. Kaiser Franz erklärte, es genüge nicht, wenn anstößige Stellen gestrichen würden, sondern es sei »weit wichtiger, Stücke zu verhindern, deren ganze Tendenz unmoralisch sei, und in denen die ehrwürdigsten Verhältnisse, z. B. zwischen Eltern und Kindern, wie dies in der neuen Piece ›Die Braut‹ geschehe, herabgewürdigt und lächerlich gemacht würden«.

Als Haager am 4. März ganz bescheiden und »unmaßgeblich« darauf remonstrierte, kam er vom Regen in die Traufe: der Kaiser verbot das Stück ausdrücklich mit der bösen Note, er habe sich von der Zensurstelle »ein richtigeres Urteil über den Wert dieses Stückes versprochen«.

[139]

Ein Theaterskandal in Wien.

Die schärfste Aufmerksamkeit der Zensur verhinderte gleichwohl nicht, daß in einer mit Politik so geladenen Zeit wie dem Jahre 1812 dieser Explosivstoff auch ins Theater drang und in der heißen Stimmung des Publikums unversehens zündete.

Seit der Zeit Maria Theresias war Voltaires »Mahomet« auf dem Burgtheater mehrfach aufgeführt worden, ohne irgendwie Anstoß zu erregen, denn Mahomet war ja ein »Pfaffe heidnischer Religionen«, die der Zensor der Willkür des Dichters preiszugeben pflegte, wenn darin nicht etwa Anspielungen auf das Christentum wie Fußangeln verborgen lagen.

Nachdem Goethe, um seine Weimarer Schauspieler an die Verssprache zu gewöhnen, 1799 das Werk Voltaires in meisterhafte deutsche Jamben übertragen hatte, war diese Neuschöpfung ebenfalls vom Burgtheater übernommen worden, und im April 1812 fiel es der Leitung des Theaters an der Wien plötzlich ein, das Stück aufs Repertoire zu setzen.

Das nichtsnutzige Publikum sah aber nun in dem Helden Voltaires nur immer Napoleon und belohnte jeden Vers, der auf die Gegenwart zu passen schien, mit stürmischem Beifall. Welchem lebenden Dichter hätte auch der Zensor Worte erlaubt wie die Frage Sopirs in dem Voltaireschen Stück:

Und jeder muthige Betrüger dürfte
Den Menschen eine Kette geben? Er
Hat zu betrügen Recht, wenn er mit Größe
Betrügt?

Und bei der Anklage gegen Mahomet:

Auf deinen Lippen schallt der Friede, doch
Dein Herz weiß nichts davon

schien die Bühne zum Tribunal zu werden. Die Worte verursachten eine politische Demonstration, wie man sie in jenen heiligen Hallen, wo man die Rache nicht kennen wollte, noch nicht erlebt hatte.

Glücklicherweise stand an diesem Abend die Loge des französischen Gesandten leer.

In Paris wurde zur selben Zeit Voltaires »Mahomet« tagtäglich unter den Augen Napoleons gegeben.

[140]

Die schöne Luise.

Pius Alexander Wolffs Schauspiel »Preciosa« wurde 1812 in Berlin verboten, weil statt harmloser Zigeunerromantik eine »wirkliche Räuberbande« darin ihr Wesen trieb und damals gerade in der Umgegend Berlins eine 130 Köpfe zählende Mordbrennerbande gefangen worden war, unter der die Hauptbrandstifterin, die »schöne Luise, die aus Kinderfett Brandlichter machte«, wegen ihrer Schönheit und verbrecherischen Naivetät die größte Neugier erregte. Iffland hatte als Leiter des Kgl. Schauspielhauses deshalb nicht gewagt, selbst über die Aufnahme des Stücks zu entscheiden, sondern es der Zensur eingereicht, die die Aufführung nicht erlaubte.

Diesmal gereichte das Zensurverbot dem davon betroffenen Werk zum Glück, denn erst später schrieb Carl Maria von Weber dazu die Musik, die auch den Text unsterblich machte, der sonst längst vergessen wäre. In dieser Vertonung fand die erste Aufführung der »Preciosa« auf dem Berliner Hoftheater am 14. März 1821 statt.

Gefährliches Spielzeug.

In einem Stück »Fehlgeschossen« von Costenoble, das am 12. Oktober 1812 auf dem Theater an der Wien aufgeführt wurde, zeigt ein Drechsler Kindern Spielzeug und erläutert es ihnen mit den Worten: »Hier ein Hase, dort ein gesternter General.« Diese Worte wurden von einem »Geheimagenten« beanstandet und mußten daraufhin gestrichen werden.

Das »jüngste Gericht« ohne Jesus.

Als der Komponist Ludwig Spohr am 21. Januar 1813 in Wien sein Oratorium »Das jüngste Gericht« aufführte, wurden die Namen Jesus und Maria im Personenverzeichnis beanstandet. Nach langen Verhandlungen wurde der Druck des Textes nur mit Auslassung jener Namen erlaubt. Spohr gab sich damit zufrieden, weil sich jeder Leser aus dem Inhalt leicht die fehlenden Namen ergänzen konnte.

Vaterländische Schauspiele.

Sofort nach dem Abzug der Franzosen aus Berlin und dem Einmarsch der Russen Anfang März 1813 reichte Achim[141] von Arnim dem Berliner Hoftheater ein vaterländisches Schauspiel »Die Vertreibung der Spanier aus Wesel im Jahre 1629« zur Aufführung ein; bei der Aktualität des Stoffes durch die neue erlösende Wendung des europäischen Krieges drang er natürlich auf baldige Aufführung.

Mit vaterländischen Schauspielen wußte man aber damals in Berlin ebensowenig anzufangen wie in Wien. Heinrich von Kleists »Prinz Friedrich von Homburg« und seine »Hermannsschlacht« existierten für die Bühne nicht. Wie konnte Arnim da Besseres für sich und sein Stück erhoffen! Iffland als Direktor des Theaters wagte auch keinen selbständigen Entschluß, sondern fragte erst die den abwesenden Staatskanzler vertretende Oberregierungskommission, ob sie nichts dagegen habe. Wider Erwarten erteilte die Kommission die Erlaubnis, da dem Stück »historische Wahrheit« zugrunde liege, obgleich »allerdings Anspielungen auf die Bedrängnisse vorkämen, welche Deutschland und Preußen von den Franzosen erlitten« habe. Dennoch konnte Iffland nicht das Herz fassen, das Werk aufzuführen.

Auch in Wien, wo Clemens Brentano sich dafür verwandte, drang es nicht durch, obgleich es schon der Zensor in der Mache gehabt hatte. Die Zensurhofstelle hatte dabei allerhand lustige Änderungen vorgenommen, von denen Brentano am 5. April 1814 dem Freunde Arnim einige verriet. Eine Szene, in der von Brutus, dem Mörder Cäsars, die Rede war, wurde ganz gestrichen. »Was wird der Mensch in der Sklaverei, ein rechtes Vieh« hieß es in einem andern Auftritt; diese echt Arnimsche derbe Wendung ging dem Wiener Zensor wider die Haare; er schrieb dafür die hochtrabenden Worte hin: »Wie sinket die Würde der Menschheit unter eisernem Scepter.« Und den burschikosen Vergleich: »Sie ist so dumm wie ein Ochs« hatte der höfliche Mann auch nicht zugelassen, sondern die letzten drei Worte einfach gestrichen.

»Auf der Alm, da gibt's ka Sünd.«

In einer Posse: »Die Pantoffelmacherin« von Told wurde bei der Aufführung auf einem Wiener Theater die Gräfin von Molkenflur in eine »Frau von«, der Edle von Wiesenklee[142] in einen bürgerlichen Wiesenklee umgetauft, und in einer Gesangstrophe änderte der Zensor die Verse eines Mädchens:

Und spricht dann nach der Jagd
Der Jager bei mir ein,

folgendermaßen um:

Und spricht wohl öfters unter Tags
A Gamsel (!!) bei mir ein.

Das Madonnenbild.

Oehlenschlägers vielgespielter »Correggio« wurde in Wien verboten, weil darin ein Madonnenbild vorkommt.

Auf Empfehlung des Zensors von Haager entschied der Kaiser am 8. Dezember 1814: »Wenn in dem Trauerspiele ›Correggio‹ dem Bilde, welches dieser malt, eine bestimmte profane Benennung, z. B. aus der fabelhaften Götterlehre, gegeben wird; wenn alle Anspielungen auf Maria, Johannes, Magdalena, und überhaupt auf Bilder der Heiligen, wie auch der Altar in der Eiche vor der Hütte des Einsiedlers wegbleiben, und wenn Äußerungen, wie z. B. Jesus, Maria, Mutter Gottes, vor dem schönen Bilde der Magdalena knien und beten usw. gestrichen werden, so kann die Aufführung des Stückes gestattet werden.«

Der Altar wurde dementsprechend auf ein kleines Bild reduziert, das Knien und Beten in »andächtige Betrachtung« verwandelt, die Namen Jesus und Maria durch gleichgültige Ausrufe und das Madonnenbild durch das – der Familie des Malers ersetzt! Nun stand der Aufführung nichts mehr im Wege; sie fand am 30. August 1815 statt.

»Ein König darf nicht lächerlich gemacht werden.«

Der österreichische Humorist Castelli hatte für ein Wiener Possentheater einen travestierten Lear geschrieben. Die Zensur verbot aber die Aufführung mit der Begründung, ein König dürfe nicht lächerlich gemacht werden.


[143]

8. Im Banne Napoleons.

»Im Kriege erträgt man die rohe Gewalt, so gut man kann, man fühlt sich wohl physisch und ökonomisch verletzt, aber nicht mehr moralisch.«

Goethe, Aus meinem Leben. III, 12.

Napoleon und die Presse.

Die Wirksamkeit der Presse hat keiner besser zu würdigen gewußt als Napoleon. Auf seinem politischen Schachbrett vertraten die Zeitungen mindestens die Schar der Bauern. Das Wort Preßfreiheit, das er als Konsul oft im Munde führte, war allerdings nur eine Redensart, ein Aushängeschild, das er rücksichtslos beiseite warf, als er auf der Höhe seiner Macht stand, und wohin er als Eroberer seinen Fuß setzte, behandelte er die gegnerischen Blätter wie eroberte Geschütze, die man einfach umkehrt und gegen ihre früheren Besitzer abfeuern läßt. Wehe dem Schriftsteller oder Verleger, der dabei auch nur mit der Wimper gezuckt hätte! Das Schicksal des Nürnberger Buchhändlers Palm, den Napoleon als den Verleger und mutmaßlichen Mitverfasser der Schrift »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung« am 26. August 1806 erschießen ließ, stand als warnendes Blutmal vor aller Augen. Ein Federstrich des Kaisers beseitigte im Jahre 1810 sämtliche politischen Zeitungen Badens bis auf eine, ebenso in Frankfurt; als er im Dezember 1810 Hamburg seinem Reiche einverleibte, mußten neun Zeitungen dort ihr Erscheinen einstellen. Was übrigblieb, wurde einfach in französische Blätter verwandelt oder mußte taktfest einstimmen in den Posaunenchor, den er dirigierte. Durch die geknebelte Presse diskreditierte er seine Feinde, hob er seine Soldaten in den Himmel, fälschte er die Kriegsberichte, daß selbst aus der Schlacht bei Leipzig ein großer Sieg der französischen Waffen wurde, und ließ er vor allem über sich selbst des Lobes unendliche Fluten ergießen. Wie zahllose Völker Europas, zwang er auch die öffentliche Meinung mit brutaler[144] Gewalt zur Bundesgenossin, und diese Hilfstruppen wußte er mit genialem Geschick immer da einzusetzen, wo er sie brauchte.

In diesem Sinne bedeutete für ihn die Presse in der Tat die »fünfte Großmacht«, wenn ihm auch dieses oft zitierte Wort mit Unrecht zugeschrieben wird.

Presse und Regierung in Deutschland.

Von dieser Großmachtstellung der Presse waren aber die deutschen Regierungen jener Zeit noch wenig überzeugt, und Napoleon mußte auch hierin ihr Lehrmeister werden. Den deutschen Behörden galt die Presse immer noch als ein Pech, mit dem man sich besudelte, wenn man es anfaßte. Sie war das enfant terrible, für das nur die Rute gut war, um sein vorlautes Dreinreden zu zügeln. Am liebsten hätte man ihm überhaupt den Mund verstopft, denn es lebte ja durch und für die Öffentlichkeit, die man haßte. Das Mysterium der Staatsregierung vollzog sich hinter einem dichten Vorhang; statt ihn ab und zu hochzuziehen, um die schaugierige Menge wenigstens durch ein lebendes Bild zu befriedigen, wurde jeder als Hochverräter behandelt, der es wagte, den Vorhang mit dreister Hand zu lüften.

Das ungeheuer umfangreiche Aktenmaterial, das über die Behandlung der Presse in den Kriegsjahren 1806 bis 1815 verschrieben wurde, hat vor allem ein Kennzeichen: der übelste bürokratische Ton feiert darin wahre Orgien. Alle diese meist hohen Beamten arbeiteten ihren Vorgesetzten immer zu Dank, wenn sie in jeder Wendung ihres Konzeptes der tiefsten Verachtung der Presse und ihrer dienstbaren Geister, mochten sie auch Arndt oder Schleiermacher oder Görres heißen, kräftigsten Ausdruck liehen und an den Leuten der Feder ihr trauriges Mütchen kühlten. Dieser Schriftwechsel der Minister unter sich ist eine Sammlung vollendeter Verbalinjurien ersten Ranges.

Von einer auch nur notdürftigen Versorgung der Presse mit Nachrichten war nicht die Rede. Was über die politischen Ereignisse, die Maßregeln und Ziele der Regierungen durchsickerte, wurde im Haarsieb der Zensur zu einem winzigen Häuflein Staub zerrieben. Die damaligen Zeitungen sind daher die allerkläglichsten Meilenzeiger der deutschen Geschichte. Nur das Ausland überließ man den Journalisten als fette Weide, und[145] da es zu jener Zeit in Frankreich am lebhaftesten zuging, so war die deutsche Presse durch eine fehlerhafte geistige Rationierung längst mit französischem Geiste durchsetzt, ehe dieser durch Napoleon eine politische Gefahr für Deutschland wurde.

So kann es nicht Wunder nehmen, daß die völlig unorganisierte, jedes nationalen Haltes entbehrende deutsche Presse jener Gefahr hilflos gegenüberstand und vor ihrem Ansturm kläglich die Waffen streckte.

»Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!«

Die Schlacht bei Jena hatte am 14. Oktober 1806 Preußens Niederlage entschieden. Vier Tage später klebte in den Straßen Berlins der bekannte Anschlagzettel, der mit den Worten begann:

»Der König hat eine Bataille verlohren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht.«

Der Gouverneur der preußischen Hauptstadt, der diese Worte prägte, Graf von der Schulenburg-Kehnert, besaß aber selbst diese Ruhe nicht und flüchtete mit der Regierung und dem königlichen Hof nach Ostpreußen in den Schutz des russischen Verbündeten. Auch der bisherige Berliner Zeitungszensor Renfner, der schon seit 1792, der Zeit Wöllners, dieses Amt verwaltete, hatte sich dorthin in Sicherheit gebracht.

Schulenburgs Nachfolger Fürst Hatzfeld gab nun die Losung aus: »Unsere Aussichten müssen sich nicht über dasjenige entfernen, was in unsern Mauern vorgeht!« Dafür sorgten dann schon die Franzosen, die am 24. Oktober in Berlin einrückten.

Im Dienst des Feindes.

In den vom Feinde eroberten Provinzen Preußens herrschten nun das fremde Gesetz und die Willkür des Siegers. Getreu seiner Gewohnheit, sich in erster Reihe aller Organe des öffentlichen Lebens zu versichern, riß er in Berlin sofort die Zensur aller Drucksachen an sich. Schon am 27. Oktober, dem Tage des Einzugs Napoleons, ließ der französische Kommandant von Berlin, Hulin, dem Zensor für historisch-politische Schriften melden, daß die politische Zensur nunmehr von der französischen Behörde ausgeübt werde. Zwei Tage später beschied der französische Kommissar Baron Bignon, der schon 1801–04 Geschäftsträger[146] in Berlin gewesen war, das Terrain also gut kannte, die Herausgeber der beiden politischen Tageszeitungen zu sich, um sie zu instruieren. Worin diese »Instruktion« bestand, zeigte sich bald; die Zeitungen waren von jetzt an in fremdem Dienst: sie brachten die Lüge von dem begeisterten Empfang Napoleons durch die Berliner Bürgerschaft, druckten die Bulletins der Großen Armee wortgetreu ab, verherrlichten die Waffentaten »unserer siegreichen [französischen] Truppen«, verspotteten das preußische Militär und erniedrigten sich sogar zu verleumderischen Angriffen gegen König und Königin, die als Feinde Napoleons jetzt auch ihre Feinde sein mußten. Der geradezu im Solde der Franzosen stehende täglich erscheinende »Neue Telegraph« von Hofrat Dr. K. J. Lange (ehemals Davison) durfte es unter dem Gelächter der französischen Kavaliere wagen, der Königin Luise ein Verhältnis zu Kaiser Alexander anzudichten. Diese Haltung der Berliner Presse, die sogar nach dem Wiederabzug der Franzosen noch eine Weile die gleiche blieb, verziehen ihr der König und die preußischen Patrioten nie; Graf Alexander von Dohna war der Meinung, die Zeitungen hätten lieber eingehen müssen, als »Schmähungen auf die vaterländische Regierung« aufzunehmen. Noch 1814 brachte er als Gouverneur in Königsberg diese sklavische Nachgiebigkeit der Berliner Presse in peinlichste Erinnerung (vgl. S. 202).

Französische Zensur.

Baron Bignon übte die Zensur der Zeitungen und politischen Schriften mit großer Sorgfalt selbst aus. Artikel, die ihm nicht paßten, schnitt er aus den Korrekturabzügen heraus; die Abzüge mußten außerdem am Erscheinungstage der betreffenden Nummer an ihn zurückgegeben werden, so daß Redakteure und Verleger nicht einmal Beweisstücke in Händen behielten für das, was ihnen die französische Zensur zumutete.

Von allen neu erscheinenden Schriften mußten regelmäßig Verzeichnisse vorgelegt werden. Politische Schriften, soweit Bignon sie nicht selbst zensierte, übergab er dem Prediger an der französischen Kirche, Hauchecorne, der ihm schon früher befreundet war und sich dieser Tätigkeit mehr als willig unterzog. Nur was harmlos erschien, wurde den bisherigen Zensoren zugestellt.

[147]

Krieg und Moral.

Was nicht parierte, wurde beseitigt. Der von August von Kotzebue und Garlieb Merkel 1804 begründete »Freimüthige«, der bis zuletzt seinem Namen Ehre zu machen wagte, stellte unmittelbar vor der Ankunft der Franzosen sein Erscheinen ein. Erst im Januar 1808 wurde er fortgesetzt, aber schon im Februar stand sein jetziger Herausgeber August Kuhn unter Polizeiaufsicht, und im März traf ihn wegen eines Artikels »Nemesis« ein neues Verbot. Von April 1808 ab durfte er wieder erscheinen und bewahrte auch jetzt noch in allem, was den preußischen Staat betraf, eine tapfere patriotische Haltung.

Ein anderes Unterhaltungsblatt, der von Professor Theodor Heinsius herausgegebene »Preußische Hausfreund«, verschwand am 5. Februar 1807 plötzlich von der Bildfläche und durfte sich erst nach dem Abzug der Franzosen wieder hervortrauen. Am 6. Februar 1807 wurde außerdem der Herausgeber Heinsius aus dem Bette heraus verhaftet und vierzehn Tage lang auf die Hausvogtei gesetzt. General Clarke soll in einer Schrift über Moral, die Heinsius herausgeben wollte, »aufregende Tendenzen« entdeckt und dem Verfasser erklärt haben: »Ach was Moral, was soll die im Kriege?« Jedenfalls handelte es sich um einen Aufsatz für den »Hausfreund«, wie auch Gubitz berichtet. Clarke verbot die Fortsetzung, warnte Heinsius vor Aussprüchen, die den französischen Behörden unangenehm seien, und ließ ihn auch nach seiner Freilassung durch die Polizei überwachen.

Eines aber darf man der französischen Gewaltherrschaft nachrühmen: um unpolitische Dinge kümmerte sie sich nicht. Auch waren die Franzosen für Witz und Satire viel leichter zugänglich als die meist grämliche preußische Behörde. Der Kommandant Hulin, der ebenso wie General Clarke auf alle Drucksachen ein scharfes Auge hatte, ließ eine boshafte Karikatur auf den Herausgeber des franzosendienerischen »Telegraphen« unbeanstandet; als sie eine zweite Auflage erlebte, forderte er zwar dem Künstler die Platten ab, gab sie aber nach drei Wochen ohne weitere Vorschriften zurück.

Bezeichnend ist auch, daß unter dem französischen Regiment in Berlin das erste dortige Leseinstitut errichtet wurde, wo 200–300 Zeitungen offenlagen. Da konnte sich auch der mißtrauischste[148] Berliner überzeugen, daß fast die gesamte deutsche Presse sich glücklich schätzte, unter den glorreichen Feldzeichen Napoleons für die Freiheit der Nationen und den Sieg der »Kultur« über die »Barbarei« zu fechten.

Fichte als Zensor.

Die rücksichtslose Fälschung der öffentlichen Meinung durch die Franzosen und die ihrer Gewalt preisgegebene deutsche Presse hatte endlich der preußischen Regierung zu denken gegeben: es mußte etwas geschehen, es galt gegen dies vom Feinde verbreitete Giftgas eine Schutzmaske zu finden. Das einzige Blatt aber, das sich noch im vaterländischen Machtbereich befand, war die »Königsberger Hartungsche Zeitung«, und selbst diese konnte sich dem französischen Einfluß nicht ganz entziehen. Sie mußte doch melden, was jenseits der Kampffront vor sich ging, und dafür hatte sie keine andern Quellen, als die französisch sich räuspernden Berliner Zeitungen. Auch verfügte man in der Provinz damals nicht über geschulte und selbständig arbeitende journalistische Kräfte, denn der politische Teil der preußischen Provinzpresse war nur immer aus den Blättern der Hauptstadt »zusammengetragen« worden; eigene politische Nachrichten – von Leitartikeln war ja damals überhaupt noch keine Rede – erlaubte die Zensur nicht. So hatte bisher der Berliner Zensor auch die Königsberger Zeitung vorsichtig an der Leine gehalten – kein Wunder, daß sie, plötzlich und unvorbereitet sich selbst und dem grundlosen Element überlassen, noch keine kunstgerechten Schwimmbewegungen machen konnte. Also mußte ihr zunächst ein neuer Zensor gesetzt werden, und dazu erkor man keinen Geringeren als den Philosophen Fichte.

Seitdem durch den Atheismusstreit Fichtes Stellung als Professor der Philosophie in Jena unhaltbar geworden war, hatte er sich 1799 in Berlin niedergelassen, wo ihn König Friedrich Wilhelm III. unangefochten ließ. »Gedeckt vor den Bannstrahlen der Priester und den Steinigungen der Gläubigen« hielt er hier im Winter 1804/05 Vorträge über die »Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« vor einem zahlreichen und auserlesenen Hörerkreis; im folgenden Sommer ging er als Professor an die jetzt preußisch gewordene Universität Erlangen,[149] kehrte aber im nächsten Semester wieder nach Berlin zurück, um den bevorstehenden Ereignissen näher zu sein. So hatte ihn das Kriegsgewitter dort überrascht, und mit den preußischen Flüchtlingen war er nach der Schlacht bei Jena nach Königsberg gekommen.

Hier begann man eben mit großem Nachdruck eine gründliche Reform der Universität, und auf Drängen des damaligen Konsistorialrats Nicolovius wurde auch Fichte dort angestellt. Er sollte aber nicht nur als Dozent wirken, sondern daneben besonders darauf achten, daß in der dortigen Zeitung »die Nachrichten von den Kriegs- und andern öffentlichen Begebenheiten nicht in einem verführerischen, den Patriotismus niederschlagenden Ton erzählt«, vielmehr »alle Anlässe, um den Mut der Untertanen zu beleben, gehörig benutzt« würden.

Durch diese Heranziehung Fichtes fühlte sich aber der bisherige Königsberger Zensor tief gekränkt. Wenn auch die Provinzblätter Politisches immer nur aus der klar geläuterten Quelle der Berliner Zeitungen schöpfen durften, so gab es doch in jeder mit einem Regierungsapparat versehenen Stadt immer noch einen besondern Zensor, der jenen Stoff noch einmal filtrierte; der lokale Teil und die Inserate waren ja sowieso hinzugekommen. Das Zensoramt in Königsberg hatte bisher der Polizeidirektor Kriminalrat Brand durchaus zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten verwaltet. Nun aber erklärte dieser, er bedanke sich schönstens dafür, in Zukunft nur noch die Inserate beaufsichtigen zu sollen, da wolle er schon lieber mit der Zensur überhaupt nichts mehr zu tun haben. Fichte aber lehnte die alleinige Verantwortung nachdrücklich ab; daraufhin bestimmte der Oberpräsident von Auerswald, daß der Polizeipräsident trotz seines Widerwillens »sowohl die Intelligenzblätter als auch die Zeitungsavertissements« (die Bekanntmachungen) entweder selbst zu zensieren oder durch einen Polizeibeamten zensieren zu lassen habe, da »dem Professor Fichte die das Censurwesen betreffenden Gesetzesbestimmungen und Vorschriften nicht bekannt« seien. Fichte führte also daneben die höhere politische Zensur, wie sie vordem in Berlin geübt worden war, dessen Zeitungen jetzt »unter den insidiösen Einflüssen des Feindes« standen.

[150]

Zivil- und Militärzensur.

Fichtes Konflikt mit einem sich zurückgesetzt fühlenden Polizeidirektor war aber nicht der einzige, der dem Philosophen während seiner Zensortätigkeit beschieden war. Peinlicher und nachhaltiger war sein Zusammenprall mit der Militärgewalt, die in Königsberg der Generalgouverneur von Rüchel vertrat. Diesem Mann paßte Fichtes Tätigkeit ganz und gar nicht. Er vermißte an ihm die nötige »militärisch-politische« Sachkenntnis, und dieser Zivilist hatte noch dazu die Dreistigkeit, an offiziellen Aufsätzen, die der Königsberger Zeitung von der Adjutantur geliefert wurden, Kritik zu üben: die einen wies er überhaupt zurück, und andern gab er nur das Imprimatur, wenn der Generalgouverneur das kraft seines Amtes energisch verlangte. Schließlich riß diesem die militärisch kurze Geduld, er entzog Fichten Ende Februar 1807 die Aufsicht über die Zeitung und setzte an Stelle der bisherigen Zivilzensur eine ausschließliche Militärzensur.

Der Augenblick dazu war allerdings nicht eben glücklich gewählt. In der Hartungschen Zeitung war am 19. Februar ein Artikel über die Schlacht bei Eylau erschienen, der die höchste Entrüstung des Königs erregte. Auerswald untersuchte den Vorfall, und da stellte sich heraus: der vom König beanstandete Artikel stammte – von Rüchel selbst. Fichte hatte ihn als Zensor gestrichen, war aber gegen den Generalgouverneur machtlos gewesen.

Die Hebung der »Königsberger Hartungschen Zeitung«.

Die Schlacht bei Eylau hatte die Hoffnungen der Patrioten neu belebt, man erwartete nachdrückliche Hilfe von den Russen und wagte wieder der nächsten Zukunft mit klarer Überlegung ihrer Forderungen an die Staatsverwaltung entgegenzusehen. Hardenberg, der in Memel beim Könige weilte und am 26. April wieder als Minister die Staatsgeschäfte übernahm, hatte schon in einer Denkschrift vom 3. März »größere Rücksicht auf die öffentliche Meinung und Bearbeitung derselben durch zweckmäßige Publizistik« empfohlen. Er konnte dabei nur das Königsberger Blatt im Auge haben, und im Mai 1806 verhandelte er mit dem Oberpräsidenten, wie die Hartungsche Zeitung »durch interessantere und besser stilisierte Aufsätze« zu »heben« sei. In Auerswalds Antwort kommt der durch Fichtes[151] Tätigkeit veranlaßte Zwist zwischen Zivil- und Militärgewalt zum deutlichsten Ausdruck. Die Zeitung, erklärte der Oberpräsident geradeheraus, sei nur dadurch so heruntergekommen, daß der Generalgouverneur darauf bestehe, daß alle von ihm gelieferten Kriegsnachrichten unverändert aufgenommen würden; ebenso schalte und walte er mit allen übrigen ihm vorgelegten Nachrichten ganz nach Belieben. Von der Adjutantur aber könne man weder »genaue historische Kritik« noch »sorgfältige Aufmerksamkeit auf richtigen Ausdruck und Stil« fordern; dazu hätten die dort beschäftigten Herren natürlich keine Zeit. Das dringende Bedürfnis, zuverlässige Kriegsberichte dem Publikum »in lesbaren Aufsätzen« zu bieten, liege allerdings vor. Dazu müsse man aber beim preußischen und beim russischen Armeekorps geschickte Berichterstatter (»Bulletinschreiber«) auswählen, die nur der Zensur des Hauptquartiers unterständen, nicht aber der »Einwirkung des Generalgouvernements«. Die örtliche Zensur möge man dann wieder Fichte anvertrauen, der besonders die Radamontaden der feindlichen Bulletinschreiber niedriger hängen und »die Stimmung des Volkes zur Ausdauer und Verstärkung der Vaterlandsliebe zu erheben« suchen solle. Heute, wo wir unter ähnlichen Verhältnissen leben und die großzügige Organisation der amtlichen militärischen Berichterstattung täglich wie ein zauberhaftes Uhrwerk ablaufen sehen, können wir erst ganz ermessen, in welcher Rat- und Hilflosigkeit man sich vor hundert Jahren diesem Problem gegenüber befand.

Scharnhorst als Kriegsberichterstatter.

In jenem Mai des Jahres 1806 machte man denn auch mit der »Hebung« der Hartungschen Zeitung schon einen vielversprechenden Anfang. Am 11. Mai begannen darin die durch vier Nummern laufenden »Bemerkungen über das 58. Bulletin der großen Armee von der Schlacht bei Eylau«, die den üblen Eindruck des früheren Berichtes von Rüchel wieder gutmachen sollten. Der anonyme Verfasser dieser Darstellung war ein schon damals, wie die Redaktion dazu bemerkte, »berühmter militärischer Schriftsteller«, der noch dazu durch sein Eingreifen die glückliche Wendung der Schlacht bei Eylau selbst herbeigeführt hatte, der Oberst von Scharnhorst.

[152]

Zu einer Fortsetzung dieses Hebungsversuchs kam es aber leider nicht. Nach der Schlacht bei Friedland am 14. Juni rückten die Franzosen auch in Königsberg ein, Regierung und Armee flüchteten weiter nach Osten, und am 13. Juni hatte auch Fichte auf dem Reitpferd des Freundes Nicolovius die Stadt verlassen, um über Memel nach Kopenhagen zu entkommen.

Schurkenstreich eines Zensors.

Auch nach dem schmachvollen Frieden von Tilsit (7./9. Juli 1807), der Preußen die Hälfte seiner Länder raubte, mußte sich König Friedrich Wilhelm noch anderthalb Jahre die Besetzung seiner Hauptstadt gefallen lassen. Der Gouverneur Clarke wurde 1807 französischer Kriegsminister; sein Nachfolger wurde Marschall Davoust, der Sieger von Auerstädt, der bald nachher als Eroberer von Hamburg durch seine unmenschliche Härte seinem Namen ein unauslöschliches Brandmal aufdrückte. Hulins Nachfolger als Kommandant wurde Marschall Soult. Bignon blieb auf seinem Posten, und da er für Kunst und Literatur Verständnis hatte, konnten die Berliner Literaten noch von Glück sagen, vor allem der junge Lehrer der Holzschneidekunst an der Berliner Akademie, Gubitz, den damals die Empörung über Schmähungen Preußens durch seine eigenen Landsleute zum Schriftsteller machte.

Mit dem Verbot solcher Schriften, die gegen die preußische Regierung loszogen, hatte es die französische Behörde natürlich nicht so eilig, wie wenn es sich um ihr eigenes Interesse handelte. So konnte im Frühjahr 1808 ein Pamphlet »Gallerie preußischer Charaktere«, das heftige Angriffe, ja Schmähungen gegen preußische Staatsmänner und Generale enthielt, in 6000 Exemplaren verbreitet werden, ehe die Beschlagnahme der Restauflage von 500 Exemplaren erfolgte. Die »Neuen Feuerbrände« vom Kriegsrat von Cölln, eine Zeitschrift ähnlicher Tendenz, wurden von Bignons Handlanger, Prediger Hauchecorne, anfangs verboten, als sich aber der Herausgeber zur Fortlassung einiger Aufsätze verstand, wieder erlaubt.

Gegen diese Cöllnschen »Feuerbrände« richtete nun Gubitz eine Zeitschrift »Das Vaterland«, die Preußens Sache mit Wärme verfocht und »in geziemender Anständigkeit«, wie Gubitz[153] selbst meint, manches sagte, was die Franzosen nicht angenehm berührte. Durch die Niedertracht des Predigers Hauchecorne hätte sie ihren Herausgeber beinahe auf den Sandhaufen gebracht.

Am 11. Mai 1808 wurde Gubitz morgens zwischen 6 und 7 Uhr verhaftet und auf die Kommandantur geschafft. Dort legte man ihm einige aus dem Zusammenhang gerissene Sätze seiner Zeitschrift vor, die schwere Beleidigungen des Kaisers und des französischen Heeres enthalten sollten. So schien es wenigstens nach der Übersetzung, die der biedere Hauchecorne von jenen Stellen geliefert hatte; das war seine Rache dafür, daß Gubitz einmal unverblümt seine Meinung über die Zensorentätigkeit des Predigers, der geborener Preuße war, gesagt hatte.

Die Lage des Angeklagten schien verzweifelt. Denn wie sollte er der französischen Behörde die Fälschungen Hauchecornes klarmachen? Da kam ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Der neue Kommandant Marschall Soult, der wohl kurzen Prozeß mit ihm gemacht haben würde, war noch nicht zur Stelle, und Bignon vertrat ihn; als dieser den Namen Gubitz hörte, erinnerte er sich, Holzschnitte des jungen Künstlers gesehen zu haben, die ihm ein alter Kunstfreund Christian von Mecheln nach Paris geschickt hatte; und eben, als das Verhör begann, trat wie gerufen jener Herr von Mecheln ins Zimmer, der Gubitzens Gönner war und Bignon nun ohne Mühe von der Fälschung seines Vertrauensmannes Hauchecorne überzeugte.

Am Mittag des Tages war Gubitz schon wieder entlassen, wenn auch nicht freigesprochen. Das französische Militärgericht verurteilte ihn schließlich zu sechs Wochen Hausvogtei, von denen er aber nur vier tageweise und in gelinder Haft absaß. Der glückliche Zufall und das Wohlwollen des Kunstfreundes Bignon hatten ihm das Leben gerettet.

Der Philosoph Fichte unter Zensur.

Merkwürdigerweise blieb ein Mann von den wachsamen französischen Behörden ganz unbehelligt, obgleich er es wagte, mitten im Lager des Feindes eine öffentliche Philippika gegen den Welteroberer zu schleudern, wie sie kühner und eindringlicher nie gehalten wurde.

[154]

Nach dem Frieden von Tilsit war der Philosoph Fichte aus Kopenhagen nach Berlin zurückgekehrt; neben Schleiermacher, dem großen Philologen Wolf und dem Staatsrechtlehrer Schmalz bildete er den vierten Grundpfeiler der neu zu errichtenden Berliner Universität, und am 13. Dezember 1807 begann er eine Fortsetzung der Vorlesungen über die »Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters«, wie er sie schon im Winter 1804/05 in Berlin gehalten hatte. Wie anders aber war diese Gegenwart! Jetzt zogen, wenn er Sonntagvormittags den runden Saal des Akademiegebäudes Unter den Linden betrat, unter den Fenstern französische Trommler auf Wache, und in der schon ganz akademischen Zuhörerschaft zeigte man mit Fingern auf die anwesenden französischen Aufpasser. Das schreckte den Redner nicht; in schlaflosen Nächten trat ihm wohl das blutige Schicksal Palms warnend vor die Seele; aber er überwand diese Schwäche und führte seine vierzehn Vorlesungen mit erhabenem Mut zu Ende. Als »Fichtes Reden an die deutsche Nation« sind sie eines der heiligen Bücher seines Volkes geworden, und selbst ein Meister des rhetorischen Stils, Friedrich von Gentz, zollte ihnen seine Bewunderung mit den Worten: »So groß, tief und stolz hat fast noch niemand von der deutschen Nation gesprochen.«

Ob die französischen Aufpasser nicht begriffen, daß diese Reden die edelsten Kräfte des Deutschtums gegen die fremde Gewaltherrschaft mobil machten? Nur der »Moniteur« meldete einmal, ein berühmter deutscher Philosoph in Berlin halte Vorträge über Verbesserung der Erziehung – das war die einzige Notiz, die man auf französischer Seite davon nahm, und auch als die Reden im Druck erschienen, legten die Franzosen ihrer Verbreitung nichts in den Weg. Die einzige Behörde, die ihnen verhängnisvoll wurde, war – das preußische Oberkonsistorium, dessen Zensur sie als philosophische Schrift unterlagen.

»Um keine Zeit zu verlieren, deutsche Denkweise zu erneuern und zu bilden«, und um etwaigen falschen Auslegungen des gesprochenen Wortes vorzubeugen, ließ Fichte seine Reden einzeln sogleich drucken. Als er die erste zur Zensur vorlegte, erhielt er den kühl bürokratischen Bescheid: man könne sich auf einzelne Hefte nicht einlassen. Das Konsistorium hatte es also[155] mit der Verbreitung deutscher Denkweise in der besetzten Landeshauptstadt nicht so eilig; es wollte erst die Tendenz der ganzen Schrift beurteilen können, um darnach zu entscheiden, ob sie nicht vor »eine andere«, die politische Zensurstelle gehöre, und beantragte sogar bei der Polizeidirektion, »die Vorlesung selbst durch einen Deputierten näher beachten zu lassen«!

Der zweiten und dritten Rede gab es gleichwohl ohne weiteres die Druckerlaubnis; der wahre Grund zum Verbot der ersten waren also Bedenken gegen den Inhalt, die auch in Randbemerkungen zum Manuskript angedeutet waren. Daraufhin beschwerte sich Fichte am 2. Januar 1808 nachdrücklich beim Minister von Beyme, legte ihm das Manuskript der ersten Rede mit den Randstrichen des Zensors vor und schrieb dazu: »Was soll aus freier Geisteserregung, was soll aus Erweckung eines deutschen Sinnes und Muthes erst alsdann werden, wenn solche Censoren uns bevormunden? Ich weiß recht gut, was ich wage; ich weiß, daß ebenso wie Palm ein Blei mich tödten kann; aber dies ist es nicht, was ich fürchte, und für den Zweck, den ich habe, würde ich gern auch sterben. Ueber diese Rücksichten hinweg soll man nun noch mit den kindischen Bedenklichkeiten, den kopflosen Auslegungen und der verzagten Politik solcher Censoren Rücksprache nehmen?«

Dieser Protest half aber nichts, die erste Rede blieb zunächst ungedruckt und wurde erst genehmigt, nachdem Fichte »einige Änderungen« gemacht hatte.

Niemand würde es dem ehrenwerten Konsistorium verdenken, wenn es die Verantwortung für Äußerungen abgelehnt hätte, die ihm ernste Ungelegenheiten seitens der französischen Regierung zuziehen konnten. Solche Bedenken lagen aber tatsächlich gar nicht vor, sondern die kleinlichste Kirchturmpolitik gab wieder einmal den Ausschlag. Der Änderungen, die Fichte machen mußte, waren nur zwei: einmal sprach er von der »Schwäche der Regierung«, was sich nur auf die preußische beziehen konnte; um diesen Tadel zu verwischen, setzte er statt der Einzahl die Mehrzahl »Regierungen«! Und statt des Satzes: »Diese Bande also waren es, durch deren Zerreißung der Staat zu Grunde ging« – womit wieder nur Preußen gemeint war – mußte er jetzt, völlig unbestimmt, schreiben: »Bande solcher Art[156] waren es, die irgendwo gänzlich zerrissen, und durch deren Zerreißung das gemeine Wesen sich auflöste«!

Die Angst vor den Franzosen veranlaßte aber das Konsistorium, die achte Rede Fichtes der Oberregierungskommission vorzulegen. Was ihr darin besonders gefährlich schien, hat sich nicht mehr feststellen lassen. Aber sogar die nicht eben tapfere Regierungskommission hatte kein Bedenken dagegen.

Derselben Kommission legte dann das Konsistorium auch die erste und letzte Rede zur eigenen Rückendeckung vor. In der letzten milderte Fichte zwei nicht näher bekannte Stellen; gegen die Änderung einer dritten aber sträubte er sich und rief dabei den Freiherrn vom Stein zu Hilfe. Ob es nach dem Kriege »jemals uns wieder wohlgehen soll,« so hatte er geschrieben, »dies hängt ganz allein von uns ab, und es wird sicherlich nie wieder irgend ein Wohlsein an uns kommen, wenn wir nicht selbst es uns verschaffen«. Diese gefährliche Drohung einer Selbsthilfe wollte auch die Regierungskommission nicht durchlassen; Fichte setzte also auf Steins Rat den abschwächenden Nachsatz hinzu: »und insbesondre, wenn nicht jeder Einzelne unter uns in seiner Weise tut und wirket, als ob er allein sei, und als ob lediglich auf ihm das Heil der künftigen Geschlechter beruhe«. Damit war das Kapitol wieder einmal gerettet!

Als schließlich auch die erste Rede freigegeben wurde, füllte der Text nicht die dazu leer gelassenen 48 Seiten. Die so entstandene Lücke stopfte deshalb Fichte mit einigen Abschnitten aus älteren Arbeiten, die schon gedruckt oder von der Zensur genehmigt waren; er verglich darin die »Große Schreibe- und Preßfreiheit in Machiavells Zeitalter« mit der Gegenwart, geißelte die Zensoren, die alles Neue, was sie nicht sogleich zu fassen vermögen, als verborgenes Gift unterdrücken, »um ganz sicher zu gehen«, und bestritt ihre Befugnis, »irgend einem Tone deswegen zu verwehren, laut zu werden, weil er an ihre Ohren fremd und paradox anschlägt«. So bildeten diese einleitenden, den Leser zunächst befremdenden Fragmente eine feine Satire auf das, was er selbst mit diesem seinem Buche erlebt hatte.

[157]

Fichtes verlorene »Rede an die deutsche Nation«.

Mit den Zensurschwierigkeiten, die das preußische Oberkonsistorium Fichtes »Reden an die deutsche Nation« bereitete, ist aber dessen Wirksamkeit bei der Herausgabe jenes Buches keineswegs erschöpft. Es kam noch schlimmer! Der unverantwortlichen Nachlässigkeit dieser Zensurbehörde verdanken wir es, daß die dreizehnte der Fichteschen Reden in ihrem ursprünglichen Wortlaut unwiderruflich verlorenging! Statt ihrer erschien nur eine »Inhaltsangabe der dreizehnten Rede« mit folgender Anmerkung des Verfassers:

»Nachdem ich eine Reihe von Wochen die Handschrift dieser dreizehnten Rede, die bei meiner Zensurbehörde eingereicht war, zurückerwartet hatte, erhalte ich endlich statt derselben das folgende Schreiben:

›Das Manuscript der dreizehnten Rede des Herrn Professor Fichte ist, nachdem derselben schon das Imprimatur ertheilt worden, durch irgend einen Zufall verlohren gegangen, und hat aller Bemühungen ohnerachtet nicht wieder aufgefunden werden können.

›Um nun den Verleger etc. Reimer beim Abdruck nicht aufzuhalten, ersuche ich des Herrn Professor Fichte Wohlgeboren diese Rede aus Ihren Heften zu ergänzen, und mir zum Imprimatur zuzuschicken.

›Berlin, den 13. April 1808.

v. Scheve.‹

»Das, was dieses Schreiben unter Heften verstehen mag, halte ich nicht, und was etwa bei der Ausarbeitung des Textes auf Nebenblättern angelegt und vorbereitet war, wurde bei einer in dieser Zeit vorgefallenen Veränderung der Wohnung den Flammen übergeben. Ich war darum genöthiget, darauf zu bestehen, daß die Handschrift, die verlohren seyn – nicht sollte, wieder herbeigeschafft würde. Dieses ist, wie man versichert hat, auch durch das sorgfältigste Nachsuchen nicht möglich gewesen; es ist wenigstens nicht geschehen, und ich habe die Lücke ausfüllen müssen, wie ich gekonnt.

»Indem ich zu meiner eigenen Rechtfertigung genöthigt bin, diesen Vorfall zur Kunde des auswärtigen Publikums zu bringen, bitte ich jedoch dasselbe, zu glauben, daß die Erscheinungen,[158] die man sowohl in dem Vorfalle selbst, als in dem obenstehenden Schreiben darüber finden dürfte, allhier bei uns keinesweges allgemeine Sitte sind, sondern daß dieser Vorfall nur eine höchst seltene, und vielleicht nie also da gewesene Ausnahme macht, und daß sich erwarten läßt, es werden Vorkehrungen getroffen werden, damit ein solcher Fall nicht wieder eintreten könne.«

Dieses ironische Zeugnis, daß derlei Vorfälle »allhier bei uns keinesweges allgemeine Sitte« seien, läßt darauf schließen, daß Fichte selbst nicht recht an den unglücklichen »Zufall« glaubte, und um nicht weiter von den »kindlichen Bedenklichkeiten« dieser Berliner Zensurbehörde abhängig zu sein, bat er in einem Schreiben vom 2. Mai 1808 die Oberregierungskommission, die Zensur seiner notdürftig wiederhergestellten dreizehnten Rede »einer andern zuverlässigen Behörde« zu übertragen. Vor allem fürchtete er, das Konsistorium werde jene es selbst bloßstellende Anmerkung unterdrücken wollen. Das bestätigte sich auch durchaus. Die Regierungskommission betraute zwar keine andere Behörde, wohl aber einen andern Zensor mit der Aufgabe, und dieser, der sonst liberale und patriotische Propst Hanstein, wollte ebenfalls den Abdruck der Anmerkung mit dem Brief des Chefpräsidenten von Scheve nicht zulassen, da »sie weder in das Fach der Philosophie noch in das der Religion einschlüge«! Fichte milderte zwar die kränkendsten und beleidigendsten Stellen der Anmerkung, aber auf dem wörtlichen Abdruck des den Vorfall so »leichtnehmenden« Briefes bestand er, und die Regierungskommission ließ ihn gewähren.

Der Vorfall veranlaßte den Philosophen ferner, beim Minister von Beyme die gesetzliche Aufhebung aller Zensur über nichtoffizielle Schriften in Anregung zu bringen, damit in Zukunft keine Behörde mehr, sondern nur immer Verfasser oder Verleger zur Verantwortung gezogen werden könnten. Beyme war mit diesem Vorschlag, den er selbst schon 1802 gemacht hatte, völlig einverstanden, aber seine Hoffnung, daß »die wiederauflebende Regierung in Berlin« mit einer solchen Maßregel »den Geist bezeichnen« werde, »der künftig sie beherrschen soll«, erfüllte sich nicht.

[159]

Preußische Zensurreform 1808.

Am 5. Dezember 1808 verließen endlich die französischen Verwaltungsbeamten Berlin, und schon begann die einheimische Gesetzgebungsmaschine wieder ihren Lauf. Die von den Franzosen entlassenen Zensoren Polizeipräsident Büsching und Finanzrat von Hüttel traten ihr Amt wieder an, und das erste Opfer der wiederkehrenden Ordnung war der Dichter der »Undine«, Fouqué, der zur Feier des Abmarschs der Franzosen ein »Gespräch zweier preußischer Edelleute« geschrieben hatte, das den Vorschlag einer unter Führung des Adels zu errichtenden Landwehr enthielt; es war schon gedruckt, durfte aber erst 1813 ausgegeben werden, als die Landwehr durch königliche Verordnung bereits geschaffen war.

Durch die schon am 24. November 1808 verfügte Neuorganisation der gesamten preußischen Staatsverwaltung war auch die Zensurbehörde wesentlich umgestaltet worden. Die stürmische Zeit hatte eine Flut politischer Literatur aufgewühlt, und bei jeder Drucksache fragte man seitens der Behörde zuallererst: politisch oder unpolitisch? In diese beiden großen Gruppen schied man also jetzt die gesamte Literatur und überwies jede einer besondern Behörde als oberster Instanz. Die Beaufsichtigung der politischen Schriften einschließlich der politischen Zeitungen verblieb wie bisher dem Ministerium des Auswärtigen; an dessen Spitze stand Minister von der Goltz, der Nachfolger und wieder Vorgänger Hardenbergs; unter ihm führte die Zensurgeschäfte der Sektionschef Geh. Staatsrat Küster, und als Zensoren arbeiteten der Geh. Finanzrat von Hüttel und für die Zeitungen der Geh. Kriegsrat Himly.

Die ganze Masse der nichtpolitischen Literatur wurde dem Ministerium des Innern und der Polizei zugewiesen, und zwar dessen erster Sektion, der Abteilung für Kultus und öffentlichen Unterricht. Die Kollegien, die bisher, jedes selbständig, die Zensur geübt hatten (Konsistorium, Kammergericht, Medizinalkollegium und Polizei), schaltete man durch diese Vereinheitlichung stillschweigend aus, ließ sie aber einstweilen noch weiter amtieren; nur hatten sie jetzt in schwierigen Fällen die Akten der Kultusabteilung zur Beschlußfassung vorzulegen.

[160]

Diese sinngemäße Neuerung schien um so wertvoller, als der jetzige Minister des Innern, Graf Alexander von Dohna, ein freisinniger, überlegener Kopf war, und an die Spitze der Kultusabteilung auf des Freiherrn vom Stein Empfehlung am 20. Februar 1809 kein Geringerer als Wilhelm von Humboldt trat, der von 1801 bis 1808 in Rom die preußische Diplomatie glänzend vertreten hatte. Hier kam also einmal der richtige Mann an die richtige Stelle, und für die liebevoll schonende Behandlung literarischer Werte schienen nun alle Vorbedingungen gegeben zu sein.

Humboldt als Zensor.

Humboldt war von der Überzeugung durchdrungen, daß »uneingeschränkte Zensurfreiheit das einzig richtige Prinzip« sei, unter gesetzmäßiger Verantwortlichkeit des Verfassers bzw. des Verlegers oder Druckers, und daß man »sich diesem Grundsatz mit der Zeit immer mehr und mehr nähern« müsse. Für Preußen schien ihm aber diese Zeit noch nicht gekommen. Der Hochflut von Schmähungen gegen Staat und König in zahllosen anonymen Flugschriften vaterlandsloser, franzosenfreundlicher Gesellen müsse man steuern, ebenso den Besserwissern, die »ohne wahre Kenntniß der politischen Lage, wenn auch aus patriotischer Gesinnung«, ohne Beruf dazu und ungefragt, ihre Staatsrezepte veröffentlichten. Das Bewußtsein der eigenen Verantwortlichkeit wirke nicht »abmahnend« genug, da man zu sehr »an gelinde und sanfte Maßregeln gewöhnt« sei. Die Zensur der politischen Schriften, die der Minister des Äußern von der Goltz ihm sofort antrug, traute er sich selbst nicht einmal zu; die könne immer nur ein wirkliches Mitglied des Auswärtigen Amtes führen, das über die gegenwärtige Lage genau unterrichtet sei; eine bindende Instruktion für die Zensur sei ja ein Unding, da sie »nach Maßgabe der Zeiten und Umstände bald mehr, bald weniger strenge sein müsse«.

Bei dieser schwebenden, immerfort wechselnden Lage der Zensur wußte auch Humboldt keinen andern Rat, als sich bis auf weiteres an das Wöllnersche Zensuredikt von 1788 zu halten und sich bei der »in diesen unbestimmten Grenzen gewährten Freiheit« der Beurteilung »den allgemeinen und jedesmaligen[161] besondern Verhältnissen des Staates mit Gewissenhaftigkeit und Einsicht anzupassen«. Er verlangte also von den Zensoren gerade das, was sie niemals leisten konnten. Er empfahl zwar seinen Untergebenen, das alte Zensuredikt »liberal« zu handhaben, dabei sollten sie aber die »Mittelstraße« einhalten, die »nirgend so sehr als bei der Zensur in jetziger Zeit nothwendig« sei, Vorschriften, die lauter erleuchtete, einem Humboldt kongeniale »Geschäftsmänner« voraussetzten, nicht aber Durchschnittsintelligenzen, auf die sich die Staatsmaschine einstellen muß.

Während seiner kurzen Amtsdauer konnte sich auch Humboldt selbst bei Behandlung der Einzelfälle von der ängstlichen Befangenheit des Neulings nicht freimachen. Der Berliner Polizeipräsident Büsching, der die Verantwortung für die periodischen Schriften, die Flug- und Gelegenheitsliteratur, den polizeilichen Teil der Zeitungen und die Inserate hatte, scheint seinem neuen Vorgesetzten nicht zu Dank gearbeitet zu haben; er wurde Anfang April 1809 durch Justus Gruner, den bekannten Patrioten und Freund Arndts, ersetzt. Ihm empfahl Humboldt, die Zeitungen und Intelligenzblätter schärfer, die von »wohlbekannten und bewährten Verfassern« herausgegebenen Zeitschriften wie die »Berlinische Monatsschrift« nach andern Grundsätzen zu zensieren. Die Vorrechte der Universitäten und der Akademie wollte er nicht antasten, aber daß die »Berlinische Monatsschrift«, weil ihr Herausgeber Biester und die Mehrzahl ihrer Mitarbeiter Mitglieder der Akademie waren, Zensurfreiheit habe, wollte er nicht anerkennen; erst nach langen Verhandlungen gestand er Biester die Selbstzensur seines Blattes zu.

Auch Humboldts Zensurentscheidungen unterschieden sich nicht eben von denen seiner Vorgänger und Nachfolger. Der Zensor vom Auswärtigen Amt von Hüttel legte ihm ein neues Buch des fruchtbaren Publizisten Friedrich Buchholz vor, »Ideen einer arithmetischen Staatskunst«, worin Humboldt allerhand Stellen beanstandete. »Es giebt keine gefährlichere Classe in der Gesellschaft« als die Bankiers, hatte Buchholz geschrieben; »so allgemein« gesagt, sei das anstößig, erklärte Humboldt. Der Ausdruck »Schmutz« von einer »Achtung verdienenden Arbeit wie dem Ackerbau« könne »nicht geduldet« werden, und ein[162] »revolutionärer Zustand« mußte auf seinen Befehl in einen »unsichern« verwandelt werden.

Ein anderer Vorfall zeigt, in welchem Kleinkram sich auch ein Humboldt in seiner Eigenschaft als Zensor erschöpfte. Ein Graf Kameke veröffentlichte ein Buch über Pferdezucht unter dem barocken Titel »Der Hengst, wie er sein sollte, ein Gegenstück zu Elisa, oder das Weib, wie es sein sollte«. Das Buch »Elisa«, ein Produkt der Aufklärung, hatte seinerzeit ein gewisses Aufsehen erregt; der Hinweis darauf war also nur ein Reklamestück des Grafen Kameke oder seines Verlegers. Die »Gesellschaft der Freunde der Wahrheit« hatte gegen diese Gegenüberstellung von Weib und Hengst öffentlich protestiert, und auch Humboldt, der spätere Verfasser der »Briefe an eine Freundin«, fand sie begreiflicherweise unpassend. Obgleich er nun stets hervorhob, daß die Zensur »keine Rezension« sei, ließ er dem Zensor, der sich an dem geschmacklosen Titel nicht gestoßen hatte, dem Kammergerichtsrat Müller, einen Verweis erteilen. Der Kammergerichtspräsident von Kircheisen wollte aber darüber keine Belehrung annehmen. Die Folge war, daß Humboldt, der es mit dem Minister Dohna für »auffallend unpassend« empfand, daß das Kammergericht unter anderm auch die schöne Literatur beaufsichtigte, diesem Kollegium die Zensur überhaupt nahm und sie am 31. Mai 1809 dem oben erwähnten Professor und kgl. Bibliothekar Biester übertrug.

Trotz solcher Strenge gelang es aber auch Humboldt nicht, den immer empfindlicher und ängstlicher werdenden König zufriedenzustellen, und er sorgte daher schnell dafür, dies ärgerliche Amt wieder loszuwerden. Am 29. April 1810 reichte er sein Abschiedsgesuch ein und wurde am 14. Juni als Gesandter nach Wien versetzt.

Kleists Ode auf den Wiedereinzug des Königs in Berlin.

Auf die Rückkehr des königlichen Hofes mußten die Berliner noch ein volles Jahr warten, denn die französischen Besatzungstruppen waren noch keineswegs ganz aus Preußen zurückgezogen, und auch als der König endlich am 23. Dezember 1809 von Königsberg wieder nach Berlin übersiedelte, geschah[163] dies nur, um dem mißtrauischen Napoleon einen Beweis des Vertrauens zu geben.

Das bevorstehende Ereignis begeisterte den Dichter Heinrich von Kleist zu seiner prächtigen Ode:

Was blickst Du doch zu Boden schweigend nieder,
Durch ein Portal siegprangend eingeführt,

und er wollte dieses Gedicht im Frühjahr 1809 in Berlin als Flugblatt drucken lassen. Der neue Polizeipräsident Gruner mußte aber am 24. April das Imprimatur verweigern.

Blick auf, o Herr! Du kehrst als Sieger wieder,
Wie hoch auch jener Cäsar triumphirt –

dieser Hinweis auf Napoleon war zu gefährlich, und ebenso die Andeutung der dritten Strophe von einer künftigen neuen Erhebung Preußens gegen das französische Sklavenjoch:

Und müßt' auch selbst noch auf der Hauptstadt Thürmen,
Der Kampf sich für das heil'ge Recht erneu'n.

Erst anderthalb Jahre später wagte Gruner die Druckerlaubnis für das Gedicht zu erteilen; es erschien am 5. Oktober 1810 in Kleists »Berliner Abendblättern«.

Friedrich Schlegels »Gelübde«.

Ebenfalls zu Anfang des Jahres 1809 dichtete Friedrich Schlegel sein »Gelübde«:

Es sey mein Herz und Blut geweiht,
Dich Vaterland zu retten.
Wohlan, es gilt, du seyst befreit;
Wir sprengen deine Ketten!
Nicht fürder soll die arge That,
Des Fremdlings Übermuth, Verrath,
In deinem Schooß sich betten.
usw.

Die Verse bildeten den Schluß der Sammlung »Gedichte« von Friedrich Schlegel, die unmittelbar darauf bei J. E. Hitzig in Berlin erschien. Der zuständige Zensor scheint keinen Anstoß daran genommen zu haben, und das Buch wurde schon ausgegeben, als der Polizeipräsident Gruner dahinterkam und schleunigst[164] aus den noch vorhandenen Exemplaren das bedenkliche Schlußblatt (S. 387 f.) und zugleich das verräterische Inhaltsverzeichnis entfernen ließ. Ein Teil der Bücher war aber schon nach Leipzig geschafft worden und entging dieser Verstümmelung.

Schicksale eines Kriegsliedes.

Während Preußen, blutend an Haupt und Gliedern, noch zähneknirschend das Joch der französischen Sklaverei tragen mußte, raffte sich Österreich zu neuem Widerstande auf. Am 9. April 1809 erklärte es Napoleon abermals den Krieg. Zu diesem Anlaß schrieb der Wiener Dichter Ignaz Franz Castelli sein »Kriegslied für die österreichische Armee«:

Hinaus, hinaus, mit frohem Muth!
Hinaus in's Feld der Ehre,
Damit der Feinde Übermuth
Nicht uns'rer Brüder Hab' und Gut
Und unser Land verheere …

und so weiter in lauterstem Patriotismus.

Die Verse gingen in zahllosen Abschriften von Hand zu Hand, und um sie drucken zu lassen, legte sie Castelli der Zensurstelle vor. Als er nach einiger Zeit persönlich aufs Amt ging, um sein Manuskript abzuholen, erhielt er es zurück mit dem Vermerk: »Kann gedruckt werden, wenn der erste Schuß geschehen sein wird.«

Auf dem Heimwege traf er einen Freund, der ihm ein soeben gekauftes – gedrucktes und mit dem Namen des Dichters unterzeichnetes Exemplar ebenjenes Kriegsliedes überreichte.

Ein zweiter Zensor hatte einem Fabrikanten, der eine Abschrift der Verse eingereicht hatte, die Erlaubnis zum Druck gegeben, die sein Kollege dem Dichter selbst fürs erste verweigerte!

Kurz darauf ließ Erzherzog Karl Castellis Gedicht in mehreren Hunderttausend Exemplaren drucken und unter seine Soldaten verteilen. Als infolgedessen Abdrücke davon bei österreichischen Gefangenen gefunden wurden, erklärte Napoleon den Verfasser in die Acht, und dieser hätte das Schicksal Palms erlitten, wenn er dem Allgewaltigen in die Hände gefallen wäre.


[165]

9. Ein Opfer der Zensur.

Hardenbergs Maske.

Napoleons zweiter Einzug in Wien schon am 13. Mai 1809, sein entscheidender Sieg bei Wagram am 5. und 6. Juli und der Friede zu Schönbrunn am 14. Oktober, der Österreich über 100000 Quadratkilometer seines Landes kostete, war für das gedemütigte Preußen eine nachdrückliche Warnung, sich so gut es ging auf den Trümmern der Vergangenheit wieder einzurichten und alles zu vermeiden, was aufs neue den Zorn des übermächtigen Korsen herausfordern konnte. Die Preßfreiheit war auch in Frankreich längst nur eine falsche Flagge; sie wurde jetzt eingezogen, indem Napoleon am 5. Februar 1810 die Zensur wieder einführte und ein großzügiges Generaldirektorium für die Buchdruckereien und den Buchhandel errichtete, mit dem Grafen Pourtales an der Spitze, zahllosen Zensoren, geheimen Instruktionen usw. Da Preußen seine Empfindlichkeit gegenüber vorlauten Skribenten ausgiebig erfahren hatte, befürchtete es nicht mit Unrecht von diesem französischen Generaldirektorium eine noch schärfere Beaufsichtigung der Presse.

Am 10. Juni 1810 trat Hardenberg, von Napoleon gnädig geduldet, wieder an die Spitze des Ministeriums, und nun vollendete sich die übermenschliche Arbeit des Neubaus des preußischen Staates, die Steins und Hardenbergs Namen unsterblich gemacht hat.

Die herrschende Aufregung, das trotz des Friedens gespannte Verhältnis zu den Franzosen und das immer wache Mißtrauen Napoleons durch freie Meinungsäußerung noch zu verschärfen, glaubte Hardenberg nicht wagen zu können, und daher ging er sogleich an eine neue Einrichtung der Zensur. Die Abteilung des Kultus mußte die Zensur der nichtpolitischen Schriften an die andere Sektion im Ministerium des Innern, die Polizei, wieder abgeben, und wo auch nur die Spur einer Kritik an den jetzigen Staatsumwälzungen vorlag, trug der Sektionschef Sack persönlich die Verantwortung. Hardenberg bescherte dem Volke zwar am[166] 2. November 1810 die Gewerbefreiheit, aber die Begründung neuer Zeitungen nahm er ausdrücklich davon aus. Denn am 3. August hatte Napoleon befohlen, daß in jedem Departement des Kaiserreichs nur noch eine politische Zeitung erscheinen dürfe, und die Erwartung ausgesprochen, daß alle seine Verbündeten ebenso verfahren würden. Gehörte Preußen auch nicht gerade zu den Rheinbundfürsten, so hütete es sich doch, den Wünschen des Kaisers ausdrücklich zuwiderzuhandeln, bemühte sich vielmehr, den »Großmogul« bei guter Laune zu halten. Ihm mit der rächenden Waffe entgegenzutreten, dazu war die Kraft noch gelähmt, dazu bedurfte man noch einiger Jahre beschämender Neutralität, die wohl oder übel den anwedelt, der die Macht hat. Dieser kommenden Freiheitsstunde arbeiteten rettende Mächte in vorsichtiger Stille entgegen.

Ohne schärfste Überwachung der gesamten einheimischen Literatur ging es da nicht ab, und so mußte sich notgedrungen Hardenbergs Strenge gegen diejenigen wenden, deren heißblütiger Patriotismus das Schwert gegen den Gewaltherrscher je eher je lieber wieder ergriffen hätte. Ein unseliges Geschick wollte es, daß auch einer der größten deutschen Dichter, Heinrich von Kleist, zu diesen jetzt Verfemten gehörte.

Kleists »Abendblätter«.

Kleist hatte nach seiner Übersiedlung nach Berlin im Frühjahr 1810 freudige Aufnahme bei der dortigen Patriotengruppe gefunden, die vorwiegend aus Adligen bestand. Minister von Altenstein, Steins erster Nachfolger, begünstigte ihn, und der Königin Luise durfte er zu ihrem Geburtstag am 10. März ein Huldigungsgedicht überreichen. Vielleicht dieser hohen Protektion verdankte er die Erlaubnis, mit seinem Freunde Adam Müller eine Berliner Tageszeitung herauszugeben, die vom 1. Oktober 1810 ab wochentäglich erschien. Im Format fast eines Gebetbuches und nur vier Seiten die Nummer. Dennoch ein aussichtsvolles Unternehmen, denn ein täglich erscheinendes Blatt war damals in Preußens Hauptstadt etwas völlig Neues.

Und die Zeitung machte Glück, wenn sie auch nach Wilhelm Grimms Ausdruck nur ein »ideales Wurstblatt« war.[167] Täglich erscheinend, war sie mit neuen Nachrichten schneller zur Stelle als die schwerfällige Konkurrenz; sie pflegte Kunst und Theater, die von jener fast ganz vernachlässigt wurden, und führte in Prosa und Epigrammen eine schneidige Kritik. Ein lokales Ereignis war außerdem, daß die »Abendblätter« die ersten Berliner städtischen Polizeiberichte brachten, die der damalige Polizeipräsident Gruner selbst lieferte.

So schien sich zum erstenmal dem rast- und glücklos umhergetriebenen Dichter eine freundlich-sichere Zufluchtsstätte in behaglicher literarischer Arbeit zu öffnen.

Die Zensur der »Abendblätter«.

Als unpolitisches Blatt unterlagen die »Abendblätter« nach der neuesten Vorschrift der Aufsicht des Ministeriums des Innern und der Polizei, und ihr eigener Mitarbeiter, Polizeipräsident Gruner, führte die Zensur. Die politische Harmlosigkeit war aber nur eine wohlüberlegte Täuschung, um der Zensur des Kriegsrats Himly vom Auswärtigen Amt zu entgehen, und die beiden Herausgeber wiegten sich in der trügerischen Hoffnung, diese Maske nach und nach lüften zu können. Das merkte Himly natürlich sofort, und bald war Kleists Zeitung der Zankapfel der beiden gleichgeordneten Behörden.

So töricht war natürlich auch der Patriot Kleist nicht, in seinem Winkelblättchen Napoleon den Krieg zu erklären. Aber daß man ihn geradezu zum Bundesgenossen des Übermütigen, zur Schonung der Rheinbundpolitiker und der ihm verhaßten vaterlandslosen Gesellen preßte, hatte er nicht erwartet und ebensowenig geahnt, welcher Stacheldrahtverhau von Rücksichten ihn von allen Seiten beengen würde. Nach der Besiegung Preußens und Österreichs ruhten damals die Kämpfe in Mitteleuropa. Nur die Spanier und Portugiesen erwehrten sich hartnäckig des französischen Eindringlings, der sie zur Teilnahme am Krieg gegen England zwingen wollte. Die Rollen sind heute etwas anders verteilt – das System aber ist das alte. Gegen England führte Napoleon den unblutigen Krieg der Kontinentalsperre, um die »Freiheit der Meere« – ein altes napoleonisches Schlagwort – zu ertrotzen, ein Ziel, das wir hoffentlich besser erreichen als der Korse vor hundert Jahren.[168] Ein großzügiger Pressefeldzug, dessen Schliche heute John Bull besser versteht als der deutsche Michel, ging nebenher, und die gesamte Journalistik Europas, soweit die Staaten von der Gnade des französischen Kaisers abhingen oder sich um sein Lächeln bemühten, mußten ihn mitmachen. Brachte nun Kleist eine noch so kleine Notiz über Verluste der Franzosen in Spanien – flugs beschwerte sich der französische Gesandte beim Minister des Äußern von der Goltz, und die »Abendblätter« wurden verwarnt, sich aller Politik zu enthalten, und mußten sich gleich den beiden andern Berliner Zeitungen bequemen, des »Moniteur« offizielle französische Lügenpost von lauter Siegen aufzunehmen. Kein günstiges Wort über England durfte fallen, mit dem die preußischen Patrioten im gemeinsamen Kampf gegen Napoleon damals sympathisierten. Schon jede nicht feindliche Erwähnung Britanniens wurde vom Berliner Zensor gestrichen. Die Kontinentalsperre und die Vernichtung aller englischen Kolonialwaren auf dem gesamten Festlande hatten die Preise für Kaffee, Tee, Zucker usw. genau so wie heute ins Ungemessene gesteigert; auch das sollte der deutsche Michel wunderschön finden, und wenigstens in Preußen durfte keine Klage, kein satirischer Scherz darüber laut werden, dafür sorgte der Rotstift des Zensors. Manche Anzüglichkeiten dieser Art schlüpften dennoch durch; Kleist und seine Mitarbeiter lernten bald die Kunst, zwischen den Zeilen zu – schreiben, woraus sich in den folgenden Jahrzehnten ein besonderer Zensurstil entwickelte, und auch der wachsamste Zensor hat seine schwachen Stunden.

Nicht einmal über die Französische Revolution durften preußische Politiker ihre Meinung sagen, denn Napoleon war ja der große Sohn jener Umwälzung. 1793 hatte Friedrich von Gentz das Werk »Reflections on the Revolution in France« von Edmund Burke, einem heftigen Gegner der Revolution, übersetzt und war darüber selbst aus einem Saulus ein Paulus, ein Anhänger des Bestehenden, geworden. Jetzt, 1810, durfte an solche Dinge nicht erinnert werden.

Auf diese Extratouren in der äußern Politik hätten die »Abendblätter« zur Not verzichten können, wenn auch Patrioten wie Kleist es schwer übers Herz brachten, da Liebe oder nur Duldung zu heucheln, wo – nach dem Dichter der »Hermannsschlacht«[169] – Haß ihr Amt war und ihre Tugend Rache! Weit verhängnisvoller aber wurden für Kleist die Zusammenstöße mit Hardenberg als dem auch für die innere Politik verantwortlichen Staatsmanne.

Die Neuorientierung 1810.

Neuorientierung war 1810 auch in der innern Politik die Losung des Tages. Aber damals ging sie etwas tiefer, als sie heute, trotz Parlamentarismus und ähnlichen Schlagwörtern, überhaupt noch gehen kann. Die Leibeigenschaft, die in den ländlichen Bezirken noch vorherrschte, wurde beseitigt, der Bauer von Hörigkeit und Frondienst befreit und der Adel eines Teils seiner Vorrechte beraubt, um dem tüchtigen Bürgertum freie Bahn zu schaffen; die Städte und Gemeinden erhielten Selbstverwaltung, wodurch der alte Beamtenstaat aufgehoben und der Begriff des Staatsbürgertums erst lebendig wurde. Die Verwaltung bis hinauf zu den Ministerien, die bis dahin noch nicht in Fachministerien geschieden waren, wurde von der Wurzel aus neu organisiert und die innerpolitische Verfassung Preußens nach dem Entwurf des Freiherrn vom Stein völlig reformiert. Hardenberg war vor allem die schwierige finanzpolitische Lösung des Verwaltungsproblems vorbehalten, und er führte sie glänzend durch. Auch damals waren ungezählte Milliarden aufzubringen, zum großen Teil zur Bezahlung der ungeheuern Kriegskontributionen, die Napoleons Übermut dem geschwächten Preußen abpreßte. Welche Steuerbuketts regneten damals auf die verarmte Bürgerschaft herab! Grundsteuer, Gewerbesteuer, Luxussteuer, Konsumtionssteuer – niemand war vor dem Klingelbeutel des Fiskus sicher. Die geistlichen Güter wurden säkularisiert, Domänen verkauft, und durch diese beispiellose neue Steuerorganisation gelang es wirklich, den Staatsbankerott, den Österreich erlitten hatte, von Preußen abzuwenden und den französischen Usurpator an weiteren Übergriffen zu verhindern.

Der Adel aber murrte über seine Entrechtung, der Grundbesitz jammerte über seine Vernichtung, das Militär knirschte mit den Zähnen über die allzu lange Geduld des obersten Kriegsherrn. Hardenbergs Finanzedikt vom 27. Oktober 1810 hatte obendrein den Beginn einer Parlamentisierung verheißen,[170] eine »zweckmäßig eingerichtete Repräsentation«, und da seine sämtlichen Reformen den freihändlerisch-liberalen Geist des englischen Nationalökonomen Adam Smith atmeten, des Begründers der modernen Nationalökonomie, so führte er sie durch im notgedrungenen Einverständnis zwar mit seinem königlichen Herrn, aber im schärfsten Gegensatz zu denen, die sich als die Paladine des Thrones zu betrachten gewöhnt waren.

Adam Müller – Kleists Verhängnis.

In diese innerpolitischen Kämpfe griff nun Kleist als Herausgeber der »Abendblätter« ein. Er selbst schrieb nicht eigentlich politische Leitartikel. Das besorgte Adam Müller, und dieser stand mit seiner Überzeugung ganz auf Seiten der starr konservativen Elemente, deren Weltanschauung der Oberstleutnant von Ompteda, auch ein Mitarbeiter der »Abendblätter«, einmal dahin formulierte: »Wenn Voltaire sehr früh in die Bastille gesetzt und darin vergessen, Rousseau von Frau von Warens in einem Narrenhospitale versorgt und Basedow im Schuldturme festgehalten worden wäre, sähe es höchst wahrscheinlich in Frankreich, Deutschland und dem übrigen Europa ganz anders, und besser aus.« Zwei politische Richtungen bekämpften damals einander bis aufs Blut; die eine, die Preußen als ausgesprochenen Agrarstaat erhalten wollte; die andere, die nach dem neuen Evangelium Adam Smiths Freihandel, freie Konkurrenz und ungehemmteste Entwicklung aller wirtschaftlichen Kräfte ohne Vorrechte und Monopole als Losung des modernen Weltbürgers ausgaben. Hardenbergs Finanzreform empfand die preußische Junkerpartei, der Adel, die Agrarier und das Militär, als eine unmittelbare Fortsetzung der Französischen Revolution. Dagegen aufzutreten hielten sie für ihre vaterländische Pflicht; das Ansehen des altpreußischen Königtums glaubten sie durch diese Neuorientierung erschüttert; ihm auch gegen den Willen des Herrschers die Treue zu halten, waren sie fest entschlossen. Müller aber fühlte sich als der literarische Vertreter dieser Partei, und in den »Abendblättern« dachte er diesen Kampf auszufechten. Bald stand er in heller Opposition gegen den Staatskanzler und mußte der neugegründeten Zeitung und seinem Freunde Kleist zum Verhängnis werden.

[171]

Die Opposition gegen Hardenberg.

Hardenbergs Lage war die der heutigen Regierung. Das Staatsgebäude sollte, ohne vollständig niedergerissen zu werden, ein neues Fundament erhalten. Eine Erschütterung konnte katastrophale Folgen haben. Ruhe innen und außen schien unbedingte Notwendigkeit. Der neue Weg war einmal beschritten, die Reform auf dem Marsche, der König hatte sein Jawort dazu gegeben. Eine öffentliche Debatte über das schon Beschlossene konnte nur verwirren; von einer vorberatenden Mitarbeit irgendwelcher Volksvertreter war ja in Ermangelung jeder parlamentarischen Form überhaupt nicht die Rede, und Zeitungen, die eine ausgesprochene Parteipolitik trieben, wozu sich jetzt die angeblich unpolitischen »Abendblätter« anschickten, waren eine zu neue Erscheinung, als daß eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen in Frage gekommen wäre.

Nach einigen vorbereitenden Plänkeleien nahm Adam Müller in einem Aufsatz »Vom Nationalcredit« (Nr. 41 der »Abendblätter« vom 16. November) den Kampf gegen das Finanzedikt mit aller Schärfe auf, und Gruner ließ den Artikel unbeanstandet durch. Sofort (18. November) erhielt sein Vorgesetzter im Ministerium des Innern, Geh. Rat Sack, eine von Hardenberg selbst entworfene Kabinettsorder, die ihm persönlich die strengste Zensur derartiger Blätter, Zeit- und Flugschriften, auferlegte, die »so allgemein vom Publikum gelesen« würden; es gäbe jetzt nichts Schädlicheres, als wenn durch »dergleichen hingeworfene ganz unreife Aufsätze« Mißtrauen gegen die Maßregeln der Regierung erweckt werde; dem bisherigen Zensor scheine die richtige Beurteilung dafür zu mangeln, daß solche Artikel in den »Abendblättern« »gar sehr am unrechten Orte« seien.

Heinrich von Kleist und die Würde der Presse.

Wohin seines Freundes Polemik gegen den allmächtigen Minister führen mußte, sah Kleist deutlich voraus. Ließ er Müller noch einmal in jenem Sinne zu Worte kommen, so war das Schicksal der »Abendblätter« und damit sein eigenes besiegelt. Er stand aufs neue vor dem Nichts, denn was ihm seine Dichtungen eintrugen, reichte kaum aus, seinen Barbier zu bezahlen. Seine starken Gegenwartsstücke, »Prinz Friedrich[172] von Homburg« und »Die Hermannsschlacht«, lagen fertig in seinem Pult; aber kein Theaterdirektor und kein Verleger wagten sich daran, die Zensur hätte diesen Überschwang des Patriotismus mit allen Mitteln niedergehalten. Das Recht zu leben nahm der Dichter aber noch für sich in Anspruch, und dazu sollten ihm die »Abendblätter« dienen. Hier vollzog sich nun eine psychologische Wendung, die der für ihren Helden eintretenden Kleistforschung immer einige Verlegenheit bereiten wird. Zweifellos waren die Auffassungen von der Würde der Presse damals noch sehr primitiv; das mag jeden andern vielleicht entschuldigen, aber auch Kleist? Kurzum, er wußte sich, um den Bestand der »Abendblätter« zu sichern, nicht anders zu helfen, als daß er sein Blatt der Regierung als offizielles Organ antrug. Hardenberg erklärte sich zu einer nicht näher bezeichneten Unterstützung bereit, wenn das Blatt »zweckmäßig« geleitet werde. Was er darunter verstand, war klar: völliges Aufgeben aller Selbständigkeit und unbedingtes Eintreten für die Regierung.

Für diese Aufgabe seiner Selbständigkeit wollte Kleist den offiziellen Charakter seiner Zeitung öffentlich anerkannt sehen. Dagegen wieder sträubte sich Hardenberg, der als kluger Staatsmann wußte, daß die »Liebe des freien Mannes« ganz anders wirkt als die des erwiesenen journalistischen Söldners. Die Verhandlungen darüber zogen sich zwei Monate hin. Kleist duldete, daß die Regierung seine Zeitung mit offiziellen Beiträgen überschwemmte, und mußte sich gefallen lassen, daß die Zensur in dieser Zeit mehr als die Hälfte aller seiner Artikel strich. Dabei konnte er es sich doch nicht versagen, eine verschleierte Opposition fortzusetzen, jetzt unter der Maske des Lobes, wofür ihm Hardenberg schwerlich Dank wußte.

Dennoch kam ihm dieser so weit entgegen, daß er allen ministeriellen Departements empfahl, die »Abendblätter« mit amtlichen Nachrichten zu versehen. Aber er hatte mehr versprochen, als er halten konnte, und war sich der rechtlichen Konsequenz dieses Schrittes offenbar selbst nicht bewußt gewesen.

Eine Zensurverfügung gegen Kleists »Abendblätter«.

Sobald Kleists »Abendblätter« durch ministerielle Beiträge innerpolitischer Art offen unterstützt wurden, traten sie in Konkurrenz[173] mit den beiden andern politischen Berliner Tageszeitungen, die ein unantastbares Privileg besaßen. Die privilegierten Zeitungen schlugen denn auch sofort Lärm, als Kleist am Ende des ersten Quartals die politische Neugestaltung seines Blattes voreilig bekanntmachte. Der Zensor Himly nahm sich ihrer pflichtgemäß an, und die Verhandlungen mit Hardenberg liefen urplötzlich auf das Gegenteil dessen hinaus, was Kleist nach den ebenso vorschnellen Versicherungen des Kanzlers hatte erwarten dürfen: am 29. Dezember 1810 wurde ihm die Aufnahme politischer Originalartikel ein für allemal untersagt! Man verwies ihn ausschließlich auf das, was die »Vossische« und »Spenersche« an politischem Material unter ordungsgemäßer Zensur Himlys bringen würden.

Die Verzweiflung Kleists über dieses Fehlschlagen seiner Hoffnungen ist begreiflich. Sein Blatt war dadurch tatsächlich schon ruiniert. Womit sollte er einen neuen Leserkreis gewinnen? Den früheren hatte er zum größten Teil eingebüßt mit dem Augenblick, als er die Spalten der »Abendblätter« Hardenberg zur Verfügung stellte; selbst den nächsten Freunden war ihre Haltung »verächtlich« geworden, ihr Kredit war dahin, und ihr Absatz hatte so stark nachgelassen, daß es Mühe kostete, sie für das zweite Quartal bei einem andern Verleger unterzubringen; der erste, Hitzig, hatte schleunigst seine Hand davon abgezogen, als sie keinen Gewinn mehr versprachen.

Die Vernichtung der »Berliner Abendblätter«.

Aber konnte Kleist, wenn ihm die äußere und innere Politik verschlossen war, aus den »Abendblättern« nicht wenigstens ein gutes Unterhaltungsblatt schaffen? Auch dieses hat ihm Hardenberg unmöglich gemacht! Läßt sich in politischer Beziehung des Staatskanzlers Vorgehen begreifen – entschieden ins Unrecht setzte er sich dadurch, daß er den »Abendblättern« auch das weite allgemein kulturelle Gebiet der Kunst, Literatur und Wissenschaft verschloß, auf dem sie sich erfolgreich hätten betätigen können. Es sollte auch in diesen Dingen keine Ansicht laut werden, die den gerade an maßgebender Stelle herrschenden widerstritt. Kleist aber und seine Freunde gehörten[174] zu den Pechvögeln, denen es nun einmal nicht gegeben ist, ihren Flug dem gerade herrschenden Winde anzupassen.

Zu der damaligen innern Reform Preußens gehörte die Neueinrichtung der Volksschule nach dem System Pestalozzis. Kleist und seine Standesgenossen waren keine Freunde des Schweizer Pädagogen; ihr aristokratisches Empfinden sträubte sich gegen sein internationales Gleichheitssystem und verlangte im Gegensatz dazu nationale und individuelle Erziehung. Solche Probleme hätten sich, sollte man meinen, doch wohl öffentlich erörtern lassen. Weit gefehlt! Die Zensur duldete das nicht. Ein erster Artikel von Adam Müller über die neu gegründete Berliner Universität hatte sogleich den heftigsten Anstoß erregt – Grund genug für den Zensor, auch diese Debatte zu verbieten. Kleist und seine Freunde glaubten bei der Besetzung der Lehrstühle ein Wort mitreden zu dürfen – man schloß ihnen den Mund. Ein Nachruf auf den 1810 in München gestorbenen Physiker Ritter wurde gestrichen, denn die Regierung empfand es als einen unbequemen Vorwurf, wenn der Wahrheit gemäß gesagt werden mußte, daß Ritter einer von den geborenen Preußen war, die wie Winckelmann, Herder, Fernow und andere im Vaterlande nichts gegolten und dem Ausland ihre Dienste hatten widmen müssen. Die Leitung der Berliner Kunstakademie konnte den Romantikern der »Abendblätter« wenig gefallen; flugs gehörte auch dieses Thema zu den verpönten. Schlechterdings überall stießen sie auf ein Noli me tangere, und selbst eine alberne Lokalnachricht über eine Studentenschlägerei brachte sie in Konflikt mit der Universitätsverwaltung; es half ihnen nichts, daß die Notiz aus dem Büro des Polizeipräsidenten selbst stammte, sie hatten den Nachteil.

»Rad und Wagenschmiere.«

Ihren Höhepunkt erreichte diese Gewaltherrschaft der unmittelbar von Hardenberg beeinflußten Zensur bei Behandlung der Theaterkritik. An der Spitze des Berliner Hoftheaters stand noch immer Iffland, gegen dessen ganze Richtung die Romantiker und Patrioten aus ästhetischen und Standesrücksichten Front machten. Kleist war obendrein gegen Iffland persönlich gereizt, da er nicht einmal sein »Käthchen von Heilbronn«[175] aufführte; strenge Objektivität von einem Dichter in solcher Lage zu verlangen, ist eine übermenschliche Forderung. Gegen Iffland führten also die »Abendblätter« einen lustigen Kleinkrieg mit Ernst und Satire. In dem Punkte sind alle Theaterdirektoren empfindlich und ebensowenig objektiv. Zufällig kam es am 26. November 1810 bei der zweiten Aufführung von Weigls »Schweizerfamilie« zu einem solennen Theaterskandal; die Darstellerin der Hauptrolle paßte einer Klique von Offizieren nicht. Auch Kleist hatte sich in diesem Sinne ausgesprochen, was sein gutes Recht war. Die Vorstellung wurde durch laute Mißfallensäußerungen unterbrochen. Iffland beschwerte sich, drohte mit Abdankung; eine Untersuchung des Vorfalls hatte den Erfolg, daß etliche der militärischen Kunstenthusiasten aus der Stadt verwiesen wurden – gewiß ein warnendes Exempel, denn die Herren wohnten in Charlottenburg! Die »Abendblätter« aber waren wieder das »Karnickel«. Ob Iffland, der sich bei seinem früheren persönlichen Konflikt mit Kleist wegen des »Käthchens von Heilbronn« tadellos gegen den Dichter benommen hat, zu der Maßregelung der »Abendblätter« selbst den Anstoß gab, ist nicht erwiesen, liegt aber nahe und wäre menschlich verständlich, hatte er doch schon 1803 das Verbot aller Theaterkritiken gefordert, dem sich der Zensor Renfner mit Recht widersetzte. Nicht verständlich aber ist, daß die Zensurbehörde 1810 seiner Empörung nicht den nötigen Dämpfer aufsetzte, sondern im Gegenteil seine Sache zur ihren machte und unmittelbar darauf, Anfang Dezember, der Zeitung Kleists und – des bessern Aussehens wegen – auch dem ganz ungefährlichen Unterhaltungsblatt »Der Freimüthige« die weitere Führung der Berliner Theaterkritik ein für allemal untersagte! Unter Hardenbergs Regime duldete man es also nicht, daß ein Journalist und Dichter wie Kleist über die Führung des Königlichen Hoftheaters eine andere Meinung hatte als der amtierende Theaterdirektor selbst! Arnim hatte gewiß nicht unrecht, wenn er den Witz machte, Iffland und Hardenberg hingen »wie Rad und Wagenschmiere« zusammen. Drei Jahre später stellte derselbe Iffland wieder den Antrag, alle Kritiken über Neuaufführungen bis nach der dritten Vorstellung zu verbieten. Diesmal aber erhielt er die Antwort, das widerstreite[176] »der Freiheit des Urteilens«. Aber 1810 ließ man sich um diese Freiheit des Urteils noch keine grauen Haare wachsen, sondern hing dem unbequemen Kritiker einfach den Maulkorb um und fragte nicht danach, ob durch solch ein radikales Verbot eine Zeitung wie die »Abendblätter« und mit ihr der Herausgeber zugrunde gingen.

Kleists Ende.

Und mit ihr der Herausgeber! Davon ist nichts abzuwaschen! Daß Kleist völlig mittellos war, steht fest. Das einzige Unternehmen, durch das er sich über Wasser halten konnte, brach zusammen. In seiner Verzweiflung verlangte er vom Staatskanzler Entschädigung für die Zugrunderichtung der »Abendblätter«; die Verhandlungen darüber unter Vermittlung des ebenfalls über ihn aufgebrachten Regierungsrats Friedrich von Raumer, des bekannten Historikers, der später selbst sehr viel von der Zensur auszustehen hatte, gehören zu den unerfreulichsten Momenten in Kleists Leben. Der Stil, mit dem man solche Gesuche aufsetzt, war Kleist nicht gegeben. Er erreichte natürlich nichts. Ende März 1811 stellten die »Abendblätter« ihr Erscheinen ein, und sieben Monate später fand man ihren Herausgeber mit durchschossener Schläfe dort, wo heute – am kleinen Wannsee bei Berlin – sein Grab eine heilige Stätte geworden ist.

Der Fall Kleist steht durch die Bedeutung seines Opfers und die Tragik seines Abschlusses vereinzelt da. Aber nur dadurch! Denn er war leider der Anfang eines ganzen Systems. Man mag zur Romantik und selbst zu Kleists Poesie stehen wie man will, das eine läßt sich nicht bestreiten: die »Abendblätter« waren ein ernsthafter Versuch, mit bescheidenen äußeren Mitteln in Berlin ein populäres Blatt zu begründen, das die Weltanschauung einer modernen Literaturbewegung zum Ausdruck brachte und zugleich das Organ einer politischen Partei sein wollte. Der Versuch wäre gelungen, er hatte vom ersten Tage an einen kaum erwarteten großen Erfolg. Die preußische Zensur erstickte ihn durch ihre unfaßbare Willkür. Das literarische Sündenregister der preußischen Zensur setzt damit vielversprechend ein und erreicht bis 1848 eine erschreckende Länge.[177] Was war die Folge? Die Berliner Zeitschriftenliteratur sank auf einen Tiefstand, der durch nichts zu unterbieten war. Der schale Witz und die persönliche Skandalsucht wurden Trumpf in der dortigen Presse, nur auf solchem von der Zensur bereiteten Boden konnte eine Giftpflanze wie der berühmte Humorist Saphir gedeihen, dieser Revolverjournalist par excellence, der in den zwanziger Jahren dort Triumphe feierte und den Geschmack für ein Menschenalter verdorben hat. Auf diese Weise vernichtete die Literatur sich schließlich selbst, und der Zensor konnte ruhig schlafen!

Die Verherrlichung des Selbstmords.

Noch der tote Kleist sollte der Zensurbehörde eine Verfügung des Königs bringen.

Der Berliner Kriegsrat Peguilhen, dem Kleist und seine Freundin einige Besorgungen aufgetragen, spielte sich als Freund und Testamentsvollstrecker des Dichters auf und veröffentlichte in der »Vossischen Zeitung« eine alberne Verherrlichung des Selbstmordes Kleists. Darauf erließ der König am 27. November 1811 eine Kabinettsorder, worin es hieß:

»Wenn es jedem, dessen sittliches Gefühl erstorben ist, freystehen soll, seine verkehrten Ansichten in Blättern, die in jedermanns Hände kommen, laut und mit anmaßender Verachtung Besserdenkender zu predigen; so werden alle Bemühungen, Religiosität und Sittlichkeit im Volke neu zu beleben, vergeblich seyn, indem der Glaube an das einstimmige Zeugnis jedes unverdorbenen Herzens verdächtig gemacht, das moralische Urtheil verwirrt, und die Kraft des Volkes im innersten Lebenskeime vergiftet werden.«

Der König befahl daher, diese seine Meinung gehörigen Orts aufs nachdrücklichste einzuschärfen, »damit überhaupt bey der Aufsicht auf die öffentlichen Blätter, der Mißbrauch derselben zur Verbreitung der Immoralität aufs sorgfältigste verhütet werde«, und dem Zensor der Zeitung einen ernstlichen Verweis zu erteilen. Außerdem befahl er, die Schrift über den Tod Kleists, die Peguilhen gleichzeitig angekündigt hatte, nicht zum Druck zu verstatten. – Sie erschien denn auch damals nicht, sondern wurde erst zweiundsechzig Jahre später veröffentlicht.


[178]

10. Bürokratie und Militarismus.

Ach, Herr! Gesegn' uns Wein und Brot,
Und schlage den Napoleon tot,
Durch uns und mit uns, Amen!

Altes Soldatenlied.

Die Flucht der Patrioten.

Das Jahr 1812 ist das am tiefsten beschämende der Geschichte Preußens. Am 24. Februar mußte der König mit Napoleon ein förmliches Bündnis schließen und ebenso wie Österreich zu dem bevorstehenden Feldzug gegen Rußland Hilfstruppen stellen. Im Mai versammelten sich die deutschen Fürsten in Dresden zur Huldigung vor dem Imperator; dann kam dieser als gefeierter Gast seines »allergetreuesten Bundesgenossen« nach Berlin, und starke französische Besatzungen in der Hauptstadt und in den Festungen sorgten dafür, daß auch nach dem Durchzug der französischen Truppen nach Rußland kein Wort des Mißfallens laut wurde. Den neuen Minister der höheren Polizei, den reaktionären Fürsten zu Sayn-Wittgenstein, Oberkammerherrn des Königs, und den ebenfalls neuen Minister des Innern, von Schuckmann, hatte sich der französische Gesandte selbst ausgesucht. Der »Moniteur« allein gab in Preußen den Ton an, und von den deutschen Fürsten hatte nur Herzog Karl August den Mut, sich zu verbitten, daß französische Lügen in preußischen Zeitungen als Nachrichten aus Weimar umgingen.

Nebst andern Patrioten wie Gneisenau und Clausewitz hatte auch Gruner sofort nach dem Bündnis mit Frankreich sein Amt niedergelegt und war nach Österreich gegangen, wo er mit dem Freiherrn vom Stein den geheimen Minenkrieg und die Erhebung Deutschlands gegen Napoleon organisierte und vor allem die literarische Offensive durch Flugschriften und Aufrufe vorbereitete.

Der Umschwung.

Gruners Nachfolger seit dem 10. März 1812 wurde der Kurator des Büros im Staatskanzleramte, Geh. Staatsrat[179] Friedrich von Bülow, ein Verwandter und damaliger Vertrauter Hardenbergs; Himly führte jetzt die Zensur der historisch-politischen Schriften, und der Geh. Legationsrat Jordan verwaltete mit großer Strenge die Zensur der Zeitungen. Als er am 22. Januar 1813 mit dem Könige, der sich bei dem beginnenden Umschwung den Fängen der Franzosen entzog, nach Breslau abging, wurde wieder der seit 1792 bewährte Staatsrat Renfner sein Nachfolger. Auch dieser sorgte nach dem Willen des abwesenden Staatskanzlers und der ihn vertretenden Oberregierungskommission mit von der Goltz an der Spitze dafür, daß durch keine Entgleisung der öffentlichen Aussprache das gute Verhältnis zu den Franzosen getrübt wurde. Alle französischen Siegesbulletins mußten die Berliner Zeitungsleser über sich ergehen lassen, von dem Strafgericht, das in Rußland über Napoleon hereinbrach, erzählten nur durchgeschmuggelte Privatnachrichten und Gerüchte, das grausige Elend des Rückzugs der großen Armee aus Rußland trat den Berlinern erst leibhaftig vor Augen, als die zerlumpten Reste durch die Stadt fluteten, den Brand von Moskau und ähnliche Vorfälle kannte man nur in französischer Beleuchtung, und die Nachricht von der Konvention von Tauroggen (30. Dezember) ließ die Berliner Zensur erst am 19. Januar durch, zugleich mit der Nachricht von der Absetzung des Generals von York und der strengen Verleugnung seiner Tat durch den König. Schleiermacher, der schon von der Ungültigkeit erzwungener Verträge zu predigen begann, wurde noch am 3. Januar 1813 unter Aufsicht gestellt. Der Aufruf zur Bildung von Freiwilligenkorps vom 3. Februar durfte in Berlin erst am 9. Februar, später als in den märkischen Provinzblättern, erscheinen, und daß schon am 20. Februar vereinzelte Kosaken von der Armee Tschernyscheffs in den Straßen Berlins als Befreier bejubelt wurden, mußten die Zeitungen völlig verschweigen, denn noch war ja eine starke französische Besatzung in der Stadt, und der französische Kommandant von Berlin, Augereau, und der Gesandtschaftssekretär Le Fèvre, der Vertreter St. Marsans, hätten am liebsten jede Nachricht über militärische Vorgänge wörtlich vorgeschrieben, was selbst dem pflichteifrigen Renfner etwas stark schien.

[180]

In der Nacht vom 3. zum 4. März rückten endlich die Franzosen ab, und am andern Tage begann der Einmarsch der Russen. Die preußischen Behörden, unter denen sich kein York befand, hielten sich aber in subalterner Gewissenhaftigkeit noch immer streng an ihre Instruktion, alle Feindseligkeiten gegen Frankreich sorgfältig zu vermeiden, so daß heißblütige Patrioten wie Gneisenau kaum an sich halten konnten. Arndts im Februar verfaßtes und in Königsberg gedrucktes Flugblatt »Aufruf an die Deutschen zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen die Franzosen« durfte Anfang März in Berlin noch nicht nachgedruckt werden, denn der Anschluß Preußens an Rußland wurde ja erst durch den »Aufruf an mein Volk« am 20. März amtlich kundgemacht.

Worauf die Kosaken reiten.

1813 berichtete eine Zeitung – nach andern ein Schulbuch – von den Kosaken: »Sie reiten auf kleinen unansehnlichen Pferden.« Ein Zensor in Breslau strich die beiden Adjektiva, die ihm jedenfalls mit dem Ansehen der jetzigen Bundesgenossen unverträglich schienen, und so erfuhr die Welt die große Neuigkeit, daß die Kosaken nicht auf Eseln, Kamelen oder Stecken ritten, sondern auf Pferden.

Der »Preußische Correspondent«.

Bei dem trostlosen Zustand der Berliner Presse, an dem das politische Chaos ein gut Teil Schuld trug, war es dem Militärgouvernement höchst willkommen, daß aus dem Kreise der preußischen Patrioten ein neues Zeitungsunternehmen erwuchs, dessen Leitung der angesehene Historiker Niebuhr und dessen Verlag die Realschulbuchhandlung von Reimer übernahm, und noch ehe das offizielle Jawort des Staatskanzlers vorlag, genehmigte es die Herausgabe des »Preußischen Correspondenten«, der am 2. April 1813 »einfach und mit Würde zu dem Volke von dessen heiligsten Interessen« zu reden begann. Niebuhr sah seine Aufgabe darin, »die Überzeugung von der Notwendigkeit eines Volkskrieges im äußersten Sinne des Wortes täglich zu nähren, den Haß gegen die Franzosen zu mehren und über die allgemeine Politik ein gesundes Urteil zu bewirken«.

[181]

»Die Freiheit der Rede und der Schrift ist uns wiedergegeben«, frohlockte Niebuhr im Leitartikel der ersten Nummer. Das sollte sich sehr bald als eine gewaltige Hyperbel erweisen. Renfner erlaubte sich sogar Änderungen an den Kriegsberichten aus dem Hauptquartier, die Gneisenau selbst schrieb, so daß dieser schon bald mit ihrer Entziehung drohte. Einer dieser Kriegsberichte von Gneisenau (26. April) beschuldigte auf Grund von französischen Feldpostbriefen die Berliner Bankiers hochverräterischer Beziehungen zum Feinde. Als darauf die »Vossische« ihre Abonnenten von der Hochfinanz in Schutz nahm, verhinderte Renfner (2. Mai) die Fortsetzung der Polemik.

Unter seinem Nachfolger von Schultz wurde das Verhältnis zwischen Redaktion und Zensor auch nicht besser; der Albdruck des Waffenstillstandes lastete auf dem »Preußischen Correspondenten« naturgemäß noch stärker, und als erst der temperamentvolle Schleiermacher am 25. Juni dessen Leitung übernahm, kam es zwischen ihm und den Behörden über Fragen mehr der innern als der äußern Politik zu Konflikten, die an Schärfe den Zusammenstoß Heinrich von Kleists mit Hardenberg noch weit übertrafen. Der »Correspondent« ist nach den »Abendblättern« die zweite Berliner oder preußische Zeitung, in der sich die Umrißlinien einer werdenden politischen Partei, hier eines konservativen Liberalismus, deutlich abzeichneten, und die Regierung war keineswegs gewillt, solche neuen Machtgruppen aufkommen zu lassen.

Schleiermachers Hochverrat.

Am 14. Juli 1813 sprach der »Preußische Correspondent« von Gerüchten über einen Friedenskongreß, der in Prag zusammengetreten sei und auch wirklich stattfand. Die Anhänger eines schnellen Friedensschlusses warnte er, sich nicht vorschnell zu freuen, und die Gegner, darob nicht zu verzweifeln. Die Ansicht der letztern Partei, zu der Schleiermacher selbst gehörte, gehe dahin, daß Preußen, »um zu einem würdigen Zustande zu gelangen«, noch einer »ungeheuern Kraftentwicklung« und Deutschland im allgemeinen noch »großer entscheidender Ereignisse« bedürfe, die »den Grund zu einer künftigen Form legen« müßten. Denn, so schrieb Schleiermacher wörtlich, »was[182] sich Deutschland von einer Verfassung versprechen kann, welche durch die Willkür sich durchkreuzender diplomatischer Verhandlungen begründet wäre, das wissen wir seit dem westphälischen Frieden, der Deutschland zerstörte, indem er es neu zu bilden glaubte«. Unter dem »würdigen Zustand« Preußens, das ja schon eine feste »Form« hatte, verstand er die völlige Unabhängigkeit von Napoleon, und das schwierige Problem der »künftigen Form« Deutschlands beschäftigte ein Jahr später den Wiener Kongreß. Diese Fragen durften wohl dem Redakteur eines politischen Blattes einigermaßen am Herzen liegen. Schleiermacher beruhigte nun die Gegner eines vorschnellen Friedens mit der Versicherung, ihre »allgemein verbreitete« Ansicht werde »gewiß auch bei den Friedensverhandlungen eine Stimme haben«; er meinte damit: dieser oder jener der beteiligten Diplomaten werde wohl auch so denken. Und wenn auch, erklärte er zuletzt, ein Friede geschlossen werde, den man noch nicht als »den wahren Anfang einer neuen Ordnung der Dinge ansehen« könne, so müsse man ihn eben »nach den Principien eines Waffenstillstandes beurteilen« und alle Vorteile, die er gewähre, gehörig benutzen.

Am 15. Juli erklärte das Auswärtige Amt Schleiermachers Äußerungen als »unbefugte anmaßende vorgreifende Urteile einer Privatperson über künftige Resultate« des Friedenskongresses; die »absprechende Zurückweisung ›Diplomatischer Verhandlungen‹ und die ›Berufung auf eine allgemein verbreitete Ansicht, die bei den Friedensverhandlungen eine Stimme haben werde‹, die Entgegenstellung der Begriffe: ›einzelne Mächte‹ und ›Deutschland und Preußen‹,« gebe eine »Tendenz pflichtwidriger Eigenmacht und Willkür zu erkennen. Der Ton und die Tendenz mancher Schriftsteller und ihrer Anhänger, zusammengehalten mit gleichzeitigen verwegenen Vorgängen, deuten auf ein Streben jener Personen, ihre Eigenmacht und Willkür an die Stelle der rechtmäßigen Macht und Autorität zu setzen.« Das Auswärtige Amt glaube daher nach dem Grundsatz verfahren zu müssen: »den Keimen zu widerstehen« (was wohl eine Übersetzung des Ovidischen »Principiis obsta« sein sollte!) und berichtete darüber an Hardenberg.

Daraufhin befahl der König am 17., Schleiermacher sofort[183] seines Predigtamtes zu entsetzen und binnen 48 Stunden über Schwedisch-Pommern ins Ausland abzuschieben!

Diese Strenge hielt aber Hardenberg offenbar für übertrieben; er wußte den König umzustimmen, und so wurde die schon fertige Kabinettsorder dahin gemildert, daß dem Herausgeber des »Preußischen Correspondenten« sein Benehmen »ernstlich verwiesen« und ihm bedeutet wurde, eine Wiederholung desselben werde »aufs nachdrücklichste und mit unfehlbarem Verlust seiner Dienststelle geahndet werden«.

Am 19. mußte Schleiermacher vor dem Minister des Innern von Schuckmann erscheinen, und dieser »bedeutete« ihm laut Protokoll, der betreffende Artikel »verkündige die Notwendigkeit einer Umwälzung der preußischen Staatsform durch gewaltsame Ereignisse und enthalte die Anmaßung des Zeitungsschreibers, die Schritte der Regierung öffentlich meistern und leiten zu wollen, um sie diesem Ziele entgegenzuführen«. Das sei nach dem Landrecht nichts geringeres als Hochverrat!

Schleiermacher verteidigte sich ausführlich schriftlich mit großem Scharfsinn und schlagender Dialektik gegen die unsinnige Auslegung seines Artikels. Aber seine »Nase« hatte er weg, und dabei blieb es. »Ich habe aber alles sehr lustig abgeschüttelt«, schrieb er sechs Jahre später an seinen Freund Arndt, als auch dieser ein Demagog sein sollte, »und halte mir die Sache nur noch als einen Schinken in Salz«. Und über die Szene bei Schuckmann berichtete er, dieser habe zwar erst »mit seiner ganzen Bärenhaftigkeit aufgetatzt«, sei dann aber im Gespräch mit ihm so »gekirrt« worden, »daß er hernach ordentlich mit dem Maulkorb herumging«. »Es gibt wohl keine ärgere Erbärmlichkeit für einen König,« fügte er hinzu, »als solche Schnippchen in der Tasche zu schlagen, und darum kann man sie ihm ja wohl gönnen.«

Reformation und Revolution.

Kurz vor dem Verfahren gegen Schleiermacher war in Berlin bei Hitzig eine kleine Broschüre erschienen »Zur politischen Reformation«. Sie bezeichnete als die schlimmsten Folgen der Französischen Revolution die »absolute Souverainität, Maschineneinrichtung der Staatsverwaltung und Conscription«.[184] Der biedere Zensor Himly selbst hatte sie zum Druck genehmigt, denn er sagte sich: Preußen hat durch Hardenbergs Finanzedikt vom 27. Oktober 1810 schon eine Nationalrepräsentation eingeleitet, will also keine absolute Souveränität; Maschineneinrichtung läßt sich dem preußischen Staat ebenfalls nicht vorwerfen, und Konskription kennt er nicht; also geht die Tendenz der Schrift gegen Frankreich und seine Gewaltherrschaft in deutschen Landen.

Am 5. Juli aber kam der Polizeiminister Fürst Wittgenstein darüber. Der sah in dem Büchlein nur die deutlich ausgesprochene Absicht, »die monarchische Regierungsform, wie sie in dem preußischen Staat eingeführt ist, aufzuheben und dem Volke wesentlichen Anteil an der Verwaltung und recht eigentlich eine Mitregierung einzuräumen«. Man brauche nur den Ausdruck »Reformation« in »Revolution« umzuändern, dann habe man den Sinn und Zweck des Schriftchens am richtigsten erfaßt. Wolle es doch sogar die Sprache »revolutionieren« und die Ausdrücke abschaffen, »womit seit länger als tausend Jahren die Untertanen die schuldige Ehrfurcht gegen ihre Regenten an den Tag zu legen gewohnt sind«. Genau so seien auch die französischen Jakobiner vorgegangen.

Jetzt lag es klar zutage: dieses zunehmende dreiste Verlangen nach Nationalrepräsentation noch während des Krieges war nichts anderes als die Folge des unseligen Landsturmedikts, das ja das ganze Volk zur Verteidigung des Staates aufgerufen hatte! Das unvorsichtige Wort des Fürsten Kaunitz zu Kaiser Joseph II. von dem ganzen »Volk in Waffen«, das an Majestät dem Kaiser ebenbürtig sei, war furchtbar lebendig geworden. Die gefährliche Phrase von einem »Volksheer« brauchte ja selbst ein Mann wie der General von Clausewitz, der mit Scharnhorst die ostpreußische Landwehr ins Leben gerufen hatte. Von da bis zur Regierung des Staates durch ebendieses Volk war nur ein Schritt! Und hatte nicht der Deutschrusse Kotzebue in seinem »Russisch-deutschen Volksblatt«, das er von Ende März bis Ende Juni 1813 in Berlin herausgab, im Anschluß an jene Broschüre schon die künftige Verfassung Preußens entworfen? Ein Oberhaus wollte er eingerichtet sehen aus den deutschen Fürsten, und ihm gegenüber ein Unterhaus, das aus[185] den »freien deutschen Männer des Landsturms« zu bilden sei! Diese Projekte galt es »in den Keimen« zu ersticken.

Daß Fürst Wittgenstein so dachte, bestätigt der Briefwechsel zwischen Gneisenau und Clausewitz. Darnach waren sowohl Wittgenstein wie Polizeipräsident Le Coq und von Bülow der Überzeugung, das Landsturmedikt sei revolutionär, stürze die Verfassung um und führe »zu völliger Anarchie und Umsturz des Thrones«. Und ebenjenes anonyme Büchlein »Zur politischen Reformation« wurde der Anlaß, daß der Oberkammerherr jetzt auch den König zu seiner Ansicht zu bekehren wußte. Am 17. Juli, als Friedrich Wilhelm III. die Kabinettsorder gegen Schleiermacher unterzeichnete, verfügte er auch die Aufhebung des bisher gebildeten Berliner Landsturms. Die Formation des Landsturms überhaupt wurde »nunmehr als vollendet« bezeichnet, er sollte nur noch eine Reserve der Landwehr sein, seine Selbständigkeit wurde ihm völlig genommen und er nicht nur den ihm vorgesetzten Kommandanten, sondern allenthalben »den Polizeiobrigkeiten des Orts oder Bezirks« unterstellt. Auch seine aus Zivilpersonen gewählten »Schutzdeputationen« wurden beseitigt, und gleich hinterher, am 21. Juli, eine Verordnung gegen den Mißbrauch der Landsturmwaffe erlassen, als ob es sich um eine Räuberbande gehandelt hätte.

Dieser 17. Juli ist daher als ein dies ater in der Geschichte Preußens zu betrachten, denn er bezeichnete den ersten entschiedenen Schritt auf dem Wege der Reaktion, auf dem der König von da an, begleitet von seinem allmächtigen Oberkammerherrn und Polizeiminister, zeitlebens hartnäckig weiterging.

Engelsturz.

Noch zwei Männer in Preußen hatten Anlaß, in ihrem Kalender den 17. Juli 1813 mit schwarzer Tinte anzumalen: die beiden Zensoren Himly und von Schultz. Ersterer hatte durch die Druckerlaubnis der Flugschrift »Zur politischen Reformation« auch nach Hardenbergs Urteil »alles Vertrauen als Censor politischer Schriften verloren« und wurde am selben Tage zu anderer Verwendung seines Amtes enthoben.

Schlimmer erging es dem Zensor von Schultz wegen des »Preußischen Correspondenten«; dieses Mannes Zensorlaufbahn[186] scheint damit ihr wohlverdientes Ende gefunden zu haben. Ihn stürzte nicht die bloße Tatsache, daß er den Artikel Schleiermachers über den Prager Friedenskongreß hatte durchschlüpfen lassen, sondern die nachträgliche freche Entschuldigung, daß er dies »zu Erreichung eines großen, auf das Wohl des Staats gerichteten Zwecks absichtlich« getan habe; er wollte damit »auf die Gefahr persönlicher Verantwortung einen materiellen, unzweideutigen Beweis von der eigentlichen Tendenz gewisser Verbindungen vor Augen bringen, um dadurch womöglich zu kräftigen Maßregeln gegen Thron und Land verderbliche Anschläge Veranlassung zu geben«! Diese niederträchtige Dienstbeflissenheit ließ auch Hardenberg nur als das gelten, was sie war: eine faule Ausrede, denn jenen »großen« Zweck hätte er ja durch Vorweisung des Korrekturbogens schon erreichen können.

Und noch ein dritter war von dem Engelsturz am 17. Juli keineswegs erbaut: der Polizeipräsident Le Coq, denn Hardenberg übertrug nunmehr ihm trotz seines Sträubens interimistisch die gesamte Zensur der Berliner Zeitungen sowie der historisch-politischen Flug- und Zeitschriften.

Schleiermachers Obstruktion.

Der neue Zensor Le Coq las den »Preußischen Correspondenten« mit besonderer Aufmerksamkeit und mit offenbarer Voreingenommenheit gegen dessen Herausgeber. Nach seiner Versicherung hörte Schleiermacher auch nach der ihm gewordenen Zurechtweisung nicht auf, sich durch anstößige Äußerungen »gegen den Wert der diesseitigen Verfassung, wie gegen das Ansehen der königlichen Regierung und deren Maßregeln vor andern auszuzeichnen«, und schon am 2. August stellte er den Antrag, die Zeitung ganz zu verbieten. Hardenberg ging darauf nicht ein. Gründe zu nachdrücklicherem Vorgehen fanden sich bald.

Am 12. August erklärte Österreich an Napoleon den Krieg, und das diesen Schritt begründende, von Friedrich von Gentz verfaßte glänzende Manifest des Kaisers bedachte Schleiermacher in Nr. 86 vom 28. August mit hohem Lobe. Er brauchte dabei in dem der Zensur vorgelegten Text die Wendung: »Die Gesinnung, welche sich hier ausspreche, sei, wenn man wolle in einer Art Gegensatz gegen die königliche, die wahrhaft[187] kaiserliche.« Denn, so hieß es weiter, »dem Kaiser gebührt eine Mehrheit von Staaten, die sich in ihren innern Bestrebungen sehr unterscheiden können, mit gleicher ruhiger Liebe zu umfassen«. Zweifellos brauchte Schleiermacher die Worte Kaiser und König hier gewissermaßen als Quantitätsbegriffe, aber ebenso zweifellos war er sich des zweideutigen Klangs dieser Wendung voll bewußt. Sie ist eine frühe Probe des später aufkommenden Zensurstils, dessen Meister der witzige, oft boshafte Schleiermacher geworden wäre. Le Coq übertrug denn auch den begrifflichen Gegensatz sofort auf die Personen, den Kaiser von Österreich und den König von Preußen – also »grober Anstoß gegen des Königs Maj. Allerh. Autorität«! Und da der »Correspondent« ihm auch weiterhin Ärger verursachte, sogar Ausfälle gegen die Zensur wagte, gegen »die krankhafte Wachsamkeit über alles was durch Druck der Welt mitgetheilt werden soll«, so forderte Le Coq am 25. September in einem geharnischten Schriftstück von Schleiermacher eine strengere Befolgung der Zensurinstruktion. Das Gesetz erlaube jedem, seine Einwendungen gegen Regierungsmaßregeln dem Oberhaupt des Staates oder den Vorgesetzten der Departements anzuzeigen; eine »weit umher cirkulierende politische Zeitung« der Residenz sei dazu nicht der Ort! Nur die Redaktion des »Correspondenten« gebe zu steten »Berichtigungen« seitens der Zensur Anlaß und beantworte diese statt mit größerer Vorsicht nur mit »ungegründeten Klagen über Beschränkung der Preßfreiheit«.

Schleiermacher antwortete darauf nicht weniger entschieden, nicht die Redaktion, sondern der Zensor habe für die Beobachtung der Zensurinstruktion zu sorgen, und auch nicht durch »Berichtigungen«, wie sich Le Coq auszudrücken beliebe, sondern nur durch »Streichungen«. Der Vorwurf, als ob er »ein eigenes Vergnügen daran fände, etwas vorlegen zu lassen, was gestrichen werden« müsse, sei ehrenrührig, und er verlange dafür Beweise. Er lasse in fremden Aufsätzen manches stehen, was er selbst, »um die Freude eines recht reinen Censurbogens zu genießen«, nicht schreiben würde, auch wenn es nicht anstößig sei; er rechtfertige sich dann bei seinen »nicht bezahlten«, sondern nur »gefälligen« Korrespondenten durch Vorlegung des Zensurbogens und denke das auch weiter so zu[188] halten. Auch verstehe er nicht, warum sich Le Coq darüber beklage: »Das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Censor auf diesem Gebiet ist wie ein Handel, bei welchem es einmal üblich ist, vorzuschlagen und zu dingen.«

Zum Schluß bedankte er sich noch mit schneidender Ironie für den Hinweis auf das Gesetz; Le Coq möge ihm aber lieber eine andere Stelle des Gesetzes nachweisen, die der Zensurbehörde das Recht gebe, Verweise zu erteilen und Drohungen zu erlassen, denn diesen »Ton« habe er nicht ohne Befremden in des Polizeipräsidenten geehrter Zuschrift gefunden. Sollte eine solche Gesetzesstelle nicht existieren, so möge Le Coq diese Schlußbemerkung gefälligst als einen Gebrauch der Freiheit betrachten, die das von ihm selbst erwähnte Gesetz zugestehe. Jeder Satz des Briefes verrät die innere Genugtuung des Schreibers, die überlegene Schärfe und Geschmeidigkeit seines Stils den Gegner fühlen zu lassen.

Auf diese vollendete Kriegserklärung konnte die Antwort nicht ausbleiben. Le Coq legte den Briefwechsel dem Staatskanzler vor, um für den schon bekannten »Geist der Anmaßung und Renitenz« Schleiermachers einen neuen Beweis zu bieten, und ersuchte um eine nachdrückliche Zurückweisung des Widerspenstigen »in die Schranken der Ordnung und des Gehorsams«. Diesem Verlangen kam Hardenberg mit ungewöhnlicher Schärfe nach und verwies Schleiermacher nun seinerseits den »unpassenden Ton« seines Briefes: »Sie scheinen darin ganz vergessen zu haben, daß Sie dem St.-R. Le Coq Achtung schuldig sind, und daß es Ihnen in keiner Hinsicht gebührt, sich seinen Verfügungen zu widersetzen … Sie haben hierzu als Volkslehrer eine doppelte Verpflichtung und sind doppelt straffällig, wenn Sie derselben entgegenhandeln.« Für diesmal wolle er es bei der Zurechtweisung bewendet sein lassen, warne ihn aber ernstlich, »sich künftig bescheidner gegen Königl. Behörden zu betragen, widrigenfalls« usw.

Von der Achtung, die der Polizeipräsident einem Manne wie Schleiermacher schuldig sei, war dabei nicht die Rede.

Schleiermacher nahm auch diese »staatskanzlerische Nase« nicht ohne Widerspruch entgegen, sondern antwortete sehr kühl und fest: Er habe seinerseits Ursache genug gehabt, sich über[189] den unangemessenen Ton des Le Coqschen Schreibens zu beschweren, habe aber den Kanzler, der »jetzt mehr als je mit den wichtigsten Angelegenheiten nicht nur des preußischen Staates, sondern des gesamten Europa beschäftigt« sei, mit dieser »Kleinigkeit« nicht behelligen wollen. Nun das aber durch Le Coq geschehen sei, müsse er bitten, der Kanzler wolle jenen zum Beweis oder zur Zurücknahme der ihm gemachten Beschuldigungen veranlassen, da der gewöhnliche Weg der Injurienklage dem Polizeipräsidenten gegenüber nicht offen stehe.

Hardenberg gab diese kühne Antwort stillschweigend zu den Akten. Einer nochmaligen groben Ansprache des Polizeipräsidenten ging aber Schleiermacher aus dem Wege, indem er am 1. Oktober die Redaktion an Achim von Arnim abgab. So war es ihm nicht vergönnt, als Journalist ein Geschichtschreiber des glorreichen Oktobermonats zu werden.

Se. Heiligkeit der Kurialstil.

Im Jahre 1810 war – auch ein Ergebnis der Neuorientierung dieses Jahres – der altehrwürdige Kurialstil im amtlichen preußischen Verkehr abgeschafft worden. Das bot den »Züllichauer wöchentlichen Nachrichten« vom 29. August 1813 Anlaß, folgende köstliche Anekdote aus dem Jahre 1800 zu erzählen:

»Ein witziger Berliner erhielt zwei Gerichtsvorladungen auf einmal; die eine beschied ihn vor das Kammergericht in Berlin, die andere am selben Tage vor die Kammer zu Küstrin. Beide begannen in der damals üblichen Form mit den Worten: ›Wir Friedrich Wilhelm von Gottes Gnaden‹ usw.

»Der Geladene erschien weder da noch dort, und als er dieserhalb zur Rechenschaft gezogen wurde, antwortete er:

›Ew. Kgl. Majestät zu Berlin haben mir allergnädigst befohlen, daß ich vor allerhöchst demselben erscheinen soll, aber Ew. Kgl. Maj. in Küstrin haben auch geruhet, mich zu gleicher Zeit vor sich zu bescheiden. Da aber in der Mathematik der Satz feststeht, daß ein Objekt, welches von zwei gleichstarken Kräften in demselben Zeitraum nach zwei entgegengesetzten Richtungen angezogen wird, im Ruhestand verbleibt, so bin auch ich im Stande der Ruhe verblieben.‹«

[190]

Die Gerichtskollegien von 1800 mußten über den Scherz so lachen, daß sie sich nicht einmal zu einem Verweis aufraffen konnten. Anders die Berliner Zensurbehörde im Jahre 1813. Am 27. September erklärte der Kriegsrat Himly, jetzt Zensor der Provinzzeitungen, der Abdruck dieser Anekdote habe in »ruhigen Zeiten wohl Rüge verdient, da Einrichtungen, die noch vor wenigen Jahren gegolten haben, der öffentlichen Verspottung doch wohl noch entzogen bleiben sollten«, und der Geh. Staatsrat von Raumer war ganz mit ihm einer »erleuchteten« Meinung, daß der Scherz »besser ungedruckt geblieben« wäre. Die Züllichauer Zeitung erhielt darob eine »Ermahnung«.

Nicht einmal über abgeschnittene Zöpfe durfte man also seine Glossen machen, und zu solchen bürokratischen Heldentaten hatte die Berliner Zensurbehörde noch Zeit und Sammlung drei Wochen vor der Völkerschlacht bei Leipzig!

Das Dankgebet nach der Leipziger Schlacht.

Ein »Augenzeuge« hatte in einem Brief geschildert, wie Fürst Schwarzenberg am 19. Oktober 1813 den drei auf dem Monarchenhügel versammelten verbündeten Fürsten die Siegesnachricht überbrachte. Kaiser Franz stieg sogleich vom Pferde und kniete zum Gebet nieder; alle übrigen Anwesenden folgten seinem Beispiel. »Bewunderungswürdig war es,« setzte der von seiner eigenen Schilderung ergriffene Berichterstatter hinzu, »daß die zügelfreien Pferde während dieser imposanten Feierlichkeit ohne einen Hufschlag zu tun, ruhig neben ihren Reitern standen.«

Dieser Brief war in der »Brünner Zeitung« gedruckt worden, und am 13. Januar 1814 brachte ihn auch die »Vossische«. Die Redaktion freute sich gewiß der höchst stimmungsvollen Szene, Schmok würde von »Brillanten« gesprochen haben, und sie war auch zweifellos ganz nach dem Herzen des Zensors Le Coq.

Wie bestürzt mag er gewesen sein, als ihm gerade diese zarte Reporterlyrik einen ziemlich derben Verweis zuzog. Hardenberg fand nämlich, daß jene rührende Schlußwendung das Gepräge der »Ironie« an sich trage, und warnte den Zensor, in ein offizielles Blatt nicht Erzählungen aufzunehmen, »die[191] bei einem großen Teile des Publikums nur gar zu leicht zu satirischen Bemerkungen Anlaß geben«.

Verwunderlich ist, daß Hardenberg nicht lieber auf die Unrichtigkeit der Tatsache selbst aufmerksam machte, von der er im Hauptquartier, wo er weilte, hätte Kenntnis haben oder doch leicht erhalten können. Die ganze Episode ist bekanntlich von den Historikern als ein Märchen bezeichnet worden.

Das »System der Mäßigung«.

Solange Napoleon in Deutschland allmächtig war und Preußen wohl oder übel für die Unantastbarkeit seines ihm gewaltsam aufgedrungenen Verbündeten einstehen mußte, blieb ihm nichts anderes übrig, als alle Angriffe gegen den Unüberwindlichen zu unterdrücken. Als aber der Schlachtendonner des 18. Oktobers den Nimbus des Korsen zerstört hatte, verlangte das Empfinden des Volkes, das doch die Kosten des Krieges mit Gut und Blut zu zahlen hatte, die Vogelfreiheit des Gegners. Statt diesem gerechten Empfinden nachzugeben, versteifte man sich seitens der preußischen Regierung auch jetzt noch auf ein »System der Mäßigung«, das mit einer lächerlichen Konsequenz innegehalten wurde. Eine schlimmere Beleidigung als die Schlacht bei Leipzig konnte wohl schwerlich das bitterste deutsche Libell dem gestürzten Franzosenkaiser zufügen.

Die Berliner Zensurbehörde dachte anders. Noch am 20. Dezember 1813 erließ sie eine neue Warnung gegen alle eingeführte Flugschriftenliteratur, die natürlich zum vorwiegenden Teil an dem gestürzten Feinde ihr Mütchen kühlte, und die Lektüre dieser ins Ungemessene wachsenden Druckschriften betrieb der gute Renfner immer noch so, als ob Napoleon leibhaftig hinter der Tür stände.

Ein so heftiger Napoleonfeind wie Arndt mußte ihm daher manches zu schaffen machen. Dieser »écrivain infatigable« ließ ja kaum einen Monat verstreichen, ohne immer neue Literaturgranaten auf den zurückweichenden Gegner zu schleudern. Arndts Flugschrift »Das preußische Volk und Heer im Jahre 1813« ließ Renfner im Dezember 1813 »gern und willig« durch, »obgleich der Schwung der letzten Seiten wohl[192] hätte gemildert werden können«. Seine »wütende Einleitung« aber zu den »Betrachtungen über das Concordat« von dem Russen Uwaroff überschritt nach Renfners Urteil »alle Grenzen« und wurde verboten, denn Arndt hatte darin Napoleon den »großen Virtuosen der Lüge« genannt. Arndts politisches Programm »Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze« kam dem Zensor zwar reichlich »überspannt« vor, denn es forderte kurzerhand die Vorschiebung der Grenze Deutschlands »soweit die deutsche Zunge klingt«, bis zu den Ardennen, den Vogesen und dem Jura, und die Herausgabe Elsaß-Lothringens, Forderungen, auf denen leider die Diplomaten des Wiener Kongresses zu unserm heutigen Leidwesen nicht bestanden. Da aber diese »excentrischen Vorschläge mit ziemlicher Bescheidenheit« vorgetragen seien, gab Renfner im Januar 1814 die Schrift zum Verkauf frei.

Die Feder aber fiel ihm vor Schreck aus der Hand (»la plume tombe des mains«), als er Arndts »Kurze und wahrhaftige Erzählung von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlägen« (anonym: Germanien 1813) las, und der unauslöschliche Haß, den die gleichzeitige Schrift »über Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache« gegen die Franzosen und ihre Sprache predigte, paßte allerdings wenig zur Proklamation der noch immer unentschlossen am Rhein stehenden Verbündeten vom 2. Dezember 1813, die Frankreich »groß, stark und glücklich« wünschte, weil es eine der »Hauptgrundlagen des europäischen Staatsgebäudes« sei.

Beide Schriften wurden nach Vorschlag Renfners am 31. Januar 1814 durch Hardenberg selbst verboten, weil sie im diametralen Widerspruch standen zu dem »System der Mäßigung«, das die Alliierten zur Schau trugen.

Ebenso erging es im Februar 1814 dem 3. Teil des Werkes »Geist der Zeit«, worin Arndt mit dem ganzen Pathos seiner volkstümlichen Beredsamkeit alles heraussprudelte, was er über Napoleons Verbrechen an der Menschheit und über die unmögliche Versöhnung Deutschlands mit Frankreich auf dem Herzen hatte. Der erste Teil dieses Werkes war 1806 in Dänemark, bei Hammerich in Altona, ohne Angabe eines Verlegers erschienen, der zweite Teil 1808 in Schweden, wo[193] sich Arndt vor den Häschern Napoleons verborgen hielt. Den dritten hatte Reimer 1813 in Berlin verlegt, ebenso eine 2. Auflage des zweiten Teils, beide unter der Druckfirma Th. Boosey in London, denn die Berliner Zensur würde nie die Erlaubnis dazu gegeben haben.

Die Schonung Napoleons.

Für die Schonung Napoleons seitens der Zensur auch während der Befreiungskriege waren hauptsächlich drei Gründe maßgebend. Für einen Mann, der einmal – ob legitim oder illegitim – den Purpur getragen, verlangte das Kartell der Fürsten Europas Achtung unter allen Umständen; er war und blieb ein gekröntes Haupt, dessen Verunglimpfung auch nicht als Ausnahmefall zugelassen werden durfte. »Der Teufel, wenngleich ein Höllenfürst, bleibt doch immer ein Souverain«, spottete Kotzebue in seinen »Politischen Flugblättern«. Obendrein war Napoleon durch seine Heirat mit der Erzherzogin Marie Luise der Schwiegersohn des Kaisers Franz, eines der erlauchten Verbündeten. Daher hatte auch die österreichische Regierung noch nach Wiederbeginn des Krieges alle »erniedrigenden Ausfälle« gegen Napoleon verboten.

Der zweite Grund war ernster politischer Art: solange man noch hoffte, mit dem Kaiser von Frankreich zu einem Frieden zu kommen, wollte man ihn nicht reizen.

Zum dritten war man auch nach seiner Verbannung nach Elba von der Furcht nicht frei, er werde wiederkommen, und die Tatsachen schienen ja diesem Bedenken recht zu geben. Die deutschen Regierungen rechneten also auch nach der Schlacht bei Leipzig mit der Möglichkeit, noch einmal die Gnade des Siegers anrufen zu müssen. Es ist Deutschland wahrlich schwer gemacht worden, sich im Vertrauen auf seine Kraft dauernd zu befestigen.

Von diesen drei Gründen vermochte den ersten auch die Geschichte niemals aus der Welt zu schaffen. Der Schwiegervater Napoleons, Kaiser Franz von Österreich, regierte ja noch bis 1835, und bis zu seinem Tode wenigstens ist dieser allerhöchsten Verwandtschaft seitens der Zensur in Deutschland stets mit rührendem Zartgefühl Rücksicht getragen worden.

[194]

Fremder Götzendienst.

Genau so wie Arndt erging es den übrigen Patrioten, die ihrem Temperament nicht die von der Zensur verlangte »Mäßigung« auferlegen konnten. Der Vorsteher der Berliner Blindenanstalt, Professor August Zeune, schickte einem Vortrag über das Nibelungenlied, das er als geeigneten Ersatz für die überschätzte französische Literatur empfahl, eine Einleitung voll »Feuerbrände und Congrevescher Raketen« gegen die »Rotte Kora«, das französische Volk, voraus, in der er ebenso wie Arndt die Verbannung der französischen Sitte und Sprache, die völlige Abschaffung des »Fremden Götzendienstes« forderte. Die deutsche Nachahmung der Franzosen erklärte Zeune aus unserer Unkenntnis der wahren Geschichte Frankreichs, der Bestechung deutscher Gelehrten durch Ludwig XIV., der verkehrten Erziehung Friedrichs des Großen durch einen französischen Hofmeister und »aus der Sucht gewisser hoher Stände, über das Volk erhaben zu sein«. »In diesem Kapitel«, heißt es in dem Zensururteil Renfners, »werden nun wieder die Vornehmen, oder wie sie Herr Zeune nennt, die Vornehmtuer nach Gebühr abgekanzelt.« Der Titel Herr ist in diesen Akten immer ironisch gemeint, soweit es sich um Bürgerliche handelt.

Als Zeune seinen Vortrag auf Wunsch seiner Zuhörer, Männer und Frauen, herausgeben wollte, verweigerte Renfner die Erlaubnis; nach seiner Instruktion, versicherte er, könne kein »einziger Satz dieser Vorlesung« gedruckt werden. Auch sein Versuch, den Vortrag unter dem Titel »Der Rheinstrom, Deutschlands Weinstrom, nicht Deutschlands Rainstrom« durchzuschmuggeln, scheiterte an der Wachsamkeit Renfners, der im Februar 1814 über das Manuskript folgendes Urteil fällte:

»Unter diesem verschrobenen Titel wollte der Prof. Zeune den größten Teil seiner schon vorhin abgewiesenen Vorlesungen zu Markte bringen, das alte Frankreich zerstückeln, halb Europa zu Deutschland schlagen, die Unabhängigkeit mehrerer benachbarten Staaten beeinträchtigen und nach Gewohnheit auf alles, was französisch ist, derb losschimpfen. Da dieser unberufene Schriftsteller noch ganz neuerlich schwere politische Sünden auf sich geladen hat und deshalb von Polizei wegen in strengen Anspruch genommen worden, so war ich desto mehr befugt,[195] ihn auch diesmal wieder zur Ruhe zu verweisen. Es ist schlechterdings kein Auskommen mit ihm.«

Und wie wütete Renfners Rotstift in der massenhaften patriotischen Lyrik, in der sich der deutsche Zorn mehr oder weniger gelenk austobte! Überall müssen Strophen voll »rasender Schimpfworte« gegen Napoleon gestrichen werden. Kein Wunder, daß da nur unangetastet blieb, was nach Renfners eigenem Urteil »matt, seicht und unschuldig« war. Sogar der Dichter der »Urania«, Tiedge, wurde mit seinen »Denkmalen der Zeit« von Renfner im Januar 1814 abgewiesen, obgleich sie, wie der Zensor selbst zugab, bewundernswerte Stücke enthielten, die das Lob des Königs von Preußen und Deutschlands mit patriotischem Schwung sangen; in einigen Gedichten aber flammte eine so heftige Empörung (»une rage furibonde«) gegen Napoleon und Frankreich, daß Renfner die Druckerlaubnis versagte. Statt ihrer gab er dem Dichter den ironischen Rat, sich mit diesen hübschen Sächelchen, die er gegen den Schwiegersohn des Kaisers Franz auf dem Herzen habe, nach – Österreich zu wenden! Sie erschienen im selben Jahr zu Leipzig bei J. F. Hartknoch.

Soviel ist gewiß: Lissauers »Haßgesang« wäre mit Zustimmung Renfners nicht gedruckt worden.

Der Schneider Kakadu.

Wo der tiefe Ernst patriotischer Männer ironisch verächtliche Ablehnung fand, wie sollte sich da der Übermut des Humors oder gar der Satire hervorwagen! Im Januar 1814 fand Renfner unter den ihm vorgelegten Schriften eine in Leipzig gedruckte »Apologie Napoleons des Großen«, voll »Gelehrsamkeit und Witz in Menge«, wie er selbst zugestand; auch mußte er »herzlich« darüber lachen, aber zum Verkauf wagte er sie nicht freizugeben, und den Druck eines Liederspiels »Politisches Quodlibet«, das bereits in Hannover zwei Auflagen erlebt hatte, verbot er im Februar hauptsächlich deswegen, weil Napoleon darin die Arie »Ich bin der Schneider Kakadu« zu singen hatte.

Die europäische Barbierstube.

Ebenso philisterhaft behandelte man die politischen Karikaturen, die schon seit dem Frühjahr 1813 wie Mücken nach[196] dem Gewitter zahlreich zum Vorschein kamen und natürlich nur ein Stichblatt hatten: Napoleon. Zunächst durften sie nicht »Sitte und sittliche Würde« verletzen, »soweit nämlich«, wie Polizeipräsident Le Coq einmal vorsichtig zugab, »der Begriff der letzteren nicht in zu weiter Ausdehnung gegen die Natur einer jeden Karikatur als solcher gerichtet sein dürfte«. Vor allem aber durften sie durch keinerlei »Attribute« irgendwelche Fürstlichkeiten kenntlich machen, auch nicht »feindliche Souveraine«.

Da war u. a. eine Karikatur erschienen, die den Titel »Die europäische Barbierstube« führte: Napoleon wird, auf einem Stuhl sitzend, rasiert; die Messerklinge trägt die Aufschrift 1813 und das blutige Rasiertuch die Namen Culm, Katzbach, Leipzig und Dennewitz; einer der drei Barbiere hält den Kunden auf dem Stuhle fest, der andere schlägt Schaum, und der dritte rasiert. Die drei trugen Offiziersuniform ohne weitere Abzeichen, und sogar jede persönliche Ähnlichkeit war vermieden. Nur Napoleon war erkennbar. Das Publikum aber verstand den Spaß und hatte bald heraus: die erste der drei Figuren ist Kaiser Franz, die zweite Kaiser Alexander und die dritte König Friedrich Wilhelm, also »die allerhöchsten Personen der verbündeten Monarchen«.

Diese »bloße Vermutung« genügte dem Berliner Polizeipräsidenten, die Karikatur sofort überall wegnehmen und »unverzüglich« verbrennen zu lassen! Der Minister von der Goltz billigte das höchlichst; er wollte zwar nicht alle politischen Karikaturen glattweg verbieten, »des möglichen Mißbrauchs wegen« und um »die Teilnahme des Publikums an den Anstrengungen, welche die Pflicht in der gegenwärtigen Zeit erfordert«, zu erhalten. Le Coq möge nur weiter mit größter Vorsicht zensieren und alles unterdrücken, was Deutungen wie die obige zulasse. »Die geheiligten Personen der verbündeten Souveraine« dürften selbstverständlich »nicht anders als auf eine dem Ernst, der Würde und der Ehrfurcht angemessene Art bildlich dargestellt werden.«

Für einen Künstler muß dieser ängstliche Zustand sehr anregend gewesen sein! Bedarf es einer andern Erklärung dafür, daß es damals in Deutschland noch keine Karikaturisten gab? Sie wären jedenfalls alle nach Spandau gekommen.[197] Mit Ausnahme etlicher Blätter Schadows ist denn auch der künstlerische Ertrag jener Zeit an Zerrbildern gleich Null.

Projektenmacher.

Leute wie Arndt, Zeune und Genossen waren nach dem Urteil der damaligen Zensur lauter »Projektenmacher«, die der allein zuständigen Regierung ins Handwerk pfuschten, statt in bescheidener Demut zu erwarten, welche Zukunft ihnen von der unübertrefflichen Weisheit der Staatslenker von 1806 zugedacht war. Ein Kammergerichtsrat Willmanns forderte in einem Aufsatz »Über die natürlichen Grenzen Frankreichs«, ebenso wie Arndt, daß die Grenzen Deutschlands so weit vorgerückt würden, als deutsch gesprochen wurde. Renfner setzte ein beredtes Ausrufungszeichen dazu und meldete: »Ich habe ihm mein Imprimatur versagt und zur Antwort erteilt, daß, da die Absichten der verbündeten Mächte über die Bestimmung der künftigen Grenzen Deutschlands noch nicht bekannt sind, es ein Vorgriff sein würde, dieserhalb öffentlich Grundsätze aufzustellen, die vielleicht nicht genehmigt werden dürften«!

Aus einer Ode des Gymnasialkonrektors Pudor zu Marienwerder strich er eine »boshafte Strophe, die das französische Volk zur Entthronung Napoleons mit Wut aufforderte«, und aus einem Lied, das er selbst als »echt patriotisch und auch artig gedichtet« rezensierte, die Verse, die »den Deutschen die Wiedereroberung vom Elsaß zusagten«.

Ein preußischer Offizier Karl Müller wollte ein strategisches Werk »Über Dijon nach Paris und weiter« veröffentlichen. Darüber hatte natürlich das Militärgouvernement zu entscheiden. Aber am Schluß »verstieg« sich der Verfasser auch in die hohe Politik; er wollte aus dem Stromgebiet der Rhône einen unabhängigen Staat gebildet, das Kaisertum in Frankreich abgeschafft und die Bourbons wiedereingesetzt sehen. »Es versteht sich,« erklärte Renfner im Februar 1814, »daß ich diesen ganzen zweiten Abschnitt verstoßen mußte.«

Noch hartnäckiger untersagte man im Jahre 1814 die öffentliche Erörterung der bevorstehenden Teilung Sachsens. Ehe sie erfolgte, sollte die Presse darüber schweigen, und nachdem sie entschieden war, erst recht. Und doch hätte das deutsche[198] Volk damals mehr als je das moralische Recht gehabt, nicht nur Friedens-, sondern geradezu Kriegsziele ins Auge zu fassen und ein Wort darüber mitzureden.

Zensurfiliale in Königsberg.

Mit den Russen war seit dem Frühjahr 1813 auch die Flut mehr oder weniger wertvoller patriotischer Volksliteratur nach Berlin gekommen, die in Rußland und Ostpreußen zur Mobilmachung des Volkes entstanden und verbreitet worden war. In Petersburg und dann in Königsberg hatte ja der Freiherr vom Stein sein literarisches Hauptquartier aufgeschlagen, und Arndt hatte ihm gleichsam als literarischer Marschall gedient, um mit dem »Zorn der freien Rede« in Liedern, Aufrufen, Flugschriften und Pamphleten den schwelenden Haß gegen den Erbfeind zur freien lodernden Flamme aufzuschüren.

Die Mehrzahl dieser aus dem Osten eingeführten Kriegsliteratur, die jetzt vor allem üppig aufschoß, wo der Augenblick gekommen schien, sich an dem endlich verblutenden, verhaßten Feinde mit Spott und Hohn zu rächen, war mit russischer Zensur gedruckt worden, und das preußische Militärgouvernement der Lande zwischen der russischen Grenze und der Weichsel hatte gerne seinen Segen dazu gegeben, denn zur Bekämpfung Napoleons schien ihm mit Recht jede, nur einigermaßen anständige Waffe willkommen. Darin hielt das Militär es ganz mit Arndt, der schon 1811 gesungen hatte:

Zusammen braust das deutsche Wort
Und weht die fremden Buben fort
Im Schlachtendonnerwetter
Wie Herbstwind dürre Blätter.

Der Berliner Zensurbehörde aber konnte der eingedruckte russische Zensurstempel keineswegs imponieren. Und obendrein sprach es ja aller bürokratischen Gepflogenheit Hohn, wenn sich da in Königsberg eine besondere Zensurbehörde aufgetan hatte, die nach eigenem Ermessen schaltete und waltete. Nach Wiederaufnahme der Verbindung zwischen Ostpreußen und der Hauptstadt war es die höchste Zeit, daß dieser Not- und Ausnahmezustand aufhörte und der Berliner Amtsschimmel wieder allein den Zensurkarren zu ziehen hatte.

[199]

Die Militärs waren mit der Entziehung ihrer eigenen Zensurrechte keineswegs einverstanden und begriffen ebensowenig, warum noch immer – dem Buchstaben getreu – Bücher verboten bleiben sollten, die man nur den französischen Gewalthabern zuliebe mit dem Interdikt belegt hatte. Daraus entwickelte sich zwischen ihnen und den ängstlichen Bürokraten und Diplomaten in Berlin ein ebenso hartnäckiger wie amüsanter amtlicher Federkrieg, zu dem vor allem die Schriften von Arndt und Kotzebue immer neuen Anlaß boten, und dem auch die Schlacht bei Leipzig kein Ende machte.

Arndts »Historisches Taschenbuch«.

Zu den von Rußland hereingekommenen patriotischen Schriften gehörte auch Arndts »Historisches Taschenbuch für das Jahr 1813«, sechs Kapitel aus seiner »teutschen Geschichte«, die erst zwei Jahre später erschien. Er hatte es in Petersburg mit dortiger Zensur drucken lassen und sogar der Kaiserin gewidmet. Als er dann am 22. Januar 1813 in Königsberg eintraf und Stein als russischer Zivilgouverneur zahlreiche Schriften des Freundes hier drucken und verteilen ließ, übernahm der Verleger Nicolovius den Verkauf des Taschenbuchs in Deutschland. Er versah die Exemplare mit einem neuen Titelblatt, setzte seine Firma und, da sich die Ausgabe des »gehemmten Postenlaufes« wegen verspätete, die Jahreszahl 1814 darauf und ließ sie von Leipzig aus versenden. So kamen einige davon auch nach Berlin, wo sie als von auswärts eingeführte historisch-politische Schrift dem Zensor Renfner vorgelegt werden mußten.

Arndt war damals noch Schwede, seine Heimat Rügen wurde ja erst 1815 an Preußen abgetreten, und er erstarb keineswegs in Ehrfurcht vor allen Hohenzollernfürsten. So war er in diesem Taschenbuch mit Friedrich dem Großen wegen seines »Buhlens« mit dem Franzosentum scharf ins Gericht gegangen, hatte ihn gar kurzweg einen Franzosen-»Affen« genannt – Grund genug, daß nicht nur der Berliner Zensor Renfner die Schrift als »sträflich« bezeichnete, sondern sich der Minister des Auswärtigen von der Goltz und sein Staatsrat von Raumer persönlich damit beschäftigten.

[200]

Die beiden Herren stellten daraus »die schändlichsten und empörendsten Schmähungen wider das heilige Andenken des großen Königs« zusammen; Goltz fand die Tatsache des Verlags durch die Königsberger Firma, »wenn es nicht klar zu Tage läge, allen Glauben übersteigend«, verfügte die sofortige Beschlagnahme und verlangte entschieden, daß die ostpreußische Regierung den schuldigen Zensor seines Amtes entsetze oder, wenn der Verleger ohne Zensur habe drucken lassen, das Zensuredikt von 1788 gegen diesen im voller Schärfe zur Anwendung bringe. Ihm schien »die Wurzel des Übels tiefer zu liegen und mit neuen schädlichen Keimen und Sprossen zu drohen«, und er hielt es daher sogar für notwendig, das Buch dem Staatskanzler Hardenberg vorzulegen, damit dieser imstande sei, »den bösen Principien in ihren ersten Fäden zu widerstehen«. Voll tiefer Entrüstung schrieb er am 14. Januar 1814 an Hardenberg: »Erwägt man den diametralen Widerspruch, in welchem diese freche Verunglimpfung der Manen Friedrichs mit dem hohen Königlichen Wort vom 17. März 1813: ›Erinnert euch an den großen Friedrich‹ stehet, auf welches erhabene Wort so herrliche Taten geschehen sind; erwägt man ferner, daß die preußische Nation frei von dem bösen Symptom ist, die Manen ihrer Heroen zu verunglimpfen oder auch nur diese Verunglimpfung zu gestatten, und auf diese Weise durch Undank gegen die Vorwelt und gegen verehrte Manen den Undank gegen den lebenden Herrscher vorzubereiten; erwägt man, daß Arndt, der Verf. der Verunglimpfung, vielleicht ebensowenig irgend einer der Regierungen Teutschlands, als der preuß. Regierung angehört und vielmehr unter dem gemißbrauchten ehrwürdigen Namen eines Teutschen, nach Gründung irgend einer, von seinem Einfluß beseelten Willkür strebt, erwägt man endlich, daß dieser Arndt ein talentvoller Mann ist, der in seiner Schrift ›Über das Preußische Volk und Heer‹, unter einigen tadelnswerten Zügen, viel Vortreffliches und der Überlieferung auf die Nachwelt Würdiges gesagt hat; so wird die Frage interessant, ob eigener böser Wille, eigne Verkehrtheit und Schmähsucht des Verf. und zugleich eine unbegreifliche historische Kurzsichtigkeit desselben, die in Preußens ruhmvoller Zeit unter Friedrich den Keim des preuß. Ruhms in der[201] gegenwärtigen Zeit nicht zu finden weiß, oder ob vielmehr äußere Impulsion ihn antreibt, in diesem unwürdigen, frevelnden Ton zu schreiben.«

Der hämische Hinweis des Ministers auf die deutsch-patriotische Tätigkeit des Ausländers, das Mißtrauen gegen seine Motive und der Verdacht, daß er ein Werkzeug in der Hand einer fremden Macht sei, den Namen eines Deutschen mißbrauche (!) und nach revolutionärer Willkür strebe, sind schon weitere Vorboten der Reaktion, die nach den Befreiungskriegen mit voller Macht einsetzte.

Hardenberg mußte nach dieser beschwörenden Ansprache wohl oder übel die Sache weiterverfolgen. Der Verleger Nicolovius hatte das Buch Arndts gar nicht gelesen, berief sich auf die Petersburger Zensur und den Freiherrn vom Stein, der mit Arndt in seinem Hause gewohnt hatte, und meinte sehr kühl, einem Historiker müsse ein freies Urteil erlaubt sein; stimme es mit den Ansichten »anderer« nicht überein, so werde es schon Widerspruch finden; nur so könne die Geschichte »Wahrheit als Haupterforderniß« erhalten.

Ganz andere Saiten aber zog das Militärgouvernement von Zastrow und von Dohna auf. Es wies zunächst darauf hin, daß Arndt an zahlreichen Stellen seines Buches Friedrichs II. »mit dem höchsten Lobe« gedenke, daß sein Tadel des Königs auch in andern, nicht verbotenen Schriften erhoben werde, und daß dieser Tadel obendrein durchaus berechtigt und »von der Nation tief gefühlt« worden sei. Die Nachfolger Friedrichs hätten »die traurigen Folgen« seiner Franzosenschwärmerei »öffentlich anerkannt und angelegentlich dahin gestrebt, dem großen dadurch entstandenen Übel entgegenzuwirken«. Nicht durch »Irreligiösität und Vorliebe für die Franzosen, sondern gerade im Gegenteil durch eine heilsame Rückkehr zum Bessern, durch allgemein wieder reggewordenen [religiösen] Sinn und ganz allgemein verbreiteten Haß gegen die Franzosen« habe die Nation im letzten Jahr so außerordentliche Dinge geleistet.

Hardenberg erbat sich daraufhin vom Minister von der Goltz ein Exemplar des Taschenbuchs. Was weiter daraus wurde, darüber besagen die Akten nichts. Der Staatskanzler war damals mit den verbündeten Heeren auf dem Wege nach Paris[202] und wird die Sache aus dem Auge verloren haben. Goltz aber dürfte der Aufforderung Hardenbergs gar nicht nachgekommen sein. Sein Verhalten in dem gleichzeitig spielenden Fall Kotzebue läßt das mit Sicherheit annehmen.

»Noch Jemands Reise-Abentheuer.«

Ebenso wie Arndts »Historischem Taschenbuch« ging es zur selben Zeit auch der heroischen Tragi-Komödie »Noch Jemands Reise-Abentheuer«, worin in lustigen Versen die Abenteuer Noch Jemands (d. i. Napoleons) und seines Mameluken verspottet waren. Ihr Verfasser war der unermüdliche Kotzebue, der darin die Taten der Russen und Preußen verherrlicht und den Patriotismus des Volkes angeregt zu haben glaubte, wie er dies in zahllosen andern Possen, Komödien und Flugschriften mit großem Geschick und Erfolg getan hatte. Im übrigen war er der Überzeugung: »Das Ungeheuer Napoleon ist ein so verabscheuungswürdiger Gegenstand, daß, so lange unsere Monarchen noch im Krieg gegen ihn begriffen sind, die Feder sowohl als das Schwert sich alles gegen denjenigen erlauben darf, der sich mit Schwert und Feder so oft Alles gegen uns erlaubt hat.«

Kotzebue, der damals in Königsberg als russischer Generalkonsul lebte, hoffte mit jener Tragi-Komödie eine »Auszeichnung« verdient zu haben; statt dessen wurde ihm von Berlin eine »Beleidigung« zuteil, denn der Minister von der Goltz nannte sein Opus ein »Pasquill« und verfügte am 14. Januar 1814 dessen Verbot mit der Begründung: »Schmähungen sind mit der eigenen Würde einer großen, gerechten Sache nicht vereinbar.«

Dieses Pasquill nun hatte in Reval und Riga eine doppelte russische Zensur passiert und war schließlich vom Königsberger Militärgouvernement ausdrücklich genehmigt worden. Daraufhin hatte der Verleger Nicolovius unbedenklich 500 Exemplare nach Berlin gesandt.

Der Minister lief denn auch mit seinem Verbot bei dem Königsberger Militärgouvernement sehr übel an. Dieses erwiderte in demselben Schreiben vom 30. Januar 1814, das Arndts »Historisches Taschenbuch« in Schutz nahm, sehr scharf, daß derlei Verbote von Schriften, die »in Rußland und dem jetzt befreiten Deutschland« herausgekommen seien, im Publikum[203] »eine tief gekränkte und beunruhigte Stimmung so wie die höchste Indignation gegen die Urheber dieses neuen Geistes und Preßzwanges hervorgebracht« und außerdem die russische Behörde bereits zu der »gehässigen Bemerkung« veranlaßt hätten, dieses Verfahren deute wahrscheinlich auf eine Änderung des politischen Systems hin! Die gesamte Nation verlange mit Recht, daß man nicht in Berlin alles, »was zur Belebung des guten Geistes gereichen könne, als Verbrechen verfolge«! Sei doch gerade von Berlin während der französischen Besetzung »fast jede unwahre, vergiftende, das Königl. Haus und die Nation herabwürdigende Darstellung ganz ungehindert« ausgegangen. Das Militärgouvernement ersuche daher den Staatskanzler, den Minister anzuweisen, »von einem solchen Verfahren abzustehen« und den Verkauf aller Schriften zu gestatten, die mit Zensur in den Staaten der verbündeten Mächte gedruckt würden.

Hardenberg verfügte daraufhin am 11. März die Freigabe der Kotzebueschen Schrift. Dieses Dementi und die scharfe Kritik des über die Haltung der Berliner Presse während der Okkupationszeit noch immer tief empörten Grafen Dohna an der Amtsführung des Ministers von der Goltz ärgerten letzteren so sehr, daß er es wagte, den Befehl des Staatskanzlers der Behörde in Königsberg einfach nicht mitzuteilen!

Das »Liedlein nach der Leipziger Schlacht«.

Hatte da zur Feier der Leipziger Völkerschlacht ein anonymer Verskünstler, wahrscheinlich ein damaliger »Feldgrauer«, in oder um Königsberg, ein kräftiges Liedlein gedichtet, das durch seinen volksmäßigen Ton in Verbindung mit einer bekannten Melodie bald auf allen Etappenstraßen des preußisch-russischen Heeres gesungen wurde. Es hub an:

Es ritt ein Reiter wohl aus Paris. Trarah!
Aus vollen Backen ins Horn er blies. Trarah!
Er eignete fremde Taten sich an
Und pries nur sich selber den Tatenmann.
Trarah! Trarah! Trarah!

und glossierte so in vierzehn Strophen den Feldzug Napoleons nach Rußland, die klägliche Rückkehr der großen Armee und die endgültige Niederlage des Korsen bei Leipzig. 8000 Mann[204] Landsturm hatten es unter Begleitung von Kriegsmusik gesungen, als die Kaiserin von Rußland auf der Straße von Braunsberg nach Mülhausen vorüberfuhr, und es hatte der Kaiserin, einer ehemaligen Prinzeß von Baden, so gut gefallen, daß sie bald mehrere Strophen auswendig konnte und die sie begrüßenden Landesdeputierten bat, ihr doch ja mehrere Exemplare des Textes zu verschaffen. Daraufhin war dies »Liedlein nach der Leipziger Schlacht« in Königsberg mit Zensur des dortigen Militärgouvernements gedruckt worden, und das Militärgouvernement in Pommern war eben im Begriff, gleichfalls einige hundert Exemplare davon herstellen zu lassen, als der Minister von der Goltz am 26. Januar 1814 fand, daß der Text des Liedes »wider eigene Würde und wider allen Anstand« verstoße, und dem Ostpreußischen Regierungspräsidenten den Auftrag gab, den Königsberger Zensor »über die richtigen Grundsätze von Anstand und Würde zu instruieren«! Ebenso erklärte der Zensor Renfner das Gedicht für »äußerst unanständig«.

Es wird ewig unerfindlich bleiben, was in den lustigen Versen das Anstandsgefühl des Grafen so sehr verletzte. Nicht die geringste Unanständigkeit ist darin; Napoleon wird ein einziges Mal »das Untier« genannt, und die derbste Strophe des Liedes lautet:

Des Krieges Sichel er ruchlos wetzt. Ei! Ei!
Die Niemens Welle den Fuß ihm netzt. Ei! Ei!
Hoch trug er die Nas', als hin er ging,
Doch bald erfroren die Nas' ihm hing.
Ei! Ei! Ei! Ei! Ei! Ei!

In Königsberg war man ob jener Berliner Verfügung denn auch nicht wenig verblüfft. Das dortige Militärgouvernement von Zastrow und von Dohna legte den Sachverhalt mit einer höchst ironischen Wendung dem Staatskanzler von Hardenberg vor. Das Militärgouvernement von Pommern erklärte ebenfalls, hier müsse wohl ein Mißverständnis vorliegen: das Lied enthalte seines Erachtens nichts Anstößiges und Bedenkliches, gehöre vielmehr zu den Liedern, die, der Fassungskraft und dem Geschmack des Volkes angemessen, bei diesem eine »heitere und enthusiastische Stimmung« erzeugten, deren es »bei den fortwirkenden enormen Anstrengungen noch sehr bedürfe«.[205] Auch das Militärgouvernement von Schlesien fand die Maßregel »kleinlich«.

Graf von der Goltz aber blieb auch hier hartnäckig bei seiner Meinung und antwortete dem Militärgouvernement, das Lied sei »wegen der Schimpfworte und andrer Anstößigkeiten verwerflich befunden worden«. Vielleicht habe man, fügte er hinzu, in Pommern einen andern Text, oder man könne mit »einigen wesentlichen« Veränderungen »etwas Besseres« daraus machen; dann möge man ihm den »verbesserten Entwurf« gefälligst einsenden. Dieser redaktionelle Auftrag kam dem Militärgouverneur Stutterheim und dem pommerschen Zivilgouverneur Beyme doch wohl allzu komisch vor; sie legten ihn ohne Antwort ad acta und ließen die Soldaten das »Liedlein nach der Leipziger Schlacht« weiter so singen, wie der Dichter es in einer glücklichen Stunde hinausgeschmettert hatte.

Hardenberg für eine liberalere Zensur.

Als Hardenberg am 11. März 1814 die Rücknahme des Verbots von Kotzebues »Noch Jemands Reise-Abentheuer« verfügte, gab er dem Minister des Auswärtigen von der Goltz zugleich genauere Anweisung, wie er die Zensur künftig gehandhabt wissen wollte. »Der Zensor«, erklärte er, »kann immerhin sein Imprimatur denjenigen Schriften erteilen, welche die Nation von den Kunstgriffen unterrichten, durch welche es dem Kaiser der Franzosen gelang, sein Reich zu der gehabten monumentalen Größe zu erheben, die wir erlebt haben, und so können auch ohne Bedenken solche Schriften die Censur passieren, bei welchen der Verf. die Absicht hat, seinen Zeitgenossen ein Gemälde derjenigen Begebenheiten und Ereignisse zu liefern, durch welche das franz. System in einem gehässigen Lichte gezeigt wird, gleichviel ob die Darstellung in einen satirischen, ironischen oder ernsten Vortrag eingekleidet ist, worauf um so weniger ein besonderes Gewicht in dem Augenblick gelegt zu werden braucht, wo wir uns mit Frankreich in einem offenen Krieg befinden.«

Dem Königsberger Militärgouvernement hatte er am Tage zuvor die Versicherung gegeben, daß er die Berliner Zensurbehörde zu einer »liberalen und dem Geiste der Zeit und den[206] Umständen angemessenen« Beurteilung der ihr vorgelegten Schriften angewiesen habe.

Hardenberg irrte sich aber gründlich, wenn er annahm, das Ministerium des Auswärtigen werde daraufhin »das Weitere verfügen«. Herr von der Goltz übte vielmehr »passive Resistenz«; er verschwieg nicht nur dem Königsberger Militärgouvernement die Freigabe der Schrift Kotzebues, sondern auch den obigen Befehl, den er allerdings auf sein Ressort allein beziehen durfte, und beschränkte seinen nach Königsberg gesandten »Extract« aus dem Schreiben Hardenbergs auf den Passus von der Unstatthaftigkeit einer dortigen eigenmächtigen Zensur! Und auch in der Folge waren er und der Zensor Renfner weit entfernt, in ihrer Strenge nachzulassen; Renfner erlaubte sich sogar Schriften zu beanstanden, die mit Hardenbergs Genehmigung oder auf seinen ausdrücklichen Wunsch entstanden waren.

Zwei Randbemerkungen des Grafen Dohna.

Obgleich sich Hardenberg gegenüber den franzosenfeindlichen Druckschriften der Auffassung des Königsberger Militärgouvernements im wesentlichen anschloß – in einem Punkte konnte er ihm nicht recht geben: die Einheitlichkeit der Zensur wurde unterbrochen, wenn man sich, wie von der Goltz sich ausdrückte, in Königsberg »anmaßte«, eine besondere Zensurbehörde zu etablieren. Seiner beruhigenden Versicherung einer künftigen liberaleren Zensur vom 10. März 1814 schickte er deshalb die Bemerkung vorauf, daß die Zensur aller verlegten oder eingeführten historisch-politischen Schriften ausschließlich Sache einer einzigen Behörde, nämlich des Auswärtigen Departements in Berlin sei. Auf die Streitfragen im einzelnen ging er dabei nicht ein, darüber gab er ja dem Minister des Auswärtigen am nächsten Tag genauere Anweisung. Graf Dohna, der letzteres nicht wissen konnte und auch keinerlei Andeutung darüber erhielt, faßte daher das Schreiben des Staatskanzlers als eine absichtliche Umgehung des eigentlichen Streitfalles auf und schrieb unwirsch an den Rand:

»Die Antwort auf die aufgestellten Fragen – pfiffige Anstalt zur Verdunkelung.«

[207]

Und als nun Minister von der Goltz am 1. Mai aus der Verfügung Hardenbergs vom 11. März den unvollständigen »Extract« nach Königsberg sandte, der sich aber wohlweislich auf den Passus über die Unstatthaftigkeit einer besonderen Königsberger Zensur beschränkte, von der Freigabe der Kotzebueschen Schrift aber kein Wort verriet, sah sich Dohna in seinem Verdacht bestärkt, und in dunkler Vorahnung der kommenden Reaktionszeit setzte er eigenhändig die Worte darunter:

»Einführung eines möglichst unwürdigen Preßzwanges und Zerreißung des Ressorts der Militär-Gouvernements. Fürs erste ad acta

Blücher über Zensur.

Nach der Flucht Napoleons von Elba (Februar 1815) wollte Friedrich Förster, der Freund Körners, ein Sonett »Blücher bei der Nachricht von der Heimkehr Napoleons von Elba« in der »Spenerschen Zeitung« drucken lassen; der Zensor Renfner strich es. Förster beschwerte sich bei Blücher selbst und bat um seine Vermittlung. Aber dieser antwortete:

»Ne, mit die Censoren hier mag ich mir nich befassen; über die hat der Teufel Gewalt. Packen Sie man Ihre Schriften ein und nehmen Sie sie mit nach Paris; da hab' ich zu befehlen, hier nicht.«

So geschah es; sobald die Verbündeten in die französische Hauptstadt eingerückt waren, erschien das Sonett in der »Teutschen Feldzeitung aus Paris«, die jedenfalls von Förster selbst redigiert wurde, aber eingehen mußte, als der Polizeiminister von Wittgenstein im November 1815 die Aufsicht über die Tagespresse übernahm und damit die schlimmste Reaktion gegen alle freiheitlichen Bestrebungen in Preußen einsetzte.


Die Zensur trat jetzt in ihre eigentliche Blütezeit. Dieser Fülle der Erscheinungen widmet sich das zweite Bändchen:

»Biedermaier-Zensur«.


[208]

Nachweis der wichtigsten Quellenschriften.

1. Die Biographien Friedrichs II. von Preuß und Koser; Consentius, F. d. Gr. u. die Zeitungszensur (»Preuß. Jahrbücher« 1904); Buchholtz, Vossische Zeitung; Consentius, Der Wahrsager; Hesse, Preuß. Preßgesetzgebung; Wiesner, Denkwürdigkeiten d. österr. Censur; Nicolai in der »Neuen berlin. Monatsschrift« 1807; Nicolai, Gedanken über die Verbesserung etc. der Censur 1801; Alexis Herbstreise durch Skandinavien.

2. W. Müller, Sonnenfels; Fournier, Swieten als Zensor; Nicolai, Reise durch Deutschland u. d. Schweiz; Wiesner, a. a. O.; Gnau, Die Zensur unter Joseph II.; Gragger in der »Ungar. Rundschau« 1912.

3. Hesse, a. a. O.; Stölzel, Svarez; Prozeß des Buchdruckers Unger gegen Zöllner 1791; Nicolais »Allg. deutsche Bibliothek«; W. v. Humboldt's Ideen etc., hrsg. v. Cauer; Schlesier, Erinnerungen an Humboldt; Haym, Humboldt; Dilthey im »Archiv f. Gesch. d. Philosophie« 1890; Fromm, Kant u. d. preuß. Zensur; Kapp im »Archiv f. Gesch. des deutschen Buchhandels« Bd. V; Schrader, Gesch. der Friedrichs-Universität Halle; Schütz, Darstellung s. Lebens; Kant, Streit der Fakultäten; Harnack, Gesch. d. Berliner Akademie d. Wiss.; Fichte, Zurückforderung d. Denkfreiheit; Fichtes Leben u. literar. Briefwechsel.

4. Müller, Sonnenfels; Glossy im Grillparzer-Jahrbuch VII, XVII u. XXV; Schreyvogels Tagebücher; Wlassack, Chronik d. k. k. Hof-Burgtheaters; Brahm, Schiller; Schillers Briefe.

5. Iffland, Über meine theatr. Laufbahn; Glossy, a. a. O.; Consentius, Die Berliner Zeitungen während d. französ. Revolution (»Preuß. Jahrbücher« 1904); Buchholtz, a. a. O.; Schreyvogel, a. a. O.; Wiesner, a. a. O.; L. A. Frankl, Erinnerungen.

6. Wlassack, a. a. O.; Anschütz, Erinnerungen; Schreyvogel, a. a. O.; Teichmanns Literar. Nachlaß; Urlichs, Briefe an Schiller; Stauf v. d. March in der »Hilfe« 1913; Grillparzer-Jahrbuch VII u. XXV; Laube, Burgtheater; A. v. Weilen in der Festschrift für Kelle; Gragger, a. a. O.; Briefwechsel Schiller–Körner; L. A. Frankl, a. a. O.; Klingemann, Kunst u. Natur.

7. Grillparzer-Jahrbuch IX u. XXV; Castelli, Memoiren meines Lebens; F. L. Schmidt, Denkwürdigkeiten; Teichmann, a. a. O.; Karoline Bauer, Bühnenleben; Steig, Achim von Arnim; Frankl, a. a. O.; Bauernfeld, Alt- u. Neu-Wien; Kaiser, Unter 15 Theaterdirektoren.

8. Salomon, Gesch. des deutschen Zeitungswesens; Buchholtz, a. a. O.; Czygan, Zur Geschichte der Tagesliteratur während d. Freiheitskriege; Bassewitz, Kurmark Brandenburg; Gubitz, Erlebnisse; Czygan in den »Forschungen z. brandenburg. u. preuß. Geschichte«, Bd. XXI; Geiger, Berlin; H. Prutz in der Beilage zur »Allgem. Zeitung« 1893; Hagen, Schenkendorfs Leben; Czygan im »Euphorion«, Bd. XIII u. XIX; Goedeke, Grundriß; Fichte, Reden an die deutsche Nation 1808, neue Ausgabe von Leser 1908; Briefwechsel Gentz–Adam Müller; Köpke, Gründung der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin; Varnhagen, Denkwürdigkeiten; Lehmann in den Sitzungsberichten d. K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1895; Granier in der Sonntagsbeil. der »Voss. Ztg.« 1905; Gebhardt, W. v. Humboldt als Staatsmann; Humboldt, Ges. Schriften; Kleists Werke, hrsg. von Schmidt, Steig u. Minde-Pouet; Chamissos Briefe; Castelli, Memoiren.

9. Steig, H. v. Kleists Berliner Kämpfe; Czygan, Zur Gesch. d. Tagesliteratur etc.

10. Czygan, Zur Gesch. d. Tagesliteratur etc.; P. Hassel in der »Zs. f. Preuß. Gesch. u. Länderkunde« 1875; Dreyhaus in den »Forsch. z. brandenburg. u. preuß. Geschichte«, Bd. 22; Aus Schleiermachers Leben; Preuß. Gesetzessammlung; Salomon, a. a. O.


F. A. Brockhaus, Leipzig.


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert, ansonsten wurde die Originalschreibweise beibehalten. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.






End of Project Gutenberg's Hier Zensur - wer dort?, by Heinrich Hubert Houben

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK HIER ZENSUR - WER DORT? ***

***** This file should be named 63744-h.htm or 63744-h.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/6/3/7/4/63744/

Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
https://www.pgdp.net

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.