The Project Gutenberg eBook of Venusmärchen, by Edna Fern

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Title: Venusmärchen

Geschichten aus einer andern Welt

Authors: Edna Fern

Fernande Richter

Release Date: December 26, 2021 [eBook #67015]

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMÄRCHEN ***

Venusmärchen.

Geschichten aus einer andern Welt.

Von
Edna Fern.

Zürich 1899.
Verlags-Magazin J. Schabelitz.

Alle Rechte vorbehalten.
Druck von J. Schabelitz in Zürich.

Was ich als Kind einst von der alten Muhme
In märchengrauer Dämmerstund' erlauscht,
Was sonnenhell mir Wind und Wald gerauscht,
Was mir geduftet hat die stille Blume,
 
Das wuchs in mir zu einem Heiligtume. –
Da kam das Leben, wichtig aufgebauscht,
Und hätt' vernünftig thuend gern vertauscht
Das Märchen mir – zu ernstem Wissens-Ruhme.
 
Doch lächelnd ging das Flüchtige vor mir her
Und zeigte mir den Weg aus Tages Enge
Und hob empor mich aus der Welt Gedränge –
 
Der Märchen-Weisheit ewige Wiederkehr,
Die lehrt' es mich. – Nun nimmt es seinen Lauf
Mild siegend weiter: Nehmt es bei euch auf! –

Inhalt.

  Seite
Venus und Madonna 1
Der kleine Finger der Venus von Medici 5
Der gefesselte Cupido 18
Psyche 24
Unser Frühling 37
Frostiger Frühling 43
Das Märchen, das gar nicht kommen wollte 50
Klein Hildegard 58
Das Märchen, das verloren gegangen war 70
In der Gosse 81
Sonniger Winter 91
Ein Weihnachtsmärchen 99
Schneeflocken 108
Das Märchen von der weißen Stadt 120
Weltausstellung im Walde 130
Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden  141
Rauch 151

Venus und Madonna.

Dunkel wölbt sich der Himmel über der Erde, und die Sterne grüßen einander und winken – das ist das Flimmern – fassen einander bei den Händen und tanzen einen feierlichen Reigen über die unermeßlichen Himmelsbahnen, und »Seht, wie klar die Milchstraße heute Abend ist!« sagen sie auf der Erde. –

Da löst sich ein großer, glänzender Stern vom Firmament, der hat funkelnd im kalten Norden gestanden, zieht seine leuchtende Bahn über den dunkeln Nachthimmel hinweg und fällt zur Erde nieder. –

Da löst sich ein anderer, ein flimmernder, unruhiger Stern vom Firmament, der hat blitzend im Süden gestanden, zieht seine schimmernde Bahn über den dunkeln Nachthimmel und fällt zur Erde nieder. –

Und die beiden schönen Sterne fallen auf die große, weite Erde, in einen Wald voll mächtiger Bäume, süß duftender Blumen, singender Vögelein, spielender Tiere. – Und siehe! da stehen die ersten Menschen, ein Mann und ein Weib, sie blicken einander an, reichen sich die Hände und küssen sich. Die beiden vom Himmel gefallenen, Mensch gewordenen Sterne – sie sind der Glaube, der Glaube an das Schöne, und die Sehnsucht. –

Und wieder und wieder flimmern, zittern, funkeln die Sterne am Himmel. Im Walde der Ewigkeit ruht das Weib in den Armen des Mannes; und sie gebiert ihm die Liebe – das Kind der Sehnsucht und des Glaubens.

Da aber das schöne Menschenpaar ganz allein im großen, weiten Walde wohnt, und nichts weiß von dem Gewimmel des Zwergengeschlechtes weit draußen in der Welt, so wissen sie auch nicht, wen sie wohl zu Gevatter bitten sollen, als sie ihr Kind, die holde Liebe, mit Himmelstau zu taufen gedenken. Schon beginnen die Maiglöckchen ein wunderlieblich Geläut, die Vöglein konzertieren und singen und flöten, und einherziehen gravitätisch die Tiere des Waldes.

Das anmutige Reh äugt mit klugen Augen, das Häslein putzt sich, das Eichhörnchen tanzt, der Dachs lugt hervor aus seinem Versteck, die Eidechsen und Käfer huschen und jagen, die Schmetterlinge gaukeln um die Blätterwiege, in der die Liebe ruht – –, aber niemand ist da, der das Kindlein tauft, und keine Gevatterin, die Liebe über die Taufe zu halten. –

»Ich,« spricht der Fuchs und kommt geschlichen und streckt sein spitzes Näschen zur Wiege des Kindes empor, »ich versteh's, das Taufen, bin bei den Jesuiten in die Lehre gegangen, bin gut katholisch und sehr schlau.«

»Krah, krah!« krächzt ein großer, schwarzer Kolkrabe, »hier, nehmt mich! Strengorthodox, schwarz, düster, wie meine Religion.«

»Vielleicht alttestamentarisch?« fragt höflich ein Eidechslein, glitzernd von Gold, und dreht und windet sich immer wieder heran.

»Oder gar freisinnig?« klappert der Storch, spießt nach dem Eidechslein, kröpft sich und schlägt sehr stolz und freisinnig mit den Flügeln.

Vater Glaube und Mutter Sehnsucht schütteln die schönen Häupter und blicken ratlos um sich – doch sieh! Licht, Sonnenschein überall um sie her, flutet über Blumen und Vöglein und Tiere hin, und

»Ich,« spricht der Sonnenstrahl, »will die Liebe taufen. Ich dringe ihr ins Herz hinein, ich wohne in ihren Augen. In jedem Lächeln ihres Mundes zittere Sonnenschein, in jeder Bewegung ihrer Glieder herrsche Anmut, Freude, Wärme.« Und

»Wir,« klingen sanfte und wunderbar eindringliche Stimmen, »wir wollen Paten sein.« Zwei Frauengestalten neigen sich zu jeder Seite der Wiege, in der die Liebe schlummert, so schön, so überirdisch schön, daß Glaube und Sehnsucht demütig niederknieen. Die wissen nicht, ist es ein und dieselbe, die zwei Gestalten angenommen hat, oder sind es zwei hehre Frauen, die da niedergestiegen sind aus den Wolken, die Liebe zu segnen. Wunderbar ähnlich sind sich die Schwestern, nur trägt die eine langwallende Gewänder, und sie hält ein lieblich Kindlein fest an ihr Herz gedrückt, und mild und rein ist das Lächeln ihres Mundes. Unverhüllt glänzen der andern herrliche Glieder, süß berauschend wirkt ihre Nähe, und heiße Glut entströmt den Augen.

Die beugt sich nieder zur Blätterwiege und küßt das schlummernd Kindlein auf die unschuldigen Lippen, und spricht:

»Deinen Körper gib hin, o Liebe, und all deine Sinne und jede Fiber deines Herzens!«

Da legt die Erste segnend die Hand auf des Kindes Haupt:

»Deine Seele gib,« hauchte sie, »und Mutterliebe sei dein Glück!« –

Und siehe! Aus dem Kinde ist plötzlich ein Weib geworden, himmlisch schön, wie das Schwesterpaar – es steht allein in all seiner Pracht auf der weiten, sonnigen Erde. So zieht die Liebe in die Welt hinaus, das Kind der Sehnsucht und des Glaubens, keusch wie Madonna, wonnig wie Venus – und das Zwergengeschlecht wendet sich ab von ihr, denn es kennt sie nicht. – Weiche Lüfte aber wehen und tragen das Elternpaar, das der Welt die Liebe geboren hat, hinan zum Himmel. Dort, zwischen den Sternen, wohnen nun wieder die Sehnsucht nach dem Glück und der Glaube an das Schöne. –

Der kleine Finger der Venus von Medici.

Es war einmal ein Sonntagskind, das wanderte in der Welt umher und suchte – es wußte selber nicht was. Aber es blieb nicht auf dem schönen, trockenen, breiten Wege, den schon so viele andere vor ihm gewandelt waren, sondern mit der, den Kindern eigenen Passion für das Unbequeme, lief es quer über die Straße, kletterte mühsam über einen großen Stein, tappste in eine Pfütze, wie es ja deren so viele in der Welt gibt, und als es erschrocken seine schönen, reinen Füßchen zurückzog, geriet es in den Straßenkot; da eilte es entsetzt weiter, stolperte auf der anderen Seite über einen noch größeren Stein und rannte mit dem Magen gegen eines der eisernen Gitter, die überall in der Welt herumstehen. Nun hatte vorläufig seine Reise ein Ende. Verdutzt sah es ein Weilchen das häßliche Gitter an, dann um sich und nun über sich, und es erblickte eine große, dunkle Wolke, die ballte sich zusammen aus all dem Dampf, der aus den Häusern, den Fabrikschornsteinen, den Lokomotiven aufstieg, und zog wie ein Heer Gespenster über den lieben Abendhimmel. Der schien seltsam bunt drunter hervor – glührot und rosenfarben und lichtgrau und blau und zartes Grün – wie als ob er dem schwarzen Gespensterheer mit seinen Lichtelfen Trotz zu bieten gedächte. Aber die finstere Riesenwolke ballt sich immer drohender und trotziger zusammen, und da wird es dem Sonntagskinde ganz beklommen und bange ums Herz, und es stürzt davon, durch die Straßen, so schnell es seine Füße tragen können, und über ihm zieht die Wolke. Da aber verschwindet sie plötzlich, wie fortgeweht, und das Kind hält inne in seinem tollen Lauf, denn es steht vor einem goldenen Gitter, hinter dem hohe Bäume herüberwinken und ein süßer, feiner Duft emporzieht.

»Ach,« denkt das Sonntagskind, »da drinnen muß es gut sein, ich möchte ausruhen, denn ich bin sehr müde – ob ich wohl hineinschlüpfen dürfte? – Ich will auch ganz leise sein.«

Kaum hat es das gedacht, so öffnet sich die goldene Thür, sanft, wie von Feenhand, und das Sonntagskind schleicht vorsichtig hinein, sich noch einmal bang nach der schwarzen Wolke umschauend. – Richtig, ganz in weiter Ferne hängt sie und blickt drohend herüber.

Nun ist das Sonntagskind drinnen in einem herrlichen Garten. Weg ist seine Müdigkeit; mit weitgeöffneten, glänzenden Augen wandelt es auf weichen Wegen unter hohen, ernsthaften Bäumen; mit zitternden Lippen saugt es süße, berauschende Düfte ein, es lauscht mit Herzklopfen den wonnevollen Tönen, von denen die Luft ringsum erfüllt ist. Wie tausend Nachtigallen Gesang klingt es, aber es sind nicht allein die kleinen Vöglein in den Zweigen, die so liebliche Melodieen erschallen lassen. Nein, jedes Blättlein, jede Blüte ist wie ein Echo und trägt die weichen, sehnsüchtigen Nachtigallentöne vieltausendfach weiter. Und all die Blumen – die Hyacinthen läuten mit ihren Glöckchen »Klingling! Ach, wie wonnig ist's hier!« und »Dingdang, dingdang!« antwortet die blaue Glockenblume, »ich läute zur Abendmette der Natur!« –

Die hohen, schneeigen Lilien senden ihre schweren, süßen Düfte nach oben, der sentimentale Jasmin, die neckische Syringe; und die schwermütige Narcisse wendet ihr weißes Blumengesicht sehnsüchtig dem Monde zu. Denn Nacht ist's geworden: Millionen blitzender Sterne sehen mit funkelnden Augen vom Himmel hernieder, und der Mond gleitet mit ruhigem Schein über den Garten hinweg, so hell und klar, daß das Sonntagskind die vielen zierlichen Gestalten sehen kann, kleine Elfen und Kobolde, die sich im Gras zwischen den Blumen tummeln, und die Nixen und Wasserelfen – auf den großen, grünen Blättern der Wasserrosen im See kauern sie und lassen sich schaukelnd hin und her treiben und greifen jauchzend nach dem glitzernden Sprühregen, den Tritonen im mächtigen Strahl gen Himmel senden und der, leuchtend wie Diamanten im Mondesglanz, zu ihnen niederfällt.

In den lauschigen Ecken und Winkeln der Gebüsche stehen weiße Gestalten – sind's Menschen? Sie sind nackt, kaum mit einem leichten Flor bekleidet. – Sie sind schön, himmlisch schön, und das Sonntagskind tritt näher und faßt Mut, weil sie so gar lieb und gut blicken, und es berührt sie ganz vorsichtig und leise mit der Hand, streichelt die schönen, nackten Füße und – fährt erschrocken zurück, denn eiseskalt sind sie und tot.

Doch sieh – bewegen sie sich nicht? Und horch – hörst Du nicht leises Kichern, Flüstern, neckisches Lachen – ach, und klagendes Schluchzen? – Die Hand des Sonntagskindes hat sie berührt – sie leben, die schönen, marmornen Menschenbilder, das rote, warme Blut rollt durch ihre Adern, sie lächeln, es bebt ihr Fuß zum Weiterschreiten. Da neigen sie sich vor ihrer Königin – die steht in ihrer Mitte, ein wonnevoll Weib, zierlich treten ihre schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den Schoß, die rechte den schneeigen Busen, zur Seite geneigt hält sie das liebliche Haupt, die holde Venus von Medici – und nun fassen sie sich bei den Händen, die herrlichen Göttergestalten und die Elfen und Nixen mit ihrer weichen, eidechsenhaften Schmiegsamkeit und die komischen Kobolde mit ihren langen Bärten und listigen Aeuglein und drolligen Bewegungen; sie tanzen einen zierlichen, wunderlichen Reigen um das Sonntagskind im Kreise, und sie singen:

»Bleib' bei uns – o hier ist's gut sein! Hier ist Schönheit, hier ist Liebe – zu süßer Freude wandelt die Lust sich, zu mildem Frieden Angst und Unruh' – – Ach, und der Schmerz, der wild durchtobt des Menschen Herz – er löst sich auf in sanftes Klagen, die Sorge wird hier zu Grab' getragen, und aller Kummer lind gestillt. –

»Hörst Du der Nachtigall Gesang? – So singt die Sehnsucht in Deinem Herzen.

»Hörst Du der Blumen Geläut? – So läuten sie Deine bange Seele zur Ruh.«

Und horch! Welch wunderlieblich Geklinge und Gesinge, wie Glockentöne in weiter Ferne! Näher kommt's – immer näher – husch! der lustige Kreis stiebt auseinander, blitzschnell, wie er gekommen, und vor dem Sonntagskinde steht eine hehre, schöne Frau, deren zarten Leib umgibt ein Kleid von Rosenblättern, auf dem wonnesamen Haupt strahlt eine Sternenkrone, die Flügel des Königsfalters trägt sie an den Schultern, und ihre Füße wandeln auf Blumen.

Sie lächelt – da zittert die Luft vor Freude – Sie spricht – da lauschen Mond und Sterne. – »Haben sie Dich erschreckt da draußen in der Welt, Du Menschenkind?« sagt sie, »hat die große, schwere Wolke Dir das Herz beklemmt und Dir den Atem genommen? Und bist Du zu mir geflüchtet, in den Garten der Wonne, in mein Königreich, das Reich der Phantasie? – Ich wußte es wohl, Ihr Menschenkinder könnt ohne mich nicht bestehen. Da geht ein lautes Gerede, ein wildes Geschrei durch die Welt: sie brauchen mich nicht, nur Natur wollen sie, und nur im groben Alltagskleid, nicht im glänzenden Schmuck, im schimmernden Geschmeid, womit ich sie überschütte. – Aber siehst Du, Du Sonntagskind, kommst doch geflüchtet zu Deiner Trösterin, ohne die Du die Natur nicht ertragen, ohne die Du nicht leben kannst. – Und wenn Du wieder hinausziehst, dann sag' es ihnen draußen in der Welt, was Du geschaut in meinem Reich. – Ach, gerade jetzt sollten sie es wissen, wo die dunkle Wolke schwer über den Völkern schwebt und sie darnieder drückt.

»Weißt Du, warum gerade jetzt? Willst Du es wissen?«

Sie blickt um sich und klatscht in die Hände. Und siehe – ein wunderlicher Geselle kommt gehüpft, getollt, gesprungen: nackt ist er und zart von Gliedern, mit schelmischem Mund und ernsthaften Augen, einen Bogen trägt er in der Hand und einen Köcher mit Pfeilen an der Hüfte. – Sah ihn das Sonntagskind nicht dort im Syringengebüsch auf einer Säule stehen?

Doch nun – einen Purzelbaum schlägt er auf dem weichen Gras und ist zum eisgrauen Männlein geworden, das lustig mit den Aeuglein zwinkert und allerlei Kapriolen macht, und plötzlich schwebt er in der Luft, so fein und zart, als sei er aus Mondenschein gewebt, als sei er auf Blumen geboren, als sei er mit Tautropfen genährt. Und nun wieder trottelt er daher wie ein kleiner Brummbär und schlägt mit einer Keule um sich, daß die Nixchen und Elflein entsetzt zur Seite weichen.

»O, laß die Possen, Du närrischer Kauz,« lächelt Frau Phantasie, »nimm Deine wahre Gestalt an, mein Gesell« – da klingelt's wie von silbernen Glöckchen, die trägt das wunderliche Kerlchen an seiner Schellenkappe auf dem Haupte, und legt sein Gesicht in ernsthaft-drollige Falten, hängt seinen Bogen über den Rücken, als gebrauche er ihn nicht mehr, und schreitet umher mit gravitätischen Schritten.

»Ist das Deine wahre Gestalt?« Frau Phantasie schüttelt das schöne Haupt ... »nun, sei es drum. Sieh',« sagt sie zum Sonntagskind gewandt, »den Mittler zwischen mir und den Menschen. Nenne ihn Amor, Puck, Geist, wie Du willst; kannst ihn auch Humor heißen, das hört er am liebsten. Geh' mit ihm – die Welt soll er Dir zeigen, wie sie uns Göttern erscheint. An seiner Hand wird es Dich weniger schmerzen.«

Sie gleitet dahin wie der Mondesstrahl, die hehre Königin, und ihr nach durch Busch und Zweig, über Blumen und Moos huscht das lose Volk, Leuchtkäfern gleich, die in Abendluft baden, und in der Ferne tönt neckisch Gelache. –

»Komm',« sagt der närrische Geselle, und schüttelt seine Kappe, daß die Glöckchen klingen, »reich' mir Deine Hand, armes Sonntagskind. Hab Dich schon gesehen draußen in der Welt, wie Du über Steine gestolpert bist und in Pfützen getreten hast. Ja, es ist immer sicherer, auf den hübsch ausgetretenen Pfaden der Alltäglichkeit zu wandeln, als seinen eigenen Weg gehen zu wollen. Hast Dich zur rechten Zeit in meiner Mutter Phantasie Garten gerettet, sonst hättest Du Dir sicher noch einmal an irgend einem Weltgitter Kopf und Herz eingerannt, Du dummes Sonntagskind, Du. – Also ich soll Dir zeigen, wie es in der Welt eigentlich aussieht. Wohl kann ich Dir's erklären, denn ich treibe mich viel draußen herum. Einige in der Welt schwärmen für mich, andere sagen, ich sei ein wahrer Teufel. Wenn ich mit der Schellenkappe klingele, verstehen mich die Wenigsten; da muß ich oft schon mit der Plumpkeule dreinschlagen, und dann schreien sie und sagen, ich hätte ihnen weh gethan. – Komisches Volk, diese Menschen!«

Jetzt sind sie am Ende des Gartens angelangt. Eine hohe Mauer scheidet ihn von der Außenwelt; an der ranken sich wilder Wein und Epheu, und blaue Clematis hängen hernieder und rote Trompetenblumen, so dicht, daß man von den rauhen Steinen nichts gewahr wird, wie nur die runden Glasfensterchen, die hie und da in die Quadern eingefügt sind.

»Sieh,« sagt der närrische Sohn der Phantasie und reicht dem Sonntagskind eine große Trompetenblume als Fernrohr, »die ganze Welt zieht wie die Bilder eines Guckkastens an unsern Fensterchen vorüber. Mußt aber nicht durch dieses hier sehen, das ist die rosenfarbene Brille, durch das schauen nur die Faulen, die ihre Gedanken nicht anstrengen mögen – nota bene, wenn sie welche haben – und jenes Fenster dort ist gelb wie der Neid und dieses rot wie Blut, als ob die Welt in Feuer stünde. Nein, schau hierher – Clematis und Weinranken haben ein schönes, kleines Guckloch gebildet, ein Vöglein, das früh morgens zur Sonne singt, hat sich drüber ein Nestlein gebaut – das Glas ist klar und wahr wie meiner Mutter Augen. Komm, Du Sonntagskind, laß mich über Deine Schulter lehnen und Dir sehen helfen.«

»Nein, wie ist die Welt klein!« ruft das Sonntagskind verwundert.

»Nicht wahr?« antwortet der Geselle, »und Du hast sie immer für so riesengroß und wichtig gehalten.«

»Und die Menschen – wie Zwerge! Sieh' nur das Gewimmel!« lacht das Sonntagskind.

»Ja, das macht Spaß, die Welt übersehen zu können,« nickt der Geselle und die Glöckchen an seiner Schellenkappe klingeln dazu.

Da draußen in der Welt krabbelt's, prustet's, keucht's und läuft und schiebt und stößt – die Großen drängen die Kleinen zur Seite, die Starken schlagen die Schwachen tot, und die Armen wehklagen gen Himmel. –

»Wie eilig sie es alle haben!« wundert sich das Sonntagskind.

»O sieh' nur, sieh' – den alten Mann, einen Kahlkopf hat er und unterm Kinn einen grauen Ziegenbart, und die Augenbrauen stehen wie Borsten in die Höhe und die Augen glitzern gierig darunter hervor. – Sieh', wie er an dem Sack zerrt, wie Gold schimmert es durch die Löcher – er kann ihn kaum regieren und Angst und Zornesthränen rinnen aus seinen Augen.«

»Ja, und er trägt rot und weiß gestreifte Hosen und einen blauen Rock,« sagt Puck, »und er kaut Tabak, und er flucht englisch, wenn die andern seinem Geldsack zu nahe kommen.«

»Ach, und jener dort – mit großen Sprüngen, mit ellenlangen Schritten setzt er dem kleinen Irrlicht nach, das über Berg und Thal, durch Sumpf und Morast vor ihm herhüpft, und sieh' nur, wie seine Frau sich anstrengt, mitzukommen.«

»Sieh, sie hebt ihre schönen, seidenen Kleider auf, daß sie nicht schmutzig werden, und patsch! springt sie mit beiden Füßen in die Wasserlache – nachher läßt sie die Kleider wieder drüber hängen – dann sieht man ihre beschmutzten Füße nicht – und guck! das Irrlicht sieht aus wie ein Ordensbändchen.«

»O, aber hier, wie schrecklich – sie bücken sich tief zur Erde, damit andere auf ihre Rücken treten können und weiter schreiten dort hinauf, wo es so glitzert und gleißt wie von Prunk und Geschmeide. – Und dort läßt sich einer schlagen – ach, geduldig und wehrt sich nicht!«

»Liebes Kind,« sagt der Gesell, »die sind aus dem Land, wo die Bedienten gut geraten.«

»Lieber Gesell – o siehst Du den Mann dort in der Ferne – mit bleichen Lippen, mit rollenden Augen? Siehst Du, wie er mordet und zittert und flucht und betet, wie er angstvoll sich windet –«

»Liebes Kind – der sitzt auf einem Thron, der wackelt hin und her, und er trägt den Wahnsinn als Krone und als Scepter eine blutrote Brandfackel – wenn er die von sich schleudert, dann bebt die Erde von Kanonendonner und Menschengestöhn – und ›Väterchen‹ nennt sich der Mann, liebes Sonntagskind.«

»Ach, mein Geselle, wo wollen die vielen Menschen hin, die dort mit den feinen, kostbaren Kleidern angethan, die ein mit Silber beschlagenes Buch und einen Geldbeutel in den Händen tragen, die, mit den frommen, ergebenen Gesichtern –«

»In die Kirche, Du dummes Sonntagskind, auf daß der Prediger ihnen in tönenden, salbungsvollen Worten die Angst vom Herzen rede. Dann thun sie, als ob sie's glauben, was er sagt, und gehen neugestärkt nach Hause und – leben weiter.«

»Und siehst Du jene Schar dort, mein Geselle, Ballettänzer scheinen sie zu sein. Hei! was sie für Sprünge machen! – Schau, die wunderlichen Gesten, und wie elegant sie zu posieren verstehen – dem Publikum eine rechte Augenweide. Aber doch – ich glaube sie thun nur so, es ist ihnen nicht wohl ums Herz – sie schauen bleich aus, trotz Schminke und Puder. – Sag, mir, was sind's für Leute?«

»Liebes Kind – Litteraten sind's, moderne aus dem neunzehnten Jahrhundert, und die barocken Sprünge und eleganten Posen machen sie aus Angst, um sich und das Publikum d'rüber hinwegzutäuschen.«

»Und, mein Geselle, sieh' den Mann dort hinter dem Ofen, in Schlafrock und Pantoffeln, mit langer Pfeife und dem Bierseidel in der Hand. – Recht unzufrieden scheint er mir zu sein, er rückt unruhig hin und her – horch! er schilt und gebraucht böse Worte.«

»Ja, liebes Kind – das Bier schmeckt nicht, und die Kartoffeln sind mißraten, und die Pfeife qualmt und durch die Schlafrockärmel pfeift der Wind, und die Pantoffeln sind unbequem. Da hadert er mit seinem langmütigen Herrgott im Himmel droben, mit dem Brauersknecht, dem Nigger, dem Schuster und am meisten mit seiner lieben Frau – und es ist doch nur die Angst, die ihn in seiner eigenen Haut sich nicht wohl fühlen läßt. – Ja, und ›Philister‹ nennt man den Mann, liebes Sonntagskind.«

»Ach, und, mein Geselle, dort jene Hungernden, Darbenden, Elenden, jene Neidischen, Unzufriedenen, Hassenden, auf was warten sie finstern Auges, trotziger Stirn, rachsüchtigen Herzens? Und dort jene Ballgeschmückten, die im Reigen sich drehen! Was ziehen sie in ihren Masken und Flittern einher, als wollten sie die Freude zu Grabe tragen?«

Da faßt der Geselle das Sonntagskind bei den Schultern und wendet es ein wenig zur Seite:

»Schau dort hinüber, liebes Kind,« sagt er, »sieh' weithin über die Welt!«

Da steht auf einem Berge, hoch über dem Gewirr, Gewimmel, Gehast, ein großes, starkes Weib, das schwingt mit grimmigem Lächeln, mit finsterem Angesicht eine Peitsche in ihren Händen, deren vielteilige, zackige Enden zischend über die ganze Welt hinsausen – und hohnlachend sieht das Riesenweib, wie die Menschen angstvoll zusammenfahren und bei jedem Schlage noch verwirrter durcheinander rennen.

»Die Wolke, die große Wolke!« ruft das Sonntagskind entsetzt, »siehst Du, wie sie über die Welt hinfährt? Hörst Du sie zischen und brausen? Das ist sie, die mich so erschreckt!«

»Ja,« antwortet der neben ihm und richtet sich auf zu voller Höhe und seine Augen blitzen.

»Das ist die Wolke – das ist die große Angst, die schwer auf der Welt liegt, die Angst der Völker vor etwas Entsetzlichem, etwas Furchtbarem, das über sie kommen wird, wie der Blitz durch die Wolken fährt. – Wird es sie vernichten? Wird es die Welt zerschmettern, zu nichts zertrümmern – oder wird aus dem Chaos ein Neues entstehen, ein Herrliches, wie der Vogel Phönix aus der Asche! Sie wissen's nicht und beben vor Furcht und wagen kaum, tief Atem zu holen.«

»Gibt es denn gar kein Mittel, um die Welt von dieser wahnsinnigen Angst zu befreien, auf daß sie ihr kühn entgegenblicke und ihre ganzen Kräfte anstrenge, dem Schrecklichen mit Vernunft entgegen zu arbeiten?« fragt das Sonntagskind schüchtern.

»Ach, liebes Sonntagskind,« lächelt der Geselle und schüttelt seine Glöckchen, »das Mittel ist schon da und die Menschen kennen's auch, nur haben sie es vergessen. – – All die große, schwere Angst der Völker würde sich in nichts verflüchtigen, wenn sie nur ein klein wenig mehr an – den kleinen Finger der Venus von Medici denken wollten.«

»An den kleinen Finger der Venus von Medici?« fragt das Sonntagskind mit großen, verwunderten Augen.

»Komm,« sagt der närrische Geselle, und schweigend wandern sie durch die Nacht tief in den Garten hinein. Da stehen sie vor einem dichten Gebüsch, von lauter seltsamen Sträuchern gebildet; Pinien wiegen ihre schlanken Wipfel und dunkler Lorbeer schmiegt seine Zweige ineinander. Aber des Mondes Strahl dringt doch hindurch – oder ist es das schöne Weib dort, das den wundersamen Glanz ausstrahlt? Da steht sie in ihrer schimmernden, weißen Nacktheit inmitten all dem Grünen – zierlich treten ihre schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den Schoß, die rechte den schneeigen Busen, und der wunderbare kleine Finger dieser rechten Hand spreizt sich ein wenig von den andern ab, zur Seite geneigt hält sie das schöne Haupt – lauscht sie? –

Betäubt von all ihrer Schönheit sinkt das Sonntagskind in die Knie. Der Geselle aber tritt bescheiden hin vor das wonnevolle Weib, schleudert seine Narrenkappe zur Seite und faltet bittend die Hände:

»Hehre Göttin, süße Königin, Dein Knecht, dem Du stets Dich huldvoll geneigt hast, dem Du so manchesmal aus der Not geholfen, in die ihn sein Uebermut gestürzt hat – Dein dankbarer Liebling naht sich Dir mit einer demütigen Bitte: Gib diesem Menschenkinde, das zu uns in seinem Kummer geflüchtet ist, einen Trost auf seinen Weg, den es der Welt verkünden kann. Laß es die Macht Deines vornehmen kleinen Fingers ahnen – zeig' ihm, warum Du ihn so entzückend neckisch gespreizt hältst.«

Da lächelt Venus: »Nun, wozu sollte er denn sonst wohl gut sein,« sagt sie schelmisch, erhebt die rechte Hand, läßt sanft den kleinen gespreizten Finger in die zierliche Ohrmuschel gleiten und schüttelt ihn ein wenig – dann lauscht sie lächelnd freudig in die Ferne.

»Ich höre wieder die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens – himmlisch wohllautend dringen sie in mein Ohr!«

»Sieh', kleines Sonntagskind,« sagt der ernsthafte Geselle, »wie die Venus mit ihrem kleinen Finger die Spinnenweben der Lüge und Heuchelei und Hartherzigkeit aus ihrem Ohr hinaus schüttelt, so sollten es auch die Völker thun, dann würde die große, schwere Angst von ihnen weichen und die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens auch an ihr Ohr dringen.

»Pah,« lacht er dann, nimmt seine Schellenkappe auf und wirft sie in die Luft, daß die silbernen Glöckchen klingeln, »armes Sonntagskind – die Welt wird Dich steinigen, wirst Du ihnen das verkünden. Lache über sie, so wie ich, das ist das Einzige, was sie fürchtet.«

Und mit immer länger werdenden Schritten, riesengroß anwachsend, ist er im Mondenlicht verschwunden.

Dem Sonntagskinde aber hat die Venus gelächelt – tiefer Friede deckt seine schweren Augenlider.

Hell scheint die Sonne ihm ins Angesicht, es steht auf, schaut verwundert um sich – dann erhebt es seine rechte Hand und schüttelt mit dem kleinen Finger ein wenig im Ohr – es lauscht – eine Lerche steigt jubelnd gen Himmel – und in ganz weiter, weiter Ferne hängt ein dunkles Wölkchen am Horizont.

Der gefesselte Cupido.

Eines Tages saß Cupido – ich meine nicht den patentierten, konzessionierten Heiratsvermittler und Rechenmeister des neunzehnten Jahrhunderts, sondern das liebe, mutwillige Bübchen, von dem Anacreon erzählt und Goethe in seiner »Brautnacht« –, der saß eines Tages im Olymp und langweilte sich. Er hatte zwar eben erst allerlei Schabernack verübt, hatte sogar dem Vater Zeus einen Brand-Pfeil ins Herz gesandt, so daß er nicht wußte, nach welcher hübschen Erdentochter er zuerst schmachten sollte, hatte versucht, die lange Artemis anzuschießen, aber vergebens, ebenso die Athene; und aus Rache dafür, daß sie ihm ihren kolossalen Minervaschild vorhielt, zupfte er ihre Eulen, die sie just fütterte, am Schwanz, so daß sie entrüstet »Huhu« sagten. Tante Juno hatte ihm sehr energisch auf die Finger geklopft, als er den Nymphen allerlei süße Dummheiten ins Ohr flüsterte und schließlich sogar den Dienerinnen der Vesta nachstellte; da war er zu seiner holdseligen Mutter Aphrodite geflüchtet, und sie breitete ihm sehnsüchtig die Arme entgegen, und schwirr, da flog der Pfeil und stak ihr im Herzen. Der böse, liebe Junge – aber Aphrodite lächelte – sie war's ja gewohnt! – Nun saß Cupido auf einer Wolke und bammelte mit den Beinchen und guckte zur Erde hinab und langweilte sich. Da kam Hermes daher geflogen, der hatte irgend einer Schönen im Auftrage des Vaters Zeus eine Düte Ambrosia gebracht und dafür ein Stelldichein verabredet. Er mochte den Cupido gut leiden und hockte sich ein wenig zum Ausruhen neben ihn.

»Du – weißt Du, was sie da unten mit Dir gemacht haben?« fragte er ihn.

»Nee – was denn?«

»Erst 'mal haben sie Dich riesig elegant angezogen, im schwarzen Frack und Cylinder, und sie sagen, Du hießest gar nicht Amor, sondern Puck; und außerdem wäre es unanständig, wenn man nackt ginge. Und dann haben sie Dir eine große Brille aufgesetzt, weil Du blind wärest, sagten sie und haben Dir Deinen Köcher mit Goldstücken statt mit Pfeilen gefüllt, das zöge besser, sagten sie, und haben Dir statt eines Bogens ein Tintenfaß in die Hand gegeben und Dir eine Feder hinters Ohr gesteckt, damit Du gleich die Ehekontrakte ausschreiben könntest, sagten sie, und wenn Du doch 'mal ganz splitterfadennackt, ganz natürlich, ohne alle Zuthaten zu ihnen kommen wolltest – sie möchten Dich eigentlich ganz gern so, sagten sie – dann müßtest Du aber durchs Hinterthürchen schlüpfen, damit dich ja auch keiner sähe, denn sonst genierten sie sich, sagten sie.«

»Beim heiligen Kriegsungewitter!« fluchte Cupido – »das ist ja eine ganz urweltliche Bande!«

»Hör' nur weiter – es kommt noch besser. Da hat sich einer – so'n ganz vertrocknetes Kerlchen mit einer Brille auf der Nase, auf einen hohen Stuhl gesetzt, und hat mit dem Finger – weißt Du, mit so einem langen knöcherigen – auf den Tisch geklopft und hat gesagt: Es gäbe Dich gar nicht, Du wärest eine Mythe, und die Liebe, das wäre eine Nervenaufregung, die leicht in Irrsinn übergehen könnte, und deshalb hätten die weisen Männer Gesetze gemacht, nach denen die Gefühle geregelt würden.«

Da sprang aber Cupido in die Höhe:

»Heilige Mutter Aphrodite! Gesetze? Für mich? – Na – das möchte ich mal sehen. – Liebster, bester Hermes, geh' – sattle mir schnell den blanken Stern da, ich will hinunterreiten, das muß ich mir aus nächster Nähe betrachten!«

Und da saß er schon auf seinem glänzenden Stern und fuhr hinab, und auf der Erde sagten sie: Da fällt eine Sternschnuppe.

Es kam aber dem Cupido furchtbar kalt vor im neunzehnten Jahrhundert, obwohl es im August war, wo die meisten Sternschnuppen fallen, und bei Sonnenaufgang fror es ihn ganz erbärmlich, trotz des Umschlagetuches, das ihm das alte Hökerweib geschenkt hatte. Die saß schon am ganz frühen Morgen mit ihren Körben auf dem Markte, und wie sie den nackten, kleinen Gesellen daherkommen sah, da wurde es ihr so weich und sehnsüchtig ums Herz, sie meinte, es wäre Mitleid – es war aber die Erinnerung: sie sah sich wieder jung und hübsch, sie war beim Tanz unter der Linde, der schönste Bursche schwang sie im Reigen – heißa! – hoch in die Luft, daß die Röcke flogen, und dann küßte er sie. Und da machte sie die Augen auf, und vor ihr stand wieder der drollige kleine Junge. Der nahm das Höckerweib frischweg beim Kopf und gab ihr einen Kuß für das Umschlagetüchelchen, das sie ihm gegen die Kälte geschenkt, und die Alte faltete die Hände und träumte von ihrer Jugend. – – Den Cupido fror es aber doch an den nackten Beinchen, und er dachte: »Ich will doch sehen, ob ich nicht irgendwo hineinschlüpfen kann und mich wärmen.«

Doch da kam er schön an.

»Was willst Du hier?« fuhren sie ihn im ersten Hause an – »Du bist so unbequem – mach', daß Du fortkommst!« Im zweiten öffneten ihm zwei alte Jungfern die Thür, liefen kreischend davon und schrieen:

»Hülfe – ein Sansculotte – er hat nichts an!« Und der dicke Mops saß auf dem Sofa und bellte ihm nach. Im dritten Hause fragten sie höflich verwundert: »Was wollen Sie hier? Wir sind ja verheiratet.«

Im vierten hielten sie ihm einen Ehekontrakt unter die Nase, und im fünften sprachen sie von Gesetzen und – da wurde Cupido böse und sagte:

»Wartet, ich will Euch! Ihr wollt mich hier verleugnen? Bei unserer lieben Frau von Milo – Ihr sollt es büßen!« Er schwang sich in die Lüfte, spannte den Bogen, und – huidi! – da schwirrten die Pfeile! Er schoß blindlings drauf los, ganz einerlei, ob nach Grundsatz oder Gesetz – aber sie trafen. Und nun gab es eine heillose Verwirrung unter den Menschen; sie hatten geglaubt, den Liebesgott hinwegspotten und -klügeln zu können, und da war er plötzlich mitten unter ihnen und sie duckten sich, bange, wehklagend und nach Hülfe wimmernd. – Da ist ein Mägdlein gekommen. Wie Cupido das erblickte, verschwand der Zorn aus seinem Angesicht, lächelnd sah er es an – und wählte seinen allerschönsten Pfeil, mit dem er schon einmal seine holde Mutter geritzt hatte. – Es war aber ein trotzig Mägdelein. Keck schauten die Augen in die Welt hinein und sein roter Mund sagte:

   »Was frag' ich nach Liebe?
   Mir liegt's nicht im Sinn!
   Wohl hab' ich ein Herzel –
   Doch pocht es nicht drinn!
Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:
Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!
 
   Zwar hab' ich ein Mündlein
   Und seht nur – wie rot!
   Und ach – wie kann's lachen –
   Das macht Euch viel Not!
Doch daß Ihr's nur wißt, doch daß Ihr's nur wißt:
Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!«

Horch! – da schwirrt es und singt und klingt! Und sieh' – da steckt der Pfeil in der schönen, weißen Mädchenbrust –

Das trotzige Mägdelein hat mit der Hand ans Herze gegriffen, ist glührot geworden, ist scheu davon geschlichen. Aus der Ferne tönt es:

»Nun frag' ich nach Liebe –  
Nun trag' ich's im Sinn!
Nun fühl' ich mein Herze! –
Es pocht so darin!«

Und Cupido lauscht, biegt sich vor und lächelt, blinkt mit den Schelmenaugen, hebt deutend das weiße Fingerchen, und spitzbübisch singt er ihr nach:

»Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:
Just hat sie der Liebste, der Liebste geküßt!« –

Gerade da kam ein Mann des Weges gegangen, der war ein Sonntagskind, der konnte schauen, was andern verborgen war – der hat den kleinen, herzigen Schlingel stehen sehen, wie er dem trotzigen Mägdelein nachgehöhnt hat. »So sollst du ewig sein!« sagte er.

Cupido aber ist ihm entgegengehüpft, denn der Mann war ein Künstler, und die Künstler stehen auf gar vertrautem Fuße mit all dem lustigen, alten Göttergesindel – er ist geduldig mit ihm gegangen und hat sich in marmorne Fesseln schlagen lassen. Und so steht er da in der ganzen Pracht seiner Schönheit, ein wenig nach vorn geneigt, das süße Schelmengesicht voll Sonnenschein, das Fingerchen erhoben und deutet auf euch, die er euch eben mitten ins Herz getroffen hat – und lachend klingt's von seinen Schelmenlippen:

»Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:
Nun wird die Liebste vom Liebsten geküßt!«

Psyche.

»Ich saz ûf eime steine,
und dahte bein mit beine:
dar ûf sazt ich den ellenbogen:
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange,«

sagt Walter von der Vogelweide. So sitze ich im Gips-Museum und träume vor mich hin und lasse mir von Antinous verliebte Blicke zuwerfen.

O, Du Abbild erster, toller, süßer Liebe!

Erste Liebe – wo man liebt, ich möchte sagen, um zu lieben, um sein eigen Herz einmal pochen zu hören, um voll Seligkeit zu verzweifeln, und weinend zu jubeln – wo ein liebes Auge, eine schöne Gestalt, ein lustig-gutes Lachen, einem vollauf Grund genug zum Lieben scheint.

Später freilich, dann, meine ich, wenn die wahre, einzige, ewige Liebe über einen kommt, wenn man mit vollem Verstande, mit ganzer Ueberlegung, mit festem Willen liebt, dann – ja, dann verlangt man freilich mehr, wie Du, schöner Antinous, bieten kannst.

Sieh', der letzte, warme Sonnenstrahl hängt aufleuchtend, zögernd an seinem holden Antlitze.

Er lächelt. – –

Der Faun da hinter ihm guckt schelmisch um die Ecke: »Reizender Bengel! Nicht wahr?« grinst er vergnügt, und die zwölf Apostel am Sarge des heiligen Sebald schüttelten vorwurfsvoll ihre bärtigen Häupter. Warum, o meine hochverehrten Herren, begaben Sie sich auch in diese heidnisch-vergnügte Gesellschaft? Wird es Ihnen nicht ganz sonderbar zu Mute?

Es geht ein wunderlich Flüstern durch den Saal und ein Beben durch die nackten, weißen Götter-Menschenleiber. Mir schwimmt es vor den Augen und mein Herz klopft. Soll ich fliehen? Schnell zur Türe!

Ah, die ist geschlossen! Sie haben mich vergessen in meiner Ecke hinter den zwölf Aposteln, und ich bin allein im ganzen Haus – allein, und doch in der allerbesten Gesellschaft. Mir ahnt, jetzt wird sich etwas begeben, etwas wunderlich Liebliches, himmlisch Schönes. Ein seltsames Leben und Weben zittert in der ganzen Luft, und ich verstecke mich still und neugierig und warte – worauf? Ich weiß es selber nicht.

Doch – was ist das? Träume ich? Wache ich? Ein zitternder Laut, halb Seufzer, halb Jubel. – Woher kommt er? Aus den Herzen der toten Gestalten? – Sieh' – sie leben! Sie heben die Arme, sie bewegen sich – das Blut rinnt durch die Adern, sie atmen, und doch sind's keine Menschen. Denn durchsichtig werden die Glieder von Gips, sie schimmern und glänzen, geisterhaft, geheimnisvoll – das ist Ewigkeit, die von den weißen Stirnen leuchtet, und sieghaft strahlen die klaren Augen. – Ach, und demütig beuge ich mein Knie.

Lautlose Stille. – Da ertönt mächtig, wie Donnerrollen, gewaltig, wie Schlachtenruf, eine Stimme, die schallt durch den ganzen Saal: »Ist es fort, das elende Gesindel, das sich Menschen nennt, und sich so unendlich viel dünkt, daß es sich herausnimmt, uns stundenlang anzustarren und unsere Götterleiber zu kritisieren? – Sind wir allein? – Gebt Antwort!«

Apollo ist's, von Belvedere, er tritt hervor in Herrlichkeit und Majestät, und zu ihm gesellt sich Mars, der da mit aller Arroganz auftritt, deren nur ein Kürassier-Lieutenant fähig ist, sei es auch ein olympischer; und er gähnt herzhaft und schüttelt die prächtigen Glieder, und die Venus von Milo sieht ihn holdselig an. Er aber fährt sich mit der Hand durch die krausen Locken, die Erinnerung an selige Stunden überkommt ihn, und schmunzelnd nickt er ihr herablassend liebevoll zu:

»Venuschen, kleiner Schatz, bist Du immer noch in meiner Nähe? Geh', frage doch einmal Deinen niedlichen Schlingel von Jungen, ob die Luft ganz rein ist, ob wir uns endlich ein bischen gehen lassen können, nachdem wir den ganzen Tag so ehrbar dagesessen haben! Der kleine neugierige Bengel hockt natürlich da, wo es am meisten zu gucken gibt.«

Und wunderbar! Die hochmütige, vornehme Dame von Milo nimmt diese etwas familiäre Anrede gar nicht übel, ja, ein Lächeln spielt sogar um den stolzen Mund, der so oft verächtlich auf die Besucher des Museums herunterblicken kann.

»Mamachen, Mamachen,« ruft eine piepsige Stimme, und der pauspackige, kleine Gesell, das Kind Amor, springt von seiner Marmorsäule herunter, stellt sich dicht vor mich hin und nickt mir zu.

»Mamachen, hier sitzt noch eine in der Ecke; aber sie sagt nichts. Ein ganz kleines Mädchen ist es, und sie macht große, verwunderte Augen, und ihre Stirn leuchtet eben so weiß, wie Deine!«

»Hinaus mit ihr! Hier werden keine Sterblichen geduldet! Wir wollen keine Lauscher,« sagt die lange Diana von Versailles mit ihrer scharfen Stimme, »hetzt die Hunde auf die Unberufene.«

»Willst Du hier das große Wort führen?« lächelt unsere liebe Frau von Milo etwas höhnisch, »alte Jungfern sind freilich flink mit der Zunge, aber ich denke, wir, die wir unsere Aufgabe im Leben – Lieben und Geliebtwerden – erfüllt haben, wir gelten mehr hier im Reich der Freude!«

Diana zuckt die schlanken Schultern und hüllt sich keusch in vornehmes Schweigen.

»Geh', Amorchen,« schmeichelt die tanzende Bacchantin – war sie nicht eben noch kopflos? Jetzt trägt sie ein lieblich-übermütiges Haupt auf dem zierlichen Hälschen. –

»Frag' sie einmal: Hast Du Jemanden lieb? Recht von Herzen, recht freudig? Und wenn sie ›Ja‹ sagt, dann laßt sie nur immer hier. Denkt wohl, ich sei ein dummes, kleines Ding, aber Amorchen, Du weißt, ich verstehe mich auf solche Sachen!«

Und sie dreht sich im Tanz und schüttelt die anmutigen Glieder, daß der musikalische Faun neben ihr schnell ein lustiges »Klingkling« hören läßt. – Da erhebt sich eine Stimme, sanft, wie Windessäuseln, stark, wie Sturmeswehen und ernst, wie das Grab: Hermes spricht. Majestätisch ragt sein wunderbares Haupt über die andern hinweg, und seine armen zertrümmerten Glieder umgibt Würde und Hoheit.

Götterbote! Glück und Freude, Schmerz und Tod trugst Du hin über alle Welt! Ich möchte niederknieen vor Dir und Deine ewige Schönheit anbeten und über Deine verstümmelten Glieder meine armseligen Thränen weinen!

»Laßt sie gewähren, Ihr Götter,« sprichst Du, und Deine Augen sehen mich an, milde, verheißend – »denn ich kenne sie. An ihrer Wiege stand ich und brachte ihr das Geschenk des himmlischen Vaters, beugte mich über sie, hauchte es in ihre Stirn, legte die Hand ihr auf's Herz, und da zog es ein – und küßte ihren Mund, und da lernte sie lächeln und – lieben.« Leise nickt er, und ich möchte weinen. –

Horch! Das seltsame Geräusch! Rollend, rasselnd, im Takt sich wiederholend – dazwischen ein melodisches Pfeifen, ein kunstvoller Schnörkel am Ausgang des tiefen, rollenden Tones, behaglich einschläfernd klingt's in seinem rhythmischen Taktfall, seiner ruhigen Gleichmäßigkeit.

Alle stehen und lauschen – –

Da balanciert der alte, bärtige Silen das Bacchuskindlein geschickt auf dem einen Arm und deutet mit dem andern lächelnd über die Schulter auf den Faun hinter ihm, welcher, trunken von Wein und Freude, seine kolossalen Glieder im tiefen Schlafe dehnt. – Die kleine Bacchantin bricht in ein schallendes Gelächter aus: »Der Faun schnarcht! Denkt Euch, er schnarcht! Zuviel des feurigen Griechenweines hast Du getrunken, Du liederlicher, großer Gesell Du!« schilt sie und kitzelt ihm neckisch die Fußsohlen. Der Faun murmelt unverständliche Worte und bewegt die mächtigen Glieder und versucht den Arm zu erheben. Aber schwer sinkt die Hand auf den Felsen zurück, auf dem er ruht, und bald tönt wieder sein musikalisches Schnarchen mit dem lustigen Endschnörkel durch den Saal. –

»Heraus aus den Schluchten, aus Klüften und Thälern, kommt hervor aus den Quellen, huscht flink aus den Bäumen, ihr Nymphen, Dryaden, ihr schelmischen Mädchen, ihr lustiges Volk! Tanzt, lacht und singt, und hüpfet und springt! Weckt den faulen Schläfer dort und bittet Bacchos, den süßen Wein Euch zu reichen!«

Eine klangvolle, frische Stimme schallt von der Thür her. Diana ist es, aber nicht die lange Versaillerin: eine liebliche, mädchenhafte Diana, mit kurzem Röckchen, noch nicht ganz fertig mit der Toilette – und sie klatscht in die schlanken Hände, und unsere liebe Frau von Milo lächelt ihr holdselig zu.

Nun wird es lebendig um mich her; allüberall aus den Winkeln und Ecken, die Treppen hinauf, hinunter kommt's gehuscht, geflogen, gekichert. Nackte, liebliche Mädchengestalten, üppige Weiber, bockshörnige Faune, tapfere Krieger, die vor Troja gefochten, ernstblickende Römer – alles wirbelt lustig durcheinander und sie umtanzen den schlafenden Faun, sie kitzeln ihm die Seiten und zausen ihm die Haare, sie halten ihm den würzigen Griechenwein unter die Nase und lachen ihm ein lustig Lachen in die Ohren, bis er die sehnigen Glieder reckt und streckt – da steht er mitten unter ihnen und dreht sich im wilden Reigen. Wie der Jubel sie alle begeistert, wie die tolle Lust sie hinzieht in ihr Freudenreich! Sieh' den alten Sokrates – mühsam kriecht er aus der Verzierung des römischen Sarkophags heraus, umgeben von den lieblichen Musen; Terpsichore tanzt Ballett, und da stehen Seneca und Demosthenes und Pindar und Cäsar und viele alte Kahlköpfe und sehen zu. Mit mächtigem Satz springt der borghesische Fechter in die Tanzenden hinein, eine weichhäutige Nymphe hoch in die Lüfte schwingend, die Ringkämpfer lassen ihren Zorn und stimmen in das fröhliche Gelächter ein; die beiden schlanken Discus-Werfer schleudern ihre Metallscheibe geschickt über die Köpfe der neun Musen hinweg, daß die alten Herren entsetzt von ihnen zurückweichen, und mein schwermütiger, holder Antinous küßt die schwellenden Lippen der liebetrunkenen, kleinen Bacchantin.

Majestätisch ernst sehen die drei Parzen vom Parthenon in das Getümmel und Helios lächelt siegreich von seinem Sonnenwagen hernieder. Frau Venus steht als Sonnenkönigin mitten unter den Jubelnden in aller Pracht und lächelt ihrem Volke voll Huld.

Und die Dichterin Sappho öffnet ihren liederreichen, holdseligen Mund und flüstert schmachtend:

»Die Du thronst auf Blumen, o Schaumgeborene,
Tochter Zeus, listsinnende, höre mich rufen!«

Und da, ach, siehe da – die kokett verhüllte Göttin der Schamhaftigkeit sinkt sehnsuchtsvoll in die geöffneten Arme eines kräftigen, schöngestalteten Fauns. – Dacht' ich's doch! –

Ja, sogar die Tiere stimmen ein in die allgemeine Fröhlichkeit: die Schlangen des Laokoon lassen ab von ihren Opfern – des Vaters Stirn blickt heiter nun, und die sanften Knaben fürchten sich nicht mehr – und unterhalten sich mit der Eidechse des schönen Appollo, des Eidechsentöters, dessen Körper etwas von der Geschmeidigkeit der Lacerte an sich hat – und der Panter des Bacchos (der Riesenkater) lauscht grimmig-herablassend dem Gespräch.

Doch, was ist das? Fürwahr, eine seltsame Prozession: langsam ziehen sie einher, im ehrbaren Reigen sich schwingend, gravitätisch-lüstern die Blicke um sich werfend, und jeder am Arme ein sittsam Dämchen mit unendlich vielen Kleidern – zimperlich geschürzt mit geübter Rechten.

Wahrhaftig, die zwölf Apostel sind's an der St. Sebalds-Kirche und irgend welche heilige Damen, die hoch oben im Christenhimmel thronen, haben sie sich zum Heidentanz engagiert.

So ist's recht! Hebt die Füße, streckt die Arme, hierhin, dorthin, auf und ab!

Tanzt lustig den Reigen und dreht Euch im Kreise. –

Mitten im zierlichen Tanz stehen die heiligen Weiblein bewundernd vor dem schönen, nackten Leib des Antinous, dem offenbarenden Mund des heiligen Johannes entströmen Worte der Begeisterung über die Wunder der Weibesschönheit, der heilige Paulus seufzt: »Hieße ich doch noch Saulus!«, und der heilige Petrus rasselt mit den Himmelsschlüssel-Castagnetten dazu. Und sie schwingen sich im Kreise, daß die heiligen Gewänder fliegen, die heiligen Bärte wehen und der heilige Schweiß von den heiligen Stirnen rieselt. –

Bim, bim – bim, bim! Horch! Ein Glöcklein! Das Vesperglöcklein der St. Sebalds-Kirche.

Schlaff sinkt der heiligen Schar der Arm, es stockt der Fuß – starren Auges schauen sie zur Thür. Da steht eine hagere Mönchsgestalt in brauner Kutte und winkt mit langem, dürrem Finger und bim, bim, – bim, bim, tönt's Glöcklein wieder. Stark wie Riesenarme ist die Macht der Gewohnheit! Dahin stürzen sie, die lieben Heiligen alle, in atemloser Hast sich überstürzend, überkugelnd. –

»Zur Vesper, zur Vesper!«

Und der heilige Paulus-Saulus wendet sein bärtig Antlitz:

»Ueber ein Weilchen werdet Ihr uns nicht mehr sehen, und über ein Weilchen werdet Ihr uns wiedersehen, wenn – wir die Vesper gesungen!«

Ein lustig schallendes »Evoe!« antwortet ihm und – bim, bim – bim, bim tönt's Glöcklein von der St. Sebalds-Kirche. – –

Banges Stöhnen, sanftes Klagen, todesmüde Laute dringen an mein Ohr:

»Tod, was eilest Du? Nimmer begehr' ich Dein!« dringt's über die bleichen Lippen des sterbenden Sklaven Michel Angelos, und bang sinken seine schönen Glieder ineinander.

»Wohl brannte die heiße Sonne Italiens erbarmungslos auf mich nieder, wohl sengte sie mir mein Hirn, meine Seele; wohl fühlte ich die scharfe Peitsche auf meinen nackten Schultern, wohl schnitten mir rauhe Flüche ins Herz – aber ich lebte doch, und mit mir die Hoffnung! Bei den mitleidsvollen Strahlen der Sonne dachte ich an kühle Eichenhaine, beim Brausen des Sirocco an das Rauschen meines Nordlandmeeres, unter Blüten und Früchten und ewig blauem Himmel an Eis und Schnee, an Sturm und Regen. Und wenn die Peitsche des Vogts klatschend auf mich fiel, da – in meinen Gedanken – kühlte lieb Mütterleins Hand ihr Brennen und meines süßen Liebs Mund küßte mein Herz gesund. –

»Tod, zögere noch! Laß mir die Hoffnung, laß mir das Leben! Tod, warum kommst Du!« –

»Stirb doch! Dann bist Du frei!« antwortet ihm eine rauhe Stimme, und es rasselt wie von Ketten, dumpfes Stöhnen entringt sich der Brust seines gefesselten Kameraden neben ihm. –

»Freiheit, Freiheit! Gib mir Freiheit! Sie haben mich an diesen Felsen geschmiedet, meine Hände, meine Füße, meinen Leib – und ohnmächtig schüttle ich meine Ketten. Und weißt Du, warum sie mich fesselten? Warum sie mich des höchsten Gutes, der Freiheit, beraubten? Weil sie mich fürchteten, weil die Angst, die wahnwitzige Todesangst sie dazu trieb. Weil sie wußten, ich würde den Brand des Aufruhrs in die Welt hinaus schleudern, würde nicht eher rasten und ruhen, bis ich die alte Erde vernichtet, zertrümmert, daß eine neue aus ihr entsteht – gut, rein, stolz, wie sie sie nicht schaffen können. –

»Und darum nehmen sie mir meine Freiheit und werfen mich in Ketten, schmieden mich an und hohnlachen in mein Gesicht. –

»Du allmächtiges Wesen, das Du da oben über den Wolken thronen sollst, wenn Du mich verstehen kannst, so höre meinen Ruf:

»Gib mir Freiheit – oder laß mich sterben! – – Keine Antwort – ohnmächtig oder grausam bist Du – denn sieh', stark bin ich noch, und mein Herz schlägt, mein Kopf denkt noch, rastlos, unermüdlich, und – hörst Du's? – meine Ketten klirren höhnisch, immer weiter, immerzu! – O Tod, warum kommst Du nicht!«

– – – – Lustig Rufen übertönt seine grollende Stimme, Beifallklatschen, Jauchzen, und dazwischen der Ruf: »Bacchos, Bacchos!« Und hierher wälzt sich der fröhliche Strom jubelnder Götter und Menschen und »Dich wollen wir, Bacchos, Gott der Freude, wo weilst Du so lange!« Sie knieen vor der schönen Jünglingsgestalt mit der berauschend lieblichen Traube neben ihm, und sie nehmen ihn in ihre starken Arme, und Nymphen und Göttinnen umschmeicheln, umkosen ihn. Da lassen sie ihn nieder, auf die Kniee des egyptischen Götzenbildes – denn das ist leblos und von Stein geblieben – und neigen sich huldigend vor ihm. Doch er erhebt den Arm und deutet mit der Götterhand auf die Marmorgebilde neuester Zeit, in der Mitte des Saales:

»Was wollen die unter uns?« fragte er mit zorniger Stimme, »schafft sie fort – sie stören mich!« Athene steht neben ihm, die blauäugige, siegende Göttin; sie hört ihn, sie winkt ihrem Liebling, dem starken, schnellfüßigen Achill, und der –

»Naus da, 'naus da aus dem Haus da! Fort mit dir, Gesindel!«

Und jubelnd sehen alle, wie Zenobia in voller Kleiderpracht, eine falsche Oenone, ein paar weichliche Marmorkinder, eine vollbusige, schamlose Schönheit, zertrümmert die Steintreppe hinunterfliegen. – Dann aber neigt sich Achilles voll Anstand vor der Statue des Lincoln mit dem Sklaven und spricht mit Höflichkeit:

»Mein Herr, gern mögen Sie unter Heroen weilen, aber Sie werden begreifen, daß Sie dann auch in voller Heroen-Uniform zu erscheinen haben, und die möchte Ihnen vielleicht nicht gut stehen. Entschieden aber können wir in unserm Reich der Schönheit das Untier von Häßlichkeit da zu ihren Füßen unmöglich dulden.« Und Lincoln verbeugt sich verständnisvoll und verläßt den Saal.

Da wankt eine müde Gestalt die Treppe herauf – einst der Stolz der Götter, immer die Freude der Menschen – und läßt sich schwer auf die Stufen nieder; die starken Schultern beugen sich, der Leib zieht sich schmerzlich zusammen, ein mächtiges Haupt sitzt plötzlich auf dem starren Nacken des Herkules-Torso und senkt sich matt, todesmatt; und klagend, grollend erfüllt eine Stimme den Saal: »Müde bin ich – endlich! Müde, der Welt zu dienen, müde, Undank zu ernten, müde, zu lieben, müde, zu leben – –

Einst lag die Welt schön und gut vor mir, einst hatte ich Lebensmut, Lebenslust, einst habe ich gekämpft, gestritten, gerungen – und nun? Nun bin ich müde und möchte schlafen!« – –

Die starken, trotzigen Glieder sinken zusammen, und das starke Haupt stützt sich schwer auf den kraftvollen Arm.

Es nahen sich zwei schlanke, schöne Jünglingsgestalten, eng aneinander geschmiegt, die Arme verschlungen, und ein mildes Licht strahlt von ihnen aus. Da legt der eine ernst und leise die Hand auf die müde Stirn des Herkules –

»Schlaf',« sagte er sanft.

Da senkt der andere still die brennende Fackel zur Erde, daß sie erlischt –

»Ewig,« lächelt er.

Und voller Ehrfurcht beugt das lustige Göttervolk das Knie und huldigt dem Toten. –

Liebliches Klingen, Singen, Getöne – ein wunderbar Leuchten, hell, sanft und mild –

Da schwebt etwas die Treppe hernieder, zartduftig, schimmernd in weißer Pracht – himmlisch lieblich, lebensvoll schön – Ach, ich sinke in die Kniee und blicke zagend zu der göttlichen Gestalt der Medicäerin empor, denn sie ist es – Sie kommt zu mir, sie tritt vor mich hin, und ein wundersames Schauern durchbebt mir Kopf und Herz. Sie neigt ihr holdseliges Antlitz zu mir, und sie küßt mich auf den Mund, es rinnt wie Feuer durch meine Glieder. Neben ihr steht ein schöner Jüngling, dem strahlen viele kostbare Gedanken von der weißen Stirn. Er sieht mich an, ernst und voll kindlicher Weisheit, und spannt seinen Bogen und zielt gut – denn der Pfeil dringt mir mitten ins Herz hinein. Und dann – bin ich es noch? Lebe ich? Mir ist's so groß ums Herz – Sieh', meine Hände! Durchsichtig klar sind sie, und mein Körper schimmert, wie die der Marmorgestalten – Ach, meine Glieder zittern – –

Da faßt Aphrodite mich an der Hand und führt mich den Uebrigen entgegen – Und Hermes lächelt zu mir: »Psyche, bist Du erstanden?«

Jubelnd begrüßen mich alle, alle – und sie heben mich empor zu Nike, der Göttin des Sieges, und ich schmiege mich an ihren schönen Körper, der kein Haupt mehr auf ihren Schultern trägt.

Du schwebst zwischen Himmel und Erde, o hehre Göttin! Thörichte Menschen schlugen Dir Dein stolzes Haupt ab, engherzige, fromme, nicht denkende Menschen. Sie sagten: Du dürftest Dein Haupt nicht erheben, mit Deiner freudigen Stimme die Menschen nicht begeistern, auf daß sie stumpfsinnig würden, wie jene selber. Ach, Du Göttin, Deine ganze Gestalt, Deine verstümmelten Arme, Deine stolzen Füße, die leisesten Falten Deines Gewandes – Alles spricht Sieg! Sieg über die Finsternis, die Kleinheit, über freche Gewalt, und fromme Erbärmlichkeit.

Und sieh', in Deinen Armen hältst Du Psyche, die Seele, die Ewigkeit – und weit hinaus ragt Ihr, über alles herrscht Ihr, über Götter und Menschen!« – –

Da, Licht! Es fällt durch die Fenster – es wird Tag – –

Tiefe Stille – – Und ich fahre mit eisiger Hand über meine heiße Stirn – – und da stehe ich – ein armes, sterbliches Kind des nüchternen, kühlen, praktischen neunzehnten Jahrhunderts.

Unser Frühling.

»Ich bin da – siehst Du mich?« sagte die Ranunkel zur Sonne, »sieh', ich glänze – bin ebenso golden wie Du!«

Und sie richtete sich in die Höhe, spreizte ihre eigelben Blütenblättchen auseinander und sah unglaublich frech in die Welt hinein.

Der Sonnenstrahl aber glitt über sie hinweg, über die Anemonen hin.

»Ihr seid schöner als die gelbe Blume,« flüsterte er ihnen zu, und sie erröteten wie junge, bleichsüchtige Mädchen und wurden sehr stolz.

»Was wollt Ihr hier?« riefen sie den Veilchen entgegen, die frisch und munter im grünen Röckchen und blauer Blouse anmarschiert kamen.

»Ihr habt hier nichts zu suchen – das ist unser Boden.« Aber das kümmerte das Veilchen gar wenig. Ueberall, wo es Wurzeln fassen konnte, zwischen Ranunkeln und Anemonen und Kuhblumen, zwischen Moos und Gras, unter Blättern und Reisig, sogar zwischen den vornehmen, sonderbaren Frühlingsblumen, die erst vorsichtig einen Blätterregenschirm aufspannen, damit ihre kleinen weißen Blüten, die sie unten am Stengel tragen, nicht naß werden – überall öffnete das Veilchen seine Blauaugen und lächelte sanft dem Frühling entgegen.

»Seid Ihr ein exklusives Volk,« sagte der. Er saß mit gekreuzten Beinen auf einem allmächtig großen Schneckenhaus und hatte eine Blütenkrone auf dem Haupt und eine Weidengerte mit lustigen Kätzchen daran in der Hand; er spielte mit einem überjährigen Schneeballen, der irgendwo in einem Waldwinkel, von der Sonne vergessen, liegen geblieben war, und der schmolz jetzt und träufelte der Schnecke, die aus ihrem Fenster guckte und schrecklich große Augen machte, gerade auf die Nase, daß sie entrüstet ihre Fühlhörner einzog und das Fenster zumachte. Die Schmetterlinge, die den Frühlingsknaben umgaukelten und wie Blumen aussahen, die von ihren Stengeln geflogen und auf die Wanderschaft gegangen waren – gerade wie unsere sehnsüchtigen Gedanken mitunter – machten vor Vergnügen die lustigsten Capriolen in der Luft und schlugen übermütig-hastig mit den kleinen, bunten Sammetflügeln. »Ihr seid ein exklusives Volk hier im Walde,« sagte der Frühling, »jede Sippe hockt auf ihrem Fleckchen Erde für sich und macht scheele Gesichter, kommt ihm ein anderes zu nahe. Und erst die Bäume – hier die Eichen, dort die Tannen, drüben die Birken – die Weiden sind in die Wiese geflüchtet, damit sie's Reich für sich allein haben, und die Obstbäume wollen erst recht nichts von den andern wissen. Freilich – seid auch auf verschiedenem Erdreich groß geworden. – 'S wär' auch langweilig in der Welt, wär' alles über einen Kamm geschoren! Und doch – Eine strahlende Sonne scheint über Euch alle, und ein gütiger Regen erquickt Euch!« – Und der Frühling erhob sich vom Schneckenhaus und schlenderte davon. Gern hätte er die Hände in die Hosentaschen gesteckt, aber das ging nicht, denn – er war ganz nackt und bloß wie die Natur selber, und der Sonnenstrahl strich gleitend vor ihm her und leuchtete ihm. Pfeifend und singend mit heller Stimme zog der Frühling durch den Wald; unter seinen Tritten sprossen die Blumen und sein Lachen – das war der Frühlingswind, der warme Südwind, der belebend über die Erde fuhr. Die Vöglein kamen und antworteten mit sehnsüchtigen Lauten. – Ueber den Wald hin schallt der starke Weckruf der Blauvögel. Sieh' – da blitzt es feuerrot auf – das ist ein lieblicher Sänger! Und horch! Hier die rostbraune Drossel – Hörst Du, was sie sagt? »Tüterlü! Der Frühling kommt! Siehst Du ihn – Du, Du, Du, Du!« – Und: »Komm' zu mir, komm' zu mir! Zerr – zeck, zeck, zeck, zeck!« bläst der Zaunkönig sein Kehlchen auf – wupp! schlüpft er durch die Hecke, und dahin geht's, im Lauf, geschwind wie ein Mäuschen. – Siehst Du den Specht? Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf ein tiefrot Käpplein über dem schlauen, spitzen Näschen – ist doch gar ein putzig Weschen! Sieh', wie klug die schwarzen Augen funkeln, sieh' – wie er mit dem Frühling Verstecken spielt! Bald an dieser, bald an jener Seite des Stammes schimmert sein rotes Köpfchen und wirft ihm der Frühling eine Hand voll Blätter ins Gesicht, die sich schnell an die Zweige anklammern – hei! Da sitzt er schon ganz hoch oben im Baum und lugt schelmisch um die Ecke:

»Pick, – pick, – pick, – pick – hier find' ich mein Mücklein!
Pick, – pick, – pick, – pick – hier schlag' ich mein Brücklein,
Von Baum zu Baum über Busch und Strauch –
Ei, Frühling – geschwinde! Nun folge Du auch.«

»Hahaha,« lacht die Spottdrossel wie toll und gleich darauf klingen langgezogene, friedliche Sehnsuchtslaute aus ihrer Nachtigallenkehle, daß alle Vögel inne halten und dem Frühling die Thränen aus den Augen rinnen.

Wo hört' ich jüngst solch ein Spottdrossellied? – Weich und schwül – hohnlachend – – war's nicht in meinem Herzen? Ist's nicht das Menschenherz selber – in all seinem Leid, all seiner Sehnsucht, all seinem Haß? –

»Sputet Euch,« sagt der Frühling zu den Eichen und schlägt sie schmeichelnd mit seiner Weidengerte, »Ihr knorrigen Gesellen! Seid zwar auch so schön mit Euren kuriosen Knorpeln und verdrehten Aesten – gerade so knorpelig und verzwickt, wie ein Menschenhirn – aber wenn Ihr die zackigen Blätter von Euch spreizt, habe ich Euch noch lieber!«

Und da sproßten die roten Keime und Blättchen, und nun hatten sie ein noch wunderlicheres Ansehen, gerade wie ein Schalksnarr, dem die Liebe aus den Augen guckt. –

»Ich,« sagt die Ulme, »ich bin vorgeschritten in der Kultur – seht, mein krauses, grünes Gewand ist schon fix und fertig.« –

Und der Frühling geht weiter:

»Sieh', sieh', wie schön steht das maigrüne Kleidchen zu Deiner weißen Haut, kleine Birke, – bist fast die Schönste von allen! Alte Tanne« – er streicht über der Tanne stattliche Haare – »mußt immer dasselbe dunkle Kleid tragen jahraus, jahrein – bist wohl gar neidisch?«

Aber die Tanne ist unartig, sie streckt dem Frühling und seiner Birke eine lange, hellgrüne Zunge aus den dunkeln Nadeln heraus und antwortet noch nicht einmal vor Trotz.

»Böses, altes Ding Du,« schilt der Frühling, und um sie zu ärgern, gibt er den Lärchen lauter kleine hellgrüne Federbüsche, kleinen Pinseln gleich, die tragen sie stolz, wie ein angehender Maler seine Farbenpinsel in der Brusttasche. – Horch! Was regt sich hinter dem Tannendickicht? Ein hübsches, verstecktes Plätzchen – Taubengegirr, Vogelgesang – ist's Windessäuseln, rauschen die Zweige, geheimnis-ahnungsvoll! Leise schleicht sich der Frühling heran, er verbirgt sich hinter einem Baumstamm – er lauscht – er sieht – –

Menschenkinder sind's, zwei junge, lachende, kosende Menschenkinder, den ewigen Frühling, die Liebe, im Herzen, in den Augen. – Sie ruht im Gras, den Kopf gegen eine Tanne gelehnt, er zu ihren Füßen, den braunen Lockenkopf in ihrem Schoß – leises Lachen, halblautes Singen, abgebrochene, unverständliche Laute – halbgeflüsterte, halbgeküßte Liebesworte. – Glückliche, selige Menschenkinder – was wißt Ihr vom brennenden Sommer, vom welkenden Herbst, vom eisigen Winter? – Der Frühling streichelt Euch Stirn und Wangen. – Blondes Mädchen, Du streichst Dir die Löckchen aus der Stirn und schiltst über den Wind – oder den Geliebten, der Dir die Haare zerzaust hat – und der Sonnenstrahl küßt Euch und dringt Euch bis ins junge Herz hinein! –

Auf leisen, flüchtigen Sohlen eilt der Frühling von dannen:

»Jetzt muß ich aber auch die Obstbäume anlächeln,« sagt er im raschen Lauf, »daß sie treiben und blühen und Früchte tragen.« Aber die waren voreilig gewesen, wie gewöhnlich, hatten nicht auf das Lächeln des Frühlings gewartet, hatten sogar vergessen, sich erst die Blätter anzuziehen. – Da stehen sie in ihren schlohweißen Hemdchen und lächeln verschämt, ach, und Apfelbäume und Pfirsiche werden ganz rot, als sie den Frühling kommen sehen, und nur die Birne ruft triumphierend: »Ein paar grüne Blättchen habe ich schon – aber Du, Frühling, bist ja ganz nackt!« Hei, wie sie sich alle schütteln vor Lachen, daß ihr weicher, duftender Blütenschnee über die grüne Erde hinweht. – Ganz überschüttet wird der Frühling; in seinen Locken hängt die duftige Ueberfülle, um Stirn und Wangen schmeicheln die süßen Boten – da wird es ihm ganz weh ums Herz vor Wonne und Jubel, sehnsüchtig breitet er seine Arme der Geliebten entgegen, der leuchtenden Sonne – und da wird er zum Manne – er vermählt sich mit der Sonnenglut – und siehe, es war Sommer!

Frostiger Frühling.

Um unsere Blüten sind wir betrogen! – Im März, als der warme Sonnenstrahl die erwachende Erde überglänzte, da lag ein rötender Hauch über den Obstbäumen, licht wie ein rosenfarbenes Wölkchen am Frühhimmel – heute haben die Birnbäume und die knorrigen Apfelbäume ein festes grünes Mieder angezogen, aus dem sie stramm und vernünftig herausschauen, und das Mädchenerröten haben sie längst vergessen.

Um unsere Blüten sind wir betrogen! – Hat der Frost sie getötet, der lauernd über die Erde schlich? Hat unsere schönen Hoffnungen der Sturmwind verweht? Ist der Regen gekommen auf seinen grauen Rossen, den Wolken, und hat sie mit seinem gleichförmigen Gedrissel – patsch! patsch! Tropfen auf Tropfen, wie die tägliche Langeweile, – verwaschen, verknittert, zerblättert? –

Nackt stehen die Magnolienbäume im botanischen Garten. Sie, die sonst im Mai zum Frühlingsreigen in prächtigen Balltoiletten der verwunschenen Prinzen harrten; sie, die sonst von der Ueberfülle ihrer Schönheit den neckischen Winden preisgaben, daß die Blütenblätter und ihr Duft die Luft erfüllte. Heute stehen sie kahl und düster und traurig da, kein lächelnder Prinz wird um die südliche Schöne werben und der Frühling hat die Prächtige, Ueppige, Duftende vergessen. – Da gleitet ein Sonnenstrahl über die schwarzen, vom Frost geknickten Spitzen der Magnolien. Es ist, als lächle er. In seinem Flimmer tanzt ein gelber kleiner Schmetterling, er taucht sich in die vergessene weiße Blüte eines jungen Birnbaums, der schon winzige Früchte am andern Zweige trägt. Und da lispeln sie alle heimliche Worte – horch!

Zur Blüte sprach der Schmetterling: »Was nützt mir's, daß ich strahle?
Wenn meinen Schmelz ein Fingerdruck wegwischt mit einemmale?«
  Da lachte der Sonnenschein.
 
Es sprach die Blüte zum jungen Blatt: »Was nützt mir's, daß ich blühe?
Wenn ich nach einer Regennacht verblätt're in der Frühe?«
  Da lachte der Sonnenschein.
 
Es sprach die Frucht zum grünen Baum: »Was nützt mir all mein Süßen?
In meinem Herzen nagt ein Wurm: tot fall' ich Dir zu Füßen.«
  Da lachte der Sonnenschein.
 
Ich rief wohl in die weite Welt: »Was nützt mir all das Klingen?
Die rauhe Hand, die Nacht, der Wurm – Ein Sterbelied muß ich singen!«
  Da lachte der Sonnenschein.

Ich folge dem lachenden Sonnenstrahl. Er huscht über die Stiefmütterchen am Wege, die ihm ihre großen bunten Augen zuwenden, über rote dickköpfige Tulpen, die sich blähen vor lauter Vornehmheit; er klopft an die Fenster des Treibhauses: ich bin da, ich bin da! – Aber was kümmert das nervöse Volk da drinnen in ihrem überheizten Haus der warme Sonnenschein? – Halt! du lockender Strahl! laß mich erst einmal hineinschauen in die Blumen-Menagerie. Sehnsüchtig sehen die armen Eingesperrten durch die Glasfenster, und schauern zusammen, wenn die kühle Frühlingsluft durch die offene Thür sie trifft. Sie fühlen sich wohl in der heißen, feuchten Luft künstlicher Bildung; einmal ihres heimatlichen Bodens beraubt, gedeihen sie prächtig in der erstickenden Atmosphäre der Ueberfeinerung – oh, und diese höchste Kultur zeitigt bizarre Charaktere: da die Kaktus mit ihren Stacheln über und über, an denen ein rauhes Gewebe klebt wie graues Haar; dem bekannten Meergreis gleich, der »in die Wüste ging und ein Wüstling ward«, frühzeitig gealtert wie unsere nervös überfütterten Dandys fin de siècle. Protzige Agaven mit dicken, fleischigen, ausstreckenden Zeigefingern. Cochenille-Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger, nur dazu gut, daß andere sich von ihnen nähren – die kleine, rote Blattlaus, die aus diesem Häßlichen das Schöne bildet: das leuchtende Cochenille-Rot. Hier die Palmen, groß, still, erhaben, die Löwen der Blumen-Menagerie. – Die vielarmigen Dracänen, die üppig wuchernden Schlinggewächse, die seltsamen stillen Blumen mit Blättern und Blüten wie aus Wachs geformt, – gleitet nicht Scheherezade durch diese schwüle Luft und erzählt Märchen aus Tausend und einer Nacht unter lispelnden Palmen und großen duftlosen Blumen? – Aber dort unter dem First des Glasdaches, dem Licht zustrebend – dort liegt es wie glänzend weißer Schnee, besäet mit funkelndem roten Blutstropfen. »Weiß wie Schnee, rot wie Blut!« Schneewittchen aus unserem lieben deutschen Märchen nickt hervor aus diesem lieblichen Blumenmeer und lächelt uns an. Eine Schlingpflanze ist es mit schwarzgrünen Blättern; sie rankt sich hoch und immer höher dem Himmel entgegen, der blau durch die Fenster ihres Gefängnisses schimmert und tausend weiße, stille Blumenherzen wenden sich ihrem Gott, dem Lichte, zu, und rot und glühend entströmt ihnen ihr Gebet. – Da öffnet sich die Thür, der Sonnenstrahl huscht hinein und küßt die roten Blumenlippen, und winkt mir: Komm, komm! Ich zeig' Dir viel Schönes, wenn auch die Blüten Dir genommen sind. –

Draußen im botanischen Garten glänzen die feingeharkten Kieswege. Zwischen wohlgepflegten Blumenbeeten wandeln wohlgepflegte Städterinnen. Die ordentlichen Blumen auf den ordentlichen Beeten blühen noch nicht; die ordentlichen Städterinnen haben schon geblüht. Deshalb strömen sie einen künstlichen, starken Parfüm aus, der schlecht harmoniert mit der süßen, berauschenden Frühlingsluft.

»Vorüber, ihr Schafe, vorüber!« singt Goethes Schäfer, als ihm »gar so weh« wird – und wir huschen dem Sonnenstrahl nach, aus dem ordentlichen Garten hinaus, hinter die hohe Mauer, wo die Wildnis anfängt. Hier ist auch eine Menagerie, die der Bäume. Aber die Wildlinge aus Nord und Süd haben in dem fremden Boden Wurzel gefaßt, ihn sich angeeignet, und so gedeihen sie und wachsen und wachsen, als habe die neue Heimat ihnen die alte ersetzt. – Was es nicht alles zu sehen gibt unter den fremden Bäumen: dort, wohin die Tannen nicht mehr gelangen können mit ihren langen Armen, kriecht kleines, grünes Moos dicht an das Nadelbett heran, das die Tanne, wie Frau Holle den Schnee, um sich ausgeschüttet; es blüht, das Moos, mit lauter gelbgrünen Zäckchen, und zwischen den feinen krausen Spitzen kriechen winzige Insekten, denen der Mooswald wohl so gewaltig dünkt, wie uns jene blühende Kiefer. O wie blüht die Kiefer! Ueberall, überall auf den starken Aesten, in den Stacheln verborgen, da blüht es wie rotes Gold; sieben kleine Goldkätzchen in einem Nest – und rührst Du daran mit vorwitzigem Finger, dann rieselt ein feiner, gelber Blütenstaub in Deine geöffnete Hand. Weich wie ein zartes Kinderbäckchen berührt dich's, und ein würziger Duft erzählt dir von unendlichen Kieferwäldern, in denen der Wind singt.

»Bilde Dir nur nichts ein,« sagt die Nachbarin der Kiefer, die deutsche Edeltanne, und sie reckt sich kerzengrade, so daß sie noch einen Finger breit über jene hinweg schaut – »Du mit Deinem Blühen! Sieh' mich an: meine Orden, huldvollst verliehen von Sr. rauschenden Majestät dem Frühling.« – Und sie klappt ihre Zweige zusammen, daß ein feines Nadelgeriesel zur Erde fällt. Ueber und über ist sie besäet mit hellgrünen Knöpfchen, frischen Nadelspitzen, die vergnügt aus dem Dunkel ihrer Wintertracht hervorblitzen.

Zwischen den Bäumen, aus Gras und Moos erheben sich dunkle Blumenbeete. Seltsame Blumen stehen darauf: aus dunklen Blättern hängt an einem dünnen Stiel eine kleine, gelbe Tasche; – ich bin immer die vierundzwanzigste mit fünfundzwanzig Fehlern in der Botanik gewesen, und nun möchte ich wissen, ob diese niedliche, kleine, gelbe Tasche nicht eine Art von Venus-Fliegenfalle ist? Kriecht ein dummes Mückchen am Rand der schönen Blüte hin und bleibt daran kleben: sacht schließt die schöne Blüte ihre Tasche, und Mückchen ist gefangen und muß elend zu Grunde gehen. Denn so eine Venus-Fliegenfalle gibt ihre Beute nicht wieder los; ob's Mückchen auch zappelt – es wird festgehalten bis an sein unseliges Ende. –

Wenn nach einem deutschen Städtchen aus der nächsten Garnison die Militärkapelle kommt und ein Biergartenkonzert abhält, dann sitzen die unnützen Buben hinter der grünen Hecke des Gartens und gucken hindurch und haben die prächtige Musik mit allem Tschingdara-Bumbum und die Herren- und Damen-Honoratioren, die weißröckigen Mädchen, und all den Kaffee und das Bier – nämlich indem sie sehen, wie es getrunken wird – ganz umsonst. Sie nennen das: ein Heckenbillet nehmen. Ich habe auch ein Heckenbillet genommen: ich sitze hinter der großen Mauer, an der sich rotblühendes Gaisblatt rankt, und kein Mensch im gebildeten Garten weiß, daß ich da bin, und ich höre das süße Vogelkonzert, ich sehe die ernsthaften, andächtigen Bäume und das kindlich lustige Gras, in dem die blauäugigen Veilchen grüßen, ich trinke die wonnige Frühlingsluft – alles umsonst. –

Vor mir an der Mauer hinauf, einer Weinranke entlang, läuft ein winzig klein Vögelein, geschwind wie ein Mäuschen. Pick – pick! hier wetzt es sein Schnäbelein; husch – husch! dort jagt es dem Käferchen nach – und es sieht mich an mit den klugen Augen, als rief' es: Guck, mach' mir das nach! Da ist es oben, reckt die kleinen Flügel und mit einem jubelnden Gekicher ist es davon. – Horch! über mir: da lacht und küßt und tollt ein braunes Drosselpaar. Kokett wiegt sich das Weibchen auf dem schwanken Ast; der Liebste lugt um den Stamm und zwitschert zärtlich: Kind, sühst meck nich? – sühst Du meck nich? – Hier bün eck! hier bün eck! lacht das Weibchen, und fort sind sie, in das Dickicht hinein.

Da kommt wieder mein Sonnenstrahl und lockt mich aus meiner Ruhe und gleitet vor mir her – und ist verschwunden. Wo bin ich? Was wölbt sich über mir – weit, groß, allmächtig. Ich schaue hinaus, und schaue: immer höher, immer gewaltiger weitet sich der grüne Dom von Blättern. Die Zweige der beiden norwegischen Baumriesen neigen sich gegen einander, sie werden zu gothischen Spitzbögen, anstrebend in die Unendlichkeit. Sanftes Dämmerlicht liegt in meiner Kirche. Durch das grüne, schimmernde Blätterdach schaut der Himmel wie blaue, freundliche Sterne. Ein lieblicher Weihrauch umweht mich. Es ist der Duft der kleinen weißen Blüten des wilden Apfelbaumes, der meine Kirche mit wonniger Süße erfüllt. Ich stehe und schaue. Ich breite die Arme aus nach der grünen Unendlichkeit da droben, und es ist still, still, um mich, in mir. –

Als ich hinaustrete aus den dämmernden Bögen meines Domes, liegt die Welt hell zu meinen Füßen. Ihr Duft umhüllt mich. Ihr Licht gleitet warm in mein Herz. Es ist Frühling.

In den Lüften singt es und klingt es – und –

Ich flüstere in die weite Welt: »Wohl süß ist es zu singen,
Wenn Vogelschlag und Frühlingsduft weich dir ins Herze klingen« –
  Da lachte der Sonnenschein.

Das Märchen, das gar nicht kommen wollte.

Es war einmal ein Märchen, das hatte sich eingepuppt wie eine Schmetterlingsraupe und sich versteckt in dem Astloch einer alten Eiche im Walde; nur zuweilen öffnete es die Augen ein wenig und blinzelte um sich, und wenn es sah, daß die Welt immer noch grau und kahl und ungemütlich war, dann machte es die Augen zu und schlief wieder ein. – Während dessen liefen die Menschen in dieser kalten Welt herum und jammerten nach dem Märchen, das gar nicht kommen wollte. Das heißt, eigentlich waren es nur ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, die überall nach dem Märchen fragten. Sie hatten dicht bei einander auf dem Fußschemel gesessen und zugehört, was die alte Märchenmuhme erzählte. Die großen Leute hatten keine Zeit dazu, die hatten so viel zu sorgen und zu wirtschaften und zu studieren, daß sie sich um ein Märchen nicht weiter bekümmern konnten; außerdem sagten sie, so ein Märchen, das sei nur für Kinder und solche, die es immer bleiben; dabei käme gar nichts heraus, und man sollte nur einmal die gelehrten Leute fragen, die den täglichen Bildungsbedarf fürs Volk liefern – das viele Zeitungspapier – die werden Euch schon sagen, was man von dem Märchen zu halten hat.

Da sagte der kleine Junge zu dem kleinen Mädchen:

»Komm', wir wollen hingehen und sie fragen!«

Als sie bis an eine große düstere Thür gekommen waren, – da wären sie am liebsten wieder umgekehrt; aber der kleine Junge war sehr mutig, und so gingen sie hinein. Da saß der Gelehrte und las aus einem gewaltig großen Stück Papier. –

»Sieh' 'mal, der hat vier Augen,« sagte das kleine Mädchen – und dann guckte er mit ein paar allmächtigen schwarzen Augen über die gläsernen hinweg, die ihm unten auf der großen Nase saßen, und das kleine Mädchen steckte schnell den Finger in den Mund und der kleine Junge ballte die Faust, während der Gelehrte brummte (Gelehrte brummen meistens):

»Sie haben zu viel Phantasie, meine Lieben, das hindert Sie durchaus am logischen Denken und schwächt den Verstand. Doch, es wird sich schon geben, darüber seien Sie nur unbesorgt.«

Da gingen die Kinder nach dem andern Gelehrten, der war sehr freundlich, tätschelte ihre blonden Köpfe und sagte: sie sollten nur wieder hingehen – das sei Alles in schönster Ordnung. – Dann nahm er des ersten Zeitung und schnitt da ein Stück heraus, aber so, daß der Anfang fehlte und man nicht wußte, um was es sich eigentlich handelte, und druckte es in seine eigene Litteratursammlung hinein, und dann stand da zu lesen: Dieses ist für die Kinder durchaus schädlich. Es verleitet sie zum Lügen und könnte Veranlassung geben, daß sie sogar Phantasie bekämen. – In unserem heutigen realistischen Zeitalter ist es nicht angebracht, und der Konflikt zwischen Konservativismus und Modernität wird immer wieder aufgefrischt. –

Aber davon verstanden der kleine Junge und das kleine Mädchen gar nichts; ganz traurig gingen sie wieder fort und suchten immer noch nach dem Märchen, das gar nicht kommen wollte. Sie hauchten ein Guckloch in die Eisblumen am Fenster, ob es vielleicht außen davor säße; wie der Schnee mit geheimnisvollem Sausen vom Dache rutschte, öffneten sie das Fenster und dachten, nun käme es ganz weiß hereingeflogen, und wie die Sonne anfing zu scheinen, liefen sie hinter den Sonnenstrahlen her, um sie zu haschen, denn sie meinten, das sei es nun; und dann schlichen sie auf den Zehenspitzen ans Fenster, wo die großen, weißen Hyacinthen standen und dufteten, und guckten zu, ob es vielleicht in einer der stillen Blütenglocken zur Ruhe gegangen sei.

Aber das Märchen wollte und wollte nicht kommen. Und unterdessen war es in der Welt immer noch kalt und grau und trostlos. Die Menschen hasteten und jagten und trieben einander und machten lauter dummes Zeug. Es war eine häßliche Welt und häßliche Menschen darin, die sich viel Leides thaten, und die beiden Kinder dachten oft, ob denn das Märchen noch immer nicht kommen wollte und Ordnung schaffen und die Welt wieder gut und schön machen.

Da kam eines Tages der Südwind daher gefahren. Er stieg von den Bergen hernieder, daß die Lawinen donnernd vor ihm niederkrachten; er jagte das Eis auf den Flüssen vor sich her, daß es sich bog und knackte und schrie; er pfiff durch die Tannenwälder, daß die Nadeln den alten Fichten um die Ohren sausten, und knickte die dürren Aeste der Wälder, daß Platz wurde für die jungen, neuen Triebe. Die Wolken trieb er vor sich her – runde, regenschwere Wolken, in wilder Jagd; sie drängten und schoben sich und sprangen einander auf den Rücken, wie die Buben, wenn sie Haschen spielen. Dann stob er in die Stadt mit wildem Jauchzen und Getöse; er blies in die Kamine hinein, wie in ein Sprachrohr, und trieb Schabernack mit des Petrus goldnem Hahn auf der Kirchturmspitze; er deckte die Dächer ab und guckte den Leuten in die Häuser und blies sie an, daß es den dummen Menschen angst und bange wurde. Ja, er fuhr sogar dem König um die Nase, als der just vor seinem Königreiche stand und, die Hände in den Hosentaschen, darüber nachdachte, wie sein Volk ihn wohl wieder einmal beglücken könne; und er warf ihm sein Reichsaushängeschild gerade vor der Nase herunter, so daß der König sich entrüstet umdrehte und in sein Reich hineinging und die Thür zuwarf, daß es krachte.

Aber der Wind lachte nur: »Puh! wenn ich nur wollte, dann brauste ich Dich mit samt Deinem Königreich von der Erde hinweg, wie einen Strohhalm – aber ich will nicht! – Bist mir viel zu klein, du Königlein!« –

Und dann warf er ein paar ehrsamen Bürgern, die des Weges kamen, die blanken Cylinder von den gedankenschweren Häuptern, als wolle er sehen, was in den Köpfen stecke; und wehte ein paar schlanken Jungfräulein die langen Kleider eng um die schönen Glieder und freute sich darüber, der wilde Geselle, wie die kleinen Frauenfüße so tapfer gegen ihn ankämpften.

Mit lustigem Gekicher fuhr er zu den Wolken auf und spielte Fangball mit ihnen; die Wolken fangen an zu weinen und dann fällt ein weicher, warmer, feiner Frühlingsregen auf die Erde nieder, eine zarte, graue Nebeldecke breitet sich über die Welt aus, und unter dieser dampfenden feuchtwarmen Decke da geht der Sturmwind zur Ruhe.

Dort im Wald, in dem Astloch der großen Eiche regt sich etwas, das ist das Märchen; das ist aufgewacht von des Südwinds wildem Gesang und merkt, daß es nun Zeit ist, aufzustehen. Es gähnt noch einmal recht herzhaft und reckt und plustert sich wie ein Vögelein im Nest; dann schiebt es erst das eine rosige Füßchen heraus und dann das andere, dann gähnt es noch einmal, und nun breitet es seine sammetenen Schmetterlingsflügel aus und fliegt zur Erde nieder. Da leuchtet mit einemmal eine große, glänzende Sonne durch den Nebel, und nun kann man erst sehen, was für ein niedliches Märchen es ist. Es ist sehr klein und fein, hat schöne, weiße Gliederchen und große, dunkelblaue Stiefmütterchenaugen und die schönsten goldnen Haare von der Welt, die glänzen in der Sonne wie das rote Gold, das die Schlangenkönigin bewacht; auf dem Köpfchen trägt es eine blaue Glockenblume, die macht ein sanftes Geläute, wo das Märchen geht und steht.

Es mußte wohl von dem Getön und Geklinge sein, daß plötzlich alles lebendig wurde im Wald, daß die Vögelein ein artig Konzertieren begannen und die Blumen – die Krokus und Anemonen und Schneeglöckchen und wie sie alle heißen – aus der Erde sprangen, wie kleine, weißhäutige Kobolde, und ein duftiger Reigen begann in Wald und Flur. Ei! wie es die Bäume da eilig hatten, ihr neues grünes Kleid anzulegen, und wie die alten Tannen die spitzen, gelbgrünen Finger ausstreckten, als wollten sie sich auch so ein grasgrünes Flörchen erhaschen. Am Waldteich der alte Erlenstumpf sagte zu seinen grünen Jungen, die ihn dicht umstanden:

»Reckt Euch in die Höhe, Jungens, damit das Märchen nicht sieht, wie alt und vertrocknet ich bin.«

Aber im Teich erhob sich plötzlich ein lautes Gequake und Gejohle. Das waren die Frösche, die hielten einen Froschvolks-Thing ab und wollten sich eine neue Verfassung gründen; sie sprachen sehr ernsthaft über Kaulquappenerziehung, Schulvorlagen und Militärbudgets, und daß der Storch und der Reiher von jetzt an unter froschlicher Oberhoheit stehen sollten; und ein noch ganz grünes Fröschlein aus dem vornehmen Geschlecht derer von Ochsenfrosch wollte immer alles besser wissen und durchaus einen ganz uralten Kurs als das Neueste einführen im Froschteich.

Es war wirklich sehr interessant, und es war gar nicht recht, daß der Weidenbaum am Ufer plötzlich anfing zu jauchzen und zu lachen und zu spotten, und sich geberdete, als hätte er zu viel Blütenwein getrunken. Die gebildeten Frösche kamen ganz ärgerlich ans Ufer und glotzten ihn an, und der tolle Geselle, dem die buschigen, hellgrünen Weidenkätzchen von seiner Narrenkappe herunterbaumelten, schnitt höhnisch eine Fratze und spreizte seine vielen grauen Finger von sich und hielt eine lange Rede, von der die Frösche kein Wort verstanden; denn er sprach von Blütenwein und Trunkenheit und Auferstehung und Frühlingsduft und Märchenaugen – und schloß mit:

»Kinder und Narren sprechen die Wahrheit, und wahrlich, ich sage Euch, so Ihr nicht werdet wie sie, so könnet Ihr nimmer in den Frühling eingehen!«

Hei! Da begann ein Geschelte und Gequake, ein Koaxkoax und Brekekekex, daß die Vöglein in der Luft im Fliegen innehielten und verwundert zum Waldteich herniederschauten. Und der Weidenbusch verbeugte sich lächelnd nach allen Seiten und schüttelte seine Kätzchen lustig durcheinander und sagte:

»Verehrte Anwesende, ich glaube verstanden zu haben, daß Sie mir vollständig beistimmen; und da oben kommt Se. Excellenz, der Generalfeldmarschall Graf Storch, angeflogen, der wird Ihnen –«

Quack! sagten die Frösche und tauchten unter, und lange herrschte Totenstille im Teich, bis sie merkten, daß der tolle Weidenbusch sie genasführt hatte; dann begann zögernd erst die eine Stimme und dann eine zweite, und der grasgrüne Froschjüngling sagte: Kroax! und seine Base, die gelehrte und tiefsinnige Schriftstellerin von Unke, antwortete: P–unkt–um! – und bald war der hochweise Disput mit These und Antithese wieder im schönsten Gange.

Das Märchen aber nickte lächelnd zum Weidenbusch hinüber und warf Kußhändchen nach allen Seiten, dann flog es schnurstracks durch den grünenden, blühenden, duftenden Wald, über Felder und Gärten, in die Stadt, in das Haus, in die Stube hinein, wo der kleine Junge und das kleine Mädchen auf dem Fußschemel saßen und aufmerksam zuhörten, wie die Märchenmuhme ihnen die Geschichte von den Löwen- und den Bärenkindern erzählte, und als sie gerade sagte: »Die Bärenkinder aber waren so schrecklich unartig« – da rief der kleine Junge:

»Sieh', – sieh' doch, da ist das Märchen!«

Und das kleine Mädchen klatschte in die Hände und jubelte: »Das Märchen! das Märchen!«

Und wirklich, da stand das Märchen auf der Thürschwelle, seine Augen leuchteten, seine Haare glänzten wie die Sonne, und dann nickte und winkte es ihnen; die Kinder faßten sich bei den Händen, sprangen zur Thür hinaus, hinter ihm her und riefen und sangen immerfort:

»Das Märchen! Da ist das Märchen, das gar nicht kommen wollte!«

Es waren aber viele Kinder auf der Straße, die sahen das Märchen zwar nicht, aber sie riefen doch: Das Märchen, das Märchen! und tanzten hinter dem kleinen Jungen und dem kleinen Mädchen her, und so ging der Zug durch die Stadt zum Thore hinaus, als wenn der Rattenfänger von Hameln ihnen aufspielte. Die großen Leute, denen sie begegneten, blieben stehen und lachten und sagten:

»Ach, das ist ja ein Schmetterling, der heißt –« und dann nannten sie einen langen, lateinischen Namen. Und andere sprachen:

»Das ist ja ein Sonnenstrahl, und nun ist es Frühling geworden. Der Frühling ist eine natürliche, höchst angenehme, alljährlich wiederkehrende Naturerscheinung. Es ist gar nichts Märchenhaftes daran.«

Aber nun waren es der kleine Junge und das kleine Mädchen, welche lachten – sie wußten es ja viel besser. Sie liefen in den Wald hinein – da tanzten die Blumen mit den Elfen und Kobolden, und die Kinder waren mitten unter ihnen. Das Märchen schenkte ihnen den Frühlingswein aus Blütenkelchen, und sie lagen auf weichem Moos und guckten in den blauen Himmel hinein, von dem die weißen Wölkchen winkten und grüßten und weiter segelten.

Das Märchen aber wuchs und wurde größer und wurde eine liebliche Jungfrau und ein blühendes Weib; und dann wurde es ein liebes, eisgraues Mütterlein, und dann – ja, dann spann es sich wieder ein, wie eine Schmetterlingsraupe und kam lange, lange nicht mehr; nur zur Zeit der Wintersonnenwende, als die weißen Grüße vom Himmel an der alten Eiche im Walde vorüberwehten, da öffnete es die blauen Märchenaugen ein wenig und blinzelte um sich, und dann schlief es wieder ein und wartete auf den singenden, sausenden, brausenden Frühlingswind.

Und der kleine Junge und das kleine Mädchen wuchsen auch und wurden größer und schöner und wurden Mann und Weib; dann spannen sie sich auch ein, in sich und ihre Welt; und dann erzählten sie ihren Kindern und Kindeskindern das Märchen vom Märchen, das gar nicht kommen wollte, und endlich, endlich doch gekommen war. – –

Klein Hildegard.

Klein Hildegard wollte zur Schule gehn,
Da blieb am Walde sie sinnend stehn;
Der sah sie mit winkenden Augen an,
Die Vöglein lockten aus dem Tann:
»Klein Hildegard, komm, so schön ist's hier,
Wir rauschen Dir Märchen, wir singen Dir
Von Elfenkönigs goldenem Thor
Viel Süßes, Geheimnisvolles ins Ohr;
Wir singen Dir von des Nixen Spiel –
Tief unten im Wasser, da weint er so viel.
Wir streuen Dir duftende Blumen umher,
Der Wind regt die Zweige, brausend wie's Meer.«
– Doch Hildegard richtet sich ernsthaft auf
Und schickt sich wieder an zum Lauf:
»Zur Schule, zur Schule!« die Mutter spricht,
»Im Walde spielen, das darfst Du nicht!«
Da fällt, plumps! von dem Tannenast
Ein Zapfen auf das Näschen fast:
»Au! böse Tanne!« schilt das Kind,
»Bist unartig, wie Kinder sind!
Willst mir wohl gar was sagen, gelt? –
Ei nun, so rede, wenn's gefällt!«
Lieb schmiegt klein Hilde sich heran
Zum rauhen Stamm der alten Tann.
Vergessen ist Schule, der Mutter Gebot –
Ja, Sonntagskinder machen viel Not. –
Vom Tannenbaum fall'n – tip, tip, tap,
Die würz'gen Nadeln sacht herab.
Und, wie sie rieseln, wie sie fallen,
Hört Hilde Stimmchen draus erschallen,
Die lullen's Kindchen kosend ein
In seltsamliche Träumerein;
»Zur Schule geh', mein liebes Kind,
Doch da nicht, wo die andern sind.
Geh' Du zur Schule in dem Wald;
Was Du da lernst, vergißst Du nicht bald.
Denn hier im Wald, da lernst Du verstehn,
Was Bäume rauschen und Blüten verwehn;
Warum am ewigen Himmelszelt
Die Wolken ziehen über die Welt;
Was Blumen duften, Vöglein singen,
Was Bächlein murmeln, Stürme klingen – –
Was unsere ganze schöne Welt,
Die kunterbunte, zusammenhält – – –
Horch nur auf jedes Gezirpe fein,
So wirst Du bald klug wie Waldvöglein sein.«
So spricht im Walde die alte Tann',
Und Hilde hält den Atem an,
Daß ihr die Wörtlein nicht entrinnen.
Dann wandert lustig sie von hinnen.
 
Es grüßen Blumen von allen Seiten,
Und Hilde nickt, als weitergleiten
Im weichen, kühlen Gras und Moos
Die kleinen Füße, nackt und bloß.
»Pflück' mich,« spricht die Königskerze,
»Sieh', wie ich gen Himmel schwanke,
Schlanker Stab aus Sammetblättern,
Bin ganz Sehnsucht, ganz Gedanke, –
Vor Idealen, hoch und hehr,
Seh' ich den eignen Stamm nicht mehr!«
Da lacht das kecke Heidekraut:
»Ich wurzle in der Erde traut;
Und wie ich dufte, wie ich blühe,
Und wie ich stark und kräftig bin,
Und wie ich feurig rot erglühe –
All das gab mir die Erde hin!« –
Horch! Welch ein feines Stimmchen schallt
Vom nahen Eichstamm durch den Wald?
Die wilde Weinblüt' ist's, die spricht
Ganz spöttisch: »O, Ihr dummen Wicht'!
Vom Himmel träufelt uns der Regen,
Vom Himmel wärmt die liebe Sonn',
Und Mutter Erde will uns hegen,
Wenn Frost und Eise starren schon.
Ich lieb', was mir der Himmel gab,
Die Erd', in der ich Wurzeln hab'.«
So flüstert's, lacht es auf und an;
Klein Hilde pflückt so viel sie kann.
Schau! Dieses bunte Blumenmeer! –
Fast wird's dem Aermchen gar zu schwer.
Im schilfigen Gras glüht rot es auf.
Pechnelken stehen da zu Hauf,
Und schütteln ihre Federköpfe,
Und spreizen sich, die eitlen Tröpfe.
»Ei, liebes Kind, mußt mich ansehn,«
Die Eine spricht, »bin wunderschön!
Brichst mich in meinem Purpur-Prangen,
So bleibst an meinem Stengel fein
Unwiderstehlich daran hangen
Mit Deinen Kinderhändchen rein;
Wer mich nur einmal hat berührt,
Stets neue Lust nach mir verspürt.«
Doch – »Bim – bam!« klingelt da die Blaue,
Die Glockenblum', »Nur der nicht traue!
Denn Lüg' ist Alles, was sie spricht –
Kennst Du das alte Sprüchwort nicht?
Wer Pech anfaßt, besudelt sich!
Und das ist richtig, sicherlich!
Hör', rote Nelke, das ist schlimm!
Das Glöcklein läutet stets: Bim – bim!
Und öffnest Du den Lügenmund,
So klingelt es ganz kunterbunt:
»Bimbam, bimbam, bimbam, bimbum!
Du Federnelke, bist Du dumm!«
Und lachend steht Klein Hildegard
Und droht dem blauen Glöcklein: »Wart',
Du lieber Schelm, jetzt pflück' ich Dich,
Dann läutest Du »Bimbim!« für mich,
Und läutest artig mich nach Haus;
Doch jetzt ruh' ich mich erst 'mal aus.«
Es winkt der gelbe Ginsterbusch,
Und wie das graue Häslein – husch! –
Schlüpft unser Kind geschwind hinein
Ins goldne Blütenbettelein,
Und dehnet wohlig sich zur Ruh',
Und schließt die müden Aeuglein zu.
Die Blumen hält im Arm sie fest,
Denn wenn man die gewähren läßt,
So fangen sie zu leben an
Und wandern fort durch Wald und Tann.
Es ist just um die Mittagsstunde.
Wo Waldesgeister ziehn die Runde.
Kennst nicht das Waldesweben Du?
Wenn rings im Wald ist tiefe Ruh',
Und doch ein seltsamliches Weben
Ein raunend, flüsternd Zauberleben?
Die Bäume stehen still und stumm,
Kein Blättlein reget sich ringsum.
Im Schatten schläft das Vöglein lieb,
Reckt sich einmal, sagt leise: »Piep!«
Und plustert seine Federlein
Und schläft dann sänftlich wieder ein.
Doch die Frau Sonne, die ist wach
Und luget durch das Blätterdach.
Es tanzt auf ihrem Flimmerstrahl
Der blanken Sonnengeister Zahl.
Im hohen Grase zirpt die Grille –
Nun zirpt es Antwort – dann wird's stille.
Der Falter taumelt über Blüten,
Das sind die Schäflein, die muß er hüten;
Doch in dem heißen Sonnenschein
Da schläfert's ihn mitunter ein;
Und ist er wieder aufgewacht,
Dann hat sie sich davon gemacht,
Die Blüten-Herde, und fliegt wie er,
Im hellen Sonnenglanz umher.
Dann hebet an ein Singen, Klingen,
Von Märchen, wunderlichen Dingen;
Das Bächlein gluckst sein schelmisch Lied,
Und Moos und Steinchen singen mit.
Vergißmeinnicht am Rande träumt:
»Hat's Wiederkommen er versäumt?
Ich rief so oft: Vergißmeinnicht!
In weiter Ferne – hört er's nicht?«
Der Ginster winket zu ihr her:
»Klein Blümchen, was verlangst Du mehr?
Kannst, kleine Blaue, Du's verstehn?
Die Lieb' soll nie von Liebe gehn –
Sonst geht die Treue hinterdrein.
Ich sing' ein Lied Dir – lausche fein:
 
Ueber die Heide weht der Wind,
Da sitzt das blasse Königskind,
 Singt: Leide, leide, leide –
 
Bei Sonnenlicht und Sternenschein
Da suche ich den Buhlen mein –
 Wo weilt er auch am Wege?
 
Ach, wollt', er wäre noch bei mir,
Ich wollt' ihn küssen und herzen schier
 Auf stiller, stiller Heide.
 
Ach, wollt', ich läg' in seinem Arm,
Ich wollt' vergessen allen Harm,
 Wollt' lachen nur und kosen.
 
Ueber die Heide weht der Wind,
Da sitzt das blasse Königskind,
 Singt: Leide, leide, leide.
 
Und wartet noch gar manches Jahr –
Und kämmet ihr langes, goldnes Haar,
 Das wehet in dem Winde.
 
Und als der Bub dann kommen ist,
Der sie so oftmals hat geküßt,
 Da sucht er auf der Heide.
 
War da ein feiner Ginsterstrauch,
Des gelbe Blumen strahlten auch
 Wie lauter lichtes Golde.
 
Da hat er so viel weinen 'müßt,
Und hat die Ginsterblumen 'küßt – –
 Dann ist er fortgezogen.«
 
Und als verklungen ist die Weise,
Da reget sich Klein Hilde leise:
In ihrem Arm die Blümelein,
Die fangen an zu reden fein.
Das Löwenzähnchen schilt: »O Ginster,
Wie sind doch Deine Träume finster!«
»Noblesse oblige!« ruft Rittersporn,
»Auch in der Lieb' – bei meinem Zorn!«
Und trotzig mit gar mut'gem Sinn
Grüßt er zur Wickenblüte hin;
Verschämt senkt die das Köpfchen tief,
Ein lieblich Rot sie überlief. –
Da lacht es plötzlich neben ihr:
»Ich halt' die Liebe weg von mir!
Ich wehre mich vor jedermann –
Und fühlt, wie ich doch brennen kann!«
Da jubeln alle auf und sagen:
»Hört – Brennessel will auch was wagen!
Geh', Unkraut, pfeife uns ein Lied,
Im Chorus singen wir dann mit.«
Und neckisch stimmt die Grüne dann
Das Nessellied, und hebet an:
 
»Ich wollt' einmal spazieren gehn,
Am Rain, wo bunte Blumen stehn.«
 
Und jauchzend fällt der Chorus ein:
»Nessel, Nesselbusch am Rain!«
 
»Da schaut ein weißes Blümlein 'raus,
Und ach – so schämig sah es aus.«
 
Und jauchzend fällt der Chorus ein:
»Nessel sieht so schämig drein!«
 
»Und als ich bückte mich danach, –
Gar plötzlich mir's den Finger stach.«
 
Und jauchzend fällt der Chorus ein:
»Nessel, Nessel, wehr' Dich fein!«
 
»Ei, böse Blume, halt' doch still
Wie die andern, wenn ich Dich brechen will!«
 
Und jauchzend fällt der Chorus ein:
»Nessel, – hörst – sollst stille sein!«
 
Da lacht die grüne Blum' und spricht:
»Ja Brennesselblüten, die pflückt man nicht!«
 
Und jauchzend fällt der Chorus ein:
»Brennt die Nessel – laß sie sein!«
 
Nun reichen alle sich die Hände,
Und singen's Tanzlied: »Wende, wende
Dich her zu mir, und auf und ab.
Zieh' die Kreise, zart und leise,
Sing' die alte Wunderweise,
Wie die Blumenfee sie gab.
In den Blüten schläft das Kind –
Küsse, küsse es geschwind,
Daß es eins der unsern werde;
Daß es blumenduftig schwebe,
Daß es waldesselig lebe
Auf der hellen, grünen Erde.«
Da ist klein Hilde aufgewacht,
Und hat die Aeuglein aufgemacht:
Und all die Sonnenpracht umher!
Und all das Duften, süß und schwer!
Und sieh' – die Blumen neigen sich,
Umkreisen sie gar seltsamlich –
Sie trägt ein rosenfarben Kleid,
Das strahlet hell von Taugeschmeid'.
Und Rosen trägt sie in dem Haar,
Und Rosen in den Händen gar.
Die Blumen knieen vor ihr hin:
Heil unsrer Rosenkönigin!
Und eh' sie weiß, wie ihr geschah,
So ruhet sie auf Rosen da;
Und allgewärtig ihren Winken
Die Blumen stehn zur Rechten und Linken,
Und Hilde grüßt nach allen Seiten
Huldvoll, wie sie vorüberschreiten.
Aus Blumen trinkt sie den Blütenwein
Und nascht den goldnen Honigseim.
Die Sonne wirkt ihr die goldne Kron'
Und die glänzenden Flitter für den Königsthron.
Die Schmetterlinge tanzen vor ihr,
Die Grillen spielen auf dafür.
So ruhet sie an Baches Rand
Als Königin übers ganze Land.
 
Da – horch! was rauscht es ihr zu Füßen?
Und welch ein Nicken, Winken, Grüßen
Von Blum' und Moos am Ufer dort?
Das Wasser schwillet fort und fort –
Und aus den grauen Nebelwogen,
Da kommt es zu ihr hergezogen
So wunderselig. Aus dem Fluß
Erhebet sich mit süßem Gruß
Der Nix in silbernem Gewand
Und hält die Harfe in der Hand
Die gibt gar traurig hellen Ton –
Ob's Glück mit Thränen gemischt sei schon.
Er breitet die Arme aus nach ihr:
»O Rosenkönigin, komm' zu mir!
Ich will in meinem Arm Dich hegen,
Ich will Dich schaukeln auf der Flut;
Die zarten Glieder sollst Du legen
Auf Wasserrosen, – da ruht sich's gut.
Mit meinen Fischlein sollst Du spielen,
Ein neckisch Haschen, her und hin –
Die kleinen, weißen Füßchen kühlen
In klaren Silberwellen drin.
Es ist so einsam in der Tiefe,
Im Wasserhaus so kalt für mich –.
Und kämst Du wohl, wenn ich Dich riefe?
O Königin, ich hole Dich!«
 
Da wird Klein Hilde das Herz so weh –
Es ruft in ihr: O geh', o geh'!
Wie wird es ihr so seltsam kalt?
Was zieht es sie mit solcher Gewalt?
Wie schwillt das Wasser immer mehr –
Da kommt der Nix gar zu ihr her,
Und faßt sie mit feuchten Armen an –
Klein Hilde sich kaum noch regen kann.
Vor Angst, vor Glück? – Sie weiß es nicht,
Es küßt der Nix ihr blasses Gesicht;
Er wieget sie in seinem Arm,
Es wird ihm – ach – so wohlig warm;
Er will sich rauben das junge Blut
In tiefe, rauschende Silberflut.
Klein Hilde schaudert – an seine Brust
Zieht er sie eng mit sehnender Lust –
Schon netzt das Wasser ihr Gewand,
Er zieht sie hin mit zwingender Hand –
Nun sinkt Klein Hilde sacht hinab
In des Nixen stilles Wassergrab. –
Und horch! wie's um sie rauscht und singt!
Wie's brausend durch die Lüfte klingt!
Klein Hilde, wache auf geschwind,
Sonst weht der wilde Brausewind
Dich wirklich in das Bächlein dort –
Zum Schlafen einen bösen Ort
Hast Du Dir eben ausersehn.
Und dann mußt Du nach Hause gehn:
Die Schule ist schon lange aus,
Und alle Kinder schon zu Haus.
Da hat Klein Hilde sich erhoben
Und schaut verwundert hin nach oben,
Wo Wolken ziehen kreuz und quer,
Gar über die liebe Sonne her.
Wie war doch alles das geschehn?
Hat sie den Nixen nicht gesehn?
Ist nicht am Saum ihr Röckchen naß?
Das ist doch nicht vom feuchten Gras?
Wo ist ihr Rosenkleidchen hin?
War sie denn nicht die Königin?
Die Bäume neigen sich um sie her,
Das kommt vom Wind, der wehet sehr,
Der pfeifet ängstlich durch den Tann;
Klein Hilde hält den Atem an –
Es wird ihr plötzlich so beklommen
Da hat sie hurtig aufgenommen
Die Blumen alle nebendran,
Und springt davon so schnell sie kann.
Jetzt ist sie auf der kleinen Brücke,
Da rauscht es unter ihr voll Tücke:
»Da, Wassermann,« ruft sie geschwind,
»Da, nimm das bunte Blumenkind!«
Und wirft ein schönes Blümelein
In Wassermannes Haus hinein.
Mit weißer Hand greift der es an,
Und strudelnd sinkt's zur Tiefe dann.
 
Und als Klein Hilde kam nach Haus
Und hat gesagt, was sie gesehn,
Und hat erzählt, was ihr geschehn –
Da lachen sie Klein Hilde aus.
Und scheltend streng die Mutter spricht:
»Im Walde spielen sollst Du nicht!«
Und Hilde setzt ins Eckchen sich
Und weinet, weinet bitterlich.
 
Klein Hilde, werde wieder froh;
Uns Großen geht es ebenso:
Wenn wir im Walde etwas sehen,
Was all die andern nicht verstehen,
So lachen sie uns auch nur aus
In diesem weisen Weltenhaus.
Und Mutter Ordnung ernsthaft spricht:
»Der Phantasie bedarf man nicht!
Die Poesie – die braucht man nicht!
Mehr sehn, wie andre, soll man nicht! –«

Das Märchen, das verloren gegangen war.

Das war, als ich einmal spazieren ging und tiefsinnige Gedanken hatte – worüber? – Sie waren zu tief, um das ergründen zu können. Vielleicht war's, ob die Welt da um mich her mit ihren langen Straßen und engen Häusern eine wirkliche Welt sei oder ob ich sie mir bloß einbilde, und ob die Menschen, die mir begegnen, wirklich so blödgesichtig dreinschauen, oder ob ich bloß Schwingungen in meinem Gehirn und Augen habe, die mir das alles so erscheinen lassen – ja, vielleicht war's das, worüber ich nachdachte. Und neben mir her trippelte ein feines Etwas mit großen Augen, und das kicherte und plapperte mit einem leisen murmelnden Stimmchen wie ein kleiner Bach; und weil mich das in meinem tiefsinnigen Denken störte, sagte ich:

»Ei, so sei doch ruhig und stör' mich nicht!«

Da schwieg das feine Etwas erschrocken still. Aber als das liebliche Gemurmel nicht mehr neben mir einherging, konnte ich erst recht nicht denken, und als ich mich ungeduldig umwandte, da hatte ich das Märchen verloren. Nun war mir's ganz ungemütlich zu Mut. Ich ging gleich wieder zurück, blickte rechts und links, hinter jeden Baum, und unter die trockenen Blätter, die darunter lagen, aber nirgends leuchteten die Zauberaugen meines Märchens.

Da fragte ich die Uhr, die vor mir hoch oben in einem langen, spitzen Kirchturm saß:

»Du wohnst so hoch und hast einen weiten Ausblick – hast du mein Märchen nicht gesehen?«

Aber die Uhr sagte nur: Tick-tack-tick-tack! Und als sie schnarrend zu einer Antwort einsetzte, da sagte sie mit rasselnder Stimme eine ganze Menge Zahlen her – als ob Zahlen etwas mit einem Märchen zu thun hätten! Nun fragte ich die Leute auf der Straße:

»Ihr seid so klein, und guckt immer auf die Erde – habt Ihr mein Märchen nicht gesehen?«

Aber die antworteten: »Eine solche Person kennen wir nicht. Und wenn sie Dir gehört und weggelaufen ist, so zeige es doch bei der Polizei an« – – als ob eine blauröckige Polizei mit einem Knüppel ein Märchen einfangen könnte!

Nun fragte ich die Bäume im Park, an dem ich vorüberging. Aber die standen ganz still und regten sich nicht und ließen nur zwei, drei gelbe Blätter vor mir niedersinken. Da merkte ich, daß es Stadtbäume waren und zu gebildet zum Antworten auf eine Märchenfrage, und weil ich nun durchaus mein Märchen, das ich so leichtsinnig verloren hatte, wieder haben mußte, so ging ich auf Reisen, ihm nach.

Ich kam an ein großes Wasser, das lag friedlich da, wie eine grünsammetene Wiese, auf der kleine Grabhügel sich wölben, über und über bedeckt von weißen Maßliebchen. Mir war es, als ob mein Märchen sein goldenes Haupt lächelnd aus diesen Grabhügeln strecke, und als ob es kichere: »Nicht in Gräbern findest Du mich – ich bin das Leben!« – Aber da kam ein zarter, grauer Nebel und deckte die grüne Sammetwiese und die Maßliebchenhügel zu, und nur ganz in der Ferne sah ich es aufblitzen wie weiße Mövenflügel.

Ich kam an eine Insel, darüber flutete ein warmes Abendrot, und ein Rauschen, ein bedeutsames Raunen zog durch die Wipfel der hohen, stillen Bäume, als spräche mein Märchen zu mir aus tausend Zungen. Bunte Blumen standen auf der Insel, die sie die »Schöne« nannten, und sahen mit stillen Augen zu den Sternen auf, die ganz zart und licht am Abendhimmel aufleuchteten, wie die ersten Liebesgedanken in einer weichen Mädchenseele. Leise glucksten kleine lustige Wellchen gegen das Ufer, als lachten sie über die Wassernixen, die mit ihren weißen Entenfüßchen das Ufer heranklimmen wollten und immer wieder ins laue Wasser plumpsten. Wie nah', wie nah' war mir mein Märchen! Ich fühlte es mich umwehn – aber als ich danach haschte, sah es mich mit tiefen Augen spottend an, und ich griff in die Luft.

Danach sah ich mein Märchen wieder in einem Krankenzimmer; da saß es tief verborgen in dem großen weißen Kelch einer Lilie. Aus deren sammetigen, weißen Blütenblättern lagen rote Tropfen, als habe das Märchen blutige Thränen geweint, und es sah mit himmlisch klaren Augen in die Weite. Wie ein Hauch flog es durch das Gemach: »Hier kannst Du mich nicht halten, da würde ich vergehen vor Traurigkeit« – – und husch! wie ein Flügelschlag – da war's aus dem Fenster, und die Menschen um mich sahen sich fragend an: Was war das?

Eines Morgens, ganz, ganz früh, als die Nacht auf ihrem Lager flehend die Arme hob, den leuchtenden, ihr entfliehenden Tag zu halten, da erwachte ich und sah etwas Weißes, Flüchtiges von meiner Seite davonschweben. Und es umgab mich ein leises Klingen, und Worte tönten – war's in mir? war's um mich? – Horch:

Die Nacht, als ich geschlafen hab',
Da lag das Glück bei mir;
Im Morgenschimmer sah ich nur
Entfliehn die weiße Zier.
 
Es lächelt, nickt und winkt mir zu:
»Du hast es nicht gewußt,
Daß schlummernd ich mein Köpfchen hab'
Gelegt auf Deine Brust;
 
Wärst Du erwacht, hätt'st mich gefaßt,
So wär's um mich geschehn –
Nur leis, nur heimlich darf das Glück
An Deiner Seite gehn.«

Nun hatten es viele gute Menschen gehört, daß ich mein Märchen nicht wieder finden könnte, und weil sie ein verloren gegangenes Märchen für etwas sehr Trauriges hielten – ganz anders als die in der Philisterstadt, die gar nicht recht wußten, was ein Märchen war – da wollten sie mir alle suchen helfen. Aber sie thaten es mit so viel Bewußtsein und Ueberlegung, daß das Märchen sich immer tiefer versteckte; und selbst der rauschige Weinduft, der ausgesandt wurde, nach ihm zu forschen, kehrte statt mit meinem lieblich plappernden Märchenkinde mit einem wolligen, miauenden Kätzchen zurück, das gar scharfe Krallen zeigte.

Da ging ich in die Einsamkeit. Ich kam an wildes, weites Wasser, das rauscht und brodelt und donnert, als wolle es eine Welt vernichten – oder emporheben. Und eine Brücke führt über die weiße Gischt, die ging ich hinüber. Da war ich auf einer Insel mit hohen, wiegenden Bäumen; die hielten Felsblöcke mit ihren Wurzeln umklammert wie mit riesigen Greifenklauen. Und da war noch eine Insel, und noch eine, und noch eine. Zwischen ihnen drängte sich überall das weiße Wasser hindurch; es war so klar, daß man die kleinen Mooswälder auf dem Gestein unter ihm sehen konnte, und die Höhlen, dunkelblau und tiefgolden, in denen die Wasserkobolde wohnen. Wie ich nun an der äußersten Spitze der letzten kleinen Insel angekommen bin und hinsehe über das weite, schäumende Wasser, da sitzt dicht vor mir, nahe am brausenden Wasserabsturz, mein Märchen auf einem Felsblock. Es hat seine nackten Beinchen hoch heraufgezogen, damit sie nicht naß werden, und umschlingt die Kniee mit den weißen Armen; das Haar rollt silberglänzend um die kleine Gestalt, wie der sonnendurchleuchtete Kamm einer Woge, und die meergrünen Zauberaugen sehen zwingend zu mir hinüber. So sitzen wir beide und lächeln uns an, so froh, daß wir uns wieder haben, und dann erzählt das Märchen:

Weit droben im großen See tief auf dem Grund, da steht das Schloß des alten Wasserkönigs. Von grünem, strahlendem Krystall ist es erbaut, und die Wände sind so klar, daß der Wasserkönig mit seinen seegrünen Augen hindurchschauen kann und alles sieht, was in seinem Reiche vorgeht. Wenn die Fische rebellieren wollen, dann weiß er es schon, noch ehe sie den revolutionären Gedanken gefaßt haben, und der Kopf wird ihnen abgebissen, ehe sie wissen, wo er ihnen eigentlich sitzt. Ja, der König führt ein strenges Regiment, sogar unter den weiblichen Unterthanen, und manch hübschem Nixlein bebt das goldschillernde Schwänzchen, wenn der König musternd die Reihen durchschreitet; denn manch Nixlein hat ein böses Gewissen, und – ach, die königlichen Zwillingssöhne sind gar so herzliebe Gesellen.

Da berief der König eines Tages seinen Hofstaat um sich. Er saß auf einem Thron von goldglänzendem Kiesel, auf dem weißen Haupte trug er die Seekrone von Smaragden, und in den langen silbernen Bartwellen funkelten die Schaumperlen. Ringsum harrte das Gesinde in ehrfürchtigem Schweigen, kaum, daß die beweglichen Schwänzchen hin und her zuckten. Vor ihm aber standen die Zwillinge und warteten des königlichen Vaters Befehle. Schöne, schlanke Burschen sind's, mit festen Gliedern und kühnen Augen. Die des einen mit der gedankenvollen Stirn hingen an den Lippen des Vaters; die des andern, Rastlosen, Trotzigen, flogen lächelnd und kosend über die Schar der Nixlein, durch deren Reihen eine plötzliche schillernde Bewegung ging. Der Wasserkönig aber sprach:

»Prinzen, Ihr habt gelernt, wie man im Wasser lebt, herrscht und richtet. Es ist Zeit, daß Ihr Euch die Wasserfläche draußen anseht. Bahnt Euch eine Straße, zerschmettert, was Euch im Wege ist, und erobert Euch Euer Reich. Ziehet hin in Frieden und beherrschet künftig Eure Unterthanen mit Zucht und Strenge.«

Unwillkürlich ruckten die Fische mit ihren Köpfen bei dieser Rede, ob sie auch noch festsäßen, und die Nixen und Wassermänner zupften sich an den Flossen, ob sie die auch noch hätten. – Die schönen Zwillingsbrüder aber schwammen Hand in Hand in die Welt hinaus. Zuerst waren sie sehr übermütig, schlugen Purzelbäume, daß die Wellen in die Höhe klatschten, und neckten die Fische, die pfeilschnell an ihnen vorüberflohen. Dann wurden sie stiller und träumerisch, wiegten sich Hand in Hand an der spiegelglatten Oberfläche des Wassers und sprachen von den Heldenthaten, die sie verrichten wollten. Der mit der hohen Stirn und den schwärmerischen Augen lispelte von der hohen, der herrlichen Welt, die er sich erträume und die er besitzen müsse, koste es, was es wolle. Der Trotzige aber lachte dazu: »Leben will ich – und lieben und genießen!« rief er und schüttelte übermütig eine ganze Welle voll Flußsand über des Bruders schönem Haupte aus, daß der prustete und sich schüttelte wie ein nasses Menschenkind. – Nun kamen sie an einen hohen, grünen Wald, der lag mitten in ihrem Weg und machte auch keine Miene, ihnen auszuweichen.

»Zerschmettert, was im Wege steht!« wiederholte der mit der hohen Stirn. »Komm, laß uns die Bäume niederreißen, und die Felsen zerbröckeln.«

»Pah,« lachte der Wilde, »wozu die Arbeit, die eine Ewigkeit dauert? – Weiter, weiter will ich, ins Leben hinein! – Hör', laß uns den Bäumen aus dem Wege gehen, Du dort herum, und ich hier, und dann wollen wir sehen, wer zuerst ankommt, zuerst sein Ziel erreicht – Du oder ich!«

Das reizte den Zwillingsbruder; wußte er doch, daß er natürlich der Erste sein würde. Ein flüchtiges Lebewohl nur, und er brauste dahin, ungestüm, hier ein Stück Fels wegreißend, dort einen Baumstamm mit sich zerrend. Er sah nicht die Welt um ihn; er sah nur in die Ferne, wo seine Welt liegen mußte, die er erträumt, die er besitzen, beherrschen wollte. Nur immer weiter, weiter, dahin, wo der zarte Dunst aufsteigt, wo ein erster Sonnenstrahl glitzert wie auf Türmen – die seines neuen Reiches – und in wilden Sprüngen, brausend und jauchzend, setzt er der Traumwelt nach, bis er schwankt und schwankt und ihm schwindelt, und er den Boden unter den Füßen verliert, und er in den Abgrund stürzt, in den Abgrund von erträumter Leidenschaft. Es war ein jäher Sturz. In ihm zerschellen alle seine Träume, alle seine erhabenen Gedanken. Voll Grausen blickt er hinauf zu der schwindelnden Höhe, auf der er einst geweilt hatte: so groß und erhaben hatte er sich das Leben gedacht, nichts hatte er haben wollen, keine Freude, keine Liebe, nur Größe und immer mehr Größe. Nun trieb er dahin in einem breiten, gemächlichen Strombett, immer mehr wiegend, erschlaffend, duselnd – und nur wie weißer, kreisender Schaum trieb die Erinnerung auf seinen langsam sich wälzenden Fluten. Einmal schaute er sich um nach seinem Bruder: eine brausende, dampfende Gischt in der Ferne verhüllte alles hinter ihm.

Der trotzige, lächelnde, genußsüchtige Zwillingsbruder aber war gar gemütlich seines Weges gezogen, hatte die Bäume auf der schwimmenden Insel neckisch an den Zweigen gezupft, wie die unnützen Buben die schmollenden Schulmädchen an den Zöpfen, hatte seine neugierigen, geschwätzigen Fluten durch jeden kleinen Felsengang geschickt, bis er mitten durch die Insel hindurchlugen konnte, und da sah er etwas sehr Liebliches. Nicht eine Insel war es nämlich, sondern neben der großen, die das Königreich einer vornehmen alten Waldnymphe war, wie die Wasserboten berichteten, lagen noch drei kleinere, und jede von ihnen hatte ein Töchterlein der Waldkönigin zur Herrin, und sie lebten da in eitel Freude und Lustbarkeit. Keinen Gebieter wollten sie über sich erkennen und frei wie die Luft leben, so lange die Welt steht. Da kam jetzt der schöne Flußheld geschwommen, ganz nahe an die Insel der ersten Schwester heran, siehe, da steht ein wunderschön Jungfräulein, mit Guirlanden von Blumen umwunden und ein fröhlich Liedchen summend. Und horch! wie die Antwort zu ihr aufsteigt aus den weißen Wassern, die plötzlich aus dem Dunkel der Felsen hervorbrechen und sie erschrecken, daß sie schreiend davonläuft. Er aber schwimmt ihr nach, rund um die Insel, siehe – da sitzt auf einem Felsblock der zweiten kleinen Insel ein noch viel schöneres Jungfräulein, die schüttelt ihr lockiges Haar, als sie die weißen, starken Arme des Flußhelden sieht, die er nach ihr ausstreckt. Und sie lacht höhnisch und nimmt spitzes Gestein und wirft es nach ihm, daß ihn die scharfen Kanten ritzen. Da wird er zornig und will aufwallen – doch ach, drüben auf der letzten, kleinsten Insel, da sitzt am Ufer, mit den Füßen die neuen Wellen patschend, das dritte Prinzeßchen; und sie hat langes, güldenes Haar, und die meerblauen Augen sehen neugierig zu ihm hinüber, und die schönen Glieder wiegen sich mit den Wellen. Da schwimmt er ganz nahe zu ihr, legt seine große Männerhand um ihr weißes, weiches Füßchen, und sie lächelt nur – da zieht er sie hinab in seine schaukelnde, weite Wasserwiege. Wie eine Wehklage braust es durch die Waldwipfel; aber sein Jubelruf übertönt die Klage, und weit enteilt er, seine Beute bergend vor Fels und Abgründen. Regungslos liegt die Schlanke, Weiße in seinen Armen. Sie kann ja nicht sprechen im Wasser, nur die meerblauen Augen sehen ihn an, und tief drin liegt eine stille Klage: Warum hast du mich in ein fremdes Element gezogen? Warum dich zum Herrn gemacht über ein freies Geschöpf?

Nun wußte er eine Grotte, darin sollte die stille, weiße Geliebte wohnen. Tiefgrün war es darin von lauter Smaragden, und das Edelgestein leuchtete und funkelte wie von tausend Lampen. Der trotzige Held aber webt und webt, und webt mit seinen Wasserfäden den schönsten Brautschleier von kostbaren Spitzen, und er hängt das duftige zarte Gewebe, so hoch, so fein, rund im Halbkreis vor das smaragdene Wasserschloß, daß niemand seine Heimlichkeit störe, keiner seine weiße Braut, zu deren Füßen er ruht, ihm rauben könne. Sie aber spielt in seinen langen Haaren, küßt seinen roten Mund, legt ihr Köpfchen an seine breite Brust – aber immer wieder fragt sie: Wo ist die Sonne? die goldene Sonne?

Und eines Tages, als er fern ist, da wird die Sehnsucht nach dem Licht so mächtig in ihr, daß sie der Wasserkobolde und neckischen Nixen vergißt, die draußen ihr Wesen treiben und die Spitzenschleier immer wieder erneuern und verdichten. Ganz nahe tritt sie heran an die zauberischen Vorhänge – wie hell, wie licht es da ist; sie rückt ein wenig daran, sie lüpft ein zartes Eckchen. – Siehe, da über den wogenden Wasserdünsten steht die Sonne, ihre Sonne in strahlender Pracht – und die Arme sehnsüchtig ihr entgegenbreitend, sinkt das Waldkind, eingehüllt in die Brautschleier, zur tosenden, unbarmherzigen Tiefe nieder. Wie ein leuchtender Strahl fliegt es an dem Trotzigen vorbei, der seine starken Glieder im wildesten Flutengetos kühlt, und da vor ihm, da im Strudel treibt der weiße, weiche Leib seiner stillen Waldlilie. – Es überkommt ihn ein großer Zorn. Brüllend vor Schmerz und Wut, daß es wie Donner grollt, wirft er die Wasser gen Himmel, damit ihr Schaum, ihr wilder Gischt die Sonne, die verhaßte, verdecke. So steht er im Strudel und rast und trotzt gen Himmel. Er sendet seine Fluten auf zu der Insel, wo seine Waldlilie wuchs; sie zerren und wühlen an dem Gestein, ein Stück nach dem andern sinkt in die Tiefe und ein höhnender Schrei gellt von Welle zu Welle, wenn ein Baum mit hinabgerissen wird und hülflos in den Fluten treibt. Oben in den Wipfeln der Bäume aber rauscht eine wehmütige Klage um die Waldlilie, die an der Sonnensehnsucht verging.

Doch die wundersamen Spitzenschleier, die das Brautgemach bargen, wallen immer noch nieder vor dem smaragdenen Schloß und verhüllen in zarter Weiße seine erbarmungslose Leere. Die goldene Sonne aber taucht ihre Strahlen tief in das Wassergebrodel, läßt sie niedergleiten an den Schleiern, als suche sie die, die aus Sehnsucht nach dem Lichte gestorben ist; und die Strahlen bauen von Tag zu Tag eine wunderleuchtende Brücke hinauf, hinauf zur Sonne.

Da endete das Märchen und es breitete seine Arme aus nach den fallenden Wassern. Ein leises, wehmütiges Klingen zog herüber von den Inseln der drei Schwestern.

Das Märchen erhob sich, flog mit breiten, weißen Mövenflügeln hin über die Fluten, die wild aufschäumten und es haschen wollten. Aber sie netzten nur seine Füße. Und mit leisem Gekicher kreiste es über meinem Haupte – mein verlorenes und wiedergefundenes Märchen – an den fallenden Wassern des Niagara.

In der Gosse.

»Hei! Der hat's eilig!« sagten die trockenen Blätter, als der Wind sie packte und die glatte Straße hinunterwirbelte, daß sie den Atem anhielten.

»Nein, ich will nicht!« raschelte das eine ganz große Blatt, das, trotz seiner verkrümpelten Gestalt, noch einen grünlichen Schimmer auf sich hatte und sogar noch einen ordentlichen Stiel besaß. Und es hob sich erst von der einen Seite, und dann von der andern – wie ein ungeschickter Bauernbursche, der zum Tanze antritt; aber es half ihm nichts: der Wind blies die Backen auf, und heidi! da sauste es davon, so viel es auch versuchte, an allen Steinchen und Schmutzhaufen hängen zu bleiben. Wütend sprang es schließlich noch toller wie die andern und legte sich oben auf die kleinen Blätter, um sie festzuhalten. – Da plötzlich – an der Straßenecke stieß der Westwind laut jubelnd den Nordwind an – so spielten sie immer, die beiden wilden Gesellen, und wollten sich dann schier totlachen, wenn sie alles Lebendige mit in ihren tollen Reigen hineinzerrten. – Und nun wirbelten sie zusammen die trockenen Blätter in die Höhe, daß sie den Bäumen entgegenflogen, die sehnsüchtig die leeren, nackten Arme nach ihnen ausstreckten. Aber da lagen sie schon wieder auf der Erde, küselten verwirrt umeinander und schleiften, schlürften, raschelten über die glatten Steine hinab in die Gosse.

Da lagen sie nun und dachten nach. Und dachten, wie sie – es war schon lange, lange her – die braunen Köpfchen einst vorsichtig aus der Baumrinde hervorgestreckt hatten, und in die Welt hinein geguckt, wie sie dann groß und grün und schön geworden waren, wie die Spatzen in ihnen gehuscht, wie der Mond zwischen ihnen hindurchgelugt, und wie die Menschenkinder in ihrem Schatten sich geküßt hatten. Dann war der Herbstwind gekommen und hatte sie selber geküßt, und sie waren gestorben an seinen eisigen Küssen – hatten sich erst so herrlich geschmückt für ihn, die armen Dinger, rot und gelb und violett und braun, und dann fielen sie ohnmächtig aus seiner wilden Umarmung zur Erde nieder, wurden hin und her gejagt von den Winden, und nun? Nun liegen sie in der Gosse und denken nach.

Hei! Wie der Wind bläst! Die Kleider der schönen Frauen, welche die Straße entlang gehen, schlägt er zur Seite, daß die schlanken Füße sichtbar werden. Und die Blätter in der Gosse flüstern einander zu: »Jetzt werden sie auch anfangen zu tanzen und rascheln und schleifen die glatte Straße hinab in die Gosse!«

Aber nein, die kleinen Füße schreiten fest und sicher weiter, der Wind kann ihnen nichts anhaben – aber der andere, der im Herzen weht, durch das Leben stürmt, ob der die schlanken Frauenfüße wohl nicht vom glatten Weg hinabwirbelt – in die Gosse?

Davon freilich wußten die trockenen Blätter nichts: sie lagen in der Gosse und dachten nach; und der Wind strich jauchzend über sie hin. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, die ganze Gesellschaft aus dem Rinnstein hinauszuwirbeln, über alle Welt zu jagen. Doch er that es nicht; lauernd hing er über ihnen und sang sein Lied:

»Jetzt schirre ich meine Wolkenrosse und stürme dahin und brause über die Stadt und über das Land in den Wald. Eure Schwestern will ich besuchen, die glührot an den Bäumen hängen. Und ich hause in den Zweigen, und ich brause über die Wipfel, und ich schüttle die bunte Pracht. – Seht Ihr den bunten Blätterregen?

Und seht Ihr die Trauerweiden, wie sie den Waldteich bewachen, düster, schwermut-geheimnisvoll? Ich peitsche ihre niederhängenden Haare, daß sie wie graue Schlangen zischeln und züngeln. Ich wühle die schwarzen Fluten des Waldteichs auf, daß die Wellen schäumen und sich kräuseln und mit nassen, starken Armen die Wasserrosen hinabziehen in das dunkle, dunkle Grab. –

Nur die Königin – sieh', da ruht sie auf schwarzgrünen Blättern, und sehnsüchtig leuchtet ihr weißes Blumengesicht mir entgegen. Ich fliege zu ihr, und ich reiße sie an mich in wilder Lust, kosend schaukle ich sie hin und her, ich sauge wollüstig den Duft aus ihrem weißen Kelche, ich küsse sie mit zärtlich stürmischen Küssen – sie stirbt an diesen Küssen – und ich trage ihre Blumenblätter hin über den schwarzen Waldesteich, hin über die Welt – – Ist es süß, zu sterben an den Küssen des Gewaltigen? – –

Heiho! – Ihr Wolkenrosse – graue, schwarze! senkt Euch tiefer, daß ich Euch besteige, daß ich Euch zügle hin über die Erde – der ich Vernichtung bringe – –«

Raschelnd flogen die trockenen Blätter ihm nach, aber nur eine Spanne hoch, dann fielen sie wieder herunter in den Rinnstein. Und da lagen sie wieder mit ihren Gedanken.

Es hatte sich eine sehr gemischte Gesellschaft in der Gosse zusammengefunden. Da waren Blätter von allen Größen und jedes sah ganz anders aus. Sie gehörten zwar alle entweder zu der großen Familie »Derer von Baum« oder zu der »Von dem Busche« – aber eine rechte Einigkeit konnte nicht erzielt werden, da sich die vom Baum viel vornehmer dünkten, als die von dem Busche, und daher wurde so viel von Stammbäumen, Wappenschildern und dem Gothaer geredet, den die Firma Frühling, Sommer u. Co. herausgab, daß die übrige Gesellschaft im Rinnstein, die nicht von so hoher Abkunft war, in tiefster Ergebenheit erstarb. Darin waren sie sich jedoch alle einig, daß sie nur durch unverschuldetes Unglück, durch widrige Winde und plötzliche Regengüsse so heruntergekommen waren, daß sie sich nun in der Gosse befanden.

Da stak mitten unter dem Blätterhaufen ein langer, schlanker Strohhalm, hineingeflogen wie ein Pfeil – die Blätter hatten ihn immer für etwas ganz Unbedeutendes gehalten – der that jetzt den Mund auf und begann zu erzählen: »Ich bin sehr vornehm,« sagte er, »ich bin ein Prinz. Ich bin Oberst gewesen in Ihrer Majestät der Frau Königin Erde Weizenfeld, Allerfeinste-Mehlsorte No. I. Ich trug eine gelbe Uniform und einen prächtigen Raupenhelm auf dem Kopfe. – Ihr hättet es sehen sollen, unser Regiment! Wie wir in Reih' und Glied standen – fest wie eine Mauer! Wie wir exercierten – hierhin, dorthin, auf und nieder, wenn unser Kommandant, Generalissimus Wind, seine brausende Stimme erschallen ließ. Hei! das war eine Freude, uns anzuschauen! – Und dann kam der Krieg, das war ein schneidiger Krieg! Erbarmungslos mähte der Feind, jenes uncivilisierte raubgierige Gesindel, das sie Menschen nennen, uns nieder, und wir fielen ebenso schön in Reih' und Glied, wie wir gestanden hatten. – Aber tot waren wir nicht – bewahre! (denn sonst könnte ich es Euch ja nicht erzählen). Wir gerieten nur in Gefangenschaft, und in bittere Gefangenschaft. Sie banden uns zusammen, wie die Indianer, und schleppten uns fort und steckten uns in die Folter, bis sie all den Reichtum, den wir in unserm Raupenhelm trugen, herausgequetscht hatten, und dann, ja dann sollten wir erniedrigt werden, den Pferden Dienste zu leisten, den Pferden unserer Feinde. Die wollten auf uns herumtrampeln, die wollten uns als Lager benutzen, die wollten – mit einem Wort – Mist sollten wir werden! – Ich, Prinz von Halm-Halm – auf Aehre – Oberst in Ihrer Majestät der Königin Erde Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I.

Da, als wir gefesselt, geknebelt, aufeinandergepackt, in dem Transport-Wagen lagen – da habe ich zum erstenmal in meinem Leben die Subordination vergessen – ich, dem die Subordination alles war, und bin ausgerissen.

Und die Folge davon? – Ich liege in der Gosse – –

Ja, Subordination muß sein!« sagte der Strohhalm, grub sich mit seiner leeren Kornähre, seiner Raupe, in den Gossenschlamm und philosophierte über die Gefahren der Unbotmäßigkeit. – »Siehst Du, Prinz Halm-Halm: Schmieg' Dich dem Schicksal an, so kriegst Du einen warmen Pferdestall – lehn' Dich dagegen auf und Du fällst in die Gosse – auf Aehre! – Burrrr – brumm!« schnarrte es neben ihm. Ein richtiger, bunter Brummkreisel war es, der auf irgend eine Weise in die Gosse geraten, unter die Blätter, und von den Kindern vergessen worden war.

»Subordination. – Ich brumme was auf die Subordination! Wer wie ich zeitlebens von allen unnützen Buben auf den Straßen herumgepeitscht worden ist – zuweilen waren ein halbes Dutzend hinter mir, und dann mußte ich tanzen und brummen, bis mir der Atem ausging – der ist froh, wenn er auskratzen kann und sein Leben gemütlich in der Gosse beschließen darf.

Wie habe ich mich gesträubt und gewehrt, all' mein Leben lang! Ich habe den Bindfaden, der an mir saß, so fest um mich herumgewickelt, daß er beinahe mit keiner Macht der Erde wieder loszumachen war; ich habe mich mit meinem einzigen spitzen Bein in die Ritzen der Steine geklemmt, daß sie mich beinahe nicht wieder herauskriegen konnten; ich bin allen Jungen und Mädchen zwischen die Füße gefahren, daß sie stolperten, und habe dabei gebrummt, daß mir selber angst und bange wurde. Aber es half mir nichts. Ich mußte tanzen und schnurren und Kapriolen machen mit der bittersten Empörung in meinem Brummkreiselherzen. Sie hatten die Peitsche und folglich auch die Macht und ich mußte tanzen, bis ich eines schönen Tages in der Gosse lag – – – Brrrrr – brumm!« sagte der Kreisel, als der Wind über ihn hinfuhr und ihn zwang, sich um sich selbst zu drehen.

»Ja, mein lieber Herr Kreisel,« sprach da salbungsvoll ein weißes, bedrucktes Stück Papier, das die Schulkinder aus einem ihrer Bücher verloren hatten. Die Blätter wollten es nicht für voll anerkennen – es war zwar auch ein Blatt und auch trocken, aber es gehörte zu einer ganz andern Familie – sie waren gar nicht verwandt. Es hielt sich deshalb ein wenig abseits und sprach in gebildetem Tone:

»Sehen Sie, mein lieber Herr Kreisel,« sagte es, »das ist von alters her so gewesen – ich muß das wissen, denn ich bin aus einem Geschichtsbuche – die Starken hatten die Macht und, wie Sie so sehr richtig bemerkten, folglich auch die Peitsche, mit der sie sehr energisch umzugehen wußten, und die Schwachen – nun, die wurden gepeitscht. Da hilft kein Auflehnen gegen den Willen von oben und gegen die Peitsche der Straßenjungen; die Kreisel wie alle Armen und Schwachen müssen tanzen – so ist es immer gewesen, so ist es heute noch, und so wird es bleiben. Wir haben uns einmal daran gewöhnt, und wir Gebildeten sehen auch ein, daß es nicht anders sein kann und daß es so am besten ist.«

Da fuhr aber der Kreisel auf:

»Daran gewöhnt? Fällt uns gar nicht ein! Denken gar nicht daran! Und wenn wir uns einmal alle zusammenrotteten – die Bäume und die Büsche und die Strohhalme, und alles, was so herumliegt, und wir Kreisel und – und so weiter – und wir machten 'mal so eine kleine, lustige Revolu– –«

Hui! Da faßte ihn der Wind und schüttelte ihn, und da duckte er sich und sagte: »Brumm!« –

»Ach,« jammerte da ein feines, zärtliches Stimmchen, »was ist das alles gegen den Kummer, den ich erlebt habe?«

Das war ein Stückchen Papier, lachsfarben, gepreßt, mit Tinte beschrieben – man sah, es war etwas Feines. Der Wind hatte es eben erst in wilder Jagd die Straße hinuntergepustet, und atemlos war es mit einem Purzelbaum in der Gosse gelandet.

»Ich war rein und hellblank, und ich duftete stärker wie die Veilchen in der Vase, die vor dem Fenster stand; und ich lag auf einem zierlichen Schreibtisch und ein reizender, goldener Federhalter kritzelte über mich hin. – Ach, dieser Federhalter! Etwas Glänzenderes, Schlankeres, Zierlicheres habe ich nie gesehen. Und alle die süßen, zärtlichen Worte, die er mir ins Ohr flüsterte – war es ein Wunder, daß ich seinen Schwüren glaubte, daß ich ihn liebte mit all der Glut, deren mein papierenes Herz fähig war? – Ach, wie war das Leben schön!

Aber da kritzelte er mir eines Tages mit einem großen dicken Tintenstrich etwas ganz Unheimliches, Unverständliches zu, so daß ich erschrak, und dann ergriffen mich plötzlich kleine, weiße Fingerchen, und ich knickte vor Angst in der Mitte durch, und sie sperrten mich in einen dunklen Behälter, der wurde fest zugemacht, und eine glockenhelle Stimme trillerte dazu:

Such' ich mir 'nen andern Schatz –
   juhu – andern Schatz –

und dann reiste ich fort, weit fort, und mein schlanker, goldener Geliebter blieb zurück, und ich habe ihn nie wieder gesehen. Ach, ich war wie in einer Betäubung und kam erst wieder zur Besinnung, als mein Gefängnis sich öffnete und ich herausgeholt wurde – und da – da geschah etwas Schreckliches: ich hörte eine wuterstickte Stimme, die mich fürchterlich ausschalt, und große, rauhe Finger nahmen mich und rissen mich mitten durch, nicht nur einmal, nein, in lauter kleine Fetzen, und wir flatterten zur Erde nieder und der Wind kam und nahm uns mit sich fort. – Ach, und wenn nun mein Federhalter mich sucht, dann erkennt er in diesem kleinen, schmutzigen Flecken seine schöne lachsfarbene Geliebte nicht wieder. – – – Ach, was sind alle Leiden und Kümmernisse der Welt gegen die Schmerzen unglücklicher Liebe!«

Als das traurige Papierchen geendet hatte, entstand eine tiefe Stille in dem Rinnstein. Sie waren alle gerührt und kämpften mit den Thränen –

»Denn eigenes Unglück und eigener Kummer machen das Herz empfänglich für die Leiden anderer!« sagte das Blatt aus dem Geschichtsbuche für die Jugend gebildeter Stände. Nur das große Blatt mit dem Stiel, eines der vornehmsten aus dem Hause derer vom Baume, murmelte etwas von »plebejischer Gefühlsduselei!« und der Brummkreisel sagte: »Bitte, meine Herrschaften, werden Sie nicht sentimental – das ist veraltet – und von Liebe halten wir heutzutage nicht viel, die Wissenschaft hat diesen geheimnisvollen Vorgang in unserem Innern mit grausamer Deutlichkeit aufgeklärt – brrrr–brumm!« Da aber gab es einen großen Disput, wie in einer politischen Sitzung, und wie sie noch im besten Zanken waren, öffnete sich in dem nächsten Hause eine Thür und ein junges Mädchen trat heraus mit einem Besen in der Hand, denn es war Sonnabend, und die Straße sollte gekehrt werden. Mit kleinen lustigen Schritten trippelte sie daher und die braunen Augen sahen zuversichtlich in die Welt hinein. Sie begann mit kräftigen Bewegungen den Rinnstein auszukehren und summte halblaut dazu:

Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt', 
Wo mein Schatzerl ist –
Ist wohl in die weite Welt –
   juhu – weite Welt –
Ist wohl fortgezogen!
 
Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt',
Wo mein Schatzerl ist –
Wär' ich in die weite Welt –
   juhu – weite Welt –
Wär' ihm nachgezogen!
 
Da er mir nun nichts gesagt,
Warte ich wohl über Nacht –
Such' mir dann ein andern Bub –
   juhu – andern Bub' –
Muß mich nit verlassen!« – –

Und nun purzelte alles durcheinander: die Blätter und der Strohhalm und das Papier und der Kreisel. Das Mädchen kehrte sie zusammen auf einen großen Haufen, und jubelnd kamen die Kinder herbei und zündeten das trockene Laub an – –

»Burrr!« sagte der Kreisel, »mein revolutionäres Feuer schmilzt mich auf!«

Und knisternd flog die lachsfarbene Schönheit in die Höhe; denn der Wind blies in den Scheiterhaufen, daß die Funken stoben, er trug sie mit sich fort, wie die weißen Blätter der Wasserrosenkönigin, und streute sie aus auf seinem Wege, daß ein Feuerregen niederfiel. Die braunen Augen des Mädchens sahen ihnen nach, und sie sang:

»Ist wohl in die weite Welt – juhu –
   juhu – weite Welt –
Ist wohl fortgezogen!«

Sonniger Winter.

Sie sagten, es sei Winter. Da ging ich hinaus, ihn zu begrüßen. Denn hier drinnen in der engen Stadt hat er ein gar häßliches Aussehen, rauchig und schmutzig, und er blickt dich an mit den Augen des Hungers. – Draußen aber lag der lachende Sonnenschein. War das der Winter? Er hat ja kein weißes Kleid an. Die Bäume recken ihre nackten Zweige kraus und zackig in den blauen Himmel hinein, und ihre Rinde schimmert rötlich, oder weiß, oder stahlgrau in der schwimmenden, flockigen Luft. Ah, die Luft! Das weitet die Brust – wie du mit einem tiefen Atemzug alle den Wald einhauchst, daß er die Stadt, die rauchige, schmutzige, in dir verzehrt! – Mein Fuß wühlt im langen, zottigen Gras. Wenn du nicht hinsiehst im Park, wo die glatten Wege sind, wo die feinen Karossen fahren, wo die Menschen auf ebenen Pfaden wandeln, dann meinst du im Wald zu sein – still ringsum, nur hohe Bäume, nur das Lispeln, das seltsame, traurige Lispeln in den nackten Zweigen, die ohne Blätter nicht rauschen und raunen können, wie sie im Sommer, im Herbst es thaten. Nur die Prärie vor dir, durch die sich das geschäftige Bächlein im Sonnenschein dahinschlängelt. Ein zaubrisch Bächlein – wie es lockt und winkt, eilig über die blanken, feuchten Steine kollert, und immer raunt und murmelt und erzählt – was es nur immer sagt? Ich klettere den Abhang hinunter, tiefgrün schimmert das Wasser von den bemoosten Steinen herauf. Einzelne ragen draus hervor, sie sehen mich lockend an – soll ich hinüber klettern auf den Springsteinen, zum andern Ufer des Bächleins, dorthin, wo stille, grüne Tannen stehen, wo es ganz einsam ist? – Da – mitten drin – du böser Nix, was hast du an dem Stein zu rütteln? Das hält ja so ein tappig Menschenkind nicht aus! Natürlich, da patsche ich mit den Füßen im Wasser – und nun schnell gesprungen, in den Sonnenschein, in das hohe Gras hinein, daß ich wieder trocken werde. Böser Bach mit deinem Nixen. – Aber was ist das? War es Zauberwasser, das mich berührt hat? – Der Wald ist lebendig geworden, die Bäume fangen an zu reden, ich verstehe, was die Vöglein zwitschern, die kleinen, grauen, die Waldvagabonden, die einzigen, die geblieben sind. Piep! sagen sie, uns ist's einerlei, ob die Blumen blühen und die Bäume Blätter haben. Dann bauen wir unser Nest in den kahlen Zweigen, und zwitschern von den zukünftigen Blüten, und die Nahrung – nun, die stehlen wir uns irgendwo – nur Freiheit, Freiheit wollen wir haben! – Au! sagt das Gras unter meinen Füßen, warum trittst du mich? – Ich bin nicht tot. Da, sieh' einmal her – Und wie ich dann die langen, zerzausten Haare vorsichtig zur Seite schiebe, da lugt frischer, grüner Klee schelmisch hervor. Der grüne, grüne Klee – Weißt du noch, grüner Klee, wie es war zur Sommerszeit?

Es war zur goldnen Sommerszeit,
Die Welt war groß und war so weit –
 Und grüner, grüner Klee.
 
Der blühte still im Waldesthal
Wie Tropfen Blutes allzumal
 Die Blüten stehn im Klee.
 
Und Falter spielen drüber hin.
Und wir? Wir lagern uns tiefdrin,
 Im grünen, grünen Klee.
 
Dein Aug' ist wie der Falter blau,
Dein Mund rot wie die Blüt' im Tau,
 Die Blüte rot im Klee.
 
Dein Haar ist wie das Sonnenlicht,
Das gleitet durch die Zweige dicht
 Wohl über grünen Klee.
 
Dein lieber Hals, der luget leis,
Wie die Maßlieben wunderweiß,
 Aus grünem, grünem Klee.
 
Da hab' ich mich geneigt zur Stund'
Und hab geküßt den roten Mund
 Im grünen, grünen Klee.
 
Und nur ein Vöglein sah's mit an,
Das lockte süß aus dunklem Tann
 Ganz nah beim grünen Klee.
 
Da war es, wo im Waldesthal
Ich fand zum allererstenmal
 Der Blätter vier am Klee.
 
Merkt ihr, was das bedeuten soll?
Mein Lieb und ich – wir wissen's wohl –
 Ja – und der grüne Klee. –

Hat mir das Bächlein das Lied gegluckst? Haben's die kleinen Waldtramps gezwitschert? Hat es der Klee gelispelt – oder hauchten es die Sonnenstrahlen in die Welt hinein? Rings um mich singt es und klingt es. Und plötzlich trottet eine kleine Schar neben mir, putzige Gesellen mit feinen Gliederchen und lustigem Wesen. Sie laufen neben mir wie eine Schar Hündchen, sie klettern die platten Baumstämme hinauf und wiegen sich in dem weiten Geäst hurtig wie die Eichkätzchen, und sie tragen kleine Narrenkappen auf den Krausköpfchen, damit klingeln sie: Gedanken! Gedanken! Wir sind deine Gedanken. –

Aber, ihr flinken Gesellchen – Gedanken? Ich meinte Gedanken, die hätten schwere Köpfe, und Brillen auf der Nase, und gingen mit gewichtigen Schritten in den Büchern auf und ab spazieren. Was wollt ihr im Wald mit mir?

»Wir wollen hören, was er rauscht, was die Bäume sagen, und der Wind weht. Wir wollen sehen, wo der Winter ist? – Da, siehst du.« – Mitten auf der Wiese war das lange Gras fein säuberlich zur Seite gewachsen und hatte einem grünen Moosteppich Platz gemacht, der sich glatt und fein ausbreitete: »Sieh',« flüsterte mir ein Gedanke ins Ohr, »siehst du die Elfen tanzen, und die Gnomen mit den weißen, zottigen Bärten und den spitzen, haarigen Oehrlein? Wie die weißen Leiber der Winterelfen schimmern, wie ihre flockigen Schleier wehen und wie die Lüfte aufspielen zum Tanz. – Horch! Wie Schneeknirschen klingt's, und wie die Eiszapfen, wenn sie klirrend von den Bäumen brechen. Und siehst du, da mitten im Gewirr den sonnigen Winter stehn? Seine Augen glänzen und er lacht, daß die weißen Zähne aus dem feurigen Barte blitzen.« – In den starken Armen hält er die Winde; wie sie zappeln und die Backen aufblasen vor Wut, daß sie nicht loskommen können – da schlägt er den Nordwind und den Westwind mit den Köpfen zusammen, die bösen Gesellen, und stößt sie mitten unter das Elfengesindel, das sie jauchzend mit Tannenkränzen umwindet und fesselt; oben auf des sonnigen Winters Schultern aber steht der Südwind und stößt jubelnd ins Horn, daß es von den Bergen ringsum widerklingt. Und jauchzend fallen die Gedanken um mich herum in das tolle Treiben – so daß ich mich ordentlich schäme für sie – was sollen nur die Menschen davon denken? »Ihr solltet auch nicht denken, ihr Menschen,« lachten meine wilden Gesellchen – »denn wenn ihr denkt, dann denkt ihr immer was Dummes. Es wäre überhaupt viel besser, ihr dächtet gar nicht, und überließet es uns, euch plötzlich mit etwas Gescheitem durch den Kopf zu fahren – wie ein Blitz.«

»Da sieh' hin, die zwei Bäumchen, die da angewackelt kommen,« sagte ein spöttischer kleiner Gedanke und überschlug sich wie ein Kobold im Gras vor Vergnügen. »Du denkst, es wären Fichten, aber schau sie einmal an: sie kommen in kurzem Lauf, ein wenig vornüber, dahergetrottet, ihre Nadeln stehen zierlich nach beiden Seiten, wie lauter gewichste Schnurrbärtchen, die Kronen sind ihnen ins Gesicht gerutscht, so daß es aussieht, als wenn sie die großen Hüte bis tief auf die Nase sitzen hätten, und da die Zweige just ein bischen über dem Erdboden beginnen, scheint es, als hätten sie sich die schloddrigen Hosen sorgfältig aufgekrempelt. –

»Ei! wie die Herrchen laufen,« höhnt der lustige Gedanke und zupfte an ihren Nadeln, worauf sie sich wütend umdrehen und mit den jungen Birken, die sie als Spazierstöcke mit sich schleppen, nach ihm schlagen – »sie thun, als wollten sie dem sonnigen Winter eine Referenz machen, und dabei schielen sie doch nur nach den weißhäutigen Elfendirnen.«

Nun kommen sie von allen Seiten gewandert: die breitästigen Eichen, die schlanken Birken im weißen Hemdchen, knorrige Burschen vom Geschlecht der Baumriesen; und eine nackte Trauerweide tänzelt so lustig daher, daß die langen, fast bis auf die Füße hängenden Haarsträhne im Winde flattern. – Ei, sieh', wen haben wir hier? – Eine Prozession ehrbarer Herren in dunkelgrünen Röcken, die bis zur Erde reichen; und aus den stachligen Kapuzen schauen lustige Mönchsgesichter, und die Aeuglein blinzeln über die feisten Wangen hinweg nach den schlanken, grünen Nönnchen, die ihre Kiefernkleidchen gar züchtig geschürzt haben und sittsam kokett neben der Tannenprozession einhertrippeln. Voran schreitet ein baumlanger Tannenriese, stark wie Rabelais' Mönch Johann. »Halt da!« kommandiert er, »hübsch paarweise antreten!« und er bombardiert die letzten in der Reihe mit Tannenzapfen, damit sie ihn besser verständen – »und wem's nicht recht ist, hier im Wald, dem schlage ich die Knochen im Leibe entzwei!«

Da faßt ein Mönch je ein Nönnchen bei der Hand, und, die grünen Röcke ein wenig lüpfend, tänzeln sie im Menuettschritt über die Wiese hin zum lachenden, sonnigen Winter und beginnen artig zu psalmodieren, daß es in den Wald hineinschallt:

»Brave Mönche sind wir Tannen,
Brummeln unser Mönchsgebet –
Und wenn es zum Schlucken geht,
Laufen nimmer wir von dannen –
   Eia, Hallelujah!
 
»Nönnchen sind wir, Nönnchen heiter, 
Leben gottgefällig weiter,
Putzen unser grünes Kleid –
's Himmelreich ist auch nicht weit –
   Eia, Hallelujah!
 
»Und so leben wir gar traulich,
Brüder, Schwestern, Hand in Hand –
– Unsre Kutten sind verwandt –
Unser Trachten ist beschaulich –
   Eia, Halleluja!«

»Ei, so hört auf zu plärren,« dröhnt Bruder Johanns mächtige Stimme dazwischen –

»Kurze Worte dringen zum Himmel eh'r,
Lange Züge machen die Kanne leer –
   Eia, Halleluja!«

Und mit tollem Jubel drehn sie sich mit im Elfenreigen, daß die grünen Kutten im Winde wehn.

»Hast du nun den Winter gefunden?« flüstert mir ein Gedanke ins Ohr, »sieh', wie die Sonne über ihm steht, lichtspendend, milde lächelnd, als ob all das Weh in der Welt nur ein Wassertröpfchen wäre, das sie lächelnd aufsaugt.«

»Sagtest du: Weh, kleiner Gedanke?« haucht es neben mir, »weißt du, was das ist?«

Ich wandte mich; da steht unter den hohen Bäumen des sonnigen Winters der allerhöchste und breitet seine mächtigen Zweige aus, als wolle er die Welt an seine Brust ziehn. »Sieh',« sagt er und senkt das starke Haupt, »meine Krone haben sie mir geraubt, der Sturm, als er hinzog mit seinen weißen Jägern über mein Reich – meine Aeste haben sie zerschlagen und die Augen mir geblendet. Weißt du, was es heißt, leben, und die Sonne nicht mehr sehn, nie mehr!«

Es geht ein Aechzen durch den zersplitterten Stamm, die Zweige bewegen sich schwankend hin und her – es ist, als wolle sich der Riese zur Erde neigen. Aber noch ist er stark, noch steht er aufrecht, bis der Sturm wieder einmal gegen ihn zu Felde zieht – und nur wie ein »Weh – das thut weh!« – zittert es durch die Luft.

Mich fröstelte es, die Sonne sank tiefer, ich ging dem Heimweg zu. Einzelne Gedanken blieben im Wald beim Tanz auf dem Elfenteppich, bei dem sonnigen Winter, andere sprangen mir flüsternd, raunend, kichernd zur Seite; bis zum Hügel hinauf, am Rand des Waldes, da waren sie verschwunden. Einige waren den eleganten Karossen nachgelaufen und guckten spöttisch grinsend in die Wagenfenster, andere hatten sich den Heimatlosen, vagabondierenden Menschenkindern angeschlossen, die unter den Büschen des sonnigen Winters ihr Nachtlager suchten. Nur Einer, ein ernsthafter, blasser, kleiner Geselle stand neben mir, als ich mich umwandte am Berg und mein Auge die Sonne suchte – wie seltsam! Die Sonne, die goldene, große, strahlende, hing herrlich am Himmel – aber der Wald, die Welt? Was eben noch leuchtete, schimmerte, in wunderbarsten Farben, das lag tot und kalt und schwarz zu ihren Füßen.

»Siehst du,« sagte der ernsthafte Gedanke neben mir, »so wollt ihr die Wahrheit suchen mit eurem Verstand und eurer Tüftelei, so seht ihr in die Sonne mit der Brille der kalten Berechnung auf der Nase – ja die Sonne steht dort am Firmament, strahlend, so himmlisch leuchtend, daß euer blödes Auge sie nicht ertragen kann, und die Welt, über die ihr die Wahrheit ergründen wollt, liegt schwarz und tot da. Aber schau dich um, schau mit der Sonne, schau dahin, wo nur die Strahlen der Sonne hindringen, wohin die Wahrheit ihr goldenes Licht wirft – siehst du nun, wie herrlich die Welt daliegt, in Farbe, in Glut gehüllt, verklärt? Fühle nur die weiche, flimmernde, golddurchglühte Luft, die dich mit linden Armen umfängt – schaue die jauchzende, die lebende, lichte Welt! –

Und weißt du nun, was Poesie ist?« flüsterte der ernsthafte, kleine Gedanke mir ins Ohr.

Ein Weihnachtsmärchen.

Weit, weit hinter den Wolkenbergen, da, wo der Sonne Heimat ist, die zu verlassen ihr so schwer fällt, daß sie Tauthränen weinen muß, da, wo gut sein, fromm sein ist, und die Religion die Liebe, da, wo es keinen Neid, keine Polizei und keine Geldnöten gibt, da ist das Reich der Träume, das Wunderland, wo die schöne Frau Phantasie als Königin herrscht. Da sitzt sie auf ihrem goldenen Sonnenthron, umgeben von all' dem lustigen und luftigen Volk, den Elfen, Nixen und Kobolden, die durch das Christentum und das Geld aus der Welt vertrieben wurden, und hält Hof, und die Blümelein sind ihre Vasallen und die Bäume ihre Schildwachen, und die Vögelein jubilieren und konzertieren, und die Mücken und Grillen und Heimchen tanzen Ballett; und der Wind, der säuselnde, sanfte, der starke, stürmische, immer gewaltige Sänger, ist zum Hofpoeten ernannt. Aber die mitleidige Königin, so gut sie es auch in ihrem wonnigen Traumland hat – sie ist nimmer zufrieden damit. –

Sie gedenkt ihres Sorgenkindes, der Welt, die ihr schon manch' bitteres Weh bereitet hat, sie hüllt sich in ihren blauen Himmelsmantel, mit goldenen Sternlein besäet, und fliegt mit geheimnisvoll leisem Flügelschlag über die Erde, und wenn sie sieht, daß ihr Sorgenkind immer noch so verdrießlich und wetterwendisch und eigensinnig-dumm und boshaft und lieblos ist, dann fließen Thränen der Wehmut und des Zornes und des Mitleids aus ihren schönen Augen, vermischt mit Hoffnungsbalsam und Sehnsuchtslauten nach ihrem Traumland, und diese kostbaren Thränen fallen zur Erde hinunter in die Herzen ahnungsvoller Menschen, die von Liebe entbrennen zur herrlichen Göttin Phantasie; sie singen dann, was ihr Herz bewegt, und die Welt nennt sie Dichter.

Aber Frau Phantasie verhüllt sich mit ihrem blauen Himmelsmantel, so daß nur die kleinen nackten Füßchen wie zartrosa Wölkchen darunter hervorgucken, der Wind nimmt sie auf seine Flügel und trägt sie in ihr Königreich, und dann geht die Sonne auf.

Lange schon ist es her, daß die Königin ihre letzte Reise unternommen hat; sie hat über den Wolken gethront im Traumland; aber Wehegeschrei und Kanonendonner sind bis zu ihr hinaufgedrungen und Zornesrufe nach Freiheit und Fluchworte gegen Lüge und Heuchelei, und dann wurde es ruhig, ganz ruhig unter ihr – da erhob sie sich von ihrem Thron, legte die weiße Hand gegen das rosige Ohr, lauschte in die Ferne, und sie sprach zu ihrem versammelten Volke:

»Horch, so friedlich ist's da drunten! Sollte wohl jetzt die Zeit gekommen sein, wo ich meine Lieblinge hinaussenden kann, auf daß sie der Welt Erlösung bringen? Meine Kinder, meine weißen, süßen, unschuldigen Kinder: Wahrheit und Liebe, die ich mit dem Sonnengott, dem ewigen Licht, gezeugt; sie schlummern unter Blumen nun seit vielen tausend Jahren und immer wollte ich sie wecken und immer noch war es zu früh; immer begann es wieder zu lärmen auf der Welt, wenn ich gerade mich niederbeugen wollte, um sie wachzuküssen – die beiden Zwillingsrosen. Nun aber ist's Zeit.

Geschwinde, Ihr lustiges Volk, geschwinde, Ihr meine Treuen – kommt, kommt, laßt sie uns wecken!«

Und da huscht es, und haucht es und weht und faucht es über sie hin, um sie her, und da singt es und saust es und klingt es und braust es, und die Blümlein duften süß und die Zweige neigen sich flüsternd und leise. – Da stehen zwei holde Kinder mitten unter ihnen, ein Knabe und ein Mägdelein – sein Antlitz ist ernst und klar und trotzig und sonnig, in ihrem rosigen Gesichtchen lacht der Frühling, und doch thront auf der Stirn eine leise Schwermut und in den Augen wohnt die Sehnsucht. Und die Königin zieht ihre holden Lieblinge an ihr Herz und weint Glücksthränen auf ihre jungen Häupter, und all ihr Volk steht erwartungsvoll schweigend um sie her. Da spricht sie:

»Ihr meine jungen Helden, mein ernster Knabe, mein lachend Mägdelein – steigt nieder zur Erde, zieht hin über die Welt und verkündet ihr das neue Evangelium, bringt ihr die Liebe, lehrt sie die Wahrheit. Ach, sie ist arm, arm an Glück und Liebe – lehrt sie, daß nur durch Liebe die Seligkeit zu erringen ist, von der sie so viel gehört und die sie nicht verstanden hat.

Laßt Euch nicht abschrecken durch rauhe Worte, durch herzlose That – predigt immer wieder, ruft in die Welt, in ihre Herzen hinein, jubelt ihr entgegen das Evangelium von der Liebe, ohne die nichts ist, hier nicht, wie auf Erden.

O meine Kinder, vor allem trennt Euch nicht, faltet Eure Händchen zusammen, verlaßt Euch nicht, denn die Wahrheit ist nicht ohne die Liebe, und die Liebe tot ohne die Wahrheit. –

Allein seid Ihr nichts, vereint alles!«

Da gab man ihnen Oelzweige in die Hände, Mutter Phantasie nahm die Kinder in ihren Himmelsmantel und trug sie zur Erde nieder, und die Elfchen und Nixchen und Kobolde huschten um sie her, die Vöglein zogen mit ihnen und sangen und alles war voll Freude.

Aber der alte, weltweise, vernünftige Uhu saß in dem Eichbaum, unter welchem Wahrheit und Liebe, von duftenden Blumen zugedeckt, viele tausend Jahre geschlummert hatten, klappte seine großen Augen auf und zu und seufzte, daß es in den Klüften und Schluchten wiederhallte:

»Zu früh, viel zu früh, ach, es ist zu früh!«

Hand in Hand irrte nun das Zwillingspaar durch die Lande, über Berg und Thal, über Fluß und Steg, an all den vielen Städten und Burgen vorüber, mit ihren vielen tausend Bewohnern, aber keiner wollte so recht etwas von ihnen wissen. Da waren wohl viele, die sagten: »Ach, wie schön seid Ihr!« Das waren lauter junge Leute, die Kopf und Herz noch voll herrlicher Gedanken und beseligender Empfindungen trugen, aber sie hielten sich doch in scheuer Entfernung, denn sie kannten die Kinder nicht. Da waren Andere, die tätschelten sie gönnerhaft auf die lockigen Häupter und sagten: »Ja, recht schön, aber unpraktisch!« Das waren alte, weißhaarige Männer und Frauen. Da waren noch Andere, die wollten mit lustigen, bunten, lügnerischen Lappen die schöne, reine Nacktheit der beiden Kinder bedecken, aber da eilten diese angstvoll von dannen und hinter ihnen her gellte höhnisches Gelächter.

So kamen sie eines Tages durch einen schönen großen Wald, darin zwitscherte es gar lieblich von Vogelgesang und duftete es süß von Blumenduft, die Bäume neigten ihre Zweige vor ihnen, und der Vater, der Sonnengott, liebkoste sie mit seinen warmen Armen.

Die Tiere des Waldes kamen, die scheuen Rehe, die flinken Füchse, die leichtfüßigen Eichhörnchen, sie sahen sie mit klugen Augen an, und plötzlich klang's von fern und nah, in allen Zweigen, in allen Lüften:

»Bleibt hier, o bleibt hier! Bei uns ist's gut sein, aber draußen ist's Winter; die kalte, böse Welt, sie thut Euch weh und treibt Euch fort, und dann müßt Ihr leiden!«

Aber ein kleines, grünes Tannenbäumchen neigte sich zu ihnen hin und sprach: »Jetzt bin ich allein; eine schöne Tanne stand bis gestern noch neben mir; die haben die Menschen geholt, denn Weihnacht ist draußen, sagen sie, das Fest der Liebe, und da ist die Tanne gern mit ihnen gegangen, denn dann wird sie geschmückt, geputzt und geliebt. Nun stehe ich allein und möchte wissen, wohin sie gegangen ist.«

Da blickten die Kinder zu ihrem Sonnenvater hinauf – der nickte lächelnd, und sie zogen weiter.

Draußen, jenseits des Waldes, war Schnee und Eis und die Bäume senkten matt ihre dürren Aeste unter der Last, die ihnen aufgebürdet war; kein grünes Hälmchen sah unter der Schneedecke hervor und die kleinen Spatzen piepsten traurig auf der Hecke am Wege. Das liebe Zwillingspaar aber war ganz warm und der Schnee that ihren nackten Füßchen nicht weh, denn des Vaters Sonnenstrahlen hüpften um sie her und schützten sie vor der Kälte.

Nun kamen sie an ein großes, hohes Schloß, das blitzte, funkelte und strahlte von lauter Gold und von Edelgestein, und wie sie die hohe Marmortreppe hinaufstiegen, da kamen sie in einen großen Saal, darin stand ein wunderschöner Tannenbaum mit vielen, vielen Lichtern, und um ihn her sprangen und lachten und scherzten fröhliche Kinder und freundliche Menschen – ach, da ging ihnen das Herz auf und sie traten dicht vor den stattlichen Mann hin, der eine schöne Frau am Arme führte, und öffneten ihre lieblichen Lippen:

»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue Evangelium wollen wir verkündigen, daß es weit hinschalle über alle Welt!«

Da schüttelte der stattliche Mann den Kopf und die schöne Frau wich ängstlich zurück und rief ihre Kinder zu sich, daß sie nicht den kleinen Fremdlingen zu nahe kämen.

»Ein neues Evangelium! Damit seid Ihr nicht am rechten Platz. Nur keine Neuerungen! Festhalten am Alten, Hergebrachten, das ist eines Edelmannes würdig. Und Wahrheit und Liebe? Gewiß! aber streng nach den Regeln der Etikette müssen sie sein.«

»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe Wahrheit zur Liebe, »hier ist nicht gut sein.«

Und sie gingen weiter. – Da kamen sie in eine große Stadt. Da waren so viele Häuser und so viele Menschen, daß sie gar nicht wußten, wohin sie gehen und an wen sie sich wenden sollten.

So schritten sie kühn in ein vornehmes Haus hinein, darin war es gar warm und behaglich, und sie stiegen die teppichbedeckten Stufen hinan und kamen in ein schönes Gemach, das war reich und bunt ausgestattet, und in der Mitte auf einem Tisch stand ein großer Weihnachtsbaum, der leuchtete von vielen, vielen Lichtern, lauter geputzte Leute standen um ihn und bewunderten die kostbaren Sachen, die darunter lagen. Das Zwillingspaar hielt sich fest an den Händen, und sie traten zu dem Herrn des Hauses, der neben einer schönen Dame im Sofa saß, und öffneten ihre lieblichen Lippen:

»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue Evangelium wollen wir verkünden, auf daß es Lüge und Unglück aus der Welt von hinnen treibe.«

Da wollte sich der Herr des reichen Hauses schier von Sinnen lachen: »Wahrheit,« sagte er, »mein Junge, damit kann man nicht handeln« und »Liebe,« lachte die schöne Dame neben ihm, »quelle idée! Die ist gar so unbequem und aufreibend –!«

»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe und sah trotzig um sich, »hier ist nicht gut sein.«

Die Kleine schmiegte sich dicht an seine warme Seite und sie zogen weiter.

Nun kamen sie in ein ganz kleines, unscheinbares Häuschen, da brannte auch ein Tannenbäumchen, aber nur ein ganz winziges, mit zwei kleinen Lichtchen und ein paar Aepfeln und Nüssen daran.

Neben dem Baum saß eine junge blasse Frau mit zwei Kinderchen im Arm und am Fenster ein finsterer Mann, der brütete vor sich hin und sah das Weihnachtsbäumchen kaum.

Und das Zwillingspaar trat ein und lächelte dem anderen Pärchen zu:

»Weihnachten ist heute, das Fest der Liebe. Vom Traumhimmel sind wir gesandt, die neue Religion zu verkündigen, das Evangelium der Liebe und Wahrheit.«

Aber die angeredeten Kinderchen wandten sich verschüchtert zur Seite, und der blassen Frau liefen die Thränen über die schmalen Wangen.

»Liebe,« schluchzte sie, »Liebe ist nur vom Uebel, denn sie hängt schwer an Einem, und von Liebe kann man nicht leben.«

»Und Wahrheit?« fragte der Mann mit bitterem Lachen, »wenn man die Wahrheit sagt, wird man mit Hunden gehetzt. Geht weiter, Euer Evangelium ist nicht für Arme.«

Da zogen sie traurig von dannen und irrten in den Straßen umher und wagten nicht mehr in die Häuser einzutreten. Sie kamen an ein großes, großes Haus, das hatte einen Turm, der ragte bis in den Himmel hinein und aus den geöffneten Fenstern drang freundlicher Lichtschein von vielen Lichtern, Orgelklang und Gesang von vielen frommen Stimmen; sie schlüpften hinein und standen in einer Kirche voll frommer Menschen und vor dem Altare stand eine Krippe, darin lag ein kleines Kindlein, nackt, wie sie selber, mit einem goldenen Krönchen auf dem Haupte.

Und sie liefen hin und freuten sich und wandten sich zum Volk und verkündeten mit lauter Stimme das neue Evangelium; denn sie dachten, hier wäre es gut und fromm und hier würden die Menschen auf sie hören.

Kaum aber hatten die von einer neuen Religion vernommen, da erhob sich ein böses Geschrei und wütendes Toben, und an der Spitze der Mann, der an der Krippe des Jesukindes schöne Worte gesprochen hatte, und:

»Neuerer, Ketzer! steinigt sie, treibt sie hinaus!« – riefen sie.

Ach, die armen Sonnenkinder, sie wußten nicht, wie ihnen geschah, als sie plötzlich draußen vor der Kirchenthür sich befanden, die krachend hinter ihnen zufiel.

»Ach wären wir im Traumland,« seufzten sie, »unter Blumen und Vögelein, unter der Königin blauem Sternenmantel – uns friert, ach so sehr.«

Da, fern von der Stadt, begegneten ihnen zwei hohe, schlanke Gestalten, ein Mann und ein Weib – die hielten sich eng umschlungen und von ihren Stirnen ging ein Leuchten aus, daß es die Kinder wundersam durchschauerte. Sie faßten Mut und gingen jenen entgegen und fragten:

»Was thut Ihr hier draußen?«

»Wir feiern Weihnachten,« sagten jene beiden lächelnd.

»Ohne Baum und Menschen?«

»Für uns allein; in unserem Herzen, denn die Menschen haben uns von sich gestoßen!«

»Was thatet Ihr?«

»Wir sprachen die Wahrheit und in unserem Herzem thronte die Liebe,« sagten jene beiden und ihre Augen leuchteten. »Das aber kann die Welt nicht dulden, es ist gegen ihr Gesetz, und darum haben sie uns von sich gestoßen.«

Da sangen und jubelten die Kinder ihr neues Evangelium in alle Winde hinaus und der Mann zog sein Weib in seine Arme und sie lauschten der Lehre von der Wahrheit und der Liebe, die die Kinder der ewigen Sonne und der Phantasie ihnen predigten.

Da aber kam der Wind und trug die Sonnenkinder über die Wolken ins Land der Träume.

Und wie sie der schönen Mutter ihre Leiden, ihren Kummer und ihre Seligkeit vertrauten, da weinte sie goldene Thränen und sie fielen in die Herzen jener seligen Menschenkinder, die die Welt von sich gestoßen hatte.

Die Elfen und Gnomen und die Vöglein alle, das lustige, leichtlebige Volk, tanzten und jubilierten, und nur der große Uhu saß im Eichbaum, unter dem die Sonnenkinder wieder schliefen, unter Blumen zugedeckt, und knurrte prophetisch:

»Zu früh, viel zu früh, die Welt ist noch nicht reif für das Evangelium der Liebe und Wahrheit!«

Schneeflocken.

Die Schneeflocken haben Ball heute Abend. Hei! Wie sie sich schwingen in tollem Reigen da oben auf den Bergen, wie sie durcheinander wirbeln und auf und niederspringen, daß einem ganz schwindelig wird beim Hereinschauen. Und der Wind spielt ihnen auf dazu; er saust durch die Tannenwipfel und schüttelt die Kronen der alten Waldriesen, daß sie die Zweige pfeifend gegen einander schlagen; er braust durch die Schluchten und gellt durch die Felsenklüfte, daß es fast wie Hohngelächter klingt, er singt ihnen ein Nordlandslied, wild wie sein Brausen und Toben. Er singt ihnen von den eisigen Gletschern da oben im Norden, und von der Eisjungfrau, die da haust mit Augen, klar und doch unergründlich, wie der Bergsee; er singt, wie sie mit schrillem Lachen die weißen Arme ausbreitet und an den Schneewänden ihres Eispalastes rüttelt – dann stürzen die Lawinen krachend zu Thal und begraben das Menschenvolk da unten. Von den lustigen Gesellen, den Eisbären, erzählt er, seinen Freunden, wie sie im täppischen Tanz umeinander sich drehen, fast wie riesengroße, weiße Schneeflocken, daß es gar komisch anzusehen ist; und von den Schiffen, die zwischen den Eisblöcken stecken, und den Menschen darauf, deren heißes Menschenherz langsam zu starrem Eise wird; von den flimmernden, glitzernden, funkelnden, kalten Sternen da oben am Himmel, die todesruhig lächelnd herniederschauen; von dem Nordlicht, das aufflammt mit trotziger Glut und der Eisjungfrau auf ihrem Gletscher einen rosigen Schleier überwirft, aus dem sie herauslächelt, fast wie ein Menschenbild – so lockt sie die Menschen an, die kühnen Jäger, und sie steigen hinauf zu ihr, immer höher und höher, und sie winkt ihnen und lächelt süß, verheißend – und dann stürzt sie die thörichten Gesellen hinab, in die eisige Tiefe. – Hoiho! jauchzt der Wind, wild ist mein Nordlandslied! Wild, wie der Eiskönigin Lachen, wie der Lawinendonner! Und hoch empor wirbelt er die armen Flöckchen, bis sie sich ermattet an den Tannenzweigen festklammern.

Da ist's gut ruhen; sie schmiegen sich eng an die Nadeln hin – die flüstern und kosen mit ihnen, die wiegen sie hin und her und erzählen ihnen Waldmärlein: von dem naseweisen Tannenbäumchen, das gar nicht zufrieden gewesen damit, daß es im schönen grünen Wald gewohnt und die Füßlein im weichen Moos gebettet hat; gelangweilt hat es sich auf seinem heimatlichen Stückchen Erde und hat hinausgewollt in die weite, weite Welt und gejammert und geschluchzt: O Wind, nimm mich mit! O Quell, rausch' mich zu Thal!

Da hat mit einemmal die Waldfee vor ihm gestanden im grünen Gewand und lockigen Haar, hat es mit den Blumenaugen angeschaut, mit den zarten Händen berührt und gesagt: »Geh', mein Bäumchen, reise zu Thal. – Sie werden Dir weh tun, Dich von Ort zu Ort schleppen, und doch bringst Du ihnen von den Bergen herunter die Sehnsucht mit – den Tannenduft, damit sollst Du ihnen die Seele erfüllen, daß sie gut werden und sich freuen wie die Kinder.«

Dann hat sie das Bäumchen geküßt und ist im Wald verschwunden. –

Danach sind eines Tages zwei Männer gekommen und haben sich das Tannenbäumchen von allen Seiten angeguckt und zufrieden mit den Köpfen genickt. Dann haben sie ihre Pelzkappen zurückgeschoben und sich die Hände gerieben und die blanken Aexte genommen und haben die Füßchen der Tanne geschlagen, daß es durch den Wald gedröhnt hat, haben sie zur Erde geworfen, ihr einen Strick um den Leib gebunden und sie hinter sich hergeschleift über Stock und Stein, durch Schnee und Eis. Und das Tannenbäumchen hat leise vor sich hingeweint, und die großen Bäume auch; aber die Männer haben das nicht gehört, die meinten: Horch – wie der Wind pfeift!

So ist die kleine Tanne zum Weihnachtsbäumchen geworden, wie die Waldfee sagt – denn da unten im Thal feiern sie Weihnacht – –

»Was ist das?« fragten zwei neugierige kleine Schneeflocken, die sich angefaßt hatten und mit ihren zarten, weißen Gliederchen auf den Zweigen der alten Tanne auf und nieder wippten.

»Ja, was ist das!« sagte die alte Tanne, »Wintersonnenwende nennen wir's, und die Waldfee sagt: Jetzt wacht die Sonne auf und nun beginnt tief unten in der Erde das Keimen und Wachsen, bis es schließlich herauf dringt zu uns und die ganze Welt erfüllt. Aber da unten im Thal nennen sie's Weihnacht und sagen, die Liebe wäre ihnen geboren – und dann schmücken sie das Tannenbäumchen mit vielen, vielen Lichtern und zünden sie an, daß man meint, der ganze Baum stände in Flammen, und läuten mit ihren Glocken dazu – da – hört Ihr's?«

»Bim bam bum!« singen die kleinen Schneeflocken, »da möchten wir hin!« und sie bitten den Wind: »Wind, fahr' uns hinab!« – Der breitet seine großen, weißen Schwingen aus, die beiden Flöckchen klammern sich mit ihren vielen Fingerchen daran fest und nesteln sich in ihren Zottelpelzen tief in die Fittige ein, und heidi! da ging's zu Thale.

»Grüßt mir das Tannenbäumchen!« rief die alte Tanne ihnen nach – und sie brummte in den Schneemantel hinein, der sich allgemach um ihre starken Glieder gelegt hatte: »Komisches Volk, diese Menschen! Mußte ihnen die Liebe erst geboren werden? Ist sie denn nicht so alt, wie die Welt steht?«

Und dann schüttelte sie ihre Nadeln, daß die Schneeflocken, die schon darauf eingeschlafen waren, erschrocken in die Höhe fuhren.

Die beiden neugierigen Schnee-Engelchen aber flogen zu Thal, und der Wind war bös und pfiff ihnen in die kleinen Ohren, daß es gellte: Puh – da unten ist's schlecht. Was wollt Ihr bei den Menschen? Entweder sie ballen Euch zusammen und werfen sich mit Euch gegenseitig an die Köpfe, oder sie kehren Euch auf einen Haufen, daß ihr ganz schmutzig werdet und die Sonne Euch aufschmilzt – umkommen thut Ihr jedenfalls!

Doch da waren sie schon im Thal angelangt, vor einem großen, schönen Hause; das lag still und dunkel und allein. Nur aus einem Fenster schimmerte ein roter Schein, dahin flog der Wind, und sieh'! von dem Fenster her grüßte und winkte es den Flöckchen entgegen – das waren ihre Basen, die Eisblumen, die an den Glasscheiben in die Höhe wuchsen und allerlei wunderliche Gestalten angenommen hatten, und die Flöckchen setzten sich zu ihnen und guckten in's Haus hinein. Da drinnen ist's prächtig: ein hohes, weites Gemach, und aus einem großen, weißen Marmorkamin flutet der rote Feuerschein drüber hin, über den Tannenbaum, der schön geschmückt und glänzend dasteht, über die vielen bunten Spielsachen und all die kleinen Figürchen, die da unter'm Tannenbaum ihr Wesen treiben.

Die Eisblumen erzählten, wie schön es gewesen sei, als das Tannenbäumchen ganz in Flammen gestanden und die Kinder um es herumgesprungen wären und gelacht und getollt und gejubelt hätten. Dann haben sie die Lichter gelöscht und ein Duft ist durch das Zimmer gezogen, so würzig, so zart, so wunderstark, noch riecht's in allen Ecken darnach –

Die Schneeflöckchen vergingen fast vor Sehnsucht nach all dem Schönen. Mitleidig verrieten ihnen die Eisblumen, daß ganz, ganz unten am Fenster eine schmale Ritze offen wäre, da könnten sie noch besser hineingucken, und vorsichtig kletterten die Flöckchen an den glatten Scheiben hinunter und nun stehen sie vor der Fensterritze – – –

»Also, so sieht Weihnacht aus!« flüstern sie einander zu, »komm', wir wollen uns an die Händchen fassen und hineingehen und den Weihnachtsduft einatmen.«

»Thut das nicht,« antworteten die Eisblumen, »Ihr seid Kinder der Luft, Ihr gehört nicht zu denen dadrinnen – Ihr werdet hinsterben vor Sehnsucht zu ihnen.«

Aber die Flöckchen hörten nicht auf die Erfahrenen; sie zogen sich ihre kleinen Schneemützchen über die Ohren, damit sie auch hübsch kalt blieben und schlüpften durch die Fensterritze. – Da schlug's Zwölf. Das kleine Männchen in der bunten Uhr, die auf dem Kaminsims stand, kam zwölfmal herausspaziert und beim letzten Mal nahm es seinen kleinen Dreimaster ab und verbeugte sich und sagte: »Meine Herrschaften, die Geisterstunde hat geschlagen!« –

Dann verschwand es wieder in seinem Glashäuschen, und klirrend schlug die Thür hinter ihm zu.

Nun begann ein wunderliches Wispern und Tustern in allen Ecken und Winkeln – alles im Zimmer wurde lebendig und es war plötzlich ein Stimmengewirr wie beim Turmbau zu Babel. Alle die vielen Deckchen und Schleifen, die an den Stühlen und Lehnen herumhingen, fingen an, eine der andern Vorwürfe zu machen, daß sie sich immer den Menschen auf den Rücken setzten oder auf der Erde herumtrieben, und wurden so heftig dabei, daß sie sich schließlich gegenseitig mit sich selber bombardierten. – Das Sofakissen wurde elegisch und machte der Schlummerrolle eine Liebeserklärung. – »Sie haben eine so schöne Gestalt!« sagte es, – »von oben bis unten egal!« Und die Feuerzange beim Ofen wollte die Schaufel umarmen und kniff ihr dabei derb in die Nase. Die kleinen Sèvres-Figürchen auf dem Kamin schürzten ihre Rokokokleidchen zum Tanz und der Nußknacker, der in der Uniform eines Gardelieutenants auf dem Weihnachtstische stand, klemmte sein Monocle ins Auge, näselte: »Charmant, auf Taille!« und klappte seine Kinnladen mit einem gefährlichen Ruck wieder zu. Dieser Nußknacker war überhaupt ein Don Juan; just hatte er der niedlichen kleinen Puppendame, die in Balltoilette auf einem rotsammetenen Lehnstuhl saß, versichert, sie sei seine erste und einzige Liebe, und nun warf er der porzellanenen Schäferin da oben Kußhände zu und entschuldigte sich damit, daß es ja Weihnachten sei.

Da entdeckte er plötzlich die beiden kleinen Fremdlinge, die sich in ihren weißen Schwanenpelzchen scheu in die Fensterbank gedrückt hielten.

»Das ist ja etwas sehr Niedliches!« Und der Lieutenant klemmte seine Monocle ein und beeilte sich, mit allersteifsten Gardebeinen durch den Saal zu marschieren.

»Premier-Lieutenant Knack von Mandelkern, I. Rrrment, Bleisoldaten zu Fuß,« schnarrte er und schlug die Hacken aneinander, daß unsere Schneeflöckchen erstaunt seine Füße anguckten. – »Damen fremd hier? – äh – dürfte Ehre haben, Chaperoneur zu sein?«

»Ach,« sagten die Flöckchen schüchtern, »wir gehören hier eigentlich gar nicht her – wir sind nur hereingekommen – wir wollten gern wissen – können Sie uns vielleicht sagen, was Weihnacht ist?«

»Wa – wa – was – Weihnachten?« Dem Herrn Gardelieutenant fiel vor Erstaunen das Monocle weg, ohne daß er erst dazu eine Fratze zu schneiden brauchte, und sein Nußknackermund blieb ihm offen stehen, worüber die Flöckchen so erschraken, daß sie aufsprangen und von der Fensterbank auf die Erde flogen.

»Weihnachten? – Weihnachten ist Weihnachten,« brummte Lieutenant Knack von Mandelkern entrüstet, nachdem er vorher seinen Mund wieder zugeklappt hatte – dann klemmte er das Glas wieder ein und sah den Flöckchen nach – »nette Pusselchen – aber noch sehr jrün – die reene Unschuld vom Lande.« – –

Die Schneeflöckchen aber waren geradewegs auf ein schönes Buch mit Goldschnitt gesunken, das vom Tisch auf die Erde gefallen war – auf dem stand mit großen bunten Lettern als Titel gedruckt: Weihnacht und unsere Vorfahren! Das sprach jetzt mit gewählten Worten: »Was Weihnachten ist, wünschen Sie zu wissen, meine Lieben? – Sehen Sie mich an.« Und dabei schlug es sich auf und begann zu lesen: »Schon zur Zeit Winfrieds, des hl. Bonifacius, des großen Heidenbekehrers, feierten unsere Altvordern, beseelt von einem dunklen Drange, der sie zur Verehrung eines unbestimmten Etwas antrieb, im Winter, unter Schnee und Eis, ein Fest.«

»Altes Buch, schweig' doch still! – Hüh! Hoh! Wollt Ihr wohl laufen, Ihr faulen Tierchen!« klang es da unter dem Tischdeckenzipfel hervor, und als die Schneeflöckchen, die sich große Mühe gaben, die weisen Worte des Buches zu verstehen, sich umschauten, kam pfeilgeschwind eine drollige kleine Equipage herangesaust, schnurgerade über das gelehrte Goldschnittbuch hinweg, das sich voller Entrüstung erhob und mit Würde von dannen wandelte. – In dem von sechs weißen Mäuschen gezogenen Wägelchen stand ein kleiner nackter Junge, mit Flügeln an den Schultern und einem Bogen in der Hand, und sang und jubelte in die Welt hinein. Der hat auf einer schönen Dose gesessen, in der allerlei bunte, glänzende Steine und Goldsachen blitzten, und als der alte Herr in der Uhr die Geisterstunde verkündete, da ist er heruntergesprungen und hat sein lustiges Wesen getrieben.

Ei, wie ihn die Rubinenaugen des Schlangenarmbandes anfunkelten, und so viel die Schlange auch nach ihm mit dem Goldzünglein gezischelt, – »ich bin die Schlangenkönigin,« sagte sie, »ich ringele mich um weiße Arme, weiße Nacken, ich ringele mich bis ins Herz hinein und bringe ihm den Schlangenzauber, dem niemand wiedersteht,« – es half ihr nichts: das kecke Bürschchen schlang sie sich um die kleine weiße Brust, und die Rubinenaugen funkelten ihm von der Schulter herunter.

»Pah!« lachte er, »mein Pfeilgift ist viel stärker als Deins, – Du kannst mir nichts anhaben.«

Nun setzte er sich in die große Walnußschale, die ihm der Nußknacker geschenkt hatte dafür, daß er der niedlichen Rokokodame einen Pfeil ins Sèvresherzchen geschossen.

Aber er hatte keine Pferde zum Vorspannen. Da war er auf den Weihnachtstisch spaziert, wo die heilige Krippe aufgebaut war, und hatte den hl. Joseph um das Oechslein und das Eselein gebeten, sein Wägelchen zu ziehen; aber der hl. Joseph hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen über solch ein Ansinnen, obgleich Mutter Maria mit dem Kindlein auf dem Schoß ihre Freude an dem kecken Gesellen gehabt hatte.

Da war er den hl. Drei Königen aus dem Morgenlande entgegengegangen, die gar bedächtig mit prächtigem Gefolge heranmarschiert kamen. »Majestät,« sagte das Gesellchen höflich, »dürfte ich vielleicht eines Ihrer Kamele für mein Wägelchen benutzen? – Sie haben ja deren so viele.«

Aber der schwarze Balthasar, der Mohrenkönig, fletschte ihm seine weißen Zähne entgegen, und Kaspar und Melchior hielten ihm das Weihrauchfaß mit Myrrhen unter die Nase, daß er niesen mußte – da sprang er davon und bat den Tannenbaum, und der schenkte ihm sechs kleine, weiße Zuckermäuse, die an seinen Zweigen hingen.

Nun hielt er mit seinem flinken Gespann vor den Schneeflöckchen und lachte: »Ach, was seid Ihr für herzige Dingerchen. – Gleich möchte ich mit meinem Goldpfeil durch Eure Schwanenpelzchen in die Herzchen hineinschießen. Kommt, steigt ein – wir fahren zum Weihnachtsball in die Puppenstube; da tanzen Sie gravitätisch und mit Anstand ein würdiges Menuett und sind brav und gesittet – aber Ihr sollt 'mal sehen, was ich da für einen Wirrwarr anrichte.«

Den Schnee-Engelchen gefiel zwar der kleine Bursche sehr gut, aber sie schüttelten doch die Köpfe, daß die Pelzkapuzchen hin und her wackelten.

»Ach nein,« sagten sie, »hier können wir nicht tanzen – hier ist es uns viel zu warm. Wir sind auch nur hereingekommen, um zu lernen, was wohl eigentlich Weihnacht ist.«

Da setzte sich das Gesellchen auf den Rand seiner Nußschale, schlug ein Bein über das andere und legte simulierend den Finger an das kecke Näschen:

»Ja, sehen Sie, meine kleinen Engelchen – das ist eine kuriose Geschichte. Da unter dem Weihnachtsbaum liegt ein kleines, nacktes Kindchen in einer Krippe, dessen Geburtstag feiern sie, und sie sagen, er sei der Gott der Liebe. – Nun aber hat mir mein heidnischer Vater im Olymp – ich bin nämlich ein Heide, mein Name ist Amor – immer gesagt, ich wäre der Gott der Liebe, und ich wäre, trotz meiner Jugend, so alt wie der Olymp und die Welt und das große, große Meer selber. – Da muß also irgendwo eine Verwechselung sein. – Ich schlage vor, wir feiern das ganze Jahr Weihnacht und halten mein Schwesterchen Freude, wenn sie davon fliegen will, am Gewandzipfel fest. – Ich kehre mich so wie so nicht viel an die Jahreszeiten – meine Pfeile fliegen das ganze Jahr durch, und die Küsse sind immer am süßesten, wenn sie geküßt werden.« – Und dabei breitete der kleine Schlingel die Arme aus und wollte die hübschen Flöckchen küssen; die aber faßten sich an die Hände und flogen ihm davon, geradeswegs auf die Tanne zu und klammerten sich an ihre Zweige fest und schaukelten sich und sangen:

Von den Bergen, wo der Wind,
Wo die Tannenschwestern sind,
Sind wir hergeflogen,
Sind wir hergezogen –

Sag' uns, was ist Weihnacht?

Da ging ein Leben durch die Zweige der Tanne, all' das Rauschegold, mit dem sie geschmückt, knisterte und raschelte, die Krystallkugeln klirrten – stärker denn je dufteten die Tannennadeln, und horch! mit dem Tannenduft ziehen Sehnsuchtslaute durch den Saal:

»Ach, meine Flöckchen, wohl bin ich geschmückt, wohl trage ich eine Krone, wohl habe ich geflammt in vieler Kerzen Schein – für die Weihnacht. – Aber gebt mir die Wintersonnenwende wieder, laßt mich umbrausen, umtosen vom Wind, laßt den ersten Sonnenstrahl mich umschmeicheln und mir ins Herz hineinlachen. – Nehmt mir Alles dafür hin!

Was die Weihnacht ist?

Kummer und Trübsal, und Haß und Neid und Mißgunst, und Heuchelei und Geldstolz – das ist Weihnacht unter den Menschen; und zum Hohn nennen sie's das Fest der Liebe! Schneeflöckchen, wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu Thal. Und eines doch: Wenn das Kinderauge uns anlacht – wenn wir in seinem reinen Glanz uns spiegeln, wenn die Kinderärmchen sich nach uns ausstrecken, die Kinderstimme uns anjauchzt –«

Da öffnete sich leise, leise die Thür, und auf der Schwelle stand ein Kindchen und blickte verschlafen um sich und strich sich die blonden Härchen aus dem heißen Gesicht. – Nicht schlafen konnte das Kind vor Freude über Weihnacht, und es hatte ein Geraune und Geflüster gehört neben dran und war aufgestanden, ganz leise, daß es die Eltern nicht gestört, und schlich mit den bloßen Füßchen über den Teppich hin, und stand mitten unter dem lustigen Volk. –

Aber da schnarrte die Uhr und das alte Männchen kam wieder herausspaziert und sagte mit dumpfer Stimme: Eins! und nun war alles wieder still und stumm und leblos, wie es vorher gewesen. Nur die Schnee-Engelchen konnten nicht so schnell zum Fenster hinfliegen – da erblickte sie das Kind: »Das sind die Engelein vom Himmel,« jauchzte es, »Tanne, die hast du mir mitgebracht!«

Und mit beiden Armen griff es nach den Flöckchen und preßte sie an sich und drückte und herzte sie – ach – und da vergingen sie ihm unter den Händen, und das Kind betrachtete verwundert seine leeren feuchten Aermchen – da schlich es betrübt in sein kleines Bett und weinte, weinte bitterlich.

Aber die Tannennadeln, die sich in seinem Kraushaar gefangen hatten beim Spielen, die neigten sich an des Kindes Ohr und erzählten ihm vom Tannenwald und dem Wind und der Schneeflöckchen-Reise, das ganze Märlein, da schliefs Kindchen ein.

Und wann es aufgewacht ist, und wieder und wieder aufgewacht, und größer und älter geworden, wann die Wintersonnenwende ihm gekommen ist, da zieht ihm, dem großen Kind, zu Weihnacht mit dem Tannenduft immer wieder das Märchen durch die Seele – das Märchen von den Schneeflocken, die ausgezogen, die Liebe zu suchen, und an der Liebe gestorben sind.

Das Märchen von der weißen Stadt.

Es lag ein Mensch zu sterben. Der hatte all seine Gedanken, all seinen Willen hergegeben, die eine große That seines Lebens zu vollenden. Aber der Griffel entsank seiner Hand, und die Seele entfloh dem Leibe. Es hatte dieser Mensch die Fluten sehr geliebt. Er konnte stundenlang am Ufer des Sees sitzen und die blauen Wasser betrachten, wie sie kamen und gingen, immerzu, immerzu; und aus den Wassern sahen ihn seine Gedanken an. Als seine Seele nun ohne Körper umherirrte, da kamen die Luftgeister und trugen die Menschenseele hin über den See. Aus ihren wehenden, silbergrauen Gewändern troff es wie Nebel zum Wasser nieder, und ein leiser Wind bewegte die Fluten, daß sie sich kräuselten. Oben auf den Wogenkämmen schaukelten die weißen Leiber der Seejungfrauen; sie streckten die Arme aus nach der Seele des Menschen und zogen sie hinab in die weichen, wiegenden, schmeichelnden Gewässer. – Drunten in der Tiefe saß der Seekönig und hielt Hof. Er war ein kleiner Mann mit starken Armen und langem, weißem Bart. Auf dem weißen Haupte trug er eine Krone von hellroten Korallen; die hatte ihm sein Vetter, der Meerkaiser, geschickt, aus Anerkennung, weil der kleine Seekönig manchmal seine Gewässer mit den starken Armen so aufrührt, daß viele Schiffe und Menschen umkommen müssen, gerade wie auf dem Meere. Denn die Meerleute mögen es gern, wenn Menschenkinder zu ihnen hinuntersteigen müssen. Sie stellen die weißen Körper in ihren wundersamen Meergärten auf, wie wir die Marmorstatuen. Die Menschen können nicht leben bei ihnen; nur wenn einer die Fluten sehr geliebt hat, dessen Seele gleitet des Nachts in den Wellen als weißer Schaum. Kommt ihn aber die Sehnsucht an, den Tag zu sehen, und es berührt ihn die Sonne, in deren Licht er geatmet, dann muß er für immer zur Leiche werden. –

Der kleine Seekönig hielt also Hof. Sechs große Räte mit wunderlichen Fischgesichtern saßen im Kreise um ein großes Blatt Papier, das ganz bunt vor lauter Strichelchen und Pünktchen aussah; vier dicke Büffelfische trugen es auf ihren Rücken, sie hielten es fischchenstill; nur zuweilen zuckte einer mit dem beweglichen Schwanz oder pustete die Kiefern auf und zu, als ob er Wasser rauche; und dann zupfte ihn der Herr Rat mit dem Karauschengesicht mahnend an den Flossen, worauf er gehorsam still hielt. Die Menschenseele, die als zarter, weißer Schaum auf der Schulter der Seejungfrau lag, sah neugierig das weiße Papier an; es kam ihr so bekannt vor. Das hatte sie schon gesehen, als sie noch Mensch war. Es war ihr, als müsse sie eine Hand danach ausstrecken. – »Still!« flüsterte die Seejungfrau, »gleich wirst du hören.« – Und dann sagte der Seekönig:

»Die Menschen da oben auf der Erde machen uns alles nach. Gerade wie wir zuweilen Besuch bekommen von den Bewohnern anderer Seen und Meere, die dann allerlei Kostbarkeiten mitbringen, um sie uns zu zeigen, so macht es das Volk da oben auch. Nur sind sie sehr arm. Während wir alle die fremden Seltenheiten und unsere eigenen dazu, einfach in unserem ewigen Krystallpalast aufstellen, müssen die sich erst Häuser dazu bauen. Und das Bauen – welche Umständlichkeit! Erst kommt einer und denkt sichs aus und zeichnet es auf, und dann geht es an viele Leute, die alle etwas zu mäkeln und zu ändern haben. Schließlich soll es dann wirklich gebaut werden, aber wie lange das alles dauert, dazu habe ich nicht Zeit genug, das zu erzählen. Seht, da hat auch so ein armer Mensch mit kurzem Gedächtnis seine Gedanken auf das Papier geschrieben; ein guter Mensch, der uns sehr geliebt hat. Denn er hat gesagt: »Wenn ich meinen See nicht hätte! Der muß das Beste thun.« Und dann hat er unsere Fluten überall eindringen lassen in seine Pläne, damit wir seine Paläste wie mit Silberarmen umschlingen und ihre Schönheit wiederspiegeln. – Dann ist er gestorben. – Und jetzt werden andere kommen und seine Pläne zunichte machen und uns vielleicht einengen und tyrannisieren. Wollen wir das dulden? Nein!« rief der Seekönig und hob die starken Arme, daß oben die Wellen klatschend gegen das Ufer schlugen. Und die Räte schüttelten heftig ihre Fischköpfe. Die Seejungfrau lächelte der horchenden Menschenseele zu. –

»Kommt herbei, ihr Seevolk, und hört, was ich euch sagen werde,« fuhr der Seekönig fort: »Die Luftgeister, unsere Freunde, haben dieses Papier, das der tote Mensch mit seinen Gedanken beschrieben und dem Großen Rat da oben auf der Erde vorgelegt hat, aus seinen Händen weg und zu uns herabgeweht. Schwimmt, ihr Fische, bis ans Meer, lasset die im Meere es weitertragen zu den Geistern der Völker an der andern Seite des großen Wassers, wie das Seevolk der Menschenseele Werk erfüllen will.« – Da schlugen die vier Büffelfische mit dem Schwanz unter das Papier, daß es auf in die Wellen flog; die fischköpfigen Räte griffen entsetzt danach: »Erst sehen, sehen!« Aber der kleine Seekönig lachte, daß es ein Seebeben gab, und zerriß das Papier in tausend Fetzen: »Wir sehen nicht – wir bauen!« sagte er.

»Siehst du?« lächelte die Seejungfrau und neigte ihr Antlitz der Menschenseele zu, »jetzt werden deine Gedanken, die du ins Wasser hineingeträumt hast, doch wirklich. Ich habe dich oft gesehen, habe vor dir geschaukelt, wenn du dachtest, es seien die weißen Wellenkämme. Ich hätte dich mir geholt – ach so gern! Jetzt bist du bei mir. Die Menschen denken, sie haben dich begraben; aber ich halte dich in meinen Armen – ewig. Du darfst nicht hinaufschwimmen und dein Werk beschauen, nicht so lange die Sonne scheint. Dann würdest du zur Leiche. Ich will nicht, daß dich die Schwestern in ihre Gärten stellen. Ich will dich behalten – für mich.« – Dann glitt sie zum Seekönig hin und schmeichelte: »Väterchen, mach' es recht schön!« – Er aber streichelte ihr langes Haar, das glänzte wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser, und sagte ernsthaft: »Du darfst die Menschenseele hüten, daß sie uns nicht entflieht; denn nur durch sie können wir das Große vollenden.«

Nun beginnt die Arbeit. Ei, wie flink die Fischlein dabei sind, das blaue Wasser zu kommandieren, daß es in langen, glänzenden Streifen zwischen grünen Inseln sich durchzwängt, alles Land verschlingend, das ihm im Wege ist, daß es unter wölbende Brücken sich duckt und schmeichelnd zu Füßen schlanker Säulenhallen sich schmiegt. Und die Nixen kommen und spielen mit den Fluten, daß sie in glitzernden, schillernden Farben zu den Luftgeistern emporsprühen. Wie geschickt die Gnomen und Kobolde Stein auf Stein, Bogen an Bogen zu fügen wissen, daß es sich erhebt aus der Tiefe des Sees – eine weiße, wundersame Wunschstadt. Da tauchen Türme auf mit seltsam zackigen Verzierungen; ein kleiner Nix sitzt darauf und lehrt sie allerlei alte Weisen mit seiner Glockenstimme, und nun singen die Türme sie weiter. Hier schwimmt eine schneeweiße Rotunde mit lauter kleinen Fensterchen rundum; und die Fische leiten das klare Wasser hinein und tummeln sich darin. Und still und groß und schön wächst es und wächst es, schier in die Ewigkeit hinein. – In einer großen Muschel, davor sechs buntscheckige Forellen geschirrt sind, durchzieht der Seekönig die Wasserkanäle, mit scharfen Augen Umschau haltend. Hier zwickt er ein paar faulen Weißfischen aufmunternd die platten Schwänzchen; dort schilt er zwei streitlustige Hechte, die beide denselben Riesenpalast errichten wollen und ihn dabei unsanft hinfallen lassen. Ein energisches Nixlein ruft er herbei als Oberaufseher, und das lenkt mit seinen weißen Fäustchen die störrischen Gesellen wie ein paar gutmütige Oechslein. – – Als aber der Seekönig sieht, wie alles gut ist, taucht er unter in seine Schatzkammer, füllt seine Muschel mit Gold, so viel sie tragen kann, schüttet es am Ufer aus und befiehlt: »Da – krönt das Ganze damit! daß die Kuppel weithin leuchte wie eine Sonne!«

In der Tiefe des Sees ruht die Seejungfrau, regungslos, daß sie die zarten Fäden nicht zerreiße, die von dem weißen Schaum an ihrer schönen Brust aufsteigen zu dem Werk da oben. Und die Menschenseele harret der Vollendung.

Da wallt ein Zug daher über das Wasser. Nebelschleier spinnen ihn ein, daß er wie eine Wolke über dem See schwebt, und er zieht eine Bahn, silbern wie der Mond auf dem Wasser liegt. Schweigend klimmt er das Ufer hinan, wo droben der Seekönig seiner harrt, und über ihm schwebt die goldene Kuppel wie eine große Krone. – Nachts, wenn die Menschen schlafen, ergeht sich das Wasservolk oftmals am Ufer und pflegt Zwiesprache mit Mond und Sternen. – Voran im Zuge schreiten Patres mit fahlen Gesichtern in schwarzer, spanischer Mönchstracht. Sie tragen gewaltige Lasten auf ihren Schultern: Türme und Türmchen, spitze und runde, Mauern so dick wie Gefängnismauern mit tiefen Kreuzgängen und schweren Wölbungen. Sie keuchen unter ihrer Last; ein lustiges, weißes Elfengesindel kommt neckisch gesprungen und weist ihnen den Weg unter hohen Bäumen, und hilft ihnen, das wunderliche Ding, das einem spanischen Kloster ähnelt, von den gebeugten Rücken abzuladen. Da richten sich die schwarzen Geister der Patres zufrieden auf, und sie bauen mit dem geschmeidigen Nixenvolk, dessen Listen sie wohl gewachsen sind, vergnügt weiter.

Eine mächtige Gestalt schreitet auf dem Wasser; ein Gewand von Gold umstarrt sie; sie trägt einen goldenen Helm; golden leuchtet ihr strenges Antlitz daraus hervor. Siegesgewiß, siegesbewußt geht sie mit großen Schritten an dem Seekönig vorüber, ihm herablassend huldvoll zuwinkend. Der lächelt fein ihr nach, wie sie sich gravitätisch aufpflanzt inmitten all des Schönen – ein wenig zimperlich, ein wenig ungelenk. »Laßt sie nur dastehen,« nickt er, »man wird schon sehen, daß es nicht unsere wirkliche Athene ist – nur eine große, große, goldene, emancipierte Alte-Kunst-Jungfer.« – Und dann streckt er freudig seine Hände den schlanken Gestalten entgegen, die aus dem Nebel sich loslösen, einherwallen in faltigen Gewändern, die sich feucht um die herrlichen Glieder schmiegen; und sie tragen auf den stolzen Häuptern die weißen, strahlenden, wundervollen Trümmer der Heimat. »Du Land der Sehnsucht!« flüstert der Seekönig. Sie lächeln ihm zu mit den schönen, traurigen Gesichtern. Sie pflanzen Säulen in die Erde, rein und schön, wie sie selber, sie breiten die Hände aus, und eine erhabene Harmonie lagert sich über der Wunschstadt. Sie erheben die kraftvollen Arme und sprechen: »Du lässest uns, o Vater Zeus, die Schönheit schauen, nicht zertrümmert, nicht zerschlagen, nein, in ihrer ganzen siegenden Gewalt.« – Und demütig neigen die Karyatiden die stolzen Häupter unter der Last der Schönheit, die sie tragen.

Wunderlich Volk zieht im Zuge einher, der übers Wasser wallt. Ein kleiner, nackter Bub, der nur einen Frack und Cylinderhut trägt für seine Blöße, bietet zierlich einer Rokokodame den Arm, die gar stattlich in Hackenschuhen und Reifrock mit einer Trikolore auf dem hochfrisierten Köpfchen einherstolziert: »Wir sind barock, nicht wahr?« nickte der kleine Schelm dem alten Seekönig zu. – »Wir, Puck Amor und Dame la France!« – In einem muschelförmigen Wagen, schimmernd von Gold und Edelgestein, kommt ein ernsthafter Mann. Er hat ein braunes Gesicht, aus dem seltsam überirdische Augen schauen, trägt nur einen schlichten, weißen Kaftan um die Hüften gegürtet, und doch neigt Seekönig sich tief vor ihm, und eine zarte, braune Elfe, schön wie des Gottes Bajadere, geheimnisvoll wie die Wunder Indiens, gleitet vor ihm her, ihm seinen Wohnort zeigend. –

Und so kommen sie alle, die Geister der Völker, die der Seekönig entboten hat. Plumpe nordische Burschen tragen Paläste von plumper Pracht. Ernsthafte, blondköpfige Gesellen bringen ein seltsam Häuschen mit spitzragendem Turm, mit schönen Gewölben, durch deren bunte Glasfenster es lieblich leuchtet, wie eine Geistessonne. Zierliche, dunkeläugige Mädchen kommen im Tanz geflogen: ihre Gewänder flattern im Wind, sie streuen Rosen aus, duftende Rosen der Anmut. – Seltsame Fahrzeuge gleiten im Nebel im Geisterzug. Unbeholfen, schwankend die einen. Schwarze, düsterblickende Gesellen stehen darin und blicken drohend hinüber zu dem schlanken Schiffchen, das, seinen Drachenkopf vorgestreckt, wie ein Renner durch die Fluten schießt, pfeilgeschwind, die andern weit hinter sich lassend. Wie nur das Schifflein die Hünengestalten seiner Mannschaft, die mit sehnigen Armen die Ruder führen, birgt in dem schlanken Rumpf?! Hoch richten sich die Gestalten auf, sie wachsen und wachsen, daß ihre Leiber dunkle Schatten werfen weithin über den See. Und sieh' nur – wie die geisterhaften Schwarzen in den schweren Kreuzesschiffen zum Himmel hinaufragen, fanatisch glühen ihre Augen durch den Nebel – der beginnt wunderlich zu leben, wogt und zerrt her und hin, bis er die Riesengestalten verschlungen hat. Dann gleiten Karavelen und Vikinger in glatte Buchten, gezogen von muntern Fischlein, gesteuert von weißarmigen Wassernixen.

Da bebt der See. Hoch sprühen die Wasser auf. In den schäumenden, singenden Strudel steigt der Seekönig hinab in sein Reich, gefolgt von seinem fleißigen Volke. Drunten in der Tiefe ruht die Menschenseele. »Wann wird es vollendet sein?« fragt sie sehnsüchtig. »Es ist vollendet,« sagt der Seekönig. »Sobald der erste Sonnenstrahl die goldene Kuppel trifft, wird es den Augen der Menschen sichtbar sein.« »Und sichtbar bleiben? Immer?« fragt die Menschenseele. »Nur eine kurze Spanne Zeit hat das Wasservolk Macht über die Erde. Nur bis die Sonne in die Fluten sinkt und die Zauberwelt, die wir gebaut haben, mit sich hinabreißt. Aber wenn dein Seelenauge dein Werk erschaut, ehe die Sonne die goldene Krone bestrahlt hat – dann wird es ewig sein. Dann aber wirst du sterben und dein Name wird vergessen werden unter den Menschen.« – Die Menschenseele lächelte. Eng schmiegte sie sich an die atmende Brust der Seejungfrau.

Droben, von der verschlafenen Erde, erhob sich die Nacht und zog ihre schwarzen Schleier schleppend hinter sich her, über den Himmel. Da ward es Licht auf der Erde. – Es war aber alles noch den Augen der Menschen verborgen; denn die Menschen sind ein blödsichtig Geschlecht, und sie sehen nur, was ihre Augen ihnen zeigen. Aber die Tiere öffneten ihre klugen Augen. Die Vöglein in der Luft flatterten hin über die Wunschstadt, setzten sich neugierig auf die zackigen Türme und zwitscherten hernieder von den Stangen der bunten Fahnen. Die klugen kleinen Enten schwammen in den Wasserkanälen und erzählten schnatternd von dem Schloß der Wasserfrauen, das sich zur Nacht aus Busch und Schilf erhoben hatte. – Verwundert blickte der Ackersmann, der mit seinem Gaul dahergeschritten kam, Furche auf Furche durch die wilde Erde zu ziehen, zu den Vöglein auf: wie konnten sie nur mit geschlossenen Flügeln in der Luft schweben, als ob sie auf Bäumen säßen? – Und die zwei Reiter, die dort hintereinander über die Prärie jagten, sahen die Entlein auf dem hohen Präriegras schwimmen wie im Wasser. Aber sie haben nicht Zeit, sich lange zu verwundern – da – der gelbe Rücken des Puma taucht auf, den sie gejagt – der Schuß kracht aus der Büchse des Trappers – der Pfeil schnellt von dem Bogen des roten Mannes: gilt er dem König seines eigenen Landes? gilt er dem weißen Fremdling da vor ihm? – Hoch richtet er sich im Sattel auf, daß die Adlerfedern in seinem schwarzen Schopfe nicken. Was ist das? – da – glitt nicht der Puma hinab in blaues, kräuselndes Wasser? Was ringt sich los aus den Nebeln? Das Roß des Trappers bäumt sich, geblendet schützt der Indianer die Augen mit der Hand, und späht und späht. – Still lehnt der Ackersmann an seinem Gaul, sein Blick sucht die Erde, seine Erde, die er bebauen muß. Und sie schauen, wie es herauswächst aus dem Morgengrauen, weiß und still; wie es emporstrebt zum Himmel, eine wundersame, andere Welt, die sie mit erhabenen Augen anschaut, sie mit weißen Armen umfängt, sich wie weiße, stille, reine Gedanken in ihre Seele senkt. Wie sie stehen und schauen, umweht es sie lind und kühl – ein Hauch der Ewigkeit.

Ein klein lustig Elflein aber zerrt den Puma, der verdutzt da kauert in der Wunderwelt, an den Ohren zu einem Marmorsockel hin. »Da lieg', du Wilder!« lacht es, und der Tiere König läßt willig sich in die Fesseln der Schönheit schlagen. –

Horch! Es geht ein Brausen durch die Lüfte, ein Singen, Klingen, lieblich Geläute: aus dem Morgengrauen erhebt sich der junge Tag, und sein leuchtendes Auge weilt liebend auf dem weißen Wunder.

Auf den blauen Fluten des Sees trieb ein zarter weißer Schaum. Ein Sonnenstrahl irrte zu ihm hin und küßte ihn bebend. Da ward er zur Leiche. Die Menschenseele war aufgestiegen aus den geliebten Wassern, um zu sterben. Der See bebt, als sei er in seinen Tiefen erschüttert. In den sprühenden Wogen aber taucht die Seejungfrau auf, an deren weißer Brust des Toten Seele geruht hat. Ihr goldenes Haar glitzert auf den Fluten. Klagend schlingt sie die weißen Arme um ihn, sein schönes, bleiches Antlitz über Wasser haltend. So gleiten sie dahin über die murmelnde, singende Fläche – weit, weit hin, den weißen Tempeln zu. Und das Licht, das die Seele getötet, liegt liebkosend auf der stolzen Stirn. – – –

Es kamen die Menschen und nahmen Besitz von der Wunschstadt in der neuen Welt.

Welt-Ausstellung im Walde.

Draußen im Wald flüstern die bunten Bäume miteinander und streuen gelbe und rote Blätter auf die braun sich färbende Erde, wie der Frühling Rosen streut; der Herbstwind rauscht und raunt in den Zweigen, und eine milde Herbstsonne glüht auf die Weinblätter am Eichenstamm, daß sie tiefrot schimmern, wie lauter Blutstropfen.

Am träge über Kiesel und trockene Aeste dahin murmelnden Bächlein nickt ein grüner Zweig – da leuchtet etwas Blaues auf, dann tönt ein Lockruf, sanft, zärtlich, dringend – jetzt die Antwort – noch etwas Blaues – – Zwei Vöglein sind's: blaue Flügel schwirren durch die Luft, und zartgrau glänzt der Leib.

»Was nur heute los ist!« sagte der eine Blauvogel zum andern, »keine Fliege, kein Käferchen läßt sich sehen, alle ziehen dort hinein in's Tannendickicht, und selbst die Mücken machen ganz ernsthafte Gesichter!«

»Guten Abend, guten Abend, meine Herrschaften,« schnarrt es über ihnen. Da hängt am Baumstamm ein goldgelbes Vögelchen. Zu welcher Klasse es gehört, das weiß ich nicht (schlagt einmal in Nehrling's amerikanischem Vogelbuch nach), aber es hämmert in die harte Baumrinde, daß es durch den ganzen Wald schallt, und so wollen wir es kühn »Gelbspecht« titulieren.

»Ja, ja, Sie haben Recht, es muß etwas im Walde sein bei dem kleinen Getier,« sagt der Specht, »ich habe schon dieselben Beobachtungen gemacht. Aber sehen Sie einmal da – die Spinne!« An einem trockenen Zweiglein hängt eine große Spinne, eifrig beschäftigt, silberglänzende Fäden zu einem kunstvollen Netz zu verweben.

»Was machen Sie denn da, Verehrteste?« fragt der Specht, als der Zudringlichste; denn die Blauvögelein haben etwas Schüchternes, sie mischen sich nicht gern in anderer Leute Angelegenheiten und sind nicht weltgewandt wie der Herr Gelbspecht.

»Ich spinne,« sagt die Spinne ernsthaft.

»Ja, das sehen wir,« entgegnete der Specht, »aber, meine Gnädigste, was spinnen Sie?«

»Ein Netz,« sagt die Spinne.

Die Blauvögel stoßen ein leises, glucksendes Lachen aus, und der Specht hämmert entrüstet gegen den Baum.

Jetzt schlingt die Spinne einen letzten Knoten und krabbelt langbeinig davon: »Es muß fertig werden zur Ausstellung, die wird heute Abend eröffnet,« ruft sie zurück.

»Ausstellung?« fragen die poetisch-unwissenden Blauvögel und schlagen verwundert mit den Flügeln. »Von was? Wozu? Davon haben wir noch nie etwas gehört.«

»Ja, das glaube ich,« lächelt der Specht mitleidig, »Ihr schwebt ja immer in den Lüften und schwärmt für Sonnenuntergänge, düstere Waldpartien mit Lichteffekten und dergleichen Humbug. Ich weiß wohl, das Getier da unten auf der Erde hält eine Weltausstellung –«

»O, da laßt uns hingehen,« jubeln die Blauvögel. »Aber wo ist sie denn?«

In der Nähe erhebt sich plötzlich ein nimmer endenwollendes Geschrei, Gekrächze, Gejohle –

Der Specht wiegt überlegend sein gelbes Köpfchen: »Wißt Ihr was? Wir wollen die Schwarzvögel fragen – die wissen alles! Hört, wie sie reden und schnattern? Die haben wieder Kaffeegesellschaft oder Loge oder Gesangverein – die ganze Eiche dort ist ja schwarz von lauter Staarherren und Damen, und wenn ihre Sitzungen vorüber sind, wissen sie alles, was im ganzen Walde passiert ist: wie viele Kinder die Madame Maus das letzte Mal zur Welt gebracht hat, und wie es auf dem Grashüpferball hergegangen ist, daß sie im Eichhörnchenturnverein sich fast geprügelt haben bei der Sprecherwahl und daß der Gesangverein der Locusts sich geeinigt – –«

»Gibt's nicht, gibt's nicht! Nee, so blau,« piepst ein unverschämter Spatz und fliegt dem Specht dicht vor dem Schnabel her in den nächsten Baum.

Der aber beachtet den naseweisen Gesellen gar nicht und spricht ruhig weiter.

»Ach, hören Sie auf, bitte, Herr Specht,« rufen die Blauvögel, »das ist ja wie ein ›Eingesandt‹ in der Zeitung!«

»Aber Kaffernreligion,« lacht der Specht.

»Seht, da kommt Ihr Bruder – »Ober-Edel-Erz« angeflogen! Halt, den wollen wir uns kaufen!«

»Oh, Herr Staar, wollen Sie nicht die Güte haben, sich hier ein wenig auf diesen bequemen Baum zu bemühen?«

»Man muß immer höflich sein mit den Leuten, wenn man etwas von ihnen will,« flüstert der Schlaue den simplen Blauvögelchen zu, die vor Erstaunen den Schnabel aufsperren.

Der Staar krächzt freundlich der Bitte Gewährung, läßt sich auf einem Ast etwas erhöht über den andern Vögeln nieder, wirft den Kopf in den Nacken und dreht und wendet sich, daß seine roten und gelben Logenabzeichen auf den Schultern in der Sonne schillern. Nachdem die Vorstellung glücklich vorübergegangen ist, bei der der Herr Staar herablassend den spitzen Schnabel gesenkt und die Blauvögelchen verlegen die niedlichen Köpfchen geduckt haben, erkundigt sich der Gelbspecht in den gewähltesten Ausdrücken nach der internationalen Ausstellung.

»Jawohl, jawohl,« entgegnete Herr Staar würdevoll, »heute Abend ist Eröffnung. Es soll ja etwas Großartiges werden.

Sehen Sie, meine verehrten Zuhörer, es geht ein neuer Zug durch den ganzen, alten Schlendrian, namentlich was Kunst anbelangt. Ich bin ein weitgereister Mann, ich höre und sehe mancherlei. Ein krankhaftes Verlangen nach etwas Neuem, Sensationellem, ein Hunger nach Aufregung, nach Vernichtung des Alten, Hergebrachten, zieht durch die ganze Welt. Und wenn sie auch auf Abwege geraten, in Irrtümer verfallen, das Falsche dem Wahren vorziehen – es ist doch alles nur der durch Jahrtausende immer wiederkehrende und immer bleibende, große, unersättliche Durst nach – Freiheit, der Angstschrei der Völker, der zum stillen, hohen Himmel dringt. Und das macht sich auch in der Kunst bemerkbar – – ob zu ihrem Nutzen und Frommen? Und in der Musik, ja, in der Musik –« hier räuspert sich der Staar und blickt gen Himmel – »ja, auch in der Musik gellt und dröhnt und paukt und trompetet jener Freiheitsschrei in die Lüfte, die Ohren der Zuhörer mächtig mit sich fortreißend. – Nein, das geht ja nicht. Ich – ich – ich lasse mich immer so von meinen Gefühlen überwältigen, meine Lieben – und« – Ja, da bleibt der gebildete Staar stecken. Mit Gesichtern voll Ehrfurcht und inniger Verständnislosigkeit haben unsere Blauvögel die lange Rede angehört, während der Gelbspecht mit philosophischer Gelassenheit äußert: »Das mag alles recht schön und ersprießlich sein, verehrter Redner, aber so lange wie es genug Mücken und Fliegen in der Luft gibt und wie ich nach Herzenslust an den Bäumen herumhämmern kann, ist mir die ganze Wirtschaft furchtbar egal und um den allgemeinen Freiheitsdrang kümmere sich der Kuckuck!

Vorläufig wollen wir aber einmal diese merkwürdige Ausstellung ansehen, wenn Sie, verehrter Herr Staar, uns gütigst führen wollen.«

»Ja, ja,« rufen die Blauvögel und schlagen mit den Flügeln, und

»Hier hinein, ins Tannendickicht, liebe Leute,« belehrt sie der Staar. Und dann fliegen alle vier davon. Der Zweig über'm Bächlein nickt gedankenverloren auf und ab, und das Bächlein murmelt und kichert dazu.

Drinnen im Tannendickicht herrscht schon reges Leben, die Ausstellung scheint im vollen Gange zu sein. Ein geschniegeltes Mäuseherrchen, den Schnurrbart gewichst, die Oehrlein gespitzt, steht am Eingang als Portier. Der Eintritt ist frei – wie nach Bellamy im Jahre 2000 bei den Menschen, gibt es im Tierstaate kein Geld – und unsere vier Vögel flattern in das Dickicht.

»Ah, guten Tag, Herr Mäuserich,« sagt der Staar, der alle Welt zu kennen scheint, »was macht die Frau Gemahlin? Hat sie sich vom letzten Wochenbett erholt?«

»Schönen Dank, bester Herr Staar,« entgegnete der glückliche Mäusepapa, »alle zwölf wohlauf, aber es ist 'ne Last, die lieben Kinderchen großzuziehen.«

»Können Sie denn das nicht per Elektricität besorgen lassen? Heutzutage sollte doch alles möglich sein – Eier ausbrüten – Kleinigkeit! Warum nicht auch Kinderfüttern, Kinderprügeln, Kinderkriegen etc.?« Mittlerweile hüpften sie weiter durch die verschlungenen Wege des Tannendickichts. Zwar sind die Plätze einiger Nachzügler noch unbesetzt, Vieles ist nicht ganz vollendet, wie ein halbfertiger Maulwurfshaufen z. B., ein Sprungbrett, eine angefangene Wendeltreppe für Eichhörnchen, ein prachtvoller Bau mit geheimnisvollen, unterirdischen Gängen, in welchen Kaninchen noch eifrig beschäftigt sind, zu graben, und dergl. mehr, aber im Ganzen scheint die Sache recht gelungen zu sein.

Zwei wohlgenährte, etwas verschwiemelt aussehende Ratten, kleine Knüppel in der Hand, Mützchen von im Wald gefundenem blauem Butterbrotspapier über den dicken Nasen, eine weiße Sternblume auf der Brust befestigt, marschieren würdevoll und bedächtig als heilige Wächter der Ordnung oder Wächter der heiligen Ordnung umher. Und es ist auch nötig: das schwirrt und summt und brummt durcheinander, und hüpft und tanzt und zirpt, daß es wahrhaftig einer energischen Rattenpolizei bedarf, um das leichtfüßige Gesindel in Ordnung zu halten. Doch vor unserer Vogelgesellschaft bezeigen die Tierlein großen Respekt; sie halten sich in gewisser Entfernung und verneigen sich achtungsvoll, sobald ein Blick aus Vogelaugen auf sie fällt. Nur ein großer Hirschkäfer mit stattlichem Geweih nähert sich mit höflich-gemessener Verbeugung und bietet sich den hohen Herrschaften als Führer an, was mit Dank angenommen wird.

»Sehen Sie, meine Hochverehrten, hier unser Kunstdepartement. Alles neu, noch nie dagewesen. Sehen Sie, dies Spinnengewebe« – die langbeinige Spinne, die es vorhin so eilig hatte, steht daneben und begrüßt sie mit einem Auskratzen ihrer langen Spinnenbeine – »wie fein, wie zart, geschickt die Fäden verknüpft! Und die fette, zappelnde Fliege darin, jeden Tag wird eine frische gefangen und hineingesetzt – das nenne ich Naturalismus.

»Schrecken der Hinterlist« ist es betitelt.

Hier die noch lebende, schwer am Licht verbrannte Motte – »Schrecken der Aufklärungssucht«.

Jener Schmetterling, dem eine rauhe Menschenhand den Duft von den zarten Flügeln gewischt, nun kann er nicht mehr fliegen – »Schrecken des Freiheitsdranges«. Ach, und noch so vieles Traurig-Schauderhaft-Schöne! Sehen Sie, die von Ameisen abgenagte Drosselleiche« – die Vögel schütteln sich und machen unangenehme Gesichter – »und der glänzend reine Katzenschädel« – die Vögel nicken befriedigt mit den Köpfen, und der Gelbspecht macht eine Bewegung, als wolle er die leeren Augenhöhlen auspicken – »wirklich eine recht sinnige Zusammenstellung.

Bitte, blicken Sie hierher – lauter Raritäten – da, das so natürliche Loch in der Erde, hier eine kleine Blätterhütte, ein Einsiedler-Heimchen wohnt darin und zirpt bescheiden für sich allein, dort jene sorgfältig getrockneten Heuschreckenleichen, eine Reminiscenz aus dem großen Heuschrecken-Grashüpferkrieg. – Und hier, bitte, sehen Sie einmal durch dies Loch im Tannendickicht – nicht wahr, ein reizendes Panorama: im Hintergrund die Wolken als Schneeberge, davor ein einsamer, schwebender Rabe – großartig, nicht wahr?«

»Aeußerst großartig,« meint der Specht, »aber was stellt es vor?«

»Es ist auch ein Kriegsbild: Eine vergessene Heuschreckenleiche!« (Frei nach Wereschagin.)

Die Vögel sehen sich erstaunt unter einander an, suchen die Leiche und erklären, nun einmal etwas Anderes sehen zu wollen. Das gibt es ja auch in Hülle und Fülle für jede Geschmacksrichtung. Hier, ein Eiffelturm aus Eicheln, ein Eichhörnchen sitzt oben drauf, zeigt auf Kommando sein buschiges Schwänzchen und knackt Nüsse zur allgemeinen Belustigung, dazu marschieren allerliebste kleine Nagetierchen kauend durch die Zuschauermenge und bieten goldgelben Harz-Chewing-Gum als Erfrischung an. Da ist eine Grotte aus kleinen Tropfsteinen und Tannenzapfen, geheimnisvolles Dämmerlicht; einige Glühlichtwürmchen leuchten dazu, auf grauen, trockenen Blättern und Gräsern sind vorgestrige Regentropfen gesammelt, die schimmern wie Wasserfluten, und ein schlankes Grillenfräulein, die Grillenbeine mit Schleiern aus glänzendem, flatterndem Altweibersommer bewickelt, als Fischschwanz, bewegt sich rhythmisch hin und her und fährt mit den langen Vorderbeinen sich graziös über den Kopf, als kämme sie sich.

»Was macht die da drinnen?« fragt der eine Blauvogel neugierig, während der andere starr vor Erstaunen dasteht.

»Ich bin unten Melusine und oben Loreley,« sagt das Grillenfräulein, »denn ich habe einen Fischschwanz und kämme dazu mein goldenes Haar.«

»Ja so,« sagt der Specht.

Dicht daneben tanzen ein paar Grashüpferdamen Ballett auf einer Schaukel von Grashalmen, und springen so hoch, daß man sie kaum noch sehen kann, während auf der andern Seite ein paar Mäusejünglinge in grauen Tricots mit aus Nußschalen gedrechselten Bällen auf kunstgerechte Weise Baseball spielen.

Dieser ganze Wirrwarr, der Lärm und das Getöse, dies Hin und Her, wirkt ungeheuer ermüdend auf die Nerven ungeübter Zuschauer, und unsere Blauvögel piepsen und flüstern miteinander, und fühlen sich recht ungemütlich.

»Musik, meine Herrschaften, hören Sie unsere allermodernsten Vorträge,« ruft jetzt der Hirschkäfer. Alles stürzt nach einem hübsch mit Tannennadeln bestreuten freien Platz. Auf einem Tannenzapfen steht erhobenen Armes eine große Locuste, so eifrig gestikulierend, daß ihr die Augen vor den Kopf treten; und um sie her scharen sich allerlei musikalisch beanlagte Tiere. Nun gibt der Herr Kapellmeister das Zeichen, indem er seine Fühlhörner weit ausstreckt, und das Konzert braust durch das Tannendickicht. Sämtliche Grillen des Waldes zirpen so laut sie können, dazu schnarren die Locusts, pfeifen die Mücken, brummen die Käfer aller Art; die Kaninchen gebrauchen kräftig ihre Trommelstöcke – ein Höllenlärm!

»Ist das nicht herrlich?« fragt der Hirschkäfer unsere Vögel.

»Sehr schön,« entgegnete der Gelbspecht, »nur etwas unverständlich.« Der Staar macht ein sehr gebildetes Gesicht, und die Blauvögel meinen schüchtern:

»Es ist aber recht eintönig, und immer so dudelig.«

»Das ist ja gerade das Schöne,« sagt stolz Kapellmeister Locuste, »sehen Sie, wie gut Sie es verstanden haben? Es war unsere Nationalhymne – der Moskito-Doodle!«

Den Blauvögeln kam die Sache immer problematischer vor, und als vollends der Herr Mistkäfer mit der ganzen Familie auf sie zukommt und sie freundlich auch mit dem Nützlichen der Ausstellung bekannt machen will – die verschiedenen Blätterpräparate, wie Regenmäntel, Schirme und schützende Laubdächer und Haushaltungsgegenstände aller Art; ferner Delikatessen: Tauwein über Grashalme abgezogen, dazu Konfekt mit dem kuriosen Namen Fliegendreck, Misthäufchen, Schneckengelee etc. – da fliegen unsere Blauvögel entsetzt kerzengerade in die Höhe und davon, und auch der Herr Staar, trotz seiner Gleichheitsideen, meint: »es wäre doch recht gemischte Gesellschaft, und überhaupt vertrüge sich die Heiterkeit dieser Ausstellung nicht mit seiner ernsten Geistesrichtung,« während Herr Gelbspecht übermütig erklärt:

»Nein, mir gefällt es hier famos! Ich will erst den ganzen Schwindel sehen, und wenn mir die dicke, fette Fliege da morgen im Sonnenschein begegnet, so fresse ich sie auf vor lauter Liebe.«

Hoch oben auf einer Berghöhe, von wo man weit über Baum und Strauch hinüberblickt – dahin haben sich die Blauvögelein geflüchtet, und der Staar gesellt sich zu ihnen, weil er just nichts Besseres zu thun hat. Außerdem hält er die Blauvögel für recht belehrungsbedürftige Wesen, denen eine kleine Pauke über »die langsam sich vollziehende Umwälzung der Weltordnung« gar nichts schaden kann.

Aber unsere blauen Waldvögelein werden hier oben in der Einsamkeit selber so beredt, daß dem wohlmeinenden Staar nichts übrig bleibt, als zuzuhören.

»Blick' um Dich,« singen sie, »das ist unsere Ausstellung, das ist unsere Freude und die Freude der ganzen Welt. Sieh', wie die bunten Blätter die Bäume schmücken, wie die glührote Weinranke die dunkle Tanne zärtlich umfängt. Horch! Unser Konzert! Wie das rauscht und flüstert in den Zweigen, wie der stürmische Herbstwind in den Blättern tost, und sieh', wie der schönfarbige Schmetterling die geliebten Herbstblumen umgaukelt! Und blick' um Dich: die Sonne geht zur Rüste, sie glüht und leuchtet noch einmal und dann sinkt sie in ihr zartes, graues Wolkenbett und vergoldet es mit ihrem Schein, und ein strahlender Rand zieht sich um die seltsamen Wolkengebilde. Ist das nicht schön? Ist das nicht herrlich!

Und horch! da unter uns am Fuß des Baumes – das sind Menschen! Ein seltsam Geschlecht – kluge Gedanken und weiche Herzen – Ich liebe sie, wenn sie zu Zweien im Walde wandern, wie diese hier. Hör', was sagen sie?« – Ja, es sind Menschen – ein Mann und ein Weib. Und durch des Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden, und auf des Weibes glatter Stirn hat das Leben zarte Furchen gezogen. –

»Sieh', liebes Weib,« sagte der Mann, »diese frühen Herbstblätter in dem grünen Wald erinnern mich an meine weißen Haare, an Deine ersten Falten auf der Stirn. Ach, Kind, spät ist's schon im Leben, und jetzt erst lernen wir das Glück kennen!«

»Liebster,« entgegnet sie, »sieh', wie die Sonne strahlend und liebkosend über die Baumstämme gleitet, wie alles noch einmal in voller Pracht glänzt, glüht und leuchtet – zum letztenmal, ehe es Winter wird. So freuen wir uns jetzt noch einmal des Glückes und der Liebe, ehe unser Winter kommt. Liebster, wie schön ist die Welt und das Leben!«

Da zieht der Mann das holde, ernste Weib an sein Herz und küßt die Falten auf der blassen Stirn, und das Gesicht des Weibes glüht und blüht nun, wie die Rose in ihrem Lebensfrühling.

Sie sehen hinüber, bis die Sonne verlischt. – Und die Vöglein lauschen, und der Staar meint:

»Die verlangt's auch nicht nach Veränderung, und die denken auch, gerade wie ihr dummen, kleinen Dinger, das Leben sei doch schön. Merkwürdig! Und die Welt soll doch so schlecht sein, sagen sie im Verein für Freiheit und sittlichen Umsturz. Was ist nun wahr? Darüber muß ich auf einem einsamen Eichenwipfel etwas näher nachdenken.«

Er spreizt seine dekorierten Flügel und fliegt von dannen. Blauvöglein aber locken in den Abend hinein und setzen sich dicht nebeneinander auf einen Zweig und plustern sich und träumen. Die sanfte Nacht kommt gezogen und breitet ihre schwarzen Fittiche lind über die müde Erde – – über selige, herbstliche Menschenkinder, über plusternde Blauvögelein und melancholische Staare – ja, und über all das kriechende, sich duckende, hochmütige, aberwitzige Volk und den weltklugen Gelbspecht in der Weltausstellung im Tannendickicht. –

Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden.

Die braune Drossel saß auf einem hohen Baume im Garten und zwitscherte: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine Krone von Blüten auf dem Haupte, und –«

Weiter konnte man nichts hören, denn die Sperlinge, denen die Drossel das erzählte, piepsten und schrieen und zankten so durcheinander, daß die Drossel auf und davon flog. Was ging es auch die Stadtspatzen an, was die Walddrossel zu erzählen hatte!

Die bleiche Frau Sehnsucht aber stand am geöffneten Fenster ihres Hauses und sah der Drossel nach. »Ach,« seufzte sie, »wer doch ein Sonntagskind wäre und verstehen könnte, was die Vögel singen! Ach, und wenn nur das Kind, das ich gebären werde, ein Sonntagskind würde, dann wollte ich gern glücklich und zufrieden sein.«

Als aber ihre schwere Stunde kam, da war der lachende Sonntag noch nicht aufgestanden, und der stille Sonnabend lehnte noch an der kleinen Wiege mit großen, müden Augen. Er legte eine kühle Hand auf die Stirn des kleinen, roten, zappelnden Dinges, das mit geballten Fäustchen unter dem Deckchen herumarbeitete und mit Zornesfalten im Gesicht in die Welt hinausschrie.

»Nur eine Viertelstunde zu früh,« seufzte die blasse Frau Sehnsucht, und zwei heiße Thränen fielen auf die geschlossenen Augen des Bübchens in ihrem Arm.

Der kleine Bursche aber wuchs kräftig heran und wurde so stark, daß die ungezogenen Buben in der Nachbarschaft ihm gern aus dem Wege schlichen. Er stand an seiner Mutter Knie gelehnt und lauschte mit leuchtenden, wundersamen Augen, wenn sie von den Sonntagskindern erzählte, wie sie gar so klug sind und wissen, wie die Welt geht, und verstehen, was die Tiere sprechen, und wie sie den Wolkenflug deuten können. – »Warum kann ich nicht jetzt noch ein Sonntagskind werden?« rief er zornig. Dann sprang er hinaus in den Garten und legte das Ohr auf die Erde, ob er nicht das Gras wachsen höre, wie ein richtiges Sonntagskind. Er hörte wohl ein zartes, leises Murmeln, aber ob es nicht die kleinen Käfer und Ameisen waren, die da raschelten, das wußte er nicht zu sagen. Er stand unter den Bäumen und hörte zu, was die Vögel sangen; es war ihm, als verstände er einzelne Worte, wie Sonnenschein, Glück, Blütenduft; aber er war doch nicht sicher, ob es ihm nicht sein eigenes Herz zugeflüstert hatte. Und weinend lief er hin zu seiner Mutter und trotzte: »Ich will doch ein Sonntagskind werden!«

»Der Sonnabend leidet's nicht,« sagte Frau Sehnsucht traurig. »Und es war doch nur eine Viertelstunde!«

»Es muß in den Büchern stehen,« sagte der Knabe, als er in die Schule ging. Und er lernte alles, was in den Büchern stand und wurde ein berühmter Mann. Von weit, weit her kamen die Menschen nach dem kleinen Häuschen der Frau Sehnsucht und wollten von dem jungen Gesellen Antwort haben auf ihre neugierigen Fragen, und er sagte ihnen alles. Aber insgeheim glaubte er selber nicht an das, was er ihnen so gelehrt auseinandersetzte; hatte er doch in keinem Buche Bescheid auf seine einzige Frage erhalten: Wie er es anfangen könne, ein Sonntagskind zu werden? – Als nun eines Tages wieder einmal ein paar kluge Professoren kamen, die aber doch nicht so klug waren, wie er, und die spitzigen Zeigefinger an die spitzigen Nasen legten, und ihm die wichtige Frage stellten: Wie kommt es, daß der Mensch die Nase mitten im Gesicht hat? – da fielen dem Gesellen seine Riesenkräfte ein. Er warf die Professoren mitsamt der ganzen Universität zur Thür hinaus, reckte und streckte sich einmal, that einen tüchtigen Jauchzer und sagte zur Frau Sehnsucht:

»Mutter, jetzt ziehe ich in die Welt hinaus, dem Sonntag nach, und komme nicht eher wieder, bis ich ihn eingeholt habe.«

Frau Sehnsucht legte ihre weißen Hände auf sein lockiges Haupt und küßte ihn. Dann schloß sie die schönen, traurigen Augen für immer.

Der Geselle aber zog in die Welt hinaus. Er sah die goldene Sonne am Himmel stehen und er sagte: »O Sonne, güldene Sonne du – ich suche, suche immer zu. Zeig mir den Weg, wohin ich geh', o Sonne, güldene Sonne du!« Aber die Sonne lachte ihn aus und antwortete nicht und ging weiter, immer weiter, bis er sie zuletzt gar nicht mehr sehen konnte. Da kam er in einen großen Wald, darin reichten die Bäume bis in den Himmel, seltsam große Blumen standen am Wege und sahen ihn an, und bunte Vögel flogen sprechend von einem Ast zum andern.

»Sagt mir's, ihr Bäume, duftet, Blumen, rauscht mir's, ihr Winde, murmelt, ihr Quellen – wie fange ich es an, daß ich ein Sonntagskind werde?« rief der Geselle.

Da kicherte und lachte es an allen Ecken und Enden. Schelmische Mädchengesichter tauchten aus den Kelchen der seltsamen Blumen empor und nickten ihm lächelnd zu. An den Schlinggewächsen turnten winzige nackte Engelsbübchen, die warfen mit duftenden Blütenblättern nach ihm, und ein Rauschen und Raunen zog durch den ganzen Wald, daß der Geselle gewiß alles erfahren hätte, was er wissen wollte, wenn er nur eine Viertelstunde später auf die Welt gekommen wäre. Zuweilen war es ihm wieder, als verstände er ein paar Worte, und horch! klang's nicht im Windesrauschen, wie: Bis an's Ende der Welt? Kopfschüttelnd ging der Geselle weiter.

Da wurde mit einemmal der Wald hell und licht; das kam von einem schönen Stern, der fiel vom Himmel nieder, und sieh' – der Stern nahm Gestalt an, so schön und sanft wie die Mutter ausgesehen hatte, und seine Augen strahlten still und traurig, wie die der Frau Sehnsucht. Die schöne Sternenfrau aber sprach: »Ich will dir Antwort auf deine Frage geben. Gehe weiter, immer weiter, bis du ans Ende der Welt kommst. Dort wirst du den Baum der Erkenntnis finden. Wenn du von diesem ein Blatt brichst, dann wirst du erfahren, was du wissen willst. Aber spute dich! der Weg ist weit.«

Der Stern stieg langsam auf gen Himmel, es wurde immer lichter, der Wald verschwand und der Geselle stand ganz allein auf einer großen Heide, über die der Wind pfiff.

»Bis ans Ende der Welt? – da kann ich meine Füße in die Hand nehmen, wenn ich noch ankommen will,« sagte er und wanderte fürbaß. Weil's ihm aber einsam am Wege war, sang er sich das Liedel von dem andern Gesellen:

»Ein fahrender Geselle durchzog die weite Welt,
Zu suchen nach der Stelle, wo's immer ihm gefällt.
 
Doch nimmer mocht er rasten, und nirgend fand er Ruh,
Ihn trieb's zum Weiterhasten, nur weiter! immer zu!
 
Er hatte durchstudieret den ganzen Bücherwust,
Mit Wissen ausstaffieret das Herz in seiner Brust –
 
Da fluchte er dem Buche, sah an es nimmermehr:
Das ist's nicht, was ich suche! Das Glück, das Glück gebt her!
 
Und kommt er in das Städtchen und winkt ihm aus dem Thor
Das liebe braune Mädchen mit Schelmenaug' hervor –
 
Laß küssen dich, du Feine! – Schaut ihr ins Angesicht;
Du bist's nicht, die ich meine! – er da voll Trauer spricht.
 
Da ward aus dem Scholaren ein flotter Kriegersmann,
Auch lernt er mit den Jahren, daß man sich bücken kann,
 
Und fromme Verse schmieden von Freiheit und von Blut,
Und vor dem Bürgerfrieden voll Ehrfurcht zieh'n den Hut.
 
Doch alles wollt nicht frommen, was er sich auch erdacht.
Das Glück wollt ihm nicht kommen – hörst, wie's von Ferne lacht?
 
Da ward aus ihm ein Zecher, der zecht' von früh bis spat,
Bis ihm der leere Becher vom Munde sinken that.
 
Lag denn das Glück im Weine? – Der heilte allen Gram.
Doch weh – auch nur zum Scheine, nur bis der Morgen kam;
 
In seinem grauen Schimmer, wie lag so leer die Welt! –
Die Nacht verheißt uns immer, was nie der Morgen hält.«

Als der Geselle sein Liedlein ausgepfiffen hatte, da führte ihn der Weg an einem Königreich vorbei, und weil die Thür bloß eingeklinkt war, ging er hinein. Die alte Reichsmauer wackelte hin und her, als er eintrat, und das Thürschloß behielt er gar in der Hand, so morsch war der Griff. In dem Königreich saß der König auf einem Throne, der wackelte, und hatte eine Krone auf dem alten, wackligen Haupt, die wackelte auch. Die Räte um ihn her hatten kleine Zöpfchen im Nacken, die wackelten, und die Räte selber wackelten, und das ganze Königreich wackelte. Und weil nun alles so wacklig war, da nahm der Geselle sein Bein und gab der ganzen Wackelei einen Tritt; da fiel alles um, und der Geselle sah lachend zu, wie der König und die Krone und die Räte mit ihren Zöpfen und das ganze morsche Königreich durcheinander purzelten. Des Königs schöne Tochter aber fing er in seinen Armen auf; doch als er sie küssen wollte, da welkte sie hin und lag tot an seiner Brust. Ihre Seele verwandelte sich in einen schönen weißen Vogel, der kreiste über des Gesellen Haupt und sang ihm zu:

»Weil' nicht am Wege,
Er ist noch weit;
Noch ist die neue, die selige Zeit,
Noch ist sie nimmer geboren.«

Als der Geselle nun weiter ging, kam er an eine große, große Stadt, darin war eitel Freude und Lustigkeit, das ganze Volk tanzte und sprang und geberdete sich wie toll. In den Moscheen, Kirchen, Freiheitstempeln läuteten die Glocken und große Götzen saßen darin, die machten mit schrecklichen Grimassen die Mäuler auf, und dann warf das Volk alles Schöne und Gute den Götzen in den Schlund, und das Häßliche und Gemeine stand grinsend auf den Schultern der Götzen, und das Volk jubelte ihm zu. – Da faßte den Gesellen ein grimmer Zorn, er hob sein gutes Schwert und schlug zu, und schlug den Götzen die Köpfe ab. Aus den Rümpfen stieg ein starker, grauer Dunst auf, wie eine Weihrauchwolke, der lagerte sich hin über die Stadt und erstickte all das lärmende Volk, daß es tot dalag. Ueber der Nebelwolke aber schwebte ein neuer, schöner, weißer Vogel und gesellte sich dem andern zu; sie umkreisten den Gesellen und sangen ihm zu:

»Weil' nicht am Wege,
Er ist noch weit;
Noch ist die neue, die selige Zeit,
Noch ist sie nimmer geboren.«

Als der Geselle nun weiter ging, kam er an einen hohen, hohen Berg, darauf wimmelte es von Menschen. »Ist hier das Ende der Welt?« fragte er. »Was?« riefen sie ihm von der Spitze des Berges zu, »das Ende der Welt? Bewahre! Hier fängt die Welt erst an!« – Als nun der Geselle oben angekommen war, sah er, daß all' die Menschen ihr eigenes Ich genommen und es vor sich hingestellt hatten; und nun drehten sich die Körper um das Ich in der Runde und sangen feierliche Weisen und beteten es an. »Siehst du,« riefen sie ihm zu, »das ist es, was du suchst. Wir sind die Welt, wir sind das All, wir, unser eigenstes Ich. Wir wissen alles, wir können alles, wir lieben uns, wir beten uns an.« – Voll Verwunderung stand der Geselle und sah dem seltsamen Treiben zu. »Aber wie könnt ihr denn leben, wenn ihr euer eigenes Ich aus euch herausgenommen habt?« – »Wir zehren von seinem Anblick, er ist uns Nahrung, Luft und Licht. Wenn wir unser Ich ansehen, werden wir so von seiner Größe und Erhabenheit durchdrungen, daß wir unsere körperlichen Beine aufheben und tanzen müssen, und dann schreien wir von diesem hohen Berge das Heil des Ichs in die Welt unter uns hinaus, damit auch sie daran glaube und selig werde.«

Da faßte den Gesellen, als er ihre seelenlosen Köpfe und verdrehten Glieder sah, ein ungeheurer Ekel. Er nahm seine starken Fäuste und schleuderte einen der tanzenden Körper nach dem andern in die Tiefe, und wenn sie gegen die Felsblöcke, die am Fuße des Berges lagen, anprallten, dann platzten sie mit einem Knall, wie ein aufgeblasener Pilz im Walde, auf den du unversehens trittst. »Jetzt spiele ich Kegel mit den Püstern!« sagte der Geselle. – Dann nahm er alle die angebeteten Ichs, die entseelt zu Boden gesunken waren, schichtete sie aufeinander, wie einen Holzstoß, und zündete sie an, daß die rote Lohe weithin in die Welt schien. Aus den Flammen aber flog wieder ein schöner, weißer Vogel – denn aus allem, was zu Grunde geht, wächst doch noch ein Schönes – und er gesellte sich zu den andern, und sie umkreisten ihn. Aber sie sangen nicht mehr, ihr Flügelschlag wurde immer lautloser. Und doch war es dem Gesellen, als trieben diese weichen Flügel ihn weiter, hin über trotzige Felsblöcke, an denen sich seine Füße blutig stießen, über weite gefrorene Seen, über denen er hinglitt wie über einen Spiegel. Er wußte nicht mehr, ob er schon lange gewandert sei oder eben erst die schlanke, kühle Hand seiner Mutter, der Frau Sehnsucht, auf seiner Stirn gefühlt hatte. Er wußte nur noch, daß er weiter, immer weiter getrieben wurde. Endlich sank er erschöpft zu Boden. Als er die Augen öffnete, lag er auf einer weiten Ebene. Schöne Tiere traten an ihn heran und betrachteten ihn mit stillen, klaren Augen; aber sie waren stumm. Vögel schwebten über ihn hin; aber sie sangen nicht. Blumen blühten an glänzenden Bächen, aber das Wasser murmelte nicht; der Wind, der durch die Zweige strich, rauschte nicht – es war tiefe, tiefe Stille. Lautlos flogen die drei weißen Vögel vor dem Gesellen her. – In der Ferne, am Ende der Ebene, schwebte eine weiße Wolke. Als der Geselle näher kam, sah er, daß es tausend und aber tausend von ebensolchen großen, weißen Vögeln waren, wie die, die ihn begleitet hatten, und er dachte daran, wie viele Menschen wohl gleich ihm denselben Weg gemacht hatten, wie viel erst zertrümmert werden mußte, damit diese Wolke sich hatte bilden können. Die weißen Vögel umkreisten leise, leise einen starken, grünen Baum, dessen viele Zweige gingen auf und nieder zwischen Erd' und Himmel. Der Baum blühte nicht und trug keine Früchte, er hatte nur unzählige grüne, kraftstrotzende Blätter. Die drei weißen Vögel aber, die den Gesellen begleitet hatten, mischten sich unter die andern, die in den Zweigen des Baumes nisteten, so daß er sie nicht mehr unterscheiden konnte. Und wie er so in der weißen Wolke stand, und der weiche Flügelschlag der schönen Vögel seine Stirn fächelte, da war es ihm, als höre er die Worte:

 »Weil' nicht am Wege,
 Nicht ist er mehr weit.
Wir kreisen und hüten die kommende Zeit,
Wir weben ihr reines, ihr glänzendes Kleid –
Im Baum schläft sie sicher geborgen.«

Da streckte der Geselle die Hand aus und brach eines der saftgrünen Blätter. Es fiel ein Tropfen, rot wie Blut, in seine Hand. Da zog sein ganzes Leben an ihm vorüber: er sah sich, wie er immer dem Sonntag nachgejagt war, alles andere darüber vergessend; er sah, wie er nicht die Welt und sie nicht ihn verstanden hatte, denn er war ja eine Viertelstunde zu früh geboren. Wie er auf das Blatt in seiner Hand hinschaute, lange, lange, da bleichte sein Haar, seine Stirn begann sich zu runzeln, sein starker Körper bog sich zur Erde. Aus dem Manne ward ein Greis, und nun wußte er, wann er den Sonntag einholen würde. – Er sah auf und sah die weißen Vögel, die mit ihren stillen, großen Flügeln einen starken Wind erhoben; der wehte ihn fort, weit fort, den Weg zurück, den er gekommen war. Auf dem Berge glühte noch das Feuer, über der Stadt lag der Dunst, das zerfallene Königreich bröckelte am Wege – er schaute nicht um danach. Er ging durch den dunklen Wald, darin die Bäume regungslos standen. Er ging und ging, bis er in das Stübchen kam, in dem Frau Sehnsucht die schönen, traurigen Augen für immer geschlossen hatte. Da setzte sich der greise Geselle ans Fenster und schaute in den Garten hinein.

Auf dem Apfelbaum saß die braune Drossel und erzählte den Spatzen: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine Blütenkrone auf dem lachenden Haupte, und die Blumen bringen ihm ihre Düfte, und die Winde tragen den Duft hin über die Stirnen der Kinder, die heute geboren werden.«

Da nickte der Greis am Fenster und lächelte. Er schloß die Augen, und seine Seele zog vor des Sonntags Thron, damit sie als Duft auf die Stirn eines neugeborenen Sonntagkindes gelegt werde. – Im Tode war der Geselle ein Sonntagskind geworden.

»Es ist Sonntag!« sang die Drossel. »Das ist etwas ganz Alltägliches,« piepsten die Spatzen, »das passiert jede Woche einmal.«

Rauch.

Es war einmal ein kleiner Schmiedegeselle, der war es müde, immer am Amboß zu stehen und Gedanken zu hämmern. Er hätte gar zu gern gesehen, wie sich die Gedanken ausnahmen, noch ehe sie zum Schmiedematerial zusammengegossen waren. Eines Tages hatte er mit heller Lust ein paar kräftige Gedanken, die im Feuer glührot und geschmeidig geworden waren, zu ein paar starken Hufeisen zusammengeschweißt; die Funken sprühten, wenn man damit auf einen Stein schlug. Da klopfte ihm der große Meister auf die Schulter und sagte:

»Geselle, geh' auf die Wanderschaft.«

Und da zog er aus. – Als er wegging, schien die Sonne hell, obwohl es mitten im Winter war; der Himmel hatte überall blaue Batzen auf die Wolkenlöcher gesetzt, und der Wind hatte dazu gefiedelt:

Die Erde hat sich schlafen gelegt,
Mit weißem Lailach zugedeckt,
Der rasche Wind den Himmel fegt,
Bis er die Sonne hat erweckt.
 
Nun scheint sie hinunter auf den Schnee
Und lacht hinweg ihn nach und nach:
Wenn auch die Welt sich duckt in Weh;
Sie wird doch einmal wieder wach.
 
Dann jauchzt sie auf in grüner Lust,
Hüllt sich in lauter Liebe ein –
Und ahnend klingt's in deiner Brust:
Im Winter ist es auch gut sein! –

Als aber der kleine Schmiedegeselle ein Stücklein Wegs gegangen war, da sah er eine schwere dunkle Wolke in der Ferne schweben, und je näher er kam, desto trüber wurde es um ihn her, bis schließlich Himmel und Erde und die ganze Welt schmutzig aussah; und er sah, daß es ein ganzes Sammelsurium von Häusern war, das alles so finster machte. Die Häuser waren so hoch, daß sie die Wolken an den Fußsohlen kitzeln konnten.

Der kleine Schmiedgeselle stand und guckte an so einem hohen Kasten in die Höhe:

»Könnt ihr da oben durch die Wolken sehen?« fragte er, »und die Sonne auf der andern Seite scheinen sehen? – Eia, das muß schön sein!«

»Da, komm nur mit in das Loch hinein, kleiner Wurm,« sagte ein Mann neben ihm, schob ihn vor sich her, und schwupp! flogen sie in einem viereckigen kleinen Kasten so schnell himmelan, daß es dem Gesellen ganz übel wurde.

Der Mann lachte spöttisch aus ein paar klugen Augen.

»Ja früher,« sagte er, »wenn der Teufel einen armen Handwerksgesellen holte, da flogen sie miteinander auf schwarzen Gespensterflügeln in die Tiefe hinab. Wir machen das jetzt per Elektricität und fliegen himmelan.«

Erschrocken sah das Gesellchen zur Seite, erblickte aber nur einen ganz einfachen Menschen, der ein ganz klein wenig hinkte. Nur seine Ohren waren so sonderbar lang und schmal; wenn er lachte, schienen sie sich zu spitzen, und er lachte so, daß der Schmiedegeselle mitlachen mußte, und das Ding, in dem sie saßen, vor Vergnügen in die Höhe sprang.

Dann waren sie oben. Das war ein großes, flaches Dach mit Kieselsteinchen bedeckt, als ob sie drauf geregnet wären. Allerlei Verzierungen sprangen an den Ecken auf und auf zwei kleinen Säulchen saßen vergoldete Zierate, die sahen aus wie Champagnerpfropfen.

»I, da schlag' doch der Teufel den Herrgott tot!« rief der Mann mit einem vergnügten Grinsen, »da hab' ich doch gedacht, ich könnte dem kleinen Wurm das ganze Riesentreibhaus auf einmal zeigen, und nebendran das große Wasser, in dem man eigentlich die nichtsnutzige Brut gleich wieder ersäufen sollte, nachdem man sie hervorgebracht hat – und da – nichts, aber auch rein gar nichts, als das wüste Gebrodel, das mein Vetter, der große Nebel, so erstaunlich schön herauszukriegen versteht. Er ist ein ganz gelungener Kerl, sage ich dir, und dabei ein Phantast, trotz seiner Schwere. Und unbeständig ist er, nirgends zu fassen. Der geht in einer Minute alle Ideen der Welt durch, um schließlich mit seinem grauen Einerlei platt über die ganze Erde hinzufallen, daß man drunter ersticken sollte. Uff! wie schwer er schon wieder herunterhängt. – Und siehst du, mit einemmal reißt er sein langes Hemd in Fetzen entzwei und tanzt herum wie ein toller Bacchant. Zum Verzweifeln für einen feierlichen Kerl!«

Dabei nahm er einen gespreizten Ton an, schob die linke Hand zwischen die Brustknöpfe seines Rockes und hob das Haupt mit einem idealischen Schwung. Als das Gesellchen ihn entsetzt ansah, schnitt er plötzlich allerlei Grimassen, liebkoste ein paar kleine, niedliche Bockshörnchen, die zwischen dem Kraushaar über der Stirn hervorwuchsen, und spitzte seine Faunsohren nach dem Wind. Nachdem er den kleinen Schmiedegesellen genügend verwirrt hatte, fing er an, ihm ernsthaft allerlei Erklärungen zu geben.

»Sieh',« sagte er, »das ist der große Hexenkessel, Höllengebrodel, da werden alle die Gedanken ausgekocht von dem Menschenpack, das tief unten mit Beinen, Händen, Köpfen oder Magen schuftet; und die nehmen dann Gestalt an, und paß einmal auf, da aus den Tausenden von Schlöten fahren sie hinaus in den Nebel, der verschlingt sie, wird groß und stark daran, wächst und wächst bis einmal die Welt ein großer Gedanken-Nebel geworden ist. Dann kommt die Zeit für uns Faune, uns Satanskerle, Teufelsstricke, und wir ziehen gegen den Nebel zu Felde, gegen meinen großen Vetter – da kämpfen wir, das ewige, blühende, lachende Leben gegen die blassen, umnebelten und vernebelten Gedanken. – Sieh', da fliegen sie –«

Der kleine Schmiedegeselle hatte derweilen stumm in das graue Meer geschaut, drin es wogte und zerrte, drin die Schornsteine und Schlöte der vielen, vielen Häuser hineinragten und schwere Dampfwolken entsendeten, schwarze, dicke, schmierige, lichte, flinke, weiße oder rötlich scheinende, von den Flammen tief drunten, die zuweilen bis zum Kamin herausschlugen. Es sah aus, als ob die himmelhohen Häuser der Riesenstadt eigentlich ganz klein hoch in der Luft ständen, nur mit den großen Schlöten daran; als ob da unten auf der Straße eine ganz andere Welt sei, und nur ganz fern, fern, wie das Bienengesummse an einem Sommermittag am Kornfeld, drang das Getrappel, Gerolle, Getose herauf zu dem Dach, wo die Wolken mit ihren schweren Fittichen des kleinen Gesellen Haupt streiften. Der stand und schaute. Der wunderliche Mann saß neben ihm, deckte ein Bein mit dem andern und deutete mit dem langen, ausgestreckten Zeigefinger bald auf diesen, bald auf jenen Schornstein, und er grinste spöttisch dazu, oder lachte ingrimmig, oder seine Augen leuchteten, wie in stiller Wonne. So jetzt eben wieder.

Da stieg aus einem schlanken Rauchfang ein silberweißes Rauchsäulchen auf, kräuselte sich lustig, ehe es im Nebel zerging, und auf dem schaumigen Gezausel tanzten putzige kleine Kerle mit runden Bäuchlein und weinroten Gesichtern, sie hatten Weinreben sich umwunden und lallten allerlei tolles Zeug und schrieen dem lächelnden Manne, Faun, Mephisto, was immer er sich nannte, ein jauchzendes Evoë Bacche!

Und sobald die einen im Nebel vergangen waren, wurden neue aus den Ringeln der Rauchsäule geboren, schöne und drollige, große und kleine, Männlein und Fräulein, und ob auch aus den Augen eines Alten ein ernstes Denken sprach, ob die weichen Glieder einer jungen Bacchantin im Wirbel sich drehten – gleichsam aus ihnen heraus über die ganze Erde hin leuchtete, strahlte eine selige, mutige, weinduftende Begeisterung.

Jetzt lachte der Geselle laut auf. Da hatten ein paar trunkene kleine Satyrn die Nebelfetzen zusammengeballt wie Schneebälle, schnitten wütende Gesichter nach einem andern Schlot hin, streckten denen, die da oben aufstiegen, die Zunge heraus, und begannen sie zu bombardieren. Es war ein weiter Kamin, nicht sehr hoch, der Rauch, der da herauskam, hatte eine eklige, semmelblonde Farbe, die Gedanken, die drauf ritten, auch, und sie waren feist und schwammig. Sie versuchten, recht forsch und protzig aufzutreten, aber sie krümmten sich dabei, als wenn sie Bauchgrimmen hätten, und sie streckten flehentlich die Arme aus, so gut es eben ging, nach einem andern Schornstein und stöhnten:

»Gebt uns was ab! Gebt uns was ab!«

Das war ein mächtiger, weiter Schlot, und der Rauch und Qualm, der ihm entquoll, schwarz, finster, beklemmend. Bleiche Gestalten stiegen drauf zur Höhe, hohlwangig wie eine durchwachte Nacht, finster wie eine Gewitterwolke. Immer mehr, Millionen von ihnen tauchten auf aus dem Dunkel, nicht aus einem, nein, aus hundert Schlöten, ganze Heere von Elendsgestalten, ganze Heere von drohenden Fäusten, von rachedurstenden Augen, von verzweifelten Gesichtern.

Und der kleine Geselle drückte sich scheu an den Mann, der ingrimmig hohnlachte.

»Wo kommen die her, alle, alle, ohne Ende?« fragte der Geselle bebend.

»Aus den Fabriken, aus den Werkstätten, aus den Mietskasernen, aus den Spelunken da unten,« knurrte der mit den Bockshörnchen. »Bande, elendes Pack, warum drücken sie die andern nicht tot, schaffen sich Platz in der Welt, so viele, wie sie sind! Aber sie haben Furcht, gerade so viel Furcht, wie die da drüben – sieh' – da aus dem himmelhohen Rauchfang, der so kerzengerade aufwächst – Mitleid haben. Prrr – Puah – Mitleid, Mitgefühl, Menschenliebe, Gleichheit, Brüderlichkeit – sieh', wie sie da alle schweben, die schönen Gedanken! Schau einmal genau hin! Glaubst du, sie kämen alle aus demselben hohen, ragenden, lichten, freundlichen Kamin? Ist schön gebaut, der Rauchfang! Aber schließ' dein Auge ab von all dem andern, indem du die Hand krümmst wie ein Fernrohr davor – das gibt mehr Perspektive. Siehst du nun wohl, daß jeder der schönen Gedanken seinen Privatschlot hat, der nur an den andern sich anlehnt? – Und die Rauchsäulchen, – recht fein hell anzusehen – dürfen sich mit keinen von den andern vermischen, beileibe nicht, und der Kamin muß immer mit demselben Heizmaterial gefüttert werden, und jedes Rauchwölkchen hat seinen Parteinebel, in den es sich auflöst.«

Aber immer und immer wieder stieg das bleiche, finstere Heer auf, auf, stetig, unverdrossen.

»Da, sieh' her, du kleiner Wurm, der du die Gedanken nackt und unverarbeitet in der Welt herumlaufen sehen wolltest,« schrie der Mann-Faun-Mephisto, »siehst du jene dort drüben aus dem Marmorkamin sich entwirren? – Wohlgenährte Gestalten sind drunter mit schwimmenden Augen, magere Kerle mit Beil-Gesichtern, und alle mit so einem Air um sich herum, als wollten sie auf alles andere spucken. Kapitalsbestien nennt man sie mit dem Kunstausdruck, d. h. die Kapitäler sind ihnen jetzt da oben im Rauch abhanden gekommen, und nur die Bestien sind übrig geblieben. Und nun schau die guten, mitleidigen, allesliebenden, weltbeglückenden Fanatikergedanken, die eigene kleine Weltbegriffe auf Silberrauchsäulchen ausdünsten – schau auch alle die winzigen Nebengedanken, die von der Silbersäule abspringen, ihre Nachbarn zerren und stoßen, zu Boden schlagen, ins Gesicht treten – kommt es dir nicht schließlich vor, als wäre der eine wie der andere: Fanatiker seines eigenen Ichs? Und sie verteidigen dieses ihr Besitztum, die einen mit nackter Brutalität, die andern mit alles überwältigendem Mitleid für die Menschheit. Ist recht, ist ja recht so. Nur sollen sie nicht das Du-Geschrei erheben, wenn sie das Ich meinen. Aber guck einmal da!« –

Aus dem lichten, ragenden Schornstein, dessen viele Teile das Gesellchen jetzt deutlich erblickte, war eine Schar Gedanken-Geister aufgetaucht, die sich mit Mäulern, Fäusten und Füßen ingrimmig bearbeiteten: die einen suchten die nächsten unter sich zu ducken, zerrend, heulend, schimpfend; die zarten Gestalten aus demselben Rauchfang, die über ihnen schwebten, rangen traurig die Hände; die Bestien aus dem Marmorkamin sahen behaglich zu, und die kleinen Weinkameraden ritten auf ihrem Rauchgekräusel herzu, jauchzten und lachten, schütteten duftenden Rheinwein über sie aus, wie man über die beißenden Hunde Wasser gießt, und trieben allerhand Allotria.

Die hungrige, bleiche, verzweifelte Schreckensschar aber stieg immerfort, stetig auf; auf aus den Tausenden von Schlöten und verzehrte sich im Nebel, immerzu, regelmäßig, wie ein grauenhaftes Uhrwerk.

»Bande, Bande!« knurrte der neben dem Gesellchen. »Wann kommt's? – Wann kommt's und schlägt den Kram in Fetzen? – Ist ein lustig Leben, kleines Wurm, so hoch über ihnen, was? – Und doch mitten drunter. Die da tief drunten, alle, glauben, sie kennen, sie haben mich, und ahnen nicht, daß ich es bin, der ihre Gedanken hier oben spuken läßt zur eigenen Verlustierung, wie Nero einst Rom in Brand setzte! Nicht sie mich – ich hab' sie! – Hoho – aber da – da, meine Braven!«

Da schlug aus einem mächtigen Rauchfang eine hohe Feuersäule auf, glührot, wie aus einer Schmiede-Esse, und darauf schwebte, nein, stampfte eine gewichtige Schar, die zog den Ambos und dröhnte die Schmiedehämmer nieder, daß es durch die Lüfte klang. Riesengestalten mit mächtigen Köpfen und lustigen Augen. Bei jedem Hammerschlag von ihren Fäusten stoben die Funken, und in jedem Funken sang es:

»Mir sein die Hammerschmiedsgsölln, Hammerschmiedsgsölln,
Mir könn' dableiben, mir könn' furtgeh'n,
Mir könn' dhun, was mer wöll'n, dhun, was mer wöll'n!«

Schritt vor Schritt weitergreifend, die rußigen Gesichter umglüht vom Flammenschein, stampften sie alles unter ihre Füße, Bestien und Mitleidsgedanken und Elendsgestalten, was ihnen in den Weg kam, trieben die Rauchwolken zur Seite und machten Bahn frei – bis endlich, nach langem Kampf, auch sie der große Nebel verschlang.

Aber dort, wo sie verschwunden waren, da lag in lichter Ferne – das Gesellchen sah es ganz deutlich, und der Mann breitete seine Arme aus – der silberne See, der hob und senkte sich leise. – Möven flogen drüber hin, die tauchten mit der weißen Brust ein in die Silberflut und schüttelten die leuchtenden Tropfen von den Flügeln.

Wo sie das Wasser berührten, tauchte ein Wunderwesen nach dem andern auf; diese reihten sich aneinander, und bald wimmelte der See von zarten, lieblichen, von starken, gewaltigen Wesen. Auf ihren ausgestreckten Armen kamen zwei wunderselige Frauengestalten einhergeschwebt, ein leiser, flüchtiger Gesang zog ihnen voran:

»Wir geleiten hohe Frauen,
Die den Wassern sind entstiegen,
Die sich auf den Nebeln wiegen,
Und die Wellen stets durchwallen,
Unerkannt von allen, allen,
Denn von zwei'n ist eine keine:
Diese Hehre, Hohe, Reine,
Jene, die da gleißt im Scheine –
Nur zusammen kannst sie schauen.
Wie die Sonne aus dem Meere
Ihre Strahlen weiter sendet,
So zieh'n im Gedankenheere
Sie, bis ihre Bahn vollendet.
Sinken in die Wasser nieder,
Kommen mit der Sonne wieder.«

So schwebten sie hin über das Häusermeer der Riesenstadt. Die schönen Frauen glichen sich eine der andern so, daß man sie nicht unterscheiden konnte, und das Gesellchen hätte gar zu gern gewußt, wer sie seien.

Der Mann sah mit verschränkten Armen den Zug an sich vorüber wallen, musterte mit kritischen Augen die weißen Nixenglieder, lächelte vertraulich dem schönen Frauenpaar zu. – Da war es dem Gesellen, als habe die eine listig gewinkt, die andere nur milde gelächelt. Aus dem Nebel, der sie umwogte, aber tönte das Lied der Hammerschmiedsgesellen:

»Mir könn' dhun, mir könn' treiben, mir könn' loss'n, was mer wöll'n!«

»Ja, ja,« nickte der Mann, »wenn's alle Hammerschmiedsgesellen wären! Aber doch, kleines Wurm, wissen auch sie nicht genau, gerade wie du und alle die andern es gar nicht wissen, wer von den beiden lieben Frauenzimmerchen da – die Wahrheit und welches die Lüge ist.«

Als er das sagte und der kleine Schmiedsgeselle flehend die Arme hob, da schauten die beiden herrlichen Frauen zurück – die eine milde lächelnd:

»Du bist die Wahrheit!« jauchzte der Geselle.

Da hob die andere sachte und ernst den Finger an den Mund. –

Und der Geselle barg das Gesicht in die Hände und weinte.

Als er wieder aufschaute, sah er den Mann vor dem Champagnerkorken stehen und Zwiesprache halten mit einem nackten, kleinen Schlingel, der rittlings auf dem einen goldenen Pfropfen saß, Bogen und Köcher umgehängt hatte und blutrote Pfeile nach allen Richtungen verschoß; sein Krauskopf glänzte voll goldener Locken und trotz der Lachgrübchen saßen ein paar bitterernste Augen in dem jungen Gesicht.

»Ich bin echt!« sagte er und zielte auf den Gesellen, und dem wurde es plötzlich ganz leicht um's Herz. Da lachte der kleine, nackte Bub ein tolles, befreiendes Lachen, und der Mann fiel ein, und das Gesellchen mußte mitlachen, bis ihm die Thränen aus den Augen liefen.

Dicht hing der Nebel herunter. Die Wolken rieben sich die Fußsohlen an den Champagnerkorken. Rauch, schwerer, schwarzer, lichter, semmelblonder stieg auf aus allen Schlöten. In der Ferne sah der Geselle einen silbernen Streifen, auf dem ein Mövenflügel blitzte. Ein dumpfes Gegroll wogte zu ihnen herüber. Ein Amboßschlag dröhnte.

Fest mit den Füßen aufstampfend, ging der wunderliche Mann mit dem kleinen Schmiedegesellen viele Stufen hinab, und es klang, als ob jede Stufe knurrte:

»Hammerschmiedsg'söll'n – dhun, was mer wöll'n!«

Unten angekommen, sah der Mann wieder aus wie ein gewöhnlicher Europäer, und die Stube, in die sie eintraten, wie eine ganz gewöhnliche Kaufmannsstube.

»Hör',« sagte der Mann zu einem andern, der da saß und schrieb, »wir müssen die Champagnerpropfen da oben an dem Dach neu vergolden, die hat der Nebel ganz blind gemacht.«

Der andere nickte und schrieb weiter.

Der Mann aber sah den kleinen Schmiedegesellen an und zupfte sich an den spitzen Oehrchen. Und dann lachten sie.


Druckfehler.

Seite 24, Zeile 4 von oben, lies : hant statt hante.
" 68, " 3 " " " : Silberflut statt Silberglut.
" 97, " 15 " " " : Weh in der Welt.
" 118, " 8 " " " : nimmer statt immer.
" 122, " 26 " " " : aus seinen Händen.
" 129, " 10 " " " : sein leuchtendes Auge.
" 155, " 23 " " " : drauf ritten.

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Hinweise zur Transkription

Der Schmutztitel wurde entfernt.

Im Originalbuch tragen die Kapitel jeweils am Anfang ornamentalen und am Ende floralen Schmuck, auf den in dieser Transkription verzichtet wurde.

Die im Buch enthaltene Verlagswerbung wurde von der Rückseite des vorderen Einbanddeckels an das Buchende verschoben.

Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.

Darstellung abweichender Schriftarten: gesperrt, Antiqua, fett.

Der Text des Originalbuchs wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Apollo" – "Appollo", "Bacchus" – "Bacchos", "Höckerweib" – "Hökerweib", "Schmiedegeselle" – "Schmiedgeselle", "Sonntagkind" – "Sonntagskind",

mit folgenden Ausnahmen,

entsprechend dem Korrekturverzeichnis des Originalbuchs

Seite 24:
im Original "ich hete in mîne hante gesmogen"
geändert in "ich hete in mîne hant gesmogen"

Seite 68:
im Original "In tiefe, rauschende Silberglut"
geändert in "In tiefe, rauschende Silberflut"

Seite 97:
im Original "als ob all das Weh in Welt"
geändert in "als ob all das Weh in der Welt"

Seite 118:
im Original "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt immer zu Thal"
geändert in "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu Thal"

Seite 122:
im Original "aus ihren Händen weg und zu uns"
geändert in "aus seinen Händen weg und zu uns"

Seite 129:
im Original "und ein leuchtendes Auge weilt"
geändert in "und sein leuchtendes Auge weilt"

Seite 155:
im Original "die Gedanken, die draus ritten"
geändert in "die Gedanken, die drauf ritten"

und außerdem

Seite 13:
im Original "wo wollen die vielen Menschen hin die dort"
geändert in "wo wollen die vielen Menschen hin, die dort"

Seite 25:
im Original "Flüstern durch den Saal und und ein Beben"
geändert in "Flüstern durch den Saal und ein Beben"

Seite 39:
im Original "Weise Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf"
geändert in "Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf"

Seite 40:
im Original "wenn ihr die zackigen Blätter"
geändert in "wenn Ihr die zackigen Blätter"

Seite 45:
im Original "Cochenille – Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger"
geändert in "Cochenille-Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger"

Seite 49:
im Original "Wohl süß ist es zu singen"
geändert in "»Wohl süß ist es zu singen"

Seite 56:
im Original "sieh', doch, da ist das Märchen!"
geändert in "sieh' doch, da ist das Märchen!"

Seite 56:
im Original "die Kinder faßten sich bei deu Händen"
geändert in "die Kinder faßten sich bei den Händen"

Seite 76:
im Original "den Bäuuen aus dem Wege gehen"
geändert in "den Bäumen aus dem Wege gehen"

Seite 85:
im Original "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. 1"
geändert in "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I"

Seite 108:
im Original "deren heißes Menschenherz langsam, zu"
geändert in "deren heißes Menschenherz langsam zu"

Seite 135:
im Original "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!«"
geändert in "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!"

Seite 139:
im Original "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silderfäden"
geändert in "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden"

Seite 140:
im Original "dekorierten Flügel und fliegt von dannen"
geändert in "dekorierten Flügel und fliegt von dannen."

Seite 146:
im Original "Seele verwandelte sich einen"
geändert in "Seele verwandelte sich in einen"

Seite 155:
im Original "finster, beklemmend, Bleiche Gestalten"
geändert in "finster, beklemmend. Bleiche Gestalten"

Seite 157:
im Original "Aus dem lichten, ragenden, Schornstein"
geändert in "Aus dem lichten, ragenden Schornstein"

in der Verlagswerbung:
im Original "Rosenberg. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. = 1 Fr."
geändert in "Rosenberg. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr."

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMÄRCHEN ***
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1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause.
Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™
Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life.
Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws.
The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact
Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.
The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate.
While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate.
International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works
Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support.
Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
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