The Project Gutenberg EBook of Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V1 by Wilhelm Hauff (#6 in our series by Wilhelm Hauff) Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Wer, wie der Herausgeber und Uebersetzer vorliegender merkwuerdiger Aktenstuecke, in den letzten Tagen des Septembers 1822 in Mainz war und in dem schoenen Gasthof zu den drei Reichskronen logierte, wird gewiss diese Tage nicht unter die verlorenen seines Lebens rechnen. Es vereinigte sich damals alles, um das Gasthofleben, sonst nicht gerade das angenehmste, das man fuehren kann, angenehm zu machen. Feine Weine, gute Tafel, schoene Zimmer haette man auch sonst wohl dort gefunden, seltener, gewiss sehr selten so ausgesuchte Gesellschaft. Ich erinnere mich nicht, jemals in meinem Leben, weder vor noch nachher, einen meiner damaligen Tisch- und Hausgenossen gesehen zu haben, und dennoch schlang sich in jenen gluecklichen Tagen ein so zartes, enges Band der Geselligkeit um uns, wie ich es unter Fremden, deren keiner den andern kannte oder seine naehere Verhaeltnisse zu wissen wuenschte, nie fuer moeglich gehalten haette. Der schoene Herbst von 1822 mit seiner erfreulichen Aussicht, dieser Herbst, am Rhein genossen, mag allerdings zu dieser ruhigen Heiterkeit des Gemuets, zu diesem Hingeben jedes einzelnen fuer die Gesellschaft beigetragen haben. Aber nicht mit Unrecht glaube ich diese Erscheinung einem sonderbaren, mir nachher hoechst merkwuerdigen Manne zuschreiben zu muessen. Ich war schon beinahe anderthalb Tage in den drei Reichskronen vor Anker gelegen; haette mich nicht ein Freund, den ich seit langen Jahren nicht gesehen hatte, auf den fuenfundzwanzigsten oder dreissigsten bestellt, ich waere nicht mehr laenger geblieben; denn die schrecklichste Langeweile peinigte mich. Die Gesellschaft im Hause war anstaendig, freundlich sogar, aber kalt. Man liess einander an der Seite liegen, wenig bekuemmert um das Wohl oder das Weh des Nachbars. Wie man einander die schoenen geschmorten Fische, den feinen Braten oder die Saladiere darzubieten habe, wusste jeder, "aber das Genie, ich meine, der Geist" wies sich nicht gehoerig an der Tafel, noch weniger nachher aus. Ich sah eines Nachmittags aus meinem Fenster auf den freien Platz vor dem Hotel hinab und dachte nach ueber meine Forderungen an die Menschen ueberhaupt und an die Gasthofmenschen (worunter ich nicht Wirt und Kellner allein verstand) insbesondere. Da rasselte ein Reisewagen ueber das Steinpflaster der engen Seitenstrasse und hielt gerade unter meinem Fenster. Der geschmackvolle Bau des Wagens liess auf eine elegante Herrschaft schliessen. Sonderbar war es uebrigens, dass weder auf dem Bock, noch hinten im Kabriolett ein Diener sass, was doch eigentlich zu den vier Postpferden, mit welchen der Wagen bespannt war, notwendig gepasst haette. "Vielleicht ein kranker Herr, den sie aus dem Wagen tragen muessen," dachte ich und richtete die Lorgnette genau auf die Hand des grossen stattlichen Oberkellners, der den Schlag oeffnete. "Zimmer vakant?" rief eine tiefe, wohltoenende Maennerstimme. "So viele Euer Gnaden befehlen," war die Antwort des Giganten. Eine grosse, schlanke Gestalt schluepfte schnell aus dem Wagen und trat in die Halle. "Nr. 12 und 13," rief die gebietende Stimme des Oberkellners, und Jean und George flogen im Wettlauf die Treppe hinan. Die Wagentuere war offen geblieben, aber noch immer wollte kein zweiter heraussteigen. Der Oberkellner stand verwundert am Wagen, zweimal hatte er hineingesehen und immer dabei mit dem Kopf geschuettelt. "Bst, Herr Oberkellner, auf ein Wort," rief ich hinab, "wer war denn--" "Werde gleich die Ehre haben," antwortete der Gefaellige und trat bald darauf in mein Zimmer. "Eine sonderbare Erscheinung," sagte ich zu ihm; "ein schwerer Wagen mit vier Pferden, und nur ein einzelner Herr ohne alle Bedienung." "Gegen alle Regel und Erfahrung," versicherte jener, "ganz sonderbar, ganz sonderbar. Jedoch der Postillon versicherte, es sei ein Guter, denn er gab immer zwei Taler schon seit acht Stationen. Vielleicht ein Englaender von Profession, haben alle etwas Apartes." "Wissen Sie den Namen nicht?" fragte ich neugieriger, als es sich schickte. "Wird erst beim Souper auf die Schiefertafel geschrieben," antwortete jener; "haben der Herr Doktor sonst noch etwas--?" Ich wusste zu meinem Verdruss im Augenblicke nichts; er ging und liess mich mit meinen Konjekturen ueber den Einsamen im achtsitzigen Wagen allein. Als ich abends zur Tafel hinabging, schluepfte der Kellner an mir vorueber, eine ungeheure Schiefertafel in der Hand. Er wurde mich kaum gewahr, als er, in einer Hand ein Licht, in der andern die Tafel, vor mich hintrat, mir solche praesentierend. "v. Natas, Partikulier," stand aufgeschrieben. "Hat er noch keine Bedienung?" fragte ich. "Nein," war die Antwort, "er hat zwei Lohnlakaien angenommen, die ihn aber weder aus- noch ankleiden duerfen." Als ich in den Speisesaal trat, hatte sich die Gesellschaft schon niedergelassen; ich eilte still an meinen Stuhl, gegenueber sass Herr von Natas. Hatte dieser Mann schon vorher meine Neugierde erregt, so wurde er mir jetzt um so interessanter, da ich ihn in der Naehe sah. Das Gesicht war schoen, aber bleich, Haar, Augen und der volle Bart von glaenzendem Schwarz, die weissen Zaehne, von den feingespaltenen Lippen oft enthuellt, wetteiferten mit dem Schnee der blendend weissen Waesche. War er alt? War er jung? Man konnte es nicht bestimmen; denn halb schien sein Gesicht mit seinem pikanten Laecheln, das ganz leise in dem Mundwinkel anfaengt und wie ein Woelkchen um die feingebogene Nase zu dem mutwilligen Auge hinaufzieht, frueh gereifte und unter dem Sturm der Leidenschaften verbluehte Jugend zu verraten; bald glaubte man einen Mann von schon vorgerueckten Jahren vor sich zu haben, der durch eifriges Studium einer reichen Toilette sich zu konservieren weiss. Es gibt Koepfe, Gesichter, die nur zu e i n e r Koerperform passen und sonst zu keiner andern. Man werfe mir nicht vor, dass es Sinnestaeuschung sei, dass das Auge sich schon zu sehr an diese Form, wie sie die Natur gegeben, gewoehnt habe, als dass es sich eine andere Mischung denken koennte. Dieser Kopf konnte nie auf einem untersetzten, wohlbeleibten Koerper sitzen, er durfte nur die Krone einer hohen, schlanken, zartgebauten Gestalt sein. So war es auch, und die gedankenschnelle Bewegung der Gesichtsmuskeln, wie sie in leichtem Spott um den Mund, im tiefen Ernst um die hohe Stirne spielten, drueckte sich auch in dem Koerper durch die wuerdige, aber bequeme Haltung, durch die schnelle, runde, beinahe zierliche Bewegung der Arme, ueberhaupt in dem leichten, koeniglichen Anstande des Mannes aus. So war Herr von Natas, der mir gegenueber an der Abendtafel sass. Ich hatte waehrend der ersten Gaenge Musse genug, diese Bemerkungen zu machen, ohne dem interessanten _vis-a-vis_ durch neugieriges Anstarren beschwerlich zu fallen. Der neue Gast schien uebrigens noch mehrere Beobachtungen zu veranlassen; denn an dem oberen Ende der Tafel waren diesen Abend die Brillen mehrerer Damen in immerwaehrender Bewegung; mich und meine Nachbarn hatten sie ueber dem Mittagessen hoechstens mit blossem Auge gemustert. Das Dessert wurde aufgetragen, der Direktor der vorzueglichen Tafelmusik ging umher, seinen wohlverdienten Lohn einzusammeln. Er kam an den Fremden. Dieser warf einen Taler unter die kleine Muenzensammlung und fluesterte dem ueberraschten Sammler etwas ins Ohr. Mit drei tiefen Buecklingen schien dieser zu bejahen und zu versprechen und schritt eilig zu seiner Kapelle zurueck. Die Instrumente wurden aufs neue gestimmt. Ich war gespannt, was jener wohl gewaehlt haben koennte; der Direktor gab das Zeichen, und gleich in den ersten Takten erkannte ich die herrliche Polonaise von Osinsky. Der Fremde lehnte sich nachlaessig in seinen Stuhl zurueck, er schien nur der Musik zu gehoeren; aber bald bemerkte ich, dass das dunkle Auge unter den langen, schwarzen Wimpern rastlos umherlief,--es war offenbar, er musterte die Gesichter der Anwesenden und den Eindruck, den die herrliche Polonaise auf sie machte. Wahrlich! Dieser Zug schien mir einen geuebten Menschenkenner zu verraten. Zwar waere der Schluss unrichtig, den man sich aus der waermern oder kaeltern Teilnahme an dem Reich der Toene auf die groebere oder geringere Empfaenglichkeit des Gemuets fuer das Schoene und Edle ziehen wollte; heult ja doch auch selbst der Hund bei den sanften Toenen der Floete, das Pferd dagegen spitzt die Ohren bei dem mutigen Schmettern der Trompeten, stolzer hebt es den Nacken, und sein Tritt ist fester und straffer. Aber dennoch konnte man nichts Unterhaltenderes sehen als die Gesichter der verschiedenen Personen bei den schoensten Stellen des Stueckes; ich machte dem Fremden mein Kompliment ueber die glueckliche Wahl dieser Musik, und schnell hatte sich zwischen uns ein Gespraech ueber die Wirkung der Musik auf diese oder jene Charaktere entsponnen. Die uebrigen Gaeste hatten sich indessen verlaufen, nur einige, die in der Ferne auf unser Gespraech gelauscht hatten, rueckten nach und nach naeher. Mitternacht war herangekommen, ohne dass ich wusste wie; denn der Fremde hatte uns so tief in alle Verhaeltnisse der Menschen, in alle ihre Neigungen und Triebe hineinblicken lassen, dass wir uns stille gestehen mussten, nirgends so tiefgedachte, so ueberraschende Schluesse gehoert oder gelesen zu haben. Von diesem Abend an ging uns ein neues Leben in den drei Reichskronen auf. Es war, als habe die Freude selbst ihren Einzug bei uns gehalten und feiere jetzt ihre heiligsten Festtage; Gaeste, die sich nie haetten einfallen lassen, laenger als eine Nacht hier zu bleiben, schlossen sich an den immer groesser werdenden Zirkel an und vergassen, dass sie unter Menschen sich befanden, die der Zufall aus allen Weltgegenden zusammengeschneit hatte. Und Natas, dieses seltsame Wesen, war die Seele des Ganzen. Er war es, der sich, sobald er sich nur erst mit seinen naechsten Tischnachbarn bekannt gemacht hatte, zum _Maitre de plaisir_ hergab. Er veranstaltete Feste, Ausfluege in die herrliche Gegend und erwarb sich den innigen Dank eines jeden. Hatte er aber schon durch die sinnreiche Auswahl des Vergnuegens sich alle Herzen gewonnen, so war dies noch mehr der Fall, wenn er die Konversation fuehrte. Jenes ergoetzliche Maerchen von dem Hoernchen des Oberon schien ins Leben getreten zu sein; denn Natas durfte nur die Lippen oeffnen, so fuehlte jeder zuerst die lieblichsten Saiten seines Herzens angeschlagen; auf leichten Schwingen schwirrte dann das Gespraech um die Tafel, mutwilliger wurden die Scherze, kuehner die Blicke der Maenner, schalkhafter das Kichern der Damen, und endlich rauschte die Rede in so fessellosen Stroemen, dass man nachher wenig mehr davon wusste, als dass man sich goettlich amuesiert habe. Und dennoch war der Zauberer, der diese Lust heraufbeschwor, weit entfernt, je in's Rohe, Gemeine hinueberzuspielen. Er griff irgend einen Gegenstand, eine Tagesneuigkeit auf, erzaehlte Anekdoten, spielte das Gespraech geschickt weiter, wusste jedem seine tiefste Eigentuemlichkeit zu entlocken und ergoetzte durch seinen lebhaften Witz, durch seine warme Darstellung, die durch alle Schattierungen von dem tiefsten Gefuehl der Wehmut bis hinauf an jene Ausbrueche der Laune streifte, welche in dem sinnlichsten, reizendsten Kostuem auf der feinen Grenze des Anstandes gaukeln. Manchmal schien es zwar, es moechte weniger gefaehrlich gewesen sein, wenn er dem Heiligen, das er antastete, geradezu Hohn gesprochen, das Zarte, das er benagte, geradezu zerrissen haette; jener zarte, geheimnisvolle Schleier, mit welchem er dies oder jenes verhuellte, reizte nur zu dem luesternen Gedanken, tiefer zu blicken, und das ueppige Spiel der Phantasie gewann in manchem Koepfchen unserer schoenen Damen nur noch mehr Raum; aber man konnte ihm nicht zuernen, nicht widersprechen; seine glaenzenden Eigenschaften rissen unwiderstehlich hin, sie umhuellten die Vernunft mit suessem Zauber, und seine kuehnen Hypothesen schlichen sich als Wahrheit in das unbewachte Herz. * * * * * ZWEITES KAPITEL Der schauerliche Abend. So hatte der geniale Fremdling mich und zwoelf bis fuenfzehn Herren und Damen in einen tollen Strudel der Freude gerissen. Beinahe alle waren ohne Zweck in diesem Haus, und doch wagte keiner, den Gedanken an die Abreise sich auch nur entfernt vorzustellen. Im Gegenteil, wenn wir morgens lange ausgeschlafen, mittags lange getafelt, abends lange gespielt und nachts lange getrunken, geschwatzt und gelacht hatten, schien der Zauber, der uns an dieses Haus band, nur eine neue Kette um den Fuss geschlungen zu haben. Doch es sollte anders werden, vielleicht zu unserm Heil. An dem sechsten Tage unseres Freudenreiches, einem Sonntag, war unser Herr von Natas im ganzen Gasthof nicht zu finden. Die Kellner entschuldigten ihn mit einer kleinen Reise; er werde vor Sonnenuntergang nicht kommen, aber zum Tee, zur Nachttafel unfehlbar da sein. Wir waren schon so an den Unentbehrlichen gewoehnt, dass uns diese Nachricht ganz betreten machte; es war uns, als wuerden uns die Fluegel zusammengebunden und man befehle uns zu fliegen. Das Gespraech kam, wie natuerlich, auf den Abwesenden und auf seine auffallende, glaenzende Erscheinung. Sonderbar war es, dass es mir nicht aus dem Sinne kommen wollte, ich habe ihm, nur unter einer andern Gestalt, schon frueher einmal auf meinem Lebenswege begegnet; so abgeschmackt auch der Gedanke war, so unwiderstehlich draengte er sich mir immer wieder auf. Aus frueheren Jahren her erinnerte ich mich naemlich eines Mannes, der in seinem Wesen, in seinem Blicke hauptsaechlich, grosse Aehnlichkeit mit ihm hatte. Jener war ein fremder Arzt, besuchte nur hie und da meine Vaterstadt und lebte dort immer von Anfang sehr still, hatte aber bald einen Kreis von Anbetern um sich versammelt. Die Erinnerung an jenen Menschen war mir uebrigens fatal; denn man behauptete, dass, so oft er uns besucht habe, immer ein bedeutendes Unglueck erfolgt sei; aber dennoch konnte ich den Gedanken nicht los werden, Natas habe die groesste Aehnlichkeit mit ihm, ja, es sei eine und dieselbe Person. Ich erzaehlte meinen Tischnachbarn den unablaessig mich verfolgenden Gedanken und die unangenehme Vergleichung eines mir so grausenhaften Wesens, wie der Fremde in meiner Vaterstadt war, mit unserem Freunde, der so ganz meine Achtung und Liebe sich erworben hatte; aber noch unglaublicher klingt es vielleicht, wenn ich versichere, dass meine Nachbarn ganz den naemlichen Gedanken hatten; auch sie glaubten, unter einer ganz andern Gestalt unsern geistreichen Gesellschafter gesehen zu haben. "Sie koennten einem ganz bange machen," sagte die Baronin von Thingen, die nicht weit von mir sass, "Sie wollen unsern guten Natas am Ende zum ewigen Juden oder, Gott weiss, zu was sonst noch machen!" Ein kleiner aeltlicher Herr, Professor in T., der seit einigen Tagen sich auch an unsere Gesellschaft angeschlossen und immer still vergnuegt, hie und da etwas weinselig, mitlebte, hatte waehrend unserer "vergleichenden Anatomie", wie er es nannte, still vor sich hingelaechelt und mit kunstfertiger Schnelligkeit seine ovale Dose zwischen den Fingern umgedreht, dass sie wie ein Rad anzusehen war. "Ich kann mit meiner Bemerkung nicht mehr laenger hinter dem Berge halten," brach er endlich los, "wenn Sie erlauben, Gnaedigste, so halte ich ihn nicht gerade fuer den ewigen Juden, aber doch fuer einen ganz absonderlichen Menschen. So lange er zugegen war, wollte wohl hie und da der Gedanke in mir aufblitzen: 'Den hast du schon gesehen, wo war es doch?' aber wie durch Zauber krochen diese Erinnerungen zurueck, wenn er mich mit dem schwarzen, umherspringenden Auge erfasste." "So war es mir gerade auch,--mir auch,--mir auch," riefen wir alle verwundert. "Hm! he, hm!" lachte der Professor. "Jetzt faellt es mir aber von den Augen wie Schuppen, dass es niemand ist als der, den ich schon vor zwoelf Jahren in Stuttgart gesehen habe." "Wie, Sie haben ihn gesehen und in welchen Verhaeltnissen?" fragte Frau von Thingen eifrig und erroetete halb ueber den allzugrossen Eifer, den sie verraten hatte. Der Professor nahm eine Prise, klopfte den Jabot aus und begann: "Es moegen nun ungefaehr zwoelf Jahre sein, als ich wegen eines Prozesses einige Monate in Stuttgart, zubrachte. Ich wohnte in einem der ersten Gasthoefe und speiste auch dort gewoehnlich in grosser Gesellschaft an der Wirtstafel. Einmal kam ich nach einigen Tagen, in welchen ich das Zimmer hatte hueten muessen, zum erstenmal wieder zu Tisch. Man sprach sehr eifrig ueber einen gewissen Herrn Barighi, der seit einiger Zeit die Mittagsgaeste durch seinen lebhaften Witz, durch seine Gewandtheit in allen Sprachen entzuecke; in seinem Lob waren alle einstimmig, nur ueber seinen Charakter war man nicht recht einig; denn die einen machten ihn zum Diplomaten, die andern zu einem Sprachmeister, die dritten zu einem hohen Verbannten, wieder andere zu einem Spion. Die Tuere ging auf, man war still, beinahe verlegen, den Streit so laut gefuehrt zu haben; ich merkte, dass der Besprochene sich eingefunden habe und sah--" "Nun, ich bitte Sie! denselben, der uns"--"denselben, der uns seit einigen Tagen so trefflich unterhaelt. Dies waere uebrigens gerade nichts Uebernatuerliches; aber hoeren Sie weiter: Zwei Tage schon hatte uns Herr Barighi, so nannte sich der Fremde, durch seine geistreiche Unterhaltung die Tafel gewuerzt, als uns einmal der Wirt des Gasthofs unterbrach: 'Meine Herren,' sagte der Hoefliche, 'bereiten Sie sich auf eine koestliche Unterhaltung, die Ihnen morgen zuteil werden wird, vor; der Herr Oberjustizrat Hasentreffer zog heute aus und zieht morgen ein.'" "Wir fragten, was dies zu bedeuten habe, und ein alter grauer Hauptmann, der schon seit vielen Jahren den obersten Platz in diesem Gasthofe behauptete, teilte uns den Schwank mit: 'Gerade dem Speisesaal gegenueber wohnt ein alter Junggeselle, einsam in einem grossen oeden Haus; er ist Oberjustizrat ausser Dienst, lebt von einer anstaendigen Pension und soll ueberdies ein enormes Vermoegen besitzen.' "'Derselbe ist aber ein kompletter Narr und hat ganz eigene Gewohnheiten, wie z.B., dass er sich selbst oft grosse Gesellschaft gibt, wobei es immer flott hergeht. Er laesst zwoelf Kuverts aus dem Wirtshaus kommen, seine Weine hat er im Keller, und einer oder der andere unserer Markoers hat die Ehre zu servieren. Man denkt vielleicht, er hat allerlei hungrige oder durstige Menschen bei sich! Mitnichten! alte, gelbe Stammbuchblaetter, auf jedem ein grosses Kreuz, liegen auf den Stuehlen; dem alten Kauz ist aber so wohl, als wenn er unter den lustigsten Kameraden waere; er spricht und lacht mit ihnen, und das Ding soll so greulich anzusehen sein, dass man immer die neuen Kellner dazu braucht, denn wer e i n m a l bei einem solchen Souper war, geht nicht mehr in das oede Haus. "'Vorgestern war wieder ein Souper, und unser neuer Franz dort schwoert Himmel und Erde, ihn bringe keine Seele mehr hinueber. Den andern Tag nach dem Gastmahl kommt dann die zweite Sonderbarkeit des Oberjustizrats. Er faehrt morgens frueh aus der Stadt und kehrt erst den andern Morgen zurueck, nicht aber in sein Haus, das um diese Zeit fest verriegelt und verschlossen ist, sondern hierher ins Wirtshaus. "Da tut er dann ganz fremd gegen Leute, welche er das ganze Jahr taeglich sieht, speist zu Mittag und stellt sich nachher an ein Fenster und betrachtet sein Haus gegenueber von oben bis unten. "'Wem gehoert das Haus da drueben?` fragt er dann den Wirt. "Pflichtmaessig bueckt sich dieser jedesmal und antwortet: 'Dem Herrn Oberjustizrat Hasentreffer, Ew. Exzellenz aufzuwarten.'" "Aber, Herr Professor, wie haengt denn Ihr toller Hasentreffer mit unserem Natas zusammen?" "Belieben Sie sich doch zu gedulden, Herr Doktor," antwortete jener, "es wird Ihnen gleich wie ein Licht aufgehen. Der Hasentreffer beschaut also das Haus und erfaehrt, dass es dem Hasentreffer gehoere. 'Ach! derselbe, der in Tuebingen zu meiner Zeit studierte?' fragt er dann, reisst das Fenster auf, streckt den gepuderten Kopf hinaus und schreit: 'Ha--a--asentreffer, Ha--a--asentreffer!' "Natuerlich antwortete niemand, er aber sagt dann: Der Alte wuerde es mir nie vergessen, wenn ich nicht bei ihm einkehrte,' nimmt Hut und Stock, schliesst sein eigenes Haus auf, und so geht es nach wie vor." "Wir alle," fuhr der Professor in seiner Erzaehlung fort, "waren sehr erstaunt ueber diese sonderbare Erscheinung und freuten uns koeniglich auf den morgenden Spass. Herr Barighi aber nahm uns das Versprechen ab, ihn nicht verraten zu wollen, indem er einen koestlichen Scherz mit dem Oberjustizrat vorhabe. "Frueher als gewoehnlich versammelten wir uns an der Wirtstafel und belagerten die Fenster. Eine alte, baufaellige Chaise wurde von zwei alten Kleppern die Strasse herangeschleppt, sie hielt vor dem Wirtshaus; 'das ist der Hasentreffer, der Hasentreffer,' toente es von aller Mund, und eine ganz besondere Froehlichkeit bemaechtigte sich unser, als wir das Maennlein zierlich gepudert, mit einem stahlgrauen Roecklein angetan, ein maechtiges Meerrohr in der Hand, aussteigen sahen. Ein Schwanz von wenigstens zehn Kellnern schloss sich ihm an; so gelangte er ins Speisezimmer. "Man schritt sogleich zur Tafel; ich habe selten so viel gelacht als damals; denn mit der groessten Kaltbluetigkeit behauptete der Alte, gerades Weges aus Kassel zu kommen und vor sechs Tagen in Frankfurt im Schwan recht gut logiert zu haben. Schon vor dem Dessert musste Barighi verschwunden sein; denn als der Oberjustizrat aufstand und sich auch die uebrigen Gaeste erwartungsvoll erhoben, war er nirgends mehr zu sehen. "Der Oberjustizrat stellte sich ans Fenster, wir alle folgten seinem Beispiele und beobachteten ihn. Das Haus gegenueber schien oede und unbewohnt; auf der Tuerschwelle sprosste Gras, die Jalousien waren geschlossen; zwischen einigen schienen sich Voegel eingebaut zu haben. "'Ein huebsches Haus da drueben,' begann der Alte zu dem Wirt, der immer in der dritten Stellung hinter ihm stand. 'Wem gehoert es?'-- 'Dem Oberjustizrat Hasentreffer, Euer Exzellenz aufzuwarten.' "'Ei, das ist wohl der naemliche, der mit mir studiert hat?' rief er aus. 'Der wuerde es mir nie verzeihen, wenn ich ihm nicht meine Anwesenheit kund taete.' Er riss das Fenster auf: 'Hasentreffer-- Hasentreffer!' schrie er mit heiserer Stimme hinaus.--Aber wer beschreibt unsern Schrecken, als gegenueber in dem oeden Haus, das wir wohlverschlossen und verriegelt wussten, ein Fensterladen langsam sich oeffnete; ein Fenster tat sich auf, und heraus schaute der Oberjustizrat Hasentreffer im zitzenen Schlafrock und der weissen Muetze, unter welcher wenige graue Loeckchen hervorquollen; so, gerade so pflegte er sich zu Hause zu tragen. Bis auf das kleinste Faeltchen des bleichen Gesichts war der gegenueber der naemliche wie der, der bei uns stand. Aber Entsetzen ergriff uns, als der im Schlafrock mit derselben heiseren Stimme ueber die Strasse herueberrief: 'Was will man, wen ruft man? he!' "'Sind Sie der Herr Oberjustizrat Hasentreffer?' rief der auf unserer Seite, bleich wie der Tod, mit zitternder Stimme, indem er sich bebend am Fenster hielt. "'Der bin ich,' kreischte jener und nickte freundlich grinsend mit dem Kopfe; 'steht etwas zu Befehl?' "'Ich bin er ja auch,' rief der auf unserer Seite wehmuetig, 'wie ist denn dies moeglich?' "'Sie irren sich, Wertester!' schrie jener herueber. 'Sie sind der Dreizehnte; kommen Sie nur ein wenig herueber in meine Behausung, dass ich Ihnen den Hals umdrehe; es tut nicht weh.' "'Kellner, Stock und Hut!' rief der Oberjustizrat, matt bis zum Tod, und die Stimme schlich ihm in klaeglichen Toenen aus der hohlen Brust herauf. 'In meinem Haus ist der Satan und will meine Seele;-- vergnuegten Abend, meine Herren!' setzte er hinzu, indem er sich mit einem freundlichen Bueckling zu uns wandte und dann den Saal verliess. "'Was war das?' fragten wir uns. 'Sind wir alle wahnsinnig?'-- "Der im Schlafrock schaute noch immer ganz ruhig zum Fenster heraus, waehrend unser gutes altes Naerrchen in steifen Schritten ueber die Strasse stieg. An der Haustuere zog er einen grossen Schluesselbund aus der Tasche, riegelte--der im Schlafrock sah ihm ganz gleichgueltig zu--riegelte die schwere, knarrende Haustuer auf und trat ein. "Jetzt zog sich auch der andere vom Fenster zurueck; man sah, wie er dem unsrigen an die Zimmertuere entgegenging. "Unser Wirt, die zehn Kellner waren alle bleich vor Entsetzen und zitterten. 'Meine Herren,' sagte jener, 'Gott sei dem armen Hasentreffer gnaedig, denn einer von beiden war der Leibhaftige.'-- Wir lachten den Wirt aus und wollten uns selbst bereden, dass es ein Scherz von Barighi sei; aber der Wirt versicherte, es habe niemand in das Haus gehen koennen ausser mit den ueberaus kuenstlichen Schluesseln den Rats; Barighi sei zehn Minuten, ehe das Graessliche geschehen, noch an der Tafel gesessen; wie haette er denn in so kurzer Zeit die taeuschende Maske anziehen koennen, auch vorausgesetzt, er haette sich das fremde Haus zu oeffnen gewusst? Die beiden seien aber einander so greulich aehnlich gewesen, dass er, ein zwanzigjaehriger Nachbar, den echten nicht haette unterscheiden koennen. Aber um Gottes willen, meine Herren, hoeren Sie nicht das graessliche Geschrei da drueben?' "Wir sprangen ans Fenster, schrecklich trauervolle Stimmen toenten aus dem oeden Hause herueber; einige Male war es uns, als saehen wir unsern alten Oberjustizrat, verfolgt von seinem Ebenbild im Schlafrock, am Fenster vorbeijagen. Ploetzlich aber war alles still. "Wir sahen einander an; der Beherzteste machte den Vorschlag hinueberzugehen! Alle stimmten ueberein. Man zog ueber die Strasse, die grosse Hausglocke an des Alten Haus toente dreimal, aber es wollte sich niemand hoeren lassen; da fing uns an zu grauen; wir schickten nach der Polizei und dem Schlosser, man brach die Tuere aus, der ganze Strom der Neugierigen zog die breite, stille Treppe hinauf, alle Tueren waren verschlossen; eine ging endlich auf; in einem prachtvollen Zimmer lag der Oberjustizrat im zerrissenen stahlfarbigen Roecklein, die zierliche Frisur schrecklich verzaust, tot, erwuergt auf dem Sofa. "Von Barighi hat man seitdem weder in Stuttgart, noch sonst irgendwo jemals eine Spur gesehen." * * * * * DRITTES KAPITEL. Der schauerliche Abend. (Fortsetzung.) Der Professor hatte seine Erzaehlung geendet, wir sassen eine gute Weile still und nachdenkend. Das lange Schweigen ward mir endlich peinlich; ich wollte das Gespraech wieder anfachen oder auf eine andere Bahn bringen, als mir ein Herr von mittleren Jahren in reicher Jagduniform, wenn ich nicht irre, ein Oberforstmeister aus dem Nassauischen, zuvorkam. "Es ist wohl jedem von uns schon begegnet, dass er unzaehlige Male fuer einen andern gehalten wurde oder auch Fremde fuer ganz Bekannte anredete, und sonderbar ist es, ich habe diese Bemerkung oft in meinem Leben bestaetigt gefunden, dass die Verwechslung weniger bei jenen platten, alltaeglichen, nichtssagenden Gesichtern als bei auffallenden, eigentlich interessanten vorkommt." Wir wollten ihm seine Behauptung als ganz unwahrscheinlich verwerfen; aber er berief sich auf die wirklich interessante Erscheinung unseres Natas. "Jeder von uns gesteht," sagte er, "dass er dem Gedanken Raum gegeben, unsern Freund, nur unter anderer Gestalt, hier oder dort gesehen zu haben, und doch sind seine scharfen Formen, sein gebietender Blick, sein gewinnendes Laecheln ganz dazu gemacht, auf ewig sich ins Gedaechtnis zu praegen." "Sie moegen so unrecht nicht haben," entgegnete Flasshof, ein preussischer Hauptmann, der auf die Strafe des Arrestes hin schon zwei Tage bei uns gezaudert hatte, nach Koblenz in seine Garnison zurueckzukehren. "Sie moegen recht haben; ich erinnere mich einer Stelle aus den launigen Memoiren des italienischen Grafen Gozzi, die ganz fuer Ihre Behauptung spricht. Jedermann, sagt er, hat den Michele d'Agata gekannt und weiss, dass er einen Fuss kleiner und wenigstens um zwei dicker war als ich, und auch sonst nicht die geringste Aehnlichkeit in Kleidung und Physiognomie mit mir gehabt hat. Aber lange Jahre hatte ich beinahe taeglich den Verdruss, von Saengern, Taenzern, Geigern und Lichtputzern als Herr Michele d'Agata angeredet zu werden und lange Klagen um schlechte Bezahlung, Forderungen usw. anhoeren zu muessen. Selten gingen sie ueberzeugt von mir, dass ich nicht Michele d'Agata sei. Einst besuchte ich in Verona eine Dame; das Kammermaedchen meldet mich an: 'Herr Agata.' Ich trat hinein und ward als Michele d'Agata begruesst und unterhalten, ich ging weg und begegnete einem Arzt, den ich wohl kannte. 'Guten Abend, Herr Agata,' war sein Gruss, indem er vorueberging.--Ich glaubte am Ende beinahe selbst, ich sei der Michele d'Agata." Ich wusste dem guten Hauptmann Dank, dass er uns aus den aengstigenden Phantasien, welche die Erzaehlung des Professors in uns aufgeregt hatte, erloeste. Das Gespraech floss ruhiger fort; man stritt sich um das Vorrecht ganzer Nationen, einen interessanten Gesichtsschnitt zu haben, ueber den Einfluss des Geistes auf die Gesichtszuege ueberhaupt und auf das Auge insbesondere; man kam endlich auf Lavater und Konsorten; Materien, die ich hundertmal besprochen, mochte ich nicht mehr wiederkaeuen, ich zog mich in ein Fenster zurueck. Bald folgte mir der Professor dahin nach, um gleich mir die Gesichter der Streitenden zu betrachten. "Welch ein leichtsinniges Volk," seufzte er, "ich habe sie jetzt soeben gewarnt und die Hoelle ihnen recht heiss gemacht, ja, sie wagten in keine Ecke mehr zu sehen, aus Furcht, der Leibhaftige moechte daraus hervorgucken, und jetzt lachen sie wieder und machen tolle Streiche, als ob der Versucher nicht immer umherschleiche." Ich musste lachen ueber die Amtsmiene, die sich der Professor gab. "Noch nie habe ich das schoene Talent eines Vesperpredigers an Ihnen bemerkt," sagte ich; "aber Sie sehen mich in Erstaunen durch Ihre kuehnen Angriffe auf die boese Welt und auf den Argen selbst. Bilden Sie sich denn wirklich ein, dieser harmlose Natas...." "Harmlos nennen Sie ihn?" unterbrach mich der Professor, heftig meine Brust anfassend, "harmlos? haben Sie denn nicht bemerkt," fluesterte er leiser, "dass alles bei diesem feinen--Herrn berechneter Plan ist? O, ich kenne meine Leute!" "Sie setzen mich in Erstaunen, wie meinen Sie denn?" "Haben Sie nicht bemerkt," fuhr er eifrig fort, "dass der gebildete Herr Oberforstmeister dort mit Leib und Seele sein ist, weil er ihm fuenf Naechte hindurch alles Geld abjagte und den Ausgebeutelten gestern nacht noch fuenfzehnhundert Dukaten gewinnen liess? Er nennt den abgefeimten Spieler einen Mann von den nobelsten Sentiments und schwoert auf Ehre, er muesse ueber die Haelfte wieder an den Fremden verlieren, sonst habe er keine Ruhe. Haben Sie ferner nicht bemerkt, wie er den Oekonomierat gekoernt hat?" "Ich habe wohl gesehen," antwortete ich, "dass der Oekonomierat, sonst so moros und misanthropisch, jetzt ein wenig aufgewacht ist; aber ich habe es dem allgemeinen Einfluss der Gesellschaft zugeschrieben." "Behuete. Er laeuft schon seit zwanzig Jahren in den Gesellschaften umher und wacht doch nicht auf; auf dem Weg ist er, ein Bruder Liederlich zu werden. Der Esel reist krank im Lande umher, behauptet, einen grossen Wurm im Leibe zu haben, und macht allen Leuten das Leben sauer mit seinen exorbitanten Behauptungen, und jetzt? Jetzt hat ihn dieser Wundermann erwischt, gibt ihm ein Puelverlein und raet ihm, nicht wie ein anderer vernuenftiger Arzt, Diaet und Maessigkeit, sondern er soll seine Jugend, wie er die fuenfzig Jahre des alten Wurms nennt, geniessen, viel Wein trinken &c., und das _et cetera_ und den Wein benuetzt er seit vier Tagen aerger als der verlorene Sohn." "Und darueber koennen Sie sich aergern, Herr Professor? Der Mann ist sich und dem Leben wieder geschenkt--" "Nicht davon spreche ich," entgegnete der Eifrige, "der alte Suender koennte meinetwegen heute noch abfahren, sondern dass er sich dem naechsten besten Charlatan anvertraut und sich also ruinieren muss. Ich habe ihn vor acht Jahren in der Kur gehabt, und es besserte sich schon zusehends." Der Eifer des Professors war mir nun einigermassen erklaerlich, der Brotneid schaute nicht undeutlich heraus.-- "Und unsere Damen," fuhr er fort, "die sind nun rein toll. Mich dauert der arme Truebenau, ich kenne ihn zwar nicht, aber uebermorgen soll er hier ankommen, und wie findet er die gnaedige Frau? Hat man je gehoert, dass eine junge gebildete Frau in den ersten Jahren einer gluecklichen Ehe sich in ein solches Verhaeltnis mit einem ganz fremden Menschen einlaesst, und zwar innerhalb fuenf Tagen!"-- "Wie? die schoene bleiche Frau dort!" rief ich aus.-- "Die naemliche bleiche," antwortete er, "vor vier Tagen war sie noch schoen rot wie eine Zentifolie, da begegnet ihr der Interessante auf der Strasse, fragt, wohin sie gehe, hoert kaum, dass sie _Rouge fin_ kaufen wolle (denn solche Toilettengeheimnisse auszuplaudern, heisst Bonton), so bittet und fleht er, sie solle doch kein Rot auflegen, sie habe ein so interessantes _je ne sais quoi_, das zu einem blassen Teint viel besser stehe. Was tut Sie? wahrhaftig, sie geht in den naechsten Galanterieladen und sucht weisse Schminke; ich war gerade dort, um ein Pfeifenrohr zu erstehen, da hoerte ich sie mit ihrer suessen Stimme den rauhhaarigen Baeren von einem Ladendiener fragen, ob man das Weiss nicht noch etwas a e t h e r i s c h e r habe? Hol mich der T------! hat man je so etwas gehoert?" Ich bedauerte den Professor aufrichtig; denn, wenn ich nicht irre, so suchte er von Anfang die Aufmerksamkeit der schoenen Frau auf den schon etwas verschossenen Einband seiner gelehrten Seele zu ziehen. Dass es aber mit Natas und der Truebenau nicht ganz richtig war, sah ich selbst. Von der Schminkegeschichte, die jenen so sehr erboste, wusste ich zwar nichts; aber wer sich auf die Exegese der Augen verstand, hatte keinen weiteren Kommentar noetig, um die gegenseitige Annaeherung daraus zu erlaeutern. Der Professor hatte, in tiefe Gedanken versunken, eine Zeitlang geschwiegen; er erhob jetzt sein Auge durch die Brille an die Decke des Zimmers, wo allerlei Engelein in Gips aufgetragen waren. "Himmel," seufzte er, "und die Thingen hat er auch. Sie glauben nicht, welcher Reiz in dem ewig heitern Auge, in diesen Gruebchen auf den bluehenden Wangen, in dem Schmelz ihrer Zaehne, in diesen frischen, zum Kuss geoeffneten Lippen, in diesen weichen Armen, in diesen runden, vollen Formen der schwellenden--" "Herr Professor!" rief ich, erschrocken ueber seine Extase, und schuettelte ihn am Arm ins Leben zurueck. "Sie geraten ausser sich, Wertester. Belieben Sie nicht eine Prise Spaniol?" "Er hat sie auch," fuhr er zaehneknirschend fort. "Haben Sie nicht bemerkt, mit welcher Hast sie vorhin nach seinen Verhaeltnissen fragte? Wie sie rot ward? Jung, schoen, wohlhabend, Witwe,--sie hat alles, um eine angenehme Partie zu machen. Geistreiche Maenner von Ruf in der literarischen Welt buhlen um ihre Gunst, sie wirft sich an einen--Landstreicher hin. Ach, wenn Sie wuessten, bester Doktor, was mir der Oberkellner sagte, aber mit der groessten Diskretion, dass man ihn vorgestern nachts aus ihrem Zimmer...." "Ich bitte, verschonen Sie mich," fiel ich ein, "gestehen Sie mir lieber, ob der Wundermensch Sie selbst noch nicht unter den Pantoffel gebracht hat." "Das ist es eben," antwortete der Gefragte, verlegen laechelnd, "das ist es, was mir Kummer macht. Sie wissen, ich lese ueber Chemie; er brachte einmal das Gespraech darauf und entwickelte so tiefe Kenntnisse, deckte so neue und kuehne Ideen auf, dass mir der Kopf schwindelte. Ich moechte ihm um den Hals fallen und um seine Hefte und Notizen bitten; es zieht mich mit unwiderstehlicher Geisterkraft in seine Naehe, und doch koennte ich ihm mit Freuden Gift beibringen." Wie komisch war die Wut dieses Mannes! Er ballte die Faust und fuhr damit hin und her, seine gruenen Brillenglaeser funkelten wie Katzenaugen, sein kurzes, schwarzes Haar schien sich in die Hoehe zu richten. Ich suchte ihn zu besaenftigen. Ich stellte ihm vor, dass er ja nicht aerger losziehen koennte, wenn der Fremde der Teufel selbst waere; aber er liess mich nicht zum Worte kommen. "Er ist es, der Satan selbst logiert hier in den drei Reichskronen," rief er, "um unsere Seelen zu angeln. Ja, du bist ein guter Fischer und hast eine feine Nase; aber ein ----r Professor wie ich, der sogar in demagogischen Untersuchungen die Lunte gleich gerochen und eigens deswegen hierher nach Mainz gereist ist, ein solcher hat noch eine feinere als du." Ein heiseres Lachen, das gerade hinter meinem Ruecken zu entstehen schien, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich wandte mich um und glaubte Natas hoehnisch durch die Scheiben hereingrinsen zu sehen. Ich ergriff den Professor am Arm, um ihm die sonderbare Erscheinung zu zeigen, denn das Zimmer lag einen Stock hoch; dieser aber hatte weder das Lachen gehoert, noch konnte er meine Erscheinung sehen; denn als er sich umwandte, sah nur die bleiche Scheibe des Mondes durch die Fenster dort, wo ich vorhin das greulich verzerrte Gesicht des geheimnisvollen Fremdlings zu sehen geglaubt hatte. Ehe ich noch recht mit mir einig war, ob das, was ich gesehen, Betrug der Sinne, Ausgeburt einer aufgeregten Phantasie oder Wirklichkeit war, ward die Tuere aufgerissen und Herr von Natas trat stolzen Schrittes in das Zimmer. Mit sonderbarem Laecheln mass er die Gesellschaft, als wisse er ganz gut, was von ihm gesprochen worden sei, und ich glaubte zu bemerken, dass keiner der Anwesenden seinen forschenden Blick auszuhalten vermochte. Mit der ihm in eigenen Leichtigkeit hatte er der Truebenau gegenueber, neben der Frau von Thingen, Platz genommen und die Leitung der Konversation an sich gerissen. Das boese Gewissen liess den Professor nicht an den Tisch sitzen, mich selbst fesselte das Verlangen, diesen Menschen einmal aus der Ferne zu beobachten, an meinen Platz am Fenster. Da bemerkten wir denn das Augenspiel zwischen Frau von Truebenau und dem gewandtesten der Liebhaber, der, indem er der Tochter des Oekonomierats so viel Verbindlichkeiten zu sagen wusste, dass sie einmal ueber das andere bis unter die breiten Bruesseler Spitzen ihrer Busenkrause erroetete, das feingeformte Fuesschen der Frau von Thingen auf seinem blankgewichsten Stiefel tanzen liess. "Drei Muecken auf einen Schlag, das heisse ich doch--meiner Seel'-- aller Ehre wert," brummte der zorngluehende Professor, dem jetzt auch seine letzte Ressource, die oekonomische Schoene, so was man sagt, vor dem Mund weggeschnappt werden sollte. Mit toenenden Schritten ging er an den Tisch, nahm sich einen Stuhl und setzte sich, breit wie eine Mauer, neben seine Schoene. Doch diese schien nur Ohren fuer Natas zu haben; denn sie antwortete auf seine Frage, ob sie sich wohl befinde, "uebermorgen," und als er voll Gram die Anmerkung hinwarf, sie scheine sehr zerstreut, meinte sie "1 fl. 30 kr. die Elle." Ich sah jetzt einem unangenehmen Auftritt entgegen. Der Professor, der nicht daran dachte, dass er durch ein Sonett oder Triolett alles wieder gut machen, ja durch ein Paar _ottave rime_ sich sogar bei der Truebenau wieder insinuieren koennte, widersprach jetzt geradezu jeder Behauptung, die Natas vorbrachte. Und ach! nicht zu seinem Vorteil; denn dieser, in der Dialektik dem guten Kathedermann bei weitem ueberlegen, fuehrte ihn so aufs Eis, dass die leichte Decke seiner Logik zu reissen und er in ein Chaos von Widerspruechen hinabzustuerzen drohte. Eine lieblich duftende Bowle Punsch unterbrach einige Zeit den Streit der Zunge, gab aber dafuer Anlass zu desto feindseligern Blicken zwischen Frau von Truebenau und Frau von Thingen. Diese hatte, ihrer schoenen, runden Arme sich bewusst, den gewaltigen silbernen Loeffel ergriffen, um beim Eingiessen die ganze Grazie ihrer Haltung zu entwickeln. Jene aber kredenzte die gefuellten Becher mit solcher Anmut, mit so liebevollen Blicken, dass das Bestreben, sich gegenseitig so viel als moeglich Abbruch zu tun, unverkennbar war. Als aber der sehr starke Punsch die leisen Schauer des Herbstabends verdraengt hatte, als er anfing, die Wangen unserer Damen hoeher zu faerben und aus den Augen der Maenner zu leuchten, da schien es mir mit einem Male; als sei man, ich weiss nicht wie, aus den Grenzen des Anstandes herausgetreten. Allerlei dumme Gedanken stiegen in mit auf und nieder, das Gespraech schnurrte und summte wie ein Muehlrad, man lachte, und jauchzte und wusste nicht ueber was. Man kicherte und neckte sich, und der Oberforstmeister brachte sogar ein Pfaenderspiel mit Kuessen in Vorschlag. Ploetzlich hoerte ich jenes heisere Lachen wieder, das ich vorhin vor dem Fenster zu hoeren glaubte wirklich, es war Natas, der dem Professor zuhoerte und trotz dem Eifer und Ernst, mit welchem dieser alles vorbrachte, alle Augenblicke in sein heiseres Gelaechter ausbrach. "Nicht wahr, meine Herzen und Damen," schrie der Punsch aus dem Professor heraus, "Sie haben vorhin selbst bemerkt, dass unser verehrter Freund dort jedem von Ihnen, nur in anderer Gestalt, schon begegnet ist? Sie schweigen? Ist das auch Raison, einen so im Sand sitzen zu lassen? Herr Oberforstmeister! Frau von Thingen, gnaedige Frau! Sagen Sie selbst, namentlich Sie, Herr Doktor!" Wir befanden uns durch die Indiskretion des Professors in grosser Verlegenheit. "Ich erinnere mich," gab ich zur Antwort, als alles schwieg, "von interessanten Gesichtern und ihren Verwechselungen gesprochen zu haben. Und wenn ich nicht irre, wurde auch Herr von Natas aufgefuehrt." Der Benannte verbeugte sich und meinte, es sei gar zu viel Ehre, ihn unter die Interessanten zu zaehlen; aber der Professor verdarb wieder alles. "Was da! ich nehme kein Blatt vor der Mund!" sagte er, "ich behauptete, dass mir ganz unheimlich in dero Naehe sei, und erzaehlte, wie Sie in Stuttgart den armen Hasentreffer erwuergt haben, wissen Sie noch, gnaediger Herr?" Dieser aber stand auf, lief mit schrillendem Gelaechter im Zimmer umher, und ploetzlich glaubte ich den unglueckbringenden Doktor meiner Vaterstadt vor mir zu haben; es war nicht mehr Natas, es war ein aelterer, unheimlicher Mensch. "Da hat man' s ja deutlich," rief der Professor, "dort laeuft er als Barighi umher." "Barighi?" entgegnete Frau von Truebenau. "Bleiben Sie doch mit Ihrem Barighi zu Hause, es ist ja unser lieber Privatsekretaer Gruber, der da hereingekommen ist." "Ich moechte doch um Verzeihung bitten, gnaedige Frau," unterbrach sie der Oberforstmeister, "es ist der Spieler Maletti, mit dem ich in Wiesbaden letzten Sommer assoziiert war." "Ha! ha! wie man sich doch taeuschen kann," sprach Frau von Thingen, den Auf- und Abgehenden durch die perlmutterne Brille beschauend, "es ist ja niemand anders als der Kapellmeister Schmalz, der mir die Gitarre beibringt." "Warum nicht gar!" brummte der alte Oekonomierat, "es ist der lustige Kommissaer, der mir die gute Brotlieferung an das Spital in D---n verschafft." "Ach! Papa!" kicherte sein Toechterlein, "jener war ja schwarz, und dieser ist blond! Kennen Sie denn den jungen Landwirt nicht mehr, der sich bei uns ins Praktische einschiessen wollte?" "Hol mich der Kuckuck und alle Wetter," schrie der preussische Hauptmann, "das ist der verfluchte Ladenprinz und Ellenreiter, der mir mein Lorchen wegfischte! Auf Pistolen fordere ich den Hund, gleich morgen, gleich jetzt." Er sprang auf und wollte auf den immer ruhig Auf- und Abgehenden losstuerzen. Der Professor aber packte ihn am Arm: "Bleiben Sie weg, Wertester!" schrie er, "ich hab's gefunden, ich hab's gefunden, kehrt seinen Namen um, es ist der S a t a n!" * * * * * VIERTES KAPITEL. Das Manuskript So viel, als ich hier niedergeschrieben habe, lebt von diesem Abend noch in meiner Erinnerung; doch kostete es geraume Zeit, bis ich mich auf alles wieder besinnen konnte. Ich muss in einem langen, tiefen Schlaf gewesen sein; denn als ich erwachte, stand Jean vor mir und fragte, indem er die Gardine fuer die Morgensonne oeffnete, ob jetzt der Kaffee gefaellig sei? Es war elf Uhr. Wo war denn die Zeit zwischen gestern und heute hingegangen? Meine erste Frage war, wie ich denn zu Bett gekommen sei. Der Kellner staunte mich an und meinte mit sonderbarem Laecheln, das muesse ich besser wissen als er. "Ah! ich erinnere mich," sagte ich leichthin, um meine Unwissenheit zu verbergen, "nach der Abendtafel...." "Verzeihen der Herr Doktor," unterbrach mich der Geschwaetzige. "Sie haben nicht soupiert. Sie waren ja alle zu Tee und Punsch auf Nr. 15." "Richtig, auf Nr. 15, wollte ich sagen. Ist der Herr Professor schon auf?" "Wissen Sie denn nicht, dass sie schon abgereist sind?" fragte der Kellner. "Kein Wort!" versicherte ich staunend. "Er laesst sich Ihnen noch vielmal empfehlen, und Sie moechten doch in T. bei ihm einsprechen; auch laesst er Sie bitten, seiner und des gestrigen Abends recht oft zu gedenken, er habe es ja gleich gesagt." "Aha, ich weiss schon," sagte ich; denn mit einemmal fiel mir ein Teil des gestern Erlebten ein. "Wann ist er denn abgereist?" "Gleich in der Fruehe," antwortete jener, "noch vor dem Oekonomierat und dem Herrn Oberforstmeister." "Wie? so sind auch diese weggereist?" "Ei ja!" rief der staunende Kellner. "So wissen Sie auch das nicht? Auch nicht, dass Frau von Thingen und die gnaedige Frau von Truebenau--" "Sie sind auch nicht mehr hier?" "Kaum vor einer halben Stunde sind die gnaedige Frau weggefahren," versicherte jener. Ich rieb mir die Augen, um zu sehen, ob ich nicht traeume, aber es war und blieb so. Jean stand nach wie vor an meinem Bette und hielt das Kaffeebrett in der Hand. "Und Herr von Natas?" fragte ich kleinlaut. "Ist noch hier. Ach, das ist ein goldener Herr. Wenn der nicht gewesen waere, wir waeren heute nacht in die groesste Verlegenheit gekommen." "Wieso?" "Nun bei der Fatalitaet mit der Frau von Truebenau. Wer haette aber auch dem gnaedigen Herrn zugetraut, dass er so gut zur Ader zu lassen verstuende?" "Zur Ader lassen? Herr von Natas?" "Ich sehe, der Herr Doktor sind sehr fruehzeitig zu Bette gegangen und haben eine ruhigere Nacht gehabt als wir." Jean belehrte mich in leichtfertigem Ton: "Es mochte kaum elf Uhr gewesen sein, die Geschichte mit der Polizei war schon vorbei--" "Was fuer eine Geschichte mit der Polizei?" "Nun, Nr. 15 ist vorn hinaus, und weil, mit Permiss zu sagen, dort ein ganz hoellischer Laerm war, so kam die Runde ins Haus und wollte abbieten. Herr von Natas aber, der ein guter Bekannter des Herrn Polizeileutnants sein muss, beruhigte sie, dass sie wieder weitergingen. Also gleich nachher kam das Kammermaedchen der Frau von Truebenau herabgestuerzt, ihre gnaedige Frau wolle sterben. Sie koennen sich denken, wie unangenehm so etwas in einem Gasthof nachts zwischen elf und zwoelf Uhr ist. Wir wie der Wind hinauf; auf der Treppe begegnet uns Herr von Natas, fragt, was das Rennen und Laufen zu bedeuten habe, hoert kaum, wo es fehlt, so laeuft er in sein Zimmer, holt sein Etui, und ehe fuenf Minuten vergehen, hat er der gnaedigen Frau am Arm mit der Lanzette eine Ader geoeffnet, dass das Blut in einem Bogen aufsprang. Sie schlug die Augen wieder auf, und es war ihr bald wohl; doch versprach Herr von Natas, bei ihr zu wachen." "Ei! was Sie sagen, Jean!" rief ich voll Verwunderung. "Ja, warten Sie nur! Kaum ist eine Stunde vorbei, so ging der Tanz von neuem los. Aus Nr. 18 laeutete es, dass wir meinten, es brenne drueben in Kassel. Des Herrn Oekonomierats Rosalie hatte ihre hysterischen Anfalle bekommen. Der Alte mochte ein Glas ueber den Durst haben; denn er sprach vom Teufel, der ihn und sein Kind holen wolle. Wir wussten nichts anderes, als wieder unsere Zuflucht zu Herrn von Natas zu nehmen. Er hatte versprochen, bei Frau von Truebenau mit dem Kammermaedchen zu wachen; aber, lieber Gott, geschlafen muss er haben wie ein Dachs; denn wir pochten drei-, viermal, bis er uns Antwort gab, und die Kammerkatze war nun gar nicht mehr zu erwecken." "Nun, und liess er der schoenen Rosalie zur Ader?" "Nein, er hat ihr, wie mir Lieschen sagte, Senfteig zwei Hand breit aufs Herz gelegt, darauf soll es sich bald gegeben haben." "Armer Professor!" dachte ich, "dein huebsches Roeschen mit ihren sechzehn Jaehrchen und dieser Natas in traulicher Stille der Nacht, ein Pflaster ans das pochende Herz pappend." "Der Herr Papa Oekonomierat war wohl sehr angegriffen durch die Geschichte?" fragte ich, um ueber die Sache ins Klare zu kommen. "Es schien nicht; denn er schlief schon, ehe noch Lieschen mit dem Hirschhorngeist aus der Apotheke zurueckkam. Aber es laeutet im zweiten Stock, und das gilt mir." Er sprach's und flog pfeilschnell davon. So war auf einmal die lustige Gesellschaft zerstoben; und doch wusste ich nicht, wie dies alles so ploetzlich kommen konnte. Ich entsann mich zwar, dass gestern bei dem Punsch etwas Sonderbares vorgefallen war; was es aber gewesen sein mochte, konnte ich mich nicht erinnern. Sollte Natas mir Aufschluss geben koennen? Doch, wenn ich recht nachsann, mit Natas war etwas vorgefallen. Der Professor schwankte in meiner Erinnerung umher--am besten deuchte mir, zu Natas zu gehen und ihn um die Ursache des schnellen Aufbruchs zu befragen. Ich warf mich in die Kleider, und ehe ich noch ganz mit der kurzen Toilette fertig war, brachte mir ein Lohnlakai folgendes Billett: "Ew. Wohlgeboren wuerden mich unendlich verbinden, wenn Sie vor meiner Abreise von hier, die auf den Mittag festgesetzt ist, mich noch einmal besuchen wollten. v. Natas." Neugierig folgte ich diesem Ruf und traf den Freund reisefertig zwischen Koffern und Kaestchen stehen. Er kam mir mit seiner gewinnenden Freundlichkeit entgegen, doch genierte mich ein unverkennbarer Zug von Ironie, der heute um seinen Mund spielte und den ich sonst nie an ihm bemerkt hatte. Er lachte mich aus, dass ich mich vor den Damen als schwachen Trinker ausgewiesen und einen Haarbeutel mir umgeschnallt habe, erzaehlte mir, dass ich selig entschlafen sei, und fragte mich mit einem lauernden Blick, was ich noch von gestern nacht wisse. Ich teilte ihm meine verworrenen Erinnerungen mit, er belachte sie herzlich und nannte sie Ausgeburten einer kranken Phantasie. Die Abreise der ganzen Gesellschaft gab er einer grossen Herbstfeierlichkeit schuld, welche in Worms gehalten werde. Sie seien alle, sogar der morose Oekonomierat, dorthin gereist, ihn selbst aber riefen seine Geschaefte den Rhein hinab. Die Zufaelle der Truebenau und der schoenen Rosalie mass er dem starken Punsch bei und freute sich, durch Liebhaberei gerade so viele medizinische Kenntnisse zu besitzen, um bei solchen kleinen Zufaellen helfen zu koennen. Wir hoerten den Wagen vorfahren, der Kellner meldete dies und brachte von dem dankbaren Hotel eine Flasche des aeltesten Rheinweins. Natas hatte sie verdient, denn wahrlich, nur er hatte uns solange hier gefesselt. "Sie sind Schriftsteller, lieber Doktor?" fragte er mich, waehrend wir den narkotisch duftenden Abschiedstrunk ausschluerften. "Wer pfuscht nicht heutzutage etwas in die Literatur?" antwortete ich ihm. "Ich habe mich frueher als Dichter versucht, aber ich sah bald genug ein, dass ich nicht fuer die Unsterblichkeit singe. Ich griff daher einige Toene tiefer und uebersetzte unsterbliche Werke fremder Nationen fuers liebe deutsche Publikum." Er lobte meine bescheidene Resignation, wie er es nannte, und fragte mich, ob ich mich entschliessen koennte, die Memoiren eines beruehmten Mannes, die bis jetzt nur im Manuskript vorhanden seien, zu uebersetzen? "Vorausgesetzt, dass Sie dechiffrieren koennen, ist es eine leichte Arbeit fuer Sie, da ich Ihnen den Schluessel dazu geben wuerde und das Manuskript im Hochdeutschen abgefasst ist." Ich zeigte mich, wie natuerlich, sehr bereitwillig dazu. Dechiffrieren verstand ich frueher und hoffte es mit wenig UEbung vollkommen zu lernen. Er schloss ein schoenes Kaestchen von rotem Saffian auf und ueberreichte mir ein vielfach zusammengebundenes Manuskript. Die Zeichen krochen mir vor dem Auge umher wie Ameisen in ihren aufgestoerten Huegelchen; aber er gab mir den Schluessel seiner Geheimschrift, und die Arbeit schien mir noch einmal so leicht. Wir umarmten uns und sagten uns Lebewohl. Unter warmem Dank fuer seine Guete, die er noch zuletzt fuer mich gehabt, fuer die schoenen Tage, die er uns bereitet habe, begleitete ich ihn an den Wagen. Die Wagentuere schloss sich, der Postillon hieb auf seine vier Rosse, sie zogen an, und die interessante Erscheinung flog von hinnen; aber aus dem Innern des Wagens glaubte ich jenes heisere Lachen zu vernehmen, das ich von gestern her unter den Bruchstuecken meiner Erinnerung bewahrte. Als ich die Treppe hinanstieg, haendigte mir der Oberkellner einen Brief ein. Der Professor habe ihm solchen zu meinen eigenen Haenden zu uebergeben befohlen; ich riss ihn auf-- "Verehrter, Wertgeschaetzter! "Ich bin im Begriff, mein Ross zu besteigen und aus dieser Hoehle des bruellenden Loewen zu entfliehen. Ich sage Ihnen schriftlich Lebewohl, weil Sie aus der todaehnlichen Betaeubung, die Sie haerter als uns alle befallen hat, nicht zu wecken sind. Dass unser schoenes Zusammenleben so schauerlich enden musste! Nicht wahr, lieber Zweifler, jetzt haben Sie es klar, dass dieser Natas nichts anderes als der leibhaftige Satan war! "Er schaut mir vielleicht in diesem Augenblicke ueber die Schulter und liest, was ich sage: aber dennoch schweige ich nicht. Den armen Oekonomierat und sein Toechterlein, die blasse Truebenau, meine schoene Thingen, den Hauptmann und den Oberforstmeister hat er in seinem Netz. Gott gebe, dass er Sie nicht auch gekoedert hat. Mich hat er halb und halb; denn ich habe allzu tief eingebissen in seine mit chemischen Ideen bespickte Angel. Ich reisse mich los und mache, dass ich fortkomme. "Adieu, Bester! Montag, den 7. Oktober, frueh 6 Uhr." Jetzt kehrten meine Erinnerungen in Scharen zurueck. Ja, es war der Teufel, der sein Spiel mit uns gespielt hatte; es war der Teufel, dem es gestern Spass gemacht hatte, uns zu aengstigen; es mussten des Teufels Memoiren sein, die ich in der Hand hielt. Wer stand mir aber dafuer, dass diese Schriftzuege mir nicht durch die Augen ins Gehirn hinaufkrochen und mich wahnsinnig machten; und konnte ich mich nicht gerade dadurch, dass ich den Dechiffreur und Dekopisten des Satans machte, unbewusst in seine Leibeigenschaft hineinschreiben? Ich packte die Handschrift in meinen Koffer und reiste dem Professor nach, um ihn um Rat zu fragen. Aber in Worms traf ich keine Spur von irgendeinem der lustigen Gesellschaft in den drei Reichskronen. Entweder hat sie der Satan eingeholt und in seinem achtsitzigen Wagen in sein ewiges Reich gehaudert, oder er hat mich in den April geschickt. Das letztere schien mir wahrscheinlicher. In Worms aber traf ich einen frommen Geistlichen, der an der Domkirche angestellt war. Ich trug ihm meinen Fall vor und erhielt den Bescheid, ich solle so viele Messen darueber lesen lassen, als das Manuskript Bogen enthalte. Der Rat schien mir nicht uebel. Ich reiste in meine Heimat und schickte am naechsten Sonntag den ersten Satansbogen in die Kirche. _Probatum est_; am Montag fing ich an zu dechiffrieren und habe noch nicht das geringste Spukhafte weder an dem Papier noch an mir bemerkt. Von meinen Genossen in Mainz habe ich indessen wenig mehr gehoert. Der Professor faehrt fort, durch seine Entdeckungen in der Chemie zu glaenzen, und ich fuerchte, er ist auf dem Wege, dem Satan Gehoer zu geben, der ihn zu einem B e r z e l i u s machen will. Der Hauptmann soll sich erschossen haben, Frau von Thingen aber, die schoene Witwe, hat nach einer Anzeige im Hamburger Korrespondenten vor nicht gar langer Zeit wieder geheiratet. * * * * * DIE STUDIEN DES SATAN AUF DER BERUEHMTEN UNIVERSITAET ......EN. "Betrogene Betrueger! Eure Ringe sind alle drei nicht echt! der echte Ring vermutlich ging verloren." Lessing, Nathan. III. 7. FUENFTES KAPITEL. Einleitende Bemerkungen. Alle Welt schreibt oder liest in dieser Zeit Memoiren; in den Salons der grossen und kleinen Residenzen, in den Ressourcen und Kasinos der Mittelstaedte, in den Tabagien und Kneipen der kleinen spricht man von Memoiren, urteilt nach Memoiren und erzaehlt nach Memoiren, ja, es koennte scheinen, es sei seit zwoelf Jahren nichts Merkwuerdiges mehr auf der Erde als ihre Memoiren. Maenner und Frauen ergreifen die Feder, um den Menschen schriftlich darzutun, dass auch sie in einer merkwuerdigen Zeit gelebt, dass auch sie sich einst in einer Sonnennaehe bewegt haben, die ihrer sonst vielleicht gehaltlosen Person einen Nimbus von Bedeutsamkeit verliehen. Gekroente Haeupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer frueheren Grandezza, wo sie, wie in der Bilderfibel, mit der Krone auf dem Haupt zu Bette gingen, erhoben zu haben; nicht zufrieden damit, dass sie auf Kurierreisen Europa von einem Ende bis zum andern durchfliegen, um sich gegenseitig ihrer Freundschaft zu versichern, schreiben Memoiren fuer ihre Voelker, erzaehlen ihnen ihre Schicksale, ihre Reisen. Die Mitwelt ist zur Nachwelt gemacht worden, man hat ihr einen neuen Massstab, wonach sie die Handlungen richte, in die Haende gegeben; es sind die Memoiren. Grosse Generale, beruehmte Marschaelle, weit entfernt, das Beispiel jenes Roemers nachzuahmen, der in der Musse des Friedens die Taten der Legionen unter seiner Fuehrung der Nachwelt wuerdig zu ueberliefern glaubte, wenn er von sich nur immer in der dritten Person spraeche, haben den bescheideneren Weg eingeschlagen, sprechen von sich, wie es Maennern von solchem Gewichte ziemt, als ich, bauen aus ihren Memoiren ein Odeon in verjuengtem Massstabe und treten herzhaft vorne auf der Buehne auf. Mit Schlachtstuecken im grossen Stil dekorieren sie die Kulissen; Staatsmaenner und beruehmte Damen, die grosse Armee und ihre lorbeerbekraenzten Adler, die ganze Mitwelt stellen sie im Hintergrund als Figuranten aus; sie selbst aber spielen ihre Sullas oder Brutus, wuerdig des unsterblichen Talma. _Mundus vult decipi_, d. i. die Leute lesen Memoiren; was haelt mich ab, denselben auch ein solches Gericht "Gerngesehen" vorzusetzen? Man wendet vielleicht ein: "Der Schuster bleibe bei seinem Leisten, der Satan hat sich nicht mit Memoirenschreiben abzugeben." Ei! wirklich? Und wenn nun dieser Satan doch einen Beruf haette, Memoiren in die Welt zu streuen, wenn er doch so viel oder noch mehr gesehen haette als jene kriegerischen Diplomaten oder diplomatischen Krieger, welche die Welt mit ihrem l i t e r a r i s c h e n Ruhme anfuellen, nachdem die Bulletins ihrer Siege zu erwaehnen aufgehoert haben; wenn nun dieser arme Teufel einen Drang in sich fuehlte, auch fuer einen _homo literatus_ zu gelten? Ja, ich gestehe es mit Erroeten, je laenger ich mich in meinem lieben Deutschland umhertreibe, desto unwiderstehlicher reisst es mich hin zu schriftstellern; und wenn es den Damen erlaubt ist, die Finger mit Tinte zu beschmutzen, so wird es doch dem Teufel auch noch erlaubt sein? Und da komme ich auf einen zweiten Punkt; man sagt vielleicht gegen meine schriftstellerischen Versuche, ich sei kein Literatus, kein Mann vom Gewerbe &c. Aber fuers erste habe ich soeben die Damen, welche, wenn sie noch so gelehrt, doch keine Gelehrten von Profession sind, anzufuehren die Ehre gehabt; sodann berufe ich mich auf jene Soehne des Lagers, die unter Gefahren gross geworden, unter Strapazen ergraut, keine Zeit hatten, _Humaniora_ zu studieren, und dennoch so glaenzende Memoiren schreiben; ich behaupte drittens, dass das Vorurteil, ich sei ein unstudierter Teufel, ganz falsch ist; denn ich bin in _optima forma_ Doktor der Philosophie geworden, wie aus meinen Memoiren zu ersehen, und kann das Diplom schwarz auf weiss aufweisen. Der Erzengel Gabriel, als ich ihn mit dem Plan, meine Memoiren auszuarbeiten, bekannt machte, warnte mich mit bedenklicher Miene vor den sogenannten Rezensenten. Er gab mir zu verstehen, dass ich uebel wegkommen koennte, indem solche niemand schonen, ja sogar neuerdings selbst Doktoren der Theologie in Berlin, Halle und Leipzig hart mitgenommen haben. Ich erwiderte ihm nicht ohne Gelehrsamkeit, dass das Sprichwort _"clericus clericum non decimat"_ fueglich auch auf mein Verhaeltnis zu den Rezensenten angewandt werden koenne; werde ich ja doch schon im Alten Testament S a t a n, _adversarius_, das ist Widersacher, genannt, was auch ganz auf jene passe; den schlagendsten Beweis nehme ich aber aus dem Neuen Testament; dort werde ich _diabolos_ oder Verleumder genannt; da nun _diaballein_ soviel als _acerbe recensere_, so muesse er, wenn er nur ein wenig Logik habe, den Schluss von selbst ziehen koennen. Der Erzengel bekam, wie natuerlich, nicht wenig Respekt vor meiner Gelehrsamkeit in Sprachen und meinte selbst, dass es mir auf diese Art nicht fehlen koenne. Man wird bei Durchlesung dieser Mitteilungen aus meinen Memoiren vielleicht nicht jenes systematische, ruhige Fortschreiten der Rede finden, das den Werken tief denkender Geister so eigen zu sein pflegt. Man wird kuerzere und laengere Bruchstuecke aus meinem Walten und Treiben auf der Erde finden und den inneren Zusammenhang vermissen. Man tadle mich nicht deswegen; es war ja meine Absicht nicht, ein Gemaelde dieser Zeit zu entwerfen, man trifft deren genug in allen soliden Buchhandlungen Deutschlands. Der Memoirenschreiber hat seinen Zweck erreicht, wenn er sich und seine Stellung zu der Zeit, welcher er angehoert, darstellt und darueber reflektiert, wenn er Begebenheiten entwickelt, die entweder auf ihn oder die Mitwelt naehere oder entferntere Beziehung haben, wenn er beruehmte Zeitgenossen und seine Verhaeltnisse zu ihnen dem Auge vorfuehrt. Und diese Forderungen glaube ich in meinen Memoiren erfuellt zu haben; sie sind es wenigstens, die mich bei meiner Arbeit leiteten, die meine Kuehnheit vor mir rechtfertigten, vor einem geehrten Publikum als Schriftsteller aufzutreten. [Fussnote: Was der Satan hier ernsthaft und gelehrt spricht, er gebaerdet sich beinahe wie ein junger Kandidat der Theologie, der seine erste Predigt drucken laesst! Anm. des Herausgebers.] Ueber Persoenlichkeit, ueber beruehmte Abstammung oder glaenzende Verhaeltnisse hat der Teufel nichts zu sagen. Was etwa darueber zu sagen sein koennte, habe ich in dem Abschnitt "Besuch bei Goethe" ausgesprochen und verweise daher den Leser dahin. Fleissige Leser, d. s. solche, die Bogen fuer Bogen in einer Viertelstunde ueberfliegen, moegen daher doch diesen Abschnitt nicht ueberschlagen, da er sehr zu besserem Verstaendnis der uebrigen eingerichtet ist; sittsamen und ordentlichen Lesern habe ich hierueber nichts zu sagen als: sie sollen das Buch weglegen, wenn sie sich langweilen. * * * * * Ehe sein Diener mit dem zweiten Bogen aus der Messe zurueckkommt, hat der Unterzeichnete noch Zeit, einige Bemerkungen einzuflicken. Es scheint ihm naemlich, der Satan besitze eine ziemliche Dosis Eitelkeit; man bemerke nur, wie wichtig er von jenem Abschnitt spricht, worin er ueber sich einige Bemerkungen macht; es waere genug gewesen, wenn er nur angedeutet haette, dass dies oder jenes darin zu finden sei; aber dem Leser zu empfehlen, er moechte doch den Abschnitt, in welchem jene enthalten sind, nicht ueberschlagen, ist sehr anmassend. Sodann die Unordnung, in welcher er alles vorbringt! Ein anderer, wie z. B. der Herausgeber, haette doch, wenn auch nicht mit dem Taufschein, was nun freilich beim Teufel nicht wohl moeglich ist, doch wenigstens mit der Begebenheit angefangen, die der Chronologie nach die erste ist. Ich habe das Manuskript fluechtig durchblaettert (zu lesen, ehe jeder Bogen hinlaenglich geweiht, nehme ich mich wohl in acht) und fand, dass er mit Ereignissen anfaengt, die der ganz neuen Zeit angehoeren, und nachher im bunten Gemische Menschen und ihre Taten von zehn, zwanzig Jahren auftreten laesst; man sieht wohl, dass er keine gute Schule gehabt haben muss. Zu groesserer Deutlichkeit, und dass der geneigte Leser trotz dem Teufel waehlen kann, was er will, habe ich den Inhalt jedem einzelnen Kapitel vorausgesetzt. D e r H e r a u s g e b e r. * * * * * SECHSTES KAPITEL. Wie der Satan die Universitaet bezieht und welche Bekanntschaften er dort macht. Deutschland hat mir von jeher besonders wohlgefallen, und ich gestehe es, es liegt diesem Gestaendnis ein kleiner Egoismus zugrunde; man glaubt naemlich dort an mich wie an das Evangelium; jenen kuehnen philosophischen Wagehaelsen, die auf die Gefahr hin, dass ich sie zu mir nehme, meine Existenz geleugnet und mich zu einem laecherlichen Phantom gemacht haben, ist es noch nicht gelungen, den gluecklichen Kindersinn dieses Volkes zu zerstoeren, in dessen ungetruebter Phantasie ich noch immer schwarz wie ein Mohr, mit Hoernern und Klauen, mit Bocksfuessen und Schweif fortlebe, wie ihre Ahnen mich gekannt haben. Wenn andere Nationen durch die sogenannte Aufklaerung so weit hinaufgeschraubt sind, dass sie, ich schweige von einem Gott, sogar an keinen Teufel mehr glauben, so sorgen hier unter diesem Volke sogar meine Erbfeinde, die Theologen, dafuer, dass ich im Ansehen bleibe. Hand in Hand mit dem Glauben an die Gottheit schreitet bei ihnen der Glaube an mich, und wie oft habe ich das mir so suesse Wort aus ihrem Munde gehoert: "_Anathema sit_, e r g l a u b t a n k e i n e n T e u f e l." Ich kann mich daher recht aergern, dass ich nicht schon frueher auf den vernuenftigen Gedanken gekommen bin, meine freie Zeit auf einer Universitaet zu verleben, um dort zu sehen, wie man mich von Semester zu Semester systematisch traktiert. Ich konnte nebenbei noch manches profitieren. Alle Welt ist jetzt zivilisiert, fein, gesittet, belesen, gelehrt. Schon oft, wenn ich einen guten Schnitt zu machen gedachte, fand es sich, dass mir ein guter Schulsack, etwas Philosophie, alte Literatur, ja sogar etwas Medizin fehle; zwar als das Magnetisieren aufkam, habe ich auch einen Kursus bei Messmer genommen und nachher manche glueckliche Kur gemacht. Aber damit ist es heutzutage nicht getan; daher die elenden Redensarten, die in Deutschland kursieren: e i n d u m m e r T e u f e l, e i n a r m e r T e u f e l, e i n u n w i s s e n d e r T e u f e l, was offenbar auf meine vernachlaessigte wissenschaftliche Bildung hindeuten soll. Es ist noch kein Gelehrter vom Himmel gefallen, und ich bin vom Himmel gefallen, aber nicht als gelehrt; darum entschloss ich mich, zu studieren, und womoeglich es in der Philosophie so weit zu bringen, dass ich ein ganz neues System erfaende, wovon ich mir keinen geringen Erfolg versprach. Ich waehlte -----en und zog im Herbst des Jahres 1819 daselbst auf. Ich hatte, wie man sich denken kann, nicht versaeumt, mich meinem neuen Stande gemaess zu kostuemieren. Mein Name war v o n B a r b e, meine Verhaeltnisse glaenzend, das heisst, ich brachte einen grossen Wechsel mit, hatte viel bar Geld, gute Garderobe und huetete mich wohl, als Neuling oder, wie man sagt, als Fuchs aufzutreten; sondern ich hatte schon allenthalben studiert, mich in der Welt umgesehen. Kein Wunder, dass ich schon den ersten Abend hoefliche Gesellschafter, den naechsten Morgen vertraute Freunde und am zweiten Abend Brueder auf Leben und Tod am Arme hatte. Man denkt vielleicht, ich uebertreibe; waere ich Kavalier, so wuerde ich auf Ehre versichern und "Hol' mich der Teufel" als Verstaerkungspartikel dazu setzen (denn "Auf Ehre" und "Hol' mich der Teufel" verhalten sich zu einander wie der Spiritus lenis zum Spiritus asper), in meiner Lage kann ich bloss meine Parole als Satan geben. Es waren gute Jungen, die ich da fand. Es begab sich dies aber folgendermassen: Man kann sich denken, dass ich nicht unvorbereitet kam; wer die deutschen Universitaeten nur entfernt kennt, weiss, dass ein an Sprache, Sitte, Kleidung und Denkungsart von der uebrigen Welt ganz verschiedenes Volk dort wohnt. Ich las des unsterblichen Herrn von Schmalz Werke ueber die Universitaeten, Sands Aktenstuecke, Haupt ueber Burschenschaften und Landsmannschaften &c., ward aber noch nicht recht klug daraus und merkte, dass mir noch manches abging. Der Zufall half mir aus der Not. Ich nahm in F. eine Retourchaise; mein Gesellschafter war ein alter Student, der seit acht Jahren sich auf die Medizin legte. Er hatte das _savoir vivre_ eines alten Burschen, und ich befliss mich, in den sechs Stunden, die ich mit ihm der Musenstadt zufuhr, an ihm meine Rolle zu studieren. Es war ein grosser, wohlgewachsener Mann von vier- bis fuenfundzwanzig Jahren, sein Haar war dunkel und mochte frueher nach heutiger Methode zugeschnitten sein, hing aber, weil der Studiosus die Kosten scheute, es scheren zu lassen, unordentlich um den Kopf; doch bemuehte er sich, solches oft mit fuenf Fingern aus der Stirne zu frisieren. Sein Gesicht war schoen, besonders Nase und Mund edel und fein geformt, das Auge hatte viel Ausdruck; aber welch sonderbaren Eindruck machte es! Das Gesicht war von der Sonne rotbraun angelaufen; ein grosser Bart wucherte von den Schlaefen bis zum Kinn herab, und um die feinen Lippen hing ein vom Bier geroeteter Henriquatre. Sein Mienenspiel war schrecklich und laecherlich zugleich; die Augenbrauen waren zusammengezogen und bildeten duestere Falten, das Auge blickte streng und stolz um sich her und mass jeden Gedanken mit einer Hoheit, einer Wuerde, die eines Koenigssohnes wuerdig gewesen waere. Ueber die untern Partien des Gesichtes, namentlich ueber das Kinn, konnte ich nicht recht klug werden; denn sie steckten tief in der Krawatte. Diesem Kleidungsstueck schien der junge Mann bei weitem mehr Sorgfalt gewidmet zu haben als dem uebrigen Anzug; diese beilaeufig einen halben Schuh Hoehe messende Binde von schwarzer Seide zog sich, ohne ein Faeltchen zu werfen, von dem Kinn inklusive bis auf das Brustbein exklusive und bildete auf diese Art ein feines Mauerwerk, auf welchem der Kopf ruhte; seine Kleidung bestand in einem weissgelben Rock, den er Flaus, in zaertlichen Augenblicken wohl auch Gottfried nannte und welchem er von Speisen und Getraenken mitteilte; dieser Gottfried Flaus reichte bis eine Spanne ueber das Knie und schloss sich eng um den ganzen Leib; auf der Brust war er offen und zeigte, soviel die Krawatte sehen liess, dass der Herr Studiosus mit Waesche nicht gut versehen sein muesse. Weite, wellenschlagende Beinkleider von schwarzem Sammet schlossen sich an das Oberkleid an; die Stiefel waren zierlich geformt und dienten ungeheuren Sporen von poliertem Eisen zur Folie. Auf dem Kopfe hatte der Studiosus ein Stueckchen rotes Tuch in Form eines umgekehrten Blumenscherbens gehaengt, das er mit vieler Kunst gegen den Wind zu balancieren wusste; es sah komisch aus, fast, wie wenn man mit einem kleinen Trinkglas ein grosses Kohlhaupt bedecken wollte. Ich hatte Zachariaes unsterblichen Renommisten zu gut studiert, um nicht zu wissen, dass, sobald ich mir eine Bloesse gegen den Herrn Bruder gebe, sein Respekt vor mir auf ewig verloren sei; ich merkte ihm daher sein Augenbrauenfalten, sein ernstes, abmessendes Auge, soviel es ging, ab und hatte die Freude, dass er mich gleich nach der ersten Stunde auffallend vor dem "Philister und dem Florbesen," auf deutsch, einem alten Professor und seiner Tochter, welche unsere uebrige Reisegesellschaft ausmachten, auszeichnete. In der zweiten Stunde hatte ich ihm schon gestanden, dass ich in Kiel studiert und mich schon einigemal mit Glueck geschlagen habe, und ehe wir nach ------en einfuhren, hatte er mir versprochen, eine "fixe Kneipe," das heisst eine anstaendige Wohnung, auszumitteln, wie auch mich unter die Leute zu bringen. Der Herr Studiosus Wuerger, so hiess mein Gesellschafter, liess an einem Wirtshaus vor der Stadt anhalten und lud mich ein, seinem Beispiele zu folgen und hier auf die Beschwerden der Reise ein Glas zu trinken. Die ganze Fensterreihe des Wirtshauses war mit roten und schwarzen Muetzen bedeckt; es war naemlich eine gute Anzahl der Herren Studiosi hier versammelt, um die neuen Ankoemmlinge, die gewoehnlich am Anfang des Semesters einzutreffen pflegten, nach gewohnter Weise zu empfangen. Wuerger, der alte, "laengst bemooste" Bursche, hatte sich schon unterwegs mit dem Gedanken gekitzelt, dass seine Kameraden uns fuer "Fuechse" halten wuerden, und wirklich traf seine Vermutung ein. Ein Chorus von wenigstens dreissig Baessen scholl von den Fenstern herab; sie sangen ein beruehmtes Lied, das anfaengt: "Was kommt dort von der Hoeh'?" Waehrend des Gesanges entstieg mein Gefaehrte majestaetisch der Chaise, und kaum hatte er den Boden beruehrt, so erhob er sein furchtbares Haupt und schrie zu den Fenstern empor: "Was schlagt ihr fuer einen Randal auf, Kamele! Seht ihr nicht, dass zwei alte Haeuser aus diesem Philisterkarren gestiegen kommen?" (Auf deutsch: Laermt doch nicht so sehr, meine Herren, Sie sehen ja, dass zwei alte Studenten aus dem Wagen steigen.) Der allgemeine Jubel unterbrach den erhitzten Redner. "Wuerger! Du altes fides Haus!" schrien die Musensoehne und stuerzten die Treppe herab in seine Arme; die Raucher vergassen, ihre langen Pfeifen wegzulegen, die Billardspieler hielten noch ihre Queues in der Hand. Sie bildeten eine Leibwache von sonderbarer Bewaffnung um den Angekommenen. Doch der Edelmuetige vergass in seiner Glorie auch meiner nicht, der ich bescheiden auf der Seite stand, er stellte mich den aeltesten und angesehensten Maennern der Gesellschaft vor, und ich wurde mit herzlichem Handschlag von ihnen begruesst. Man fuehrte uns in wildem Tumult die Treppe hinan, man setzte mich zwischen zwei bemooste Haeupter an den Ehrenplatz, gab mir ein grosses Passglas voll Bier, und ein Fuchs musste dem neuen Ankoemmling seine Pfeife abtreten. So war ich denn in -----en als Student eingefuehrt, und ich gestehe, es gefiel mir so uebel nicht unter diesem Voelkchen. Es herrschte ein offener, zutraulicher Ton, man brauchte sich nicht in Fesseln der Konvenienz, die gewiss dem Teufel am laestigsten sind, umherzuschleppen, man sprach und dachte, wie es einem gerade gefiel. Wenn man bedenkt, dass ich gerade im Herbst 1819 dorthin kam, so wird man sich nicht wundern, dass ich mich von Anfang gar nicht recht in die Konversation zu finden wusste. Denn einmal machten mir jene Kunstwoerter (_termini technici_), von welchen ich oben schon eine kleine Probe gegeben habe, viel zu schaffen; ich verwechselte oft "Sau", was Glueck, mit "Pech", was Unglueck bedeutet, wie auch "holzen", mit einem Stock schlagen, mit "pauken", mit andern Waffen sich schlagen. Aber auch etwas anderes fiel mir schwer; wenn naemlich nicht von Hunden, Paukereien, Besen oder dergleichen gesprochen wurde, so fiel man hinter dem Bierglas in ungemein transzendentale Untersuchungen, von denen ich anfangs wenig oder gar nichts verstand; ich merkte mir aber die Hauptworte, welche vorkamen, und wenn ich auch in die Konversation gezogen wurde, so antwortete ich mit ernster Miene: "Freiheit, Vaterland, Deutschtum, Volkstuemlichkeit". Da ich nun ueberdies ein grosser Turner war und eigentlich t e u f e l s m a e s s i g e Spruenge machen konnte, da ich mir ueberdies nach und nach langes Haar wachsen liess, solches fein scheitelte und kaemmte, einen zierlich ausgeschnittenen Kragen ueber den deutschen Rock herauslegte, mich auch auf die Klinge nicht uebel verstand, so war es kein Wunder, dass ich bald in grosses Ansehen unter diesem Volke kam. Ich benutzte diesen Einfluss so viel als moeglich, um die Leute nach meinen Ansichten zu leiten und zu erziehen und sie "fuer die Welt zu gewinnen". Es hatte sich naemlich unter einem grossen Teil meiner Kommilitonen ein gewisser froemmelnder Ton eingeschlichen, der mir nun gar nicht behagte und nach meiner Meinung sich auch nicht fuer junge Leute schickte. Wenn ich an die jungen Herren in London und Paris, in Berlin, Wien, Frankfurt usw. dachte, an die vergnuegten Stunden, die ich in ihrem Kreise zubrachte; wenn ich diese Leute dagegenhielt, die ihren schoenen, hohen Wuchs, ihre kraeftigen Arme, ihren gesunden Verstand, ihre nicht geringen Kenntnisse nur auf dem Turnplatz, nicht im Tanzsaal, nur zu ueberschwenglichen Ideen und Idealen, nicht zu lebhaftem Witz, zu feinem Spott, der das Leben wuerzt und aufregt, anwenden sah, wenn ich sie, statt schoenen Maedchen nachzufliegen, in die Kirche schleichen sah, um einen ihrer orthodoxen Professoren anzuhoeren, so konnte ich ein widriges Gefuehl in mir nicht unterdruecken. Sobald ich daher festen Fuss gefasst hatte, zog ich einige lustige Brueder an mich, lehrte sie neue Kartenspiele, sang ihnen ergoetzliche Lieder vor, wusste sie durch Witz und dergleichen so zu unterhalten, dass sich bald mehrere anschlossen. Jetzt machte ich kuehnere Angriffe. Ich stellte mich Sonntags mit meinen Gesellen vor die Kirchtuere, musterte mit geuebtem Auge die voruebergehenden Damen, zog dann, wenn die Schaeflein innen waren und der Kuester den Stall zumachte, mit den Meinigen in ein Wirtshaus der Kirche gegenueber und bot alles auf, die Gaeste besser zu unterhalten als der Doktor N. oder der Professor N. in der Kirche seine Zuhoerer. Ehe drei Wochen vergingen, hatte ich die groessere Partei auf meiner Seite. Die Froemmeren schrien von Anfang ueber den rohen Geist, der einreisse, und gaben zu bemerken, dass wir christliche Burschen seien; aber es half nichts, meine Persiflagen hatten so gute Wirkung getan, dass sie sich am Ende selbst schaemten, in der Kirche gesehen zu werden, und es gehoerte zum guten Ton, jeden Sonntag vor der Kirchtuere zu sein; aber bis hieher und nicht weiter. Die Wirtshaeuser waren gefuellter als je, es wurde viel getrunken, ja es riss die Sitte ein, Wettkaempfe im Trinken zu halten, und, man wird es kaum glauben, es gab sogar eigentliche Kunsttrinker! Es predigte zwar mancher gegen das einreissende Verderben, aber die Altdeutschen troesteten sich damit, dass ihre "Altvordern" auch durch Trinken exzelliert haben; die Froemmsten liessen sich grosse Humpen verfertigen und zwangen und muehten sich so lange, bis sie wie Goetz von Berlichingen oder gar wie Hermann der Cherusker schlucken konnten. Den Feineren, Gebildeteren war es natuerlich von Anfang auch ein Greuel; ich verwies sie aber auf eine Stelle bei Jean Paul. Er sagt naemlich in seinem unuebertrefflichen Quintus Fixlein: "Jerusalem bemerkt schoen, dass die Barbarei, die oft hart hinter dem schoensten, buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt, eine Art von staerkendem Schlammbad sei, um die Ueberfeinerung abzuwenden, mit der jener Flor bedrohe; ich glaube, dass einer, der erwaegt, wie weit die Wissenschaften bei einem Studierenden steigen, dem Musensohne ein gewisses barbarisches Mittelalter--das sogenannte Burschenleben-- goennen werde, das ihn wieder so staehlt, dass die Verfeinerung nicht ueber die Grenze geht." Wenn ein Meister wie Jean Paul, dem ich hiermit fuer diese Stelle meinen herzlichen Dank oeffentlich sage, also sich ausspricht, was konnten die Kleinmeister und Juenger dagegen? Sie setzten sich auch in die schwarzgerauchte Kneipe, "verschlammten" sich recht tuechtig in dem "barbarischen Mittelalter" und hatten kraft ihres inwohnenden Genies meine aelteren Zoeglinge bald ueberholt. * * * * * SIEBENTES KAPITEL. Satan besucht die Kollegien; was er darin lernte. Indessen ich auf die beschriebene Weise praktisch lebte und Leben machte, vergass ich auch das _dic cur hic_ nicht und legte mich mit Ernst aufs T h e o r e t i s c h e. Ich hoerte die Philosophen und Theologen und hospitierte nicht unfleissig bei den Juristen und Medizinern. Ich hatte, um zuerst ueber die Philosophen zu reden, von einem der hellsten Lichter jener Universitaet, wenn in der Ferne von ihm die Rede war, oft sagen hoeren, d e r K e r l h a t d e n T e u f e l i m L e i b. Eine solche geheimnisvolle Tiefe, wollte man behaupten, solche ueberschwengliche Gedanken, solche Gedrungenheit des Stils, eine so hinreissende Beredsamkeit sei noch nicht gefunden worden in Israel. Ich habe ihn gehoert und verwahre mich feierlich vor jenem Urteil, als ob ich in ihm gesessen waere. Ich habe schon viel ausgestanden in der Welt, ich bin sogar Ev. Matthaei VIII., 31 und 32 in die Saeue gefahren, aber in einen solchen Philosophen?--Nein, da wollte ich mich doch bedankt haben! Was der gute Mann in seinem schlaefrigen, unangenehmen Ton vorbrachte, war fuer seine Zuhoerer so gut als Franzoesisch fuer einen Eskimo. Man musste alles gehoerig ins Deutsche uebersetzen, ehe man darueber ins klare kam, dass er ebensowenig fliegen koenne wie ein anderer Mensch auch. Er aber machte sich gross, weil er aus seinen Schluessen sich eine himmelhohe Jakobsleiter gezimmert und solche mit mystischem Firnis angepinselt hatte; auf dieser kletterte er nun zum blauen Aether hinan, versprach aus seiner Sonnenhoehe herabzurufen, was er geschaut habe, er stieg und stieg, bis er den Kopf durch die Wolken stiess, blickte hinein in das reine Blau des Himmels, das sich auf dem gruenen Grasboden noch viel huebscher ausnimmt als oben, und sah, wie Sancho Pansa, als er auf dem hoelzernen Pferd zur Sonne ritt, unter sich die Erde so gross wie ein Senfkorn und die Menschen wie Muecken, ueber sich--nichts. Sie kommen mir vor, die guten Leute dieser Art, wie die Maenner von Babel, die einen grossen Leuchtturm bauen wollten fuer alles Volk, damit sich keiner verlaufe in der Wueste, und siehe da, der Herr verwirrte ihre Sprache, dass weder Meister noch Gesellen einander mehr verstanden. Da lobe ich mir einen andern der dortigen Philosophen; er las ueber die Logik und deduzierte jahrein, jahraus, dass zweimal zwei vier sei, und die Herren Studiosi schrieben ganze Stoesse von Heften, dass zweimal zwei vier sei. Dieser Mann blieb doch ordentlich im Blachfeld und wanderte seinem Ziele mit groesserer Gelassenheit zu als seine illustren Kollegen, die, wenn ein anderer ihr Gewaesche nicht Evangelium nannte, Antikritiken und Metakritiken der Antikritiken in alle Welt aussandten. Ich gestehe redlich, der Teufel amuesiert sich schlecht bei so bewandten Dingen. Ich schlug den Weg zu einem andern Hoersaal ein, wo man ueber die Seele des Menschen dozierte. Gerechter Himmel! Wenn ich so viel Umstaende machen muesste, um eine liederliche Seele in mein Fegefeuer zu deduzieren! Der Mensch auf dem Katheder malte die Seele auf eine grosse, schwarze Tafel und sagte: "So ist sie, meine Herren!" Damit war er aber nicht zufrieden; er behauptete, sie sitze oben in der Zirbeldruese. Ich quittierte die Philosophen und besuchte die Theologen. Um meine Leute naeher kennen zu lernen, beschloss ich, an einem Sonntag nach der Kirche einem oder dem andern meine Visite abzustatten. Ich kleidete mich ganz schwarz, dass ich ein ziemlich theologisches Air hatte, und trat meinen Marsch an. Man hatte mir vorhergesagt, ich sollte keinen zu voreiligen Schluss auf den reinen und frommen Charakter dieser Maenner machen, sie seien etwas nach dem alttestamentlichen Kostuem, vernachlaessigen aeussere Bildung und fallen dadurch leicht ins Linkische. Mein Herz mit Geduld gewaffnet, trat ich in das Zimmer des ersten Theologen. Aus einer blaeulichen Rauchwolke erhob sich ein dicker aeltlicher Mann in einem grossgebluemten Schlafrock, eine ganz schwarze Meerschaumpfeife in der Hand. Er machte einen kurzen Knix mit dem Kopf und sah mich dann ungeduldig und fragend an. Ich setzte ihm auseinander, wie mich die Philosophie gar nicht befriedige und dass ich gesonnen sei, einige theologische Kollegien zu besuchen. Er murmelte einige unverstaendliche, aber wie es schien, gelehrte Bemerkungen, verzog beifaellig laechelnd den Mund und schritt im Zimmer auf und ab. Ich setzte die Einladung, ihn auf seinem Spaziergang zu begleiten, voraus und schritt in ebenso gravitaetischen Schritten neben ihm her, indem ich aufmerksam lauschte, was sein gelehrter Mund weiter vorbringen werde. Vergebens! Er grinste hier und da noch etwas Weniges, sprach aber kein Wort weiter, wenigstens verstand ich nichts als die Worte: "Pfeife rauchen?" Ich merkte, dass er mir hoeflich eine Pfeife anbiete, konnte aber keinen Gebrauch davon machen; denn er rauchte wahrhaftig eine gar zu schlechte Nummer. Ich habe mir schon lange abgewoehnt, ueber irgend etwas in Verlegenheit zu geraten, sonst haette dieses absurde Schweigen des Professors mich gaenzlich ausser Fassung gebracht. So aber ging ich gemaechlich neben ihm her, kehrte um, wenn er umkehrte, und zaehlte die Schritte, die sein Zimmer in der Laenge mass. Nachdem ich das alte Ameublement, die verschiedenen Kleider- und Waescherudera, die auf den Stuehlen umherlagen, das wunderliche Chaos seines Arbeitstisches gemustert hatte, wagte ich meine pruefenden Blicke an den Professor selbst. Sein Aussehen war hoechst sonderbar. Die Haare hingen ihm duenn und lang um die Glatze, die gestrickte Schlafmuetze hielt er unter dem Arm. Der Schlafrock war an den Ellbogen zerrissen und hatte verschiedene Loecher, die durch Unvorsichtigkeit hineingebrannt schienen. Das eine Bein war mit einem schwarzseidenen Strumpf und der Fuss mit einem Schnallenschuh bekleidet, der andere stak in einem weiten, abgelaufenen Filzpantoffel, und um das halbentbloesste Bein hing ein gelblicher Socken. Ehe ich noch waehrend des unbegreiflichen Stillschweigens des Theologen meine Bemerkungen weiter fortsetzen konnte, wurde die Tuere aufgerissen, eine grosse, duerre Frau, mit der Roete des Zorns auf den schmalen Wangen, stuerzte herein. "Nein, das ist doch zu arg, Blasius!" schrie sie, "der Kuester ist da und sucht dich zum Abendmahl. Der Dekan steht schon vor dem Altar, und du steckst noch im Schlafrock!" "Weiss Gott, meine Liebe," antwortete der Doktor gelassen, "das habe ich haesslich vergessen! Doch sieh, einen Fuss hatte ich schon zum Dienste des Herrn geruestet, als mir ein Gedanke einfiel, der den Doktor Paulus weidlich schlagen muss." Ohne darauf zu achten, dass er sich beinahe der letzten Huelle beraube, wollte er eilfertig den Schlafrock herunterreissen, um auch seinen uebrigen Kadaver zum Dienste des Herrn zu schmuecken. Sein Eheweib aber stellte sich mit einer schnellen Wendung vor ihn hin und zog die weiten Falten ihrer Kleider auseinander, dass vom Professor nichts mehr sichtbar war. "Sie verzeihen, Herr Kandidat," sprach sie, ihre Wut kaum unterdrueckend. "Er ist so im Amtseifer, dass Sie ihn entschuldigen werden. Schenken Sie uns ein andermal das Vergnuegen. Er muss jetzt in die Kirche." Ich ging schweigend nach meinem Hut und liess den Ehezaerter unter den Haenden seiner liebenswuerdigen Xanthippe. "Ein schoener Anfang in der Theologie!" dachte ich, und die Lust, die uebrigen geistlichen Maenner zu besuchen, war mir gaenzlich vergangen. Doch beschloss ich, einige Vorlesungen mit anzuhoeren, was ich auch den Tag nachher ausfuehrte. Man denke sich einen weiten, niedrigen Saal, vollgepfropft mit jungen Leuten in den abenteuerlichsten Gestalten. Muetzen von allen Farben und Formen, lange herabwallende, kurze emporsteigende Haare, Baerte, deren sich ein Sappeur der alten Garde nicht haette schaemen duerfen, und kleine, zierliche Stutzbaertchen, galante Fraecke und hohe Krawatten, neben deutschen Roecken und ellenbreiten Hemdenkragen. So sassen die jungen geistlichen Herren im Kollegium. Vor sich hatte jeder eine Mappe, einen Stoss Papier, Tinte und Feder, um die Worte der Weisheit gleich _ad notam_ zu nehmen. "O Platon und Sokrates!" dachte ich, "haetten eure Studiosen und Akademiker nachgeschrieben, wie manches Wort tiefer, heiliger Weisheit waere nicht umsonst verrauscht; wie majestaetisch muessten sich die Folianten von _Socratis opera_ in mancher Bibliothek ausnehmen!"-- Jetzt wurden alle Haeupter entbloesst. Eine kurze, dicke Gestalt draengte sich durch die Reihen der jungen Herren dem Katheder zu, es war der Doktor Schnatterer, den ich gestern besucht hatte. Mit Wonnegefuehl schien er die Versammlung zu ueberschauen, hustete dann etwas weniges und begann: "Hochachtbare, Hochansehnliche!" (damit meinte er die, welche sechs Taler Honorar zahlten). "Wertgeschaetzte!" (die, welche das gewoehnliche Honorar zahlten). "Meine Herren!" (das waren die, welche nur die Haelfte oder aus Armut gar nichts entrichteten). Und nun hob er seinen Sermon an, die Federn rasselten, das Papier knirschte, er aber schaute herab wie der Mond aus Regenwolken. Ich haette zu keiner gelegeneren Zeit diese Vorlesungen besuchen koennen; denn der Doktor behandelte gerade den Abschnitt _de angelis malis_, worin ich vorzueglich traktiert zu werden hoffen durfte. Wahrhaftig, er liess mich nicht lange warten. "Der Teufel", sagte er, "ueberredete die ersten Menschen zur Suende und ist noch immer gegen das ganze Menschengeschlecht feindlich gesinnt." Nach diesem Satz hoffte ich nun eine philosophische Wuerdigung dieses Teufelsglaubens zu hoeren; aber weit gefehlt. Er blieb bei dem ersten Wort T e u f e l stehen und dass mich die Juden Beelzebub geheissen haetten. Mit einem Aufwand von Gelehrsamkeit, wie ich sie hinter dem armen Schlafrock nicht gesucht haette, warf er nun das Wort Beelzebub drei Viertelstunden lang hin und her. Er behauptete, die einen erklaeren, es bedeute einen Fliegenmeister, der die Muecken aus dem Lande treiben solle, andere nehmen das Sephub nicht von den Muecken, sondern als A n k l a g e, wie die Chaldaeer und Syrier. Andere erklaeren Sephub als Grab, _Sepulcrum_. Die Federn schwirrten und flogen, so tiefe Gelehrsamkeit hoert man nicht alle Tage. Zu jenen paar Erklaerungen hatte er aber volle drei Viertelstunden verwendet, denn die Zitate aus heiligen und profanen Skribenten nahmen kein Ende. Von Anfang hatte es mir vielen Spass gemacht, die Dogmatik auf solche Weise getrieben und namentlich den Satan so gruendlich anatomiert zu sehen. Aber endlich machte es mir doch Langeweile, und ich wollte schon meinen Platz verlassen, um dem unendlichen Gewaesch zu entfliehen, da ruhte der Doktor einen Augenblick aus, die Schnupftuecher wurden gebraucht, die Fuesse wurden in eine andere Lage gebracht, die Federn ausgespritzt und neu beschnitten--alles deutete darauf hin, dass jetzt ein Hauptschlag geschehen werde. Und es war so. Der grosse Theologe, nachdem er die Meinungen anderer aufgefuehrt und gehoerig gewuerdigt hatte, begann jetzt mit Salbung und Wuerde seine eigene Meinung zu entwickeln. Er sagte, dass alle diese Erklaerungen nichts taugen, indem sie keinen passenden Sinn geben. Er wisse eine ganz andere und glaube sich in diesem Stueck noch ueber Michaelis und Doederlein stellen zu duerfen. Er lese naemlich Saephael, und das bedeute Kot, Mist und dergleichen. Der Teufel oder Beelzebub waere also hier der H e r r im D r e c k, der U n r e i n l i c h e, _to pneuma akatharton_, der Stinker genannt, wie denn auch im Volksglauben mit den Erscheinungen des Satans ein gewisser unanstaendiger Geruch verbunden sei. Ich traute meinen Ohren kaum. Eine solche Sottise war mir noch nie vorgekommen. Ich war im Begriff, den orthodoxen Exegeten mit dem naemlichen Mittel zu bedienen, das einst Doktor Luther, welcher gar keinen Spass verstand, an mir probierte, ihm naemlich das naechste beste Tintenfass an den Kopf zu werfen; aber es fiel mir bei, wie ich mich noch besser an ihm raechen koennte; ich bezaehmte meinen Zorn und schob meine Rache auf. Der Doktor aber schlug im Bewusstsein seiner Wuerde das Heft zu, stand auf, bueckte sich nach allen Seiten und schritt nach der Tuere. Die tiefe Stille, welche im Saal geherrscht hatte, loeste sich in ein dumpfes Gemurmel des Beifalls auf. "Welch ein gelehrter Mann, welch tiefer Denker, welche Fuelle der tiefsten Gelehrsamkeit!" murmelten die Schueler des grossen Exegeten. Emsig verglichen sie untereinander ihre Hefte, ob ihnen auch kein Woertchen von seinen schlagenden Beweisen, von seinen kuehnen Behauptungen entgangen sei. Und wie gluecklich waren sie, wenn auch kein Jota fehlte, wenn sie hoffen durften, ein dickes, reinliches, vollstaendiges Heft zu bekommen. Sobald sie aber die teuern Blaetter in den Mappen hatten, waren sie die Alten wieder. Man stopfte sich die ellenlangen Pfeifen, man setzte die Muetze kuehn auf das Ohr, zog singend oder den grossen Hunden pfeifend ab, und wer haette den Juenglingen, die im Sturmschritt dem naechsten Bierhaus zuzogen, angesehen, dass sie die Stammhalter der Orthodoxie seien und _recta via_ von der kuehnsten Konjektur des grossen Dogmatikers herkommen? So schloss sich mein erster theologischer Unterricht; ich war, wenn nicht an Weisheit und Einsicht, doch um einen Begriff meiner selbst, an den ich nie gedacht haette, reicher geworden. Ich schwor mir selbst mit den heiligsten Schwueren, keinen Theologen dieser finstern Schule mehr zu hoeren. Denn, wenn der Oberste unter ihnen solche krassen Begriffe zu Markte brachte, was durfte ich von den uebrigen hoffen? Aber der orthodoxen Saephael- oder Dr--ck-Seele hatte ich Rache geschworen, und ich war Manns genug dazu, sie auszufuehren. * * * * * ACHTES KAPITEL Der Satan bekommt Haendel und schlaegt sich. Folgen davon. Indessen ereignete sich etwas anderes, das ich hier nicht uebergehen darf, weil es als ein Kommentar zu den Sitten des wunderlichen Volkes, unter welchem ich lebte, dienen kann. Ich hatte schon seit einiger Zeit fleissig die Anatomie besucht, um auch die Aerzte kennen zu lernen. Da geschah es eines Tages, dass ich mit mehreren Freunden um einen Kadaver beschaeftigt war, indem ich ihnen durch Zergliederung der Organe des Gehirns, des Herzens usw. die Nichtigkeit des Glaubens an Unsterblichkeit darzutun suchte. Auf einmal hoerte ich hinter mir eine Stimme: "Pfui Teufel, wie riecht's hier!" Ich wandte mich rasch um und erblickte einen jungen Theologen, der mich schon in jener dogmatischen Vorlesung durch den Eifer und das Wohlbehagen, mit welchem er die unsinnige Konjektur des Professors niederschrieb, gegen sich aufgebracht hatte. Als ich nun diese Aeusserung: "Pfui Teufel, wie riecht's hier!" die ich in jenem Augenblick aus des Theologen Munde nur auf mich, als den "Herrn im Kot", bezog, hoerte, sagte ich ihm ziemlich stark, dass ich mir solche Gemeinheiten und Anzueglichkeiten verbitte. Nach dem uralten heiligen Gesetzbuche der Burschen, das man Komment heisst, war dies eine Beschimpfung, die nur mit Blut abgewaschen werden konnte. Der Theologe, ein tuechtiger Raufer, liess mich daher am andern Tage sogleich fordern. Ein solcher Spass war mir erwuenscht; denn wer sein Ansehen unter seinen Kommilitonen behaupten wollte, musste sich damals geschlagen haben, obgleich das Duell an sich, von meinen Freunden als etwas Unvernuenftige, Unnatuerliches angesehen wurde. Ich hatte meinen Gegner bestimmen lassen, die Sache an einem Vergnuegungsort, eine Stunde vor der Stadt, auszumachen, und beide Parteien erschienen zur bestimmten Zeit an Ort und Stelle. Feierlich wurde jeder einzelne in ein Zimmer gefuehrt, der Oberrock ihm ausgezogen und der "Paukwichs", das heisst die Ruestung, in welcher das Duell vor sich gehen sollte, angelegt. Diese Ruestung oder der Paukwichs bestand in einem Hut mit breiter Krempe, die dem Gesicht hinlaenglichen Schutz verlieh, einer ungeheuern, fussbreiten Binde, die ueber den Bauch geschnallt wurde. Sie war von Leder, gepolstert und mit der Farbe der Verbindung, zu welcher man gehoerte, ausgeschmueckt. Eine ungeheure Krawatte, wogegen Herrn Studiosus Wuergers ein Groschenstrick war, stand steif um die Gegend des Halses und schuetzte Kinn, Kehle, einen Teil der Schultern und den obern Teil der Brust. Den Arm, vom Ellbogen bis zur Hand, bedeckte ein aus alten seidenen Struempfen verfertigtes Ruestzeug, Handschuh genannt. Ich gestehe, die Figur, in diese sonderbare Ruestung gepresst, nahm sich komisch genug aus. Doch gewaehrte sie grosse Sicherheit; denn nur ein Teil des Gesichtes, der Oberarm und ein Teil der Brust war fuer die Klinge des Gegners zugaenglich. Ich konnte mich daher des Lachens nicht enthalten, wenn ich im Spiegel mein sonderbares Habit betrachtete. "Der Satan in einem solchen Aufzuge und im Begriff, sich wegen des schlechten Geruchs auf der Anatomie zu schlagen!" Meine Genossen aber nahmen dieses Lachen fuer einen Ausbruch der Kuehnheit und des Mutes, gedachten, es sei jetzt der rechte Augenblick gekommen, und fuehrten mich in einen grossen Saal, wo man mit Kreide die gegenseitige feindliche Stellung auf dem Boden markiert hatte. Ein Fuchs rechnete es sich zur hohen Ehre, mir den "Schlaeger" vorantragen zu duerfen, wie man den alten Kaisern Schwert und Zepter vorantrug. Jener war eine aus poliertem Stahl schoen gearbeitete Waffe mit grossem, schuetzendem Korb und scharf geschliffen wie ein Schermesser. Wir standen endlich einander gegenueber. Der Theologe machte ein grimmiges Gesicht und blickte mit einem Hohn auf mich, der mich nur noch mehr in dem Vorsatz bestaerkte, ihn tuechtig zu zeichnen. Wir legten uns nach alter Fechtweise aus, die Klingen waren gebunden, die Sekundanten schrien: "Los!" und unsere Schlaeger schwirrten in der Luft und fielen rasselnd auf die Koerbe. Ich verhielt mich meistens parierend gegen die wirklich schoenen und mit grosser Kunst ausgefuehrten Angriffe des Gegners; denn mein Ruhm war groesser, wenn ich mich von Anfang nur verteidigte und erst im vierten, fuenften Gang ihm eine Schlappe gab. Allgemeine Bewunderung folgte jedem Gang. Man hatte noch nie so kuehn und schnell angreifen, noch nie mit so vieler Ruhe und Kaltbluetigkeit sich verteidigen sehen. Meine Fechtkunst wurde von den aeltesten "Haeusern" bis in den Himmel erhoben, und man war nun gespannt und begierig, bis ich selbst angreifen wuerde. Doch wagte es keiner, mich dazu aufzumuntern. Vier Gaenge waren vorueber, ohne dass irgendwo ein Hieb blutig gewesen waere. Ehe ich zum fuenften aufmarschierte, zeigte ich meinen Kameraden die Stelle auf der rechten Wange, wohin ich meinen Theologen treffen wollte. Dieser mochte es mir ansehen, dass ich jetzt selbst angreifen werde, er legte sich so gedeckt als moeglich aus und huetete sich, selbst einen Angriff zu machen. Ich begann mit einer herrlichen Finte, der ein allgemeines Ah! folgte, schlug dann einige regelmaessigen Hiebe, und klapp! sass ihm mein Schlaeger in der Wange. Der gute Theologe wusste nicht, wie ihm geschah; mein Sekundant und Zeuge sprangen mit einem Zollstab hinzu, massen die Wunde und sagten mit feierlicher Stimme: "E s i s t m e h r a l s e i n Z o l l, k l a f f t u n d b l u t e t, a l s o A n s c h--ss." Das hiess soviel als: Weil ich dem guten Jungen ein zollanges Loch ins Fleisch gemacht hatte, war seiner Ehre genug geschehen. Jetzt stuerzten meine Freunde herzu, die aeltesten fassten meine Haende, die juengeren betrachteten ehrfurchtsvoll die Waffe, mit welcher die in der Geschichte einzige und unerhoerte Tat geschehen war. Denn wer, seit des grossen Renommisten Zeiten, durfte sich ruehmen, vorher die Stelle, die er treffen wollte, angezeigt und mit so vieler Genauigkeit getroffen zu haben? Ernsten Blickes trat der Sekundant meines Gegners herein und bot mir in dessen Namen Versoehnung an. Ich ging zu dem Verwundeten, dem man gerade mit Nadel und Faden seine Wunde zunaehte, und versoehnte mich mit ihm. "Ich bin Ihnen Dank schuldig," sagte er zu mir, "dass Sie mich so gezeichnet haben. Ich wurde ganz gegen meinen Willen gezwungen, Theologie zu studieren. Mein Vater ist Landpfarrer, meine Mutter eine fromme Frau, die ihren Sohn gerne einmal im Chorrock sehen moechte. Sie haben mit einem Male entschieden; denn mit einer Schmarre vom Ohr bis zum Mund darf ich keine Kanzel mehr besteigen." Die Burschen sahen teilnehmend auf den wackern Theologen, der wohl mit geheimer Wehmut an den Schmerz des alten Pastors, an den Jammer der frommen Mama denken mochte, wenn die Nachricht von diesem Unfall anlangte. Ich aber hielt es fuer das groesste Glueck des Juenglings, durch eine so kurze Operation der Welt wieder geschenkt zu sein. Ich fragte ihn, was er jetzt anzufangen gedenke, und er gestand offen, dass der Stand eines Kavalleristen oder eines Schauspielers ihn von jeher am meisten angezogen haette. Ich haette ihm um den Hals fallen moegen fuer diesen vernuenftigen Gedanken; denn gerade unter diesen beiden Staenden zaehle ich die meisten Freunde und Anhaenger. Ich riet ihm daher aufs ernstlichste, dem Trieb der Natur zu folgen, indem ich ihm die besten Empfehlungsbriefe an bedeutende Generale und an die vorzueglichsten Buehnen versprach. Dem ganzen Personale aber, das dem merkwuerdigen Duell angewohnt hatte, gab ich einen trefflichen Schmaus, wobei auch mein Gegner und seine Gesellen nicht vergessen wurden. Dem ehemaligen Theologen zahlte ich nachher in der Stille seine Schulden und versah ihn, als er genesen war, mit Geld und Briefen, die ihm eine froehliche, glaenzende Laufbahn eroeffneten. Meine geheime Wohltaetigkeit war so wenig als der glaenzende Ausgang der Affaere ein Geheimnis geblieben. Man sah mich von jetzt wie ein hoeheres Wesen an, und ich kannte manche junge Dame, die sogar ueber meine grossmuetigen Sentiments Traenen vergoss. Die Mediziner aber liessen mir durch eine Deputation einen prachtvollen Schlaeger ueberreichen, weil ich mich, wie sie sich ausdrueckten, "f u e r d e n g u t e n G e r u c h i h r e r A n a t o m i e g e s c h l a g e n h a b e". Die Welt bleibt unter allen Gestalten die naemliche, die sie von Anfang war. Dem Boesen, selbst dem Unvernuenftigen huldigt sie gerne, wenn es sich nur in einem glaenzenden Gewande zeigt; die gute, ehrliche Tugend mit ihren rauhen Manieren und ihrem ungeschliffenen, rohen Aussehen wird hoechstens Achtung, niemals Beifall erlangen. * * * * * NEUNTES KAPITEL. Satans Rache an Doktor Schnatterer. Als ich sah, wie weit die Philosophie und Theologie in ------en hinter meinen Vorstellungen, die ich mir zuvor gemacht hatte, zurueckbleibe, legte ich mich mit Eifer auf Aesthetik, Rhetorik, namentlich aber auf die schoene Literatur. Man wende mir nicht ein, ich habe auf diese Art meine Zeit unnuetz angewendet. Ich besuchte ja jene beruehmte Schule nicht, um ein Brotstudium zu treiben, das einmal einen Mann mit Weib und Kind ernaehren konnte, sondern das _dic cur hic_, das ich recht oft in meine Seele zurueckrief, sagte mir immer, ich solle suchen, von jeder Wissenschaft einen kleinen Hieb zu bekommen, mich aber so sehr als moeglich in jenen Kuensten zu vervollkommnen, die heutzutage einem Manne von Bildung unentbehrlich sind. Bei Gelegenheit eine Stelle aus einem Dichter zu zitieren, ueber die Schoenheit eines Gemaeldes kunstgerecht mitzusprechen, eine Statue nach allen Regeln fuer erbaermlich zu erklaeren, fuer die Maenner einige theologische Literatur, einige juristische Phrasen, einige neue medizinische Entdeckungen, einige exorbitante philosophische Behauptungen _in petto_ zu haben, hielt ich fuer unumgaenglich notwendig, um mich mit Anstand in der modernen Welt bewegen zu koennen, und ohne mir selbst ein Kompliment machen zu wollen, darf ich sagen, ich habe in den paar Monaten in ------en hinlaenglich gelernt. Ich habe mir nach dem Beispiel meiner grossen Vorbilder im Memoirenschreiben vorgenommen, auch die geringfuegigsten Ereignisse aufzufuehren, wenn sie lehrreich oder merkwuerdig sind, wenn sie Stoff zum Nachdenken oder zum Lachen enthalten. Ich darf daher nicht versaeumen, meine Rache an Doktor Schnatterer zu erzaehlen. Besagter Doktor hatte die loebliche Gewohnheit, Sonntag nachmittags mit mehreren anderen Professoren in ein Wirtshaus, ein halbes Stuendchen vor der Stadt, zu spazieren. Dort pflegte man, um die steifgesessenen Glieder wieder auszurenken, Kegel zu schieben und allerlei sonstige Kurzweil zu treiben, wie es sich fuer ehrbare Maenner geziemt; man spielte wohl auch bei verschlossenen Tueren ein Whistchen oder Piquet und trank manchmal ein Glaeschen ueber Durst, was wenigstens die boese Welt daraus ersehen wollte, dass sich die Herren abends in der Chaise des Wirtes zur Stadt bringen liessen. Der ehrwuerdige Theologe aber pflegte immer lange vor Sonnenuntergang heimzukehren, man sagt, weil die Frau Doktorin ihm keine laengere Frist erlaubt hatte; er ging dann bedaechtigen Schrittes seinen Weg, vermied aber die breite Chaussee und schlug den Wiesenpfad ein, der dreissig Schritte seitwaerts neben jener herlief; der Grund war, weil der breite Weg am schoenen Sonntagabend mit Fussgaengern besaeet war, der Doktor aber die hoehere Roete seines Gesichtes und den etwas unsichern Gang nicht den Augen der Welt zeigen wollte. So erklaerten sich die Boesen den einsamen Gang Schnatterers; die Frommen aber blieben stehen, schauten ihm nach und sprachen: "Siehe, er geht nicht auf dem breiten Weg der Gottlosen, der fromme Herr Doktor, sondern den schmalen Pfad, welcher zum Leben fuehrt." Auf diese Gewohnheit des Doktors hatte ich meinen Racheplan gebaut. Ich passte ihm an einem schoenen Sonntagabend, der alle Welt ins Freie gelockt hatte, auf, und er trat noch bei guter Tageszeit aus dem Wirtshaus. Mit demuetigem Bueckling nahte ich mich ihm und fragte, ob ich ihn auf seinem Heimweg begleiten duerfe, der Abend scheine mir in seiner gelehrten Naehe noch einmal so schoen. Der Herr Doktor schien einen kordialen Hieb zu haben; er legte zutraulich meinen Arm in den seinigen und begann mit mir ueber die Tiefen der Wissenschaft zu perorieren. Aber ich schlug sein Auge mit Blindheit, und indem ich als ehrbarer Studiosus neben ihm zu gehen schien, verwandelte ich meine Gestalt und erschien den verwunderten Blicken der Spaziergaenger als die schoene Luisel, die beruechtigtste Dirne der Stadt.--Ach! dass Hogarth an jenem Abende unter den spazierengehenden Christen auf dem breiten Wege gewandelt waere! Welch herrliche Originale fuer frommen Unwillen, starres Erstaunen, haemische Schadenfreude haette er in sein Skizzenbuch niederlegen koennen. Die Vordersten blieben stehen, als sie das seltsame Paar auf dem Wiesenpfad wandeln sahen, sie kehrten um, uns zu folgen und rissen die Nachkommenden mit. Wie ein ungeheurer Strom waelzte sich uns die erstaunte Menge nach, wie ein Lauffeuer flog das unglaubliche Geruecht: "Der Doktor Schnatterer mit der schoenen Luisel!" von Mund zu Mund der Stadt zu. "Wehe dem, durch den Aergernis kommt!" riefen die Frommen. "Hat man d a s je erlebt von einem christlichen Prediger?" "Ei, ei, wer haette das hinter dem Ehrsamen gesucht?" sprachen mit Achselzucken die Halbfrommen. "Wenn der Skandal nur nicht auf oeffentlicher Promenade--!" "Der Herr Doktor machen sich's bequem!" lachten die Weltkinder, "er predigt gegen das Unrecht und geht mit der Suende spazieren." So hallte es vom Felde bis in die Stadt, Buerger und Studenten, Maegde und Strassenjungen erzaehlten es in Kneipen, am Brunnen und an allen Ecken; und "Doktor Schnatterer" und "schoen Luisel" war das Feldgeschrei und die Parole fuer diesen Abend und manchen folgenden Tag. An einer Kruemmung des Weges machte ich mich unbemerkt aus dem Staube und schloss mich als Studiosus meinen Kameraden an, die mir die Neuigkeit ganz warm auftischten. Der gute Doktor aber zog ruhig seines Weges, bemerkte, in seine tiefen Meditationen versenkt, nicht das Draengen der Menge, die sich um seinen Anblick schlug, nicht das wiehernde Gelaechter, das seinen Schritten folgte. Es war zu erwarten, dass einige fromme Weiber seiner zaertlichen Ehehaelfte die Geschichte beigebracht hatten, ehe noch der Theologe an der Hausglocke zog; denn auf der Strasse hoerte man deutlich die fuerchterliche Stimme des Gerichtsengels, der ihn in Empfang nahm, und das Klatschen, welches man hie und da vernahm, war viel zu volltoenend, als dass man haette denken koennen, die Frau Doktorin habe die Wangen ihres Gemahls mit dem M u n d e beruehrt. Wie ich mir aber dachte, so geschah es. Nach einer halben Stunde schickte die Frau Doktorin zu mir und liess mich holen. Ich traf den Doktor mit hoch aufgelaufenen Wangen, niedergeschlagen in einem Lehnstuhl sitzend. Die Frau schritt auf mich zu und schrie, indem sie die Augen nach dem Doktor hinueberblitzen lieb: "Dieser Mensch dort behauptet, heute abend mit Ihnen vom Wirtshaus hereingegangen zu sein; sagen Sie, ob es wahr ist, sagen Sie!" Ich bueckte mich geziemend und versicherte, dass ich mir habe nie traeumen lassen, die Ehre zu geniessen; ich sei den ganzen Abend zu Hause gewesen. Wie vom Donner geruehrt, sprang der Doktor auf, der Schrecken schien seine Zunge gelaehmt zu haben: "Zu Haus' gewesen?" lallte er. "Nicht mit mir gegangen? O, mit wem soll ich denn gegangen sein, als mit Ihnen, Wertester?" "Was weiss ich, mit wem der Herr Doktor gegangen sind?" gab ich laechelnd zur Antwort. "Mit mir auf keinen Fall!" "Ach, Sie sind nur zu nobel, Herr Studiosus," heulte die wuetende Frau, "was sollten Sie nicht wissen, was die ganze Stadt weiss; der alte Suender, der Schandmensch! Man weiss seine Schliche wohl; mit der schoenen Luisel hat er scharmuziert!" "Das hat mir der boese Feind angetan," raste der Doktor und rannte im Zimmer umher; "der Boese, der Beelzebub, nach meiner Konjektur der Stinker." "Der Rausch hat dir's angetan, du Lump," schrie die Zaertliche, riss ihren breit getretenen Pantoffel ab und rannte ihm nach; ich aber schlich mich die Treppe hinab und zum Haus hinaus und dachte bei mir: "Dem Doktor ist ganz recht geschehen; man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er." Der Doktor Schnatterer werde von da an in seinen Kollegien ausgepocht und konnte selbst mit den kuehnsten Konjekturen den Eifer nicht mehr erwecken, der vor seiner Fatalitaet unter der studierenden Jugend geherrschte hatte. Die Kollegiengelder erreichten nicht mehr jene Summe, welche die Frau Professorin als allgemeinen Massstab angenommen hatte, und der Professor lebte daher in ewigem Hader mit der Unversoehnlichen. Diesem hatte, sozusagen, d e r T e u f e l e i n E i i n d i e W i r t s c h a f t g e l e g t. * * * * * ZEHNTES KAPITEL. Satan wird wegen Umtrieben eingezogen und verhoert; er verlaesst die Universitaet. Um diese Zeit hoerte man in Deutschland viel von Demagogen, Umtrieben, Verhaftungen und Untersuchungen. Man lachte darueber, weil es schien, man betrachte alles durch das Vergroesserungsglas, welches Angst und boeses Gewissen vorhielten. Uebrigens mochte es an manchen Orten doch nicht ganz geheuer gewesen sein; selbst in dem sonst so ruhigen ------en spukte es in manchen Koepfen seltsam. Ich will einen kurzen Umriss von dem Stand der Dinge geben. Wenn man unbefangen unter den Burschen umherwandelte und ihren Gelagen beiwohnte, so draengte sich von selbst die Bemerkung auf, dass viele unter ihnen von etwas anderem angeregt seien als gerade von dem naechsten Zweck ihres Brotstudiums; wie einige grosses Interesse daran fanden, sich morgens mit ihren Glaeubigern und deren Noten (Philister mit Pumpregistern) herumzuzanken, nachher den Hund zu baden und ihn schoene Kuenste zu lehren, sodann Fensterparade vor ihren Schoenen zu machen usw., so hatten sich andere, und zwar kein geringer Teil, auf Idealeres geworfen. Ich hatte zwar dadurch, dass ich sie zum Studium des Trinkens anhielt, dafuer gesorgt, dass die Herren sich nicht gar zu sehr der Welt entziehen moechten; aber es blieb doch immer ein geheimnisvolles Walten, aus welchem ich nicht recht klug werden konnte. Besonders aber aeusserte sich dies, wenn die Koepfe erleuchtet waren; da sprach man viel von Volksbildung, von frommer deutscher Art; manche sprudelten auch ueber und schrien von der Not des Vaterlandes, von-- doch das ist jetzt gleichgueltig, von was gesprochen wurde, es genuegt zu sagen, dass es schien, als haette eine grosse Idee viele Herzen ergriffen, sie zu e i n e m Streben vereinigt. Mir behagte die Sache an sich nicht uebel; sollte es auf etwas Unruhiges ausgehen, so war ich gleich dabei, denn Revolutionen waren von jeher mein Element; nur sollte nach meiner Meinung das Ganze einen eleganteren, leichteren Anstrich haben. Es gab zwar Leute unter ihnen, die mit der Gewandtheit eines Staatsmannes die Menge zu leiten wussten, die sich eine Eleganz des Stils, eine Leichtigkeit des Umganges angeeignet hatten, wie sie in den diplomatischen Salons mit Muehe erlernt und kaum mit so viel Anstand ausgefuehrt wird; aber die meisten waren in ein phantastisches Dunkel geraten, munkelten viel von dem Dreiklang in der Einheit, von der Idee, die ihnen aufgegangen sei, und hatten Vergangenheit und Zukunft, Mittelalter und das Chaos der jetzigen Zeit so ineinander geknetet, dass kein Theseus sich aus diesen Labyrinthen herausgefunden haette. Ich merkte oft, dass einer oder der andere der Koryphaeen in einer traulichen Stunde mir gerne etwas anvertraut haette; ich zeigte Verstand, Weltbildung, Geld und grosse Konnexionen, Eigenschaften, die nicht zu verachten sind und die man immer ins Mittel zu ziehen sucht. Aber immer, wenn sie im Begriff waren, die dunkle Pforte des Geheimnisses vor meinen Augen aufzuschliessen, schien sie, ich weiss nicht was, zurueckzuhalten; sie behaupteten, ich habe kein Gemuet; denn dieses edle Seelenvermoegen schienen sie als Probierstein zu gebrauchen. Mochte ich aber aussehen wie ein verkappter Jakobiner, mochte ich durch meinen Einfluss auf die Menge Verdacht erregt haben? Eines Morgens trat der Pedell mit einigen Schnurren in mein Zimmer und nahm mich im Namen Seiner Magnifizenz gefangen. Der Universitaetssekretaer folgte, um meine Papiere zu ordnen und zu versiegeln, und gab mir zu verstehen, dass ich als D e m a g o g e verhaftet sei. Man gab mir ein anstaendiges Zimmer im Universitaetsgebaeude, sorgte eifrig fuer jede Bequemlichkeit, und als der hohe Rat beisammen war, wurde ich in den Saal gefuehrt, um ueber meine p o l i t i s c h e n V e r b r e c h e n vernommen zu werden. Die Dekane der vier Fakultaeten, der Rektor Magnifikus, ein Mediziner, und der Universitaetssekretaer sassen um einen gruen behaengten Tisch in feierlichem Ornat; die tiefe Stille, welche in dem Saal herrschte, die steife Haltung der gelehrten Richter, ihre wichtigen Mienen noetigten mir unwillkuerlich ein Laecheln ab. Magnifikus zeigte auf einen Stuhl ihm gegenueber am Ende der Tafel, Delinquent setzte sich, Magnifikus winkte wieder, und der Pedell trat ab. Noch immer tiefe Stille; der Sekretaer legt das Papier zum Protokoll zurecht und schneidet Federn; ein alter Professor laesst seine ungeheure Dose herumgehen. Jeder der Herren nimmt eine Prise, bedaechtig und mit Beugung des Hauptes; Doktor Saper, mein naechster Nachbar, schnupft und praesentiert mir die Dose, laesst aber das teure Magazin, von einem abwehrenden Blick Magnifici erschreckt, mit polterndem Geraeusch zu Boden fallen. "Alle Hagel, Herr Doktor," schrie der alte Professor, alle Achtung beiseite setzend. "O Jerum," aechzte der Sekretaer und warf das Federmesser weg; denn er hatte sich aus Schrecken in den Finger geschnitten. "Bitte untertaenigst!" stammelte der erschrockene Doktor Saper. Diese alle sprachen auf einmal durcheinander, und der letztere kniete auf den Boden nieder und wollte mit der Papierschere, die er in der Eile ergriffen hatte, den verschuetteten Tabak aufschaufeln. Magnifikus aber ergriff die grosse Glocke und schellte dreimal; der Pedell trat eilig und bestuerzt herein und fragte, was zu Befehl sei, und Magnifikus, mit einem verbindlichen Laecheln zu Doktor Saper hinueber, sprach: "Lassen Sie es gut sein, Lieber, er taugt doch nichts mehr; da wir aber in dieser Sitzung einiges Tabaks benoetigt sein werden, glaube ich, dafuer stimmen zu muessen, dass frischer _ad locum_ gebracht werde." Doktor Saper zog schnell sein Beutelein, reichte dem Pedell einige Groschen und befahl ihm, eilends drei Lot Schnupftabak zu bringen. Dieser enteilte dem Saal. Vor dem Haus fand er, wie ich nachher erfuhr, die halbe Universitaet versammelt; denn meine Verhaftung war schnell bekannt geworden, und alles draengte sich hinzu, um das Naehere zu erfahren. Man kann sich daher die Spannung der Gemueter denken, als man den Pedell aus der Tuere stuerzen sah. Die Vordersten hielten ihn fest und fragten und draengten ihn, wohin er so eilig versendet werde, und kaum konnte man sich in seine Beteuerung finden, dass er eilends drei Lot Schnupftabak holen muesse. Aber im Saal war nach der Entfernung des Goetterboten die vorige, anstaendige Stille eingetreten. Magnifikus fasste mich mit einem Blick voll Hoheit und begann: "Es ist uns von einer hoechstpreislichen Zentral- Untersuchungskommission der Auftrag zugekommen, auf gewisse geheime Umtriebe und Verbindungen, so sich auf unserer Universitaet seit einiger Zeit entsponnen haben sollen, unser Augenmerk zu richten. Wir sind nun nach reiflicher Pruefung der Umstaende vollkommen darueber einverstanden, dass Sie, Herr von Barbe, sich hoechst verdaechtig gemacht haben, solche Verhaeltnisse unter unserer akademischen Jugend dahier herbeigefuehrt und angesponnen zu haben. Hm! Was sagen Sie dazu, Herr von Barbe?" "Was ich dazu sage? Bis jetzt noch nichts. Ich erwarte geziemend die Beweise, die mein Leben und Betragen einer solchen Beschuldigung verdaechtig machen." "Die Beweise?" antwortete erstaunt der Rektor. "Sie verlangen Beweise? Ist das der Respekt vor einem akademischen Senate? Man fuehre selbst den Beweis, dass man nicht im straeflichen Verdacht der Demagogie ist." "Mit guetiger Erlaubnis, Euer Magnifizenz," entgegnete der Dekan der Juristen, "Inquisit kann, wenn er eines Verdachtes angeklagt ist, i n a l l e W e g e v e r l a n g e n, dass ihm die Gruende des Verdachtes genannt werden." Dem medizinischen Rektor stand der Angstschweiss auf der Stirne; man sah ihm an, dass er mit Muehe die Beweisgruende in seinem Haupte hin- und herwaelzte. Wie ein Bote vom Himmel erschien ihm daher der Pedell mit der Dose und berichtete zugleich mit aengstlicher Stimme, dass die Studierenden in grosser Anzahl sich vor dem Universitaetsgebaeude zusammengerottet haben und ein verdaechtiges Gemurmel durch die Reihen laufe, das mit einem Pereat oder Scheibeneinwerfen zu bedrohen scheine. Kaum hatte er ausgesprochen, so stuerzte eine Magd herein und richtete von der Frau Magnifikussin an den Herrn Magnifikus ein Kompliment aus, "und er moechte doch sich nach Haus salvieren, weil die Studenten allerhand verdaechtige Bewegungen machten". "Ist das nicht der klarste Beweis gegen Ihre geheimen Umtriebe, lieber Herr von Barbe?" sprach die Magnifizenz in klaeglichem Tone. "Aber der Aufruhr steigt, _videant Consules, ne quid detrimenti_--man nehme seine Massregeln;--dass auch der Teufel gerade in meine Amtsfuehrung alle fatalen Haendel bringen muss!--_Domine Collega,_ Herr Doktor Pfeffer, was stimmen Sie?" "Es ist eigentlich noch kein Votum zur Abstimmung vorgebracht und zur Reife gediehen, ich rate aber, Herrn von Barbe bis auf weiteres zu entlassen und ihm--" "Richtig, gut," rief der Rektor, "Sie koennen abtreten, wertgeschaetzter junger Freund; beruhigen Sie Ihre Kameraden; Sie sehen selbst, wie glimpflich wir mit Ihnen verfahren sind, und zu einer gelegeneren Stunde werden wir uns wieder die Ehre ausbitten; damit aber die Sache kein solches Aufsehen mehr erregt--weiss Gott, der Aufruhr steigt, ich hoere Pereat--so kommen Sie morgen abend alle zum Tee zu mir, Sie auch, lieber Barbe, da dann die Sachen weiter besprochen werden koennen." Ich konnte mich kaum enthalten, den aengstlichen Herren ins Gesicht zu lachen. Sie sassen da, wie von Gott verlassen, und wuenschten sich in Abrahams Schoss, das heisst in den ruhigen Hafen ihres weiten Lehnstuhls. "Was steht nicht von einer erhitzten Jugend zu erwarten?" klagten sie. "Seitdem etzliche Lehrer von den Kathedern gestiegen sind und sich unter diese himmelstuermenden Zyklopen gemischt haben, ist keine Ehrfurcht, kein Respekt mehr da. Man muss befuerchten, wie schlechte Schauspieler ausgepfiffen oder am hellen Tage insultiert zu werden." "Vom Erstechen will ich gar nicht reden," sagte ein anderer; "es sollte eigentlich jeder Literatus, der nicht alle Wege ein gut Gewissen hat, einen Brustharnisch unter dem Kamisol tragen." Indessen die Philister also klagten, dankte ich meinen Kommilitonen fuer ihre Aufmerksamkeit fuer mich, sagte ihnen, dass sie nachts viel bessere Gelegenheit zum Fenstereinwerfen haben, und bewog sie durch Bitten und Vorstellungen, dass sie abzogen. Sie marschierten in geschlossenen Reihen durch das erschreckte Staedtchen und sangen ihr _"Ca ira, ca ira,"_ naemlich: "Die Burschenfreiheit lebe" und das erhabene "Rautsch, rautsch, rautschitschi, Revolution!" Ich ging wieder in den Saal zurueck und sagte den noch versammelten Herren, dass sie gar nichts zu befuerchten haben, weil ich die Herren Studiosen vermocht habe, nach Hause zu gehen. Beschaemung und Zorn roetete jetzt die bleichen Gesichter, und mein bisschen Psychologie muesste mich ganz getaeuscht haben, wenn mich die Herren nicht ihre Angst entgelten liessen. Und gewiss! Meine Ahnung hatte mich nicht betrogen. Magnifikus ging ans Fenster, um sich selbst zu ueberzeugen, dass die Aufruehrer abgezogen seien; dann wendete er sich mit erhabener Miene zu mir, und er, der noch vor einer Viertelstunde "mein wertgeschaetzter Freund" zu mir sagte, herrschte mir jetzt zu: "Wir koennen das Verhoer weiter fortfuehren, Delinquent mag sich setzen!" So sind die Menschen; nichts vergisst der Hoehere so leicht, als dass der Niedere ihm in der Stunde der Not zu Hilfe eilte. Nichts sucht er sogar eifriger zu vergessen als jene Not, wenn er sich dabei eine Bloesse gegeben, deren er sich zu schaemen hat. Nach der Miene des Magnifikus richteten sich auch die seiner Kollegen. Sie behandelten mich grob und muerrisch. Der Rektor entwickelte mit grosser Gelehrsamkeit den ersten Anklagepunkt. "Demagog kommt her von _demos_ und _agein_. Das eine heisst Volk, das andere fuehren oder verfuehren. Wer ist nach diesem Begriff mehr Demagog als Sie? Haben wir nicht in Erfahrung gebracht, dass Sie die jungen Leute zum Trinken verleiteten, dass Sie neue Lieder und Kartenspiele hieher verpflanzten? Auch von andern Orten werden diese Sachen als die sichersten Symptome der Demagogie angefuehrt; folglich sind Sie ein Demagog."-- Mit triumphierendem Laecheln wandte er sieh zu seinen Kollegen: "Habe ich nicht recht, Doktor Pfeffer? Nicht recht, Herr Professor Saper?" "Vollkommen, Euer Magnifizenz," versicherten jene und schnupften. "Zweitens, jetzt kommt der andere Punkt," fuhr der Mediziner fort. "Das Turnen ist eine Erfindung des Teufels und der Demagogen, es ist, um mich so auszudruecken, eine vaterlandsverraeterische Ausbildung der koerperlichen Kraefte. Da nun die Turnplaetze eigentlich die Tierparks und Salzlecken des demagogischen Wildes, Sie aber, wie wir in Erfahrung gebracht haben, einer der eminentesten Turner sind, so haben Sie sich durch Ihre _Saltus mortales_ und Ihre uebrigen Kuenste als einen kleinen Jahn, einen offenbaren Demagogen gezeigt.--Habe ich nicht recht, Herr Doktor Bruttler? Sage ich nicht die Wahrheit, Herr Doktor Schrag?" "Vollkommen, Euer Magnifizenz!" versicherten diese und schnupften. "Demagogen," fuhr er fort, "Demagogen schleichen sich ohne bestimmten aeussern Zweck ins Land und suchen da Feuer einzulegen; sie sind unstete Leute, denen man ihre Verdaechtigkeit gleich ansieht; der Herr Studiosus von Barbe ist ohne bestimmten Zweck hier; denn er laeuft in allen Kollegien und Wissenschaften umher, ohne sie fuer immer zu frequentieren oder g a r n a c h z u s c h r e i b e n. Was folgt? Er hat sich der Demagogie sehr verdaechtig gemacht. Ich fuege gleich den vierten Grund bei. Man hat bemerkt, dass Demagogen, vielleicht von geheimen Buenden ausgeruestet, viel Geld zeigen und die Leute an sich locken; wer hat sich in diesem Punkte der Anklage wuerdiger gemacht als Delinquent? Habe ich nicht recht, meine Herren?" "Sehr scharfsinnig, vollkommen!" antworteten die Aufgerufenen _unisono_ und liessen die Dose herumgehen. Mit Majestaet richtete sich Magnifikus auf: "Wir glauben hinlaenglich bewiesen zu haben, dass Sie, Herr Studiosus Friedrich von Barbe, in dem Verdacht geheimer Umtriebe stecken; wir sind aber weit entfernt, ohne den Beklagten anzuhoeren, ein Urteil zu faellen; darum verteidigen Sie sich.--Aber mein Gott! Wie die Zeit herumgeht, da laeutet es schon zu Mittag; ich denke, der Herr kann seine Verteidigung im Karzer schriftlich abfassen; somit waere die Sitzung aufgehoben; wuensche gesegnete Mahlzeit, meine Herren." So schloss sich mein merkwuerdiges Verhoer. Im Karzer entwarf ich eine Verteidigung, die den Herren einleuchten mochte. Wahrscheinlicher aber ist mir, dass sie sich scheuten, einen jungen Mann, der so viel Geld ausgab, aus ihrer guten Stadt zu verbannen. Sie gaben mir daher den Bescheid, dass man mich aus besonderer Ruecksicht diesmal noch mit dem Konsilium verschonen wolle, und setzten mich wieder auf freien Fuss. Als Demagog eingekerkert zu sein, als Maertyrer der guten Sache gelitten zu haben, zog einen neuen Nimbus um meinen Scheitel, und im Triumph wurde ich aus dem Karzer nach Hause begleitet; aber die Freude sollte nicht lange dauern. Ich hatte jetzt so ziemlich meinen Zweck, der mich in jene Stadt gefuehrt hatte, erreicht und gedachte weiter zu gehen. Ich hatte mir aber vorgenommen, vorher noch den Titel eines Doktors der Philosophie auf gerechtem Wege zu erringen. Ich schrieb daher eine gelehrte Dissertation, und zwar ueber ein Thema, das mir am naechsten lag: _De rebus diabolicis_, liess sie drucken und verteidigte sie oeffentlich; wie ich meine Gegner und Opponenten tuechtig zusammengehauen, erzaehle ich nicht, aus Bescheidenheit; einen Auszug aus meiner Dissertation habe ich uebrigens dem geneigten Leser beigelegt [Fussnote: Diesen Auszug habe ich nicht finden koennen, es muesste denn die Einleitung zum Besuch bei Goethe sein. Der Herausgeber.]. _Post exantlata_, oder nachdem ich den Doktorhut errungen hatte, gab ich einen ungeheuern Schmaus, wobei manche Seele auf ewig mein wurde. Solange noch die guten Jungen meinen Champagner und Burgunder mit schwerer Zunge prueften, liess ich meine Rappen vorfuehren und sagte der lieben Musenstadt Valet. Die Rechnung des Doktorschmauses aber ueberbrachte der Wirt am Morgen den erstaunten Gaesten, und manches Pochen des ungestuemen Glaeubigers, das sie aus den suessen Morgentraeumen weckte, mancher bedeutende Abzug am Wechsel erinnerte sie auch in spaetern Zeiten an den beruehmten Doktorschmaus und an ihren guten Freund, den Satan. * * * * * UNTERHALTUNGEN DES SATAN UND DES EWIGEN JUDEN IN BERLIN. "Die heutigen dummen Gesichter sind nur das _boeuf a la Mode_ der frueheren dummen Gesichter." Welt und Zeit. ELFTES KAPITEL. Wen der Teufel im Tiergarten traf. Ich sass, es moegen bald drei Jahre sein, an einem schoenen Sommerabend im Tiergarten zu Berlin, nicht weit vom Weberschen Zelt; ich betrachtete mir die bunte Welt um mich her und hatte grosses Wohlgefallen an ihr; war es doch schon wieder ganz anders geworden als zu der frommen Zeit anno dreizehn und fuenfzehn, wo alles so ehrbar und, wie sie es nannten, altdeutsch zuging, dass es mich nicht wenig ennuyierte. Besonders ueber die schoenen Berlinerinnen konnte ich mich damals recht aergern; sonst ging es Sonntag nachmittags mit Saus und Braus nach Charlottenburg oder mit Jubel und Lachen die Linden entlang nach dem Tiergarten hinaus; allein damals--? Jetzt aber ging es auch wieder hoch her. Das Alte war dem Neuen gewichen, Lust und Leben wie frueher zog durch die gruenen Baeume, und der Teufel galt wieder was, wie vor Zeiten, und war ein geschaetzter, angesehener Mann. Ich konnte mich nicht enthalten, einen Gang durch die buntgemischte Gesellschaft zu machen. Die glaenzenden Militaers von allen Chargen mit ihren ebenso verschieden chargierten Schoenen, die zierlichen Elegants und Elegantinnen, die Muetter, die ihre geputzten Toechter zu Markte brachten, die wohlgenaehrten Raete, mit einem guten Griff der Kassengelder in der Tasche, und Grafen, Barone, Buerger, Studenten und Handwerksburschen, anstaendige und unanstaendige Gesellschaft--sie alle um mich her, sie alle auf dem vernuenftigsten Wege, m e i n zu werden! In froehlicher Stimmung ging ich weiter und weiter, ich wurde immer zufriedener und heiterer. Da sah ich, mitten unter dem wogenden Gewuehl der Menge ein paar Maenner an einem kleinen Tischchen sitzen, welche gar nicht recht zu meiner froehlichen Gesellschaft taugen wollten. Den einen konnte ich nur vom Ruecken sehen; es war ein kleiner, beweglicher Mann, schien viel an seinen Nachbar hin zu sprechen, gestikulierte oft mit den Armen und nahm nach jedem groesseren Satz, den er gesprochen, ein erkleckliches Schlueckchen dunkelroten Franzweins zu sich. Der andere mochte schon weit vorgerueckt in Jahren sein, er war aermlich, aber sauber gekleidet, beugte den Kopf auf die eine Hand, waehrend die andere mit einem langen Wanderstab wunderliche Figuren in den Sand schrieb; er hoerte mit truebem Laecheln dem Sprechenden zu und schien ihm wenig oder ganz kurz zu antworten. Beide Figuren hatten etwas mir so Bekanntes, und doch konnte ich mich im Augenblicke nicht entsinnen, wer sie waeren. Der kleine Lebhafte sprang endlich auf, drueckte dem Alten die Hand, lief mit kurzen, schnellen Schritten, heiser vor sich hin lachend, hinweg und verlor sich bald ins Gedraenge. Der Alte schaute ihm wehmutig nach und legte dann die tiefgefurchte Stirne wieder in die Hand. Ich besann mich auf alle meine Bekannten, keiner passte zu dieser Figur; eine Ahnung durchflog mich, sollte es--doch was braucht der Teufel viel Komplimente zu machen? Ich trat naeher, setzte mich auf den Stuhl, welchen der andere verlassen hatte, und bot dem Alten einen guten Abend. Langsam erhob er sein Haupt und schlug das Auge auf. Ja, er war es, es war der e w i g e J u d e. "_Bon soir_, Bruederchen," sagte ich zu ihm, "es ist doch schnackisch, dass wir einander zu Berlin im Tiergarten wieder finden; es wird wohl so achtzig Jaehrchen sein, dass ich nicht mehr das Vergnuegen hatte?" Er sah mich fragend an. "So, du bist's?" presste er endlich heraus. "Hebe dich weg, mit dir habe ich nichts zu schaffen!" "Nur nicht gleich so grob, Ewiger," gab ich ihm zur Antwort; "wir haben manche Mitternacht miteinander vertollt, als du noch munter warst auf der Erde und so recht systematisch liederlich lebtest, um dich selbst bald unter den Boden zu bringen. Aber jetzt bist du, glaube ich, ein Pietist geworden." Der Jude antwortete nicht, aber ein haemisches Laecheln, das ueber seine verwitterten Zuege flog wie ein Blitz durch die Ruine, zeigte mir, dass er mit der Kirche noch immer nicht recht einig sei. "Wer ging da soeben von dir hinweg?" fragte ich, als er noch immer auf seinem Schweigen beharrte. "Das war der Kammergerichtsrat Hoffmann," erwiderte er. "So, d e r? Ich kenne ihn recht wohl, obgleich er mir immer ausweicht wie ein Aal; war ich ihm doch zu mancher seiner naechtlichen Phantasien behilflich, dass es ihm selbst oft angst und bange wurde, und habe ich ihm nicht als sein eigener Doppelgaenger ueber die Schultern geschaut, als er an seinem Kreisler schrieb? Als er sich umwandte und den Spuk anschaute, rief er seiner Frau, dass sie sich zu ihm setze, denn es war Mitternacht, und seine Lampe brannte trueb'.-- So, so, der war's? Und was wollte er von dir, Ewiger?" "Dass du verkruemmest mit deinem Spott! Bist du nicht gleich ewig wie ich, und drueckt dich die Zeit nicht auch auf den Ruecken? Nenne den Namen nicht mehr, den ich hasse! Was aber den Kammergerichtsrat Hoffmann betrifft," fuhr er ruhiger fort, "so geht er umher, um sich die Leute zu betrachten; und wenn er einen findet, der etwas Apartes an sich hat, etwa einen Hieb aus dem Narrenhaus oder einen Stich aus dem Geisterreich, so freut er sich bass und zeichnet ihn mit Worten oder mit dem Griffel. Und weil er an mir etwas Absonderliches verspuert haben mag, so setzte er sich zu mir, besprach sich mit mir und lud mich ein, ihn in seinem Haus auf dem Gendarmenmarkt zu besuchen." "So, so! Und wo kommst du denn eigentlich her, wenn man fragen darf?" "Recta aus China!" antwortete Ahasverus. "Ein langweiliges Nest, es sieht gerade aus wie vor fuenfzehnhundert Jahren, als ich zum erstenmal dort war." "In China warst du?" fragte ich lachend. "Wie kommst du denn zu dem langweiligen Volk, das selbst fuer den Teufel zu wenig amuesant ist?" "Lass das," entgegnete jener, "du weisst ja, wie mich die Unruhe durch die Laender treibt. Ich habe mir, als die Morgensonne des neuen Jahrhunderts hinter den mongolischen Bergen aufging, den Kopf an die lange Mauer von China gerannt; aber es wollte noch nicht mit mir zu Ende gehen, und ich haette eher ein Loch durch jene Gartenmauer des himmlischen Reiches gestossen, wie ein alter Aries, als dass der dort oben mir ein Haerchen haette kruemmen lassen." Traenen rollten dem alten Menschen aus den Augen. Die mueden Augenlider wollten sich schliessen; aber der Schwur des Ewigen haelt sie offen, bis er schlafen darf, wenn die andern auferstehen. Er hatte lange geschwiegen, und wahrlich, ich konnte den Armen nicht ohne eine Regung von Mitleid ansehen. Er richtete sich wieder auf.--"Satan," fragte er mit zitternder Stimme, "wieviel Uhr ist's in der Ewigkeit?" "Es will Abend werden," gab ich ihm zur Antwort. "O Mitternacht!" stoehnte er, "wann endlich kommen deine kuehlen Schatten und senken sich auf mein brennendes Auge? Wann nahest du, Stunde, wo die Graeber sich oeffnen und Raum wird fuer den E i n e n, der dann ruhen darf?" "Pfui Kuckuck, alter Heuler!" brach ich los, erbost ueber die weinerlichen Manieren des ewigen Wanderers. "Wie magst du nur solch ein poetisches Lamento aufschlagen? Glaube mir, du darfst Dir gratulieren, dass du noch etwas Apartes hast. Manche lustige Seele hat es an einem gewissen Ort viel schlimmer als du hier auf der Erde. Man hat doch hier immer noch seinen Spass; denn die Menschen sorgen dafuer, dass die tollen Streiche nicht ausgehen. Wenn ich so viele freie Zeit haette wie du, ich wollte das Leben anders geniessen. _Ma foi_, Bruederchen, warum gehst du nicht nach England, wo man jetzt ueber die galanten Abenteuer einer Koenigin oeffentlich zertiert? Warum nicht nach Spanien, wo es jetzt naechstens losbricht? Warum nicht nach Frankreich, um dein Gaudium daran zu haben, wie man die Waende des Kaisertums ueberpinselt und mit alten Gobelins von Ludwigs des Vierzehnten Zeiten, die sie aus dem Exil mitgebracht haben, behaengt. Ich kann dich versichern, es sieht gar naerrisch aus; denn die Tapete ist ueberall zu kurz, und durch die Risse guckt immer noch ernst und drohend das Kaisertum wie das Blut des Ermordeten, das man mit keinem Gips ausloeschen kann und das, so oft man es weiss anstreicht, immer noch mit der alten b u n t e n Farbe durchschlaegt!" Der alte Mensch hatte mir aufmerksam zugehoert, sein Gesicht war immer heiterer geworden, und er lachte jetzt aus vollem Herzen. "Du bist, wie ich sehe, immer noch der Alte," sagte er, und schuettelte mir die Hand, "weisst jedem etwas aufzubinden, und wenn er gerade aus Abrahams Schoss kaeme!" "Warum," fuhr ich fort, "warum haeltst du dich nicht laenger und oefter hier in dem guten und ehrlichen Deutschland auf? Kann man etwas Possierlicheres sehen als diese Duodezlaender! Da ist alles so--doch stille, da geht einer von der geheimen Polizei umher. Man koennte leicht etwas aufschnappen und den ewigen Juden und den Teufel als unruhige Koepfe nach Spandau schicken. Aber um auf etwas anderes zu kommen, warum bist du denn hier in Berlin?" "Das hat seine eigene Bewandtnis," antwortete der Jude. "Ich bin hier, um einen Dichter zu besuchen." "Du einen Dichter?" rief ich verwundert. "Wie kommst du auf diesen Einfall?" "Ich habe vor einiger Zeit ein Ding gelesen, man heisst es Novelle, worin ich die Hauptrolle spielte. Es fuehrte zwar den dummen Titel: D e r e w i g e J u d e, im uebrigen ist es aber eine schoene Dichtung, die mir wunderbaren Trost brachte! Nun moechte ich den Mann sehen und sprechen, der das wunderliche Ding gemacht hat." "Und der soll hier wohnen, in Berlin?" fragte ich neugierig. "Und wie heisst er denn?" "Er soll hier wohnen und heisst F. H. Man hat mir auch die Strasse genannt; aber mein Gedaechtnis ist wie ein Sieb, durch das man Mondschein giesst!" Ich war nicht wenig begierig, wie sich der ewige Jude bei einem Dichter produzieren wuerde, und beschloss, ihn zu begleiten. "Hoere, Alter," sagte ich zu ihm, "wir haben von jeher auf gutem Fuss miteinander gestanden, und ich hoffe nicht, dass du deine Gesinnungen gegen mich aendern wirst. Sonst--" "Zu drohen ist gerade nicht noetig, Herr Satan," antwortete er, "denn du weisst, ich mache mir wenig aus dir und kenne deine Schliche hinlaenglich; aber deswegen bist du mir doch als alter Bekannter ganz angenehm und recht. Warum fragst du denn?" "Nun, du koenntest mir die Gefaelligkeit erweisen, mich zu dem Dichter, der dich in einer Novelle abkonterfeite, mitzunehmen. Willst du nicht?" "Ich sehe zwar nicht ein, was fuer ein Interesse du dabei haben kannst," antwortete der Alte und sah mich misstrauisch an. "Du koenntest irgendeinen Spuk im Sinne haben und dir vielleicht gar mit boesen Absichten auf des braven Mannes Seele schmeicheln. Dies schlage dir uebrigens nur aus dem Sinn; denn der schreibt so fromme Novellen, dass der Teufel selbst ihm nichts anhaben kann.--Doch meinetwegen kannst du mitgehen." "Das denke ich auch. Was diese Seele betrifft, so kuemmere ich mich wenig um Dichter und dergleichen; das ist leichte Ware, welcher der Teufel wenig nachfragt. Es ist bei mir nur Interesse an dem Manne selbst, was mich zu ihm zieht. Uebrigens in diesem Kostuem kannst du hier in Berlin keine Visiten machen, Alter!" Der ewige Jude beschaute mit Wohlgefallen sein abgeschabtes braunes Roecklein mit grossen Perlmutterknoepfen, seine lange Weste mit breiten Schoessen, seine kurzen, zeisiggruenen Beinkleider, die auf den Knien ins Braeunliche spielten. Er setzte das schwarzrote, dreieckige Huetchen aufs Ohr, nahm den langen Wanderstab kraeftiger in die Hand, stellte sich vor mich hin und fragte: "Bin ich nicht angekleidet stattlich wie Koenig Salomo und zierlich wie der Sohn Isais? Was hast du nur an mir auszusetzen? Freilich trage ich keinen falschen Bart wie du, keine Brille sitzt mir auf der Nase, meine Haare stehen nicht in die Hoehe _a la_ Wahnsinn. Ich habe meinen Leib in keinen wattierten Rock gepresst, und um meine Beine schlottern keine ellenweiten Beinkleider, wozu freilich Herr Bocksfuss Ursache haben mag--" "Solche Anzueglichkeiten gehoeren nicht hierher," antwortete ich dem alten Juden. "Wisse, man muss heutzutage nach der Mode gekleidet sein, wenn man sein Glueck machen will, und selbst der Teufel macht davon keine Ausnahme. Aber hoere meinen Vorschlag. Ich versehe dich mit einem anstaendigen Anzug, und du stellst dafuer meinen Hofmeister vor. Auf diese Art koennen wir leicht Zutritt in Haeusern bekommen, und wie wollte ich dir's vergelten, wenn uns dein Dichter in einen aesthetischen Tee einfuehrte!" "Aesthetischer Tee, was ist denn das? In China habe ich manches Mass Tee geschluckt, Blumentee, Kaisertee, Mandarinentee, sogar Kamillentee, aber aesthetischer Tee war nie dabei." "_O sancta simplicitas!_ Jude, wie weit bist du zurueck in der Kultur! Weisst du denn nicht, dass dies Gesellschaften sind, wo man ueber Teeblaetter und einige schoene Ideen genugsam warmes Wasser giesst und den Leuten damit aufwartet? Zucker und Rum tut jeder nach Belieben dazu, und man amuesiert sich dort trefflich." "Habe ich je so etwas gehoert, so will ich Hans heissen," versicherte der Jude, "und was kostet es, wenn man's sehen darf ?" "Kosten? Nichts kostet es, als dass man der Frau vom Haus die Hand kuesst, und, wenn ihre Toechter singen oder mimische Vorstellungen geben, hier und da ein 'wundervoll' oder 'goettlich' schluepfen laesst." "Das ist ein wunderliches Volk geworden in den letzten achtzig Jahren. Zu Friedrichs des Grossen Zeiten wusste man noch nichts von diesen Dingen. Doch des Spasses wegen kann man hingehen. Denn ich verspuere in dieser Sandwueste gewaltige Langeweile." Der Besuch war also auf den naechsten Tag festgesetzt. Wir besprachen uns noch ueber die Rolle, die ich als Eleve von zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, er als Hofmeister zu spielen haette, und schieden. Ich versprach mir treffliche Unterhaltung von dem morgenden Tage. Der ewige Jude hatte so alte, unbehilfliche Manieren, wusste sich so gar nicht in die heutige Welt zu schicken, dass man ihn im Gewand eines Hofmeisters zum wenigsten fuer einen ausgemachten Pedanten halten musste. Ich nahm mir vor, mir selbst so viel Eleganz, als dem Teufel nur immer moeglich ist, anzulegen und den Alten dadurch recht in Verlegenheit zu bringen. Zerstreuung war ihm ueberdies hoechst noetig; denn er hatte in der letzten Zeit auf seinen einsamen Wanderungen einen solchen Ansatz von Froemmelei bekommen, dass er ein Pietist zu werden drohte. Der Dichter, zu welchem mich der ewige Jude fuehrte, ein Mann von mittleren Jahren, nahm uns sehr artig auf. Der Jude hiess sich Doktor Mucker und stellte in mir seinen Eleven, den jungen Baron von Stobelberg, vor. Ich richtete meine aeussere Aufmerksamkeit halb auf die schoenen Kupferstiche an der Wand, auf die Titel der vielen Buecher, die umherstanden, um desto ungeteilter mein Ohr und, wenn es unbemerkt moeglich war, auch mein Auge an der Unterhaltung teilnehmen zu lassen. Der alte Mensch begann mit einem Lob ueber die Novelle vom ewigen Juden; der Dichter aber, viel zu fein und gebildet, als dass er seinen Gast haette auf diesem Lobe stehen lassen, wandte das Gespraech auf die Sage vom ewigen Juden ueberhaupt und dass sie ihm auf jene Weise aufgegangen sei. Der Ewige schnitt, zur Verwunderung des Dichters, grimmige Gesichter, als dieser unter anderem behauptete, es liege in der Sage vom ewigen Juden eine tiefe Moral; denn der Verworfenste unter den Menschen sei offenbar immer der, welcher seinen Schmerz ueber getaeuschte Hoffnung gerade an dem auslasse, der diese Hoffnung erregt habe. Besonders verworfen erscheine er, wenn zugleich der, welcher die Hoffnung erregte, noch ungluecklicher erscheine als der, welcher sich taeuschte. Es fehlte wenig, so haette der Herr Doktor Mucker sein Inkognito abgelegt und waere dem wirklich genialen Dichter als ewiger Jude zu Leibe gegangen. Noch verwirrter aber wurde mein alter Hofmeister, als jener das Gespraech auf die neuere Literatur brachte. Hier ging ihm die Stimme voellig aus, und er sah die naechste beste Gelegenheit ab, sich zu empfehlen. Der brave Mann lud uns ein, ihn oft zu besuchen, und kaum hatte er gehoert, wir seien voellig fremd in Berlin und wissen noch nicht, wie wir den Abend zubringen sollen, so bat er uns, ihn in ein Haus zu begleiten, wo alle Montage ausgesuchte Gesellschaft von Freunden der schoenen Literatur bei Tee versammelt sei. Wir sagten dankbar zu und schieden. * * * * * ZWOELFTES KAPITEL. Satan besucht mit dem ewigen Juden einen aesthetischen Tee. Ahasverus war den ganzen Tag ueber verstimmt. Gerade das, dass er in seinem Innern dem Dichter recht geben musste, genierte ihn so sehr. Er brummte einmal ueber das andere ueber die "naseweise Jugend" (obgleich der Dichter jener Novelle schon bei Jahren war) und den Verfall der Zeiten und Sitten. Trotz dem Respekt, den ich gegen ihn als meinen Hofmeister haette haben sollen, sagte ich ihm tuechtig die Meinung und brachte den alten Baeren dadurch wenigstens so weit, dass er hoeflich gegen den Mann sein wollte, der so artig war, uns in den aesthetischen Tee zu fuehren. Die siebente Stunde schlug. In einem modischen Frack, wohl parfuemiert, in die feinste, zierlich gefaeltelte Leinwand gekleidet, die Beinkleider von Paris, die durchbrochenen Seidenstruempfe von Lyon, die Schuhe von Strassburg, die Lorgnette so fein und gefaellig gearbeitet, wie sie nur immer aus der Fabrik der Herren Lood in Werenthead hervorgeht, so stellte ich mich den erstaunten Blicken des Juden dar; dieser war mit seiner modischen Toilette noch nicht halb fertig und hatte alles hoechst sonderbar angezogen, wie er z.B. die elegante, hohe Krawatte, ein Berliner Meisterwerk, als Gurt um den Leib gebunden hatte, und fest darauf bestand, dies sei die neueste Tracht aus M o r e a. Nachdem ich ihn mit vieler Muehe geputzt hatte, brachen wir auf. Im Wagen, den ich, um brillanter aufzutreten, fuer diesen Abend gemietet hatte, wiederholte ich alle Lehren ueber den gesellschaftlichen Anstand. "Du darfst," sagte ich ihm, "in einem aesthetischen Tee eher zerstreut und tiefdenkend als vorlaut erscheinen. Du darfst nichts ganz unbedingt loben, sondern sieh' immer so aus, als habest du sonst noch etwas _in petto_, das viel zu weise fuer ein sterbliches Ohr waere. Das Beifallaecheln hochweiser Befriedigung ist schwer und kann erst nach langer Uebung vor dem Spiegel voellig erlernt werden. Man hat aber Surrogate dafuer, mit welchen man etwas sehr loben und bitter tadeln kann, ohne es entfernt gelesen zu haben. Du hoerst z.B. von einem Roman reden, der jetzt sehr viel Aufsehen machen soll. Man setzt als ganz natuerlich voraus, dass du ihn schon gelesen haben muessest, und fragt dich um dein Urteil. Willst du dich nun laecherlich machen und antworten, ich habe ihn nicht gelesen? Nein! Du antwortest frisch drauf zu: 'Er gefaellt mir im ganzen nicht uebel, obgleich er meinen Forderungen an Romane noch nicht entspricht. Er hat manches Tiefe und Originelle, die Entwicklung ist artig erfunden, doch scheint mir hier und da in der Form etwas gefehlt und einige der Charaktere verzeichnet zu sein.' "Sprichst du so, und hast du Mund und Stirne in kritische Falten gelegt, so wird dir niemand tiefes und gewandtes Urteil absprechen." "Dein Gewaesch behalte der Teufel," entgegnete der Alte muerrisch. "Meinst du, ich werde wegen dieser Menschlein, oder gar um dir Spass zu machen, aesthetische Gesichter schneiden? Da betruegst du dich sehr, Satan. Tee will ich meinetwegen saufen, soviel du willst, aber--" "Da sieht man es wieder," wandte ich ein, "wer wird denn in einer honetten Gesellschaft s a u f e n? Wieviel fehlt dir noch, um heutzutage als gebildet zu erscheinen! Nippen, schluerfen, hoechstens trinken--aber da haelt schon der Wagen bei dem Dichter, nimm dich zusammen, dass wir nicht Spott erleben, Ahasvere!" Der Dichter setzte sich zu uns, und der Wagen rollte weiter; ich sah es dem Alten wohl an, dass ihm, je naeher wir dem Ziele unserer Fahrt kamen, desto baenger zu Mute war. Obgleich er schon seit achtzehn Jahrhunderten ueber die Erde wandelte, so konnte er sich doch so wenig in die Menschen und ihre Verhaeltnisse finden, dass er alle Augenblicke anstiess. So fragte er z. B. den Dichter unterwegs, ob die Versammlung, in welche wir fahren, aus l a u t e r Christen bestehe, zu welcher Frage jener natuerlich grosse Augen machte und nicht recht wissen mochte, wie sie hierher komme. Mit wenigen, aber treffenden Zuegen entwarf uns der Dichter den Zirkel, der uns aufnehmen sollte. Die milde und sinnige Froemmigkeit, die in dem zarten Charakter der gnaedigen Frau vorwalten sollte; der feierliche Ernst, die stille Groesse des aeltern Fraeuleins, die, wenngleich Protestantin, doch ganz das Air jener wehmuetig heiligen Klosterfrauen habe, die, nachdem sie mit gebrochenem Herzen der Welt ade gesagt, jetzt ihr ganzes Leben hindurch an einem grossartigen, interessanten Schmerz zehren; [Fussnote: Ganz in der Eile nimmt sich der Herausgeber die Freiheit, den Aufriss der Boudoirs dieser protestantischen Nonne, wie er sich ihn denkt, hier beizufuegen. Im Fenster stehen Blumen, in der Ecke ein Betpult mit einem gusseisernen Kruzifix. Eine Gitarre ist notwendiges Requisit, wenn auch die Eigentuemerin hoechstens "_O Sanctissima_" darauf spielen kann. Ein Heiligenbild ueber dem Sofa, ein mit Flor verhaengtes Bild des V e r s t o r b e n e n oder U n g e t r e u e n, von etzlichem, sinnigem Efeu umrankt. Sie selbst in weissem oder aschgrauem Kostuem, an der Wand ein Spiegel.] das juengere Fraeulein, frisch, rund, bluehend, heiter, naiv, sei verliebt in einen Gardeleutnant, der aber, weil er den Eltern nicht sinnig genug sei, nicht zu dem aesthetischen Tee komme. Sie habe die schoensten Stellen in Goethe, Schiller, Tieck usw., welche ihr die Mutter zuvor angestrichen, auswendig gelernt und gebe sie hie und da mit allerliebster Praezision preis. Sie singt, was nicht anders zu erwarten ist, auf Verlangen italienische Arietten mit kuenstlichen Rouladen. Ihre Hauptforce besteht aber im Walzerspielen. Die uebrige Gesellschaft, einige schoene Geister, einige Kritiker, sentimentale und naive, junge und aeltere Damen, freie und andere Fraeulein [Fussnote: Satan scheint hier zwischen Freifraeulein und anderen Fraeulein zu unterscheiden. Unter jenen versteht er die von gutem Adel, unter letzteren die, welche man sonst Jungfer oder Mamsell heisst. Ich finde uebrigens den Unterschied auf diese Art zu bezeichnen, sehr unpassend. Denn man wird mir zugeben, dass die buergerlichen Fraeulein oft ebenso frei in ihren Sitten und Betragen sind, als die echten.] werden wir selber naeher kennen lernen. Der Wagen hielt, der Bediente riss den Schlag auf und half meinem bangen Mentor heraus. Schweigend zogen wir die erleuchtete Treppe hinan. Ein lieblicher Ambraduft wallte uns aus dem Vorzimmer entgegen. Geraeusch vieler Stimmen und das Gerassel der Teeloeffel toente aus der halbgeoeffneten Tuere des Salons; auch diese flog auf, und umstrahlt von dem Sonnenglanz der schwebenden Luesters, sass im Kreise die Gesellschaft. Der Dichter fuehrte uns vor den Sitz der gnaedigen Frau und stellte den Doktor Mucker und seinen Eleven, den jungen Baron von Stobelberg, vor. Huldreich neigte sich die Matrone und reichte uns die schoene, zarte Hand, indem sie uns freundlich willkommen hiess. Mit jener zierlichen Leichtigkeit, die ich einem Wiener Incroyable abgelauscht hatte, fasste ich diese zarte Hand und hauchte ein leises Kuesschen der Ehrfurcht darueber hin. Die artige Sitte des Fremdlings schien ihr zu gefallen, und gern gewaehrte sie dem Mentor des wohlgezogenen Zoeglings die naemliche Gunst. Aber, o Schrecken! Indem er sich niederbueckte, gewahrte ich, dass sein grauer, stechender Judenbart nicht glatt vom Kinn wegrasiert sei, sondern wie eine Kratzbuerste hervorstehe. Die gnaedige Frau verzog das Gesicht grimmig bei dem Stechkuss, aber der Anstand liess sie nicht mehr als ein leises Gejammer hervorstoehnen. Wehmuetig betrachtete sie die schoene weisse Hand, die rot aufzulaufen begann, und sie sah sich genoetigt, im Nebenzimmer Hilfe zu suchen. Ich, sah, wie dort ihre Zofe aus der silbernen Toilette Koelnisches Wasser nahm und die wunde Stelle damit rieb. Sodann wurden schoene glacierte Handschuhe geholt, die Kaeppchen davon abgeschnitten, so dass doch die zarten Fingerspitzen hervorsehen konnten, und die gnaedige Hand damit bekleidet. Indessen hatten sich die jungen Damen unsere Namen zugefluestert, die Herren traten uns naeher und befragten uns ueber Gleichgueltiges, worauf wir wieder Gleichgueltiges antworteten, bis die Seele des Hauses wieder hereintrat. Die Edle wusste ihren Kummer um die angelaufene Hand so gut zu verbergen, dass sie nur einem haeuslichen Geschaeft nachgegangen zu sein schien und sogar der alte Suender selbst nichts von dem Unheil ahnte, das er bewirkt hatte. Die einzige Strafe war, dass sie ihm einen stechenden Blick fuer seinen stechenden Handkuss zuwarf, und m i c h den ganzen Abend hindurch auffallend vor ihm auszeichnete. Die Leser werden gesehen haben, dass es ein ganz eleganter Tee war, zu welchem uns der Dichter gefuehrt hatte. Die massive silberne Teemaschine, an welcher die juengere Tochter Tee bereitete, die prachtvollen Luesters und Spiegel, die brennenden Farben der Teppiche und Tapeten, die kuenstlichsten Blumen in den zierlichsten Vasen, endlich die Gesellschaft selbst, die in vollem Kostuem schwarz und weiss gemischt war, liessen auf den Stand und guten Ton der Hausfrau schliessen. Der Tee wies sich aber auch als aesthetisch aus. Gnaedige Frau bedauerte, dass wir nicht frueher gekommen seien. Der junge Dichter Fruehauf habe einige Dutzend Stanzen aus einem Heldengedicht vorgelesen, so innig, so schwebend, mit so viel Musik in den Schlussreimen, dass man in langer Zeit nichts Erfreulicheres gehoert habe, es stehe zu erwarten, dass es allgemein Furore in Deutschland machen werde. Wir beklagten den Verlust unendlich; der bescheidene lorbeerbekraenzte junge Mann versicherte uns aber unter der Hand, er wolle uns morgen in unsrem Hotel besuchen, und wir sollten nicht nur die paar Stanzen, die er hier preisgegeben, sondern einige vollstaendige Gesaenge zu hoeren bekommen. Das Gespraech bekam jetzt aber eine andere Wendung. Eine aeltliche Dame liess sich ihre Arbeitstasche reichen, deren geschmackvolle und neue Stickerei die Augen der Damen auf sich zog. Sie nahm ein Buch daraus hervor und sagte mit freundlichem Lispeln: "_Voyez-la_ das neueste Produkt meiner genialen Freundin Johanna. Sie hat es mir frisch von der Presse weg zugeschickt, und ich bin so gluecklich, die erste zu sein, die es hier besitzt. Ich habe es nur ein wenig durchblaettert, aber diese herrlichen Situationen, diese Szenen, so ganz aus dem Leben gegriffen, die Wahrheit der Charaktere, dieser glaenzende Stil--" "Sie machen mich neugierig, Frau von Wollau," unterbrach sie die Dame des Hauses, "darf ich bitten--? Ah, G a b r i e l e von Johanna von Schopenhauer. Mit dieser sind Sie liiert, meine Liebe? Da wuensche ich Glueck." "Wir lernten uns in Karlsbad kennen," antwortete Frau von Wollau, "unsere Gemueter erkannten sich in gleichem Streben nach veredeltem Ziel der Menschheit [Fussnote: Frau von Wollau will wahrscheinlich sagen: "nach dem Ziele der Veredlung".--Der Herausgeber.], sie zogen sich an, wir liebten uns. Und da hat sie mir jetzt ihre Gabriele geschickt." "Das ist ja eine ganz interessante Bekanntschaft," sagte Fraeulein N a t a l i e, die aeltere Tochter des Hauses. "Ach! wer doch auch so gluecklich waere! Es geht doch nichts ueber eine geniale Dame. Aber sagen Sie, wo haben Sie das wunderschoene Stickmuster her, ich kann Ihre Tasche nicht genug bewundern." "Schoen--wunderschoen--und die Farben! Und die Girlanden!--Und die elegante Form!" hallte es von den Lippen der schoenen Teetrinkerinnen, und die arme Gabriele waere vielleicht ueber dem Kunstwerk ganz vergessen worden, wenn nicht uns er Dichter sich das Buch zur Einsicht erbeten haette. "Ich habe die interessantesten Szenen bezeichnet," rief die Wollau "Wer von den Herren ist so gefaellig, uns, wenn es anders der Gesellschaft angenehm ist, daraus vorzulesen?" "Herrlich--schoen--ein vortrefflicher Einfall--" ertoente es wieder, und unser Fuehrer, der in diesem Augenblicke das Buch in der Hand hatte, wurde durch Akklamation zum Vorleser erwaehlt. Man goss die Tassen wieder voll und reichte die zierlichen Broetchen umher, um doch auch dem Koerper Nahrung zu geben, waehrend der Geist mit einem neuen Roman gespeist wurde, und als alle versehen waren, gab die Hausfrau das Zeichen, und die Vorlesung begann. Beinahe eine Stunde lang las der Dichter mit wohltoenender Stimme aus dem Buche vor. Ich weiss wenig mehr davon, als dass es, wenn ich nicht irre, die Beschreibung von Tableaus enthielt, die von einigen Damen der grossen Welt aufgefuehrt wurden. Mein Ohr war nur halb oder gar nicht bei der Vorlesung; denn ich belauschte die Herzensergiessungen zweier Fraeulein, die, scheinbar aufmerksam auf den Vorleser, einander allerlei Wichtiges in die Ohren fluesterten. Zum Glueck sass ich weit genug von ihnen, um nicht in den Verdacht des Lauschens zu geraten, und doch war die Entfernung gerade so gross, dass ein Paar gute Ohren alles hoeren konnten. Die eine der beiden war die juengere Tochter des Hauses, die, wie ich hoerte, an einen Gardeleutnant ihr Herz verloren hatte. "Und denke dir," fluesterte sie ihrer Nachbarin zu, "heute in aller Fruehe ist er mit seiner Schwadron vorbeigeritten, und unter meinem Fenster haben die Trompeter den Galoppwalzer von letzthin anfangen muessen." "Du Glueckliche!" antwortete das andere Fraeulein, "und hat Mama nichts gemerkt?" "So wenig als letzthin, wo er mich im Kotillon fuenfmal aufzog. Was ich damals in Verlegenheit kam, kannst du gar nicht glauben. Ich war mit dem ...schen Attache engagiert, und du weisst, wie unertraeglich mich dieser duerre Mensch verfolgt. Er hatte schon wieder von den italienischen Gegenden Sueddeutschlands angefangen und mir nicht undeutlich zu verstehen gegeben, dass sie noch schoener waeren, wenn ich mit ihm dorthin zoege; da erloeste mich der liebe Fladorp aus dieser Pein. Doch kaum hatte er mich wieder zurueckgebracht, als der Unertraegliche sein altes Lied von neuem anstimmte; aber Eduard holte mich noch viermal aus seinen glaenzendsten Phrasen heraus, so dass jener vor Wut ganz stumm war, als ich das letztemal zurueckkam. Er aeusserte gegen Mama seine Unzufriedenheit; sie schien ihn aber nicht zu verstehen." "Ach, wie gluecklich du bist," entgegnete wehmuetig die Nachbarin, "aber ich! Weisst du schon, dass mein Dagobert nach Halle versetzt ist? Wie wird es mir ergehen!" "Ich weiss es und bedaure dich von Herzen, aber sage mir doch, wie dies so schnell kam?" "Ach!" antwortete das Fraeulein und zerdrueckte heimlich eine Traene im Auge,--"ach, du hast keine Vorstellung von den Kabalen, die es im Leben gibt. Du weisst, wie eifrig Dagobert immer fuer das Wohl des Vaterlandes war. Da hatte er nun einen neuen Zapfenstreich erfunden, er hat ihn mir auf der Fensterscheibe vorgespielt, er ist allerliebst. Seinem Obersten gefiel er auch recht wohl, aber dieser wollte haben, er solle ihm die Ehre der Erfindung lassen. Natuerlich konnte Dagobert dies nicht tun, und darueber aufgebracht, ruhte der Oberst nicht eher, bis der Arme nach Halle versetzt worden ist. Ach, du kannst dir gar nicht denken, wie wehmuetig mir ums Herz ist, wenn der Zapfenstreich an meinem Fenster vorbeikommt; sie spielen ihn alle Abend nach der neuen Erfindung, und der, welcher ihn machte, kann ihn nicht hoeren!" "Ich bedaure dich recht. Aber weisst du auch schon etwas ganz Neues? Dass sie bei der Garde andere Uniformen bekommen?" "Ist's moeglich? O sage, wie denn? Woher weisst du es?" "Hoere, aber im e n g s t e n Vertrauen, denn es ist noch tiefes, tiefes Geheimnis. Eduard hat es von seinem Obersten und gestand es mir neulich, aber unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit. Sieh, die Knoepfe werden auf der Brust weiter auseinander gesetzt und laufen weiter unten enger zu; auf diese Art wird die Taille noch viel schlanker; dann sollen sie auch goldene Achselschnuere bekommen, das weiss aber der Oberst und ich glaube selbst der General noch nicht ganz gewiss. Auch an den Beinkleidern geschehen Veraenderungen--Eduard muss aussehen wie ein Engel--siehe bisher...." Sie fluesterten jetzt leiser, so dass ich ueber den Schnitt der Gardebeinkleider nicht recht ins klare kommen konnte. Nur so viel sah ich, dass schoene Augen bei platonischen Empfindungen ein recht schoenes Feuer haben, dass sie aber viel reizender leuchten, bei weitem glaenzendere Strahlen werfen, wenn sich s i n n l i c h e L i e b e in ihnen spiegelt. * * * * * DREIZEHNTES KAPITEL. Angststunden des ewigen Juden. Der Vorleser war bis an einen Abschnitt gekommen und legte das Buch nieder. Allgemeiner Applaus erfolgte, und die gewoehnlichen Ausrufungen, die schon dem Stickmuster gegolten hatten, wurden auch der Gabriele zuteil. Ich konnte die Geistesgegenwart und die schnelle Fassungskraft der beiden Fraeulein nicht genug bewundern; obgleich sie nicht den kleinsten Teil des Gelesenen gehoert haben konnten, so waren sie doch schon so gut geschult, dass sie voll Bewunderung schienen. Die eine lief sogar hin zu Frau von Wollau, fasste ihre Hand und drueckte sie an das Herz, indem sie ihr innig dankte fuer den Genuss, den sie allen bereitet habe. Diese Dame aber sass da, voll Glanz und Glorie, wie wenn sie die Gabriele selbst zur Welt gebracht haette. Sie dankte nach, allen Seiten hin fuer das Lob, das ihrer Freundin zuteil geworden, und gab nicht undeutlich zu verstehen, dass sie selbst vielleicht einigen Einfluss auf das neue Buch gehabt habe; denn sie finde hin und wieder leise Anklaenge an ihre eigenen Ideen ueber inneres Leben und ueber die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, die sie in traulichen Stunden ihrer Freundin aufgeschlossen. Man war natuerlich so artig, ihr deswegen einige Komplimente zu machen, obgleich man allgemein ueberzeugt war, dass die geniale Freundin nichts aus dem innern Wollauschen Leben g e s p i c k t haben werde. Der ewige Jude hatte indes bei diesen Vorgaengen eine ganz sonderbare Figur gespielt. Verwunderungsvoll schaute er in diese Welt hinein, als traue er seinen Augen und Ohren nicht. Doch war das Bemuehen, nach meiner Vorschrift aesthetisch und kritisch auszusehen, nicht zu verkennen. Aber weil ihm die Uebung darin abging, so schnitt er so greuliche Grimassen, dass er einigemal waehrend des Vorlesens die Aufmerksamkeit des ganzen Zirkels auf sich zog und die Dame des Hauses mich teilnehmend fragte, ob mein Hofmeister nicht wohl sei. Ich entschuldigte ihn mit Zahnschmerzen, die ihn zuweilen befielen, und glaubte alles wieder gut gemacht zu haben. Als aber Frau von Wollau, die ihm gegenueber sass, ihren Einfluss auf die Dichterin mitteilte, musste das prezioese, geschraubte Wesen derselben dem alten Menschen so komisch vorkommen, dass er laut auflachte. Wer jemals das Glueck gehabt, einem eleganten Tee in hoechst feiner Gesellschaft beizuwohnen, der kann sich leicht denken, wie betreten alle waren, als dieser rohe Ausbruch des Hohnes erscholl. Eine unangenehme, totenstille Pause erfolgte, in welcher man bald den Doktor Mucker, bald die beleidigte Dame ansah. Die Frau des Hauses, eingedenk des stechenden Kusses, wollte schon den unartigen Fremden, der den Anstand ihres Hauses so groeblich verletzte, ohne Rueckhalt zurechtweisen, als dieser mit mehr Gewandtheit und List, als ich ihm zugetraut haette, sich aus der Affaere zu ziehen wusste. "Ich hoffe, gnaedige Frau," sagte er, "Sie werden mein allerdings unzeitiges Lachen nicht missverstehen und mir erlauben, mich zu rechtfertigen. Es ist Ihnen allen gewiss auch schon begegnet, dass eine Ideenassoziation Sie voellig ausser Kontenance brachte. Ist doch schon manchem, mitten unter den heiligsten Dingen, ein laecherlicher Gedanke aufgestossen, der ihn im Mund kitzelte, und je mehr er bemueht war, ihn zu verhalten und zurueckdraengen, desto unaufhaltsamer brach er auf einmal hervor. So geschah es mir in diesem Augenblicke. Sie wuerden mich unendlich verbinden, gnaedige Frau, wenn Sie mir erlaubten, durch offenherzige Erzaehlung mich bei Frau von Wollau zu entschuldigen." Gnaedige Frau, hoechlich erfreut, dass der Anstand doch nicht verletzt sei, gewaehrte ihm freundlich seine Bitte, und der ewige Jude begann: "Frau von Wollau hat uns ihr interessantes Verhaeltnis zu einer beruehmten Dichterin mitgeteilt; sie hat uns erzaehlt, wie sie in manchen Stunden ueber ihre schriftstellerischen Arbeiten sich mit ihr besprochen, und dies erinnerte mich lebhaft an eine Anekdote aus meinem eigenen Leben. "Auf einer Reise durch Sueddeutschland verlebte ich einige Zeit in S. Meine Abendspaziergaenge richteten sich meistens nach dem koeniglichen Garten, der jedem Stande zu allen Tageszeiten offen stand. Die schoene Welt liess sich dort zu Fuss und zu Wagen jeden Abend sehen. Ich waehlte die einsameren Partien des Gartens, wo ich, von dichten Gebueschen gegen die Sonne und stoerende Besuche verschlossen, auf weichen Moosbaenken mir und meinen Gedanken lebte. "Eines Abends, als ich schon laengere Zeit auf meinem Lieblingsplaetzchen geruht hatte, kamen zwei gutgekleidete aeltliche Frauen und setzten sich auf eine Bank, die nur durch eine schmale, aber dichtbelaubte Hecke von der meinigen getrennt war. Ich hielt nicht fuer noetig, ihnen meine Naehe, die sie nicht zu ahnen schienen, zu erkennen zu geben. Neugierde war es uebrigens nicht, was mich abhielt; denn ich kannte keine Seele in jener Stadt; also konnten mir ihre Reden hoechst gleichgueltig sein. Aber stellen Sie sich mein Erstaunen vor, Verehrteste, als ich folgendes Gespraech vernahm: "'Nun? Und darf man Ihnen Glueck wuenschen, Liebe? Haben Sie endlich diese hartnaeckige Elise aus der Welt geschafft?' "'Ja,' antwortete die andere Dame, 'heute frueh nach dem Kaffee habe ich sie umgebracht.' "Schrecken durchrieselte meine Glieder, als ich so deutlich und gleichgueltig von einem Mord sprechen hoerte; so leise als moeglich naeherte ich mich vollends der Hecke, die mich von ihnen trennte, schaerfte mein Ohr wie ein Wachtelhund, dass mir ja nichts entgehen sollte, und hoerte weiter: "'Und wie haben Sie ihr den Tod beigebracht? Wie gewoehnlich, durch Gift? Oder haben Sie die Unglueckliche, wie Othello seine Desdemona, mit dem Deckbette erstickt?' "'Keines von beiden,' entgegnete jene, 'aber recht hart ward mir dieser Mord; denken Sie sich, drei Tage lang hatte ich sie schon zwischen Leben und Sterben, und immer wusste ich nicht, was ich mit ihr anfangen sollte. Da fiel mir endlich ein gewagtes Mittel ein, ich liess sie, wie durch Zufall, von einem Steg ohne Gelaender in den tiefen Strom hinabgleiten, die Wellen schlugen ueber ihr zusammen. Man hat von Elisen nichts mehr gesehen.' "'Das haben Sie gut gemacht, und die wievielte war diese, die sie auf die eine oder andere Art umgebracht?' "'Nun, das wird bald abgezaehlt sein, Pauline Dupuis, Marie usw. Aber die erstere trug mir am meisten Geld ein. Es waren dies noch die guten Zeiten von 1802, wo noch wenige mit mir konkurrierten.' "Die Haare standen mir zu Berg. Also fuenf unschuldige Geschoepfe hatte diese Frau schon aus der Welt geschafft. War es nicht ein gutes Werk an der menschlichen Gesellschaft, wenn ich einen solchen Greuel aufdeckte und die Moerderin zur Rechenschaft zog? "Die Damen waren nach einigen gleichgueltigen Gespraechen aufgestanden und hatten sich der Stadt zugewendet. Leise stand ich auf und schlich mich ihnen nach, wie ein Schatten ihren Fersen folgend. Sie gingen durch die Promenade, ich folgte; sie kehrten um und gingen durchs Tor, ich folgte; sie schienen endlich meine Beobachtungen zu bemerken; denn die eine sah sich einigemal nach mir um; ihr boeses Gewissen schien mir erwacht, sie mochte ahnen, dass ich den Mord wisse, sie will mich durch die verschiedene Richtung der Strassen, die sie einschlaegt, taeuschen; aber ich--folge. Endlich stehen sie an einem Hause still. Sie ziehen die Glocke, man schliesst auf, sie treten ein. Kaum sind sie in der Tuere, so gehe ich schnell heran, merke mir die Nummer des Hauses und eile, getrieben von jenem Eifer, den die Entdeckung eines so schauerlichen Geheimnisses in jedem aufregen muss, auf die Direktion der Polizei. "Ich bitte den Direktor um geheimes Gehoer. Ich lege ihm die ganze Sache, alles, was ich gehoert hatte, auseinander, weiss aber leider von den Gemordeten keine mit ihrem wahren Namen anzugeben, als eine gewisse P a u l i n e D u p u i s, die im Jahre 1802 unter der moerderischen Hand jener Frau starb. Doch dies war dem unter solchen Faellen ergrauten Polizeimann genug. Er dankt mir fuer meinen Eifer, schickt sofort Patrouillen in die Strasse, die ich ihm bezeichnete, und fordert mich auf, ihn, wenn die Nacht vollends hereingebrochen sein werde, in jenes Haus zu begleiten. Die Nacht waehle er lieber dazu, da er bei solchen Auftritten den Zudrang der Menschen und das Aufsehen womoeglich vermeide. "Die Nacht brach an, wir gingen. Die Polizeisoldaten, die das Haus umstellt hatten, versicherten, dass noch kein Mensch dasselbe verlassen habe. Der Vogel war also gefangen. Wir liessen uns das Haus oeffnen und fingen im ersten Stock unsere Untersuchung an. Gleich vor der Tuere des ersten Zimmers hoerte ich die Stimmen der beiden Frauen. Ohne Umstaende oeffne ich und deute dem Polizeidirektor die kleinere aeltliche Dame als die Verbrecherin an. "Verwundert stand diese auf und fragte nach unserem Begehr. In ihrem Auge, in ihrem ganzen Wesen hatte diese Dame etwas, das mir imponierte. Ich verlor auf einen Augenblick die Fassung und deutete nur auf den Direktor, um sie wegen ihrer Frage an jenen zu weisen. Doch dieser liess sich nicht so leicht verblueffen. Mit jener ernsten Amtsmiene eines Kriminalrichters fragte er sie ueber ihren heutigen Spaziergang aus. Sie gestand ihn zu, wie auch die Bank, wo sie gesessen. Ihre Aussagen stimmten ganz zu den meinigen, der Mann sah sie schon als ueberwiesen an. Die Frau fing an, aengstlich zu werden; sie fragte, was man denn von ihr wolle, warum man ihr Haus, ihr Zimmer mit Bewaffneten besetze, warum man sie mit solchen Fragen bestuerme? "Der Mann der Polizei sah in diesem aengstlichen Fragen nur den Ausbruch eines schuldbeladenen Gewissens. Er schien es fuer das beste zu halten, durch eine verfaengliche Frage ihr vollends das Verbrechen zu entlocken: 'Madame, was haben Sie Anno 1802 mit Pauline Dupuis angefangen? Leugnen Sie nicht laenger, wir wissen alles; sie starb durch Ihre Hand, wie heute frueh die unglueckliche Elise!' "'Ja, mein Herr! Ich habe die eine wie die andere sterben lassen,' antwortete die Frau mit einer Seelenruhe, die sogar in ein boshaftes Laecheln ueberzugehen schien. "'Und diesen Mord gestehen Sie mit so viel Gleichmut, als haetten Sie zwei Tauben abgetan?' fragte der erstaunte Polizeidirektor, dem in der Praxis eine solche Moerderin noch nicht vorgekommen sein mochte. 'Wissen Sie denn, dass Sie verloren sind, dass es Ihnen den Kopf kosten kann?' "'Nicht doch!' entgegnete die Dame. 'Die Geschichte ist ja weltbekannt.'--'Weltbekannt?' rief jener. Bin ich nicht schon seit zweiundvierzig Jahren Polizeidirektor? Meinen Sie, dergleichen koenne mir entgehen?' "'Und dennoch werde ich recht haben; erlauben Sie, dass ich Ihnen die Belege herbeibringe?' "'Nicht von der Stelle ohne gehoerige Bewachung! Wache! Zwei Mann auf jeder Seite von Madame! Bei dem ersten Versuch zur Flucht-- zugestossen!' "Vier Polizeidiener mit blanken Seitengewehren begleiteten die Unglueckliche, die mir den Verstand verloren zu haben schien. Bald jedoch erschien sie wieder, ein kleines Buch in der Hand. "'Hier, meine Herren, werden Sie die Belege zu dem Mord finden,' sagte sie, indem sie uns laechelnd das Buch ueberreichte. "'Taschenbuch fuer 1802,' murmelte der Direktor, indem er das Buch aufschlug und durchblaetterte. 'Was, Teufel, gedruckt und zu lesen steht hier: P a u l i n e D u p u i s von--, mein Gott, Sie sind die Witwe des Herrn von--, und, wenn ich nicht irre, selbst Schriftstellerin?' "'So ist es,' antwortete die Dame und brach in ein lustiges Lachen aus, in welches auch der Direktor einstimmte, indem er, vor Lachen sprachlos, auf mich deutete. "'Und Elise--wie ist es mit diesem armen Kind?' fragte ich, den Zusammenhang der Sache und die Froehlichkeit der Moerderin und des Polizeimannes noch immer nicht verstehend. "'Sie liegt ermordet auf meinem Schreibtisch,' sagte die Lachende, 'und soll morgen durch die Druckerei zum ewigen Leben eingehen.'-- "Was brauche ich noch da zuzusetzen? Meine Herren und Damen! Ich war der Narr im Spiel, und jene Frau war die ruehmlichst bekannte, interessante Th. v. H. Die Erzaehlung 'Pauline Dupuis' ist noch heute zu lesen; ob die geniale Frau ihre Elise, die sie am Morgen jenes Tages nach dem Kaffee vollendet hatte, herausgegeben, weiss ich nicht. Ich musste aus S. entfliehen, um nicht zum Gespoette der Stadt zu werden. Vorher aber schickte mir der Polizeidirektor noch eine grosse Diaetenrechnung ueber Zeitversaeumnis, weil ich durch jene lustige Mordgeschichte den Durstigen von seinem gewoehnlichen Abendbesuch in einem Klub abgehalten hatte."-- Der ewige Jude hatte mit einer verbindlichen Wendung an Frau von Wollau geendet. Allgemeiner Beifall ward ihm zuteil, und ein gnaediges Laecheln der Hausfrau sagte ihm, wie gluecklich er sich gerechtfertigt hatte. Und wie die finstern Blicke dieser Dame vorher die Maenner aus seiner ungluecklichen Naehe entfernt hatten, ebenso schnell nahten sie sich ihm wieder, als ihn die Gnadensonne wieder beschien. Man zog ihn oefter ins Gespraech, man befragte ihn ueber seine Reisen, namentlich ueber jene in Sueddeutschland. Denn wie Schottland und seine Bewohner fuer London und Alt-England ueberhaupt, so ist Schwaben fuer die Berliner, welche nie an den Rebenhuegeln des Neckars und an den froehlich gruenenden Gestaden der oberen Donau eines jener sinnigen, herrlichen Lieder aus dem Munde eines "luschtiga Bueebles" oder eines ruestigen, hochaufgeschuerzten "Maedles" belauschten, ein Gegenstand hoher Neugierde. Welch sonderbare Meinungen ueber jenes Land, selbst in gebildeten Zirkeln wie dieser elegante Tee, im Umlauf seien, hoerte ich diesen Abend zu meinem grossen Erstaunen. In einem Zaubergarten von sanften Huegeln, von klaren, blauen Stroemen, von bluehenden, duftenden Obstwaeldern, von prangenden Weingaerten durchschnitten, wohne, meinten sie, ein Voelkchen, das noch so ziemlich auf der ersten Stufe der Kultur stehe; immense Gelehrte, die sich nicht auszudruecken verstuenden, phantasiereiche Schriftsteller, die kein Wort gutes Deutsch spraechen. Ihre Maedchen haben keine Bildung, ihre Frauen keinen Anstand. Ihre Maenner werden vor dem vierzigsten Jahre nicht klug, und im ganzen Lande werden alle Tage viele Tausende jener Torheiten begangen, die allgemein unter dem Namen "Schwabenstreiche" bekannt seien. Mir kam dieses Urteil laecherlich vor; ich war manches Jahr in Schwaben gewesen und hatte mich unter den guten Leutchen ganz wohl befunden; haette ich nicht befuerchten muessen, aus der Rolle eines Zoeglings zu fallen, ich haette sogleich darauf geantwortet, wie ich es wusste; so aber ersparte mir mein Mentor die Muehe, welcher ungluecklich genug die gute Meinung, die er auf einige Augenblicke gewonnen hatte, nur zu schnell wieder verlieren sollte. "Ob die Berliner," sagte er, "mehr innere Bildung, mehr Eleganz der aeusseren Formen besitzen als die Schwaben, ob man hier im Brandenburgischen mit mehr Feinheit ausgeruestet auf die Erde oder vielmehr auf den Sand kommt als in Schwaben, wage ich nicht zu untersuchen; aber so viel habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass man dort im Durchschnitt unter den Maedchen eine weit groessere Menge huebscher, sogar schoener Gesichter findet als selbst in Sachsen, welches doch wegen dieses Artikels beruehmt ist." "_Quelle sottise!_" hoerte ich Frau von Wollau schnauben, "welche abgeschmackte Behauptung dieser gemeine Mensch--" Umsonst winkte ich dem Ewigen mit den Augen, umsonst gab ihm der Dichter einen freundschaftlichen Rippenstoss, ihn zu erinnern, dass er sich unter Damen befinde, die auch auf Schoenheit Anspruch machten; ruhig, als ob er den erzuernten Schoenen das groesste Kompliment gesagt haette, fuhr er fort: "Sie koennen gar nicht glauben, wie reizend dieser verschrieene Dialekt von schoenen Lippen toent, wie alles so naiv, so lieblich klingt; wie unendlich huebsch sind diese bluehenden Gesichtchen, wenn man ihnen sagt, dass sie schoen seien, dass man sie liebe; wie schelmisch schlagen sie die Augen nieder, wie unschuldig erroeten sie, welcher Zauber liegt dann in ihrem Trotz, wenn sie sich verschaemt wegwenden und fluestern: 'Ach ganget Se mer weg, moinet Se denn, i glaub's?' Hier in Norddeutschland gibt es meist nur Teegesichter, die einen Trost darin finden, aesthetisch oder aetherisch auszusehen; sie muessen den Atem erst lange anhalten, wenn sie es je der Muehe wert halten, ueber dergleichen zu erroeten." O Jude, welchen Bock hattest du geschossen! Kaum hast du das zornblitzende Auge einer Dame versoehnt, so begehest du den grossen Fehler, vor zwoelf Damen die schoenen Gesichtchen zweier Laender zu loben und nicht nur sie nicht mit aufzuzaehlen, sondern sogar ihren aetherischen Teint, ihre interessante Mondscheinblaesse fuer Teegesichter zu verschreien! Die jungen Damen sahen erstaunt, als trauten sie ihren Ohren nicht, die aelteren an; diese warfen schreckliche Blicke auf den Frevler und auf die uebrigen Herren, die, ebenso erstaunt, noch keine Worte zu einer Replik finden konnten. Die Teetassen, die goldenen Loeffelchen klirrten laut in den vor Wut zitternden Haenden der Muetter, die seit zehn Jahren mit vieler Muehe es dahin gebracht hatten, dass ihre Toechter nobel und edel aussehen moechten--wozu heutzutage, ausser dem Gefuehl der Wuerde, etwas Leidendes, beinahe Kraenkliches gehoert-- welche die immer wieder anschwellende Fuelle ihrer Toechter, die immer wiederkehrende Roete der Wangen doch endlich zu besiegen gewusst hatten. Und jetzt sollte dieser fremde, abenteuerliche, gemeine Mensch sie und ihre Freude, ihre Kunst zuschanden machen? Er sollte es wagen, die Damen dieses deutschen Paris mit jenen schwerfaelligen Bewohnerinnen des unkultivierten Schwabens auch nur in Parallele zu bringen und ihnen den ersten Rang zu versagen? Und dies sollten sie dulden? _Jamais!_ Gnaedige Frau nahm das Wort mit einem Blick, der ueber das eiskalte Gesicht des stillen Zornes wie ein Nordschein ueber Schneegefilde herabglaenzte: "Ich muss Sie nur herzlich bedauern, Herr Doktor Mucker, dass Sie das schoene Schwaben und seine naiven Bauerndirnen so treulos verlassen haben; und ich bitte Sie, Lieber," fuhr sie fort, indem sie sich zu dem Dichter, der uns eingefuehrt hatte, wandte, "ich bitte Sie, muten Sie diesem Herrn da nicht mehr zu, meine Zirkel zu besuchen. Jotte doch, er koennte bei unseren Damen seine robusten Naturen und jene Naivetaet vermissen, die er sich so ganz zu eigen gemacht hat." Triumphierend richteten sich die Gebeugten auf, die Muetter spendeten Blicke des Dankes, die Fraeulein kicherten hinter vorgehaltenen Sachtuechern, die jungen Herren hatten auch wieder die Sprache gefunden und machten sich lustig ueber meinen armen Hofmeister. Doch der feine Takt der gnaedigen Frau liess diesem Ausbruch der Nationalrache nur so lange Raum, bis sie den Doktor hinlaenglich gestraft glaubte. Beleidigt durfte dieser Mann in ihrem Salon nie werden, wenn er gleich durch seine ruecksichtslose Aeusserung ihren Unwillen verdient hatte; sie beugte also schnell mit jener Gewandtheit, die feingebildeten Frauen so eigentuemlich ist, allen weiteren Bemerkungen vor, indem sie ihren Neffen aufforderte, sein Versprechen zu halten und der Gesellschaft die laengst versprochene Novelle preiszugeben. Dieser junge Mann hatte schon waehrend des ganzen Abends meine Aufmerksamkeit beschaeftigt. Er unterschied sich von den uebrigen jungen Herren, die leer in den Tag hinein plauderten, sehr vorteilhaft durch Ernst und wuerdige Haltung, durch gewaehlten Ausdruck und kurzes, richtiges Urteil. Er war gross und schlank gebaut, maennlich schoen, nur vielleicht fuer manche etwas zu mager. Sein Auge war glaenzend und hatte jenen Ausdruck stillen Beobachtens, der einen Menschenkenner oder wenigstens einen Mann verraet, der das Leben und Treiben der grossen und kleinen Welt in vielerlei Formen gesehen und darueber gedacht hatte. Er hatte, was mich sehr guenstig fuer ihn stimmte, an dem Gespraech des ewigen Juden und an seiner Persiflage mit keinem Wort, ich moechte sagen, mit keiner Miene teilgenommen. Zum erstenmal an diesem ganzen Abend entlockte ihm die Frage seiner Tante ein Laecheln, das sein Gesicht, besonders den Mund, noch viel angenehmer machte; wahrlich, in diesen Mann haette ich mich, wenn ich eines der anwesenden Fraeulein gewesen waere, unbedingt verlieben muessen; aber freilich, junge Damen haben hierueber ganz andere Ansichten als der Teufel, und das einfache schwarze Gewand des jungen Mannes konnte natuerlich die glaenzende Gardeuniform und ihren kuehnen, die drallen Formen zeigenden Schnitt nicht aufwiegen. * * * * * VIERZEHNTES KAPITEL. DER FLUCH. (Eine Novelle.) "Ich habe mich vergebens abgemueht, gnaedige Tante," sprach der junge Mann mit voller, wohltoenender Stimme, "eine artige Novelle oder eine leichte, froehliche Erzaehlung fuer diesen Abend zu finden. Doch, um nicht wortbruechig zu erscheinen, muss ich schon den Fehler einigermassen gutzumachen suchen. Wenn Sie erlauben, will ich etwas aus meinem eigenen Leben erzaehlen, das, wenn es nicht ganz den romantischen Reiz und den anziehenden Gang einer Novelle, doch immer den Wert der Wahrheit fuer sich hat." Die Tante bemerkte ihm guetig, dass die einfache Wahrheit oft groesseren Reiz habe, als die erfundene Spannung einer Novelle, ja sie gestand ihm, dass sie etwas sehr Interessantes erwarte; denn er sehe seit der Zurueckkunft von seinen Reisen so geheimnisvoll aus, dass man auf seine Begebnisse recht gespannt sein duerfe. Die aelteren Damen lorgnettierten ihn aufmerksam und gaben dieser Bemerkung vollkommen Beifall; der junge Mann aber hub an zu erzaehlen: "Als ich vor fuenf Jahren in diesem Saal von einer grossen Gesellschaft, welche die Guete meiner Tante noch einmal um den Scheidenden versammelt hatte, Abschied nahm, warnten mich einige Damen--wenn ich nicht irre, war Frau von Wollau mit davon--vor den schoenen Roemerinnen, vor ihren feurigen, die Herzen entzuendenden Blicken. Ich nahm ihre Warnung dankbar an, noch kraeftigeren Schub aber versprach ich mir von jenen holden blauen Augen, von jenen freundlichen vaterlaendischen Gesichtchen, von all den lieblichen Bildern, die ich, in feinem und treuem Herzen aufbewahrt, mit ueber die Alpen nahm. Und sie schuetzten mich, diese Bilder, gegen jene dunkeln Feuerblicke der Roemerinnen; wie sie aber vor sanften, blauen Augen, welche ich dort sah, sich unverantwortlich zurueckzogen, wie sie mein armes, unbewahrtes Herz ohne Bedeckung liessen, will ich als bittere Anklage erzaehlen. Der s----sche Gesandte am paepstlichen Hofe hatte mir in der Karwoche eine Karte zu den Lamentationen in der Sixtinischen Kapelle geschickt; mehr, um den alten Herrn, der mir schon manche Gefaelligkeit erwiesen hatte, nicht zu beleidigen, als aus Neugierde, entschloss ich mich, hinzugehen. Ich war nicht in der besten Laune, als es Abend wurde; statt einer lustigen Partie, wozu mich deutsche Maler geladen, sollte ich einen Klagegesang mitanhoeren, der mir schon an und fuer sich hoechst laecherlich vorkam. Nie hatte ich mich naemlich von der Heiligkeit solcher Ritualien ueberzeugen koennen; selbst in dem ehrwuerdigen Koelner Dom, wo die hohen Gewoelbe und Bogen, das Dunkel des gebrochenen Lichtes, die maechtigen, vollen Toene der Orgel manchen anderen ernster stimmen moegen, konnte ich nur ueber die Macht der Taeuschung staunen. Meine Stimmung wurde nicht heiliger, als ich an das Portal der Sixtinischen Kapelle kam. Die paepstliche Wache--alte, ausgediente, schneiderhafte Gestalten hielten hier Wache mit so meisterlicher Grandezza als nur die Cherubim an der Himmelstuer. Der Glanz der Kerzen blendete mich, da ich eintrat, und stach wunderbar ab gegen den dunkeln Chor, in den die Finsternis zurueckgeworfen schien. Nur der Hochaltar war dort von dreizehn hohen Kerzen erleuchtet. Ich hatte Musse genug, die Gesichter der Gesellschaft um mich her zu mustern. Ich bemerkte nur sehr wenige Roemer, dagegen fast alles, was Rom an Fremden beherbergte. Einige franzoesische Marquis, beruechtigte Spieler, einige junge Englaender von meiner Bekanntschaft standen ganz in meiner Naehe. Sie zogen mich auf, dass auch ich mich habe verfuehren lassen, dem Spektakel, wie sie es nannten, beizuwohnen; Lord Parter aber meinte, es sei dies wohl der Schoenen zu Gefallen geschehen, die ich mitgebracht habe. Er deutete dabei auf eine junge Dame, die neben mir stand. Er fragte nach ihrem Namen und ihrer Strasse und schien sehr unglaeubig, als ich ihm damit nicht dienen zu koennen behauptete. Ich betrachtete meine Nachbarin naeher; es war eine schlanke, hohe Gestalt, dem Anschein nach keine Roemerin; ein schwarzer Schleier bedeckte das Gesicht und beinahe die ganze Gestalt und liess nur einen Teil des Nackens sehen, so rein und weiss, wie ich ihn selten in Italien, beinahe nie in Rom gesehen hatte. Schon pries ich im Herzen meine Hoeflichkeit gegen den alten Diplomaten, hoffend, eine interessante Bekanntschaft zu machen; wollte eben--da begann der Klagegesang, und meine Schoene schien so eifrig darauf zu hoeren, dass ich nicht mehr wagte, sie anzureden. Unmutig lehnte ich mich an eine Saeule zurueck, Gott und die Welt, den Papst und seine Lamentationen verwuenschend. Unertraeglich war mir der monotone Gesang. Denken Sie sich, sechzig der tiefsten Stimmen, die _unisono_, im tiefsten Grundton der menschlichen Brust, Busspsalmen murmeln. Der erste Psalm war zu Ende, eine Kerze auf dem Altar verloeschte. Getroestet, die Farce werde ein Ende haben, wollte ich eben den jungen Lord anreden, als von neuem der Gesang anhub. Jener belehrte mich zu meinem grossen Jammer, dass noch alle zwoelf uebrigen Kerzen verloeschen muessten, bis ich ans Ende denken koenne. Die Kirche war geschlossen und bewacht, an ein Entfliehen war nicht zu denken. Ich empfahl mich allen Goettern und gedachte einen gesunden Schlaf zu tun. Aber wie war es moeglich? Wie Strahlen einer Mittagssonne stroemten die tiefen Klaenge auf mich zu. Zwei bis drei Kerzen verloeschten, meine Unruhe ward immer groesser. Endlich aber, als die Toene noch immer fortwogten, drangen sie mir bis ins innerste Mark. Das Erz meiner Brust schmolz vor den dichten Strahlen, Wehmut ergriff mich, Gedanken aus den Tagen meiner Jugend stiegen wie Schatten vor meiner Seele auf, unwillkuerliche Ruehrung bemaechtigte sich meiner, und Traenen entstuerzten seit Jahren zum erstenmal meinen Augen. Beschaemt schaute ich mich um, ob doch keiner meine Traenen gesehen. Aber die Spieler, wunderbarer Anblick, lagen zerknirscht auf ihren Knien, der Lord und seine Freunde weinten bitterlich. Zwoelf Kerzen waren verloescht. Noch e i n m a l erhoben sich die tiefen, herzdurchbohrenden Toene, zogen klagend durch die Halle, immer dumpfer, immer leiser verschwebend. Da verloeschte die letzte Kerze und zugleich damit das Feuermeer der Kirche, und bange Schatten, tiefe Finsternis drang aus dem Chor und lagerte sich ueber die Gemeine. Mir war, als waere ich aus der Gemeinschaft der Seligen hinausgestossen in eine fuerchterliche Nacht. Da toenten aus des Chores hintersten Raeumen suesse, klagende Stimmen. Was jenes tiefe, schauerliche Unisono unerweicht gelassen, zerschmolz vor diesem hohen Dolce der Wehmut. Rings um mich das Schluchzen der Weinenden, vom Chore herueber Toene, wie von gerichteten Engeln gesungen, glaubte ich nicht anders, als in einer zernichteten Welt mit unterzugehen und zu hoeren, der Glaube an Unsterblichkeit sei Wahn gewesen. Der Gesang war verklungen, Fackeln erhellten die Szene, die Menge ergoss sich durch die Pforten, und auch ich gedachte mich zum Aufbruch zu ruesten; da gewahrte ich erst, dass meine schoene Nachbarin noch immer auf den Knien niedergesunken lag. Ich fasste mir ein Herz. 'Signora,' sprach ich, 'die Tore werden geschlossen, wir sind die letzten in der Kapelle.' Keine Antwort. Ich fasste ihre Rechte, die auf der Seite niederhing, sie war kalt und ohne Leben. Sie lag in Ohnmacht. Ich befand mich in sonderbarer Lage. Die Nacht war schon weit vorgerueckt; nur noch einige Flambeaus zogen durch die Kirche, ich musste alle Augenblicke befuerchten, vergessen zu werden. Ich besann mich nicht lange, rief einen der Fackeltraeger herbei, um mit seiner Hilfe die Dame aufzurichten. Wie ward mir, als ich den Schleier aufschlug! Der duestere Schein der halbverloeschten Fackel fiel auf ein Gesicht, wie ich es auch auf dem herrlichsten Kartons von Raffael nie gesehen! Glaenzendbraune Locken hatten sich aufgeloest und fielen herab bis in den verhuellten Busen und umzogen das liebliche Oval ihres Angesichts, auf dem sich eine durchsichtige Blaesse gelagert hatte. Die schoenen Bogen der Brauen versprachen ein ernstes, vielleicht etwas schelmisches Auge, und den halbgeoeffneten Mund, umkleidet mit den weissesten Perlen, konnte Gram, konnte Schmerz so gezogen haben. Als wir sie aufrichten wollten, schlug sie das herrliche, blaue Auge auf, dessen eigner, schwaermerischer Glanz mich so ueberraschte, dass ich einige Zeit mich zu sammeln noetig hatte. Sie richtete sich ploetzlich auf und stand nun in ihrer ganzen Schoenheit mir gegenueber. Welch zarte Formen bei so vielem Anstand, bei so ungewoehnlicher Hoehe des Wuchses. Sie schaute verwundert in der Kirche umher und liess dann ihre Blicke zu mir heruebergleiten. 'Und Sie hier, Otto?' sprach sie, nicht italienisch, nein, in reinem, wohlklingendem Deutsch. Wie war mir doch so wunderbar! Sie sprach so bekannt zu mir, ja sogar meinen Namen hatte sie genannt; woher konnte sie ihn wissen?--Sie schien verwundert ueber mein Schweigen. 'Nicht bei Laune, Freund? Und doch haben Sie mich so freundlich unterstuetzt? Doch! Lassen Sie uns gehen, es wird spaet.' Sie hatte recht. Die Fackel drohte zu verloeschen. Ich gab ihr den Arm. Sie drueckte zaertlich meine Hand. Was sollte ich denken, was sollte ich machen? Betrug von ihr war nicht moeglich--das Maedchen k o n n t e keine Dirne sein. Verwechslung war offenbar. Aber sie wusste mich bei meinem Namen zu nennen. Sie war so ohne Arg.--Ich wagte es--ich uebernahm die Rolle eines verstimmten Verehrers und schritt schweigend mit ihr durch die Hallen. Am Portal ging mein Jammer von neuem an. Welche Strasse sollte ich waehlen, um nicht sogleich meine Unbekanntschaft zu verraten? Ich nahm allen meinen Mut zusammen und schritt auf die mittlere Strasse zu. 'Mein Gott!' rief sie aus und zog meinen Arm sanft seitwaerts, 'Otto, wo sind Sie nur heute? Hier waeren wir ja an die Tiber gekommen.' O! Wie hoerte ich so gerne diese Stimme! Wie lieblich klingt unsere Sprache in einem schoenen Munde! Schon oft hatte ich die Roemerinnen beneidet um den Wohllaut ihrer Toene; hier war weit mehr, als ich je in Rom gehoert; es musste offenbar ein deutsches Maedchen sein, ich sah es aus allem; und doch so reine, runde Klaenge ihrer Sprache! Als ich noch immer schwieg, brach sie in ein leises Weinen aus. Ihr traenendes Auge sah mich wehmuetig an, ihre Lippen woelbten sich, wie wenn sie einen Kuss erwarteten. 'Bist du mir nicht mehr gut, mein Otto? Ach, koenntest du mir zuernen, dass ich die Lamentationen hoerte? O! zuerne mir nicht! Doch du hast recht, waere ich lieber nicht hingegangen. Ich glaubte Trost zu finden und fand keinen Trost, keine Hoffnung. Alle meine Lieben schienen dem Grab entstiegen, schienen ueber die Alpen zu wehen und mit Toenen der Klage mich zu sich zu rufen. Wie bin ich doch so allein auf der Erde!' weinte sie, indem ihr blaues Auge in das naechtliche Blau des Himmels tauchte. 'Wie bin ich so allein!--Und wenn ich dich nicht haette, mein Otto!--' Meine Lage grenzte an Verzweiflung; das schoenste, lieblichste Kind im Arme und doch nicht sagen koennen, wie ich sie liebte! Als ihre Traenen noch nicht aufhoeren wollten, fluesterte ich endlich leise: 'Wie koennte ich dir zuernen?' Sie schaute freundlich dankbar auf--'Du bist wieder gut? Und o! wie siehst du heute doch gar nicht so finster aus, auch deine Stimme klingt heut so weich! Sei auch morgen so und lass nicht wieder einen ganzen langen Tag auf dich warten.' Sie naeherte sich einem Haus und blieb davor stehen, indem sie die Glocke zog. 'Und nun gute Nacht, mein Herz,' sagte sie, 'wie gerne setzte ich mich noch zu dir auf die Bank, aber die Signora wartet wohl schon zu lange.' Ich wusste nicht, wie mir geschah, ich fuehlte einen heissen Kuss auf meinen Lippen, und weg war sie. Ich merkte mir die Nummer des Hauses, aber die Strasse konnte ich nicht erkennen. Nur einen Brunnen und gegenueber von ihrem Haus eine Madonna in Stein gehauen konnte ich als Zeichen fuer die Zukunft anmerken. Ich wand mich mit unsaeglicher Muehe durch das Gewirre der Strassen und war doch nicht froh, als ich endlich mein Haus erreichte. Bis an den lichten Morgen kein Schlaf. Zuerst liess mich der Mond nicht schlafen, der mich durchs Fenster herein angrinste, und als ich die Gardine vorzog, schien gar der Engelskopf des Maedchens hereinzublicken. Mitunter zogen auch die Lamentationen durch meinen wirren Kopf, und ich verwuenschte endlich ein Abenteuer, das mich eine schlaflose Nacht kostete. Sehr fruehe am andern Morgen traten Lord Parter und einer seiner Freunde bei mir ein. Sie wollten mir begegnet sein, als ich meine raetselhafte Schoene zu Haus brachte und schalten mich neckend, dass ich sie gestern gaenzlich verleugnet habe. Als ich ihnen mein Abenteuer, dem groessern Teile nach, erzaehlte, wurden sie noch ungestuemer und behaupteten, mich deutlich schon mehreremal mit derselben Dame gesehen zu haben. Immer klarer ward mir, dass irgend ein Daemon sich in meine Gestalt gehuellt habe, da ja auch das Maedchen mich so genau zu kennen schien, und ich war nicht minder begierig, das liebe Maedchen, als das leibhaftige Konterfei meiner Gestalt zu Gesicht zu bekommen. Die beiden Englaender mussten mir Stillschweigen geloben, indem ich mich vor dem Spott meiner Bekannten fuerchtete; zugleich versprachen sie auch, mir suchen zu helfen. Nach langem Umherirren, wobei wir tausend Luegen ersinnen mussten, um die erwachende Neugierde unserer Freunde zu taeuschen, fanden wir endlich in dem entlegensten Winkel der Stadt jene Merkzeichen, die Madonna und den Brunnen. Ich sah das Haus der Holden, ich sah die Bank an der Tuere, auf welcher ich haette selig werden sollen, aber hier ging auch unser Weg zu Ende. Als Fremde haetten wir zu viel gewagt, so weit entfernt von den uns bekannten Strassen, unter einer Menschenklasse, die besonders den Englaendern so gram ist, uns in ein fremdes Haus einzudraengen. Wir zogen mehreremal durch die Strasse; immer war die Tuere verschlossen, immer die Fenster neidisch verhaengt. Wir verteilten uns, bewachten Tage lang die Promenaden, weder meine Schoene, noch mein Ebenbild liessen sich sehen. Geschaefte riefen mich in dieser Zeit nach Neapel. So angenehm mir sonst diese Reise gewesen waere, so war sie mir in meiner gegenwaertigen Spannung hoechst fatal. Unaufhoerlich verfolgte mich das Bild des Maedchens, im Traum wie im Wachen hoerte ich die liebliche Stimme fluestern. Hatten mich die Gesaenge in der Kapelle so weich gestimmt? Hatte das fluechtige Bild der Schoenen vermocht, was der Geist und die Schoenheit so mancher andern nicht ueber mich vermochte? Unruhig reiste ich ab. Die Reise, so viele abwechselnde Gegenstaende, die ernsten Geschaefte, der Reiz der Gesellschaft, nichts gab mir meine Ruhe wieder. Es war die Zeit des Karnevals, als ich nach Rom zurueckkehrte. Durfte ich hoffen, im Gewuehle der Menge den Gegenstand meiner Sehnsucht herauszufinden? Meine englischen Freunde waren abgereist, ich hatte niemand mehr, dem ich mich vertrauen mochte. Ohne Hoffnung hatte ich mehrere Tage verstreichen lassen, ich war nicht zu bewegen, mich unter die Freuden des Karnevals zu mischen. Wie erstaunte ich aber, als mich am Morgen des vierten Tages der Karnevalswoche der Gesandte fragte, wie ich mich gestern amuesiert habe. Ich sagte ihm, ich sei nicht im Korso gewesen. Er erstaunte, behauptete, mich von seinem Wagen aus mit einer Dame am Arm gesehen und begruesst zu haben. Er schwieg, etwas beleidigt, als ich es wieder verneinte. Aber ploetzlich kam mir der Gedanke: Wie, wenn es die Gesuchten waeren? --Man war in allen Zirkeln sehr gespannt auf diesen Abend. Ein prachtvoller Maskenzug, worin Damen aus den edelsten roemischen Haeusern eine Rolle uebernommen hatten, sollte den Karneval verherrlichen. Ich gab dem Draengen meiner Bekannten nach und ging mit in den Korso. Erwarten Sie von mir keine Beschreibung dieses Schauspiels. Zu jeder andern Zeit wuerde ich ihm alle meine Aufmerksamkeit geschenkt haben, nicht nur, weil es mir als Volksbelustigung sehr interessant gewesen waere, sondern weil sich der Charakter der Roemer gerade hier am meisten aufdeckt. Aber wenn ich sage, dass von dem ganzen Abend, von allen Herrlichkeiten des Korso nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung geblieben und nur ein heller Stern aus dieser Nacht auftaucht, so werden Sie vergeben, wenn ich ueber das interessante Schauspiel Ihre Neugierde nicht zur Genuege befriedige. Die lange, enge Strasse war schon gefuellt, als wir durch die _Porta del popolo_ hereintraten. Unabsehbar wogten die Wellen der Menge durcheinander, und das Auge gleitete unbefriedigt darueber hinweg, weil es unter der Mischung der grellsten Farben keinen Punkt fand, der es festhielt. Die Erwartung war gespannt. Ueberall hoerte man von dem Maskenzug reden, der sich nun bald nahen muesse. Ein rauschendes Beifallrufen drang jetzt von dem Obelisken auf der Piazza herueber und verkuendete die Auffahrt der Masken. Alle Blicke richteten sich dorthin. Von den Balkonen und Geruesten herab wehten ihnen Tuecher und winkten schoene Haende entgegen, indem die Equipagen sich an die Seiten draengten, um den Wagen des Zuges Platz zu machen. Er nahte. Gewiss, ein herrlicher Anblick! Die Goetter der alten Roma schienen wieder in die alten Mauern eingezogen zu sein, um ihren Triumph zu feiern. Liebliche, majestaetische Gruppen! Welch herrliche Umrisse in den Gestalten des Apoll und Mars, wie lieblich Venus und Juno, und man konnte es nicht fuer Unbescheidenheit halten, sondern musste gerade hierin den schoensten Triumph finden, wenn das Volk mit Ungestuem den Goettinnen zurief, die Masken abzunehmen. Unendlich wurde aber der Beifall, als die Graefin Parvi, die edlen Formen des Gesichtes unverhuellt, als Psyche sich nahte. Wahrlich, dieser liebliche Ernst, diese sanfte Groesse haetten einen Zeuxis und Praxiteles begeistern koennen. Der Abend nahte heran, man ruestete sich, die Gerueste zu besteigen, weil das Pferderennen beginnen sollte. Ich stand ziemlich verlassen auf der Strasse, mit sehnsuechtigen Blicken die Galerien und Balkone musternd, ob meine Schoene nicht darauf zu treffen sei. Ploetzlich fuehlte ich einen leisen Schlag auf die Schulter. 'So einsam?' toente in der lieben Muttersprache eine suesse Stimme in mein Ohr. Ich sah mich um. Eine reizende Maske, in der Kleidung einer Tirolerin, stand hinter mir. Durch die Hoehlen der Maske blitzten jene blauen Augen, die mich damals so sehr ueberraschten. Sie ist's--es ist kein Zweifel. Ich bot ihr schweigend die Hand, sie drueckte sie leise. 'Du boeser Otto,' fluesterte sie, 'den ganzen Abend habe ich dich vergebens gesucht. Wie musste ich schwatzen, um die Signora los zu werden!' Die Wache rueckte die Strasse herab. Es war hohe Zeit, die Galerien zu suchen. Ich deutete hinauf, sie gab mir ihren Arm, sie folgte. Ein heimliches Plaetzchen hinter einer Saeule bot sich dar, sie waehlte es von selbst, Karneval, Pferderennen, alle Schoenheiten Roms waren fuer mich verloren, als mein stiller Himmel sich oeffnete, als sie die Maske abnahm. Noch lieblicher, noch unendlich schoener war sie als an jenem Abend. Die zarte Blaesse, die sie damals aus der Kapelle brachte, war einer feinen, durchsichtigen Roete gewichen; das Auge strahlte von noch hoeherem Glanz als damals, und der tiefe, beinahe wehmuetige Ernst der Zuege, wie sie sich mir damals zeigte, war durch ein Laecheln gemildert, das fein und fluechtig um die zarten Lippen wehte." "Sie heftete wieder einige Minuten schweigend ihr Auge auf mein Gesicht, strich mir spielend die Haare aus der Stirne und rief dann ploetzlich: 'Jetzt bist du's wieder ganz! Ganz wie an jenem Abend in der Kapelle, den du mir so hartnaeckig leugnest! Gestehest du ihn deiner Luise noch nicht?' "Welche Pein! Was sollte ich sagen? Da fiel ploetzlich das Signal, die Pferde rannten durch den Korso. Meine Schoene bog den Kopf abwaerts, und ich, meiner Sinne kaum maechtig, fluechtete hinter die naechste Saeule, um nicht im Augenblicke vor dem arglosen Maedchen als ein Tor oder noch etwas Schlimmeres zu erscheinen. Und was war ich auch anders, wenn ich mich selbst recht ernstlich fragte? Was wollte ich von dem Maedchen, was konnte ich von ihr wollen? Und war nicht eine so weit getriebene Neugierde Frevel? "Waehrend ich noch so mit mir selbst kaempfte, ob es nicht ehrlicher sei, ein Abenteuer aufzugeben, dessen Ende nur ein toerichtes sein konnte, bemerkte ich, dass meine Stelle schon wieder besetzt sei. Ich schlich naeher herzu, um wenigstens zu hoeren, wer der Glueckliche sei, da ich ihn, ohne meine unbescheidene Naehe zu verraten, nicht sehen konnte." 'Wie magst du nur so zerstreut fragen?' sagte Luise, 'du selbst hast mich ja heraufgefuehrt.' 'Ich haette dich gefuehrt, der ich diesen Augenblick erst zu dir trete? Gestehe, du betruegst mich; wer hat dich hergeleitet?' Mit befangener Stimme, dem Weinen nahe, beharrte sie auf dem, was sie vorhin sagte. 'Du bist auch wie unser Wetter ueber den Alpen, soeben noch so freundlich, und jetzt so kalt, so finster.' Jener stand schnell auf: 'Ich bin nicht gestimmt, meine Gnaedige, das Ziel Ihrer Scherze zu sein,' sagte er, 'und wenn Sie sich in Raetsel vertiefen, wird meine Gesellschaft Ihnen laestig werden.' Er brach auf und wollte gehen. Ich konnte die Leiden der Armen nicht mehr verlaengern und trat hervor hinter der Saeule, um mich als Aufloesung des Raetsels zu zeigen. Aber wie ward mir! Meine eigene Gestalt, mein eigenes Gesicht glaubte ich mir gegenueber zu sehen. Die ueberraschendste Aehnlichkeit--" * * * * * FUENFZEHNTES KAPITEL. Das Intermezzo.--Der Trinker. Ein schrecklicher Angstschrei, ein Gerassel, wie Blitz und Donner einander folgend, unterbrach den Erzaehler. Welcher Anblick! Der Jude lag ausgestreckt auf dem Boden des Saales, ueberschuettet mit Tee, Truemmer seines Stuhles und der feinen Meissner Tasse, die er im Sturz zerschmettert, um ihn her. Der Aerger ueber eine solche Unterbrechung war auf allen Gesichtern zu lesen; zuernend wandten die Damen ihr Auge von diesem Schauspiel, von den Herren machte keiner Miene, ihm beizustehen. Er selbst aber blieb sekundenlang liegen, ohne sich zu ruehren, und schaute verwundert herauf. Ich sprang auf, ihm beizustehen; ich hob ihn auf und sah mich nach einem andern Stuhle um, auf welchen ich ihn setzen koennte. Aber ein Verwandter des Hauses raunte mir in die Ohren, ich moechte machen, dass wir fortkommen, mein Hofmeister scheine sich nicht in dieser Gesellschaft zu gefallen. Wir folgten dem Wink und nahmen unsere Huete. Als ich mich von der gnaedigen Frau beurlaubte, sagte sie mir viel Schoenes und lud mich ein, sie recht oft zu sehen; meinen armen Hofmeister wuerdigte sie keines Blickes. Sie neigte sich so kalt als moeglich und liess ihn abziehen. Gelaechter schallte uns nach, als wir den Saal verliessen, und ich hatte mit meiner Inkarnation so viel menschliche Eitelkeit angezogen, dass mich dieses Lachen ungemein aergerte. Wie gern haette ich die Erzaehlung jenes interessanten jungen Mannes zu Ende gehoert; wie viel Wichtiges und Psychologisches haette ich von dem gardeuniformliebenden Fraeulein erlauschen koennen; und war ich selbst nicht ganz dazu gemacht, junge Herzen an jenem Abend zu erobern? Ein junger, reicher, ich darf sagen, huebscher Mann auf Reisen findet, wo er hinkommt, freundliche Augen, durch welche er so leicht in die Herzen einzieht--und dies alles hatte mir das ungeschliffene Wesen des alten Menschen verdorben; ich haette ihn wuergen koennen, als wir im Wagen sassen. "War es nicht genug," sagte ich, "dass du mit deinem scharfen Judenbart die zarte Hand der Gnaedigen empfindlich buerstetest? Musstest du auch noch die Frau von Wollau durch dein unzeitiges Gelaechter beleidigen? Und kaum hast du es wieder gut gemacht, so bringst du aufs neue alles gegen dich auf. Was gingen dich denn die S c h w a b e n m a e d e l an, dass du ihre Schoenheit an den Teetischen Berlins predigest? Darfst du denn sogar in China einer Schoenen sagen, sie habe ein Teegesicht? Und jetzt, nachdem du die spitzigen Worte der ungnaedigen Frau eingesteckt hattest, jetzt, als alles auf das erste vernuenftige Thema, das diesen Abend abgehandelt wurde, lauschte, jetzt faellst du, wie der selige Hohepriester Eli im zweiten Kapitel Samuelis, ruecklings in den Saal und zerschmetterst-- nicht den eigenen hohlen Schaedel, wie jener wuerdige juedische Papst-- nein! einen zierlich geschnitzten Fauteuil und eine Tasse von Meissner Porzellan; sage, sprich, schlechter Kamerad, wie fingst du es nur an?" "In Eurer Stelle, Herr Satan, waere ich nicht so arrogant gegen unsereinen," antwortete er verdriesslich. "Ihr wisst, dass Euch keine Gewalt ueber meine Seele zusteht; denn seit anderthalbtausend Jahren kenne ich Eure Schliche und Raenke wohl. Was aber die Elis-Geschichte betrifft, so will ich Euch reinen Wein einschenken, vorausgesetzt, Ihr begleitet mich in eine Auberge; denn der laepperige Tee hier, mit dem man in China kaum die Tassen ausspuelen wuerde, mit dem noch schlechtern Arrak, haben mir ganz miserabel gemacht." Ich liess vor einem Restaurateur halten und fuehrte den verunglueckten Doktor Mucker hinein. Es war schon ziemlich tief in der Nacht, und nur noch wenige, aber echte Trinker in dem Wirtszimmer. Wir setzten uns an einen Tisch zu vier oder fuenf solcher naechtlichen Gesellen; ich liess fuer den alten Menschen Burgunder auftragen, und in gelaeufigem Malabarisch, wovon die Trinker gewiss nichts verstanden, forderte ich ihn auf, zu erzaehlen. Nachdem der ewige Jude durch etliche Schluecke sich erholt hatte, begann er: "Ich glaube, es ist ein Teil des Fluches, der auf mir ruht, dass ich, sobald ich mich in hoehere Sphaeren der Gesellschaft wage, laecherlich werde; ein paar Beispiele moegen dir genuegen. "Du weisst, dass ich, um mir die Langeweile des Erdenlebens zu vertreiben, zuweilen einen Liebeshandel suche--nun, verziehe dein Gesicht nur nicht so spoettisch, ich bin eine Stereotypausgabe von einem kraeftigen Fuenfziger, und ein solcher darf sich schon noch aufs Eis wagen. Nun hatte ich einmal in einem kleinen saechsischen Staedtchen eine Schoene auf dem Korn. Ich hatte schon seit einigen Tagen Zutritt in das elterliche Haus, und die kleine Kokette schien mir gar nicht abgeneigt. Ich kleidete mich sorgfaeltiger, um ihr zu gefallen, ich scherwenzelte um sie her, wenn sie spazieren ging, kurz, ich war ein so ausgemachter Geck, als je einer ueber das Pflaster von Leipzig ging. In dem Staedtchen gehoerte es zum guten Ton, morgens um neun Uhr an dem Haus seiner Schoenen vorbeizugehen; schaute sie heraus, so wurde mit Grazie der Hut gezogen und etwas weniges geseufzt. "Dies hatte ich mir bald abgemerkt und zog nun pflichtgemaess, wenn die Glocke neun Uhr summte, an jenem Haus vorueber, und ich hatte die Freude, zu sehen, wie mein Engel jedesmal zum Fenster herausschaute und huldreich laechelte. Eines Morgens war es sehr kotig auf der Strasse; ich ging also, um die weissseidenen Struempfe zu schonen, auf den Zehenspitzen und machte Schritte wie ein Hahn. Aber vor dem Hause meiner Schoenen war der Schmutz reinlich in grosse Haufen zusammengekehrt; denn der Papa war eine Art von Polizeiinspektor und musste den Einwohnern ein gutes Beispiel geben; wie freute sich mein Herz ueber diese Reinlichkeit! Ich konnte dort fester auftreten, ich konnte mit dem rechten Bein, wenn ich mein Kompliment machte, zierlich ausschweifen, ohne mich zu beschmutzen. Mein Engel schaute huldreich herab, freudig ziehe ich den Hut von dem schoenfrisierten Toupet, schwenke ihn in einem kuehnen Bogen und--o Unglueck--er entwischt meiner Hand, er faehrt wie ein Pfeil in den aufgeschichteten Unrat, dass nur noch die Spitze hervorsieht. "Wie schoen sagt Schiller: 'Einen Blick Nach dem Grabe Seiner Habe Sendet noch der Mensch zurueck.' "So stand ich wie niedergedonnert an dem Unrat. Sollte ich in zierlicher Stellung mit den Fingerspitzen den Hut herausziehen? Aber dann war zu befuerchten, dass er ganz ruiniert sei; sollte ich voellig _chapeau bas_ weiter ziehen, wie einer, der ohne Hut dem Galgen oder dem Tollhaus entsprungen? "Wie ein silbernes Feuergloeckchen schlaegt jetzt das lustige Lachen meiner Dulzinea an mein Ohr; brummend wie die schweren Totenglocken, das Grabgelaeute meiner Hoffnung, antworten zehn Baesse aus dem gegenueberstehenden Kaffeehaus; Husarenleutnants, Schreiber, Kaufleute bruellen aus den aufgerissenen Fenstern, und 'Hussa, Sultan, such' verloren!' toent die Stimme meines furchtbarsten Rivalen, des Grafen Lobau. Eine englische Dogge von Menschenlaenge stuerzt hervor, packt den verlorenen Hut mit geuebter Schnauze, rennt auf mich zu, stellt sich auf die Hinterbeine, tappt mit seinen Pfoten auf meine Schultern und praesentiert mir das triefende _corpus delicti_. "Was ich dir hier mit vielen Worten erzaehlte, mein Bester, war das Werk eines Augenblicks; wie angefroren war ich dagestanden, und erst die Zudringlichkeit des hoeflichen Hundes gab mir meine Fassung wieder. Wieherndes, jauchzendes Gelaechter scholl aus dem Kaffeehause, und auch bei i h r waren alle Fenster mit Lachern angefuellt; und als ich, einen zaertlichen Blick, den letzten, hinauflaufen liess, sah ich, wie sie das battistene Schnupftuch in den Mund schob, um nicht vor Lachen zu bersten. Da verlor ich von neuem die Fassung; wuetend ergriff ich den Hut und schlug ihn der Dogge ins Gesicht; aber die Bestie verstand keinen Spass, sie packte mich, an dem zierlichen Busenstreifen, ich liess ihr diese Spolien und machte mich eilends davon, durch dick und duenn galoppierend; aber die Bestie folgte, und andere Hunde und Gassenjungen stuerzten nach, und die schreckliche Jagd nahm erst ein Ende, als ich atemlos in das Portal meines Gasthofes stuerzte. "Dass es mit meiner Liebe aus war, kannst du denken, besonders, da ich nachher erfuhr, die Kokette habe alle ihre Anbeter um diese Stunde in das Kaffeehaus bestellt, um meine taegliche Fensterparade zu bewundern!" Ich bedauerte den Armen von Herzen; er aber griff ruhig nach seinem Glas, trank und fuhr dann fort: "Kann dich versichern, so hundsfoettisch ging es mir von jeher, besonders aber in der neuen aufgeklaerten Zeit, wo man so ungemein viel auf das Schickliche haelt und verzweifeln moechte, wenn der vortreffliche Reifrock der Etikette ein wenig unsanft beruehrt wird. Darum ist es mir bei einem Gastmahl immer hoellenangst. Wird fette Sauce umhergegeben, so sehe ich schon im Geiste, dass ich damit zittern und sie verschuetten werde. Kommt dann der Bettel an mich, so bricht mir der Angstschweiss aus, die Sauciere klappert in meiner zitternden Hand fuerchterlich, sie schwankt, ich fahre mit der andern Hand darnach und--richtig, meine freundliche Nachbarin hat die ganze Bescherung auf dem neuen Drap d'or oder Genuesischen Sammetkleid, dass alles im schoensten Fette schwimmt. Habe ich aber endlich eine solche Fegefeuertour durchgemacht, ohne Sauce zu verschuetten, ohne ein Glas umzuwerfen, ohne einen Loeffel fallen zu lassen, ohne dem Schosshund auf den Schwanz zu treten, ohne der Tochter des Hauses die groessten Sottisen zu sagen, wenn ich hoeflich und pikant sein will, so fasst mich irgend ein Unheil noch zum Schluss, dass ich mit Schande abziehe wie heute." "Nun," fragte ich, "und was warf dich denn heute mitten ins Zimmer?" "Als der langweilige Mensch seine Erzaehlung anhub, wie er ein paar Pfaffen habe singen hoeren und wie er einem huebschen Maedchen nachgelaufen sei--was man ueberall tun kann, ohne gerade in Rom zu sein--da uebermannte mich die Langeweile, die eines meiner Hauptuebel ist, und so setzte ich, um mich zu unterhalten, meinen Stuhl rueckwaerts in Bewegung und schaukelte mich ganz angenehm. Auf einmal, ehe ich mich dessen versah, schlug der Stuhl mit mir rueckwaerts ueber, und ich lag--" "Das habe ich leider gesehen, wie du lagst," sagte ich; "aber wie kann man nur in honetter Gesellschaft so ganz alle gute Sitte vergessen und mit dem Stuhle schaukeln." "Sei jetzt ruhig und bringe mich nicht auf mit der verdammten Geschichte; ich habe heute abend kein Glueck gemacht, das ist alles. _Bibamus, diabole!_" sagte der alte Mensch, indem er selbst mit tuechtigem Beispiel voranging und dann schmunzelnd auf das dunkelrote Glas wies: "Der ist koscher, Herr Bruder, guter Burgunder, echter Chambertin und wenigstens zwanzig Jahre alt. Du magst mich jetzt auslachen oder nicht; aber ein gutes altes Weinchen vom Suedstamme ist noch immer meine Leidenschaft, und ich behaupte, die Welt sieht jetzt nur darum so schlecht aus, weil so viel Tee, Branntwein und Bier, aber desto weniger Wein getrunken wird." "Du koenntest recht haben, Jude!" "Wie stattlich," fuhr er im Eifer fort, "wie stattlich nahmen sich sonst die Wirtshaeuser aus. Breite, gedrungene, kraeftige Gestalten, den dreispitzigen Hut ein wenig auf die Seite gesetzt, rote Gesichter, feurige Augen, ins Blaeuliche spielende Nasen, honette Baeuche--so traten sie, das hohe, mit Gold beschlagene Meerrohr in der Faust, feierlich gruessend ins Zimmer. Wenn der Hut am Nagel hing, der Stock in die Ecke gestellt war, schritt der Gast dem wohlbekannten Plaetzchen zu, das er seit Jahren sich zu eigen gemacht hatte und das oft nach ihm getauft war. Der Wirt stellte mit einem 'Wohl bekomm's' die Weinkanne vor den ehrsamen Trinker, die gewoehnlichen Bechernachbarn fanden sich zur bestimmten Stunde ein, man trank viel, man schwatzte wenig und zog zur bestimmten Stunde wieder heim. So war es in den guten alten Zeiten, wie die Menschen sagen, die nach Jahren rechnen, so war es, und nur der Tod machte darin eine Aenderung. Jetzt haengen sie alles an den Putz, machen Staat wie die Fuersten und sitzen den Wirten um zwei Groschen die Baenke ab. Lustiges, unstetes Gesindel faehrt in den Wirtshaeusern umher, man weiss nie mehr, neben wen man zu sitzen koemmt, und das heissen die Leute K o s m o p o l i t i s m u s. Hoechstens trifft man ein paar alte weingruene Gesichter von der echten Sorte, aber dies Geschlecht ist beinahe ausgestorben!" "Schau nur dorthin," fiel ich ihm ein, "du Prediger in der Wueste, dort sitzen ein paar Echte. Sieh nur das kleine Maennlein dort in dem braunen Roeckchen, wie es so feurig die roten Augen ueber die Flasche hinrollen laesst. Er scheint mir ein rechter Kenner, denn er trinkt den Nierensteiner Kirchhofwein, den er vor sich hat, in ganz kleinen Zuegen und zerdrueckt ihn ordentlich auf der Zunge, ehe er schluckt. Und dort der grosse dicke Mann mit der roten Nase, ist er nicht eine Figur aus der alten Zeit? Nimmt er nicht das Glas in die ganze Faust, statt wie die Heutigen den kleinen und den Goldfinger zierlich auszustrecken? Ist er nicht schon an der vierten Flasche, seit wir hier sind, und hast du nicht bemerkt, wie er immer die Pfropfen in die Tasche steckt, um nachher zu zaehlen, wie viele Flaschen er getrunken?" "Wahrhaftig, diese sind echt!" rief der begeisterte Jude, "ich bin jung gewesen und alt geworden, aber solcher gibt es nicht viele; lass uns zu ihnen uns setzen, _mi fratercule_!" Wir hatten nicht fehl geraten. Jene Trinker waren von der echten Sorte; denn schon seit zwanzig Jahren kamen sie alle Abende in das naemliche Wirtshaus. Man kann sich denken, wie gerne wir uns an sie anschlossen. Ich, weil ich solche Kaeuze liebe und aufsuche, der ewige Jude aber, weil der Kontrast zwischen dem eleganten Tee und diesen Trinkern in seinen Augen sehr zugunsten der letzteren ausfiel. Er wurde so kordial, dass er zu vergessen schien, dass er mit ihren Urvaetern schon getrunken habe, dass er vielleicht mit ihren spaeten Enkeln wieder trinken werde. Die alten Gesellen mochten jetzt ihre Ladung haben; denn sie wurden freundlich und fingen an, zuerst leise vor sich hin zu brummen; dann gestaltete sich dieses Brummen zu einer Melodie, und endlich sangen sie mit heiserer Weinkehle ihre gewohnten Lieder. Auch den alten Menschen fasste diese Lust. Er dudelte die Melodien mit, und als sie geendet hatten, fing auch er sein Lied an. Er sang: "Wer seines Leibes Alter zaehlet Nach Naechten, die er froh durchwacht, Wer, ob ihm auch der Taler fehlet, Sich um den Groschen lustig macht, Der findet in uns seine Leute, Der sei uns bruederlich gegruesst, Weil ihn, wie uns, der Gott der Freude In seine sanften Arme schliesst. Wenn von dem Tanze sanft gewieget, Von Floetentoenen suess berauscht, Fein Liebchen sich im Arme schmieget Und Blick um Liebesblick sich tauscht; Da haben wir im Flug genossen, Und schnell den Augenblick erhascht, Und Herz am Herzen festgeschlossen Der Lippen suessen Gruss genascht. Den Wein kannst du mit Gold bezahlen, Doch ist sein Feuer bald verraucht, Wenn nicht der Gott in seine Strahlen, In seine Geisterglut dich taucht; Uns, die wir seine Hymnen singen, Uns leuchtet seine Flamme vor, Und auf der Toene freien Schwingen Steigt unser Geist zum Geist empor. Drum, die ihr frohe Freundesworte Zum wuerdigen Gesang erhebt, Euch gruess' ich, wogende Akkorde, Dass ihr zu uns herniederschwebt! Sie tauchen auf--sie schweben nieder, Im Vollton rauschet der Gesang, Und lieblich hallt in unsre Lieder Der vollen Glaeser Feierklang. So haben's immer wir gehalten Und bleiben fuerder auch dabei, Und mag die Welt um uns veralten, Wir bleiben ewig jung und neu: Denn wird einmal der Geist uns truebe, Wir haben ihn im alten Wein, Und ziehen mit Gesang und Liebe In unsern Freudenhimmel ein." Ob dies des ewigen Juden eigene Poesie war, kann ich nicht bestimmt sagen, doch liess er mich zuzeiten merken, dass er auch etwas Poet sei; die zwei alten Weingeister waren ganz erfuellt und erbaut davon; sie drueckten dem a l t e n M e n s c h e n die Hand und gebaerdeten sich, als haette er ihnen die ewige Seligkeit verkuendigt. Es schlug auf den Uhren drei Viertel vor zwoelf. Der ewige Jude sah mich an und brach auf; ich folgte. Ruehrend war der Abschied zwischen uns und den Trinkern, und noch auf der Strasse hoerten wir ihre heiseren Stimmen in wunderlichen Toenen singen: "Und wird einmal der Geist uns truebe, Wir baden ihn im alten Wein, Und ziehen mit Gesang und Liebe In unsern Freudenhimmel ein." * * * * * SATANS BESUCH BEI HERRN VON GOETHE nebst einigen einleitenden Bemerkungen ueber das Diabolische in der deutschen Literatur. "Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern Und huete mich, mit ihm zu brechen, Es ist gar huebsch von einem grossen Herrn, So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen." Goethe. SECHZEHNTES KAPITEL. Bemerkungen ueber das Diabolische in der deutschen Literatur. "Die Idee eines Teufels ist so alt als die Welt und nicht erst durch die Bibel unter die Menschen gekommen. Jede Religion hat ihre Daemonen und boesen Geister,--natuerlich weil die Menschen selbst von Anfang an gesuendigt haben und nach ihrem gewoehnlichen Anthropomorphismus das Boese, das sie sahen, einem Geiste zuschrieben, dessen Geschaeft es sei, ueberall Unheil anzurichten."--So wuerde ich ungefaehr sprechen, wenn ich es bis zum Professor der Philosophie gebracht haette und nun ueber die I d e e e i n e s T e u f e l s mich breit machen muesste. In meiner Stellung aber faerbe ich ueber solche Demonstrationen, die gewoehnlich darauf auslaufen, dass man mich mit zehnerlei Gruenden hinweg zu disputieren sucht; ich lache darueber und behaupte, die Menschen, so dumm sie hie und da sein moegen, merken doch bald, wenn es nicht g a n z g e h e u e r u m s i e h e r ist, und moegen sie mich nun Ariman oder das boese Prinzip, Satan oder Herr Urian nennen, sie kennen mich in allen Voelkern und Sprachen. Es ist doch eine schoene Sache um das "_dicier hic est_," darum behagt mir auch die deutsche Literatur so sehr. Haben sich nicht die groessten Geister dieser Nation bemueht, mich zu verherrlichen und, wenn ich's nicht schon waere, mich ewig zu machen? In meiner _Dissertatio de rebus diabolicis_ sage ich unter anderem hierueber folgendes: "Paragraph 8. D i e I d e e, d a s m o r a l i s c h e V e r d e r b e n i n e i n e r P e r s o n d a r z u s t e l l e n, m u s s t e s i c h d a h e r d e n D i c h t e r n h a l b a u f d r a e n g e n; diese waren, wie es in Deutschland meistens der Fall war, philosophisch gebildet, doch war ihre Philosophie wie ihre Moral von jener breiten, dicken Sorte, die nicht mit Leichtigkeit ueber Gegenstaende hinzugleiten weiss; daher kam es, dass auch die Gebilde ihrer Phantasie jenes philosophische Blei an den Fuessen trugen, das sie nicht mit Gewandtheit auftreten liess; sie stolperten auf die Buehne und von der Buehne, machten sich breit in Philosophemen, die der Zehnte nicht sogleich verstand, und drehten und wandten sich, als sollten sie auf einer engen Bruecke ohne Gelaender in Reifroecken einander ausweichen. Daher kam es, dass auch die Teufel dieser Poeten gaenzlich verzeichnet waren. Betrachten wir z. B. Klingers Satan. Wie vielen Bombast hat dieser arme Teufel zuerst in der Hoelle und dann auf der Erde herzuleiern! Klingemanns Teufel! Glaubt man nicht, er habe ihn nur geschwind aus dem Puppenspiel von der Strasse geholt, ihm die Glieder ausgereckt, bis er die rechte Groesse hatte, und ihn dann in die Szene gesetzt? Man begreift nicht, wie ein Mensch sich von einem solchen Ungetuem sollte verfuehren lassen." Es gibt noch mehrere solcher literarischen Ungetueme, die hier aufzufuehren der Raum nicht erlaubt. Sie alle haben mir von jeher viel Spass gemacht, und ich kam mir oft vor, wie der Policinello des italienischen Lustspiels; ich war bei diesen Leuten eine stehende Figur, die, wenn auch etwas anders aufgeputzt, doch immer wieder die Hoerner herausstreckte, und unter welche man zu besserer Kenntnis ein _Ecce homo_, sehet, das ist der Teufel, schrieb. Doch auch dem Teufel muss man Gerechtigkeit widerfahren lassen, sagt ein altes Sprichwort, folglich muss der Teufel zur Revanche auch wieder gerecht sein. "Ein jeder gibt, wie er's kann," fuhr ich in der Dissertation fort, "und wie sich in jenen Poeten das moralische Verderben bei jedem wieder in andern Reflexen abspiegelte, so gaben auch sie ihre Teufel. Daher kommt es, dass Herr Urian bei Klopstock wieder bei weitem anders aussieht. "Jener Abadonna ist ein gefallener Engel, dem das hoellische Feuer die Fluegel versengte, der sich aber auch jetzt noch nobel und wuerdig ausnehmen soll. Aber leider ist dieser Zweck doch ein wenig verfehlt; mir wenigstens kommt dieser Klopstocksche Gottseibeiuns vor wie ein Elegant, der, wegen Unarten aus den Salons verwiesen, sich in den Tabagien und spiessbuergerlichen Klubs nicht recht zu finden weiss und darum unanstaendig jammert." So ungefaehr sprach ich mich in jener gelehrten Dissertation aus, und ich gebe noch heute zu, dass die Auffassung wie jeder Idee, so auch der des Teufels, sich nach den individuellen Ansichten des Dichters ueber das Boese richten muss; dies alles aber entschuldigt keineswegs jenen beruehmten Mann, der kraft seines umfassenden Genies, nicht den engen Grenzen seines Vaterlandes oder der Spanne Zeit, in welcher er lebt, sondern der Erde und kuenftigen Jahrhunderten angehoeren koennte, es entschuldigt ihn nicht darin, dass er einen so schlechten Teufel zur Welt gebracht hat. Der G o e t h e s c h e M e p h i s t o p h e l e s ist eigentlich nichts anderes, als jener gehoernte und geschwaenzte Popanz des Volkes. Den Schweif hat er aufgerollt und in die Hosen gesteckt, fuer die Bocksfuesse hat er elegante Stiefel angezogen, die Hoerner hat er unter dem Barett verborgen--siehe da den Teufel des grossen Dichters! Man wird mir einwenden: "Das gerade ist ja die grosse Kunst des Mannes, dass er tausend Faeden zu spinnen weiss, durch die er seine kuehnen Gedanken, seine hohen, ueberschwenglichen Ideen an das Volksleben, an die Volkspoesie knuepft."--"Halt, Freund! Ist es eines Mannes, der, wie sie sagen, so hoch ueber seinem Gegenstand steht und sich nie von ihm beherrschen laesst, ist es eines solchen Dichters wuerdig, dass er sich in diese Fesseln der Popularitaet schmiegt? Sollte nicht der koenigliche Adler dieses Volk bei seinem populaeren Schopf fassen und mit sich in seine Sonnenhoehe tragen?" "Verzeihe, Wertester," erhalte ich zur Antwort, "du vergissest, dass unter diesem Volke mancher eine Peruecke traegt; wuerde ein solcher nicht in Gefahr sein, dass ihm der Zopf breche und er aus halber Hoehe wieder zur Erde stuerze? Siehe! der Meister hat dies besser bedacht; er hat aus jenen tausend Faeden, von welchen ich dir sagte, eine Strickleiter, geflochten, auf welcher seine Juenger saeuberlich und ohne Gefahr zu ihm hinaufklimmen. Der Meister aber setzet sie zu sich in seine Arche, gleich Noah schwebt er mit ihnen ueber der Suendflut jetziger Zeit und schaut ruhig wie ein Gott in den Regen hinaus, der aus den Federn der kleinen Poeten stroemt." "Ein waesseriges Bild!" entgegne ich, "und zugleich eine Sottise. Befand sich denn in jener Arche nicht mehr Vieh als Menschen? Und will der Meister warten, bis die Flut sich verlaufe und dann seine Stierlein und seine Eselein, seine Pfauen und Kamele Paar und Paar auf die Erde spazieren lassen? "Will er vielleicht, wie jener Patriarch, die Erfindung des Weines sich zuschreiben, sich ein Patent darueber ausstellen lassen und ueber seine Schenke schreiben: 'Hier allein ist Echter zu haben,' wie Maria Farina auf sein Koelnisches Wasser, so fuer alle Schaeden gut ist?" Aber, um wieder auf den Mephistopheles zu kommen, gerade dadurch, dass er einen so ueberaus populaeren und gemeinen Teufel gab, hat Goethe offenbar nichts fuer die Wuerde seines schoensten Gedichtes gewonnen. Er wird zwar viele Leser herbeiziehen, dieser Mephisto, viele Tausende werden ausrufen: "Wie herrlich! Das ist der Teufel, wie er leibt und lebt." Um die uebrigen Schoenheiten des Gedichtes bekuemmern sie sich sehr wenig; sie sind vergnuegt, dass es endlich einmal eine Figur in der Literatur gibt, die ihrer Sphaere angemessen ist. "Aber erkennst du denn nicht," wird man mir sagen, "erkennst du nicht die herrliche, tiefe Ironie, die gerade in diesem Mephistopheles liegt?" Ironie? Und welche? Ich sehe nichts in diesem meinem Konterfei als den gemeinen Ritter von dem Pferdefuss, wie er in jeder Spinnstube beschrieben wird. Man erlaube mir, dieses Bild noch naeher zu beleuchten. Ich werde naemlich vorgestellt als ein Geist, der beschworen werden kann, der sich nach magischen Gesetzen richten muss: "Gesteh' ich's nur, dass ich hinausspaziere, Verbietet mir ein kleines Hindernis, Der Drudenfuss auf Eurer Schwelle;" und dieser Schwelle Zauber zu zerspalten, "Bedarf ich eines Rattenzahns;" daher befiehlt "Der Herr der Ratten und der Maeuse, Der Fliegen, Froesche, Wanzen, Laeuse" in einer Zauberformel seinem dienstbaren Ungeziefer die Kante, welche ihn bannt, zu benagen. Auch kann ich nicht in das Studierzimmer treten, ohne dass der Doktor Faust dreimal "Herein!" ruft. In andere Zimmer, wie z. B. bei Frau Martha und in Gretchens Stuebchen trete ich ohne diese Erlaubnis. Doch den Schluessel zu diesen sonderbaren Zumutungen finden wir vielleicht in dem Vers: "Gewoehnlich glaubt, der Mensch, wenn er nur Worte hoert, Es muesse sich dabei auch etwas denken lassen!" Doch weiter. Ich stehe auf einem ganz besonderen Fuss mit den Hexen. Die in der Hexenkueche haette mich gewiss liebevoller empfangen; aber sie sah keinen Pferdefuss, und um mich bei ihr durch mein Wappen zu legitimieren, mache ich eine unanstaendige Gebaerde: "Mein Freund, das lerne wohl verstehen, Das ist die Art, mit Hexen umzugehen." Auf dem Brocken in der Walpurgisnacht bin ich noch viel besser bekannt. Das Gehen behagt mir nicht, ich sage daher zum Doktor: "Verlangst du nicht nach einem Besenstiele? Ich wuenschte mir den allerderbsten Bock." Auch hier "Zeichnet mich kein Knieband aus, Doch ist der Pferdefuss hier ehrenvoll zu Haus." Um unter diesem, gemeinen Gelichter mich recht zu zeigen, tanze ich mit einer alten Hexe und unterhalte mich mit ihr in Zoten, die man nur durch Gedankenstriche "Der, hatt' ein----- So--es war, gefiel mir's doch" anzudeuten wagt. Ich bin selbst in Fausts Augen ein widerwaertiger, haemischer Geselle, der "--------kalt und frech Ihn vor sich selbst erniedrigt."-- Ich bin ohne Zweifel von haesslicher, unangenehmer Gestalt und Gesicht, was man, mit mildem Ausdruck markiert, intrigant, und im gemeinen Leben einen abgefeimten Spitzbuben zu nennen pflegt. Daher sagt Gretchen von mir: "Der Mensch, den du da bei dir hast, Ist mir in tiefer innrer Seel' verhasst. Es hat mir in meinem Leben So nichts einen Stich ins Herz gegeben Als des Menschen widrig Gesicht.-- Seine Gegenwart bewegt mir das Blut, Ich hab' vor dem Menschen ein heimlich Grauen.-- --Kommt er einmal zur Tuer herein, Sieht er immer so spoettisch drein Und halb ergrimmt.-- Es steht ihm an der Stirn geschrieben, Dass er nicht mag eine Seele lieben" &c. Daher sage ich auch naher: "Und die Physiognomie versteht sie meisterlich, In meiner Gegenwart wird ihr, sie weiss nicht wie; Mein M a e s k c h e n da weissagt verborgnen Sinn, Sie fuehlt, dass ich ganz sicher ein Genie, Vielleicht wohl gar der Teufel bin." Soll dies bei Gretchen Ahnung sein? Ist sie befangen in der Naehe eines Wesens, das, wie man sagt, ihren Gott verleugnet? Ist es etwa ein unangenehmer Geruch, eine schwuele Luft, die ihr meine Naehe aengstlich macht? Ist es kindlicher Sinn, der den Teufel frueher ahnet als der schon gefallene Mensch, wie Hunde und Pferde vor naechtlichem Spuk scheuen, wenn sie ihn auch nicht sehen? Nein--es ist nur allein mein Gesicht, das sie aengstlich macht, so aengstlich, dass sie sagt: "--Wo er nur mag zu uns treten, Mein' ich sogar, ich liebte dich nicht mehr."-- Wozu nun dies? Warum soll der Teufel ein Gesicht schneiden, das jedermann Misstrauen einfloesst, das zurueckschreckt, statt dass die Suende, nach den gewoehnlichen Begriffen, sich lockend, reizend sehen laesst. Wer hat nicht die herrlichen Umrisse ueber Goethes Faust von dem genialen Retsch gesehen! Gewiss, selbst der Teufel muss an einem solchen Kunstwerk Freude haben. Ein paar Striche, ein paar Puenktchen bilden das liebliche, sinnige Gesicht des kindlichen, keuschen Gretchens, Faust in der vollendeten Bluete des Mannes steht neben ihr; welche Wuerde noch in dem gefallenen Goettersohn! Aber der Maler folgt der Idee des Dichters, und siehe, ein Scheusal in Menschengestalt steht neben jenen lieblichen Bildern. Die unangenehmen Formen des duerren Koerpers, das ausgedorrte Gesicht, die haessliche Nase, die tiefliegenden Augen, die verzerrten Mundwinkel--hinweg von diesem Bild, das mich schon so oft geaergert hat. [Fussnote: Man erlaube mir hier eine kleine Anmerkung. Wenn ich nicht irre, so ertappt man hier den Satan auf einer groessern Eitelkeit, als man ihm fast zutrauen sollte; gewiss hat ihn nichts anderes gegen jenen verehrten Dichter aufgebracht, als dass er ihn mit etwas lebhaften Farben als haesslich darstellt; diese Bemerkung wird um so wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, dass er oben in dem zweiten Abschnitt selbst gesteht, dass durch seine Inkarnation einige Eitelkeit in ihn gefahren sei; Meister Urian gibt sich uebrigens durch den uebertriebenen Eifer, mit welchem er seine Missgestalt ruegt, eine Bloesse, die ihm nicht haette beigehen sollen.]. Und warum diese haessliche Gestalt? frage ich noch einmal. Darum, antworte ich, weil Goethe, der so hoch ueber seinem Werk schwebende Dichter, seinen Satan anthropomorphosiert; um den gefallenen E n g e l wuerdig genug darzustellen, kleidet er ihn in die Gestalt eines tief gefallenen M e n s c h e n. Die Suende hat seinen Koerper haesslich, mager, unangenehm gemacht. In seinem Gesicht haben alle Leidenschaften gewuehlt und es zur Fratze entstellt; aus dem hohlen Auge sprueht die gruenliche Flamme des Neides, der Gier; der Mund ist widrig, haemisch wie der eines Elenden, der alles Schoene der Erde schon gekostet hat und jetzt aus Uebersaettigung den Mund darueber ruempft; der Unschuld ist es nicht wohl in seiner befleckenden Naehe, weil ihr vor diesen Zuegen schaudert. So hat der Dichter, weil er einen schlechten Menschen vor Augen hatte, einen schlechten Teufel gemalt. Oder steht etwa in der Mythologie des Herrn von Goethe, der Teufel koenne nun einmal nicht anders aussehen, er k o e n n e sein Gesicht, seine Gestalt nicht v e r w a n d e l n? Nein, man lese: "Auch die Kultur, die alle Welt beleckt, Hat auf den Teufel sich erstreckt; Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen, Wo siehst du Hoerner, Schweif und Klauen? Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut, Ich bin ein Kavalier wie andre Kavaliere." Und an einem andern Ort laesst er mich mein Gesicht ein "Maeskchen" nennen; folglich kann er sich eine Maske geben, kann sich verwandeln; aber, wie gesagt, der Dichter hat sich begnuegt, das n o r d i s c h e P h a n t o m dennoch beizubehalten, nur dass er mich von "H o e r n e r n, S c h w e i f u n d K l a u e n" dispensiert. Dies ist das Bild des Mephistopheles, dies ist Goethes Teufel, jenes nordische Phantom soll mich vorstellen. Darf nun ein vom Dichter so hochgestellter Mensch durch eine so niedrige Kreatur, die sich schon durch ihre Maske verdaechtig macht, ins Verderben gefuehrt werden? Darf jener grosse Geist, der noch in seinem Falle die uebrigen hoch ueberragt, darf er durch einen gewoehnlichen "Bruder Liederlich", als welchen sich Mephisto ausweist, herabgezogen werden? Und--muss nicht d i e s e Maske der Wuerde jener Tragoedie Eintrag tun? Doch ich schweige. An geschehenen Dingen ist nichts zu aendern, und meine verehrte Grossmutter wuerde ueber diesen Gegenstand zu mir sagen: "Soehnchen! Diabole! Bedenke, dass ein grosser Dichter ein grosses Publikum haben und um ein grosses Publikum zu bekommen, so populaer als moeglich sein muss." * * * * * SIEBZEHNTES KAPITEL. Der Besuch. Bei diesem allen bleibt Faust ein erhabenes Gedicht und G o e t h e einer der ersten Geister seiner Zeit, und man darf sich daher nicht wundern, dass ich ein grosses Verlangen in mir fuehlte, diesen Mann einmal zu sehen. Ich haette ihm einen unerwarteten Besuch machen koennen; ja, wenn ich oft recht aergerlich ueber mein Zerrbild war, stand ich auf dem Sprung, ihm einmal im Kostuem des Mephistopheles naechtlicherweile zu erscheinen, um ihm einigen Schrecken in die Glieder zu jagen; aber eine gewisse Gutmuetigkeit, die man zuweilen an mir gefunden hat, hielt mich immer wieder ab, dem alten Mann eine schlaflose Nacht zu machen. Ich entschloss mich daher, als _Doctor legens_, ein ehrsamer Titel auf Reisen, ihn zu besuchen, und als solcher kam ich in Weimar an. Es ist mit beruehmten Leuten wie mit einem fremden Tiere. Kommt ein ehrlicher Paechter mit seiner Familie in die Stadt auf den Jahrmarkt, so ist sein erstes, dass er in der Schenke den Hausknecht fragt: "Wann kann man den Loewen sehen, Bursche?" "Mein Herr," antwortet der Gefragte, "die Affen und der Seehund sind den ganzen Tag zu haben, der Loewe aber ist am besten aufgelegt, wenn er das Futter im Leibe hat; daher rate ich, um jene Zeit hinzugehen." Gerade so erging es mir in Weimar. Ich fuhr von Jena aus mit einem jungen Amerikaner hinueber. Auch in sein Vaterland war des Dichters Ruhm schon laengst gedrungen, und er machte auf der grossen Tour durch Europa dem beruehmten Manne zu Ehren schon einen Umweg von zwanzig Meilen. In dem Gasthof, wo wir abgestiegen waren, fragten wir sogleich, um welche Zeit wir bei Herrn von Goethe vorkommen koennten? Wir waren in Reisekleidern, die besonders bei meinem Gefaehrten etwas unscheinbar geworden waren. Der Wirt musterte uns daher mit misstrauischen Blicken und fragte, ehe er noch unsere Frage beantwortete, ob wir auch Fraecke bei uns haetten. Wir waren gluecklicherweise beide damit versehen, und unser Wirt versprach, uns sogleich anmelden zu lassen. "Sie werden wahrscheinlich nach dem Diner, um fuenf Uhr, angenommen werden. Um diese Zeit sind Seine Exzellenz am besten ja sprechen. Zweifle auch gar nicht, dass Sie angenommen werden, denn wenn man, wie der Herr hier, eigens deswegen aus Amerika nach Weimar kommt, waere es doch unbarmherzig, einen ungesehen wieder fortzuschicken." Dieser Patriotismus ging wahrhaftig sehr weit. Doch wir liessen den guten Mann in dem Glauben, der junge Philadelphier komme _recta_ nach Weimar und gehe von da wieder heim. Uebrigens hatte er richtig prophezeit: _Doctor legens_ Supfer, wie ich mich nannte, und Forthill aus Amerika waren auf fuenf Uhr bestellt. Endlich schlug die Stunde, wir machten uns auf den Weg. Der Dichter wohnt sehr schoen. Eine sanfte, geschmackvolle, mit Statuen dekorierte Treppe fuehrt zu ihm. Eine tiefe, geheimnisvolle Stille lag auf dem Hausgang, den wir betraten. Schweigend fuehrte uns der Diener in das Besuchszimmer. Behagliche Eleganz, Zierlichkeit und Feinheit, verbunden mit Wuerde, zeichneten dieses Zimmer aus. Mein junger Gefaehrte betrachtete staunend diese Waende, diese Bilder, diese Meubles. So hatte er sich wohl das S t u e b c h e n d e s D i c h t e r s nicht vorgestellt. Mit der Bewunderung dieser Umgebungen schien auch die Angst vor der Groesse des Erwarteten zu steigen. Alle Nueancen von Rot wechselten auf seinem angenehmen Gesicht. Sein Herz pochte hoerbar, sein Auge war starr an die Tuere geheftet, durch welche der Gefeierte eintreten musste. Ich hatte indes Musse genug, ueber den grossen Mann nachzudenken. Wieviel weiter, sagte ich mir, wie unendlich weiter helfen dem Sterblichen Gaben des Geistes als der zufaellige Glanz der Geburt. Der Sohn eines unscheinbaren Buergers von Frankfurt hat hier die hoechste Stufe erreicht, die dem Menschen nach dem gewoehnlichen Laufe der Dinge offen steht. Es hat schon mancher diese Stufe erstiegen. Geschaeftsmaenner vom Fach haben vom bescheidenen Plaetzchen an der Tuere alle Sitze ihrer Kollegien durchlaufen, bis endlich der Stuhl, der zunaechst am Throne steht, sie in seine Arme aufnahm. Mancher hat sich auf dem Schlachtfeld das Portefeuille erkaempft--Goethe hat sich seine eigene Bahn gebrochen, auf welcher ihm keiner voranging, ihm noch keiner gefolgt ist. Er hat bewiesen, dass der Mensch k a n n, was er will. Denn man sage mir nichts von einem das All umfassenden Genie, von einem Geiste, der sein Zeitalter gebildet, es stufenweise zu dem Hoeheren gefuehrt habe--das Zeitalter hat i h n gebildet. Ich kann mir noch wohl denken, welch heilloses Leben "Werther" in dem lieben Deutschland machte. Die Lotten schienen wie durch einen Zauberschlag aus dem Boden zu wachsen. Die Zahl der Werther war Legion. Aber was war hierin Goethes Verdienst? Hatte es wirklich nur daran gefehlt, dass er das Hoernchen an den Mund setzte, und bei dem ersten Ton, den er angab, mussten Pfaffe und Laie, Noennchen und Daemchen in wunderlichen Kapriolen ihren Sankt-Veitstanz beginnen? Wie heisst dieses grosse schoepferische Geheimnis? A l l e s z u r r e c h t e n Z e i t. Der "Siegwart" hatte die harten Herzen abgetaut und sie fuer allen moeglichen Jammer, fuer Mondschein und Graeber empfaenglich gemacht, da kommt Goethe-- Die Tuere ging auf,--er kam. Dreimal bueckten wir uns tief--und wagten es dann, an ihm hinauf zu blinzeln. Ein schoener, stattlicher Greis! Augen so klar und helle wie die eines Juenglings, die Stirn voll Hoheit, der Mund voll Wuerde und Anmut. Er war angetan mit einem feinen, schwarzen Kleid, und aus seiner Brust glaenzte ein schoener Stern.--Doch er liess uns nicht lange Zeit zu solchen Betrachtungen. Mit der feinen Wendung eines Weltmannes, der taeglich so viele Bewunderer bei sich sieht, lud er uns zum Sitzen ein. Was war ich doch fuer ein Esel gewesen, in dieser so gewoehnlichen Maske zu ihm zu gehen! _Doctores legentes_ mochte er schon viele Hunderte gesehen haben. Amerikaner, die, wie unser Wirt meinte, ihm zulieb auf die See gingen, gewiss wenige. Daher kam es auch, dass er sich meist mit meinem Gefaehrten unterhielt. Haette ich mich doch fuer einen gelehrten Irokesen oder einen schoenen Geist vom Mississippi ausgegeben! Haette ich ihm nicht Wunderdinge erzaehlen koennen, wie sein Ruhm bis jenseits des Ohio gedrungen, wie man in den Cabanen von Louisiana ueber ihn und seinen "Wilhelm Meister" sich unterhalte?--So wurden mir einige unbedeutende Floskeln zuteil, und mein gluecklicherer Gefaehrte durfte den grossen Mann unterhalten. Wie falsch sind aber oft die Begriffe, die man sich von der Unterhaltung mit einem grossen Manne macht! Ist er als witziger Kopf bekannt, so waehnt man, wenn man ihn zum erstenmal besucht, einer Art von Elektrisiermaschine zu nahen. Man schmeichelt ihm, man glaubt, er muesse dann Witzfunken von sich strahlen, wie die schwarzen Katzen, wenn man ihnen bei Nacht den Ruecken streichelt. Ist er ein Romandichter, so spitzt man sich auf eine interessante Novelle, die der Beruehmte zur Unterhaltung nur geschwind aus dem Aermel schuetteln werde. Ist er gar ein Dramatiker, so teilt er uns vielleicht freundschaftlich den Plan zu einem neuen Trauerspiel mit, den wir dann ganz warm unsern Bekannten wieder vorsetzen koennen. Ist er nun gar ein umfassender Kopf wie Goethe, einer, der so zu sagen in allen Saetteln gerecht ist--wie interessant, wie belehrend muss die Unterhaltung werden! Wie sehr muss man sich aber auch zusammennehmen, um ihm zu genuegen! Der Amerikaner dachte auch so, ehe er neben Goethe sass. Sein Ich fuhr, wie das des guten Walt, ehe er zum Flitte kam [Fussnote: Jean Pauls Flegeljahre], aengstlich oben in allen vier Gehirnkammern und darauf unten in beiden Herzkammern wie eine Maus umher, um darin ein schmackhaftes Ideenkoernchen aufzutreiben, das er ihm zutragen und vorlegen koennte zum Imbiss. Er blickte angstvoll auf die Lippen des Dichters, damit ihm kein Woertchen entfalle, wie der Kandidat auf den strengen Examinator; er knickte seinen Hut zusammen und zerpflueckte einen glacierten Handschuh in kleine Stuecke. Aber welcher Zentnerstein mochte ihm vom Herz fallen, als der Dichter aus seinen Hoehen zu ihm herabstieg und mit ihm sprach wie Hans und Kunz in der Kneipe. Er sprach naemlich mit ihm vom guten Wetter in Amerika, und indem er ueber das Verhaeltnis der Winde zu der Luft, der Duenste des wasserreichen Amerikas zu denen in unserem alten Europa sich verbreitete, zeigte er uns, dass das All der Wissenschaft in ihm aufgegangen sei; denn er war nicht nur lyrischer und epischer Dichter, Romanist und Novellist, Lustspiel- und Trauerspieldichter, Biograph (sein eigener) und Uebersetzer--nein, er war auch sogar Meteorolog! Wer darf sich ruehmen, so tief in das geheimnisvolle Reich des Wissens eingedrungen zu sein? Wer kann von sich sagen, dass er mit jedem seine Sprache, d. h. nicht seinen vaterlaendischen Dialekt, sondern das, was ihm gerade gelaeufig und wert sein moechte, sprechen koenne! Ich glaube, wenn ich mich als reisender Koch bei ihm aufgefuehrt haette, er haette sich mit mir in gelehrte Diskussionen ueber die geheimnisvolle Komposition einer Gaenseleberpastete eingelassen oder nach einer Sekundenuhr berechnet, wie lange man ein Beefsteak auf jeder Seite schmoren muesse. Also ueber das schoene Wetter in Amerika sprachen wir, und siehe--das Armesuendergesicht des Amerikaners hellte sich auf, die Schleusen seiner Beredsamkeit oeffneten sich--er beschrieb den feinen, weichen Regen von Kanada, er liess die Fruehlingsstuerme von New York brausen und pries die Regenschirmfabrik in der Franklinstrasse zu Philadelphia. Es war mir am Ende, als waere ich gar nicht bei Goethe, sondern in einem Wirtshause unter guten alten Gesellen, und es wuerde bei einer Flasche Bier ueber das Wetter gesprochen, so menschlich, so kordial war unser Diskurs; aber das ist ja gerade das grosse Geheimnis der Konversation, dass man sich angewoehnt--nicht gut zu s p r e c h e n, sondern gut zu h o e r e n. Wenn man dem weniger Gebildeten Zeit und Raum gibt zu sprechen, wenn man dabei ein Gesicht macht, als lausche man aufmerksam auf seine Honigworte, so wird er nachher mit Enthusiasmus verkuenden, dass man sich bei dem und dem koestlich unterhalte. Dies wusste der vielerfahrene Dichter, und statt uns von seinem Reichtum ein Scherflein abzugeben, zog er es vor, mit uns Witterungsbeobachtungen anzustellen. Nachdem wir ihn hinlaenglich ennuyiert haben mochten, gab er das Zeichen zum Aufstehen, die Stuehle wurden gerueckt, die Huete genommen und wir schickten uns an, unsere Abschiedskomplimente zu machen. Der gute Mann ahnte nicht, dass er den Teufel zitiere, als er grossmuetig wuenschte, mich auch ferner bei sich zu sehen, ich sagte ihm zu und werde es seiner Zeit schon noch halten; denn wahrhaftig, ich habe seinen Mephistopheles noch nicht hinuntergeschluckt. Noch einen--zwei Buecklinge, wir gingen. Stumm und noch ganz stupid vor Bewunderung folgte mir der Amerikaner nach dem Gasthof; die Roete des lebhaften Diskurses lag noch auf seiner Wange, zuweilen schlich ein beifaelliges Laecheln um seinen Mund, er schien hoechst zufrieden mit dem Besuch. Auf unserem Zimmer angekommen, warf er sich heroisch auf einen Stuhl und liess zwei Flaschen Champagner auftragen. Der Kork fuhr mit einem Freudenschuss an die Decke, der Amerikaner fuellte zwei Glaeser, bot mir das eine und stiess an auf das Wohl jenes grossen Dichters. "Ist es nicht etwas Erfreuliches," sagte er, "zu finden, so hocherhabene Maenner seien wie unsereiner? War mir doch angst und bange vor einem Genie, das dreissig Baende geschrieben; ich darf gestehen, bei dem Sturm, der uns auf offener See erfasste, war mir nicht so bange. Und wie herablassend war er, wie vernuenftig hat er mit uns diskuriert, welche Freude hatte er an mir, wie ich aus dem neuen Lande kam!" Er schenkte sich dabei fleissig ein und trank auf seine und des Dichters Gesundheit, und von der erlebten Gnade und vom Schaumwein benebelt, sank er endlich mit dem Entschluss, Amerikas Goethe zu werden, dem Schlaf in die Arme. Ich aber setzte mich zu dem Rest der Bouteillen. Dieser Wein ist von allen Getraenken der Erde der, welcher mir am meisten behagt, sein leichter, fluechtiger Geist, der so wenig irdische Schwere mit sich fuehrt, macht ihn wuerdig, von Geistern, wenn sie in menschlichen Koerpern die Erde besuchen, gekostet zu werden. Ich musste laecheln, wenn ich auf den seligen Schlaefer blickte; wie leicht ist es doch fuer einen grossen Menschen, die andern Menschen gluecklich zu machen; er darf sich nur stellen, als waeren sie ihm so ziemlich gleich, und sie kommen beinahe vom Verstand. Dies war mein Besuch bei Goethe, und wahrhaftig, ich bereute nicht, bei ihm gewesen zu sein, denn "Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern Und huete mich, mit ihm zu brechen, Es ist gar huebsch von einem grossen Herrn, So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen." * * * * * DER FESTTAG IM FEGEFEUER. Eine Skizze. "Das groesste Glueck der Geschichtschreiber ist, dass die Toten nicht gegen ihre Ansichten protestieren koennen." Welt und Zeit. I. ACHTZEHNTES KAPITEL. Beschreibung des Festes. Satan lernt drei merkwuerdige Subjekte kennen. Ich teile hier einen Abschnitt aus meinen Memoiren mit, welcher zwar nicht mich selbst betrifft, den ich mir aber aufzeichnete, weil er mir sehr interessant war und vielleicht auch andern nicht ohne einiges Interesse sein moechte. Er fuehrt die Aufschrift: "D e r F e s t t a g i m F e g e f e u e r" und kam durch folgende Veranlassung zu diesem Titel. Es ist auf der Erde bei allen grossen Herren und Potentaten Sitte, ihre Freude und ihre Trauer recht laut und deutlich zu begehen. Wenn ein aus fuerstlichem Blute stammender Leib dem Staube wiedergegeben wird, haben die Kuester im Lande schwere Arbeit; denn man laeutet viele Tage lang alle Glocken. Wird eine Prinzessin oder gar ein Stammhalter geboren, so verkuendet schrecklicher Kanonendonner diese Nachricht. Landesvaeterliche oder landesmuetterliche Geburtstage werden mit allem moeglichen Glanz begangen. Die Buergermilizen ruecken aus, die Honoratioren halten einen Schmaus, abends ist Ball oder doch wenigstens in den Landstaedtchen _biere dansante_. Kurz, alles lebt _in dulci jubilo_ an solchen Tagen. Um nun meiner guten G r o s s m u t t e r eine Ehre zu erweisen, hielt ich es auch schon seit mehreren Jahrhunderten so. Im Fegefeuer, wo sie sich gewoehnlich aufhaelt, ist immer an diesem Tage allgemeine Seelenfreiheit. Die Seelen bekommen diesen Tag ueber den Koerper, den sie auf der Oberwelt hatten, ihre Kleider, ihre Gewohnheiten, ihre Sitten. Was von Adel da ist, muss Deputationen zum Handkuss der Alten schicken (_in pleno_ koennen sie nicht vorgelassen werden, weil sonst die Prozession einige Tage lang dauerte). Ehemalige Hofmarschaelle, Kammerherren usw. haben den grossen Dienst und schaetzen es sich zur Ehre, die Honneurs zu machen, die Festlichkeiten zu leiten, die Touren bei den Baellen, welche abends gegeben werden, zu arrangieren usw. Ich erfuelle durch diese Festlichkeiten einen doppelten Zweck. Einmal fuehlt sich _chere Grande-Mama_ ungemein geschmeichelt durch diese Aufmerksamkeit, zweitens gelte ich unter den Seelen fuer einen honetten Mann, der ihnen auch ein Vergnuegen goennt, drittens macht dieser einzige Tag, in Freude und alten Gewohnheiten zugebracht, dass die Seelen sich nachher um so ungluecklicher fuehlen, was ganz zu dem Zweck einer solchen Anstalt, wie das Fegefeuer ist, passt. An einem solchen Festtag gehe ich dann verkleidet durch die Menge. Manchmal erkennt man mich zwar, ein tausendstimmiges "Vivat der Herr Teufel! _Vive le diable_!" erfreut dann mein landesvaeterliches Herz; doch weiss ich wohl, dass es nicht weniger erzwungen ist als ein H u r r a auf der Oberwelt; denn sie glauben, ich druecke sie noch mehr, wenn sie n i c h t schreien. In meinem Inkognito besuche ich dann die verschiedenen Gruppen. _Tout comme chez vous_, meine Herren, nur etwas grotesker; Kaffeegesellschaften, Tee von allen Sorten, diplomatische, militaerische, theologische, staatswirtschaftliche, medizinische Klubs finden sich, wie durch natuerlichen Instinkt zusammen, machen sich einen guten Tag und fuehren ergoetzliche Gespraeche, die, wenn ich sie mitteilen wollte, auf manches Ereignis neuerer und aelterer Zeit ein huebsches Licht werfen wuerden. Einst trat ich in einen Saal des _Cafe de Londres_ (denn, nebenbei gesagt, es ist an diesem Tage alles auf grossem Fuss und hoechst elegant eingerichtet); ich traf dort nur drei junge Maenner, die aber durch ihr Aeusseres gleich meine Neugierde erweckten und mir, wenn sie ins Gespraech miteinander kommen sollten, nicht wenig Unterhaltung zu versprechen schienen. Ich verwandelte daher meinen Anzug in das Kostuem eines flinken Kellners und stellte mich in den Saal, um die Herrschaften zu bedienen. Zwei dieser jungen Leute beschaeftigten sich mit einer Partie Billard. Ich markierte ihnen und betrachtete mir indes den dritten. Er war nachlaessig in einen geraeumigen Fauteuil zurueckgelehnt, seine Beine ruhten auf einem vor ihm stehenden kleineren Stuhl, seine linke Hand spielte nachlaessig mit einer Reitgerte, sein rechter Arm unterstuetzte das Kinn. Ein schoener Kopf! Das Gesicht laenglich und sehr bleich. Die Stirne hoch und frei, von hellbraunen, wohlfrisierten Haaren umgeben, die Nase gebogen und spitzig, wie aus weissem Wachs geformt, die Lippen duenn und angenehm gezogen, das Auge blau und hell, aber gewoehnlich kalt und ohne alles Interesse langsam ueber die Gegenstaende hingleitend. Dies alles und ein feiner Hut, enger oben als unten, nachlaessig auf ein Ohr gedrueckt, liessen mich einen Englaender vermuten. Sein sehr feines, blendend weisses Leinenzeug, die gewaehlte, ueberaus einfache Kleidung konnte nur einem Gentleman, und zwar aus den hoechsten Staenden, gehoeren. Ich sah in meiner Liste nach und fand, es sei Lord Robert Fotherhill. Er winkte, indem ich ihn so betrachtete, mit den Augen, weil es ihm wahrscheinlich zu unbequem war, zu rufen. Ich eilte zu ihm und stellte auf seinen Befehl ein grosses Glas Rum, eine Havannazigarre und eine brennende Wachskerze vor ihn hin. Die beiden anderen Herren hatten indes ihr Spiel beendigt und nahten sich dem Tische, an welchem der Englaender sass; ich warf schnell einen Blick in meine Liste und erfuhr, der eine sei ein junger Franzose, Marquis de Lasulot, der andere ein Baron von Garnmacher, ein Deutscher. Der Franzose war ein kleines, untersetztes, gewandtes Maennchen. Sein schwarzes Haar und der dickgelockte, schwarze Backenbart standen sehr huebsch zu einem etwas verbrannten Teint, hochroten Wangen und beweglichen, freundlichen schwarzen Augen; um die vollen Lippen und das wohlgenaehrte Kinn zog sich jenes schoene, unnachahmliche Blau, welches den Damen so wohl gefallen soll und in England und Deutschland bei weitem seltener als in suedlichen Laendern gefunden wird, weil hier der Bartwuchs dunkler, dichter und auch frueher zu sein pflegt als dort. Offenbar ein Incroyable von der Chaussee d'Antin! Das elegante Neglige, wie es bis auf die geringste Kleinigkeit hinaus der eigensinnige Geschmack der Pariser vor vier Monaten (so lange mochte der junge Herr bereits verstorben sein) haben wollte. Von dem mit zierlicher Nachlaessigkeit umgebundenen ostindischen Halstuch, dem kleinen blassroten Schal mit einer Nadel _a la Duc de Berry_ zusammengehalten, bis hinab auf die Gamaschen, die man damals seit drei Tagen nach innen zuknoepfte, bis auf die Schuhe, die, um als modisch zu gelten, an den Spitzen nach der grossen Zehe sich hinneigen und ganz ohne Absatz sein mussten, ich sage, bis auf jene Kleinigkeiten, die einem Uneingeweihten geringfuegig und miserabel, einem, der in die Mysterien hinlaenglich eingefuehrt ist, wichtig und unumgaenglich notwendig erscheinen, war er gewissenhaft und nach den neuesten Geschmack fuer den Morgen angezogen. Er schien soeben erst seinem Jean die Zuegel seines Kabrioletts in die Hand gedrueckt, die Peitsche von geglaettetem Fischbein kaum in die Ecke des Wagens gelehnt zu haben und jetzt in mein Cafe hereingeflogen zu sein, mehr um gesehen zu werden, als zu sehen, mehr um zu schwatzen, als zu hoeren. Er lorgnettierte fluechtig den Gentleman im Fauteuil, schien sich an dem ungemeinen Rumglas und dem Rauchapparat, den jener vor sich hatte, ein wenig zu entsetzen, schmiegte sich aber nichtsdestoweniger an die Seite Seiner Lordschaft und fing an zu sprechen: "Werden Sie heute abend den Ball besuchen, mein Herr, den uns _Monseigneur le diable_ gibt? Werden viele Damen dort sein, mein Herr? Ich frage, ich bitte Sie, weil ich wenig Bekanntschaft hier habe. "Mein Herr darf ich Ihnen vielleicht meinen Wagen anbieten, um uns beide hinzufuehren? Es ist ein ganz honettes Ding, dieser Wagen, habe ich die Ehre, Sie zu versichern, mein Herr; er hat mich bei Latonnier vor vier Monaten achtzehnhundert Franken gekostet. Mein Herr, Sie brauchen keinen Bedienten mitzunehmen, wenn ich die Ehre haben sollte, Sie zu begleiten; mein Jean ist ein Wunderkerl von einem Bedienten." So ging es im Galopp ueber die Zunge des Incroyable. Seine Lordschaft schien sich uebrigens nicht sehr daran zu erbauen. Er sah bei den ersten Worten den Franzosen starr an, richtete dann den Kopf ein wenig auf, um seine rechte Hand freizumachen, ergriff mit dieser--die erste Bewegung seit einer halben Stunde--das Kelchglas, nippte einige Zuege Rum, rauchte behaglich seine Zigarre an, legte den Kopf wieder auf die rechte Hand und schien dem Franzosen mehr mit dem Auge als mit dem Ohr zuzuhoeren und auch auf diese Art antworten zu wollen; denn er erwiderte auch nicht eine Silbe auf die Einladung des redseligen Franzosen und schien, wie sein Landsmann Shakespeare sagt, "Der Zaehne doppelt Gatter" vor seine Sprachorgane gelegt zu haben. Der Deutsche hatte sich waehrend dieses Gespraeches dem Tische genaehert, eine hoefliche Verbeugung gemacht und einen Stuhl dem Lord gegenueber genommen. Man erlaube mir, auch ihn ein wenig zu betrachten. Es war, was man in Deutschland einen g e w i c h s t e n j u n g e n M a n n zu nennen pflegt, ein Stutzer; er hatte blonde, in die Hoehe strebende Haare, an die etwas niedere Stirn schloss sich ein allerliebstes Stumpfnaeschen, ueber den Mund hing ein Stutzbaertchen, dessen Enden hinaufgewirbelt waren, seine Miene war gutmuetig, das Auge hatte einen Ausdruck von Klugheit, der, wie gut angebrachtes Licht auf einem grobschattierten Holzschnitt, keinen uebeln Effekt hervorbrachte. Seine Kleidung wie seine Sitten schien er von verschiedenen Nationen entlehnt zu haben. Sein Rock mit vielen Knoepfen und Schnueren war polnischen Ursprungs; er war auf russische Weise auf der Brust vier Zoll hoch wattiert, schloss sich spannend ueber den Hueften und formierte die Taille so schlank, als die einer huebschen Altenburgerin; er hatte ferner enge Reithosen an, weil er aber nicht selbst ritt, so waren solche nur aus duennem Nanking verfertigt; aus eben diesem Grunde mochten auch die Sporen mehr zur Zierde und zu einem wohltoenenden, Aufmerksamkeit erregenden Gang als zum Antreiben eines Pferdes dienen. Ein feiner italienischer Strohhut vollendete das gewaehlte Kostuem. Ich sehe es einem gleich bei der Art, wie er den Stuhl nimmt und sich niedersetzt, an, ob er viel in Zirkeln lebte, wo auch die kleinste Bewegung von den Gesetzen des Anstandes und der feinen Sitte geleitet wird; der Stutzer setzte sich passabel, doch bei weitem nicht mit jener feinen Leichtigkeit wie der Franzose, und der Englaender zeigte selbst in seiner nachlaessigen, halb sitzenden, halb liegenden Stellung mehr Wuerde als jener, der sich so gut aufrecht hielt, als es nur immer ein Tanzmeister lehren kann. Diese Bemerkungen, zu welchen ich vielleicht bei weitem mehr Worte verwendet habe, als es dem Leser dieser Memoiren noetig scheinen moechte, machte ich in einem Augenblicke; denn man denke sich nicht, dass der junge Deutsche mir so lange gesessen, bis ich ihn gehoerig abkonterfeit hatte. Der Marquis wandte sich sogleich an seinen neuen Nachbar. "Mein Gott, Herr von Garnmacher," sagte er "ich moechte verzweifeln; der englische Herr da scheint mich nicht zu verstehen, und ich bin seiner Sprache zu wenig maechtig, um die Konversation mit gehoeriger Lebhaftigkeit zu fuehren; denn ich bitte Sie, mein Herr, gibt es etwas Langweiligeres, als wenn drei schoene junge Leute beieinander sitzen und keiner den andern versteht?" "Auf Ehre, Sie haben recht," antwortete der Stutzer in besserem Franzoesisch, als ich ihm zugetraut haette; "man kann sich zur Not denken, dass ein Tuerke mit einem Spanier Billard spielt; aber ich sehe nicht ab, wie wir unter diesen Umstaenden mit dem Herrn plaudern koennen." "_J'ai bien compris, Messieurs,_" sagte der Lord ganz ruhig neben seiner Zigarre vorbei, und nahm wieder einigen Rum zu sich. "Ist's moeglich, Mylord?" rief der Franzose vergnuegt, "das ist sehr gut, dass wir uns verstehen koennen! Markoer, bringen Sie mir Zuckerwasser! O, das ist vortrefflich, dass wir uns verstehen, welch schoene Sache ist es doch um die Mitteilung, selbst an einem Ort wie dieser hier." "Wahrhaftig, Sie haben recht, Bester," gab der Deutsche zu; "aber wollen wir nicht zusammen ein wenig umherschlendern, um die schoene Welt zu mustern? Ich nenne Ihnen schoene Damen von Berlin, Wien, von allen moeglichen Staedten meines Vaterlandes, die ich bereist habe; ich hatte oben grosse Bekanntschaften und Konnexionen und darf hoffen, an diesem verfl------Ort manche zu treffen, die ich zu kennen das Glueck hatte; Mylord nennt uns die Schoenen von London, und Sie, teuerster Marquis, koennen uns hier Paris im kleinen zeigen." "Gott soll mich behueten," entgegnete eifrig der Franzose, indem er nach der Uhr sah; "jetzt, um diese fruehe Stunde wollen Sie die schoene Welt mustern? Meinen Sie, mein Herr, ich habe in diesem _detestable purgatoire_ so sehr allen guten Ton verlernt, dass ich jetzt auf die Promenade gehen sollte?" "Nun, nun," antwortete der Stutzer, "ich meine nur, im Fall wir nichts Besseres zu tun wuessten. Sind wir denn nicht hier wie die drei Maenner im Feuerofen? Sollen wir wohl ein Loblied singen wie jene? Doch, wenn es Ihnen gefaellig ist, mein Herr, uns einen Zeitvertreib vorzuschlagen, so bleibe ich gerne hier." "Mein Gott," entgegnete der Incroyable; "ist dies nicht ein so anstaendiges Cafe als Sie in ganz Deutschland keines haben? Und fehlt es uns an Unterhaltung? Koennen wir nicht plaudern, soviel wir wollen? Sagen Sie selbst, Mylord, ist es nicht ein gutes Haus, kann man diesen Salon besser wuenschen? Nein! _Monsieur le diable_ hat Geschmack in solchen Dingen, das muss man ihm lassen." "_Une confortable maison_!" murmelte Mylord und winkte dem Franzosen Beifall zu. "_Et ce salon confortable_!" "Gute Tafel, mein Herr?" fragte der Marquis, "nun, die wird auch da sein; ich denke mir, man speist wohl nach der Karte? Aber, meine Herren, was sagen Sie dazu, wenn wir uns zur Unterhaltung gegenseitig etwas aus unserem Leben erzaehlen wollten? Ich hoere so gerne interessante Abenteuer, und Baron Garnmacher hat deren wohl so viele erlebt als Mylord?" "_Goddam_! das war ein vernuenftiger Einfall, mein Herr," sagte der Englaender, indem er mit der Reitgerte auf den Tisch schlug, die Fuesse von dem Stuhl herabzog und sich mit vieler Wuerde in dem Fauteuil zurecht setzte; "noch ein Glas Rum, Markoer!" "Ich stimme bei," rief der Deutsche, "und mache Ihnen ueber Ihren gluecklichen Gedanken mein Kompliment, Herr von Lasulot.--Eine Flasche Rheinwein, Kellner!--Wer soll beginnen zu erzaehlen?" "Ich denke, wir lassen dies das Los entscheiden," antwortete Lord Fotherhill, "und ich wette fuenf Pfund, der Marquis muss beginnen." "Angenommen, mein Herr," sagte mit angenehmem Laecheln der Franzose; "machen Sie die Lose, Herr Baron, und lassen Sie uns ziehen, Nummer Zwei soll beginnen." Baron Garnmacher stand auf und machte die Lose zurecht, liess ziehen, und die zweite Nummer fiel auf ihn selbst. Ich sah den Franzosen dem Lord einen bedeutenden Wink zuwerfen, indem er das linke Auge zugedrueckt, mit dem rechten auf den Deutschen hinueberdeutete; ich uebersetzte mir diesen Wink so: "Geben Sie einmal acht, Mylord, was wohl unser ehrlicher Deutscher vorbringen mag. Denn wir beide sind schon durch den Rang unsrer Nationen weit ueber ihn erhaben." Baron von Garnmacher schien aber den Wink nicht zu beachten; mit grosser Selbstgefaelligkeit trank er ein Glas seines Rheinweins, wischte in der Eile den Stutzbart mit dem Rockaermel ab und begann. * * * * * NEUNZEHNTES KAPITEL. Geschichte des deutschen Stutzers. "Als mein Grossvater, der Kaiserlich-Koeniglich--" "Ich bitte Sie, mein Herr," unterbrach ihn der Incroyable, "verschonen Sie uns mit dem Grosspapa und fangen Sie gleich bei Ihrem Vater an; was war er?" "Nun ja, wenn es Ihnen so lieber ist; aber ich haette mich gerne bei dem Glanze unserer Familie laenger verweilt; mein Vater lebte in Dresden auf einem ziemlich grossen Fuss--" "Was war er denn, der Herr Papa? Sie verzeihen, wenn ich etwas zu neugierig erscheine, aber zu einer Geschichte gehoert Genauigkeit." "Mein Vater," fuhr der Stutzer etwas missmutig fort, "war Kleiderfabrikant _en gros_--" "Wie," fragte der Lord, "was ist Kleiderfabrikant? Kann man in Deutschland Kleider in Fabriken machen?" "Hol' mich der Teufel, wie er schon getan!" rief der Stutzer unwillig und stiess das Glas auf den Tisch. "Das ist nicht die Art, wie man seine Biographie erzaehlen kann, wenn man alle Augenblicke von kritischen Untersuchungen unterbrochen wird; mein Vater hatte ein Haus am Alt-Markt; darin hatte er ein Atelier und hielt Arbeiter, welche Kleider fuer die Leute machten!" "_Mon dieu_! Also war, er, was wir _tailleur_ nennen, ein Schneider?" "Nun, in Gottes Namen, nennen Sie es, wie Sie wollen; kurz, er hatte die Welt gesehen, machte ein Haus, und wenn er auch nicht den Adel und die ersten Buerger in seinen Soireen sah, so war doch ein gewisser guter Ton, ein gewisser Anstand, ein gewisses, ich weiss nicht was, kurz, es war ein ganz anstaendiger Mann, mein Papa." Mich selbst erfasste der Lachkitzel, als ich den _garcon tailleur_ so perorieren hoerte, doch ich fasste mich, um den Markoer nicht aus der Rolle fallen zu lassen. Der Marquis aber hatte sich zurueckgelehnt und wollte sich ausschuetten vor Lachen; der Englaender sah den Stutzer forschend an, unterdrueckte ein Laecheln, das seiner Wuerde schaden konnte, und trank Rum; der deutsche Baron aber fuhr fort: "Sie haetten mich, meine Herren, auf der Oberwelt in Daumenschrauben pressen koennen, und ich haette meine Maske nicht vor Ihnen abgenommen. Hier ist es ein ganz anderes Ding; wer kuemmert sich an diesem schlechten Ort um den ehemaligen Baron von Garnmacher? Darum verletzt mich auch Ihr Lachen nicht im geringsten; im Gegenteil, es macht mit Vergnuegen, Sie zu unterhalten!" "_Ah! ce noble trait_!" rief der Incroyable und wischte sich die Traenen aus dem Auge. "Reichen Sie mir die Hand und Lassen Sie uns Freunde bleiben. Was geht es mich an; ob Ihr Vater _duc_ oder _tailleur_ war, Erzaehlen Sie immer weiter. Sie machen es gar zu huebsch." "Ich genoss eine gute Erziehung; denn meine Mutter wollte mich durchaus zum Theologen machen, und weil dieser Stand in meinem Vaterlande der eigentlich privilegierte Gelehrtenstand ist, so wurde mir in meinem siebenten Jahre _mensa_, in meinem achten _amo_, in meinem zehnten _typto_, in meinem zwoelften _pakat_ eingeblaeut. Sie koennen sich denken, dass ich bei dieser ungemeinen Gelehrsamkeit keine gar angenehmen Tage hatte; ich hatte, was man einen harten Kopf nennt; das heisst, ich ging lieber aufs Feld, hoerte die Voegel singen oder sah die Fische den Fluss hinabgleiten, sprang lieber mit meinen Kameraden, als dass ich mich oben in der Dachkammer, die man zum Musensitz des kuenftigen Pastors eingerichtet hatte, mit meinem Broeder, Buttmann, Schroeder, und wie die Schrecklichen alle heissen, die den Knaben mit harten Koepfen wie boese Geister erscheinen, abmarterte. Ich hatte ueberdies noch einen andern Hang, der mir viele Zeit raubte; es war die von frueher Jugend an mit mir aufwachsende Neigung zu schoenen Maedchen. Sommers war es in meiner Dachkammer so gluehend heiss wie unter den Bleidaechern des Palastes Sankt Marco in Venedig; wenn ich dann das kleine Schiebefenster oeffnete, um den Kopf ein wenig in die frische Luft zu stecken, so fielen unwillkuerlich meine Augen auf den schoenen Garten unseres Nachbars, eines reichen Kaufmanns; dort unter den schoenen Akazien auf der weichen Moosbank sass Amalie, sein Toechterlein, und ihre Gespielinnen und Vertrauten. Unwiderstehlide Sehnsucht riss mich hin; ich fuhr schnell in meinen Sonntagsrock, frisierte das Haar mit den Fingern zurecht und war im Flug durch die Zaunluecke bei der Koenigin meines Herzens. Denn diese Charge bekleidete sie in meinem Herzen im vollsten Sinne des Wortes. Ich hatte in meinem elften Jahre den groessten Teil der Ritter- und Raeuberromane meines Vaterlandes gelesen, Werke, von deren Vortrefflichkeit man in andern Laendern keinen Begriff hat; denn die erhabenen Namen Cramer und Spiess sind nie ueber den Rhein oder gar den Kanal gedrungen. Und doch, wie viel hoeher stehen diese Buecher alle als jene Ritter- und Raeuberhistorien des Verfassers von Waverley, der kein anderes Verdienst hat, als auf Kosten seiner Leser recht breit zu sein. Hat der grosse Unbekannte solche vortrefflichen Stellen wie die, welche mir noch aus den Tagen meiner Kindheit im Ohr liegen: 'M i t t e r n a c h t, d u m p f e s G r a u s e n d e r N a t u r, R u e d e n g e b e l l, R i t t e r U r i a n t r i t t a u f.' Wem pocht nicht das Herz, wem straeubt sich nicht das Haar empor, wenn er nachts auf einer oeden, verlassenen Dachkammer dieses liest? Wie fuehlte ich da das 'G r a u s e n d e r N a t u r!' Und wenn der Hofhund sein Ruedengebell heulte, so war die Taeuschung so vollkommen, dass sich meine Blicke aengstlich an die schlecht verriegelte Tuere hefteten; denn ich glaubte nicht anders, als 'R i t t e r U r i a n t r e t e a u f!' Was war natuerlicher, als dass bei so lebhafter Einbildungskraft auch mein Herz Feuer fing? Jede Berta, die ihrem Ritter die Feldbinde umhing, jede Ida, die sich auf den Soeller begab, um dem den Schlossberg hinabdonnernden Liebsten noch einmal mit dem Schleier zuzuwedeln, jede Agnes, Hulda usw. verwandelten sich unwillkuerlich in Amalien. Doch auch s i e war diesem Tribut der Sterblichkeit unterworfen. Aus ihrer Sparbuechse naemlich wurden die Romane angeschafft. Wenn einer gelesen war, so empfing ich ihn, las ihn auch, trug ihn dann wieder in die Leihbibliothek und suchte dort immer die Buecher heraus, welche entweder keinen Ruecken mehr hatten oder vom Lesen so fett geworden waren, dass sie mich ordentlich a n g l a e n z t e n. Das sind so die echten nach unserem Geschmack, dachte ich, und sicher war es ein 'R i n a l d o R i n a l d i n i', ein 'D o m s c h u e t z', ein 'a l t e r U e b e r a l l u n d N i r g e n d s' oder sonst einer unserer Lieblinge. Zu Hause band ich ihn dann in alte lateinische Schriften ein; denn Amalie war sehr reinlich erzogen und haette, wenn auch das Innere des Romans nicht immer sehr rein war, doch nie mit blossen Fingern den fetten Glanz ihrer Lieblinge betastet. Ehrerbietig trug ich ihn dann in den Garten hinueber und ueberreichte ihn; und nie empfing ich ihn zurueck, ohne dass mir Amalie die schoensten Stellen mit Strickgarn ueber einer Stecknadel bezeichnet haette. So lasen und liebten wir; unsere Liebe richtete sich nach dem Vorbild, das wir gerade lasen; bald war sie zaertlich und verschaemt, bald feurig und stuermisch, ja, wenn Eifersuchten vorkamen, so gaben wir uns alle moegliche Muehe, einen Gegenstand, eine Ursache fuer unser namenloses Unglueck zu ersinnen. Mein gewoehnliches Verhaeltnis zu der reichen Kaufmannstochter war uebrigens das eines Edelknaben von dunkler Geburt, der an dem Hof eines grossen Grafen oder Fuersten lebt, eine unglueckliche Leidenschaft zu der schoenen Tochter des Hauses bekommt und endlich von ihr heimliche, aber innige Gegenliebe empfaengt. Und wie lebhaft wusste Amalie ihre Rolle zu geben; wie guetig, wie herablassend war sie gegen mich! Wie liebte sie den schoenen, ritterlichen Edelknaben, dem kein Hindernis zu schwer war, zu ihr zu gelangen, der den breiten Burggraben (die Entenpfuetze in unserem Hof) durchwatet, der die Zinnen des Walles (den Gartenzaun) erstiegen, um in ihr Gartengemach (die Moosbank unter den Akazien) sich zu schleichen. Tausend Dolche (die Naegel auf dem Zaun, die meinen Beinkleidern sehr gefaehrlich waren), tausend Dolche lauern auf ihn, aber die Liebe fuehrt ihn unbeschaedigt zu den Fuessen seiner Herrin. Das einzige Unglueck meiner Liebe war, dass wir eigentlich gar kein Unglueck hatten. Zwar gab es hie und da Grenzstreitigkeiten zwischen dem armen Ritter (meinem Vater) und dem reichen Fuersten (dem Kaufmann), wenn naemlich eines unserer Huehner in seinen Garten hinuebergeflogen war und auf seinen Mistbeeten spazieren ging, oder es kam sogar zu wirklicher Fehde, wenn der Fuerst einen Herold (seinen Ladendiener) zu uns herueberschickte und um den Tribut mahnen liess (weil mein Vater eine sehr grosse Rechnung in dem Kontobuche des Fuersten hatte). Aber dies alles war leider kein noetigendes Unglueck fuer unsere Liebe und diente nicht dazu, unsere Situation noch romantischer zu machen. Die einzige Folge, die aus meinem Leben und meiner Liebe entstand, war mein hartes Unglueck, immer unter den letzten meiner Klasse zu sein und von dem alten Rektor tuechtig Schlaege zu bekommen; doch auch darueber belehrte und troestete mich meine Herrin. Sie entdeckte mir naemlich, dass des Herzogs (des Rektors) aeltester Prinz um ihre Liebe gebuhlt und sie aus Liebe zu mir den Juengling abgewiesen habe; er habe gewiss unsere Liebe und den Grund seiner Abweisung entdeckt und sie dem alten Vater, dem Rektor, beigebracht, der sich dafuer auf eine so unwuerdige Art an mir raeche. Ich liess die Gute auf ihrem Glauben, wusste aber wohl, woher die Schlaege kamen; der alte Herzog wusste, dass ich die unregelmaessigen griechischen Verba nicht lernte, und d a f u e r bekam ich Schlaege. So war ich fuenfzehn und meine Dame vierzehn Jahre alt geworden, ungetruebt war bis letzt der Himmel unserer Liebe gewesen; da ereigneten sich mit einem Male zwei Ungluecksfaelle, wovon schon einer fuer sich hinreichend gewesen waere, mich aus meinen Hoehen herabzuschmettern. Es war die Zeit, wo nach dem Frieden von Paris die Fouqueschen Romane anfingen, in meinem Vaterlande Mode zu werden . . ." "Was ist das, Fouquesche Romane?" fragte der Lord. "Das sind lichtbraune, fromme Geschichtchen, doch durch diese Definition werden Sie nicht mehr wissen als vorher. Herr von Fouque ist ein frommer Rittersmann, der, weil es nicht mehr an der Zeit ist, mit Schwert und Lanze zu turnieren, mit der Feder in die Schranken reitet und kaempft wie der gewaltigen Waehringer einer. Er hat das ein wenig rohe und gemeine Mittelalter modernisiert aber vielmehr unsere heutige modische Welt in einigen frommen Mystizismus einbalsamiert und um fuenfhundert Jahre zurueckgeschoben. Da schmeckt nun alles ganz suesslich und sieht recht anmutig, lichtdunkel aus; die Ritter, von denen man vorher nichts anderes wusste, als sie seien derbe Landjunker gewesen, die sich aus Religion und feiner Sitte so wenig machten als der Grosstuerke aus dem sechsten Gebot, treten hier mit einer bezaubernden Courtoisie auf, sprechen in feinen Redensarten, sind hauptsaechlich f r o m m und k r e u z g l a e u b i g. Die Damen sind moderne Schwaermerinnen, nur keuscher, reiner, mit steifen Kragen angetan und ueberhaupt etwas ritterlich aufgeputzt. Selbst die edlen Rosse sind glaenzender als heutzutage und haben ordentlich Verstand, wie auch die Wolfshunde und andere solche Getiere." "_Mon dieu_! Solchen Unsinn liest man in Deutschland?" rief der Franzose und schlug vor Verwunderung die Haende zusammen. "O ja, meine Herren, man liest und bewundert. Es gab eine Zeit bei uns, wo wir davon zurueckgekommen waren, alles an fremden Nationen zu bewundern; da wir nun, auf unsere eigenen Herrlichkeiten beschraenkt, nichts an uns fanden, das wir bewundern konnten, als die _tempi passati_--so warfen wir uns mit unserem gewoehnlichen Nachahmungseifer auf diese und wurden allesamt altdeutsch. Mancher hatte aber nicht Phantasie genug, um sich ganz in jene herrlichen vergangenen Zeiten hineinzudenken, man fuehlte allgemein das Beduerfnis von Handbuechern, die, wie Modejournale neuerer Zeit, ueber Sitten und Gebraeuche bei unseren Vorfahren uns belehrt haetten; da trat jener fromme Ritter auf, ein zweiter Orpheus, griff er in die Saiten, und es entstand ein neu Geschlecht; die Maedchen, die bei den franzoesischen Garnisonen etwas frivol geworden waren, wurden sittige, keusche, fromme Fraeulein, die jungen Herren zogen die modischen Fraecke aus, liessen Haar und Bart wachsen, an die Hemden eine halbe Elle Leinwand setzen, und 'Kleider machen Leute,' sagt ein Sprichwort, _probatum est_; auch sie waren tugendlich, tapfer und fromm." "_Goddam_! Sie haben recht, ich habe solche Figuren gesehen," unterbrach ihn der Englaender; "vor acht Jahren machte ich die grosse Tour und kam auch nach der Schweiz. Am Vierwaldstaetter See liess ich mir den Ort zeigen, wo die Schweizer ihre Republiken gestiftet haben. Ich traf auf der Wiese eine Gesellschaft, die wunderlich, halb modern, halb aus den Garderoben frueherer Jahrhunderte sich gekleidet zu haben schien. Fuenf bis sechs junge Maenner sassen und standen auf der Wiese und blickten mit glaenzenden Augen ueber den See hin. Sie hatten wunderbare Muetzen auf dem Kopf, die fast anzusehen waren wie Pfannkuchen. Lange wallende Haare fielen in malerischer Unordnung auf Ruecken und Schultern; den Hals trugen sie frei und hatten breite, zierlich gestickte Kragen, wie heutzutage die Damen tragen, herausgelegt. Ein Rock, der offenbar von einem heutigen Meister, aber nach antiker Form gemacht war, kleidete sie nicht uebel; er schloss sich eng um den Leib und zeigte ueberall den schoenen Wuchs der jungen Maenner. In sonderbarem Kontrast damit standen weite Pluderhosen von grober Leinwand. Aus ihren Roecken sahen drohende Dolchgriffe hervor, und in der Hand trugen sie Beilstoecke, ungefaehr wie die roemischen Liktoren. Gar nicht recht wollte aber zu diesem Kostuem passen, dass sie Brillen auf der Nase hatten und gewaltig Tabak rauchten. Ich fragte meinen Fuehrer, was das fuer eine sonderbare Armatur und Uniform waere und ob sie vielleicht eine Besatzung der Gruetli-Wiese vorstellen sollten. Er aber belehrte mich, dass es fahrende Schueler aus Deutschland waeren. Unwillkuerlich draengte sich mir der Gedanke an den fahrenden Ritter Don Quichotte auf, ich stieg lachend in meinen Kahn und pries mein Glueck, auf einem Platz, der durch die erhabenen Erinnerungen, die er erweckt, nur zu leicht zu traeumerischen Vergleichungen fuehrt, eine so groteske Erscheinung aus dem Leben gehabt zu haben. Die jungen Deutschen soehnten mich aber wieder mit sich aus; denn als mein Kahn ueber den See hingleitete, erhoben sie einen vierstimmigen Gesang in so erhabener Melodie, mit so wuerdigen, ergreifenden Wendungen, dass ich ihnen im Gedanken das Vorurteil abbat, welches ihr Kostuem in mir erweckt hatte." "Nun ja, da haben wir's," fuhr der Baron Garnmacher fort, "so sah es damals unter alt und jung in Deutschland aus; auch ich hatte Fouquesche Romane gelesen, wurde ein frommer Knabe, trug mich, wie alle meine Kameraden, altdeutsch und war meiner Herrin, der 'wunnigen Maid', mit einer keuschen, inniglichen Minne zugetan. Auf Amalie machte uebrigens der 'Z a u b e r r i n g', die 'F a h r t e n T h i o d o l f s' etc. nicht den gewuenschten Eindruck; sie verlachte die sittigen, lichtbraunen, blauaeugigen Damen, besonders die B e r t h a v o n L i c h t e n r i e t h, und pries mir Lafontaine und Langbein, schluepfrige Geschichten, welche ihr eine ihrer Freundinnen zugesteckt hatte. Ich war zu sehr erfuellt von dem deutschen Wesen, das in mir aufging, als dass ich ihr Gehoer gegeben haette; aber der luesterne Brennstoff jener Romane brannte fort in dem Maedchen, das sich, weil sie fuer ihr Alter schon ziemlich gross war, fuer eine angehende Jungfrau hielt, und kurz--es gab eine Josephsszene zwischen uns; ich huellte mich in meinen altdeutschen Rock und meine Fouquesche Tugend ein und floh vor den Lockungen der Sirene, wie mein Held Thiodolf vor der herrlichen Zoe. Die Folge davon war, dass sie mich als einen Unwuerdigen verachtete und dem Prinzen, des Rektors Sohn, ihre Liebe schenkte. Ob er mit ihr Lafontaine und Langbein studierte, weiss ich nicht zu sagen, nur so viel ist mir bekannt, dass ihn der Fuerst, Amaliens Vater, einige Wochen nachher eigenhaendig aus dem Garten gepeitscht hat. Ich sass jetzt wieder auf meinem Dachkaemmerlein, hatte die hebraeische Bibel und die griechischen Unregelmaessigen vor mir liegen und auf ihnen meine Romane. An manchem Abend habe ich dort heisse Traenen geweint und durch die Jalousien in den Garten hinabgeschaut; denn die zuchtlose Jungfrau sollte meinen Jammer nicht erschauen, sie sollte den Kampf zwischen Hass und Liebe nicht auf meinem Antlitz lesen. Ich war fest ueberzeugt, dass so ungluecklich wie ich kein Mensch mehr sein koenne, und hoechstens der unglueckliche O t t o v o n T r a u t w a n g e n, als er in Frankreich mit seinem vernuenftigen, lichtbraunen Roesslein eine Hoehle bewohnte, konnte vielleicht so kummervoll gewesen sein wie ich. Aber das Mass meiner Leiden war nicht voll; hoeren Sie, wie 'aus entwoelkter Hoehe' mich ein zweiter Donner traf. Der alte Rektor hatte seinen Schuelern ein Thema zu einem Aufsatz gegeben, worin wir die Frage beantworten sollten, w e n w i r f u e r d e n g r o e s s t e n M a n n D e u t s c h l a n d s h a l t e n. Es sollte sein Wert geschichtlich nachgewiesen, Gruende fuer und wider angegeben und ueberhaupt alles recht gelehrt abgemacht werden. Ich hatte, wie ich Ihnen schon bemerkt habe, meine Herren, immer einen harten Kopf, und Aufsaetze mit Gruenden waren mir von jeher zuwider gewesen, ich hatte also auch immer mittelmaessige oder schlechte Arbeiten geliefert. Aber fuer diese Arbeit war ich ganz begeistert, ich fuehlte eine hohe Freude in mir, meine Gedanken ueber die grossen Maenner meines Vaterlandes zu sagen und meine Ideale (und wer hat in diesen Jahren nicht solche) in gehoeriges Licht setzen zu koennen. Geschichtlich sollte das Ding abgefasst werden. Was war leichter fuer mich als dies? Jetzt erst fuehlte ich den Nutzen meines eifrigen Lesens. Wo war einer, der so viele Geschichten gelesen hatte als ich? Und wer, der irgend einmal diese Buecher der Geschichten in die Hand nahm, wer konnte in Zweifel sein, wer die groessten Maenner meines Vaterlandes seien? Zwar war ich noch nicht ganz mit mir selbst im reinen, wem ich die Krone zuerkennen sollte. H a s p e r a S p a d a? Es ist wahr, er war ein Tapferer, der Schrecken seiner Feinde, die Liebe seiner Freunde. Aber, wie die Geschichte sagt, war er sehr stark dem Trinken ergeben, und dies war doch schon eine Schlacke in seinem fuertrefflichen Charakter. A d o l p h d e r K u e h n e, R a u g r a f v o n D a s s e l? Er hat schon etwas mehr von einem grossen Mann. Wie schrecklich zuechtigt er die Pfaffen! Wenn er nur nicht in der Historie nach Rom wandeln und Busse tun muesste; aber dies schwaecht doch sein majestaetisches Bild. Es ist wahr, O t t o v o n T r a u t w a n g e n glaenzt als ein Stern erster Groesse in der deutschen Geschichte, dachte ich weiter, aber auch er scheint doch nicht der Groesste gewesen zu sein, wiewohl seine Froemmigkeit, die sehr in Anschlag zu bringen ist, jeden Zauber ueberwand. Island gehoerte wohl auch zum Deutschen Reich; wahrhaftig, unter allen deutschen Helden ist doch keiner, der dem T h i o d o l f das Wasser reicht. Stark wie Simson, ohne Falsch wie eine Taube, fromm wie ein Lamm, im Zorn ein B e r s e r k e r--es kann nicht fehlen, er ist der groesste Deutsche. Ich setzte mich hin und schrieb voll Begeisterung diese Rangordnung nieder. Wohl zehnmal sprang ich auf, meine Brust war zu voll, ich konnte nicht alles sagen, die Feder, die Worte versagten mir, wohl zehnmal las ich mir mit lauter Stimme die gelungensten Stellen vor. Wie erhaben lautete es, wenn ich von der Staerke des Islaenders sprach, wie er einen Wolf zaehmte, wie er in Konstantinopel ein Pferd nur ein wenig auf die Stirne klopfte, dass es auf der Stelle tot war; wie grossmuetig verschmaeht er alle Belohnung; ja, er schlaegt einen Kaiserthron aus, um seiner Liebe treu zu bleiben; wie kindlich fromm ist er, obgleich er die christliche Religion nicht recht kannte; wie schoen beschrieb ich das alles; ja, es musste das Herz des alten Rektors ruehren! Ich konnte mir denken, wie er meine Arbeit mit steigendem Beifall lesen, wie er morgens in die Klasse kommen wuerde, um unsere Aufsaetze zu zensieren. Dann sendet er gewiss einen milden, freundlichen Blick nach dem letzten Platze, wohin er sonst nur wie ein bruellender Loewe schaute, dann liest er meine Arbeit laut vor und spricht: Kann man etwas Gelungeneres lesen als dies? Und ratet, wer es gemacht hat! Die Letzten sollen die Ersten werden. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, soll zum Eckstein werden. Tritt hervor, mein Sohn, _Garnmachere_! Ich habe immer gesagt, du seiest eine Bete; konnte ich ahnen, dass du mit so vielem Eifer Geschichten studierst? Nimm hin den Preis, der dir gebuehrt.' So musste er sagen, er konnte nicht anders, ohne das schreiendste Unrecht zu tun. Eifrig schrieb ich jetzt meinen Aufsatz ins Reine. Um zu zeigen, dass ich auch in den neueren Geschichten nicht unbewandert sei, sagte ich am Schluss, dass ich nach Erfindung des Pulvers den d e u t s c h e n A l c i b i a d e s und naechst ihm H e r m a n n v o n N o r d e n s c h i l d fuer die groessten Maenner halte. Man koenne ihnen den R i t t e r E u r o s, welcher nachher als D o m s c h u e t z m i t s e i n e n G e s e l l e n so grosses Aufsehen gemacht habe, was die Tapferkeit anbetreffe, vielleicht an die Seite stellen; doch stehen jene beiden auf einem viel hoeheren Standpunkt. Ich brachte dem Rektor triumphierend den Aufsatz und musste ihm beinahe ins Gesicht lachen, als er muerrisch sagte: 'Er wird ein schoenes Geschmier haben, Garnmacher!' 'Lesen Sie, und dann--richten Sie,' gab ich ihm stolz zur Antwort und verliess ihn. Wenn in Ihrem Vaterlande, Mylord, eine Preisfrage gestellt wuerde ueber den wuerdigsten englischen Theologen, und es wuerden in einer gelehrten, mit Phrasen wohldurchspickten Antwort die Vorzuege des Vicar of Wakefield dargetan, wer wuerde da nicht lachen? Wenn Sie, werter Marquis, nach der wuerdigsten Dame zu den Zeiten Louis XIV. gefragt wuerden, und Sie priesen die n e u e H e l o i s e, wuerde man Sie nicht fuer einen Rasenden halten? Hoeren Sie, welche Torheit ich begangen hatte! Der Samstag, an welchem man unsere Arbeiten gewoehnlich zensierte, erschien endlich. So oft dieser Tag sonst erschienen war, war er mir ein Tag des Ungluecks gewesen. Gewoehnlich schlich ich da mit Herzklopfen zur Schule; denn ich durfte gewiss sein, wegen schlechter Arbeit getadelt, oeffentlich geschmaeht zu werden. Aber wieviel stolzer trat ich heute auf; ich hatte meinen besten Rock angezogen, den schoensten, feingestickten Hemdkragen angelegt, mein wallendes Haar war zierlich gescheitelt und gelockt; ich sah stattlich aus und gestand mir, ich sei auch im Aeusseren des Preises nicht unwuerdig, welcher mir heute zuteil werben sollte. Der Rektor fing an, die Aufsaetze zu zensieren. Wie aermliche, obskure Helden hatten sich meine Mitschueler gewaehlt: Hermann, Karl den Grossen, Kaiser Heinrich, Luther und dergleichen,--er ging viele durch, immer kam er noch nicht an meine Arbeit. Ja, es war offenbar, meine Helden hatte er auf die Letzt aufgespart--als die besten! Endlich ruhte er einige Augenblicke, raeusperte sich und nahm ein Heft mit rosenfarbener Ueberdecke, das meinige, zur Hand. Mein Herz pochte laut vor Freude, ich fuehlte, wie sich mein Mund zu einem triumphierenden Laecheln verziehen wollte; aber ich gab mir Muehe, bescheiden bei dem Lobe auszusehen. Der Rektor begann: 'Und nun komme ich an eine Arbeit, welche ihresgleichen nicht hat auf der Erde. Ich will einige Stellen daraus vorlesen!' Er deklamierte mit ungemeinem Pathos gerade jene Kraftstellen, welche ich mit so grosser Begeisterung niedergeschrieben hatte. Ein schallendes Gelaechter aus mehr als vierzig Kehlen unterbrach jeden Satz, und als er endlich an den Schluss gelangte, wo ich mit einer kuehnen Wendung dem furchtbaren D o m s c h u e t z e n noch einige Bluemchen gestreut hatte, erscholl Bravo! _Ancora_! und die Tische krachten unter den beifalltrommelnden Faeusten meiner Mitschueler. Der Rektor winkte Stille und fuhr fort: 'Es waere dies eine gelungene Satire auf die Herren Spiess und Konsorten, wenn nicht der Verfasser selbst eine Satire auf die Menschheit waere. Es ist unser lieber Garnmacher. Tritt hervor, du _dedecus naturae_, hieher zu mir!' Zitternd folgte ich dem fuerchterlichen Wink. Das erste war, als ich vor ihm stand, dass er mir das rosenfarbene Heft einmal rechts und einmal links um die Ohren schlug. Und jetzt donnerte eine Strafpredigt ueber mich herab, von der ich nur so viel verstand, dass ich eine Bete waere und nicht wuesste, was Geschichte sei. Es begegnet zuweilen, dass man im Traum von einer schoenen, blumigen Sonnenhoehe in einen tiefen Abgrund herabfaellt. Man schwindelt, indem man die unermesslichen Hoehen herabfliegt, man fuehlt die unsanfte Erschuetterung, wenn man am Boden zu liegen glaubt, man erwacht und sieht sich mit Staunen auf dem alten Boden wieder. Die Hoehe, von der man herabstuerzte, ist mit all ihren Bluetengaerten verschwunden, ach, sie war ja nur ein Traum! So war mir damals, als mich der Rektor aus meinem Schlummer aufschuettelte; ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort, die ich ihm geben konnte. Ich war arm wie jener Kroesus, als er vor seinem Sieger Cyrus stand; auch ich hatte ja alle meine Reiche verloren! Ich sollte bekennen, woher ich die Romane bekommen, wer mir das Geld dazu gegeben habe. Konnte, durfte ich sie, die ich einst liebte, verraten? Ich leugnete, ich hielt den ganzen Sturm des alten Mannes aus, ich stand wie Mucius Scaevola. Der langen Rede kurzer Sinn war uebrigens der, dass ich von meinem Vater ein Attestat darueber bringen muesse, dass ich das Geld zu solchen Allotriis von ihm habe, und ueberdies habe ich am naechsten Montag vier Tage Karzer anzutreten. Verhoehnt von meinen Mitschuelern, die mir Thiodolf, deutscher Alcibiades und dergleichen nachriefen, in dumpfer Verzweiflung ging ich nach Hause. Es war gar kein Zweifel, dass mich mein Vater, wenn er diese Geschichte erfuhr, entweder sogleich totschlagen oder wenigstens zum Schneiderjungen machen wuerde. Vor beidem war mir gleich bange. Ich besann mich also nicht lange, band etwas Weisszeug und einige seltene Dukaten und andere Muenzen, welche mir meine Paten geschenkt hatten, in ein Tuch, warf noch einen Kuss und den letzten Blick nach des Nachbars Garten, sagte meinem Dachstuebchen Lebewohl, und eine Viertelstunde nachher wanderte ich schon aus der Strasse nach Berlin, wo mir ein Oheim lebte, an welchen ich mich fuers erste zu wenden gedachte. In meinem Herzen war es oede und leer, als ich so meine Strasse zog. Meine Ideale waren zerronnen. Sie hatten also nicht gelebt, diese tapfern, frommen, liebevollen, biederen Maenner, sie hatten nicht geatmet, jene lieblichen Bilder holder Frauen. Jene bunte Welt voll Putz und Glanz, alle jene Stimmen, die aus fernen Jahrhunderten zu mir heruebertoenten, die mutigen Toene der Trompete, Ruedengebell, Waffengeklirr, Sporenklang, suesse Akkorde der Laute--alles, alles dahin, alles nichts als eine loeschpapierne Geschichte, im Hirn eines Poeten gehegt, in einer schmutzigen Druckerpresse zur Welt gebracht! Ich sah mich noch einmal nach der Gegend um, die ich verlassen hatte. Die Sonne war gesunken, die Nebel der Elbe verhuellten das liebe Dresden, nur die Spitzen der Tuerme ragten, vergoldet vom Abendrot, ueber dem Dunstmeer. So lag auch mein Traeumen, mein Hoffen, Vergangenheit und Zukunft in Nebel gehuellt, nur einzelne hohe Gestalten standen hell beleuchtet wie jene Tuerme vor meiner Seele. Wohlan! sprach ich bei mir selbst: _O fortes, pejoraque passi Mecum saepe viri, nunc cantu pellite curas, Cras ingens iterabimus aequor._ Noch einmal breitete ich die Arme nach der Vaterstadt aus, da fuehlte ich einen leichten Schlag auf die Schulter und wandte mich um.--" * * * * * Der Herausgeber ist in der groessten Verlegenheit. Er hat bis auf den Tag, an welchem er dies schreibt, dem Verleger das Manuskript zum ersten Teil versprochen, und doch fehlt noch ein grosser Teil des letzten Abschnittes. Er ist noch nicht geweiht, die Messe ist schon vorueber, und eine eigene ueber die paar Bogen lesen zu lassen, findet sich weder ein gehoeriger Vorwand, noch wuerde das Werkchen diese bedeutende Ausgabe wert sein. Wir versparen daher die Fortsetzung des Festtages in der Hoelle auf den zweiten Teil. * * * * * *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN V1 *** This file should be named 7msv110.txt or 7msv110.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7msv111.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7msv110a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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